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Premiere Rockin’ Rosie, 09.12.2022, Gärtnerplatztheater

Alexander Franzen (Tobias »Sir Toby« Müller), Dagmar Hellberg (Rosemarie »Rosie« Murr),Gunnar Frietsch (Vinzenz Murr),  Frances Lucey (Ulicia »Uschi« O Riagáin) 

© Jean-Marc Turmes
Alexander Franzen (Tobias »Sir Toby« Müller), Dagmar Hellberg (Rosemarie »Rosie« Murr),Gunnar Frietsch (Vinzenz Murr),  Frances Lucey (Ulicia »Uschi« O Riagáin) 
© Jean-Marc Turmes

“Seine Ehefrau kann man sich nicht aussuchen”

Das war nur einer der vielen Sprüche, die das Herz heute lachen ließen.

Auf der Studiobühne wurde heute gefeiert. Eine Welturaufführung. Das kann man öfter im Gärtnerplatztheater erleben. Und doch war es heute etwas besonderes. Auch gefeiert wurde nämlich heute auch der 70. Geburtstag von Rosie. Das ist Rosemarie Murr, eine Musikerinlegende in Schwabing. Gelandet war ihre Band. Alle etwas wild, hatten sie doch ihre Zeit kurz nach 68. Da sind Konflikte mit den Nachgeborenen vorprogrammiert. Und so stießen unterschiedliche Lebenseinstellungen aufeinander. Das gibt Konflikte, aber fast alle waren trotzt der Verwundungen zum Schluss irgendwie glücklicher.

Ungewohnt war dieser Abend trotzdem. So viel Sprach-Schauspiel wie heute habe ich hier noch nicht erlebt. Dieses Cross Over zeigte, welch wunderbaren Künstler:innen das Haus hat. Heute vor allen eine großartige Dagmar Hellberg. Aber auch alle anderen lebten ihre Rollen. Ich bin tief bewegt und glücklich nach diesem Abend.

Armin Kahl (Stefan Murr), Dagmar Hellberg (Rosemarie »Rosie« Murr)

© Jean-Marc Turmes
Armin Kahl (Stefan Murr), Dagmar Hellberg (Rosemarie »Rosie« Murr)
© Jean-Marc Turmes

BESETZUNG

Musikalische Leitung Andreas Partilla

Regie Nicole Claudia Weber

Choreografie Rita Barão Soares

Bühne und Kostüme Rainer Sinell

Dramaturgie Michael Alexander Rinz

Rosemarie »Rosie« Murr Dagmar Hellberg

Ulicia »Uschi« O Riagáin Frances Lucey

Tobias »Sir Toby« Müller Alexander Franzen

Aki »Der Admiral« Mäkinen Frank Berg

Manfred »Manni« Demez Erwin Windegger

Stefan Murr Armin Kahl

Vinzenz Murr Gunnar Frietsch

Hanna Murr Florine Schnitzel

Maximilian Aubauer Peter Neustifter

Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Weitere Termine:

So 11.12.2022 19.30 Uhr
Mo 12.12.2022 19.30 Uhr
Mi 14.12.2022 19.30 Uhr
Fr 16.12.2022 19.30 Uhr
So 18.12.2022 19.30 Uhr
Mo 19.12.2022 19.30 Uhr
Di 31.01.2023 19.30 Uhr
Do 02.02.2023 19.30 Uhr
Di 07.02.2023 19.30 Uhr
Mi 08.02.2023 19.30 Uhr

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Rüdiger Bach ist HOLGER – Ein Nachbericht zur Premiere vom 01. Oktober 2021

Jüngst veröffentlichte ich noch das Interview mit dem Schauspieler und Autor Rüdiger Bach zur anstehenden Premiere seines neuen Bühnentheaters „Holger F.“ sowie der Veröffentlichung seines Mutmach-Buches „Nimm dich selbst bei der Hand“ – ein nützlicher Ratgeber für Schauspieler, und solche die es werden wollen für Jung und Alt. Hier geht es zum Interview.

Nun war es schon so weit: Mit einer Pressekarte ausgestattet machte ich mich auf den Weg zum Kleinen Theater Haar, eine Kulturbühne in einem gepflegten Jugendstilhaus, welches auf dem Gelände des Isar-Amper-Klinikums als Hotspot für Schauspiel, Kabarett und Musikveranstaltungen errichtet wurde. Nach kurzem, freundlichem Empfang durch den Intendanten Matthias Riedel-Rüppel wurden wir in den Saal gebeten. Die ursprüngliche Kinobestuhlung wurde aufgehoben, stattdessen wurde kurzerhand eine freie Platzwahl in Varieté-Bestuhlung, sprich Sitzgruppen mit vier Stühlen plus kleinen Tisch, arrangiert. Wunderbar – keine Scheu zeigen und gleich ganz nach vorne war hier die Devise.

Sobald die Platzierung abgeschlossen und das erste Getränk des Abends dargereicht wurde, konnte man bereits die ersten Eindrücke des Bühnenbilds sammeln. Auf den Einsatz des Vorhangs wurde ganz bewusst verzichtet, stattdessen kann man sich bereits in die Situation einfühlen. Auf der Bühne wurde mit einem minimalistischem Potpourri an Gegenständen, die so typisch für jede Wohnungsauflösung oder Umzug stehen, gearbeitet. Es finden sich also Kisten, ein Müllsack und die letzte Sitzgelegenheit aus dem früheren Kinderzimmer von Holger nebst einer Art Schrein mit dem Foto der kürzlich verstorbenen Mutter samt Trauerband.

Kommen Sie wieder ins Theater, es macht nicht krank.

Hierzu später mehr, denn der Einlass ist bereits abgeschlossen und der Intendant möchte die Gelegenheit nutzen auf das Folgende einzustimmen, lässt hierfür die Probenzeit mit Rüdiger kurz Revue passieren und wendet sich schließlich noch eindringlich an die, zugegeben überschaubare, Publikumsmenge. „Kommen Sie wieder ins Theater, es macht nicht krank. Im Gegenteil, Kultur ist gesund für die Seele.“ Nach einem überzeugenden Applaus verlässt Riedel-Rüppel wieder die Bühne und macht Platz für das eigentliche Programm.

 

©Saskia Pavek

Bach nutzt zunächst die laufende Musik und betritt die Bühne nachdem er durch den Zuschauerraum schreitet und kurz bei dem Schrein inne hält um Blumenschmuck abzulegen. Sogleich beginnt die eigentliche Handlung, welche den Grundstein für einen Prozess der Verarbeitung, Emanzipation und inneres Wachsen des Protagonisten über das gesamte Stück hinweg legen wird. „Holger“ beginnt, zunächst apathisch, noch von Trauer übermannt, die Fortschritte der Wohnungsauflösung zu begutachten. Sein Ort der Geburt, des Heranwachsens und eigentlich ganzen Lebens – all dies wird sich nun ändern. Zuerst zögerlich greift er nun in die Kiste mit Habseligkeiten aus der Kindheit und Jugend. Mit einigen der Gegenstände lassen sich Begebenheiten und Erlebnisse im jungen Leben des Protagonisten verknüpfen, er nimmt die Zuschauer mit auf diese Reise und nutzt teils bekannte, teils unbekannte Lieder um in jene Erinnerungen einzutauchen.

©Saskia Pavek

Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten. Wesentliche Schlüsselszenen sind jedoch wie Holger es schafft mit seinem Vater, der früh die Familie verließ, Frieden zu schließen und wie Stück für Stück die Abnabelung vom einstigen Regiment der Mutter hinein ins freie und selbstbestimmte Leben führt. All dies vermittelt Bach singend, die Stückauswahl ist gelungen und zwischendurch erfüllt immer wieder Heiterkeit den Zuschauerraum beim Beobachten der kindlichen Freude, mit der Bach in der Lage ist, Emotionen und ausdrucksstarke Freude zu transportieren. Für meinen Geschmack hätten Richtung Ende der Aufführung ruhig noch längere und rundere Töne dabei sein können, Bach setzt auf akzentuierte Betonung, um weiterhin die Geschichte zu

transportieren – dies erweckt manchmal den Eindruck, dass die Figur Holger trotz allem weiterhin „mit gezogener Handbremse“ singt.

