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ottifanta am 28. Januar 2020 22:23 © Randomhouse
Der Träger des Deutschen Buchpreises 2019, Saša Stanišić, ist der neue Poetikdozent der Hochschule RheinMain und der Landeshauptstadt Wiesbaden. Am 13. Februar 2020 wird sich Saša Stanišić im Rahmen der Veranstaltung “Ein Autor stellt sich vor” an der Hochschule RheinMain präsentieren.
https://www.wiesbaden.de/micro…kdozent-sasa-stanisic.php
Die Veranstaltungen sind öffentlich (bei der für den 13.02. in der Hochschule habe ich nicht nachgefragt):
- Vorlesungen
- Mittwoch, 19. Februar 2020, 19.30 Uhr
- Mittwoch, 29. April 2020, 19.30 Uhr
Hochschul- und Landesbibliothek Rheinstraße 55-57
- Lesungen
- Donnerstag, 2. April 2020, 19.30 Uhr
- Mittwoch, 13. Mai 2020, 19.30 Uhr
Kulturforum
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Marina am 6. Januar 2020 23:54 ©Peter Litvai
Das neue Jahr hat begonnen, für mich in diesem Falle mit einer meiner liebsten Opern, die ich life und in Übertragungen schon in verschiedensten Inszenierungen sehen durfte. Nach der Premiere im Passauer Theater besuchte ich die erste Vorstellung im Landshuter Theaterzelt.
In den vergangenen Monaten gab es ja einige Diskussion um die Zukunft des Landshuter Stadttheaters und somit auch den Fortbestand des Landestheaters Niederbayern. Das bereits genannte Zelt droht länger als Spielort herhalten zu müssen, als ursprünglich geplant war. Trotz der schwierigen akustischen Verhältnisse lieferte das Opernensemble jedoch einen sehr unterhaltsamen und genussvollen Abend.
In Sachen Akustik hilft sicherlich das Bühnenbild des britischen Regisseurs ULTZ, denn er schafft mit einem schlichten weißen Raum eine Bühne auf der Bühne, die für die Sänger dadruch wie ein Schalltrichter wirkt. Singen die Darsteller abseits dieses Raums mit voller Orchesterbegleitung wie etwa bei Leporellos Arie zu Beginn geht der Sänger leider etwas unter. Doch die meiste Zeit ist der Klang dank des Bühnenbilds für die Verhältnisse im Zug durchaus gut abgestimmt.
Gesanglich sehr stark zeigt Kyung Chun Kim als Titel”held” in dieser Inszenierung einen selbstbewussten und kühlen Angeber im knalligen Designer-Jogginganzug. Dieser Don Giovanni pfeift nicht nur auf die gesellschaftlichen, sondern sogar auf die theatralen Regeln. Während alle anderen brav das den weißen Raum auf der Bühne durch die Türen betreten, hüpft er einfach durch die Vierte Wand und begutachtet während seiner Textpausen das Publikum.
©Peter Litvai
Donna Elvira hat in Landshut ein viel größeres Problem, als nur verlassen worden zu sein. Sie erwartet von Giovanni ein Kind und scheint weniger an seine Liebe denn an sein Verantwortungsbewusstsein zu appellieren. Sabine Noack zeigt eine verletzte Frau, die Unterstützung bei einer Art Selbsthilfegruppe oder in einem Frauenhaus sucht (meist sind noch mehrere schwarz gekleidete Chordamen mit ihr auf der Bühne). Im Gegensatz zu ihr steht Kathryn J. Brown als rachsüchtige und wütende Donna Anna, zu der sich Giovanni anfangs maskiert ins Zimmer schleicht, um sie zu vergewaltigen. Während Noack als Elvira weitaus sanfter wirkt, kann Brown in ihrer Rolle viel Stimmgewalt. Als dritte Dame im Bunde gegen den Weiberhelden Giovanni zeigt Emiliy Fultz als Zerlina die buchstäbliche Unschuld vom Lande. Sie ist herrlich naiv und als ihre “Mädels” beim Jubggesellinnenabschied den Stripper feiern steht sie an der Seite und träumt von ihrer anstehenden Hochzeit, während der junge Heißsporn Masetto (Daniel Pannermayr) draußen mit den Freunden mit reichlich Bier und einem “Letzta Dog in Freiheit” auf dem T-Shirt die Sau rauslässt.
Der Publikumsliebling war Stefan Tilch als Leporello, der zwar mit schwarzer Security-Kluft sehr respekteinflößend wirken möchte, jedoch eigentlich ein Scherzkeks und Angsthase ist. Mark Watson Williams darf mit einer wundervollen Tenorstimme einen durchaus selbstbewussten Don Ottavio zeigen, der alles für seine Verlobte tun würde, jedoch auch ab und an ihrer Versessenheit auf Rache nichts entgegensetzen und sich nicht weiterhelfen kann. Heeyun Chois Komtur ist bei ULTZ als fast gebrechlicher, älterer Herr inszeniert, der Don Giovanni anfangs kaum etwas entgegenzusetzen hat. Umso verständlicher ist es deshalb, weshalb dieser am Ende die Gefahr nicht annähernd ernst nimmt und erst erkennt, als es zu spät ist.
©Peter Litvai
Die Inszenierung des Landestheaters ist schlicht und modern, jedoch wenig provokant. Man muss auch nicht immer nackte Haut zeigen bei diesem Stück, die Provokation ist hier vielmehr die Lässigkeit, auf die Giovanni auf all den Schmerz reagiert, den er verursacht. Ein wenig “romantischer” hätte ich mir aber tatsächlich das berühmte Duett zwischen Zerlina und dem Titelhelden gewünscht. Dieser hat sie fast von der Bühne gezerrt, ich konnte jedoch nicht nachvollziehen, wieso sie auf das Werben des Fremden letztendlich eingeht. Allgemein hätte man die Beziehung zwischen manchen Figuren etwas tiefer gestalten können. Auch Leporello schien in der Inszenierung außer dem Geld nicht viel Motivation zu haben, sich mit seinem Herrn weiterhin abzugeben.
Großartig fand ich jedoch die Idee mit der bereits beschriebenen “Bühne auf der Bühne”. Es wirkt, als würde Don Giovanni die anderen Figuren nach seinen Plänen wie Puppen zu dirigieren, genussvoll zu beobachten und einfach in die Szene zu springen, wenn ihm danach ist. Das Bühnenportal mit Champagnervorrat und erotischen Kissen wirkt somit auch als von der Haupthandlung ausgeschlossener Rückzugsort für Giovanni und Leporello. Diese zwei Realitätsebenen erzeugen eine durchaus spannende Dynamik.
Gesanglich liefern die Darsteller allesamt eine sehr gute Leistung ab und Dirigent Basil H. E. Coleman lässt sein Orchester mit viel Schwung und Freude Mozarts Musik präsentieren.
Noch bis einschließlich April ist die Neuinszenierung abwechselnd in Landshut, Passau und Straubing zu sehen. Alle Termine kann man der Webseite des Landestheaters entnehmen.
https://www.landestheater-niederbayern.de/events/339
Musikalische Leitung: Basil H. E. Coleman
Regie / Ausstattung: ULTZ
Choreinstudierung: Eleni Papakyriakou
Don Giovanni: Kyung Chun Kim
Il Commendatore: Heeyun Choi
Donna Anna: Kathryn J. Brown
Don Ottavio: Mark Watson Williams
Donna Elvira: Sabine Noack
Leporello: Peter Tilch
Masetto: Daniel Pannermayr
Zerlina: Emily Fultz
Niederbayerische Philharmonie
Opernchor des Landestheaters Niederbayern
Statisterie des Landestheaters Niederbayern
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ottifanta am 15. November 2019 22:26 Quichotte von Salman Rushdie ©Bertelsmann Verlag
Die Stimmung im ausverkauften Saal war positiv gespannt als Salman Rushdie die Bühne betrat, die er mit Moderator Bernhard Robben und Vorleser Sylvester Groth teilte.
Bei der LitCologne sei Salman Rushdie zuletzt vor zwei Jahren, das erste Mal in Köln vor 52 Jahren, zu Besuch bei einem Cousin, gewesen. Mit einem Schmunzeln bedankte sich Salman Rushdie beim Moderator für den Hinweis auf seinen tatsächlich schon 54 Jahre zurückliegenden ersten Aufenthalt in Köln.
Dann las Bernhard Robben den vermutlich bekanntesten Abschnitt aus Don Quijote von Miguel de Cervantes, den Kampf gegen die vermeintlichen Riesen, 30 Windmühlen. (Kann man beim *Projekt Gutenberg* lesen *klick*)
In der modernen Version von Salman Rushdie wird aus Rosinante ein Chevy Cruze, Sancho Panza kommt ohne Rüstung aus und Don Quichotte ist ein alternder Pharmavertreter. Die Biographie dieses modernen Don Quichottes ist der von Salman Rushdie nicht unähnlich. Beide wurden vor rund 70 Jahren in Bombay geboren. Salman Rushdie wuchs in einer Siedlung auf, in der die Häuser Namen wie „Windsor Villa“ trugen und sei heute dafür bekannt, dass er „naughty but nice“ sei. („unanständig/frech aber lieb“). Über die bei Wikipedia genannten Informationen hinaus wurde verraten, dass er ein gefürchteter Tischtennisgegner sei und ein Meisterschütze bei Angry Birds.
In Salman Rushdies 19. Roman Quichotte stelle man sich ständig die Frage, was fake sei und was Fakt. Es sei eine Parodie, Satire, Persiflage auf die heutigen USA. Sein Quichotte nennt sich Ismael Smile, arbeitet als reisender Pharmavertreter, hat sich quasi sein Hirn durch zu viele Fernsehsendungen zerstört und in die wunderschöne Salma R. verliebt, die er unbedingt treffen möchte.
