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Corinna Klimek am 24. Oktober 2013 17:43 [singlepic id=1632 w=320 h=240 float=left]Münchens erste Katzencafé, das Café Katzentempel, erwies sich als der ideale Schauplatz für die Lesung aus Commissaire Mazan und die Erben des Marquis. Zwar gäbe es von technischer Seite noch Optimierungsbedarf, aber der Raum, l-förmig mit dem Autorenehepaar im Winkel und daher von jedem Platz aus gut zu sehen, eignete sich gut für das Zusammentreffen von literarischem Kater und echten Katzen. Und obwohl der Raum proppevoll war, kam keiner der tierischen Bewohner zu Schaden. Außerdem gab es ein superleckeres vegetarisches Büffet, großes Kompliment an die Küche!
Dass hier die Katzen an erster Stelle stehen, wurde gleich zu Beginn deutlich: Nina George bat die Zuschauer, nicht zu klatschen, da dieses laute Geräusch die Katzen erschrecken könnte. Stattdessen sollten wir mit den Armen in der Luft wedeln. Und das taten wir ausgiebig an diesem Abend. In Anbetracht der tierischen Zuhörer hatten sich die beiden entschieden, mehr kätzische Teile aus dem Buch zu lesen und das ist wirklich sehr, sehr gut gelungen. Anfangs wurden die beiden Ermittler, die nach Mazan abgeschobene Polizistin Zadira Matéo und der herrenlose schwarze Kater, genannt Commisaire Mazan, vorgestellt. Später kamen noch ein attraktiver Tierarzt, ein sabbernder Hund, vier zwielichtige Gestalten, ein Mordopfer sowie jede Menge Katzenpersonal dazu. Nina George und Jo Kramer lasen hervorragend mit verteilten Rollen und führten den Text schon fast halbszenisch auf. Köstlich war Nina als Hund oder der Höhepunkt am Schluss (die Trapeznümmer – denken Sie sich jetzt einen französischen Akzent dazu), als zwei Autoren sechs verschiedene Katzen (die tierische Ermittlerbande oder auch KatzenNSA) lasen und diese sehr unterschiedlich ausgestalteten. So wurde an diesem Abend auch viel gelacht.
Zwischen den einzelnen Abschnitten, die klug gewählt waren und extreme Lust auf das Buch machten, erzählten die Autoren vom Schauplatz Mazan. Der Ort liegt im Schatten des Mont Ventoux, jedem Fahrradenthusiasten bestens bekannt von der alljährlichen Tour de France. Es gibt in der Innenstadt keine Autos, dafür aber jede Menge Katzen. Er hat einen Friedhof, auf dem eine große Anzahl von Merowinger-Sarkophagen zu bewundern sind, wenn man sie denn findet und nicht für die Friedhofsmauer hält. Marquis de Sade hatte eine Residenz dort und begründete hier das erste Theaterfestival Frankreichs. Außerdem hat Keira Knightley dort geheiratet, aber erst nachdem sich das Autorenduo dort die Inspiration für ihren ersten gemeinsamen Roman geholt hat.
Aus dem Publikum kamen nach dem sehr gelungenen Vortrag Fragen nach der Zusammenarbeit als Ehepaar, worauf die beiden eine typische Szene beim Schreiben vorführten. Sie hatten sich die Protagonisten aufgeteilt und waren jeder für die deren Detailausgestaltung zuständig. Jo Kramer, von Nina George auch liebevoll Katzenflüsterer genannt, übernehm dabei die Katzen. In den gelesenen Abschnitten konnte man feststellen, dass es ihm sehr gut gelungen ist, aus deren Sicht zu schreiben. Den Namen Bagnol haben sie sich vom Friedhof in Mazan geliehen und nicht von dem französchichen Wort für Klapperkiste, bagnole. Die Autoren haben noch Ideen für viele weitere Bände um das ungleiche Ermittlerduo und so kann man nur hoffen, dass es bald Nachschub gibt.
Eine sehr, sehr gelungene Lesung, die nicht nur den Roman, sondern auch die Menschen dahinter und den Entstehungsprozeß vorstellte. Danke Nina George und Jo Kramer für einen großartigen Abend!
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Corinna Klimek am 15. Oktober 2013 22:32 [singlepic id=1626 w=320 h=240 float=left]Ihr seid beide erfolgreiche Schriftsteller. Wie war die Zusammenarbeit?
N.G.: Aufregend. Sie war insofern aufregend, weil wir zusammen mehr Ideen hatten als alleine. In der Summe unserer Teile sind wir mehr als jeder allein. Andererseits, während normale Ehepaare sich ungefähr nur sieben Minuten am Tag unterhalten, mussten wir zusehen, dass wir mal sieben Minuten Ruhe hatten. Wir mussten unglaublich viel reden, was wer gerade schreibt, denkt, meint, plant…. Wir mussten uns ständig unterhalten. Das war sehr, sehr zeitaufwendig. Irgendwann haben wir zwei Zimmerwände mit Kapitelplänen, Figuren-Details und Plotideen tapeziert, um immer auf demselben Stand zu sein.
J.K.: Und wir haben gelernt, füreinander anstrengend zu sein – und sich trotzdem auszuhalten. Während man in einer normalen Zusammenarbeit sagen kann: „Ach komm, lass stecken, wir machen jetzt einfach weiter…” ist es bei diesem Buch so gewesen: Wir mussten jede Unstimmigkeit ausräumen, denn sonst hätte es nicht geklappt. Wir mussten uns genau aufeinander einstimmen. Wenn das nicht hundertprozentig hinhaute, dann klappte die ganze Geschichte nicht. Wir mussten alle Eitelkeiten und Ängste vergessen, und uns mutig alles sagen, was wir wollen, und was wir nicht wollen.
Hat es euch vorangebracht im Hinblick auf eure eigenen Bücher?
N.G.: Absolut. Es gibt nichts Unausgesprochenes mehr zwischen uns. Wir haben geübt, Kritik zu üben. Wo man früher aus Nettigkeit oder Konfliktscheu verschwiegen hat, dass man fand: Oh, da ist eine Länge drin. Oh, die Figur ist nicht überzeugend, die gehört gar nicht in diese Geschichte! – haben wir jetzt trainiert, absolut ehrlich zu urteilen, ohne kränkend zu sein. So können wir jetzt gegenseitig unsere eigenen Projekte neu und freier beurteilen – frei von falscher Rücksicht. Für meine eigene Arbeit hat mir das sehr viel gebracht: Ich habe zwar immer noch einen Hang zu Reflexion und Landschaftsbeschreibung ohne Ende, aber das spare ich mir jetzt zum Beispiel beim Lavendelzimmer-Nachfolger. Das hat mir die Arbeit mit Jens gebracht: die eigenen Schwächen zu minimieren. Und die Stärken zu erkennen.