Alles in allem ein gelungener Theaterabend, der den Zuschauer:innen eine Geschichte offenbart, die eigentlich ganz einfach, nichtsdestotrotz so nahbar und emotional, erheiternd und melancholisch sowie befreiend und positiv zugleich ist. Aktuell sucht Rüdiger Bach nach Spielorten für das Stück „Holger F.“ Sobald Termine bekannt werden können diese auf den sozialen Kanälen des Künstlers eingesehen werden.

Wer sich den Trailer zum Stück anschauen möchte klickt bitte hier.

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Interview mit Rüdiger Bach

Portraitfoto Rüdiger Bach ©️Beate Kellmann

©️Beate Kellmann

Ein brandneues Bühnenprogramm mitsamt professioneller CD und eine Buchpremiere in kürzester Zeit? Wer ist dieser Rüdiger Bach, der so umtriebig im Kulturbereich das große Rad dreht während die Welt sich bis vor kurzem noch in einer Schockstarre befand? Ich war neugierig und habe mich mit Rüdiger getroffen um mit ihm über Anstehendes, Vergangenes, Vergnügliches und Trauriges sprechen.

Hallo Rüdiger, vielen Dank für die Möglichkeit Dich interviewen zu dürfen.

Ja, da danke ich aber auch Dir für die tolle Möglichkeit für mich, eben auch durch New Star Media, dass solche Dinge möglich sind. Also danke auch für die Einladung.

Sehr gerne. Fangen wir doch mit etwas Seichtem an: Wie kommt denn ein Badener nach Bayern? Und sag jetzt nicht mit dem ICE!

(lacht) Das ist eine sehr gute Frage. Das lag daran, dass ich auf die Bühne wollte seit ich klein war. Und in meiner Heimat in Karlsruhe war ich dann auf der Badischen Schauspielschule, aber nach zwei Jahren dachte ich mir, dass das nicht so ganz das ist was ich mir wünsche und ich brauche noch mehr Vielfalt, auch für meine Rollen und um damit zu arbeiten obwohl ich damals auch schon auf der Bühne stand. Die Schule gibt es übrigens nicht mehr seit zig Jahren. Und so kam ich nach München, das war der Grund. Dort war ich dann beim Zinner Studio, das wohl inzwischen nicht mehr existiert und auch seit damals schon vier Mal umgezogen ist. Ich war damals noch in der Corneliusstraße und dort habe ich mir den – sozusagen – letzten Schliff verpasst bei anderen Lehrern. Das war letztendlich der Grund wie ich nach München gekommen bin. Rückblickend betrachtet sicherlich auch um aus dieser Enge zu entfliehen, ein neues Leben und einen Neuanfang zu beginnen. Das war der Grund.

Der klassische Weg wäre ja eigentlich nach Berlin zu gehen, dort wird es ja auch internationaler. Das hat Dir nicht getaugt?

Berlin hat mich damals (überlegt) überhaupt nicht interessiert. Und ich weiß nicht warum München, aber es war dann so. Und inzwischen bin ich länger in München als ich in Karlsruhe geboren und aufgewachsen bin.

Reden wir doch zu deinem neuen Stück. Holger F., wie kam es dazu? Du hast es ja auch selbst geschrieben, nicht wahr?

Ja, die Idee kam, da ich inzwischen schon fast 40 Jahre in diesem Beruf arbeite und möchte immer noch gerne Neues entdecken und mich auch weiterentwickeln. Ich habe eine ganz tollen Schauspielcoach, den Matthias Bayer, wir hatten eine schöne Arbeit zusammen gemacht und als ich nach Hause kam dachte ich plötzlich „aus der Figur kann man doch was machen“. Und schon war ich am Aufschreiben eines Konzepts von Holger F. Frag mich nicht warum ich auf Holger F gekommen bin, ich kenne überhaupt keinen Holger – mit Ausnahme meines Kollegen Holger Wilhelm, den ich sehr schätze. Er spielt bei Dahoam is Dahoam den Gregor. Eine Inspiration war von Wittenbrink, das Stück „Männer“, das sind elf Männer im Fußballstadion und der Abend erzählt sich nur über Lieder. Es gibt also keinen Text. Da dachte ich, dass das doch auch alleine funktionieren kann. Und so war innerhalb von Minuten das Konzept entworfen. Dass die Geschichte von Holger in 14 Liedern erzählt wird. Nur eine Geschichte zu erzählen über den Neuanfang und dass Holger sich mit Anfang 50 noch entwickelt, zu sich stehen kann und sich auch endlich offen zu seinem Schwulsein bekennen kann. Und dass sich eben aus einem verklemmten, schüchternen Mann, der bei seiner Mutter wohnt, weil diese kränkelt, der Vater hat die Familie schon lange verlassen. Zu diesem hatte Holger auch ein starkes, inniges Verhältnis, er ist jedoch aus Verpflichtungsgefühl bei der Mutter geblieben. Die Mutter ist auch nicht die Tollste, sie kann keine Gefühle zeigen, etc. Aber diese Geschichte erzählt sich wirklich sehr gut über den Abend, an dem ich bereits die ganze Zeit herumprobiere. Und das war mir einfach wichtig – ohne Glitzer und Glamour. Es hat ganz klar etwas mit LGBT zu tun, soll aber auch den ruhigen Nachbarn von Nebenan zeigen. Es soll vom Klischee wegkommen und zeigen, dass schwul immer schrill. Laut und mit bestimmten Sachen assoziiert wird. Sondern es kann auch das Mauerblümchen sein. Das Stück beginnt damit, dass die Mutter stirbt und Holger hat natürlich nun die Aufgabe alles zu organisieren und die Wohnung, in der er gewohnt hat aufzulösen. Er kommt an, die Wohnung ist schon halb ausgeräumt und nimmt Abschied, aber dies markiert auch den Start in ein neues Leben trotz alledem. Um sich am Schluss der Welt zeigen zu können und sagen kann: „Das bin ich. Und das war schon immer in mir.“ Die Mutter weißt es, sie wusste auch von seinem früheren Freund. Dieser stellte ihm aber ein Ultimatum, damit er sich zwischen Partner und Mutter entscheiden muss. Und in seinen jungen Jahren hat er sich aber für die Mutter entschieden und blieb bei ihr. Holger geht jedoch gereift in sein neues Leben. Letztendlich geht es darum auch mit Holger zu zeigen sichtbar zu sein. Sichtbar, wie ich es auch als Schauspieler Rüdiger Bach bin.

Klingt für mich auch nach einem ödipalen Stockholm-Syndrom, wenn er sich immer für die Mutter entscheidet. Mich würde interessieren, was kannst du hier von deiner Persönlichkeit reinflechten, abgesehen von Deinem Bedürfnis auch sichtbar zu sein? Du bist ja vergleichsweise schnell ausgebrochen und in die weite Welt gezogen.

Das stimmt, ich glaube ich habe mit Holger gar nicht so viel gemeinsam, weil ich einfach nicht so lange gewartet hätte. Ich hatte keine Mutter, die ich pflegen musste. Ich hatte auch keinen Vater, den ich pflegen musste. Ich hatte kein so tolles Verhältnis weder zur Mutter noch zum Vater. Und hier ist es ganz stark, vielleicht sind da auch Sehnsüchte dabei, einen starken Vater zu haben, der Segelboote mit dir baut, mit dir was unternimmt. Ja, dass ein Vater die Familie verlässt. Aber jedoch nicht wegen einer Geliebten sondern weil die Frau permanent fremd geht. Diesen Mut zu haben, den hatte mein Vater nicht. Das war ganz schlimm für ihn, er hat meine Mutter sehr geliebt. Mein Vater ist inzwischen schon länger verstorben, das hat ihn glaub ich sehr beschäftigt. Hier lass ich jedoch den Vater gehen, hier darf er diese Stärke haben, auch wenn es dem Kind weh tut, aber ich denke vielleicht versteht ein Kind das eher im Laufe des Lebens diese Stärke zu schätzen. Es ist beides nicht toll, jedoch für klare Verhältnisse zu sorgen, da sollten die Kinder wissen woran sie sind. Denn sie spüren es doch, Kinder spüren viel, viel mehr als man denkt. 