Dann las Salman Rushdie einen kurzen Abschnitt auf Englisch und Sylvester Groth das erste Kapitel von Quichotte (Leseprobe beim Verlag)
Quichotte wird von einem fiktiven Autor erzählt, der nur schreiben kann, wenn 13 bestimmte Objekte auf seinem Tisch stehen. Ob Salman Rushdie dies auch so mache?
Nein, dies sei nicht autobiographisch, aber der Autor Russell Hoban habe immer einen Rucksack mit 11-13 Objekten bei sich gehabt. Wenn er diese in einem Raum in einer bestimmten Anordnung aufstellte, habe er sich in jedem Hotel zu Hause gefühlt. Salman Rushdie habe lange darauf gewartet, diese Geschichte in einem Buch verwenden zu können. Allerdings müsse er zugeben, dass eines der Objekte tatsächlich seines sei: ein kleiner silberner ziegelförmiger Gegenstand, auf dem eine Karte des zu jener Zeit noch ungeteilten Indiens abgebildet ist. Diesen habe ihm ein Freund seines Vaters einen Tag nach seiner Geburt geschenkt und er sei für ihn sehr wertvoll.
In einem Interview habe Salman Rushdie einmal in „Nichts-Bücher“ und „Alles-Bücher“ unterschieden. In welche Kategorie Quichotte falle, wobei Bernhard Robben eine Vermutung hatte.
Salman Rushdie denkt, dass es zwei Möglichkeiten des guten Schreibens gibt: minimalistisch oder maximalistisch. So könne man zum Beispiel ein Haar der Göttin der Literatur beschreiben, wie es im Licht glänze, das Licht reflektiere usw. oder man könne versuchen die gesamte Welt in seinen Armen zu sammeln und so viel wie möglich in das Buch zu packen, es bewusst zu überladen. Seiner Meinung nach gibt es nur diese beiden Methoden, alles zwischendrin funktioniere nicht. Er habe auch mal ein paar Kurzgeschichten geschrieben, aber dieser überladene Stil liege ihm mehr. Unsere eigene Lebensgeschichte bestehe daraus. durch die Geschichten all der anderen Menschen um uns herum zu laufen und der Autor müsse klarstellen, welche Geschichte er erzählen wolle und nicht all die anderen, die berührt werden.
Während des Schreibens von Quichotte sei er unsicher gewesen, ob das Buch anderen gefallen könne und habe ganz gegen seine Gewohnheit einen Auszug an seinen Literaturagenten geschickt. Dieser habe geantwortet, dass es das lustigste sei, das er je geschrieben habe.
Bernhard Robben fragte, wie es gewesen sei, das lustigste Buch zu schreiben, ob er dabei ständig gekichert habe.
Wenn man es selbst nicht lustig finde, stünden die Chancen gut, dass es auch niemand anders lustig fände, antwortete Salman Rushdie. Kafka habe seiner Verlobten Felice einmal geschrieben, dass er lustig sein könne und als großer Lacher bekannt sei. Damit habe er Recht gehabt. Leider vergesse man das schnell, weil uns die Redewendung kafkaesk präsenter sei als der Humor in seinen Werken. Jeder Abschnitt bei Kafka sei im Stil einer Komödie geschrieben, auch wenn das große Ganze beängstigend oder beunruhigend sei. So wollte es Salman Rushdie auch in Quichotte machen. Die Themen des Buchs seien nicht offensichtlich lustig, er habe ernste Themen aufgegriffen wie die Verzerrung der Wahrheit, das Näherrücken des eigenen Todes und das mögliche Ende der Welt. Er wollte im Modus der Komödie erzählen, auch wenn die Summe etwas Anderes ergebe.
Auf das Titelbild angesprochen antwortete Salman Rushdie, dass es ihm gefalle, aber er habe es nicht geschrieben und man solle den Designer dazu fragen. Es habe einen „Retro Science-Fiction look“, der ihm sehr passend zum Inhalt erscheine und der Bogen erinnere ein wenig an Stargate. Auf der anderen Seite sehe man zwei Personen die Straße entlanglaufen, das Auto sei wohl anderswo geparkt. Es wirke ein wenig geheimnisvoll und beim Auspacken des Belegexemplars habe er sich sehr über das Design gefreut.
Für dieses Buch habe er sich wieder mit einigen seiner früheren Interessen beschäftigt. Als Jugendlicher habe Science Fiction ihn fasziniert und er habe stapelweise Science Fiction Bücher gelesen. Die Nachbarschaft der Hauptfigur in Quichotte erinnert an die in Mitternachtskinder und auch die Gegend in der Salman Rushdie selbst aufwuchs. Es habe sich für ihn wie ein seltsamer Kreis angefühlt, zu diesen frühen Büchern und Erinnerungen zurückzukehren. Durch die Beschäftigung damit konnte er mehrere strukturelle Probleme in diesem Buch zu lösen. Quichotte habe zwei Erzählstränge, der eine sei etwas surrealistisch und verspielt, der andere sehr emotional und realistisch. Als Autor müsse er die Leser am Ende überzeugen, dass eine echte Verbindung zwischen den beiden bestehe. Die rund zehnseitige Kurzgeschichte Bilder lügen nicht von Katherine MacLean (englisch beim Projekt Gutenberg: *klick*) habe ihm bei der Lösung dieses Problems sehr geholfen. Mehr könne er dazu nicht sagen, ohne zu viel zu verraten, außer dass es in seinem Buch keine Außerirdischen gebe.Der Name Ismael Smile verlocke sofort zu Wortspielereien, wie „I smile“ und wecke Erinnerungen an Moby Dick. Da sei einerseits zufällig, weil Salman Rushdie bei diesem Namen an den ersten indischstämmigen Chefkoch in Amerika denken musste, Ranji Smile, der sich selbst „Smile“ genannt habe und die indische Küche in New York eingeführt habe, unter anderem mit dem Versprechen, dass es aphrodisierend wirke. Er sei sehr erfolgreich gewesen, aber irgendwann wegen verschiedener Verbrechen ausgewiesen worden. Andererseits habe er bewusst die Assoziation zu Moby Dick wecken wollen. Ein Buch, in dem die Leser nie erfahren, ob der Erzähler wirklich Ismael heißt, sondern nur, dass er so genannt werden möchte. In Moby Dick trügen alle falsche Namen und alle, die vom Wal besessen seien, würden sterben. Ismael sei der einzige, der überlebe und die Geschichte erzählen könne – weil er auf dem Schiff der Arbeit wegen anheuerte und nicht des Wals wegen. Das habe ihn zum Außenseiter gemacht und Salman Rushdie wollte andeuten, dass sein Quichotte auch ein Außenseiter sei.Er frage sich, was passierte wäre, wenn die Besessenheit für den Wal auch Ismael ergriffen hätte. In Quichotte sei Salma R. sozusagen der Wal, auch wenn sie das sicherlich nicht gerne höre, merkte Salman Rushdie mit einem Schmunzeln an. In einem Abschnitt des Romans trügen viele Figuren keine Namen, sondern würden ausschließlich als Bruder, Schwester usw. benannt. Hier gehe es um die Liebe in Familienbeziehungen, nicht um romantische Liebe und er habe sich auf die Figuren und deren Verflechtungen konzentrieren wollen. E.L. Doctorow habe das einem Abschnitt seines Romans Ragtime auch so gemacht, um die jüdischen Familienbeziehungen deutlich herauszustellen, die Figuren nur nach ihren Beziehungen bekannt. Salman Rushdie stellt sich die Frage nach dem Schaden, den diese nicht-romantische Liebe davontragen könne und ob solche Beziehungen bzw. diese Liebe geheilt werden könne, was verziehen werden könne. Eine der Nebenhandlungen beschäftigt sich mit der Opioidkrise in den USA und dem indischstämmigen John Kapoor, der Ärzte bestochen hatte, mehr stark abhängig machendes Fentanyl zu verschreiben.* In den USA würden jedes Jahr rund 70 000 Menschen an einer Überdosis Opioide sterben. In Europa und den amerikanischen Großstädten werden dieses Problem kaum wahrgenommen. Dort seien eher die Freizeitdrogen Kokain, Ecstasy usw. bekannt und relativ leicht zu bekommen. Auf dem Land hingegen würden skrupellose Ärzte hemmungslos Opioide verschreiben, was eine wahre Epidemie an Abhängigen verursacht habe. Während Rushdies Figuren durch die USA reisen treffen sie also auf diese abhängigen Menschen. Eigentlich wäre die berühmte und wunderschöne Salma R. für Quichotte unerreichbar, denn er arbeitet nur als Pharmavertreter. Aber weil die Abhängigen ihren Dealer finden und die beiden sich treffen müssen, wendet sich die Dinge hier. Während Salma R. im Fernsehen attraktiv, stark und reich wirkt, stellen wir fest, dass dies nur eine Fassade ist. Ihr Leben war nicht immer glücklich. Sie wurde als Kind von einem Verwandten sexuell belästigt, ist bipolar, depressiv und begann irgendwann Opioide zu nehmen. Salman Rushdie wollte zeigen, dass Menschen nicht so sind, wie sie im Fernsehen erscheinen. Das Treffen der beiden findet in einem Park statt und stellt den Moment dar, in dem die Träume von Quichotte wahr werden – theoretisch. Er kann seine Angebetete als ihr Dealer kennenlernen und natürlich läuft es ganz anders als von ihm erwartet.
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
Originaltitel: Quichotte
Originalverlag: Random House, ein Imprint von Penguin Random House LLC, New York
Hardcover mit Schutzumschlag, 464 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-570-10399-9
Erschienen am 14. Oktober 2019
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ottifanta am 4. November 2019 22:44 David Nicholls – Sweet Sorrow ©Audible
13:05 Stunden
ungekürzte Lesung
Sprecher: Rory Kinnear
Hörprobe bei audible *klick*
Zum Autor (vom Verlag)
David Nicholls, Jahrgang 1966, ist ausgebildeter Schauspieler, hat sich dann aber für das Schreiben entschieden. Mit seinem Roman Zwei an einem Tag gelang ihm der Durchbruch, seine Romane wurden in vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit über acht Millionen mal. 2014 wurde sein Roman Drei auf Reisen für den Man Booker Prize nominiert. Auch als Drehbuchautor ist David Nicholls überaus erfolgreich und mehrfach preisgekrönt, zuletzt erhielt er den BAFTA und eine Emmy-Nominierung für Patrick Melrose, seine Adaption der Romane von Edward St Aubyn, die als HBO-Serie Furore machte.