J.K.: Stimmt: Wir haben sowohl die Schwächen als auch die Stärken des anderen kennengelernt. Wir waren ja zum Teil im gleichen Kopf. Dadurch konnte ich sehen, wie Nina mit Sprache, Stil, Dramaturgie und Metathemen arbeitet, und sie konnte einiges von mir abgucken; Dialoge, Ironie, kreatives Chaos. Ich bin davon überzeugt, dass unsere gemeinsame Arbeit uns beiden neue Tricks beigebracht hat.
Wie kam es zu dem Projekt?
J.K.: Manche Romane entstehen im Kopf. Sie sind geplant, durchdacht, mit Zeit und Strategie erarbeitet. Und ganz selten – und das sind oft auch die richtig tollen Romane –, da entsteht die Geschichte praktisch durch eine Offenbarung, wie eine Ohrfeige aus dem Nichts: Auf einmal sieht man eine Szene, denkt einen Schlüsselsatz, sieht eine Figur. Nur ein Augenblick, und man denkt: „Wow! Das ist es!“ In unserem Fall haben wir beide etwas wahrgenommen. Eine bestimmte Beobachtung. Und wir haben uns angeguckt und haben gewusst, wie im Kopf des anderen die gleiche Idee entstand. Das war gelinde gesagt: irre. Null Strategie, sondern eine Musenwatsche.
N.G.: Zuerst hatten wir sogar die Idee, einen Koch und einen Gourmet-Kater ermitteln zu lassen. Aber wir haben gemerkt, dass der Koch mich – weil ich die Figurenhoheit über ihn gehabt hätte – nicht genug reizt, nicht für eine Serie. Dann haben wir gemeinsam die halbalgerische Drogenfahnderin Zadira entwickelt, während Jo sich den Kater vornahm. Wir hatten die Idee am Abend des 6.7.2012 in Mazan, 442 Tage später hatten wir das Ding ausgeliefert auf dem Tisch. Und dazwischen waren wir in der Zone des Wahnsinns. Schreiben, planen, zweifeln, streiten, versöhnen, weiter schreiben.
J.K: Die erste Zeit, in der wir uns nur darüber unterhalten haben, was wir aus dieser Grundidee machen könnten, war die schönste. Weil wir da noch nicht arbeiten, sprich: schreiben, planen, abwägen, entscheiden mussten! Wir haben die Wochen, in denen wir nicht geschrieben sondern gemeinsam auf dieser Idee herumgekaut haben, wahnsinnig genossen. Das ist sowieso immer das Schönste am Schreiben – entweder noch nicht zu schreiben oder schon geschrieben zu haben. Das Dazwischen ist leider unglaublich unromantisch.
Wie war das, einen Kater zu schreiben?
J.K.: Ich habe mich erstaunlicherweise recht schnell in die Katerpersönlichkeit einfinden können. Sich in eine Figur hinein zu versetzen gehört zur serienmäßigen Aussattung eines Autoren. Mann, Frau, Kind, Killer, Käfer, Kater … Man beobachtet, man studiert die Verhaltensweisen und versucht, die Lücken des Nicht-Wissens – die wir natürlich haben; wir wissen nicht, wie eine Katze denkt –, diese Lücken des Nicht-Wissens zu füllen. Das gelang ganz gut, so dass ich die Hälfte wieder rausschmeißen musste, sonst wäre der Roman 600 Seiten lang geworden.
N.G.: Irgendwann war die Geschichte so überbevölkert mit den charmanten Weltherrschern, dass der Krimiplot sich schamhaft in eine Ecke drückte.
[singlepic id=1625 w=320 h=240 float=right]Hast du ein Anschauungsobjekt gehabt?
J.K.: In der letzten Phase hatten wir einen Besuchskater, Gigi, ein Britisches Kurzhaar, das nur fließend Wasser trinkt und lieber Plastikfalter als Kunstmäuse jagt.
Ich war mein halbes Leben Katzenbesitzer, in meinem Wohnhaus in Eimsbüttel gibt es etliche Katzen, die täglich bei mir hereinschauen. Katzelein, Schröder, Mikesch … also, Rohmaterial läuft genug in der Gegend herum (lacht). Jeder, der Katzen hat, weiß, dass Katzen eigene Charaktere haben. Das hat besonderen Spaß gemacht, diese unterschiedlichen Katzenpersönlichkeiten darzustellen. Den dicken Faulen Oscar. Die feinfühlige Louise, die ein bisschen eingebildet ist, weil sie lesen kann. Den zünftigen, aber herzensguten Revierschläger Rocky, der nicht mehr mitbekommt, wenn Katzendamen etwas Bestimmtes von ihm wollen. Es gibt diese Katzentypen überall, ich konnte sie so aus dem Erleben herausgreifen.
N.G.: Ich muss verraten, dass Jo ein Katzenflüsterer ist. Wenn wir in der Fremde sind – zuletzt in Oxford – und die Katzen zur Nacht heraus kommen: Innerhalb kürzester Zeit sind die bei ihm! Da kann ich noch so süß locken: (Nina flötet: ) „Ja, halloo, wer bist du denn, du bist ja ein süßes Mädchen…“ Die ignorieren mich und krabbeln gleich auf Jo herum. Wir können nicht einmal Nachts spazieren gehen, ohne dass ihm was Pelziges hinterher maunzt. Es scheint also, als ob sie in dir irgendeine kätzische Seelenverwandtschaft spüren.
J.K.: Wahrscheinlich war ich in meinem letzten Leben eine Katze.
N.G.: Wahrscheinlich. Katzen sind die besseren Menschen, aber du hast was angestellt und wurdest zum Mensch zurück „degradiert“. Und sicher warst du ein schmusiger Kater in Mazan – dieses Städtchen im Vaucluse war für uns das totale „Katzablanca“. Es besitzt eine mittelalterliche Innenstadt ohne Autos, in der nur Katzen herumlaufen! Wir haben an fünf Abenden so viele unterschiedliche Katzentypen kennengelernt. Die schüchterne Schwarzweiße, die nur im Schatten läuft, die lässige Gescheckte, die so lange auf dem Auto liegen bleibt, bis es los fährt, der freche Schwarze, der einem die Wurst vom Teller zieht. Da haben wir uns auch bedient für die literarische Katzenbande.
Wie seid ihr auf den Namen gekommen, Bagnol?
N.G.: Der stand in Mazan auf ganz vielen Grabsteinen – der Friedhof dort ist berühmt für seine neunundsechzig Merowinger-Sarkophage, für Fans der Bestattungskultur ein echtes Highlight. Zuerst sollte der ermittelnde Koch so heißen, aber dann haben wir uns entschieden, Jean Bagnol für unser Pseudonym zu verwenden.
Gibt es schon weitere Pläne für Jean Bagnol?