Scheint also auch ernste Töne anzunehmen im Verlauf des Stücks?

Ja, also es ist keine heitere Abendveranstaltung mit viel Schenkelklopfen. Es ist ein Abend der Unterhaltung, da sind vielleicht Lieder dabei, die man erstmal gar nicht kennt. Und die sind alle neu arrangiert worden für mich, das war ein sehr kostspieliges Playback will ich sagen. Ich will einfach unabhängiger sein damit als mit Livemusik. Ein Lied musste unbedingt rein. Ich wollte es erst original auf Englisch singen, wie Conchita Wurst. Und da wurde ich aber drauf angesprochen, dass alles andere ja auch auf Deutsch gesungen wird. Ich singe nun mal auch auf Deutsch weil es meine Muttersprache ist und ich mich damit am Besten in allen Gefühlen ausdrücken kann. So habe ich dann einen neuen, deutschen Text dazu verfasst – und das war wirklich sehr schwer, so das es auch auf Holger passt. Aber es ist uns geglückt.

Sehr schön, was möchtest du denn alles beim Publikum bewirken? Du hast gesagt es soll unterhalten, es soll aber auch mit ernsten Tönen den Mann von nebenan zeigen. Was ist denn nun dein grundsätzlicher Wunsch, was der Zuschauer denken soll wenn er sich dein Stück angeschaut hat?

Ganz viele, ich möchte die Menschen berühren, begeistern und unterhalten. Die Leute werden dann auch nachdenken. Und wenn ich sie damit entlassen kann aus dem Abend, das ist einfach immer schön. Ich möchte jetzt nicht, dass alle die Regenbogenfahne auspacken, denn darum geht es nicht. Es geht um einen Menschen und darum, dass Menschen sich unterhalten lassen können und auch mal Corona vergessen können.

Gutes Stichwort, das wollte ich als nächstes ansprechen. Der Schaffensprozess war dann vermutlich zum größten Teil in den Lockdowns? Oder war das schon vorher im Köcher?

Coverfoto Nimm dich sebst bei der Hand von Rüdiger BachNein, eben nicht. Ich muss ehrlich sagen, mir hat der Lockdown und Corona viel kreativen Schub gebracht. Im ersten Lockdown habe ich mein Buch geschrieben, das Buch „Nimm dich selbst bei der Hand“. Dann kam der zweite Lockdown, da entstand Holger. Und jetzt im dritten, sehr langen Lockdown fingen dann schon die Vorbereitungen an. Ich habe auch gedreht und habe generell immer gearbeitet, auch während der Lockdowns. Und immer versucht eine optimistische Stimmung zu behalten, was bei den Nachrichten gar nicht so leicht ist. Das wurde durch Beschränkung rein auf die Tagesschau leichter. Aber generell hieß es positiv bleiben, denn ansonsten kann man es auch gleich komplett lassen. Davon habe ich mich befreit und hab gearbeitet.

Das heißt auch für Aktionen wie #allesdichtmachen von diversen Schauspielkolleg*innen war auch kein Verständnis da?

Nein, denn man muss doch eine Hoffnung haben und sich nicht selber aufgeben. Wenn es mal nicht so läuft, diese Phasen hatte ich auch, auch wenn ich eine tolle Agentur habe. Man kann jedoch selber wirklich vieles tun. Man kann diese Zeit nutzen, eine Sprache lernen, Sport machen. Oder sich auch einfach fortzubilden und an sich selbst zu arbeiten. Man kann sich nicht nur auf eine Agentur verlassen und sonst ausschließlich z.B. kellnern und auf den großen Dreh warten. Das ist leider sehr illusorisch, es muss noch mehr sein. 

Was wäre denn dein Tipp an junge Schauspieler:innen, Anwärter:innen, die das gerade machen mit deinem Beispiel der Gastronomie um über die Runden zu kommen?

Das kann man ja machen mit dem Arbeiten in der Gastro. Man darf jedoch nicht das Ziel aus den Augen lassen, was will ich eigentlich. Zum Beispiel ein Stimmtraining zu machen. Genau zu überprüfen wo ich hin will. Und dass man sich auch Leute sucht, die einen fördern und auch zu Höchstleistungen anstupsen. Auf keinen Fall denken, dass man schon entdeckt wird und dann eine geile Karriere losgeht. Ich empfehle den Kolleg:innen: Kauft mein Buch „Nimm dich selbst bei der Hand“, denn es ist nicht teuer, überall auf Bestellung erhältlich und es sind wertvolle Tipps drin. Und meine Formulierungen sind da nicht moralinsauer, denn ich wollte nicht wirken wie ein Oberlehrer. Es geht einfach um Erfahrungsberichte von mir und was kann ich weitergeben. Diese Tipps hatte ich damals nicht, der Beruf hat sich ja in den Jahrzehnten wahnsinnig gewandelt.

Portraitfoto Rüdiger Bach ©️Beate Kellmann

©️Beate Kellmann

Alles klar, du hattest ja auch schon im Vorgespräch erwähnt, dass du zu zweit durchs Leben gehst. Ist dein Partner denn auch im „Business“?

Nein, das glaub ich würde nicht gut gehen.(gestikuliert) Ich mag das, wenn ich nach Hause komme und abschalten kann. Ich finde der Beruf nimmt einen großen Teil ein und das ist absolut in Ordnung. Aber es gibt auch das normale Leben. Ich entspanne beim Putzen, beim Backen und beim Kochen. Ich habe normale Gespräche und hab nicht nur Schauspielerfreunde. Das Leben findet ja auch draußen statt und findet außerhalb des Berufs statt. Und wenn ich etwas spielen will, das im Leben spielt, dann muss ich auch raus in dieses Leben. Und ich möchte mir auch einfach mal was Seichtes auf Netflix ansehen wie Downton Abbey. Aber zuhause sich um die alltäglichen Dinge zu kümmern und dabei beobachten, dabei entstehen ja auch Ideen. 

Gehen wir doch nochmal zurück zu deinem Buch, ein Mutmachbuch

Absolut, es ist ein Mutmachbuch und es soll animieren. Gerade in Coronazeiten nicht aufzugeben, sich nochmal neu zu überdenken, auf Reset mit sich selbst zu gehen und zu schauen wo man steht und was man ändern kann. Auch wenn man schon älter ist, es funktioniert. Man kann immer wieder neu und von vorne anfangen oder Sachen an sich entdecken. Ich glaube wenn man mit sich im Klaren ist gehen auch Türen auf. Und wenn man aus dem Gedankenkarussell aussteigt und die Gedanken über z.B. ausbleibende Buchungen zurück lässt – sich selbst zu sagen: „Stop, ja das ist so. Jetzt werde ich was ändern.“ Das hab ich selbst auch durchlebt, wie vermutlich jeder Schauspieler. Man weiß nicht was kommt, aber man strahlt es eben auch aus. Das wird wahrgenommen, dass man an sich arbeitet. Aber Mut soll dieses Buch machen. Ich habe als Beispiel auch erst mit 48 den Führerschein gemacht.

Und das ist ja auch gar nicht schlimm. Sag doch mal, wie ist das denn nun mit dem Musiktheater? Möchtest du dich da auch für zukünftige Projekte hin orientieren oder kann es auch in ein ganz anderes Genre gehen?

Ja, das kann alles sein. Ich habe zum Beispiel auch schon viel Musical gemacht. Ich hab den Lebkuchenmann gemacht, ich habe „Sugar“ gespielt, das ist das Musical zu „Manche mögen‘s heiß“. Ich kucke mal was kommt, möchte damit jetzt erstmal gastieren. Habe das Stück jedoch eigenproduziert ohne Förderung. Ich biete als Lesung das konträre Programm „Brachland“ an, das ist eine Auftragsarbeit aus der Feder meines lieben Freundes, Autor und Regisseur Brian Lausund zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus. Das ist schon ziemlich harter Tobak. Ich wollte hier als Schauspieler etwas machen, da ich finde, dass man als solcher eine Verantwortung hat, auch auf politischer Ebene. Und dass man hier eine Haltung zeigen sollte.

