Kategorien

Premiere Der Mann von La Mancha, 02.10.2013, Gärtnerplatztheater in der Reithalle – Nachtkritik

[singlepic id=1594 w=320 h=240 float=left]Das Gärtnerplatztheater eröffnete die neue Spielzeit mit dem Musical Der Mann von La Mancha in der Reithalle und feierte eine gelungene Premiere.

Als den größten Roman aller Zeiten bezeichnete Christoph Wagner-Trenkwitz die Geschichte um den Dichter Cervantes, der des Hochverrates angeklagt wird und sich im Gefängnis einer ganz eigenen Gerichtsverhandlung gegenübersieht. Seine Mitgefangenen, Diebe , Mörder, politisch Verfolgte, sitzen über ihn zu Gericht und zu seiner Verteidigung erzählt Cervantes die Geschichte vom Edelmann Alonso Quijana, der wiederum sich selbst in die Ritterrolle hineinträumt und als Don Quijote die Ebenen von La Mancha unsicher macht. In seiner Vorstellung wird aus einer Windmühle ein gefährlicher Riese, aus einer Spelunke eine Burg und aus einer Küchenmagd ein Edelfräulein. Nicht immer stößt er dabei auf Verständnis seiner Umwelt, aber seine Sichtweise ist ansteckend und am Ende träumen alle den unmöglichen Traum.

Miguel de Cervantes saß selbst mindestens dreimal im Gefängnis und auch er hat als Steuereintreiber gearbeitet, insofern dürfte in der Rahmenhandlung ziemlich viel Biographisches stecken. Außerdem war er auch noch Soldat und Pirat und ein eher erfolgloser Schriftsteller, der erste Teil von Don Quijote war zwar ein Kassenschlager, kassiert hat aber nur der Verleger. Selbst seinen Todestag muss er sich mit William Shakespeare teilen, sein Roman wirkt indes noch lange nach und hat Werke von Purcell, Telemann, Richard Strauss und verschiedene Zarzuelas beeinflusst. 1965 entstand das Musical von Dale Wasserman, der auch Einer flog über das Kuckucksnest für das Theater adaptierte. Ursprünglich sollte W. H. Auden die Liedtexte schreiben, aber er war zu sozialkritisch, deshalb wurde Joe Darion damit beauftragt. Es war ein riesiger Erfolg am Broadway und zählt noch heute zu den am längsten gespielten Stücken.

[singlepic id=1602 w=320 h=240 float=right]Premiere hatte das Musical in einem Theater, das eigentlich abgerissen werden sollte und dementsprechend schon teilweise demontiert war. So hatte das Theater keinen Vorhang mehr und genau das empfindet die Bühne von Thomas Stingl nach. Ein Podest zwischen zwei Tribünen stellt die Spielfläche dar und stellt die Mitwirkenden vor besondere Herausforderungen. Bis auf die Gefängniswärter sind ausnahmslos alle ständig – man spielt ziemlich genau zwei Stunden ohne Pause – auf oder neben der Bühne. Da kann man sich nicht mal eben die Nase putzen oder schnell einen Müsliriegel essen. Jeder steht ständig unter Beobachtung und es ist sehr schwierig, beim ersten Mal wirklich alle Aspekte zu erfassen.  Regisseur Josef E. Köpplinger, der nach eigenem Bekunden als Kind Angst vor dem Stück hatte, versteht sich auf die Personenregie und schafft mit einfachen Mitteln Illusionen und setzt damit die Essenz des Romanes perfekt um. Das Konzept der zu zwei Seiten offenen Bühne ist sehr gut umgesetzt, natürlich wird einem schon mal der Rücken zugedreht aber generell merkt man doch die Bemühung, beide Tribünen gleichermaßen einzubeziehen. Die Vergewaltigungsszene war mir persönlich etwas zu explizit umgesetzt und insgesamt ist mir das Stück zu textlastig, auch wenn es natürlich so geschaffen wurde. Die Kostüme geben in der Rahmenhandlung eine Jetztzeit vor – aus dem Gefängnis wurde ein Auffanglager -, für die Zeit des Theaterstückes konnte ich aber keine Renaissancekostüme entdecken, das war eher so irgendwie historisch. Das tut aber der Aussage dieses Stückes keinen Abbruch, der philosophische Hintergrund wird trotzdem deutlich.

[singlepic id=1603 w=320 h=240 float=left]Die Sänger waren allesamt gut, für mich herausragend war Carin Filipčić, die ein unglaublich berührendes Portrait der Hure Aldonza zeichnete und auch stimmlich für mich die beste des Abends war. Peter Lesiak als Diener bzw Sancho und Erwin Windegger als Cervantes/Don Quijote ergänzten sich prächtig. Alle Rollen waren gut bis sehr gut mit teilweise bekannten Gesichtern wie zum Beispiel Maurice Klemm (Weißes Rössl/Anything goes) besetzt. Das Orchester des Staatstheaters am Gätnerplatz bewies mal wieder seine Vielseitigkeit und ließ unter Andreas Kowalewitz die zum größten Teil spanisch angehauchten Rhythmen strömen.

Weitere Vorstellungen bis 19. Oktober, Karten von 17€ biss 55€ an allen bekannten Vorverkaufsstellen.