N.G.: Wir haben Ideen für weitere elf Folgen. Aber wir müssen erst noch absprechen, welche als nächstes verwirklicht werden soll.
Dann herzlichen Dank und viel Erfolg!
Die Bagnols: Vielen lieben Dank – merci und „mau“!
Jean Bagnol ist das Pseudonym des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jens “Jo” Kramer. Die Spiegel-Bestsellerautorin George und der Journalist, Pilot und Schriftsteller Kramer sind seit 2006 verheiratet, leben in Hamburg, schreiben unter insgesamt sieben Namen und Pseudonymen und veröffentlichten bisher insgesamt 29 Solowerke (Romane, Sachbücher, Thriller, historische Romane). George und Kramer wurden bisher dreimal – einzeln – für den DeLiA, den Preis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, nominiert; 2011 gewann George ihn mit dem Knaur-Roman “Die Mondspielerin”. “Commissaire Mazan und die Erben des Marquis” ist der erste gemeinsame Jean-Bagnol-Provencethriller des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jo Kramer. Sie wären beide gerne als Katzen auf die Welt gekommen, müssen sich aber damit begnügen, die Samtpfoten zu erforschen und erstmals über sie zu schreiben. Als Provence-Liebhaber und Spannungsautoren kam ihnen die erste Idee zu “Commissaire Mazan und die Erben des Marquis”, als sie im Château de Mazan im Vaucluse ihren zukünftigen Helden auf leisen Pfoten (und mit unwiderstehlicher Eleganz) eine Thunfischpastete stehlen sahen. Mehr über Jean Bagnol: www.jeanbagnol.com. Mehr über Jens “Jo” Kramer: www.jensjohanneskramer.de. Mehr über Nina George: www.ninageorge.de.
Fotos ©Angelika Scholz/Knaur
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Andreas M. Bräu am 15. Oktober 2013 21:08 [singlepic id=1622 w=320 h=240 float=left]Die Russen sind en vogue. Egal, ob im Musik- oder Sprechtheater, München ist sein geraumer Zeit regelmäßiger Reflektor der kanonisierten Hochkultur aus dem Land, wo Kaviar und Wodka fließt. Egal ob Bieitos Kirschgarten oder Godunow, die Karenina am Volkstheater, dem missglückten Platonow in den Kammerspielen oder der noch missglückteren Möwe des kleinen Stacheder-Schauspielensembles.
Gerade Tschechow, der große Bühnenarbeiter mit den gewitzten, leichten Dialogen und der unendlichen, schnapsseligen Melancholie glimmt, nicht nur im Tourneetheater, als Everburner auf kleiner Flamme. Die Kammerspiele brachten nun im April seinen späten Onkel Wanja heraus. Das Theater des Jahres mit dem Schriftsteller des letzten Jahrhunderts sozusagen.
Wir sehen dabei wenig. Szenischer wie ausstattungstechnischer Nihilismus: Alles spielt sich auf einer erhöhten Rampe ab, einem kleinen, schwarzen Guckkasten (Muriel Gerstner) mit zwei Auftritten und einer schwarzen Wand. Mehr ist nicht, bis auf ein fragliches Digitaltextband, dass vollkommen willkürliche Fragen über der Szene laufen lässt. Mehr eine Familienaufstellung wird hier durch Rampentheater präsentiert, spätestens wenn Jelena die Figuren nebeneinander in seltsamem Tanz an die Wand bannt. Alle vier Teile ohne Unterbrechung der Therapiesitzung.
Gespielt wird dagegen naturalistisch, wenngleich oft genug mit gewollter Outrage.
[singlepic id=1623 w=240 h=320 float=right]Allen voran die preisgekrönte Sonja von Anna Drexler. Ein nahezu autistisches, verkapptes, spätes Mädchen, das mit ihrer Hilflosigkeit rührt. Sie kämpft mit ihren Worten, frisst in sich hinein, bricht eruptiv aus und geht mit ihrer Hässlichkeit herzzerreißend um. Immer schwankt dabei die Figur zur Karikatur. Ebenso verfährt der köstlich phlegmatische Benny Claessens, einem Wanja halb TV-Sheldon, halb Großkind. Sarkastisch, bissig, verletzend und traurig in seiner aggressiven Hilflosigkeit. Daneben wenig Spannendes. Der x-te Mann in Frauenkleidern (handwerklich top: Hans Kremer). Wann legen die Kammerspiele diese olle Kamelle endlich ab? Neuerdings allerdings kommt das serielle Hyperweib zum Kanon des Standardpersonals der Kammerspiele dazu. Neobergmanns, Neugarbos mit Betonföhnung und Statuenauftritten. Neben Hobmeiers Satansgrazie nun Wiebke Puls als ätherische Jelena mit bestaunenswerter Ehrlichkeit um am Meisten Leben dieser leeren Hülsen, die Tschechow wieder und wieder kombiniert und (neu) gegeneinander führt. Heißen sie Mascha, Nina oder Sonja. Daneben wenig Erwähenswertes. Hinter dem Haarschopf fällt der Ökodoc von Simonischek jun. ab, der etwas hilflos über die leere Bühne torkelt und mit dem Chargenkonzept am Wenigsten zurechtkommt, während es Puls schafft auch bei diesen Tschechowpappen Zwischentöne und Tiefe herauszuklappen.
Denn auch diese haben die immer wieder aufgetauten Figuren, man muss sie nur aus den Textplattitüden und dem Minimalkonzept herausschälen: Lebenseinsatz für nichts, die immer gescheiterte, im Keim erstickte Liebe, die Lust am Unglück, die große Melancholie ohne Entrinnen, der Fluch der Familie…
[singlepic id=1624 w=320 h=240 float=left]Einen Regiecoup aber hatte das Regieduo Henkel/Simons dann doch noch: Die Sängerin von Münchens neuer Theaterlieblingsband Pollyester gibt atmosphärisches Domkosakenchanson und macht die Russendisco. Genial und fatal zugleich. Denn nur durch die wunderschön melancholischen Seufzer fühlen wir uns in der Datscha angekommen. Die Inszenierung distanziert sich fast schon vom Russenklischee, das Bieitos Kirschgarten noch massiv abfeiert. Die wunderbaren Sätze des Bühnenarbeiters funktionieren natürlich auch in Shangai, doch das immanent russische, das pathetisch Schwere transportiert sich lediglich im Pollyestersound.
Nach ihrem grandiosen Lola-Montez-Sound hofft München übrigens baldigst auf eine komplette Pollyestershow! Mooshammer- die Operette unter der Regie von Köpplinger am Gärtner vielleicht (Aushilfsspieltort Oberpollinger?) Oder das dritte und letzte Ludwigsmusical im Rohbau Deutsches Theater? Diese Band rockt!