Zum Sprecher
Rory Kinnear wurde ist ein britischer Schauspieler, sowohl im Fernsehen als auch im Theater.
Zum Inhalt (vom Verlag)
Manches im Leben strahlt so hell, dass es erst aus der Entfernung wirklich gesehen werden kann. Die erste große Liebe ist so eine Sache, die immer noch leuchtet, auch wenn sie längst verglüht ist. Und jeder ist der Hauptdarsteller dieser Geschichte im Leben. Auch Charlie Lewis. Nichts an ihm ist ansonsten besonders. Er sieht durchschnittlich aus, seine Noten sind in Ordnung, selbst die Scheidung seiner Eltern ist nur normal unglücklich. Dann begegnet er Fran Fisher, und seine Welt steht Kopf. Plötzlich findet er sich mittendrin in der ältesten und immer neuen Geschichte: die erste große Liebe. Und zwar recht wörtlich, denn Fran macht zur Bedingung für weitere Treffen, dass er sich mit ihr einer Laientheatergruppe anschließt, Romeo und Julia, was sonst. In den langen, hellen Nächten des Sommers nach dem Schulabschluss macht Charlie die schönsten, peinlichsten, aufregendsten und unvergesslichsten Erfahrungen seines Lebens. Und steht dann zwanzig Jahre später vor der Frage, ob er sich traut, seine erste große Liebe wiederzutreffen. Ein heiter-melancholischer Roman über die Zeit im Leben, die so prägend ist wie kaum eine andere – und eine Feier des Lebensgefühls dieser Jahre.
Meine Meinung
Seit ich Zwei an einem Tag begeistert verschlang, habe ich jedes Buch von David Nicholls gelesen. Leider hat für mich keines die gleiche Faszination, die vermeintliche Leichtigkeit, die einfühlsame Art auch tragische Ereignisse zu schildern erreicht.
Von Sweet Sorrow bin ich jedoch irgendwie ganz besonders enttäuscht. Vielleicht liegt es zum Teil daran, dass ich mich mit der Charlie Lewis weder nicht identifizieren kann noch einige seiner Motive für mich nachvollziehbar dargestellt werden. Geschweige denn die seiner Eltern, die der Mutter noch weniger als die des Vaters, der im Lauf des Romans an Konturen gewinnt.
David Nicholls erzählte in Edinburgh, dass er sich an der Verherrlichung der Jugendjahre störe. Sicherlich es es eine sehr prägende und besondere Zeit, aber für ihn sei damals nicht alles so rosarot, so wundervoll gewesen, wie es heute gerne in den Medien dargestellt würde. Für ihn seien es auch schwierige Jahre gewesen, mit großen Herausforderungen und Selbstzweifeln. Das sei für ihn das Thema von Sweet Sorrow, er wolle einen unverklärten Blick auf jene Zeit werfen.
Die ersten Lebensjahre von Charlie Lewis verlaufen recht unauffällig und wohl weitgehend glücklich. Sein Vater hat die drei Schallplattenläden seiner Eltern übernommen, die finanziellen Verhältnisse scheinen gut geregelt und Charlie hat ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester. Soweit so gut, doch dann kommen CDs auf den Markt, das Internet und die Läden seines Vaters müssen einer nach dem anderen geschlossen werden. Charlies Vater versinkt in Depressionen, die Familie muss in einen deutlich ärmeren Stadtteil umziehen, Charlie auf die dortige Gesamtschule wechseln, seine Mutter fängt im örtlichen Golfclub an und trennt sich nach kurzer Zeit.
All dies wirkte auf mich noch normal. Während Charlie in der Schule war, ist seine Mutter ausgezogen und hat ihm einen Brief hinterlassen. Diesen hat Charlie jedoch noch nicht gelesen, als er zum Golfclub rast und mit ihr sprechen will. Sie möchte ihn jedoch abwimmeln, er solle den Brief lesen, sie hätte keine Zeit und Charlie solle es ihr nicht so schwermachen. Für sie steht fest, dass Charlie beim Vater bleibt und auf diesen aufpassen soll, während sie mit der jüngeren Schwester zu ihrem neuen, deutlich vermögenderen Partner und dessen zwei Töchtern zieht. So verliert Charlie nicht nur seine Mutter, sondern auch die Bindung zu seiner Schwester, denn um regelmäßige Kontakte bemühen sich beide Elternteile nicht. Ständige Geldnöte gehören nur zum Alltag von Charlie und seinem Vater.
Entsprechend fällt Charlies Engagement in der Schule aus und so geht er mit 16 im Sommer 1997 völlig planlos von der Schule ab. Seine drei Kumpel sind ihm keine Hilfe, zumal er ihnen vieles überhaupt nicht erzählen kann oder will. Die vier wirken eher wie die Schulrüpel. Durch einen Zufall begegnet Charlie die sehr attraktive Fran Fisher, die auf der besten Schule des Orts war und ihn in eine Theatergruppe lockt, die jeden Sommer ein Stück von Shakespeare aufführt. Das ist ihm so peinlich, dass er seinen Kumpels nicht davon erzählen kann.
Durch Fran lernt Charlie eine ganz andere Welt kennen, in vielerlei Hinsicht und wird auch durch sie und die anderen in der Gruppe einen Schritt weiter erwachsen, lernt seine Stärken und Schwächen genauer kennen. Dieser Teil der Geschichte wirkte auch mich sehr authentisch, wie Fran sich geduldig um Charlie bemüht und er mit sich und ihr kämpft, sich mit den deutlich gebildeteren anderen Gruppenmitgliedern arrangiert und echte Freundschaften fürs Leben schließt. Die Gefühle der ersten Liebe und seine Erlebnisse mit der Theatergruppe sind wundervoll geschildert, machen jedoch nur einen relativ geringen Teil des Buchs aus. Leider sind die negativen, deprimierenden Anteile im Buch so hoch, dass ich teilweise versucht war, es abzubrechen. So übel war die durchschnittliche Jugend in Großbritannien in den 1990ern hoffentlich nicht.
In einigen Abschnitten schaut der 20 Jahre ältere Charlie zurück auf sein jugendliches Ich und auch in diesen Abschnitten wirkt er auf mich immer noch nicht so, als wäre er glücklicher. In der Jugend sehnte er sich verständlicherweise nach einer intakten Familie, jetzt sehnt er sich nach etwas für ihn Unerreichbaren, wobei er das vielleicht hätte haben können. In den britischen Rezensionen wird der Humor des Buchs hervorgehoben, vielleicht sind mir einige Anspielungen entgangen.
Die Schilderung von Charlies Innenleben hätte mir weitaus besser gefallen, wenn seine widerstreitenden Gefühle, Hoffnungen, Ängste intensiver rübergekommen wären. Doch anders als in Zwei an einem Tag haben Charlies Gefühle für mich nicht die gleiche Intensität, auch die Bindungen zu allen Personen in seinem Umfeld (bevor er sich der Theatergruppe anschließt) sind sehr oberflächlich, sogar zu seinen Eltern. Er fährt zwar zu seiner Mutter, streitet mit ihr wegen der Trennung, danach bemühen weder er noch sie sich um eine gute Beziehung. Sein depressiver Vater kann ihm keine Stütze sein und auch andere Personen, die ihm helfen wollen tauchen nur sehr kurz am Rande auf.
Sicherlich ist es auch in einem gewissen Maße Charlies Alter und seinen Lebenserfahrungen geschuldet, wie er sich immer wieder selbst im Weg steht. Aber auch Fran bleibt relativ blass, auch weil nicht aus ihrer Perspektive erzählt wird und letzten Endes ist sie meinem Empfinden nach trotz ihrer Bedeutung für Charlie eher eine etwas wichtigere Nebenfigur.
Vielleicht trug auch der sehr distanziert lesende Rory Kinnear dazu bei, dass ich irgendwie keinen rechten Zugang zu Charlie fand, denn die Stimme, die er Charlie gab, wirkte auf mich wie eine Mischung aus Arroganz und Langeweile.
Fazit
Die Grundidee gefiel mir sehr gut, denn David Nicholls wollte auf seine Weise schildern, dass die Jugendjahre nicht ausschließlich von Glück und wundervollen Erlebnissen gefüllt sind. Seine Hauptfigur Charlie Lewis hat über weite Strecken des Buchs herzlich wenig Glück, Selbstvertrauen und Unterstützung. Charlies Innenleben wird weitgehend glaubwürdig und lebendig geschildert, sein Schicksal war mir irgendwie zu deprimierend. Die Leichtigkeit aus David Nicholls Zwei an einem Tag blitzt nur an wenigen Stellen durch. Statt auf das nächste Buch von David Nicholls zu hoffen habe ich mir die englische Hörfassung von
geschenkt.
P.S. Bezugnehmend auf das titelgebende Zitat von Shakespeare war es mir zu viel Trauer und zu wenig Süßes.
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ottifanta am 29. Oktober 2019 22:38 Der zweite Schlaf von Robert Harris ©Heyne Verlag
Zu Beginn stellte der Moderator Bernhard Robben den britischen Autor Robert Harris kurz vor.
Robert Harris kommt aus kleinen Verhältnissen und von klein auf ein begeisterter Leser. Mit acht Jahren las er bereits H. G. Wells und kauft sich früh eine Remington Schreibmaschine. Autor zahlreicher Bestseller, von denen Vaterland der erste und vermutlich auch der bekannteste ist. Sein neues Buch Der zweite Schlaf wird von den Produzenten von Downton Abbey als Miniserie verfilmt.