Musikalische Leitung Andreas Kowalewitz, Regie und Licht Josef E. Köpplinger, Co-Regie Nicole Claudia Weber, Choreografie Hannes Muik, Bühne Thomas Stingl, Kostüme Bettina Breitenecker, Dramaturgie David Treffinger, Cervantes / Don Quijote Erwin Windegger, Diener / Sancho Peter Lesiak, Aldonza / Dulcinea Carin Filipčić, Gouverneur / Gastwirt Martin Hausberg, Padre Jesper Tydén, Herzog / Dr. Carrasco Frank Berg, Antonia Katja Reichert, Barbier / Juan, Maultiertreiber / Maure Maurice Klemm, Jose, Maultiertreiber / Maure Hannes Muik, Anselmo, Maultiertreiber / Maure Christoph Graf, Tenorio, Maultiertreiber / Maure Peter Neustifter, Paco, Maultiertreiber / Maure Alexander Moitzi, Pedro, Maultiertreiber / Maure Florian Peters, Haushälterin Snejinka Avramova, Maria, Frau des Gastwirts Marika Lichter, Fermina, Dienstmädchen Frances Lucey, Maurin Kenia Bernal Gonzàles, Hauptmann Peter Windhofer, Pferd / Maultiertreiber / Maure Pál Szepesi, Esel / Maultiertreiber / Maure Nicola Gravante, Gefängniswärter u.a. Statisterie, Orchester, Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Ähnliche Artikel

Containerwalzer – Don Giovanni in der Staatsoper

[singlepic id=1587 w=240 h=320 float=left]Die neue Spielzeit beginnt für den Autor mit Mozart. Etwas skeptisch nach den berstend langweiligen, semikonzertanten Rose/Dorn-Inszenierungen (Figaro/Cosi) und ihrem szenischen und unterhaltlichen Minimalismus verantwortet den Don Giovanni Stephan Kimmig und liefert einen, nun ja, Kontrapunkt.

Mit dem ersten Ouvertürenschlag steht da der nackte, alte Statist zitternd mitten im Containerbahnhof und erregt Mitleid. Dahinter walzen die schwerfälligen Container (Spediteurin war Katja Haß) über die Drehbühne. Das Bild ist klar und holzhammerartig. Hier wird verladen, verräumt, verramscht. Eine gute Idee für einen Bühnenvorhang, als Inszenierungsidee zu wenig. Denn die Bühne ist Regie, viel mehr fiel Kimmig nicht ein. Die Container springen wie in einem Puppenhäuschen der Hässlichkeit auf und offenbaren verschiedene geschmacklose Interieurs oder komplett zufällige Requisitenfetzen. Ebenso wurde die Besetzung anscheinend mit wahllosen Resten des Kostümfundus (Garderoberin: Anja Rabes) angezogen. In, auf und zwischen den Containern wird dann viel und oft wenig inszeniert gesungen. Dazwischen immer wieder der nackige Opi beim Briefe-Lecken, Windradpusten oder als seltsame Aerobic-Kür. Willkürliche Videoanimationen von einem Stadionbildschirm ergänzen das wirre Regie-Nicht-Konzept ebenso wie Diktatorenstaffage und blinde Kirchenkritik ganz am Ende. Zudem gehört ab diesem Abend der Satz: „Hast du die Pinguine gesehen?“ zu den Topfünf der Fragen, die man in der Oper nie hören möchte.

Mehr ist nicht. Ein kleiner Skandal mit den Schweinehälften als Friedhofsersatz und etwas Blut bei dem doch eigentlich ganz fröhlichen Drama um den Sexualsoziopathen auf seinen dreisten Raubzügen.

[singlepic id=1586 w=240 h=320 float=right]An den Figuren wurde allerdings gearbeitet. Nach seinem grandiosen Wozzeck überzeugt Simon Keenlyside auch hier in einer vielschichtigen, psychologischen Darstellung der Titelrolle. Sein Bariton ist dabei weder Stroboskop- noch Flutlicht, dafür eine warme Tiffanylampe, die über dem tristen Containerhaufen angenehm brennt. Kongenial daneben der biestige, spielfreudige Leporello von Kyle Ketelsen. Die verträumte Travellerin Elvira setzt die Glanzlichter dank Dorothea Röschmann ebenso wie die seltsam kindfraulich inszenierte, jedoch bravurös gestemmte Anna von Elza van den Heever. Süßes Highlight die sattelfeste Laura Tatulescu als Zerlina, die bald zum Publikumsliebling Münchens avancieren wird. Erwähnenswert weiterhin die starken Sidekicks Ottavio (brillant Bernard Richter) und ein Komtur von Goran Juric, dass sogar Leopold sich vor diesem Vater noch gefürchtet haben dürfte.

Man wünscht sich nach diesem Giovanni zwar die Dornlangeweile nicht zurück, doch fragt sich, ob Mozart im 21. Jahrhundert tatsächlich so schwierig zu inszenieren ist. Anscheinend ermüden und scheitern nur die Münchner im Vergleich zu einem Claus Guth. Die Überdrehtheit und Redundanz von da Ponte und Wolferls Schnörkel fordern nämlich ein gescheites Gegenprogramm, das der Autor in München leider noch nicht finden konnte. Dafür Pinguine.

Besucht wurde die Vorstellung am 22.09.2013

Ähnliche Artikel

Fest.Spiel – Lorin Maazel und die Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen

[singlepic id=1584 w=240 h=320 float=left]Salzburg, Mekka, Moloch und Musikhochburg im Sommer. Der Autor durfte dieses Jahr das erste Mal den Zauber der Mozartstadt zur Festspielzeit erleben, die dann nach Schickeria, Schilcher und Show duftet. Nur hier wird man vom Kellner mit breitestem Austrodialekt sicherheitshalber amal auf Englisch zum Badezimmer gewiesen, denn das internationale {russische} Klientel hat die Salzachstadt längst übernommen. Auf der Toilette im Peterskeller erleichtert sich dann der Theopil persönlich, als Wolferlkopie im Reberkostüm und Perücke, der ein Amadeusgaladinnerkonzert geben muss. Vor dem Festspielhaus dann große Parade: Wenn der Jedermann mit seinen jüngsten Krampussen und Perchten vorbeidefiliert ist, promenieren dafür die älteren Damen des Mönchsbergjetsets mit viel Farbe und noch mehr Brilli auf und ab; am Moetstandl vorbei und ein Hoch der geldigen Höherkultur. Das muss man mögen, ist ausgesprochen interessant und gehört zu gescheiten Festspielen, wie der Edeluhrenhauptsponsor. Dafür ist aber in Österreich auch die Netrebko samt Buben – und keine 18-jährige Barbusige – das Seite-1-Mädchen der Kronenzeitung…

Aber zur Musik, die genügend Anlass zur Pilgerfahrt ins Salzkammergut gibt. Nach den Verdihighlights und den szenischen Kontroversen gingen diese Festspiele konzertant und grandios zu Ende. Der große Lorin Maazel gab mit den Wiener Philharmonikern Wagner. Das „Siegfried-Idyll“ vor der Pause und dann hochkarätig besetzt den ersten Akt „Walküre“. Festspieltauglicher, froher Wagner sozusagen mit wenig Überlänge.