Okay, aber würdest du dann auch von dir behaupten, du wirst mit deiner Entwicklung und dem Alter auch unbequem, möchtest mehr aufrütteln, mehr ansprechen?

Unbequem würde ich nicht sagen, aber ein Stück machen wollen, dass neben seichter Unterhaltung eben wie beim Stück Holger F. auch Sichtbarkeit signalisiert. Ich möchte wahrgenommen werden, als Schauspieler und als Mensch.

Gerade in der aktuellen Zeit wird ja seichte Unterhaltung gerne konsumiert, da es von z. B. Politik und Gesundheitswesen ablenkt. Hast du für dich Bedenken, dass ein Stück wie Holger F. überhaupt honoriert wird und nicht wegen des allgemeinen Hungers nach einfachen Themen aus dem Zeitgeist fällt?

Nein, ich denke nicht. Es ist ja weiterhin Unterhaltung und auch wenn es nicht seicht ist, ist man deshalb ja nicht realitätsfremd oder weltfremd. Man weißt was passiert. Aber man braucht Theater, Fernseher, die Leute brauchen Kunst. Als Ventil oder als gemeinsames Erlebnis ins Theater zu gehen, das brauchen die Menschen.

Ohne jetzt das Ende zu verraten, aber die Idee ist ja, dass man Holger auf seinem Weg hinaus in die große weite Welt begleiten soll. Zeichnest du da was vor oder brichst du das Ganze dann abrupt ab und gibst dem Publikum die Gelegenheit sich die Zukunft von Holger selbst weiterzudenken?

Vielen Dank, lieber Rüdiger, ich bin auf jeden Fall jetzt schon sehr neugierig.

Die Premiere von „Holger F.“ von Rüdiger Bach findet am 01.10.2021 um 19 Uhr im Kleinen Theater Haar statt. Karten können unter https://kleinestheaterhaar.reservix.de/events bezogen werden.

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Mein Spielzeitstart am Gärtnerplatztheater

Nach zaghaften Versuchen Theater in Coronazeiten möglich zu machen, startete jetzt die neue Spielzeit mit bekannten Inszenierungen in angepassten Fassungen. Wie wirkte es auf mich? Eine kurze Rückblick auf die ersten zweieinhalb Wochen.

1. Akt – Die Zauberflöte

Spielzeitpause vorbei, wieder inszenierte Vorstellungen. Trotzdem eine traurige Sache. Anstatt 3 Stunden Ablenkung von der Pandemie gab es den Tanz um sie herum. Der Zauberflöte wurde der Zauber genommen. Das Bühnenbild verschwand, Flöte und Glockenspiel kamen vom Himmel, Papageno hat sich das Knebelschloss selbst verpassen und entfernen müssen. So ging es immer weiter. Jeder entfernte sich von jedem. Notwendig, aber nicht gut fürs Abschalten vom Alltag, was ich gern im Theater mache. Es bleibt aber ein wunderbarer Genuss für die Ohren und wenn man jeden auf der Bühne allein betrachtet, dann kann man mit viel Mühe an jeder Sängerin und jedem Sänger noch viel Vergnügen haben. Jetzt heißt es warten auf den Bus. Wer entfernt sich da von wem?

2. Akt – Priscilla, Königin der Wüste

Auf zum Wüstentripp… Hipp, hipp… Mit dem Bus durch Australien. Auch der Königin der Wüste, Priscilla, hat Corona ein paar Zacken aus der Krone gebrochen. Trotzdem ist der Spaß nicht verloren gegangen. Bühnenbild, Auftritte und Text wurde angepasst. Es sind auch teilweise weniger Darsteller*innen gleichzeitig auf der Bühne. Aber es wirkt sehr normal. Emotionen werden genauso geweckt. Man sieht eine richtige Inszenierung. Das tut sehr gut. Danke dafür.

3. Akt – Im weißen Rössl

Doch man sieht allmählich ein,

Man muss hübsch bescheiden sein.

Schweige und begnüge dich,

Lächle und füge dich.

Das singt der Kaiser ins Bücherl der Rössl-Wirtin. Wenigstens ein Politiker sagt etwas zur Kultur, denn die Minister sind da oft schon schwer zu verstehen. Aber wie war es jetzt, das erste Corona-Im weißen Rössl am Gärtnerplatztheater?

Ich würde sagen:

Doch kann man wieder fröhlich sein,

Man kommt hübsch bescheiden rein,

Schwelge und vergnüge dich,

Lächle und singe nicht…

Ja, es gibt eine reduzierte Fassung auf der Bühne zu sehen. Alles auf Abstand. Körperlich. Aber die Gefühle sind ganz nah. Ob es die Liebe ist oder der Schmerz der vielen Ohrfeigen. Es kommt alles über den Orchestergraben rüber. Das Risikogebiet St. Wolfgang meistert es. Alle sind großartig aufgelegt. Die ganze Welt wird himmelblau, wenn ich auf diese Bühne schau. Und da merkt man wirklich wie toll diese Operette ist, man kann sie in jeder Größe spielen. Ob in der Bar jeder Vernunft-Fassung total reduziert, in dieser mittleren Besetzung oder hoffentlich bald wieder in der größeren Revuefassung – in Originalgröße wie 1930 werden wir sie wohl nicht mehr in einem Theater erleben. Aber zurück ins Gärtnerplatztheater. Hier erlebt man, dass durch die Fülle der Ideen, die diese Inszenierung trägt, die Reduzierung immer noch vollständig ist. Man schaut, und sieht wahrscheinlich immer noch nicht alles. In 15 oder mehr Vorstellungen dieser Inszenierung habe ich jedesmal Neues entdeckt. Und wer sie jetzt das erste Mal sieht, auch der kann das nicht alles erfassen. So musste ich mich jetzt auch auf einige Details beschränken. Das Schöne dabei, man konnte sogar etwas entdecken, was in der letzten Aufführungsserie verschwunden war. Man konnte über die nun mobilitätseingeschränkte Kuh lachen. Ich suchte den Bären vergebens. Dafür sah ich erstmals, was so auf Bergwanderungen noch alles passieren kann. Weniger Menschen mit Schirmen eröffnen also neue Sichtweisen. Dann kommt noch hinzu, dass einige neue Besetzungen dabei waren. Wenn man diese mit anderen Rollen verbindet, fällt es mir schwer sich zu lösen. Andererseits macht es richtig Spaß, wie die „Neuen“ auch ihre Szenen ganz neu wirken lassen. Auf jeden Fall bleibt auch so Im Weißen Rössl einfach großartig. Und vielleicht können wir bald auch wieder einmal im Publikum davon singen, wie lustig es im Salzkammergut ist.

Die Zauberflöte

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Text nach Emanuel Schikaneder

Adaptierte Fassung mit kammermusikalischer Besetzung von Andreas Tarkmann

Besetzung

Musikalische Leitung Oleg Ptashnikov / Andreas Partilla
Choreinstudierung Felix Meybier
Sarastro Sava Vemić
Sprecher / Erster Priester Holger Ohlmann
Zweiter Priester / Erster Geharnischter Alexandros Tsilogiannis
Zweiter Geharnischter Martin Hausberg
Königin der Nacht Aleksandra Jovanovic / Emma Posman / Ilia Staple
Dritter Knabe Matthias Thomas / Anna Fiona Metzger
Papageno Ludwig Mittelhammer / Daniel Gutmann

Chor, Extrachor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Bis Ende November keine weiteren Vorstellungen angekündigt.