“Am Spätnachmittag des neunten Tages im April des Jahres Unseres Auferstandenen Herrn 1468 suchte ein einsamer Reiter seinen Weg.”
So beginnt Der zweite Schlaf. Ein junger Priester namens Fairfax ist mit dem Pferd in Wessex unterwegs, soll einen ihn unbekannten Geistlichen beerdigen. So reitet er durch eine einsame Landschaft, hört im Wald einen Sittich singen und zündet sich abends eine Pfeife an. In der Bibliothek des Verstorbenen entdeckt Fairfax Bücher der verbotenen Gesellschaft für Altertumsforschung, sowie zahlreiche antike Gegenstände aus Plastik. Die Historiker der Zukunft schauen auf unsere Zeit zurück. Im Jahr 2025 ging unsere jetzige Zivilisation unter. Die Kirche entschied, in diesem Jahre eine neue Zeitrechnung einzuführen, die mit dem Jahr 666 beginnt.
Dann wurde der erste Abschnitt des Buchs vorgelesen. Erst eine kurze Passage von Robert Harris auf Englisch, dann ein längerer Abschnitt auf Deutsch von Florian Lukas.
Die Idee zu Der zweite Schlaf sei Robert Harris schon beim Schreiben von Imperium gekommen. Er habe sich die Frage gestellt, was jemand finden würde, der Jahrhunderte später nach Überresten unserer Zivilisation sucht. Bernhard Robben merkte an, dass die Leser das Ende seiner anderen Bücher immer schon kannten und trotzdem sei es Robert Harris immer gelungen, Spannung aufzubauen. Bei Der zweite Schlaf sei das anders und er würde die Leser am Anfang auch bewusst in die Irre führen.
Die Idee einer Schatzsuche fasziniere ihn, bei Ausgrabungen etwas zu entdecken und erforschen, davon gehe eine starke Erzählkraft aus. Nur sei es hier keine gewöhnliche Forschung, wie wir sie kennen, sondern Gegenstände aus unserer jetzigen Welt würden als Hinweise dienen und analysiert. In diesem Buch habe er praktisch alles erfinden müssen, und Einiges habe sich erst während des Schreibens ergeben.
Der Klang des Namens Christopher Fairfax gefalle ihm und auch die Bedeutung. Einerseits die Legende des heiligen Christophorus, außerdem sei Christopher der Schutzpatron der Reisenden und Fairfax stehe für eine blonde Person. Robert Harris versuchte, alle Namen authentisch für das (erste) 15. Jahrhundert klingen zu lassen, ohne sich zu wiederholen. Damals seien weniger Namen gebräuchlich gewesen als heute.
Der Titel sei doppeldeutig. Einerseits sei die Welt wieder eingeschlafen, andererseits sei es damals nicht üblich gewesen, acht Stunden am Stück zu schlafen, sondern viele Menschen seien nach rund vier Stunden aufgestanden, hätten einige Aufgaben erledigt seien dann wieder ins Bett gegangen. Er selbst hätte in diesen Nachtstunden vermutlich einen Roman geschrieben.
Robert Harris stellte dem Roman bewusst ein Zitat von Thomas Hardy voran, denn dieser hätte ein besonderes Gespür für die in der Landschaft verborgene Geschichte gehabt, für die Generationen, die vor uns dort lebten und ihre Spuren hinterließen. In Wessex gebe es Funde von Siedlungen aus der der Bronzezeit, der Römer usw. Wie kein Zweiter hätte Thomas Hardy die Landschaft von Wessex beschreiben können, die besondere Stimmung im Zwielicht, wen man die früheren Generationen spüren könne.
Im Anschluss las Florian Lukas einen zweiten Abschnitt, in dem Christopher Fairfax in der Bibliothek des Verstorbenen über ein eckiges flaches Gerät stolpert, auf dem ein abgebissener Apfel abgebildet ist – das Symbol der absoluten Hybris der Vorfahren.
Für Robert Harris sei die Grundidee wie ein Geschenk gewesen. Sünde und Wissen würden gleichzeitig wirken, sich mit Ehrgeiz und Niedergang verweben. Dies sei so alt wie die griechischen Mythen, wenn nicht noch älter. Erst während des Schreibens sei ihm bewusst geworden, was es für jemanden bedeuten müsse, der in einer strikt religiösen Gesellschaft lebt.
Florian Lucas las noch eine weitere Szene in der es um die (vermeintliche) Bedeutung und Nutzung von Handys in unserer heutigen Gesellschaft geht.
Lachend gab Robert Harris zu, dass er nicht widerstehen konnte, die Wirkung dieser Geräte satirisch darzustellen. (Dies ist meiner Meinung nach eine der besten Szenen im ganzen Roman.) Handys hätte eine unglaubliche Macht, würden das Familienleben oft stören, hätten insbesondere großen Einfluss auf jüngere Menschen. Das würde er oft bei seinen vier Kindern sehen, denn sie hätten ständig zahllose neue Information zur Verfügung und seien in Sorge um den Zustand der Welt, sowohl global gesehen als auch im Freundeskreis. Im Weißen Haus sitze jemand mit seinem Handy im Bett und tippe schwachsinnige Nachrichten, mehr erlaube sein Gehirn nicht. Auch davon gehe Gefahr aus.
Er könne sich gut vorstellen, dass es 2025 zu dem im Roman angedeuteten Armageddon komme. Auf die Frage, ob er einen Bunker gebaut habe und Lebensmittel horte, lachte Robert Harris. Er habe sich einen Holzofen gekauft. Die Menschen hätten große Angst um die Natur, doch solle man nicht aus den Augen verlieren, was Cyberkriminalität bewirken könne. Ohne Strom hätten wir kein Bargeld mehr, unser Leben würde sich über Nacht drastisch verändern. Während der Finanzkrise vor rund zehn Jahren hätten britische Politiker Pläne für den Fall gemacht, dass tatsächlich einige Banken pleitegingen. Wie man die Bevölkerung mit Bargeld und Lebensmitteln versorgen könnte, um Unruhen zu vermeiden. Jedes Jahr würden in Großbritannien und Deutschland je rund 1000 Bankfilialen schließen, alles würde online erledigt – solange wir Strom haben. Das ganze Szenario erinnere ihn gerade ein wenig an die Befürchtungen, wie es nach einem ungeregelten Brexit aussehen könne, dabei wollte er keinen Zukunftsroman in diesem Sinne schreiben. Die Operation Yellowhammer der britischen Regierung sei wie ein Geschenk für Autoren.
In Der zweite Schlaf gewinnt die Kirche wieder stark an Macht und verfügt, dass die Bevölkerung ausschließlich Worte aus der so genannten King James Bibel verwenden darf. Diese Übersetzung erschien 1611 und enthält naturgemäß keinerlei moderne und technische Begriffe. Somit verbietet die Kirche die Forschung über unsere heutige Gesellschaft und will auch jegliche technische Weiterentwicklung der Gesellschaft unterbinden.
Bei den Wochentagen im Roman sei ihm ein Fehler unterlaufen, der 9. April 2846 werde ein Freitag sein. Mit einem Augenzwinkern erzählte Robert Harris, dass er in Berlin bei seiner ersten Lesung aus Vaterland darauf angesprochen wurde, dass es an einem bestimmten Tag in Berlin nicht geregnet habe.
Auf die Bedeutung der Kirche angesprochen erwiderte Robert Harris, dass George Orwell in 1984 die Möglichkeiten der Kirche unterschätze habe. In 1984 sei die Kirche praktisch verschwunden. Evelyn Waugh habe Orwell damals darauf hingewiesen, dass die Kirche seiner Meinung nach nicht verschwinden würde. Es liege in der Natur der Menschen abergläubisch zu sein. Astrologie, Verschwörungstheorien, Aberglaube, all diese gehöre auch heute für viele zum Alltag. Robert Harris kann sich nicht vorstellen, dass die Kirche weltweit radikal an Bedeutung verlieren würde – erst recht nicht in einer Gesellschaft ohne Strom. Auch wenn er Orwell verehre, so habe dieser sich nicht vorstellen können, wie einflussreich und mächtig der Islam werden würde. Was bei Orwell die Partei sei, sei in Der zweite Schlaf die Kirche.
In fiktiven Romane könne man Dinge bis zum Äußersten treiben und gerade das habe ihm viel Spaß gemacht. All diese elektronischen Geräte mit Ironie zu betrachten, ein wenig darüber zu spotten. Abgesehen davon könne er sich gut vorstellen, dass unsere Zivilisation irgendwann ins Wanken komme. Einerseits sei er sich als Optimist zu 99% sicher, dass dies nicht passieren würde, andererseits könne man es nicht ausschließen.
Orwell habe „New Speak“ erfunden, um Gespräche über bestimmte Themen zu verhindern, in seinem Roman habe er
„Old Speak“ erfunden, eine Sprache in der man nicht über Naturwissenschaften reden könne, mit Ausnahme einiger archaischer Worte. Beim Schreiben habe er nach einer Weile festgestellt, dass seine Figuren in einer Art viktorianischen Englisch sprachen. Dies habe sich passend angefühlt und so habe er nach einer schlüssigen Begründung dafür gesucht.
Viel zu schnell war die interessante und charmante Veranstaltung vorbei. Im Anschluss signierte Robert Harris noch zahlreiche Bücher.
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ottifanta am 29. Oktober 2019 22:11 Alexander Osang – Die Leben der Elena Silber ©Fischerverlage
Zu Beginn wurde Alexander Osang kurz vorgestellt. In seinen Büchern gelinge es ihm, vieles über die Wende und die DDR zu erklären, ohne dass es erklärend wirke. Er erzähle von den Menschen, lasse sie durch die Zeit reisen und vermittele so viel Wissen.Nach der Wende sei er viel gereist, habe u.a. in New York gelebt, derzeit in Berlin.