Maazel brilliert mit dem Idyll, indem er auswendig, mit wenig Bewegung, ökonomisch und inspiriert den Klassiker vorstellt und aufführt. Mit gedehnten Tempi, Sinn für Zeit und einem Gefühl für den romantischsten aller Wagner vollführt er „eine Lehrstunde im Akkordaufbau“ (O-Ton Pause) und lässt Wagners kompositorische Genialität durchs transparente Dirigat aufscheinen. Die Evergreens erlauben den Vergleich und die Philharmoniker und Maazel erzeugen einen Siegfriedzauber, der einen Quantensprung im Vergleich zur berühmten Solti-Aufnahme aus dem Jahr ’81 bedeutet. Das liegt neben Maazels könnerischer Größe an dem ausgezeichnet ausgewogenen Klang dieses – wohl tatsächlich weltbesten – Orchesters, das ohne der Gefahr einer reinen Streicherorgie zu erliegen das Idyll als arkadische Landschaft interpretiert. Genauso wenig tunken sie den Pinsel zu satt und zu dick in die Klangfarbe, erlauben keinen Obers-Kitsch, keinen Zuckerguss zur Wagnertorte. Und das in Salzburg! Bravourös!

[singlepic id=1585 w=240 h=320 float=right]Dann die große Liebesgeschichte und die Vorgeschichte zum freien Helden Siegfried. Maazel wirft uns gekonnt und von den brillanten Philharmonikern makellos durchgeführt in den Wirbelsturm des Vorspiels ohne einen Patzer bis in Hundings düstere Hütte. Dort warten Giganten. Eva-Maria Westbroek präsentiert Bayreuth gestählt eine sensationelle Sieglinde mit der besten Diktion des Abends. Seit dem Vorspiel in lyrischer Meditation versunken, erwacht diese (leider konzertant beschnittene) Sieglinde eruptiv, um liebend und sinnend zu glänzen. Großes Gesangskino in perfekter Rahmung. Ihr Gatte Matti Salminen als Hunding, der seinen Part mit düsterem Bass und vollem Klang dämonisch kühl gibt. Den Siegmund singt Peter Seiffert versiert, dosiert und mit Effektkenntnis. Der jüngst zum Kammersänger geadelte Heldenveteran kennt die Rolle in- und auswendig und seine große Erfahrung spiegelt sich in den wunderschönen Winterstürmen routiniert wieder. Für die Wälserufe indes ist die Stimme mittlerweile zu weit von Wolfes Kinderreigen entfernt, diese wirken gesteuert pointiert und im Vokalischen besonders auf den Letzteffekt hin produziert. Eine mitunter notwendige Hascherei des späten Sängers? Während er sich im großen Liebesdialog hervorragend im Griff hat, fehlt neben den erwartbaren Glanzlichtern ein wenig der runde Kraftklang, den der Siegmund voraussetzt. Diesen Sound liefern die Philharmoniker dagegen hervorragend, im Liebes- und Nibelungenreigen entspinnt sich ein dröhnender Klang- und Passionssturm durch das Festpielhaus, dass Amadé ein paar Straßen weiter auf seinem Sockel noch bebt und sich der Gnade seiner frühen Geburt bewusst wird. Alles endet schlussendlich mit dem einzig legitim komponierten (Pardon Monsieur Ravel) Orgasmus der Musikgeschichte mit dem irren Aktschluss und dem Salzburger Nachspiel. Erwachsene, lange Ovationen vor Würstelstandl und Absacker. Bis zum nächsten Mal!

Ähnliche Artikel

Falstaff, 25.08.2013, Kammeroper München im Hubertussaal Schloß Nymphenburg

Falstaff, Foto Bernd Schuller

Über die neue Produktion der Kammeroper München habe ich drüben bei mucbook geschrieben.

Ähnliche Artikel

Man sind die gut – Chicago am Broadway

Beinarbeit

Natürlich will da nicht umsonst jeder hin. Die Musicaljünger von überall, um die besten Shows der Welt zu sehen, die dann oft abgespeckt eine Welttournee mit schwächeren Zwillingen antreten. Mehr noch will jeder Tänzer, Sänger, Musicalist und Künstler einmal am Broadway eine Show geben. Die wenigsten schaffen es und die meisten Theater sind und bleiben in amerikanischer Hand. Der Autor durfte nun seine erste Show im alteingesessenen Ambassador Theatre sehen und war gespannt wie skeptisch. Zu oft leidet für ihn das Musicalgenre an Blutleere, Taktsucht und Überperfektion, die wohl oft genug auch von überspielten Tourneen herrührt, bei denen die meist läppischen Stories zum Geht-nicht-mehr aufgekocht und Abend für Abend neu heruntergespult werden. Hunderte von Repertoirevorstellungen abzuspielen ist schließlich kein Zuckerschlecken. Und selten liefert dieses Genre außer drei Ohrwürmern und ein wenig Bühnenbudenzauber das, was die Oper bietet: Emotion via Musik mit Qualität.

Eine der Topshows der wichtigsten Amüsiermeile der Welt ist im Augenblick „Chicago“ – eine Revue und weniger Musical mit mehr Vaudeville denn Handlung und altmodischer, verjazzter Musik sowie dem Primat der Choreographie. Nach der beachtlichen Hollywoodglitzertorte des jüngeren Kinos wieder im Spotlight gibt der Broadway diese Show erneut und mit altbekannter Besetzung.

Das Ergebnis? Eine Schulstunde an Professionalität, Perfektion, Herzblut und der einen großen US-Gabe: Entertainment. Keine Rolle unterbesetzt, kein Tänzer nicht im Takt und die Solos alle dermaßen grandios, dass Premierengefühl aufkommt bei der lässig coolen und dabei frischen Performance – zum xten Mal perfekt sozusagen. All that Jazz eben.