Die Inszenierung allein weniger. Es bleiben große Momente der Darstellung, die wunderschöne Sprache und die leisen Soprantöne. Weder Bieito noch Simons konnten Tschechow neu übersetzen, ohne in die Folkore- oder Nihilismusfalle zu stürzen.
Im Publikum der besprochenen Vorstellung saß der gerühmte Kriegenburg als Zuschauer. Vielleicht sollte er zeitnah vom Parkett ans Regiepult für den Russen wechseln.
Regie: Karin Henkel / Johan Simons, Bühne: Muriel Gerstner, Kostüme: Klaus Bruns, Musik: Pollyester, Licht: Stephan Mariani, Dramaturgie: Julia Lochte
Mit: Stephan Bissmeier, Benny Claessens, Anna Drexler, Hans Kremer, Polina Lapkovskaja, Stefan Merki, Wiebke Puls, Max Simonischek
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Corinna Klimek am 9. Oktober 2013 23:52 [singlepic id=1618 w=320 h=240 float=left] Im weißen Rössl am Wolfgangsee, da steht das Glück der Tür – wer denkt da nicht an kitschige Operettenseligkeit mit Peter Alexander. Das es auch anders geht, zeigte das Staatstheater Nürnberg bei der Wiederaufnahme des Erfolgsstückes.
Leopold, Oberkellner im weißen Rössl, liebt seine Chefin, die Josepha Vogelhuber, aber die ist in einen Stammgast aus Berlin, einen Dr. Siedler, verschossen. Der wiederum verliebt sich auf den ersten Blick in Ottilie, die Tochter von Wilhelm Giesecke. Dieser grantelnde Berliner mag den Dr. Siedler ja gar nicht, vertritt er doch die Gegenseite in einem Patentstreit mit Papa Sülzheimer aus Sangershausen. Lange wähnt er seine Tochter auf eine Verlobung mit dem Sohn Sülzheimer zusteuernd, der aber ein Auge auf Klärchen, die Tochter des Privatgelehrten Hinzelmann geworfen hat. Um das Chaos komplett zu machen, steigt auch noch der Kaiser im Rössl ab, und er ist es, der Josepha den Schubs in die richtige Richtung gibt.
Die Bühne von Toto besteht aus zwei verschiedenen Elementen: ein sehr schön gerahmtes Gemälde vom Wolfgangsee, vor dem sich einige Szenen abspielen und dahinter ein Kubus, der vorne Wirtschaft und hinten Kuhstall ist, aber irgendwie sieht beides gleich aus. Und obendrauf wahlweise ein Berggipfel oder das ominöse Balkonzimmer. Dazu noch ein paar Fenster von oben, die je nach Bedarf nach unten gefahren werden können, fertig ist die Idylle am See. Dazu Kostüme, die durchaus als passend angesehen werden können, wenn man auf Tüllrüschen unterm Dirndl steht. Also beides weder zu realistisch noch zu entfremdet.
Thomas Enzingers Regie setzt auf viele kleine komische Elemente, ohne in den Klamauk abzurutschen. Da muss man schon genau hinsehen, um alles mitzubekommen. Wie die Postbotin die zweite Maß Bier auf ex trinkt zum Beispiel. Oder man dem wackligen Kaiser (sehr souverän Richard Kindley) vom Pferd helfen will und ihn dabei erst mal in Schieflage bringt. Überhaupt: das Pferd! Und die Kühe! Und die steppenden Schwimmer! Und überhaupt. Das sprüht geradezu vor guter Laune. Lediglich mit der Jodlerin und dem Hahn und ihrem überzogenen Gekreische konnte ich mich nicht anfreunden, aber das ist sicher eine Gewöhnungssache. Er lässt aber genauso die leisen Elemente zu, etwa wenn Josepha mit dem Kaiser spricht.
[singlepic id=1619 w=320 h=240 float=right]Das Staatstheater Nürnberg spielt eine Rekonstruktion der Originalfassung, die erst 2009 in Zagreb wieder aufgetaucht war. Da wechselt sich die Zither mit jazzigen Elementen ab, Slowfox, Walzer, Watschentanz beleben nicht nur die Bühne, sondern auch den Graben. Gábor Káli findet sich in diesem musikalischen Dschungel bestens zurecht und hält Orchester und Bühne immer schön in Einklang. Das ist bei dieser Revueoperette von Ralph Benatzky besonders wichtig, denn sie bezieht viel Komik aus dem exakten Timing. Der Chor zeigt sich spielfreudig und ist gut einstudiert von Tarmo Vaask.
Ein besonderer Coup gelungen ist dem Staatstheater bei der Verpflichtung von Volker Heißmann als Leopold. Der weit über die fränkischen Grenzen hinaus bekannte Kabarettist ist der Publikumsliebling dieser Vorstellung, kein Wunder, er singt nicht nur, sondern wirft auch noch immer wieder scheinbar mühelos tagesaktuelle Pointen in den Raum. Lediglich beim schönsten Liebeslied des Abends Es muss was wunderbares sein lässt er ein bisschen den Schmelz vermissen, den dieses Lied braucht, um authentisch zu sein. An seiner Seite spielt und singt Heike Susanne Daum die Josepha mit Bravour, sie zeigt die empfindliche Seite der resoluten Wirtin, dass es mich fast zu Tränen gerührt hat. Ein besonderes Highlight ist auch Uwe Schönbeck als Giesecke, der polternde Berliner hat das Herz auf dem rechten Fleck. Ein schönes Paar sind Martin Platz als Siedler und Isabel Blechschmidt als Ottilie, rührend schüchtern Monika Reinhard als Klärchen und passend galant-schlüpfrig Wolfgang Gratschmaier als Sigismund. Bis in die kleinste Nebenrolle wurde sehr genau auf den Typ geachtet und so zeigt sich ein homogenes Ganzes, das einen ganzen Abend voller Spaß verschafft. Am Ende verlässt man pfeifend oder summend das Opernhaus.
Musikalische Leitung Gábor Káli, Inszenierung Thomas Enzinger, Bühne und Kostüme Toto, Choreographie Markus Buehlmann, Chor Tarmo Vaask, Dramaturgie Sonja Westerbeck
Heike Susanne Daum (Josepha Vogelhuber, Wirtin zum “Weißen Rößl”), Volker Heißmann (Leopold Brandmeyer, Zahlkellner), Uwe Schönbeck (Wilhelm Giesecke, Fabrikant), Isabel Blechschmidt (Ottilie, seine Tochter), Martin Platz (Dr. Otto Siedler, Rechtsanwalt), Wolfgang Gratschmaier (Sigismund Sülzheimer), Richard Kindley (Kaiser Franz Joseph I), Erik Raskopf (Professor Dr. Hinzelmann), Monika Reinhard (Klärchen, seine Tochter), André Sultan-Sade (Piccolo Gustl), Stefanie Gröschel-Unterbäumer (Kathi), Andrea Jörg (Jodlerin), Tobias Link (Fremdenführer), Adolf Pivernetz (Bergführer)
Weitere Vorstellungen: Sonntag, 13.10.2013 19:00 Uhr • Samstag, 09.11.2013 19:30 Uhr • Montag, 11.11.2013 20:00 Uhr • Freitag, 06.12.2013 20:00 Uhr
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Corinna Klimek am 5. Oktober 2013 23:12 [singlepic id=1616 w=320 h=240 float=left]Das Anhaltische Theater Dessau überrascht immer wieder mit Inszenierungen, die man einfach gesehen haben muss. Auch wenn diese Norma etwas spartanisch daher kommt, hat sie doch eine intensive Ausdruckskraft, die man leider selten auf der Bühne findet.