Sein neuester Roman Die Leben der Elena Silber umspanne das gesamte 20. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehe eine Frau, die jede Chance ergreift, um Russland zu verlassen. Elena Silber nehme die Hand eines Deutschen, auch wenn dieser nicht ihre große Liebe sei. Die Figur ist an Alexander Osangs Großmutter angelehnt.
Durch ihre Augen erleben die Leser Faschismus, Sozialismus und Kapitalismus, während Elena Silber keine Zeit habe, ihr eigenes Leben zu verstehen, durch das sie nicht unbeschadet komme. Ihr Enkel Konstantin sei interessiert an ihrer Lebensgeschichte, dessen Mutter wolle nichts dazu sagen, der Vater könne nicht mehr, weil er sein Gedächtnis verliere. Bei Tanten und Onkel verhielte es sich ähnlich.
Im Jahr 1905 lebt die junge Jelena Krasnowa in einer russischen Kleinstadt, 400 km östlich von Moskau. Sie muss miterleben, wie ihr Vater von Anhängern des Zaren erschlagen wird und die Familie fliehen muss.
Alexander Osang las mehrere längere Passagen aus dem Roman, sodass die Leser die junge Jelena Krasnowa kennenlernen, den letzten Tag eines Gerichtsprozesses miterleben und wie Jelena ihren späteren Ehemann verführt. Just an jenem Tag, an dem Lenin starb, so wird es Jelena später ihren Töchtern erzählen. In einer weiteren Lesung lernen die Leser (J)Elenas Enkel Konstantin kennen, einen nicht besonders erfolgreichen Buch- und Drehbuchautor, dessen Vater in das gleiche Pflegeheim soll wie zuvor die Großmutter.
Während Konstantin die Familiengeschichte aufschreiben will, eine Geschichte der Flucht und auch der heutigen Zeit, will seine Mutter nichts davon hören und auch nicht über die Vergangenheit sprechen.
Bei der Premierenlesung in Berlin konnte Alexander Osang nicht viel über die Bezüge zur eigenen Familiengeschichte sagen, weil sowohl seine Mutter als auch seine Schwiegermutter im Publikum saßen. Es sei auch deshalb schwierig, weil es nicht seine Geschichte sei und er keine Geheimnisse anderer verraten wolle, durch Informationen, welche Teile authentisch und welche erfunden seien.
Der Vater seiner eigenen Großmutter sei tatsächlich 1905 von Zarenhäschern hingerichtet worden und seine Großmutter habe einen starken russischen Akzent und eine Vorliebe für Mehlspeisen gehabt. Als Kind und Jugendlicher habe er die Erzählungen der Großmutter eher als Märchen wahrgenommen und erst später begriffen, dass viele der heutigen Spannungen in seiner Familie mit diesem Initialerlebnis zu tun hätten. Auch viele seiner eigenen Ängste hätten dort ihren Ursprung.
Jetzt sei gerade wieder ein Jahrestag des Mauerfalls, bei dem die Ostalgie blühen würde und die Ostler auf die Couch gelegt würden. Es werde analysiert, warum sie so seltsam seien. Er selbst gehe davon aus, dass ihn andere, frühere Dinge mehr prägten als die 25 Jahre DDR, die er erlebt. Die Biographie seiner Großmutter sei die einer ständigen Flucht.
Erinnern sei ein schwankender Untergrund und es sei auch ein Roman über das Erinnern und Vergessen. Der Stoff des Romans habe ihn schon länger beschäftigt, wenn auch sehr persönlich und vor fünf Jahren habe er mit der Arbeit daran begonnen. Es sei ihm lange alles als zu groß erschienen und so habe er kleinere Romane geschrieben, über die Verwerfungen der Wende und über seine Zeit in Amerika. Er habe viele russische Romane gelesen und wollte die Menschen und Landschaften sehen. Selbst erleben, wo sich seine Helden bewegen und wie kalt es dort wirklich im Winter ist, wie das Eis des Flusses aussieht und wie sich alles anfühlt. Deshalb sei er in den Heimatort seiner Großmutter gefahren, seltsamerweise als erster seiner Familie.
Bei einem Aufenthalt in Tel Aviv bot My Heritage kostenlose Gentests an und er war neugierig, wo die genetischen Wurzeln seiner Familie liegen, fest davon ausgehend, dass diese eindeutig russisch seien. Nach zwei Monaten habe er die Auswertung bekommen und seiner Gene 60% seien französischer Herkunft. Jetzt frage es sich, wo das russische Erbe sei.
Im Roman entdeckt Konstantin, dass die Großmutter Lebenslügen hatte, alle sehr verständlich. Sie habe damit gelebt und diese an ihre fünf Töchter weitergegeben. Deren deutscher Vater verschwinde in den Nachkriegswirren in relativ ungeklärten Umständen, vielleicht in den Westen, war er ein Nazi oder wurde er ermordet? Steckt er vielleicht in Südamerika, da gebe es viele Spekulationsmöglichkeiten.
Alexander Osang geht davon aus, dass alle Menschen sich Traditionspodeste bauen. Jeder würde sich entweder mit den Eltern identifizieren oder sich von ihnen distanzieren. diese Dinge hätten besonders der Nachkriegsgeneration beim Überleben geholfen. So gingen die Töchter von Elena Silber sehr unterschiedlich mit der Mutter und deren Erzählungen um. Die fiktive Familie hätte gut in Schlesien gelebt und musste dann plötzlichen den Heimatort und die Textilfabrik verlassen.
Er habe es selbst erlebt, wie schnell falsche Erinnerungen entstehen könnten. In den 1990er Jahren seit er für den Spiegel in den USA gewesen und hätte Erinnerungen an Dinge, die nachweislich so nie passierten, wie er neulich feststellte. Umso älter man werde, umso größer würden solche (falschen) Erinnerungen. Jelena wolle ihren Mädchen eine Familienkonstruktion geben und spiele mit den verschiedenen Möglichkeiten. Die Risse dazwischen kitte sie mit erfundenen Begebenheiten. Im Roman würden die Männer irgendwie alle verschwinden und auch Konstantin wirke nicht besonders stabil. Irgendwie sei es ein Roman starker Frauen stelle Alexander Osang fest. Es sei die Geschichte vieler Menschen. Sein Großvater liege in Russland, sei dort hingerichtet worden. Später habe die deutsche Wehrmacht Millionen Russen ermordet. Es falle ihm schwer, Wut oder Stolz zu empfinden.
Alexander Osang sei in einem sozialistischen Land großgeworden, das sehr stark durch die Sowjetunion geprägt wurde. Ziel seines Romans und der Arbeit daran sei gewesen zu untersuchen, wie ihn dies geprägt habe, nicht Familiengeheimnisse herauszubekommen. Während seines Aufenthaltes in Russland wollte er die Landschaften und Umstände erforschen, hätte er dort zu viel über seine Großmutter herausgefunden, hätte sie ihm später beim Schreiben im Weg gestanden. Natürlich sei jedoch aus jeder beantworteten Frage eine neue entstanden.
Über das Erscheinen des Buches sei er sehr erleichtert, jetzt sei dieses große und emotionale Projekt für ihn abgeschlossen und als nächstes wolle er eine kleine Novelle schreiben.
Für ihn persönlich sei der prägendste Einfluss von 25 Jahren DDR auf die Familiengeschichte seine eigene Ruhelosigkeit, Misstrauen gegenüber dem Staat. Der Einfluss seiner Familiengeschichte seien ein Gefühl der Entwurzelung und seine Umtriebigkeit, ein Drang durch die Welt zu reisen. Er habe festgestellt, dass er am glücklichsten sei, wenn er reise.
Nach der Veranstaltung beantwortete Alexander Osang beim Signieren noch geduldig Fragen der zahlreichen Zuschauer.
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ottifanta am 23. Oktober 2019 22:22
OLGA TOKARCZUK – Die Jakobsbücher ©KampaVerlag
Die Veranstaltung war eigentlich von der Buchhandlung Müller & Böhm in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut in Düsseldorf für rund 100 Zuhörer um 19:30 im Heine Haus geplant und wurde kurzfristig nach der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 2018 an Olga Tokarczuk in die Akademie der Wissenschaften verlegt, wo alle 400 Plätze belegt waren und eine Videoübertragung in den Nachbarraum angeboten wurde. Das Buch war ausverkauft, es konnten nur einige Glückliche ihre vorbestellten Bücher abholen.
Um 20:15 betrat die vor Glück strahlende Olga Tokarczuk den Saal.
Die Moderatorin Olga Mannheimer verzichtete auf eine Vorstellung von Olga Tokarczuk, dies könne man im Internet nachlesen und sie wolle Zeit sparen, weil es am folgenden Morgen sehr früh zur Buchmesse nach Frankfurt gehe. Stattdessen werde sie erzählen, wie sie den gestrigen Abend verbrachten, das würde Olga Tokarczuk viel besser beschreiben als alles Berichte über ihre Bücher. Nach der Veranstaltung bei der LitRuhr sei ein gemeinsames Abendessen geplant gewesen. Doch statt in ein schickes Restaurant zu gehen, sei es mit treuen Lesern in eine türkische Kneipe mit Resopaltischen gegangen. Die Speisekarte war in Plastik laminiert und die Neonbeleuchtung grell. Dafür sei das Essen viel besser gewesen als erwartet und es habe eine tolle Stimmung geherrscht.
Mit auf der Bühne saß auch Lothar Quinkenstein, einer der beiden Übersetzer der Jakobsbücher, deren Übersetzung von Olga Mannheimer als herausragend und auch preiswürdig gelobt wurde.
Zu Beginn wurde der Prolog auf Polnisch und Deutsch gelesen.