Priscilla – Königin der Wüste

Buch von Stephan Elliott und Allan Scott
Nach dem Kinofilm von Latent Image / Specific Films
In Zusammenarbeit mit Nullarbor Productions und MGM On Stage und outside eye Wien
Mit den Discohits der 70er und 80er
Musikalische Arrangements und Orchestration von Stephen ›Spud‹ Murphy
Für die Bühne entwickelt von Simon Phillips | Deutsch von Michael Alexander Rinz

In Kooperation mit dem Theater St. Gallen

Adaptierte Fassung

Weitere Vorstellungen:
04.10.2020 18.00 Uhr
09.10.2020 19.00 Uhr

Tickets

Im Weißen Rössl

Frei nach dem Lustspiel von Blumenthal und Kadelburg, von Hans Müller und Erik Charell
Musik von Ralph Benatzky
Texte der Gesänge von Robert Gilbert
Vier musikalische Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Robert Stolz
Bühnenpraktische Rekonstruktion der Originalfassung von Matthias Grimminger und Henning Hagedorn unter Mitarbeit von Winfried Fechner

Adaptierte Fassung

Besetzung

Musikalische Leitung Andreas Partilla
Choreografie Karl Alfred Schreiner
Bühne / Kostüme Rainer Sinell
Choreinstudierung Felix Meybier
Josepha Vogelhuber, »Rössl«-Wirtin Sigrid Hauser
Leopold Brandmeyer, Zahlkellner Daniel Prohaska
Wilhelm Giesecke, Fabrikant Erwin Windegger
Ottilie, seine Tochter Andreja Zidaric
Dr. Otto Siedler, Rechtsanwalt Maximilian Mayer
Sigismund Sülzheimer Boris Pfeifer
Prof. Dr. Hinzelmann Eduard Wildner
Klärchen, seine Tochter Florine Schnitzel
Der Kaiser Wolfgang Hübsch
Ketterl, sein Kammerdiener Wolfgang Schubert
Frl. Weghalter, Ehrenjungfrau u.a. Angelika Sedlmeier
Piccolo Josef Ellers
Franz, Kellner Christian Weindl / Maximilian Berling
Kathi, Briefträgerin Ulrike Dostal
Reiseleiterin Dagmar Hellberg
Kreszenz, Stallbursche u.a. Christian Schleinzer
Lois, Stallbursche u.a. Stefan Bischoff
Hias, Stallbursche u.a. Peter Neustifter
Bartholomä, Stallbursche u.a. Frank Berg

ChorKinderchor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Weitere Vorstellungen:

11.10.2020 18.00 Uhr
24.10.2020 19.00 Uhr
25.10.2020 18.00 Uhr
31.10.2020 19.00 Uhr

Tickets

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Die letzten fünf Jahre, Bad Hersfelder Festspiele, 01.08.2020

 

Die letzte fünf Jahre - Bühne @Michaela Karner

Die letzte fünf Jahre – Bühne @Michaela Karner

Wie viele andere Veranstalter mussten auch die Bad Hersfelder Festspiele ihr ursprünglich geplantes Programm (in diesem Fall sollte sogar das 70-jährige Jubiläum der Festspiele gefeiert werden) auf das kommende Jahr verschieben. Unter dem Motto “Ein anderer Sommer” wird nun ein alternativer Spielplan präsentiert, der alles andere als eine Notlösung ist. Verschiedenste kleine Programme, Open-Air und unter Berücksichtigung aller Auflagen werden an fünf Wochenenden im Juli und August in der Stiftsruine und in der gesamten Stadt gezeigt. Eins dieser besonderen Schmankerl war das Kammermusical Die letzten fünf Jahre, das an nur drei Abenden vom 31.07. bis 02.08.2020 in der Stiftsruine gespielt wurde. Unter der Regie von Gil Mehmert bringen Bettina Mönch und Armin Kahl eine berührende Liebes- und Trennungs-Geschichte auf die Bühne. Drei Namen, die auch am Münchner Gärtnerplatztheater bekannt sind (u.a. führte Gil Mehmert bei Priscilla Regie; Bettina Mönch und Armin Kahl standen in Jesus Christ Superstar bereits zusammen auf der Bühne). Ein wunderbarer Grund für einen Wochenend-Trip in die beschauliche hessische Kurstadt Bad Hersfeld!

Die Erzählstruktur gibt dem Kammermusical Die letzten fünf Jahre von Jason Robert Brown seinen besonderen Charme: Während Jamies Blick auf die Beziehung chronologisch verläuft, von frisch verliebt bis zum Abschiedsbrief, den er Cathy schreibt, erzählt Cathy ihre Version der Geschichte genau umgekehrt – beginnend mit Jamies Brief in ihren Händen. Zur Hochzeit der Beiden in der Mitte des Musicals überschneiden sich die Handlungsstränge – im Duett versprechen sie sich den Rest ihres Lebens miteinander verbringen zu wollen. Doch für den Zuschauer ist bereits seit dem ersten Song klar, dass sich ihre Wege letztlich nach fünf Jahren trennen werden. Spannend ist also weniger der Ausgang der Handlung, sondern eher die Frage nach dem “Wie?” Jason Robert Brown zeigt ohne konkrete Schuldzuweisung oder Schwarz-Weiß-Malerei wie beide Protagonisten um ihre Liebe kämpfen und wie Jamies rasante Karriere als hochgelobter Schriftsteller neben Cathys beruflichem Scheitern als Schauspielerin zur Zerreißprobe für die Beziehung wird.

Die letzte fünf Jahre - Applaus @Kathleen

Die letzte fünf Jahre – Applaus @Kathleen

Gil Mehmert bringt das Kammermusical im minimalistischen Bühnenbild in die Stiftsruine, im Hintergrund die sechsköpfige Band unter der Leitung von Christoph Wohlleben. Der Fokus der Inszenierung liegt auf den beiden Darstellern – mit eindringlichem Spiel und ihren starken, gefühlvollen Stimmen lassen Bettina Mönch und Armin Kahl die ganze emotionale Bandbreite im Beziehungs Auf und Ab miterleben. Wichtigstes Bühnenbild-Element ist ein großer Tisch, der zum Steg, zum Boot, zur Therapeutencouch und Vielem mehr umfunktioniert wird, dazu zwei Stühle, eine (Picknick-)Decke, ein Telefon und zwei Umzugskartons, in denen die Requisiten verstaut sind … viel mehr hätte es eigentlich gar nicht gebraucht, um das Publikum an die verschiedenen Orte und Stationen mitzunehmen. Innerhalb der wunderbar schlüssigen minimalistischen Inszenierung hätte Gil Mehmert sich gerne trauen dürfen auf die handvoll weiterer kleinteiliger Requisiten zu verzichten.

Ein zwei-Personen-Musical, das sich fast ausschließlich aus Solo-Songs und kurzen, inhaltlich ergänzenden Dialog-Fetzen aufbaut, ist vermutlich die perfekte Wahl, um in Zeiten von Corona auch auf der Bühne Abstandsregeln einzuhalten. Einzig auf den Kuss zur Hochzeit musste verzichtet werden. Aber davon abgesehen, vergisst man als Zuschauer die ungewöhnlichen äußeren Umstände, die zu dieser Inszenierung überhaupt erst geführt haben. Und damit bringt gerade dieses als Alternative gewählte Musical ein ganz großes Stück gefühlte Normalität ins Theater zurück.

Premiere: 31.07.2020; weitere Vorstellungen: 01. und 02.08.2020

Inszenierung: Gil Mehmert

Musikalische Leitung: Christoph Wohlleben

Cathy: Bettina Mönch

Jamie: Armin Kahl

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Premiere “CHRIS Kolonko – So wie jetzt”, Hofspielhaus, 12.02.2020

Chris Kolonko
Foto ©Adrian Mußner

Ein Bericht von Marina Kolmeder und Adrian Mußner

 

MK: Wenn auch klein ist das Hofspielhaus wohl eine der vielfältigsten Kultureinrichtungen Münchens. Von Sprechtheater, Musicals, Poetry Slam bis Operetten – es gibt kaum etwas, das man nicht auf diese kleine Bühne bringen könnte. In der vergangenen Woche war schließlich etwas für mich völlig Neues auf dem Programm: die neue Show des bekannten Travestiekünstlers Chris Kolonko.