NY,NY,Broadway und Chicago

Die glatte und energische Amra-Faye Wright lebt wohl seit Jahren ihre Velma und liefert eine Tanzperformance voller unangestrengter Bravour, ohne eine Bewegung zu viel zu machen und routiniert das Publikum mit den gedehnten Beinen dirigierend. Gesanglich besser, tänzerisch etwas schwächer Amy Spanger als quirlige Roxie, die mit ihrer präsenten Energie durch die Decke geht. Diese beiden Ladies würdigen sich dabei auf der Bühne keines Blickes, harmonieren dafür in den Tanznummern auf die Sekunde. Hier sieht man einen Divenwettkampf, dessen Ausgang egal ist, solange sie dermaßen unterhalten.

Unprätentiöser doch geliebter Sidekick ist der Edna-Turnblad-erfahrene Wuchtling Paul C. Vogt, der bei „Mister Cellophane“ beweist, wie wenig auf der Bühne bei einer großen Begabung und gescheiter Regie für eine gute Nummer von Nöten ist. Alexander Gemignani gibt einen schleimig schiagelnden Billy und liefert mit der Marionettennummer die beste Stelle des Abends. Selbst die Minirollen wie die sensationelle Travestie von R. Lowe als kolotarierende YellowPressNymphe lassen die internationale Audience schreien und jubeln. Zu Recht und ansteckend. Alleiniger Aussetzer des Abends ist der Namedrop Wendy Williams, die als bekannte Radiomoderatorin ihre Vorschusslorbeeren verschießt und weder gesanglich noch spielerisch überzeugen kann. Aber auch so funktioniert der Broadway – she has the name!

Fazit?

Dieser Bombencast, eine sichtbare Bombenband, faktisch kein Bühnenbild, keine Handlung außer Jazz und Chicks und Crime und eine Bombencompany verzaubern zwei Stunden bis zum durchexerzierten Applaus das alte Artdeco-Theater und entführen mit ihrer Mitreißfähigkeit in eine ferne Welt nur bestehend aus Glamour, fliegenden Beinen, wackelnden Hüften und perfektem Entertainment voller Jazz – man sind die gut…

Ähnliche Artikel

Lesung Ma Jian, 12.08.2013, Edinburgh International Book Festival

Mein persönlicher Höhepunkt bei den Lesungen war jene von Ma Jian, den ich bei der Frankfurter Buchmesse nicht gesehen hatte, als China Gastland war und er vom offiziellen Teil ausgeschlossen war. Seine Werke sind in China seit 1987 verboten, seit 2011 besteht auch ein Einreiseverbot für ihn.

Die 180 Plätze im Lesezelt waren alle besetzt als Ma Jian, seine Ehefrau Flora Drew und die Moderatorin Rosemary Burnett auf die Bühne kamen. Ma Jian selbst sprach durchgängig Chinesisch, seine Frau dolmetschte die gesamte Veranstaltung.

Sein neustes Werk The Dark Road beschäftigt sich mit den Folgen der staatlichen Familienplanung in China, der Titel umschreibt auf Chinesisch auch den Geburtskanal der Frau,
für Ma Jian ein ganz besonderer Ort. Meili, die weibliche Hauptfigur steht für die Frauen im sich wandelnden China, die vom Land nach Guangzhou und Shenzhen ziehen, um dort in riesigen Fabriken zu arbeiten, die nach Selbstbestimmung und Freiheit suchen. Sie soll eine äußerst entschlossene Frau sein, die sich mit jeder Faser ihres Körpers gegen die Vorgaben der Regierung wehrt. Ihr Ehemann Kongzi ist ein direkter Nachfahre von Konfuzius (Chinesisch: Kongzi), dessen Charakter komplementär zu dem von Meili angelegt ist. Er repräsentiert die dunklen, konservativen Stimmen, die Druck auf Meili ausüben, einen Stammhalter zu gebären, der den Familiennamen fortführt.

In den letzten Jahre hat der lange verschmähte Konfuzianismus durch die chinesische Regierung eine Wiederbelebung erfahren, allerdings nach Ma Jians Erfahrungen auf der Grundlage eines nur vagen Verständnisses. Er hat nichts dagegen, dass traditionelles Gedankengut an modernes Denken angepasst wird, wie z.B. in Hinsicht auf die Rechte der Frauen. Traditionen sind wichtig für eine Gesellschaft und können Selbstsicherheit geben, so wie er es am Wochenende selbst bei den Highland Games erlebt habe. Es sei jedoch wichtig, diese Traditionen zu verstehen und vernünftig in unsere heutige Zeit zu übernehmen bzw. eben anzupassen.
In jedem alten Volk sei der Glaube an Geister verbreitet gewesen, egal wo auf der Erde und besonders ausgeprägt im alten China. In „The Dark Road“ spricht der Geist des ungeborenen Kindes von Meili. Diese Idee ist tief im chinesischen Glauben verwurzelt, nach dem der Geist eines ungeborenen Kindes bei der Frau bleibt, bis es geboren wird. D.h. bei einer Fehlgeburt oder Abtreibung würde der Geist des Kindes weiterhin bei der Frau verweilen.

Meili flieht immer wieder vor den Behören, drei Schwangerschaften in neun Jahren…. begleitet von der Stimme des ungeborenen Kindes. Auch dies passt zur traditionellen chinesischen Gedankenwelt, in der die Zeit als zyklisch empfunden wird und das Auge des all-sehenden Geistes uns stets beobachtet.

Ma Jian las einen kurzen Abschnitt auf chinesisch aus der in Taiwan erschienen Originalausgabe, dann las Flora Drew eine längere Passage aus der englischen Ausgabe seines neusten Werkes.