Norma ist Hohepriesterin eines gallischen Kultes und hat eigentlich Keuschheit geschworen. Dennoch ist sie dem Prokonsul Pollione verfallen, der die römische Vorherrschaft durchsetzt und ihr Volk unterdrückt, sie hat sogar zwei Kinder mit ihm. Als ihr Volk auf einen Krieg gegen die Besatzer drängt, mahnt sie zur Ruhe. Pollione hat sich derweil eine Jüngere gesucht, Adalgisa, ebenfalls Priesterin, die von der vorhergegangenen Beziehung zwischen Norma und Pollione nichts wusste. Als sie davon erfährt, wendet sie sich von Pollione ab. Norma ist fassungslos und rächt sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie droht, die eigenen Kinder umzubringen, dann stachelt sie ihr Volk zum Aufstand gegen die Römer an. Sie nutzt ihre herausgehobene Stellung aus, um ihre privaten Rachegelüste zu befriedigen. Als Pollione als Menschenopfer dargebracht werden soll, schafft sie es nicht, ihm den Todesstoß zu versetzen. Sie bricht zusammen und gesteht ihrem Volk den Bruch ihres Keuschheitsgelübdes und den Verrat durch die Liebesbeziehung zum Feind. Das Volk wendet sich von ihr ab, Pollione erkennt doch noch seine Liebe zu ihr und sie gehen gemeinsam auf den Scheiterhaufen.
Norma ist wohl die die beste Belcanto-Oper, wird aber selten gespielt, weil sie so schwierig zu besetzen ist. Im Anhaltischen Staatstheater Dessau kam sie jetzt zur Eröffnung der 219. Spielzeit nach über 100 Jahren wieder auf die Bühne. Die Norma wird als klassizistisches Werk angesehen und die Edelheit und Schlichtheit sollen sich im Bühnenbild von Bernd Schneider widerspiegeln. Dieses besteht eigentlich nur aus drei Elementen: auf dem Boden herumliegende Stämme, die den Wald symbolisieren sollen. Ein ziemlich toter Wald, außerdem haben mich die Stämme im ersten Akt ziemlich genervt, weil die Akteure ständig drübersteigen mussten, das sah manchmal nicht sehr schön aus und hat auch eine große Unruhe hineingebracht. Allerdings ist ihre Verwandlung am Ende absolut fabelhaft und das hat mich wieder versöhnt. Dann der Mond, blutrot pulsierend hängt er über den Liebenden, die nicht sein dürfen, gelb-orange glühend feuert er die Kriegslust an. Die Bilder waren wirklich sehr schön, die der Mond gezaubert hat. Dann noch der Vorhang, mit vielen Durchgängen, mit dem konnte ich aber nicht wirklich was anfangen.
[singlepic id=1617 w=320 h=240 float=right]Die Kostüme bilden wage den Ansatz ab, die Handlung in die Vierziger Jahre des Zwanzigsten Jahrhunderts zu verlegen und damit die deutsche Besetzung von Frankreich anzudeuten. Sie sind nicht immer wirklich gelungen, die Norma sieht im ersten Akt aus wie eine Jahrmarktshellseherin und agiert auch so, die Römer stecken in schwarzen Ledermänteln, bei denen man aber dankenswerterweise auf irgendwelche aussagekräftige Symbole verzichtet hat.Hätte man mich zur Pause gefragt, wie es mir gefallen hat, wäre mein Urteil anders ausgefallen als am Ende. Der zweite Akt und hier ganz besonders der Schluß, das den Regieansatz von André Bücker, der sich mit dem Status von Müttern, die sich mit den Besatzern eingelassen haben, beschäftigt, besonders deutlich macht, lässt kleine Unzulänglichkeiten im ersten Akt vergessen. Das Ende ist ein so starkes Bild, dass das Publikum, das zuvor noch – nicht immer passend – ausgiebig klatschte, kollektiv den Atem anhielt und vor dem großen Beifallssturm noch ein, zwei Sekunden in Stille nachwirken lies.
Dem Anhaltischen Theater Dessau ist es gelungen, die sehr gute Sängerriege aus dem Ensemble heraus zu besetzen. Angelina Ruzzafante sang die schwere Partie der Norma fantastisch, ebenso wie Rita Kapfhammer, die die innere Zerrissenheit von Adalgisa auch noch hervorragend darstellte. Sung-Kyu Park erwies sich in der Partie des Pollione als echter Belcantotenor. Thomas Skambraks verlieh Orovese eine imposante Gestalt durch seine Stimme, mit der Darstellung der körperlichen Leiden von Normas Vater übertrieb er es am Schluss aber ein bisschen. Kristina Baran, Leszek Wypchlo, der von Helmut Sonne erneut hervorragend einstudierte Chor sowie die beiden kleinen Mädchen, die die Söhne Normas darstellten, ergänzten Hauptpartien sehr gut. Die Anhaltische Philharmonie unter Daniel Carlberg fand nach anfänglichen kleinen Schwierigkeiten zur gewohnten Höchstform und machte aus einem guten Abend einen besonderen Abend.
Anmerkung: Ich wurde von verschiedener Seite, manchmal freundlich, manchmal weniger freundlich, darauf hingewiesen, dass es sich bei Herrn Park nicht um einen Belcantotenor handelt. Das mag schon sein, ich bleibe dennoch bei meiner Meinung, dass er an diesem Abend eine tolle Leistung geboten hat.
