Am 20.3.2016 durfte ich als krönenden Messeabschluß mit der Bestsellerautorin Nina George ein Interview führen. Sie hat auf der Messe nicht nur ihren neuen Roman Das Traumbuch vorgestellt, sondern auch jede Menge Termine zu den Themen Urheberrecht und Internetpiraterie wahrgenommen. Am 19.3. fand eine fantastische Lesung aus ihrem neuen Roman statt. Damit Ihr Euch vorstellen könnt wie toll Nina liest, hat sie einen kleinen Absatz eingelesen, den ich unten anhänge.
Liebe Nina, herzlichen Dank, dass Du Dir am Ende einer sehr stressigen Messe Zeit genommen hast für ein Interview. Vor zwei Tagen ist Das Traumbuch erschienen. Es ist Dein dritter Roman nach Die Mondspielerin und Das Lavendelzimmer unter Nina George….
Nein.
Nein?
Nein, das ist nicht mein dritter Roman, sondern ich glaube mein siebter oder achter. Oder Neunter? Ich bin mir gar nicht sicher. Bei 26 Büchern…oder 27? Aber ich befürchte, es sind irgendwie schon mehr als drei Romane. Ich denke, es sind um die acht oder neun.
Nach dem Lavendelzimmer, das in 32 Sprachen übersetzt wurde, das acht Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times stand, war da der Druck sehr groß?
Der Druck war enorm, vor allen Dingen der, den ich mir innerlich gemacht habe. Ich wollte mindestens etwas schreiben, was genauso intensiv, persönlich und berührend war und auch große Themen beinhaltete. Und ich habe zuerst den Versuch gemacht ein anderes Buch zu schreiben, das wurde relativ schnell nachgefragt, von den Vertretern, vom Verlag, und ich dachte, ich krieg das hin, aber dann suchte und suchte ich die Geschichte, schrieb zweihundertfünfzig Seiten, und nochmal hundert Seiten und nochmal, und ich fand das Thema nicht und nicht den Sound. Ich habe das Buch, das direkt nach dem Lavendelzimmer folgen sollte (Anm. d.R.: Die Sternensucherin), abgebrochen, das wird es wahrscheinlich auch nicht geben.
Erst als ich sehr dicht am eigenen Ableben entlang schrammte, erst dann hatte ich wieder das Gefühl, auch wieder ein großes Thema gefunden zu haben. Das war keine Absicht, also man sollte es als Autorin auch nicht provozieren, dass sie die großen Themen nur findet, wenn es einem schlecht geht. Aber komischerweise hing das miteinander zusammen. Als ich dann wieder endlich eine Idee hatte, habe ich mich tatsächlich ein Jahr lang nur handschriftlich damit beschäftigt, wieder Ton und Geschichte zu finden. Mut zu sammeln, nach diesem großen Erfolg des Lavendelzimmers überhaupt wieder zu schreiben. Die ersten Sätze waren furchtbar. Ich habe sie angesehen und mir gedacht: „Aha, so schreibt also irgendwie eine Frau, die eine Bestsellerin ist, also nee, geht gar nicht, muss wieder weg und nochmal neu schreiben.“ Ich musste mich davon lösen, dass ich einen Erfolg gehabt habe und zu dem zurückkommen, was der Kern meiner Aufgabe ist: eine gute Geschichte zu schreiben. Ich musste alles wegschieben, jede Angst, jede Hoffnung, alles. Und das war tatsächlich ein harter Job, das dauerte über anderthalb Jahre.
Das Schreiben an sich ging dann aber sehr schnell?
Das stimmt, ich hatte sehr viel recherchiert, dann habe ich mich ein paar Monate lang eingeschrieben, aber das Kernschreiben war erneut schnell. Nicht so schnell wie beim Lavendelzimmer, wo es acht Wochen dauerte, diesmal habe ich, glaube ich zehn gebraucht. Also drei Monate einschreiben, ein Jahr recherchieren und dann ad hoc richtig zehn Wochen lang durchschreiben und dann noch ein bisschen Lektorat und so summiert sich dann die Zeit.
Stellst Du uns bitte Deine Protagonisten aus Das Traumbuch vor?