Jenta, die Erzählerin des Romans, sieht ein Stück Europa zwischen 1750 und 1800, die alte Adelsrepublik Rzeczpospolita vor der Teilung. Damals gab es eine gemeinsame Grenze mit dem osmanischen Reich. Jenta sieht in dieser Region einige Kaufleute, unter ihnen Jakob Frank, der sich als der Messias ausgab. Um ihn herum entstand eine häretische Bewegung, die immer größere Dimensionen annahm. (Frankismus)
Der Weg zur Erlösung durch Gott führe durch drei Religionen. Vom Judentum über eine Konversion zum Islam und dann zum Katholizismus. Beim Schreiben habe sie oft das Gefühl gehabt, eine Abenteuergeschichte zu schreiben
Um die deutschen Leser neugierig zu machen, verriet Olga Tokarczuk, dass Jakob Frank am Ende seines Lebens einen Hof in Offenbach geführt habe und allgemein als polnischer Baron angesehen wurde.
Als Vorgeschmack auf die Lektüre wurde der vollständige Titel auf Polnisch und Deutsch gelesen:
Die Jakobsbücher
ODER
Eine große Reise über sieben Grenzen,
durch fünf Sprachen und drei große Religionen,
die kleinen nicht mitgerechnet.
Eine Reise, erzählt von den Toten
und von der Autorin ergänzt
mit der Methode der Konjektur,
aus mancherlei Büchern geschöpft
und bereichert durch die Imagination,
die größte natürliche Gabe des Menschen.
Den Klugen zum Gedächtnis, den Landsleuten zur Besinnung,
den Laien zur erbaulichen Lehre, den Melancholikern zur Zerstreuung
Olga Tokarczuk sammelte das Material für diesen Roman im Laufe mehrerer Jahre und fürchtete zu Beginn des Schreibens der Fülle des Materials nicht gerecht werden zu können. Verzweifelt über der Unmenge an Papier sitzend sei Jenta zu ihr gekommen. Die Erzählinstanz des Romans, in der vierten Person mit metaphysischen Zügen, eine besondere Erzählform. Mit Hilfe von Jenta sei es ihr gelungen, die Papiere zu ordnen. Eigentlich gebe es drei bekannte Erzählformen, doch Jenta entspreche diesen Formen nicht. Jenta bewege sich mühelos durch Zeit und Raum, kenne alle Bücher und sehe am Ende der Erzählung sogar die Autorin.
Olga Mannheimer merkte an, dass es bei der Lektüre einige Überraschungen gebe. So z.B. bei der Seitenanordnung, denn der Roman beginne auf Seite 1534. Auch die Namen einiger Figuren würden sich im Lauf der Geschichte wandeln, u.a. der von Jakob Frank.
In einer weiteren Lesung lernte das Publikum Jakob Lejbowicz kennen, sowie eine andere Figur namens Nachman. Dieser habe in seiner Rolle als Chronist eine starke Motivation gehabt: die Liebe. Er habe alles für Jakob Lejbowicz aufgegeben, sogar seine Familie, habe fest an ihn geglaubt und sei ihm bis zum Tod gefolgt.
Jakob Frank zu beschreiben sei ihr sehr schwergefallen. Stellenweise hätte sie sich beim Schreiben in ihn verlieben können, in anderen Momenten machten seine Machtgier und sein manipulatives Wesen ihr Angst. Ein so ambivalente Figur sei schwer zu fassen, jemand, dessen Beweggründe man nicht ganz verstehen könne. Deshalb habe sie auf Personen in seinem Umfeld zurückgegriffen, die über ihn sprechen und so gleichzeitig eine gewisse Distanz gewahrt. Jakob Frank sei eine besonders charismatische Person gewesen, der zeitweise über 15.000 Menschen in seinen Bann zog. Seine Darstellung in den ihr vorliegenden Quellen habe sie amüsiert. Seine Anhänger hätten von einem attraktiven Mann gesprochen mit einer anziehenden Stimme, bei seinen Gegnern hingegen in jeder Hinsicht ein Monster. Im Roman wollte sie diesen Konflikt darstellen, keine letztendliche Lösung dafür anbieten. Jenta verrate auch nicht alle ihre Geheimnisse des Jakob Frank an die Autorin und mit einem Lächeln merkte sie an, Jenta habe sie sich Olga Tokarczuk als Autorin ausgedacht.
Ein Teil des Romans spielt in einem sehr großen und verwinkelten Haus. So wie sich im Roman immer wieder neue Erzählräume öffnen, habe auch dieses Haus etwas von einem Labyrinth. Der Roman sei eine Konstellation von Fragmenten, die miteinander verbunden seien und das Haus eine Metapher für die Struktur des Romans.
Dann sprach Olga Mannheimer direkt Lothar Quinkenstein auf die Übersetzung an. Diese lese sich, als sei das Buch auf Deutsch geschrieben worden und das sei sicherlich nicht leicht gewesen.
Die reine Übersetzungsarbeit habe 1,5 Jahre gedauert. Erstens aufgrund der labyrinthischen und zugleich ungeheuer logischen Struktur. Auch die polyphone Struktur, die vielen Stimmen hätten zu Diskussionen zwischen ihm und der zweiten Übersetzerin des Romans geführt. Gemeinsam entwickelten sie ein Konzept, das während der Arbeit immer wieder modifiziert wurde. Einen so komplexen Text könne man erst beim tiefen Eintauchen verstehen und tiefer als beim Übersetzen sei kaum möglich.
Teile des Romans seien in einem archaischen Polnisch verfasst und sie hätten zahlreiche deutsche Dokumente aus jener Zeit gelesen, um die Übersetzung entsprechend anpassen zu können. Ein Teil des Romans spiele in Galizien, das damals zu Österreich gehörte. Für die Übersetzung dieses Teils lasen sie u.a. Texte von Joseph Roth und Soma Morgenstern, um dem Vokabular jener Zeit möglichst nah zu kommen. Mit einem Schmunzeln erzählte Lothar Quinkenstein, dass sie während der Arbeit mit dem Grimm’schen Wörterbuch unter dem Kopfkissen geschlafen hätten und Worte aus dem böhmischen und galizischen Sprachraum bevorzugten. Sie hätten ungeheuer viel Spaß gehabt, trotz der vielen Arbeit, denn beide hätten noch nie eine so inspirierende und anstrengende Übersetzung angefertigt.
Dann folgte eine weitere Lesung, um die spezielle Situation der Juden in der Rzeczpospolita darzustellen, ihre Not komme deutlich heraus.
Während des Schreibens wurde Olga Tokarczuk klar, dass diese Epoche deutlich vor dem viktorianischen Zeitalter lag und daher ganz andere Moralvorstellungen herrschten, ein anderes Verhältnis zur Sexualität.
Eine der zentralen Fragen war für Olga Tokarczuk jene nach der jüdischen Kulturgeschichte. Heutzutage lande man da sehr schnell beim Holocaust, aber hier gehe es um die Inhalte und Beiträge einer Kultur zur europäischen Geschichte. Um über 1000 Jahre Geschichte lange vor dem Holocaust. Genau das habe auch die Übersetzer tief beeindruckt, die im Buch vermittelten Inhalte der jüdischen Kultur im Mittelalter. Es sei unglaubliches Defizit, denn man finde sofort etwas über die Destruktion, aber hier ginge es auf 1100 Seiten um die Inhalte.
Die Rzeczpospolita habe als Paradies für die Juden gegolten und die reiche Kultur des Schtetls sei in diesem Gebieten entstanden. Dies sei der Schauplatz Romans. 1939 habe kein Land einen höheren Anteil an jüdischer Bevölkerung gehabt, ca. 10% bzw. 3,3 Millionen, rund die Hälfte der Opferanzahl des Holocausts.
Die Zahl Sieben habe im Judentum eine magische Bedeutung und spielt eine besondere Rolle in dem Roman, der in sieben Bücher unterteilt ist. Beim Schreiben habe sie sich intensiv mit jüdischer Mystik beschäftigt und es sei schwer gewesen, etwas Schriftliches über Jakob Frank zu finden. Dieser selbst habe untersagt, dass über ihn geschrieben werde. Erst gegen Ende des Schreibens sei ihr das Buch von Pawel Maciejko in die Hände gefallen, ein sehr detaillierter Bericht über die Frankisten.
Zu Hause habe sie jetzt ein riesiges Archiv zu Jakob Frank, unter anderem eine 15m lange Rolle graues Packpapier. Lachend erzählte Olga Tokarczuk, dass sie auf dieser das Konzept des Romans dargestellt habe, denn kleinere Formate seien dafür nicht ausreichend gewesen. Dieses praktische Notizbuch habe sie abends immer einfach zusammenrollen können.
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Marina am 10. Oktober 2019 00:02 Am vergangenen Samstag schaffte ich es endlich wieder in das gemütliche Kleine Theater Landshut, auf dessen Bühne im Dachstuhl eines mittelalterlichen Hauses ich schon viele großartige Theaterabende erleben durfte. In einem Blog, für den ich zuvor geschrieben hatte, habe ich viele Male über dieses unscheinbare doch künstlerisch herausragende Haus berichtet.
Bereits am Freitag feierte das berühmte Werk “Medea” des antiken Dichters Euripides unter der Regie von Sven Grunert Premiere. Ich durfte die zweite Vorstellung besuchen und in der ersten Reihe ganz nah am Geschehen sein.
Das antike Drama folgt dem Abenteuer der Argonauten: Jason hat mit seiner Frau Medea, die aus Liebe zu ihm ihre Heimat und Familie verraten hat, in Korinth Zuflucht gefunden. Dort verlässt er Medea jedoch, um die Tochter des Königs Kreon zu heiraten. Er behauptet, dies nur zu tun, damit auch seine erste Frau und ihre gemeinsamen Kinder in ihrer neuen Heimat integriert werden. Dieses Argument ist jedoch nicht sehr überzeugend, die tief verletzte Medea schwört Rache und soll deshalb mitsamt ihrer Kinder verbannt werden. Durch List und falsche Unterwürfigkeit kann sie diese Strafe jedoch etwas hinauszögern und hat somit genug Zeit, die Prinzessin und Kreon zu vergiften. Auch tötet sie ihre Kinder und lässt Jason mit dem Schmerz zurück, alle die er liebte verloren zu haben.