Weitere Vorstellungen am 19.10., 31.10., 23.11., 25.12., 26.01., 14.02., 13.03., 23.03. und 18.04.14
Norma. Oper von Vincenzo Bellini
Musikalische Leitung Daniel Carlberg, Inszenierung André Bücker, Bühne Bernd Schneider, Kostüme Suse Tobisch, Chor Helmut Sonne, Dramaturgie Sophie Walz
Pollione, römischer Prokonsul in Gallien Sung-Kyu Park, Orovese, Haupt der Druiden Thomas Skambraks, Norma, seine Tochter, Oberpriesterin der Druiden Angelina Ruzzafante, Adalgisa,junge Priesterin Rita Kapfhammer, Clotilda, Vertraute Normas Kristina Baran, Flavio, Freund Polliones Leszek Wypchlo
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Corinna Klimek am 3. Oktober 2013 02:10 [singlepic id=1594 w=320 h=240 float=left]Das Gärtnerplatztheater eröffnete die neue Spielzeit mit dem Musical Der Mann von La Mancha in der Reithalle und feierte eine gelungene Premiere.
Als den größten Roman aller Zeiten bezeichnete Christoph Wagner-Trenkwitz die Geschichte um den Dichter Cervantes, der des Hochverrates angeklagt wird und sich im Gefängnis einer ganz eigenen Gerichtsverhandlung gegenübersieht. Seine Mitgefangenen, Diebe , Mörder, politisch Verfolgte, sitzen über ihn zu Gericht und zu seiner Verteidigung erzählt Cervantes die Geschichte vom Edelmann Alonso Quijana, der wiederum sich selbst in die Ritterrolle hineinträumt und als Don Quijote die Ebenen von La Mancha unsicher macht. In seiner Vorstellung wird aus einer Windmühle ein gefährlicher Riese, aus einer Spelunke eine Burg und aus einer Küchenmagd ein Edelfräulein. Nicht immer stößt er dabei auf Verständnis seiner Umwelt, aber seine Sichtweise ist ansteckend und am Ende träumen alle den unmöglichen Traum.
Miguel de Cervantes saß selbst mindestens dreimal im Gefängnis und auch er hat als Steuereintreiber gearbeitet, insofern dürfte in der Rahmenhandlung ziemlich viel Biographisches stecken. Außerdem war er auch noch Soldat und Pirat und ein eher erfolgloser Schriftsteller, der erste Teil von Don Quijote war zwar ein Kassenschlager, kassiert hat aber nur der Verleger. Selbst seinen Todestag muss er sich mit William Shakespeare teilen, sein Roman wirkt indes noch lange nach und hat Werke von Purcell, Telemann, Richard Strauss und verschiedene Zarzuelas beeinflusst. 1965 entstand das Musical von Dale Wasserman, der auch Einer flog über das Kuckucksnest für das Theater adaptierte. Ursprünglich sollte W. H. Auden die Liedtexte schreiben, aber er war zu sozialkritisch, deshalb wurde Joe Darion damit beauftragt. Es war ein riesiger Erfolg am Broadway und zählt noch heute zu den am längsten gespielten Stücken.
[singlepic id=1602 w=320 h=240 float=right]Premiere hatte das Musical in einem Theater, das eigentlich abgerissen werden sollte und dementsprechend schon teilweise demontiert war. So hatte das Theater keinen Vorhang mehr und genau das empfindet die Bühne von Thomas Stingl nach. Ein Podest zwischen zwei Tribünen stellt die Spielfläche dar und stellt die Mitwirkenden vor besondere Herausforderungen. Bis auf die Gefängniswärter sind ausnahmslos alle ständig – man spielt ziemlich genau zwei Stunden ohne Pause – auf oder neben der Bühne. Da kann man sich nicht mal eben die Nase putzen oder schnell einen Müsliriegel essen. Jeder steht ständig unter Beobachtung und es ist sehr schwierig, beim ersten Mal wirklich alle Aspekte zu erfassen. Regisseur Josef E. Köpplinger, der nach eigenem Bekunden als Kind Angst vor dem Stück hatte, versteht sich auf die Personenregie und schafft mit einfachen Mitteln Illusionen und setzt damit die Essenz des Romanes perfekt um. Das Konzept der zu zwei Seiten offenen Bühne ist sehr gut umgesetzt, natürlich wird einem schon mal der Rücken zugedreht aber generell merkt man doch die Bemühung, beide Tribünen gleichermaßen einzubeziehen. Die Vergewaltigungsszene war mir persönlich etwas zu explizit umgesetzt und insgesamt ist mir das Stück zu textlastig, auch wenn es natürlich so geschaffen wurde. Die Kostüme geben in der Rahmenhandlung eine Jetztzeit vor – aus dem Gefängnis wurde ein Auffanglager -, für die Zeit des Theaterstückes konnte ich aber keine Renaissancekostüme entdecken, das war eher so irgendwie historisch. Das tut aber der Aussage dieses Stückes keinen Abbruch, der philosophische Hintergrund wird trotzdem deutlich.
[singlepic id=1603 w=320 h=240 float=left]Die Sänger waren allesamt gut, für mich herausragend war Carin Filipčić, die ein unglaublich berührendes Portrait der Hure Aldonza zeichnete und auch stimmlich für mich die beste des Abends war. Peter Lesiak als Diener bzw Sancho und Erwin Windegger als Cervantes/Don Quijote ergänzten sich prächtig. Alle Rollen waren gut bis sehr gut mit teilweise bekannten Gesichtern wie zum Beispiel Maurice Klemm (Weißes Rössl/Anything goes) besetzt. Das Orchester des Staatstheaters am Gätnerplatz bewies mal wieder seine Vielseitigkeit und ließ unter Andreas Kowalewitz die zum größten Teil spanisch angehauchten Rhythmen strömen.
Weitere Vorstellungen bis 19. Oktober, Karten von 17€ biss 55€ an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Musikalische Leitung Andreas Kowalewitz, Regie und Licht Josef E. Köpplinger, Co-Regie Nicole Claudia Weber, Choreografie Hannes Muik, Bühne Thomas Stingl, Kostüme Bettina Breitenecker, Dramaturgie David Treffinger, Cervantes / Don Quijote Erwin Windegger, Diener / Sancho Peter Lesiak, Aldonza / Dulcinea Carin Filipčić, Gouverneur / Gastwirt Martin Hausberg, Padre Jesper Tydén, Herzog / Dr. Carrasco Frank Berg, Antonia Katja Reichert, Barbier / Juan, Maultiertreiber / Maure Maurice Klemm, Jose, Maultiertreiber / Maure Hannes Muik, Anselmo, Maultiertreiber / Maure Christoph Graf, Tenorio, Maultiertreiber / Maure Peter Neustifter, Paco, Maultiertreiber / Maure Alexander Moitzi, Pedro, Maultiertreiber / Maure Florian Peters, Haushälterin Snejinka Avramova, Maria, Frau des Gastwirts Marika Lichter, Fermina, Dienstmädchen Frances Lucey, Maurin Kenia Bernal Gonzàles, Hauptmann Peter Windhofer, Pferd / Maultiertreiber / Maure Pál Szepesi, Esel / Maultiertreiber / Maure Nicola Gravante, Gefängniswärter u.a. Statisterie, Orchester, Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
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Andreas M. Bräu am 23. September 2013 16:28 [singlepic id=1587 w=240 h=320 float=left]Die neue Spielzeit beginnt für den Autor mit Mozart. Etwas skeptisch nach den berstend langweiligen, semikonzertanten Rose/Dorn-Inszenierungen (Figaro/Cosi) und ihrem szenischen und unterhaltlichen Minimalismus verantwortet den Don Giovanni Stephan Kimmig und liefert einen, nun ja, Kontrapunkt.