Nachdem Ma Jian den Rohentwurf zu „The Dark Road“ geschrieben hatte, reiste er zur Recherche nach China, dies war noch bevor ein Einreiseverbot für ihn verhängt wurde. Zuerst war es schwierig, Menschen zu finden, die ihm fundierte Auskunft über die negativen Auswirkungen der erzwungenen Ein-Kind-Politik geben konnten bzw. wollten. Seit dem Olympischen Spielen war von der Regierung ein dicker Mantel des Schweigens über dieses Thema gelegt worden. Schließlich wurde er in seiner alten Heimatstadt Shandong fündig und hörte grauenvollen Geschichten über Spätabtreibungen, bei denen der Arzt völlig abgestumpft nur kurz gesagt habe „Schade, war ein Junge“ oder Kinder trotzdem noch stundenlang weiterlebten. Ma Jian hörte nicht „nur“ über solche Ereignisse, sondern sah auch die enorme Umweltverschmutzung, die Lebensbedingungen der Menschen z.B. in Guangxi und in Sichuan, erlebte gewaltsame Demonstrationen gegen die Ein-Kind-Politik bei denen Beamte in Brand gesteckt wurden. Er reiste nach Guiyu, wo er sich als Arbeitssuchender ausgab und Furchtbares sah und hörte.

Nirgendwo sonst in China gäbe es so viele fehlgebildete Kinder, Fehlgeburten und sei es so schwierig, überhaupt schwanger zu werden. Gleichzeitig würden Frauen im gebärfähigen Alter wie Verbrecherinnen behandelt, sie würden alle drei Monate kontrolliert, ob sie schwanger seien. Nur Reiche könnten sich davon freikaufen und zur Geburt weiterer Kinder ins Ausland reisen. Ma Jian hörte von einem Professor, der durchsetzte, dass seine Frau in China ein zweites Kind zur Welt bringen durfte und daraufhin seinen Arbeitsplatz verlor und eine Strafe in Höhe von 20 Jahresgehältern bezahlen musste.

Eigentlich hatte Ma Jian nach der Geburt seiner ersten beiden Kinder über das Leben an sich schreiben wollen, nachdem es in Beijing Coma um den Tod ging. Gleichzeitig konnte er nicht schweigen, angesichts dessen was er in China sah und hörte. Er sieht seine Aufgabe als Schriftsteller darin, Probleme in der Gesellschaft aufzuzeigen. Er freut sich, wenn er hört, dass das Leben seiner noch in China lebenden Geschwister mit der Zeit besser wird und fragt sich, warum sie nicht so zornig über die Ungerechtigkeiten dort sind. Die Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens hätten ihn zornig gemacht, diesmal sei er jedoch niedergeschlagen gewesen. 60 Millionen Kinder würden in China bei den Großeltern aufwachsen, weil die Eltern sich nicht selbst um sie kümmern könnten, ständig würden Kinder entführt, Kinderhandel sei überall präsent.

Die Gebärmutter sollte der sicherste Platz überhaupt für ein ungeborenes Kind sein, nicht ein Ort der Gefahr vor Menschen, die der Ansicht wären, dass Säuglinge, egal wie alt, vor der Geburt keine Gefühle hätten. Ihm sei bewusst, dass er mit einem Buch nicht die Gesellschaft verändern könne, hoffe jedoch, diese Dinge ins Bewusstsein zu rufen. Auch wenn Ma Jian immer wieder betonte, er sei nicht mehr zornig, waren seine Emotionen deutlich zu spüren und seine Frau musste ihn immer wieder an die eigentlichen Fragen erinnern und ein wenig ausbremsen.

Das Publikum war gefesselt und als Fragen gestellt werden durften, berichtete ein Frau, dass sie zwei Mädchen aus chinesischen Waisenhäusern adoptiert habe. Ma Jian bedankte sich bei ihr, dass sie den Kindern die Chance auf ein besseres Leben gebe.

Eine sehr bewegende Veranstaltung mit einem interessanten Autor, dessen neustes Werk hoffentlich bald auch auf deutsch erscheint.

Weiterführenden Links:
http://en.wikipedia.org/wiki/Electronic_waste_in_Guiyu
http://www.flickr.com/photos/52289342@N0…157620894755924
http://www.greenpeace.org/international/…llution-230707/

Ähnliche Artikel

Gott, Kot und Fleisch – Die Präsidentinnen im Peppertheater

Die Wichtigkeit dieser kleinen Münchner Keller- und Privatbühnen steht ohne Zweifel. Doch den Abend den drei Vollblut- und sicherlich unkommerziell motivierten Bühnentiere mit ihren Präsidentinnen hingestellt haben, beweist erneut, das Qualität nicht vom Kapital abhängt und Großes auch im kleinen, armen Theater geschaffen werden kann.

Nicht gerade leicht haben es die dreisten Drei sich dabei gemacht, indem sie Werner Schwabs schweren Brocken auf die Pepperbühne gehievt haben. Denn wenig passiert bei dem großen Textstück einer Sezierung dreier großer Frauenfiguren der Theaterbühne. Dialog und Monolog entschlüsseln langsam und grausam zynisch die Schicksale dieser kaputten Personen zwischen Geschlecht, Erinnerung und Lebensentwurf. Das braucht spielen und eine Distanz wie Nähe zu diesen kalten Karikaturen, diesen gebrochenen Menschen voller Leere und Boshaftigkeit und unendlicher Traurigkeit. Drei etablierte Bühnenfrauen haben sich diesem Schwab angenommen und bringen ihn brillant und pointiert auf die Bühne ohne dabei den Fehler zu machen, diesen Brocken als etwas anderes zu nehmen, als er ist – ein theatraler Seidlfilm, noch überzeichneter und in seiner Eindeutigkeit große Karikatur der modernen Vorstadt und der gebrochenen Frau. Manfred Lorenz Sandmeier nimmt sich in seiner Regie zurück, stellt die Frauen sparsam und auf den Text konzentriert im angedeuteten Wohnzimmer nebeneinander und lässt sie agieren, arbeitet die Rollen präzis heraus und lässt den Text sprechen. Mehr braucht es nicht.