Auf der kleinen Bühne wurde von Helmut Stürmer ein recht minimalistisches Bühnenbild entworfen. Große, graue
Foto: Gianmarco Bresadola
Papierquadrate an der Rückwand erinnern an Stadt- oder Palastmauern, die Darsteller sitzen auf schlichten, schwarzen Hockern und dazwischen verstreut symbolisieren Sand und Folien das Meer Korinths. Im Bühnenboden sind Glasplatten eingelassen, die mit Sand bedeckt sind und der Magierin Medea als eine Art Ritualplatz dienen, jedoch auch einen Geheimgang bedecken. Seitlich stehen rote, beschriftete Wände, deren Farbe an Blut erinnern und die die zentralen Motivationen Medeas wie Verrat und Rache präsent machen.
Die Kostüme von Irina Kollek sind modern, jedoch alle schwarz. Die meisten der Darsteller sind barfuß, nur die Amme und der Erzieher, die auch die Rolle des Chors übernehmen, tragen Schuhe. Sie kommentieren die Handlung und reden den Protagonisten ins Gewissen, können deren Verlauf jedoch nicht lenken. Dabei charakterisieren die Kostüme die Figuren durchaus gut. Medea etwa entfernt im Laufe des Stückes immer mehr Lagen ihrer Kleidung, was man vielleicht so interpretieren kann, dass sie sich durch ihre Handlungen immer verwundbarer macht. Jason trägt einen Anzug, jedoch ohne Hemd und mit einem dünnen Streifen einer Art Kriegsbemalung um den Kopf, als wolle der ehemalige Krieger sich in die neue Zivilisation integrieren, was ihm jedoch noch nicht ganz gelingt.
Wenn die Inszenierung auch nur etwa 80 Minuten dauert, so ist die angespannte Energie vom ersten Moment an groß, vor allem angesichts der Hauptdarstellerin Louisa Stroux, die anfangs würdevoll mit dem Goldenen Vlies über den Schultern auf die Bühne schreitet, die ganze Zeit jedoch den Anschein erweckt, als tobe in ihr ein emotionaler Kampf. Sie erklärt dem Publikum scheinbar kühl ihre grausamen Pläne, allein als der Mord an ihren Kindern bevorsteht bricht der innere Konflikt nach Außen. Stroux ist fast permanent auf der Bühne und bringt eine unglaubliche Spannung hervor, von der man als Zuschauer ebenfalls gepackt wird.
Ihr gegenüber steht Andreas Sigrist als Jason, der seinen Charakter extrem schwer durchschaubar macht. Seine wahren Motive werden nicht wirklich klar, er stürzt sich nach wie vor lüstern auf Medea – ob er dies aus Dominanz oder Gefühlen zu ihr tut wird nicht klar, was die Spannung zwischen den beiden Hauptfiguren nur noch erhöht. Seine scheinbar freundliche und überlegte Art trifft auf den blanken Hass Medeas. Seine Fassade bricht erst nach dem Mord an seinen Kindern, als er verzweifelt zusammenbricht.
Ergänzt werden die beiden Kontrahenten von vier weiteren Charakteren. Das langjährige Ensemblemitglied des Kleinen Theaters, Stefan Lehnen, spielt den würdevollen und gütigen König Kreon, der mit seiner ruhigen Art einen emotionalen Gegenpart zur aufgewühlten Medea darstellt und dadurch von ihr ausgenutzt wird. Allgemein verwendet Medea ihre Reize durchaus, um ihr Ziel zu erreichen. Ihrem Verbündeten Ägeus (Knud Fehlauer), der noch mit deutlicher „Kriegsbemalung“ auftritt und dem sein Darsteller einen kriecherischen und doch ehrlichen Charakter verleih, unterwirft sie sich scheinbar, lässt sich von ihm liebkosen und ringt ihm so einen Schwur für ihren Schutz ab.
Foto: Gianmarco Bresadola
Wie bereits erwähnt greifen Katja Amberger als Amme und Rudi Knauss als Erzieher nicht wirklich in die Handlung ein, sie versuchen eher zwischen den verfeindeten Fronten zu vermitteln, was ihnen jedoch nicht gelingt. Trotzdem sorgt vor allem Amberger zu Beginn des Stücks und in den Schilderungen des Mords an Kreon und seiner Tochter für Gänsehaut.
Tatsächlich bleibt es in dieser Inszenierung des Intendanten Sven Grunert bei Schilderungen, auf der Bühne wird keine körperliche Grausamkeit gezeigt. Die seelischen Leiden Medeas und zuletzt auch Jasons sowie ihr Konflikt werden dafür umso mehr in den Mittelpunkt gerückt. Der Regisseur zeigt die Titelheldin ganz klar als das Opfer der Umstände. In der griechischen Antike war das Werk Euripides’ ja bereits wegen seiner Thematik umstritten, Medea schien jedoch eher als die Böse gesehen zu werden. Hier werden die Figuren so charakterisiert, dass man Medeas extremes Handeln nachvollziehen – wenn auch nicht gutheißen – kann. Jason scheint hier vielmehr der rationale doch grausame Antagonist zu sein, der erst durch die grausamen Taten seiner ehemaligen Geliebten seine menschliche Seite zeigt. Als Medea flieht, bleibt er erstarrt von seinem und auch ihrem Schmerz zurück.
An folgenden Terminen wird “Medea” noch gezeigt: So 3.11., 19.00 Uhr / So 24.11., 19.00 Uhr / Sa 14.12., 20.00 Uhr
Regie: Sven Grunert
Bühne: Helmut Stürmer
Stückfassung / Dramaturgie: S. Grunert, G. Madiar
Assistenz: Maria Wimmer
Kostüme: Irina Kollek
Requisite: Linda Vankova
Technik: Jürgen Behl, Philipp Degünther, David Schreck
Medea: Louisa Stroux
Jason: Andreas Sigrist
Kreon: Stefan Lehnen
Ägeus / Chor: Knud Fehlauer
Erzieher / Chor: Rudi Knauss
Amme / Chor: Katja Amberger
https://www.kleinestheater-kammerspiele-landshut.de/spielzeit-20192020/spielzeitprogramm/repertoire/medea.html
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ottifanta am 3. September 2019 22:26 Thomas Keneally at the 2019 Edinburgh International Book Festival ©Edinburgh International Book Festival
Eine der schönsten Veranstaltungen war für mich jene mit dem unglaublich charmanten und begeisterungsfähigen 83-jährigen Thomas Keneally, moderiert von Leslie McDowell im ausverkauften Main Theatre.
Er sei vor ein paar Jahren in Sydney geboren worden, habe als erster Australier den Booker Preis gewonnen und durch „Schindlers Liste“ sehr berühmt geworden. Gewinner zahlloser Literaturpreise und Nationalschatz von Australien, stellte Leslie McDowell ihn kurz vor und merkte mit einem Augenzwinkern an, dass Thomas Keneally gedroht habe, zu singen.
Thomas Keneally selbst freute sich sehr über die Einladung zum Book Festival in Edinburgh, nicht zuletzt, weil der Ursprung von Waltzing Matilda in Schottland liege, auch wenn es um einen Schafscherer ginge, der quer über den australischen Kontinent zu seinem Mädchen reise. Das Lied sei allen Australiern und vermutlich auch vielen Schotten sehr vertraut – so vertraut, dass ein Großteil des Publikums schnell mit einstimmte, als Thomas Keneally begann, Waltzing Matilda zu singen.
Seine Frau und er sind die Nachfahren von Strafgefangenen, die nach Australien deportiert wurden, u.a. für den Diebstahl eines Stoffballens in Limerick/Irland. In Australien sei seine Familie nie in Konflikt mit dem Gesetz gekommen, aber natürlich habe man in Australien niedrigere Standards.
1,8 Millionen Australier würden von Frauen abstammen, die in den für Fabriken arbeiteten, extra für weibliche Strafgefangene errichtet wurden. Viele Männer reisten nach ihrer Freilassung gezielt dorthin, hatten sich über Kontaktanzeigen mit Frauen verabredet. Sie machten den Frauen im Schnitt rund 1,5 Stunden den Hof, dann wurde ein Heiratsantrag gemacht und es ging ab in den Dschungel. Dann sang er sang einige Zeilen aus einem australischen Volkslied.
©Hodder&Stoughton
Im Mittelpunkt seines neuen Buches The Book of Science and Antiquities (in Australien unter dem Titel Two Old Men Dying erschienen) stehen um zwei alte Männer, der rund 42 000 Jahre alte Shade und der heute lebenden Shelby. Es gehe um unsere vergessenen Erinnerungen. Wenn wir Die Geschichte der Welt nach Boris Johnson lesen würde, wären die Ureinwohner Australiens klägliche, nackte und arme Wesen, die abfällig Pickaninny genannt würden.
Diese Sicht auf die Ureinwohner Australiens als unglückseligen Randbewohner wolle er korrigieren, denn sie seien schon vor 42 000 Jahren deutlich fortschrittlicher gewesen als man denke. Er sehe Mungo Man als Antwort auf die vorherige beiderseitige Ignoranz und hoffe, dass über Mungo Man zwischen Ureinwohnern und der anderen Bevölkerung mehr Gemeinsamkeiten entstehen könne. Die konservativen Politiker Australiens hätten kein Interesse an Mungo Man, auch wenn dieser zwanzig Mal so bedeutend wie Ramses sei.
Es sei diskutiert worden, ob er selbst die richtige Person sei, um darüber zu schreiben, da er kein Ureinwohner ist. Während des Schreibens habe er eng mit Experten gearbeitet, um alles auf korrekte Fakten und Darstellung prüfen zu lassen.