 

AM: Dieser ist Sänger, Entertainer, Travestiestar und Varietélegende. Vom gebürtigen Augsburger las man zuletzt in München von seiner Tributeshow „Marlene – The Concert of her Life“ in den Feuilletonspalten. Seitdem lag sein Fokus vermehrt auf dem Erstellen eigener Showkonzepte. So wurde schließlich der Augsburger Spiegelpalast ins Leben gerufen, der bereits in der zweiten Saison seine Gäste mit Dinner-Shows beglückt.

Aus meinen bisherigen Besuchen im Hofspielhaus weiß ich bereits: die Plätze sind begrenzt. Eine kleine Bühne, ein kleiner Zuschauerraum, ein noch kleinerer Innenhof für Inszenierungen im Sommer. Später erfahren wir, dass Chris wohl ähnliche Gedanken hatte, als er das erste Mal die Treppe hinunter zum rustikal bestückten Saal beschritt. Zitat: „Mein Keller ist größer – und hat mehr Charme.“

MK: Trotzdem lässt sich Kolonko von den beengten Verhältnissen nicht von einer großen Show abhalten. Die Bühne wurde kurzerhand zur Künstlergarderobe mit Schminkspiegel, Kleider- und Perückenständer umfunktioniert. Der Zuschauer kann vor der Vorstellung die Verwandlung aus nächster Nähe mitverfolgen und auch die zahlreichen Kostüm- und Perückenwechsel finden auf der Bühne statt – mit engagierter Hilfe von Klaus aus dem Publikum.

Chris Kolonko
Foto ©Adrian Mußner

AM: Ein Experiment sollte dies nun werden, betont Chris Kolonko bereits zu Anfang. Ein Rohdiamant, der bald vor mehr Publikum inszeniert wird. Und tatsächlich werden hier viele Barrieren überwunden. Bereits beim Einnehmen des Platzes offenbart sich das ganze Spektrum des heutigen Abends. Vorhang Fehlanzeige – man nimmt seinen Platz ein, vorzugsweise mit Aperitif, und sieht dabei zu wie Kolonko sich live auf der Bühne bereits in voller Montur schminkt. Die Bühne ist funktional, es gibt ein Klaver zur Begleitung durch den Pianisten

, einen Schminkplatz, der den Mittelpunkt darstellt, daneben noch eine Auswahl an Perücken und verschiedenen Kostümelementen, drapiert wie auf einer Garderobe. Kolonko sitzt vor seinem Spiegel auf einem Sattelhocker. Den Blick durch das Publikum schweifend, der Raum ist nun zum Bersten besetzt, erkenne ich ein paar Weggefährten Kolonkos sowie vorwiegend gut gekleidete Damen mit frechen, kurzen Haarschnitten, die wohl eine eingeschworene Fangemeinde von Kolonko sind. Der Blick geht wieder zurück zur Bühne. Huch, die Lippen sind ja schon fertig.

Und tatsächlich, Schlag 20 Uhr, das Licht verändert sich und wird wärmer. Kolonko trägt einen pudrigen Duft auf, der den Zuschauer schon kurz darauf erreicht. Das Experiment kann beginnen.

Die Show ist ein buntes Potpourri aus geschickt gewählten Chansons, die sowohl pure Lebensfreude versprühen als auch mit einem Augenzwinkern die Widrigkeiten des Lebens beleuchten. Kolonko wechselt zwischendurch die Kostüme ganz nonchalant in der Bühnenmitte, lediglich die Perückenwechsel finden blitzschnell und professionell statt. Quickchange oder gar ein kurzer Marlene-Auftritt kommen nicht vor. Warum auch? Der Abend ist eine Spielwiese für Neues – das wird auch durch den Textbuchständer verdeutlicht. Aufregend für Publikum und Künstler – das schafft Sympathie. Kurze Einlagen als Conférencière geben sich die Hand mit Gollwitzer-Federn. Chris beweist an diesem Abend, was alles möglich ist – Gesang, Moderation, Publikumsinteraktion, dabei gelingt auch noch die Illusion der Weiblichkeit – Kolonko ist ein Vollblut Maître de Plaisir.

Chris Kolonko
Foto ©Adrian Mußner

MK: Für mich, als Neuling in der Welt der Travestie war dieser Mix aus Verwandlung, Comedy und Musik ein großes Vergnügen. Besonders überrascht hat mich Kolonkos offener und humorvoller Umgang zum Thema Schönheits-Operationen, denen der Künstler alles andere als abgeneigt ist. Aber er stellt hierzu auch eine wichtige Aussage in den Raum: Man sollte solche Eingriffe für sich selbst machen, für die eigene Zufriedenheit. Und ja, man merkt, dass Chris Kolonko mit sich Selbst im Reinen ist und sein schillerndes Showleben geniesst. Ein unglaublich sympathischer und nahbarer Mensch, der es versteht zu begeistern.

AM: Wir wurden bestens unterhalten, wir empfehlen wärmstens einen Besuch. Mit „So wie jetzt“ bringt Chris Kolonko ein Programm auf die Bühne, das Grenzen sprengt und Einblicke liefert, die man nicht für möglich hält. Seien Sie experimentierfreudig!

Das Programm „CHRIS Kolonko – So wie jetzt“ ist in München bereits ausverkauft. Eventuelle Zusatztermine können Sie auf www.chris-kolonko.de einsehen. Für das Parktheater im Kurhaus Göggingen bei Augsburg sind noch Karten verfügbar.

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Premiere Rigoletto, Staatstheater am Gärtnerplatz, 30.01.2020

Foto: Christian POGO Zach

Es ist wieder Zeit für einen Opern-Klassiker im Gärtnerplatztheater. Mit Giuseppe Verdis Rigoletto feierte am vergangenen Donnerstag eine der meistgespielten Opern der letzten eineinhalb Jahrhunderte seine fulminante Premiere.

Regie führte Herbert Föttinger, von dem auch die Inszenierung von Don Giovanni stammt, die seit der Umbauzeit bereits im Repertoire des Theaters sehr erfolgreich verankert ist. Auf den ersten Blick fallen durchaus Parallelen auf: ein Mann außerhalb der gesellschaftlichen Gesetze, der sich gerne mit Frauen und Drogen vergnügt und dem die Frauen kaum Widerstand entgegen bringen; eine vielfach einsetzbare Drehbühne; Herren in schicken Anzügen und leicht bekleidete Damen. Natürlich bietet sich der Vergleich zwischen Don Giovanni und dem Herzog von Mantua durchaus an. Föttingers Inszenierung ist optisch und auch in den Übertiteln in die heutige Zeit geholt, die modernste Referenz an die Moderne ist jedoch wohl Rigolettos erstes Kostüm als der Comicschurke Joker. Zugegebenermaßen habe ich mit solch einem prägnanten Element der Popkultur, das man derzeit des Öfteren in Opern sieht (z.B. bei Fidelio in der Bayerischen

Staatsoper und Don Giovanni in der Komischen Oper), ein wenig meine Schwierigkeiten. Als begeisterter Comic-Leser verbinde ich den Joker mit einem gewissenlosen Psychopathen. Rigoletto ist zwar in Föttingers Inszenierung nicht unbedingt ein Sympathieträger, hält er doch seine Tochter durch Kontrollwahn und Grobheit klein, doch zum waschechten Bösewicht reicht es in meinen Augen trotzdem nicht ganz. Eher zum sozial ausgegrenzten Einzelgänger, der durch die gesellschaftliche Ablehnung aufgrund seiner körperlichen Beeinträchtigung auch zum sozialen Krüppel wurde. Natürlich basieren sowohl Rigoletto als auch der Joker auf Romanfiguren von Victor Hugo (aus Le roi s’amuse und L’homme qui rit) und beide finden in der Rolle des Clowns persönliche Freiheit. In dieser Hinsicht kann man also durchaus auch Parallelen ziehen.