Julia Mann gibt die Erna als verkapptes, spleeniges Wrack mit übermenschlichem Sohnkomplex. Mutig, sicher und mit Gespür für Komik gehört ihr die erste Hälfte mit manchmal etwas Hang zur Attitüde. Diese Ticks verträgt das Stück zu Auflockerung der harten Realität. Die macht die Enthaltsamkeit und Lebensverneinung von Erna spürbar, die sich alles spart, vom Gefühl zu Nähe zum Leben. Präsent und bühnenwohl und übersteigert authentisch in jeder Sekunde. Kongenial daneben die Spiegelfigur Grete von Raphaela Zick. Die regelmäßige Pepperdienerin und Bühnenliebling bekannt auch als Mephisto und Elisabeth aus Maria Stuart zeigt hier ihre beste Leistung auf hohem Niveau in der chargierenden, dem Wahn verfallenen Grete. Diese Frau ist zu bemitleiden und offenbart einen tiefen, grausamen Kern hinter der herzigen, schlampigen Oberfläche, den Zick auslotet und tief in die Figur blicken lässt. Mit jeder Träne über dem überzogenen Kajal überzeugt Zick vor allem in der zweiten Hälfte, die sie dominiert. Mann macht es ihr dabei nicht leicht, man sieht großen Akteurinnen immer dabei zu, wie sie miteinander ringen, die Figuren auf die Spitze treiben und sich immer auch einen gelungenen Darstellerwettbewerb liefern. Durch ihr junges Alter wird Schwabs Distanziertheit zu seinen Figuren, die gerne in der dritten Person von sich fabulieren nur noch deutlicher.

Dazwischen und witzigerweise alterstechnisch umgedeutet Waltraut Borchmann als rührenden, naive Mariedl. Zurückhaltend in der ersten Hälfte brilliert sie in ihrer großen Schlusserzählung ebenso wie in ihrer physischen Darstellung, die dem Zuschauer Mitleid für diese entrückte, alte Mariedl erzeugt, die wahrlich nichts trübt, bis sie an ihrer Zurückhaltung und dem Ausnutzen zerbricht. Sie komplettiert das Trio der verlorenen Seelen, die sich aneinander abarbeiten, da Hoffnung, Glück und Zukunft fehlen. Darum gehen sie aufeinander los, verachten sich und demütigen ihre gegenseitigen Schicksale. Der böse Witz funktioniert auch in der kühlen Lösung, die den Glauben an das Gute endgültig zu Grabe trägt. Hoffentlich aber arbeiten diese grandiosen Drei noch regelmäßig und auf diesem Niveau miteinander. München braucht diese Präsidentinnen.

 

Ähnliche Artikel

Tragikomischer Vogel – Richard Strauss in Garmisch-Partenkirchen

[singlepic id=1573 w=320 h=240 float=left]Es ist als Brigitte Fassbaenders große Leistung anzusehen, eine Art von Gefälligkeit und Leichtigkeit im Straussfestival Garmisch-Partenkirchen durchzusetzen. Um die Oberbayern mit ihrem Heimatkomponisten ein wenig näher zusammenzubringen, wurden in den letzten Jahren unter anderem der Naturbursche und der Familienmensch Strauss ausgelotet. Dieses Jahr bildet die Komik die inhaltliche Klammer der Konzertreihe. Neben der am Freitag folgenden konzertanten Ariadne aus Wien bildet das große Orchesterkonzert dabei üblicherweise das Highlight der Reihe.

Komisches bei Strauss findet sich dann ja auch zu Genüge und an diesem – vorweg als wunderschön zu bezeichnenden – Konzertabend standen der Don Quixote, der Eulenspiegel und die Rosenkavaliersuite versöhnlich nebeneinander. Was die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz dabei ablieferten wurde zurecht mit einem langen Bravokonzert beantwortet. In massiver – straussnotwendiger – Besetzung und mit Unterstützung des virtuosen Cellisten István-Alexander Gaal gelang ihnen Großes und sie bewarben sich für die Stelle eines dauerhaften Festivalorchesters für den kleinen Kurort, der an 6 Tagen im Jahr seinen berühmten Sohn Richard Strauss hochleben lässt.

Quixote allüberall. Während das Gärtnerplatztheater bereits an seiner Musicalvariante des Mannes von La Mancha lustmachend probt, geht Strauss mit seinem Ritter der traurigen Gestalt einen anderen Weg. Ohne Flamencoklänge und durchwegs komplex nähert er sich Cervantes und schafft es durch die Orchestrierung den Witz und mehr noch die Tragikomik der Vorlage zu vertonen. Der weinende Ton des Violoncellos der melodiös wieder zur leichten Melodie zurückreitet, nimmt uns mit auf den Trab durch die Mancha zwischen Sanchos Esel und Rosinante. Die {Verzeihung} mancha-mal optimistischen, machmal wunderbar leidenden Holzbläser erzählen nicht nur die Geschichte, sondern auch die Grundstimmung, den Tenor, die Essenz der großen Geschichte vom aufrechten Narren und seinem unmöglichen Traum.

[singlepic id=1574 w=320 h=240 float=right]Nach der Pause dann der komponierte Running Gag des Eulenspiegels; eine Variation auf ein witziges Thema mit hohem Tempo moduliert, überspielt, verspielt und immerfort dahingetragen zum gesteigerten Gagfinale. Da fällt der Rosenkavalier eigentlich raus. Die Komik versinkt ja hier in der lakonischen, melancholischen Schlussstimmung der Scheidung und dem Abschied des Alters von der Jugend. Aber wie kann man den Rosenkavalier und seine üppigen, satten Melodien nicht zugeben zu einer ironischen, und bläserstark verkaterten Liebesgeschichte, die wie die Ariadne die Komik de Tragik herauskitzelt. Ebenso verfährt der Quixote und lässt uns gerührt zurück. In der Suite jedoch kehrt Strauss zum Finale an den mittleren Höhepunkt zurück, ironisiert sein erfolgreichstes Bühnenwerk und seine Gassenhauer. Nein, nein, kein Wein, sondern einen doppelten Espresso kippen hier die Essener um über einen Pharisäer zu einem endlosen Verlängerten überzuwechseln und die Melange knackig zu vollenden.