Beim Schreiben suche er nach einer Lücke in der Geschichte und 42 000 Jahre Abstand seien viel Abstand. So habe er zum Beispiel nicht die uns gewohnten Zeitangaben verwenden können, es habe andere Tiere gegeben wie zum Beispiel ein 2,5 Tonnen schweres Wombat.
In seinen Büchern befasse er sich mit einer Vielzahl verschiedener Themen, doch häufig stünde ein Kampf um Leben und Tod. Die im Mittelpunkt stehende Figur habe immer eine Überlebenschance, hätten Handlungsspielraum. Seiner Meinung seien seine Bücher optimistisch. Thomas Keneally beschrieb sich als Gefangener der Hoffnung und zitierte dazu Desmond Tutu. Er habe sich gefragt, wie das Leben gewesen sei, als Mungo Man lebte. Wenn man sich vorstelle, wie mutig die Menschen damals waren, so könne man Lieder darüber singen und es feiern. Die Australier seien gleichzeitig die besten Dichter und Killer der Welt.
Abwechselnd werde aus der Perspektive von Shelby und Shade erzählt. Der Dokumentarfilmer Shelby ist an Speiseröhrenkrebs erkrankt (eine Krankheit, die Thomas Keneally erst vor kurzem überlebte), aber noch nicht bereit, daran zu sterben. Der deutlich jüngeren Shade gehört zu den Stammesältesten und seine Vorfahren erscheinen ihm in Träumen.
Wenn er heute Schindlers Liste schreiben würde, wäre es ein anderes Buch. In der Originalfassung sei Oskar eine Linse auf etwas Unvorstellbares gewesen. Oskar habe alle Phase des Holocausts gesehen. Vor einiger Zeit habe er mit zwei Überlebenden des Holocausts gesprochen und sie seien sehr erstaunt darüber gewesen, wie früh Oskar Schindler von den Gaskammern gewusst habe. Das sei nur durch streng geheime Informationsquellen möglich gewesen.
Wenn er es heute schriebe, hätte es einen anderen Ton und eine andere Handlung. Schauplatz sei eine Stadt in der jetzigen Zeit und es seien möglicherweise Fake News. Bücher seien Kinder ihrer Zeit. Nur wenige gute Bücher könnten überleben, wie z.B. die von Charles Dickens oder die von George Eliot.
Lesley McDowell fragte, ob sich seine Herangehensweise mit der Zeit geändert habe, ob er zorniger, politischer geworden sei. Thomas Keneally ist der Ansicht, er sei kämpferischer geworden und als australisch-irischer Hillbilly leiste er sich in der heutigen Zeit diesen Luxus. Das Verhalten australischer Politiker entsetze ihn. Der Premierminister habe ein Stück Kohle mit ins Parlament gebracht um zu zeigen, dass man sich davor nicht fürchten müsse. Dieser Mann sei taub gegenüber der Zukunft und ein Künstler der Kurzfristigkeit, („Our PM is tone deaf to the future. He is an artist of short termism.”) dessen Politik das Great Barrier Reef zerstören werde.
In Schottland habe er Glasgow immer als die wilde, heidnische Seite gesehen, 48 Meilen vom zivilisierten Edinburgh entfernt. Ian Rankin habe dies geändert, flachste er mit einem Augenzwinkern. Sydney und Canberra seien rund 150 Meilen voneinander entfernt und man überlege, so etwas wie Gandhis Salzmarsch als Protest zu veranstalten.
Als er einige Zeit in den USA verbrachte, habe ihm selbst der Geist und der selbstabwertende Humor der Australier gefehlt. Die Amerikaner stammten von Menschen ab, die zu gut für England gewesen seien, seien Heilige gewesen. Die Australier hingegen seien aus England ins Straflager geschickt worden und daher ein ganz anderer Menschenschlag.
Die Bücher von Kate Grenville seien brilliant und beschäftigen sich damit, wie die australischen Ureinwohner das Eintreffen der ersten europäischen Siedler bewältigten.
Auf die Verfilmungen seiner Bücher angesprochen reagierte Thomas Keneally deutlich gelassener als viele andere Autoren. Er habe die Regisseure gekannt und wisse, dass für sie das Buch ein Sprungbrett sei, in dem sie einen Erzählstrang finden müssten und dann etwas Neues schaffen. Steven Spielberg habe bei den Dreharbeiten immer die Seiten des Buchs neben das Skript gelegt, sich davon jedoch nicht in seiner Phantasie einschränken lassen. Ein Autor sollte das verstehen, dann gebe es weniger gebrochene Herzen. In der Verfilmung von Schindlers Liste gebe eine Szene, die so faktisch nicht möglich sei, aber der Geist der Literatur solle der im Film erzählten Geschichte nicht im Weg stehen.
Zum Ende hin bedankte sich Thomas Keneally nochmal bei allen und entschwand ins Signierzelt, wo er noch mehrere Stunden verbrachte.
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ottifanta am 2. September 2019 21:12 A L Kennedy at the 2019 Edinburgh International Book Festival ©Edinburgh International Book Festival
Zu Beginn bat A L Kennedy darum, dass die Scheinwerfer auf das Publikum gerichtet werden sollen, schaute sich dann ausführlich um und kommentierte, dass die üblichen Verdächtigen anwesend seien.
Es wäre gut, wieder in Schottland zu sein. Unten in England sei es seltsam, alle würden rumschreien.
Ihr neuer Buch The Little Snake erzählt eine Fabel von einer Schlange namens Lanmo. Es sei kein Kinderbuch, die Schlange sei unterwegs, um Menschen zu töten. Jeder, der sie sieht, muss sterben. Das geht so lange gut, bis die Schlange auf die junge Mary trifft, die ihr sympathisch ist.
Es wurde ein Auszug vom Anfang des Buchs gelesen, in dem deutlich wird, wie die magische Schlange mit ihrer schönen Stimme die Menschen für sich einnimmt und wie weise sie ist. Gleichzeitig auch, dass die Schlange irgendwie dazu neigt, alle zu ermorden, die ihr begegnen.
Dann wurden weitere Auszüge aus dem Buch gelesen. Besonders amüsant wird es, als die Schlange einen Politiker trifft, der laut Aussage von A L Kennedy leider keine rote Krawatte trägt und nicht besser König von Paddington wäre, sich aber stets ausgibt als „der große Mann, der das Volk liebte“. („the great man who loved the people“)
Während die Menschen vor ihrem Tod über Liebe, Schande und Trauer lernen, lernt auch Lanmo über die Menschen und deren Gefühle. A L Kennedy betonte, dass man als Autor das Fenster sei, durch das die Leser die Geschichte sehen würden. Der Autor habe die Geschichte zu erzählen, er selbst solle nicht präsent sein. Umso einfacher man die Geschichte gestalten wolle, umso schwerer sei das Schreiben.
Auf die Frage, ob sie Mary sei oder gerne Mary wäre, antworte A L Kennedy, dass sie ungefähr in ihrem jetzigen Alter und depressiv zur Welt gekommen sei. Aber man werde nicht als Rassist oder aggressiv geboren, sondern dazu gemacht.
Ihrer Ansicht nach sei der Sinn des Daseins der Menschen, anderen Menschen zu helfen, hilfsbereit zu sein. Die Menschen hätten diese kindische Einstellung (nicht kindlich), wegzuschauen. Fest daran zu glauben, dass etwas nicht da sein, wenn man nicht hinschauen.
The Little Snake sei eine moderne Fabel. Wir Menschen hätten eine endliche Menge an Zeit zur Verfügung und die Frage sei, was man mit dieser Zeit tun wolle. Entlang des Lebensweges würde man die Freude an kleinen Dingen entdecken, an kurzen Momenten. Das Lebe bestehe nicht nur aus Krisen, man könne es nicht nur als Kind genießen.
Jedes Mal wenn man irgendetwas Gutes lese, würde das die Empathie verstärken – außer Breitbart.
©Canongate
Sie habe sehr früh angefangen zu lesen und mit rund vier Jahren zum ersten Mal den kleinen Prinzen gelesen. Damals habe sie weder alle Worte noch den gesamten Sinn verstanden. Antoine de Saint-Exupéry sei ein leidenschaftlicher Vielleser gewesen. Einmal habe er fast den richtigen Zeitpunkt für die Landung verpasst, weil er vorher noch das Buch zu Ende lesen wollte.
Eine illustrierte Version von The Little Snake könne sie sich gut vorstellen, diese sei jedoch vermutlich zu teuer. Die Moderatorin Janet Ellis bedauerte dies sehr. A L Kennedy sieht sich nicht als eine Schriftstellerin, die besonders bildhaft schreibt, sie würde beim Lesen eher Gerüche wahrnehmen und Dinge fühlen, bevor sie diese sehen könne.
Warum sie eine Schlange gewählt habe und nicht ein anderes Wesen. Wenn sie an Schlange gegen Kröte denke, falle ihr ein „Running Buffet“ ein. Als Kind habe sie eine Kröte besessen, aber Schlangen seien so viel mystischer und schon früh habe es z.B. Geschichten gegeben, wie eine Schlange sich in einen Stab verwandele.
Sie würde gerne Bücher aus ihrer Kindheit nochmal lesen. Sie könne beim Lesen nicht immer die Zähne zusammenbeißen und auch in Kinderbüchern sei nicht alles eitel Sonnenschein. Sie zählte einige Kinderbücher auf, in denen die Kinder auf sich alleine gestellt werden und einiges erreichten bzw. bewegten. (The Secret Garden, The Railway Children usw.) Solange es nicht Pollyana sei, diese rege sie sich richtig auf.
A L Kennedy beendete die Veranstaltung mit einem Appell:
Die Liebe sei das wichtigste und man solle unglaublich freundlich zu allen anderen sein. Wir Menschen könnten das. Es gehe nicht immer alles um Zorn und Ängste.
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