Mit dem ersten Ouvertürenschlag steht da der nackte, alte Statist zitternd mitten im Containerbahnhof und erregt Mitleid. Dahinter walzen die schwerfälligen Container (Spediteurin war Katja Haß) über die Drehbühne. Das Bild ist klar und holzhammerartig. Hier wird verladen, verräumt, verramscht. Eine gute Idee für einen Bühnenvorhang, als Inszenierungsidee zu wenig. Denn die Bühne ist Regie, viel mehr fiel Kimmig nicht ein. Die Container springen wie in einem Puppenhäuschen der Hässlichkeit auf und offenbaren verschiedene geschmacklose Interieurs oder komplett zufällige Requisitenfetzen. Ebenso wurde die Besetzung anscheinend mit wahllosen Resten des Kostümfundus (Garderoberin: Anja Rabes) angezogen. In, auf und zwischen den Containern wird dann viel und oft wenig inszeniert gesungen. Dazwischen immer wieder der nackige Opi beim Briefe-Lecken, Windradpusten oder als seltsame Aerobic-Kür. Willkürliche Videoanimationen von einem Stadionbildschirm ergänzen das wirre Regie-Nicht-Konzept ebenso wie Diktatorenstaffage und blinde Kirchenkritik ganz am Ende. Zudem gehört ab diesem Abend der Satz: „Hast du die Pinguine gesehen?“ zu den Topfünf der Fragen, die man in der Oper nie hören möchte.
Mehr ist nicht. Ein kleiner Skandal mit den Schweinehälften als Friedhofsersatz und etwas Blut bei dem doch eigentlich ganz fröhlichen Drama um den Sexualsoziopathen auf seinen dreisten Raubzügen.
[singlepic id=1586 w=240 h=320 float=right]An den Figuren wurde allerdings gearbeitet. Nach seinem grandiosen Wozzeck überzeugt Simon Keenlyside auch hier in einer vielschichtigen, psychologischen Darstellung der Titelrolle. Sein Bariton ist dabei weder Stroboskop- noch Flutlicht, dafür eine warme Tiffanylampe, die über dem tristen Containerhaufen angenehm brennt. Kongenial daneben der biestige, spielfreudige Leporello von Kyle Ketelsen. Die verträumte Travellerin Elvira setzt die Glanzlichter dank Dorothea Röschmann ebenso wie die seltsam kindfraulich inszenierte, jedoch bravurös gestemmte Anna von Elza van den Heever. Süßes Highlight die sattelfeste Laura Tatulescu als Zerlina, die bald zum Publikumsliebling Münchens avancieren wird. Erwähnenswert weiterhin die starken Sidekicks Ottavio (brillant Bernard Richter) und ein Komtur von Goran Juric, dass sogar Leopold sich vor diesem Vater noch gefürchtet haben dürfte.
Man wünscht sich nach diesem Giovanni zwar die Dornlangeweile nicht zurück, doch fragt sich, ob Mozart im 21. Jahrhundert tatsächlich so schwierig zu inszenieren ist. Anscheinend ermüden und scheitern nur die Münchner im Vergleich zu einem Claus Guth. Die Überdrehtheit und Redundanz von da Ponte und Wolferls Schnörkel fordern nämlich ein gescheites Gegenprogramm, das der Autor in München leider noch nicht finden konnte. Dafür Pinguine.
Besucht wurde die Vorstellung am 22.09.2013
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Andreas M. Bräu am 2. September 2013 23:44 [singlepic id=1584 w=240 h=320 float=left]Salzburg, Mekka, Moloch und Musikhochburg im Sommer. Der Autor durfte dieses Jahr das erste Mal den Zauber der Mozartstadt zur Festspielzeit erleben, die dann nach Schickeria, Schilcher und Show duftet. Nur hier wird man vom Kellner mit breitestem Austrodialekt sicherheitshalber amal auf Englisch zum Badezimmer gewiesen, denn das internationale {russische} Klientel hat die Salzachstadt längst übernommen. Auf der Toilette im Peterskeller erleichtert sich dann der Theopil persönlich, als Wolferlkopie im Reberkostüm und Perücke, der ein Amadeusgaladinnerkonzert geben muss. Vor dem Festspielhaus dann große Parade: Wenn der Jedermann mit seinen jüngsten Krampussen und Perchten vorbeidefiliert ist, promenieren dafür die älteren Damen des Mönchsbergjetsets mit viel Farbe und noch mehr Brilli auf und ab; am Moetstandl vorbei und ein Hoch der geldigen Höherkultur. Das muss man mögen, ist ausgesprochen interessant und gehört zu gescheiten Festspielen, wie der Edeluhrenhauptsponsor. Dafür ist aber in Österreich auch die Netrebko samt Buben – und keine 18-jährige Barbusige – das Seite-1-Mädchen der Kronenzeitung…
Aber zur Musik, die genügend Anlass zur Pilgerfahrt ins Salzkammergut gibt. Nach den Verdihighlights und den szenischen Kontroversen gingen diese Festspiele konzertant und grandios zu Ende. Der große Lorin Maazel gab mit den Wiener Philharmonikern Wagner. Das „Siegfried-Idyll“ vor der Pause und dann hochkarätig besetzt den ersten Akt „Walküre“. Festspieltauglicher, froher Wagner sozusagen mit wenig Überlänge.
Maazel brilliert mit dem Idyll, indem er auswendig, mit wenig Bewegung, ökonomisch und inspiriert den Klassiker vorstellt und aufführt. Mit gedehnten Tempi, Sinn für Zeit und einem Gefühl für den romantischsten aller Wagner vollführt er „eine Lehrstunde im Akkordaufbau“ (O-Ton Pause) und lässt Wagners kompositorische Genialität durchs transparente Dirigat aufscheinen. Die Evergreens erlauben den Vergleich und die Philharmoniker und Maazel erzeugen einen Siegfriedzauber, der einen Quantensprung im Vergleich zur berühmten Solti-Aufnahme aus dem Jahr ’81 bedeutet. Das liegt neben Maazels könnerischer Größe an dem ausgezeichnet ausgewogenen Klang dieses – wohl tatsächlich weltbesten – Orchesters, das ohne der Gefahr einer reinen Streicherorgie zu erliegen das Idyll als arkadische Landschaft interpretiert. Genauso wenig tunken sie den Pinsel zu satt und zu dick in die Klangfarbe, erlauben keinen Obers-Kitsch, keinen Zuckerguss zur Wagnertorte. Und das in Salzburg! Bravourös!