Soltesz beginnt Strauss komischerweise nicht nur äußerlich mehr und mehr zu ähneln, nein, sein Dirigat steigert sich im Laufe des Abends etwa beim Eulenspiegel zu Nelsonsschem Ausdruckstanz und zuletzt zur feierlichen Kür der Walzerklänge aus dem Rosenkavalier. Strauss wurde brieflich von seinem Vater für sein Showdirigat noch getadelt, Soltesz lässt mit jeder Faser seiner Kennerschaft und Begeisterung für das anspruchsvolle wie gelungene Notenmaterial durchscheinen. Gaal unterstützt in gefühlvoll und virtuos.

Lange Bravochöre und begeisterter Applaus.

Ähnliche Artikel

Lux facta est! – Oedipus Rex im Prinzregententheater

[singlepic id=1570 w=320 h=240 float=left]10.6.2013

Die tragische Erleuchtung kam diesmal nicht erst am Ende, sondern bereits zu Beginn des mit großer Anstrengung und Aufwand unternommenen Konzertunterfangens von Chor und Orchester der Hochschule München. Süffig und informativ nämlich führte Grandseigneur und Dirigent Professor Doktor Theodor Schmitt zu Beginn halbstündig in das, nun ja sperrige Werk Strawinskys ein. Unterstützt von den durchwegs ordentlichen Solisten wurde das geliefert, was mehr Konzertantes und Symphonisches benötigt: Ein Heranführen, Annähern und Handhabbarmachen für den Nicht-Musikologen. Gerade im komplex orchestrierten und durchwegs Gattungsgrenzen sprengenden ‚Opern-Oratorium‘ samt Chor und Sprecher war dies von Nöten. Wenngleich Schmitt ein wenig übers Ziel hinausschoss in dem Anspruch gleich eine dramaturgische Interpretation und allumfassende Poetologie jenseits von Strawinsky zu liefern, gefiel die Einführung und machte Lust auf den verdichteten Tragödienmarsch.

Ein seltsamer Zwitter begegnet Einem da. Auf wenige knappe, redundante Textstellen destilliert und dramaturgisch von einem Sprecher unterbrochen, spielt sich ein Wechselspiel aus Chor und 5(6) Solisten ab.

Rufus Beck mimte als Eyecatcher den Sprecher und gab dem knappen Text – teils etwas unterfordert – seinen typischen, treffsicheren Erzählton und wippte dabei amüsiert zum Takt des Chores mit. Diese kurzen Passagen lassen dann auch allein das dramaturgische Genie Jean Cocteaus durchscheinen, auf dessen Libretto der Oratorientext fußt. Durch die Rückübersetzung ins Lateinische und die knappen (übertitelten) wie wiederholenden Arienpartien muss der Anteil Cocteau wohl in der Verdichtung und Verknappung hin auf eine musikalische Essenz gesehen werden, die Strawinsky dann pointiert auskomponierte.

Diese Eindampfung, Übersetzung und Verengung gelingt grandios. Ein präzises und sichtbar begeistertes Orchester ist dem komplizierten Material gut gewachsen, die kleinen Unsicherheiten in den instrumentalen Solopartien werden durch den starken und ebenso enthusiastischen Chor (Einstudierung Johannes Steinbüchler) wettgemacht. Dieser als personifizierter Mob, Mahner und Menge aufschreiende Gruppenruf nach Pest, Tod und Verdammnis macht das effektvolle Highlight dieses Oedipus als Angeklagten seines Volkes aus. Nicht zu Unrecht erinnerte Schmitt an Orffs Chorsound mit satter Orchestrierung als Vorbild. Vergessen hat er allerdings den sanft durchscheinenden, sakralen Mozart, auf dessen Woge gerade die tragischen Chor-Momente deutlich dahinscheinen.

[singlepic id=1569 w=320 h=240 float=right]Die Arien ein Touch von Verdi. Und das wirkt. Der erwachsene, würdevolle und wohldosierte Tenor von Bernhard Schneider führt uns einen königlichen Oedipus vor, der nur noch vom musikalischen Glanzstück des Abends mit dem warmen, vollen Mezzo von Kerstin Descher als Iokaste übertroffen wird. Nach deren Arie ist ein kein Fürstenstreit mehr möglich und die Handlung vollführt einen erneuten adramatischen Stop. Stephan Lin bringt mit seinem hellen Tenor als Hirte sprichwörtlich Licht ins Dunkle und überstrahlt ein wenig Jussi Jarvenpää als Bote und Kreon. Benedikt Göbel als Theiresias wäre auch eine szenische Freude gewesen.

Mit perfider Fröhlichkeit, Flöte und leiser Begleitung unterlegt Strawinsky seine Arien und konterkariert auch hier die Tragödie des Inhalts. Dagegen setzt er dann seine „Todestarantella“ als obszöne Mauerschau des Chores über die finale Katastrophe. Oedipus ist hier bereits lange nach seinem Lux facta est! verstummt. Gebetsmühlenartigen Wiederholungen seiner Taten der (reinen) Vergangenheit nützen nichts. Er erkennt in einem entscheiden Moment seine Schuld, seinen Fluch und die Unentrinnbarkeit der von Iokaste geschmähten, lügenden Orakelsprüche. Strawinskys ‚Oper‘ arbeitet exakt diesen Moment aus und auf ihn zu. Orchester und Chor folgen Schmitt willig bei dieser Mammutaufgabe, die älteste und größte Tragödie der Dramengeschichte pointiert und lange nachhallend ins Publikum zu transportieren. Gerade dieses schwierige und sperrige Werk auf die Agenda zu setzen, ist eine Entdeckung, der gelungene Abend eine große Belohnung, Erleuchtung: Lux facta est.