Lucian Krasnec zeigt – stimmlich wie gewohnt stark und wunderbar – einen durchaus schwer zu durchschauenden Herzog. Bei seinen Parties tanzt er ausgelassen, scheint am nächsten Tag aber eher, als würde ihn dieser wohlhabender Lebensstil eher belasten. Auch meint man in seinen Szenen mit Gilda tatsächlich wo etwas wie wahre Liebe aufblitzen zu sehen, während er sich kurz darauf wieder fröhlich einer neuen Eroberung widmet. Sehr witzig ist die Szene, als er im Hintergrund seinen perfekten Auftritt für Rigolettos Tochter plant: mit Champagner, Blumen und Musikern, nur um in letzter Sekunde alles zu verwerfen und den riesigen Blumenstrauß auf die Seitenbühne zu schmeißen.

Foto: Christian POGO Zach

Zu Gast am Gärtnerplatztheater ist Aris Argiris als Titelheld Rigoletto. Er schafft den Wandel zwischen dem zynischen Entertainer und dem traurigen Einzelgänger perfekt und sprichwörtlich auf der Bühne, wenn er das schrille Kostüm verpackt und die Schminke aus dem Gesicht wischt. Den liebevollen Vater, den man bei Rigoletto oft erwartet, sucht man jedoch in Föttingers Inszenierung. Er durchwühlt Gildas Sachen und zerrt sie durch die Gegend, während sie ihm ihre töchterliche Liebe beteuert. Auch am Ende scheint er mehr sich selbst zu bemitleiden denn seine Tochter.

Jennifer O’Loughlin scheint als Gilda mit gedecktem Kleid und dicker Brille zwar wie ein echtes “Hascherl”, doch wird schon schnell klar, dass auch dies nur eine Rolle ist. Allein stimmlich steht diese Gilda schon alles andere als unbedarft und unschuldig da (und wer weiß, welches Büchlein sie panisch vor ihrem Vater versteckt). Im Gegensatz zu Rigoletto blüht sie gegenüber dem Herzog enorm auf und setzt sich mutig für ihn ein. Ihr selbstgewähltes Ende scheint sie kaum zu bedrücken, als sähe sie dadurch die Chance, der Herrschaft ihres Vaters zu entfliehen.

Foto: Christian POGO Zach

Spannend sind auch Anna-Katharina Tonauer und Levente Páll als dubioses Geschwisterpaar Maddalena und Sparafucile, die hier scheinbar in einer alten Tankstelle hausen. Während Maddalena die Opfer ihres Bruders anlockt und verführt putzt dieser derweil ausgiebig die verrostete Zapfsäule vor der Türe. Sparafucile scheint in dieser Inszenierung als eine der wenigen Charaktere, die mit ihrem Leben zufrieden sind und dem sein “Beruf” stolz zu machen scheint. Maddalena hingegen träumt eher von einem schöneren Leben, kann sich aber ebenso schwer gegen ihren Bruder behaupten, wie Gilda gegen ihren Vater. Vielleicht fühlen sie sich deshalb auch beide derart zu dem Herzog hingezogen, der ihnen nicht nur Kontrolle aufzwingen will.

Orchester und Solisten lassen dank der energievollen Leitung von Anthony Bramall musikalisch keine Sekunde Langweile aufkommen. Ohne Zögern steuert die Handlung so durch die gesellschaftlichen Missstände und dem tragischen Ende entgegen. Zurecht erhielten die Solisten neben dem vergrößerten Herrenchor minutenlangen, begeisterten Applaus.

 

Noch bis Anfang März ist Rigoletto im Staatstheater am Gärtnerplatz zu sehen. Alle Termine finden Sie im unten stehenden Link.

Dirigat: Anthony Bramall
Regie: Herbert Föttinger
Bühne: Walter Vogelweider
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Licht: Michael Heidinger
Video: Raphael Kurig, Meike Ebert
Choreografische Beratung: Karl Alfred Schreiner
Choreinstudierung: Pietro Numico
Dramaturgie: Fedora Wesseler
Rigoletto: Aris Argiris
Herzog von Mantua: Lucian Krasznec
Gilda: Jennifer O’Loughlin
Sparafucile: Levente Páll
Maddalena: Anna-Katharina Tonauer
Graf von Monterone: Christoph Seidl
Giovanna: Ann-Katrin Naidu
Marullo: Ludwig Mittelhammer
Borsa Matteo: Gyula Rab
Graf von Ceprano: Holger Ohlmann
Gräfin von Ceprano: Elaine Ortiz Arandes
Ein Gerichtsdiener: Martin Hausberg
Page der Herzogin: Caroline Adler

Herrenchor, Orchester und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/rigoletto.html?m=410

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Lesung Rafik Schami, 30.01.2020, Schauspielhaus Frankfurt

© Hanser Literaturverlage

Die Lesung fand ausnahmsweise nicht im Literaturhaus statt, dort wären nicht genügend Plätze gewesen, sondern im ausverkauften Schauspielhaus. Zu Beginn stellte Hauke Hückstädt, Leiter des Literaturhauses, sehr enthusiastisch Rafik Schami und sein neustes Buch Die geheime Mission des Kardinals vor, in  dem man die Kräfte des Herzens, viel über Religion und auch den Schmerz des Exilanten finden könne. In seinen Augen gibt es wenige größere Friedensstifter als Rafik Schami.

Dann betrat Rafik Schami für die nächsten knapp zwei Stunden die Bühne und verlieh seiner Begeisterung über die Betreuung durch das Literaturhaus und das ausverkaufte Schauspielhaus Ausdruck. Es sei für ihn eine große Ehre und er freue sich über ein so großes Publikum während es für sein Heimatland eine traurige Zeit sei. Er gehe davon aus, dass viele im Publikum das Buch dank des ARD Radiofestivals im Sommer kennen würden. Dort sei das Buch in 40 Nächten ungekürzt gesendet worden, zu seiner großen Freude.

Heute Abend wolle er mit dem Publikum einen Spaziergang durch das Buch machen. Normalerweise würde er beim Geschichten erzählen von A bis Z gehen, heute jedoch ausnahmsweise nur von A bis W und vielleicht noch ein Zipfelchen von Z erzählen. X und Y würde er auslassen, sonst würde der örtliche Buchhändler ungemütlich, feixte Rafik Schami mit einem Augenzwinkern.

Die geheime Mission des Kardinals beginne am 14.11.2010 in Damaskus. Kommissar Barudi ist 65, betrauert den Tod seiner Frau und lebt einsam in einer Wohnung in einem der Bauskandale (sic) der 1970er Jahre. Die Wände dort sind so dünn, dass sie nur den Geruch, jedoch nicht die Geräusche filtern. So kann Barudi alles hören, was bei den Nachbarn vorgeht. Eigentlich sei Gott Meister im Schimpfen, tue das zur Not auch mit Schwefel, Heuschrecken und wenn nichts mehr gehe, dann mit einer Sintflut zur Reinigung. Doch auch nebenan bei Barudi geht es hoch her, Ruhe kann er in seiner Küche nicht immer finden.

Dort sitzt Barudi vor einem selbstgebastelten Kalender, auf dem er die Tage bis zu seiner Pensionierung abstreicht. Noch 2,5 Monate, dann steht dort „Ich bin frei.“ Nach 40 Jahren als Kriminalbeamter in einer Diktatur kann Barudi die Versetzung in den Ruhestand kaum erwarten, denn die Wahrheit wird oft nicht gewürdigt. Stattdessen gibt es 15 Geheimdienste, die alle über der Polizei stehen und Barudi ist müde. Einige Dinge kann er seinem Frisör anvertrauen, zu dem er immer geht, wenn er seine Frau Basma besonders vermisst, vieles jedoch nicht. Durch einen guten Freund fing er an, unaussprechliche Dinge einem Tagebuch anzuvertrauen, das er stets gut versteckt.