[singlepic id=1585 w=240 h=320 float=right]Dann die große Liebesgeschichte und die Vorgeschichte zum freien Helden Siegfried. Maazel wirft uns gekonnt und von den brillanten Philharmonikern makellos durchgeführt in den Wirbelsturm des Vorspiels ohne einen Patzer bis in Hundings düstere Hütte. Dort warten Giganten. Eva-Maria Westbroek präsentiert Bayreuth gestählt eine sensationelle Sieglinde mit der besten Diktion des Abends. Seit dem Vorspiel in lyrischer Meditation versunken, erwacht diese (leider konzertant beschnittene) Sieglinde eruptiv, um liebend und sinnend zu glänzen. Großes Gesangskino in perfekter Rahmung. Ihr Gatte Matti Salminen als Hunding, der seinen Part mit düsterem Bass und vollem Klang dämonisch kühl gibt. Den Siegmund singt Peter Seiffert versiert, dosiert und mit Effektkenntnis. Der jüngst zum Kammersänger geadelte Heldenveteran kennt die Rolle in- und auswendig und seine große Erfahrung spiegelt sich in den wunderschönen Winterstürmen routiniert wieder. Für die Wälserufe indes ist die Stimme mittlerweile zu weit von Wolfes Kinderreigen entfernt, diese wirken gesteuert pointiert und im Vokalischen besonders auf den Letzteffekt hin produziert. Eine mitunter notwendige Hascherei des späten Sängers? Während er sich im großen Liebesdialog hervorragend im Griff hat, fehlt neben den erwartbaren Glanzlichtern ein wenig der runde Kraftklang, den der Siegmund voraussetzt. Diesen Sound liefern die Philharmoniker dagegen hervorragend, im Liebes- und Nibelungenreigen entspinnt sich ein dröhnender Klang- und Passionssturm durch das Festpielhaus, dass Amadé ein paar Straßen weiter auf seinem Sockel noch bebt und sich der Gnade seiner frühen Geburt bewusst wird. Alles endet schlussendlich mit dem einzig legitim komponierten (Pardon Monsieur Ravel) Orgasmus der Musikgeschichte mit dem irren Aktschluss und dem Salzburger Nachspiel. Erwachsene, lange Ovationen vor Würstelstandl und Absacker. Bis zum nächsten Mal!
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Corinna Klimek am 28. August 2013 21:20  Falstaff, Foto Bernd Schuller
Über die neue Produktion der Kammeroper München habe ich drüben bei mucbook geschrieben.
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Andreas M. Bräu am 25. August 2013 23:51  Beinarbeit
Natürlich will da nicht umsonst jeder hin. Die Musicaljünger von überall, um die besten Shows der Welt zu sehen, die dann oft abgespeckt eine Welttournee mit schwächeren Zwillingen antreten. Mehr noch will jeder Tänzer, Sänger, Musicalist und Künstler einmal am Broadway eine Show geben. Die wenigsten schaffen es und die meisten Theater sind und bleiben in amerikanischer Hand. Der Autor durfte nun seine erste Show im alteingesessenen Ambassador Theatre sehen und war gespannt wie skeptisch. Zu oft leidet für ihn das Musicalgenre an Blutleere, Taktsucht und Überperfektion, die wohl oft genug auch von überspielten Tourneen herrührt, bei denen die meist läppischen Stories zum Geht-nicht-mehr aufgekocht und Abend für Abend neu heruntergespult werden. Hunderte von Repertoirevorstellungen abzuspielen ist schließlich kein Zuckerschlecken. Und selten liefert dieses Genre außer drei Ohrwürmern und ein wenig Bühnenbudenzauber das, was die Oper bietet: Emotion via Musik mit Qualität.
Eine der Topshows der wichtigsten Amüsiermeile der Welt ist im Augenblick „Chicago“ – eine Revue und weniger Musical mit mehr Vaudeville denn Handlung und altmodischer, verjazzter Musik sowie dem Primat der Choreographie. Nach der beachtlichen Hollywoodglitzertorte des jüngeren Kinos wieder im Spotlight gibt der Broadway diese Show erneut und mit altbekannter Besetzung.
Das Ergebnis? Eine Schulstunde an Professionalität, Perfektion, Herzblut und der einen großen US-Gabe: Entertainment. Keine Rolle unterbesetzt, kein Tänzer nicht im Takt und die Solos alle dermaßen grandios, dass Premierengefühl aufkommt bei der lässig coolen und dabei frischen Performance – zum xten Mal perfekt sozusagen. All that Jazz eben.
 NY,NY,Broadway und Chicago
Die glatte und energische Amra-Faye Wright lebt wohl seit Jahren ihre Velma und liefert eine Tanzperformance voller unangestrengter Bravour, ohne eine Bewegung zu viel zu machen und routiniert das Publikum mit den gedehnten Beinen dirigierend. Gesanglich besser, tänzerisch etwas schwächer Amy Spanger als quirlige Roxie, die mit ihrer präsenten Energie durch die Decke geht. Diese beiden Ladies würdigen sich dabei auf der Bühne keines Blickes, harmonieren dafür in den Tanznummern auf die Sekunde. Hier sieht man einen Divenwettkampf, dessen Ausgang egal ist, solange sie dermaßen unterhalten.
Unprätentiöser doch geliebter Sidekick ist der Edna-Turnblad-erfahrene Wuchtling Paul C. Vogt, der bei „Mister Cellophane“ beweist, wie wenig auf der Bühne bei einer großen Begabung und gescheiter Regie für eine gute Nummer von Nöten ist. Alexander Gemignani gibt einen schleimig schiagelnden Billy und liefert mit der Marionettennummer die beste Stelle des Abends. Selbst die Minirollen wie die sensationelle Travestie von R. Lowe als kolotarierende YellowPressNymphe lassen die internationale Audience schreien und jubeln. Zu Recht und ansteckend. Alleiniger Aussetzer des Abends ist der Namedrop Wendy Williams, die als bekannte Radiomoderatorin ihre Vorschusslorbeeren verschießt und weder gesanglich noch spielerisch überzeugen kann. Aber auch so funktioniert der Broadway – she has the name!
Fazit?
Dieser Bombencast, eine sichtbare Bombenband, faktisch kein Bühnenbild, keine Handlung außer Jazz und Chicks und Crime und eine Bombencompany verzaubern zwei Stunden bis zum durchexerzierten Applaus das alte Artdeco-Theater und entführen mit ihrer Mitreißfähigkeit in eine ferne Welt nur bestehend aus Glamour, fliegenden Beinen, wackelnden Hüften und perfektem Entertainment voller Jazz – man sind die gut…
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