 

Chor und Symphonieorchester der Hochschule München

 

Prof. Dr. Theodor Schmitt

 

 

Sprecher: Rufus Beck

 

Solisten:
Bernhard Schneider, Tenor
Kerstin Descher, Mezzosopran
Jussi Järvenpää, Bariton
Benedikt Göbel, Bass
Stephan Lin, Tenor

Ähnliche Artikel

Vorschau: Richard-Richard-Sterntaler am 16.06.2013 um 20.30 Uhr im Künstlerhaus München

[singlepic id=1571 w=320 h=240 float=left]Wagner- und Strauss-Gestalten rund ums Künstlerhaus: “Richard – Richard – Sterntaler”

Musiktheater in 12 Szenen aus 15 Opern mit 15 Solisten, Wilder Gungl, Barbershop, Jahrgang 1909, drei klugen Knaben, München und Meer

Richard Wagner (1813-1883) – Komponist, Dirigent, Regisseur, Schriftsteller aus Leipzig, welcher 1864 in München ein Wunder erlebte.
Richard Strauss (1864-1949)
– Komponist, Dirigent, Gründer der GEMA.
Richard Stury (1859-1928)
– Schauspieler und Kgl. Hofrat, Erster Held und Liebhaber an den Kgl. Hofbühnen
Das Holländerschiff strandet…Der Junge Richard Strauss spielt an der Isar…Der Junge Richard Stury hilft seiner Mutter…der Holländer nimmt an ihrem Mittagstisch Platz…Siegmund und Sieglinde ebenso…Richard Wagner träumt von seiner Kindheit in Leipzig…Ein König konstruiert Flugwerke…die Schwäne fliegen ohne ihn weiter…Elektra lächelt…Siegfrieds Schmiede trifft auf Ariadnes Insel…der Drache singt dem Abendstern…Wotan nimmt Abschied…der Waldvogel staunt…

Das Stück beginnt am Mittagstisch, den die verwitwete Mutter von Richard Stury in der Maximilianstraße 38 (vorm. 29) für Schauspieler und Sänger der Hofbühnen unterhielt. Erzählt werden Momente der Münchner Stadt- und Musikgeschichte, welche sich ab und an mit Stationen aus „Sterntaler“ kreuzen. Uns begegnen Frauen und Männer aus den Opern von Strauss, Wagner und Verdi und aus Balladen Bob Dylans. Ebenso bayrische, finnische, sephardische Volkslieder. Und Hans Sachs als Handwerksbursch in der Poetenschule an der Frauenkirche im Jahre 1513…

Opern-Charaktere, welche im normalen Theater-Alltag nicht die Aussicht haben, einander zu begegnen, erleben gemeinsam Geschichte und Geschichten. Nach „Knospen und Mantel“ im Lichthof der LMU und „Geigerin und blauer Vogel“ im Abgussmuseum ist dies die abschließende Zeitreise der „Münchner Trilogie“ von der an großen Opernhäusern im In- und Ausland inszenierenden Regisseurin Kristina Wuss, für einen breitgefächerten Zuschauerkreis ab 10 Jahre konzipiert.

Der US-amerikanische Bariton Gary Martin als Holländer und Wotan kurz vor seinem Bayreuth-Debüt als Wotan im „Ring an einem Abend“ ist ebenso dabei wie der US-amerikanische Tenor Jason Papowitz als Siegfried und Bacchus. Die schwedische Sopranistin Thérèse Wincent als Waldvogel und Violetta, die Münchner Sopranistinnen Micaela di Catalano (demnächst im Mariinski-Theater in St. Petersburg) als Sieglinde und Elsa, Julia Krieger als Brünnhilde, Verena Barth als Chrysothemis, Julia Makarevich als Zerbinetta, Susanna Leismüller als Marschallin, der finnische Solist Jussi Järvenpää als Siegmund, der für seine „Oper für Obdach“ bekannte Liedsänger Christoph von Weitzel als Hans Sachs, Peter Kellner als bajuwarischer Daland, der 72jährige Franz Spindler als Wolfram u.v.a. gehören zu den bereits bekannten oder (noch) unentdeckten Münchner Sternen zwischen den Komponisten-Planeten, musikalisch betreut vom Dirigenten Christopher McMullen Laird.

Das Symphonieorchester Wilde Gungl München mit ihrem tschechischen Dirigenten Jaroslav Opela wird in freier Fahrt mit der frühen Concertouvertüre von Strauss zusteigen, ebenso der Barbershop-Herrenchor aus München mit Dirigent Hans-Jürgen Wieneke, Mitglieder der Tanz-Wirkstatt (Mafalda Wiesmet, Leonie Spindler, Kornelia Wantuch), des Volkschores Dachau und des Kinderchores der Bayerischen Staatsoper (Alexander Lakatár, Jan Niedringhaus, Maximilian Schinke) sowie der Leiter desselben, Stellario Fagone und Elena Arnovskaya am Klavier, nicht zuletzt Marco Toth als Ludwig II und Arthur Galiandin und Étienne Gillig als fremdsprachige Gäste. Die 1909 geborene Graphikerin und Autorin Marylka Bender-Kellerer wird auch in dieser szenischen Spurensuche wieder mit ihren Bildern mitwirken. Für Bühne & Licht ist Michael Bischoff vom Institut für Glücksfindung zuständig; die Kostüme stammen vom Verleih Ralf Rainer Stegemann.

Szenen: Holländer „Die Frist ist um“ – Zerbinetta „Großmächtige Prinzessin“ – Elsa „Einsam“ – Siegmund „Ein Schwert“ / „Winterstürme“ – Erda „Weiche, Wotan, weiche“ – Violetta „Sempre libera“ – Hans Sachs „Wohin“ – Chrysothemis „Ich kann nicht sitzen“– Wotans Abschied – „Siegfried“ Schmiedeszene, Waldweben – Brünnhilde „Ewig“ – Marschallin „Da geht er hin“ – Wolfram „Abendstern“ u.a.

Symphonieorchester Wilde Gungl mit Dirigent Jaroslav Opela.

Münchner Barbershop Herrenchor mit Dirigent Hans-Jürgen Wieneke

Mitglieder des Kinderchores der Bayerischen Staatsoper mit Dirigent Stellario Fagone

Eintritt:
17€, ermäßigt: 10€
Abendkasse: 18€, ermäßigt: 11€ über karten@theater-werkmuenchen.de oder Theater Werkmünchen Tel. 089 / 32494945

 

Ähnliche Artikel