Am 15.12.2010 wird der italienischen Botschaft in Damaskus unerwartet ein Fass Olivenöl geliefert, in dem sich nicht nur Olivenöl befindet, sondern auch der Leichnam des Kardinals Cornaro. Eigentlich sei der Kardinal Bürger des Vatikans, trotzdem werde seine Leiche zur italienischen Botschaft gebracht. Hier erzählte Rafik Schami noch, dass ihn die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und China stets amüsiert. 30 Jahre lang habe der Vatikan China nicht anerkannt und es nur auf Druck der EU getan. Im §9 stehe, dass die beiden Länder sich nicht angreifen würden und die Vorstellung in Richtung China marschierender Kardinäle bringe ihn zum Lachen.

Das Herz des Kardinals sei durch einen Basaltstein ersetzt worden, der bei den italienischen Clans für ein totes, erloschenes Herz stehe. Hinter seinen Augen befinden sich Münzen, was wiederum Gier bedeutet. Um politische Probleme zu vermeiden, schlägt Barudi vor, dass ein italienischer Ermittler hinzugezogen wird und so kommt es, dass der syrische Präsident bei Berlusconi anruft. Die Sache mit der Gier bei den Machthabern sei weitverbreitet. Berlusconi sei zwar vermögend, sein Name jedoch ein Witz und er solle seine Milliarden mit ins Grab nehmen. Rafik Schami liebt das Lachen des Publikums an dieser Stelle bei jeder der letzten 60 Lesungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dieser Anruf führt dazu, dass ein arabischsprechender Italiener namens Mancini binnen weniger Tage in Damaskus landet. Während Mancini noch unterwegs zu Barudi sei, wollte Rafik Schami noch einiges andere erzählen.

Im Mittelpunkt seines letzten Romans Sophia habe eine starke Frau gestanden, denn es ging um Liebe. Jetzt gehe es um Politik, Mord und Streit, daher sei es eine männliche Hauptfigur. Barudi stamme aus einer armen christlichen Familie im Süden Syriens. Armut töte dort die Genialität der Kinder, von denen 99% nach den fünf Pflichtschuljahren arbeiten gingen. Barudi habe großes Glück gehabt und das Abitur gemacht. Danach habe es zwar nicht zu seinem Traum eines Jurastudiums gereicht, aber er wurde bei der Polizeiakademie angenommen.

In Syrien sei die Kriminalpolizei nicht gut angesehen, weil nur im untersten Teil der Machtpyramide ermitteln könne. Aus diesem Grund gebe es auch keine arabischen Krimis, denn wenn auf Seite drei der Ermittler eine politisch höherstehende Person frage „Und wo warst Du?“, dann sei das Buch vorbei mit dem Satz „Dann verschwand der Kommissar.“ Die besten Krimis mit arabischem Schauplatz würden im Ausland geschrieben. Der im Roman beschriebene Weg Barudis sei typisch für diese Gesellschaft, in der Aberglaube noch stark verbreitet sei und die Wahrheit oft unerwünscht.

Als Rafik Schami in Heidelberg arbeitete, habe er gelernt, dass Deutsche gerne auf Friedhöfen spazieren gingen. In Syrien glaube man, dass jeder nur ein Mal zum Friedhof gehe und man von dort nicht zurückkomme. Ein Kollege namens Willi wollte mit Rafik Schami an einem sonnigen Tag in Heidelberg zu einem Spaziergang über den nahegelegenen Friedhof machen – doch Rafik Schami arbeitete lieber weiter, statt sich dem Friedhof zu nähern. Für Syrer sei es unverständlich, dass man in London sogar freiwillig Eintritt für einen berühmten Friedhof bezahle.

Die wechselnden und teilweise sehr unterschiedlichen Reaktionen im Publikum zu beobachten, machte Rafik Schami sichtlich Freude und er erklärte, dass er genau deshalb nie wolle, dass das Licht über den Zuschauern abgedunkelt werde.

Dann kehre er zurück zum Lebensweg von Barudi, der inzwischen seine Ehefrau Basma gefunden hatte und ein Pflegekind namens Sharif. Um den muslimischen Sharif adoptieren zu können, will Barudi zum Islam konvertieren. Alle Religionen gehörten Gott, er würde das für Sharif gerne tun. Früher sei das Konvertieren einfacher gewesen. Bei den Christen habe ein Eimer Wasser mit ein paar Sprüchen gereicht, in anderen Religionen müsse man sich von einem kleinen, unwichtigen Stück Haut trennen. Doch heute würden die Regierungen mehr fordern, um Missbrauch zu verhindern, wenn es nur der Erlangung persönlicher Vorteile diene.

So geduldig und gründlich geht auch Naima, eine der Nachbarinnen von Barudi, vor. Sie recherchiert kleine Details über ihn, überlistet ihn immer wieder im Treppenhaus mit kleinen aufmerksamen Gesten und Geschichten, bittet ihn um Hilfe wegen eines benachbarten Ehepaars, bis er irgendwann zum Essen eingeladen in ihrer Wohnung landet. Naima hat perfekt taktiert, ist einfühlsam auf ihn eingegangen und sich stets rechtzeitig zurückgezogen, sodass Barudi neugierig wurde. Perser seien für ihre ganz besondere Geduld und Gründlichkeit bekannt, wie die Teppichknüpfer, Knoten für Knoten, und auch der Idiot Trump werde das noch lernen.

Der vom Publikum schon fast wieder vergessene tote Kardinal sollte in Syrien nach Kandidaten für den ersten syrischen Heiligen suchen. Es sei in den Augen der katholischen Kirche in Syrien nicht richtig, dass im Himmel nur europäische Heilige seien und so habe man einige Kandidaten vorgeschlagen. Diese bedienen sich der verschiedensten Tricks, um Anhänger zu gewinnen, wie z.B. durch das Ausschwitzen von Olivenöl oder Rotwein. Aber schon Padre Pio habe die Wunden an seinen Händen geschickt mit Salzsäure offengehalten, das habe er als Chemiker gut gekonnt. Wenn man genau nachdenke, könnten die Wunden der Kreuzigung nicht in der Mitte der Handfläche sein, sondern an den Handgelenken. Die Maler hätten das damals genial gelöst, weil die zum Betrachter geöffneten Hände besser wirken als herabhängende.

Die beiden ungleichen und doch irgendwie ähnlichen Ermittler Barudi und Mancini landen in der „Islamischen Republik“ und besuchen dort einen sehr geschäftstüchtigen Bergheiligen. An einer späteren Stelle des Romans bekommen Barudi und Mancini eine Linsensuppe, die eine mögliche Henkersmahlzeit sein könnte. (Warum möchte ich hier nicht verraten 😉 ) Jene Linsensuppe wolle er nicht näher beschreiben, schmunzelte Rafik Schami. Linsensuppe mit Zwiebel, Knoblauch, Koriander sei so lecker. *

Dann übersprang Rafik Schami betont X und Y, die Auflösung und kam nicht umhin, doch zu verraten,

dass der wahre Mörder zwar erkannt wurde, die Justiz diese Lösung jedoch abgelehnt habe und Barudi so auch in seinem letzten Fall scheitere – dafür aber von Naima getröstet werde.

[Einklappen]

Dann endete ein wahrlich arabischer Abend, gefüllt mit einer liebe- und humorvoll erzählten Geschichte mit minutenlangem Applaus des seelig lächelnden Publikums. Rafik Schami entschwand mit den Worten, dass man ihm draußen beim Signieren noch Fragen stellen könne.

Sein nächstes Buch erscheine in zwei Jahren und sei eine Sammlung von Kommentaren und Analysen. Er habe viel über seine Bücher nachgedacht und dazu geschrieben. Die jetzige Lesereise sei schon sehr lang und stünden noch 40 Termine an, daher freue er sich auf den Sommerurlaub, den er traditionell in Italien verbringe. Dass sein Buch für das ARD Radio Festival ausgewählt wurde, unter 20 möglichen, sei für ihn eine große Ehre gewesen und er freute sich, dass es bei in Foren gemeinsam genossen wurde. Wer der syrischen Bevölkerung helfen wolle, könne z.B. für die Stiftung Schams e.V. spenden, die sich um Flüchtlingskinder in den Nachbarländern Syriens kümmere.

* Ein tolles Kochbuch: “Suppen für Syrien” https://www.dumont-buchverlag.…en-massaad-9783832199258/

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