Wir haben vier Protagonisten, wobei ich aus drei Perspektiven jeweils in „Ich“ berichte. Das ist ein durchaus interessantes, komplexes Unterfangen. Die erste Perspektive ist Henri, ein ehemaliger Kriegsreporter, der genau in dem Moment, in dem er weiß, was er im Leben falsch gemacht hat, wo er gezögert hat, wo er sich nicht getraut hat, ein Wagnis eingegangen ist, überfahren wird. Er weiß endlich, was er alles falsch gemacht hat und wie er sein Leben leben muss, damit es seins ist, doch dann fällt er in ein Koma. In diesem Koma erzähle ich einerseits Empfindungen und Wahrnehmungen, die dieser Mann in der Nähe des Todes hat. Ich lasse ihn, ob es nun koma-induziert ist, ob es Halluzinationen, Träume oder Parallelrealitäten sind, immer wieder an Punkte seine Lebens kommen, an denen er sich falsch entschieden hat. Und ich lasse ihn anders entscheiden. Ich lasse ihn immer wieder erleben, was geworden wäre wenn er an einem bestimmten Punkt seines Lebens zum Beispiel nicht diese Frau verlassen, sondern mit ihr geschlafen oder ein Kind gezeugt oder kein Kind gezeugt hätte. Ich führe sozusagen anhand Henris Schicksal im Koma auf, welche Variationen unseres eigenen Lebens es gibt und wie klein und banal meistens die Entscheidungen sind, die zu einem völlig anderen Leben führen. Ich glaube persönlich daran, dass es immer nur die kleinen Momente im Leben sind, die entscheidend sind und selten die großen. Die anderen beiden Figuren sind Eddie, Edwinna heißt sie eigentlich, eine Verlegerin für Phantastik. Phantastik, nicht Fantasy, das ist sehr wichtig. Das ist sozusagen das Wunderbare, das dennoch wissenschaftlich fundiert ist. Dazu gehört Science Fiction, dazu gehören Quantenmechnaik, Jules Verne oder Parallelrealitäten, dazu gehört magischer Realismus. Sie ist eine Exfreundin von Henri, er hat sie verlassen, hat ihr aber zugemutet, dass sie im Falle eines Unfalles für ihn verantwortlich ist. Das heißt, sie ist jetzt zwischen zwei Männern, einem Mann im Koma und einem im Leben und muss sich entscheiden: will sie sich wirklich um diesen Mann kümmern, der sie verlassen hat und jetzt im Koma liegt oder nicht. Der Dritte im Bunde ist ein vierzehnjähriger Synästhetiker, ein Hochbegabter, er heißt Sam, Samuel und er hat nicht nur seine erste zarte Liebe, die er erlebt in diesem Buch, sondern er ist auch fähig aufgrund seiner Synästhesie, aufgrund seiner quasi Übersinnlichkeit, seiner hohen Sinneswahrnehmungen, seinen Vater, der im Koma liegt, auch noch dann zu spüren, wenn die Ärzte ihn schon aufgegeben haben. Diese drei Menschen ringen gemeinsam um Alles: um Familie, um Freundschaft, um Liebe, um Sich-selbst-Finden, um herauszufinden, welche Entscheidungen im Leben einen glücklich machen, ob das vielleicht auch die falschen sein können.
Und sie ringen gemeinsam um Person Nummer 4: Ein Mädchen, Madelyn, die in einem Psychokoma liegt, und sich weigert, in diese Welt hinein zu erwachen.
Dieses Buch ist tatsächlich nicht einfach zu erklären.
Du bist selbst Synästhetikerin, kannst Du erläutern, was das bedeutet?
Entwa sieben Prozent aller Menschen besitzen die Gabe der Synästhesie, sie haben sozusagen nochmal zwei, drei Sinne mehr und diese sind auch anders verdrahtet, sie vermischen sich bei jedem Sinnesreiz miteinander. Wenn ich Zahlen sehe, sehe ich auch gleichzeitig Farben. Für mich ist die Vier gelb, die Acht grün, die Fünf blau. Als wir vorhin ein Podium hatten, habe ich mal rumgefragt, ob es noch Synästhetiker gibt und von den hundert, hundertzwanzig Zuschauern waren drei, die sich gemeldet haben. Das entspricht tatsächlich dem Bundesdurchschnitt von Leuten, deren Sinneswahrnehmungen anders verdrahtet sind. Bei mir ist es noch so, dass ich Persönlichkeiten auch als Landschaften wahrnehme. Wenn ich in Räumen komme, habe ich das Gefühl, die Emotionen, die häufig in diesem Raum gelebt und ausgesprochen wurden, hängen noch in den Wänden. Ich fühle sozusagen traurige Räume oder einsame Häuser oder beschädigte, blutige Landschaften. Bei Sam ist es so, dass er Zahlen auch mit Farben sieht, dass er Musik geradezu körperlich spürt – etwa als Regen oder als milde Brise – und dass er in Menschen hineinsehen kann und an ihrer Stimme ablesen kann, ob sie zum Beispiel lügen (Lügen hören sich weiß an, Wahrheiten grün). Das Leben ist für ihn sehr intensiv und überfordernd. Er ist ein zauberhafter kleiner Kerl, weil er auch gleichzeitig mutig ist und im ganzen Buch über sich hinauswächst. Er wird vom Kind zum jungen Mann.
Du hast einen Sidekick, der ein bisschen Leichtigkeit reinbringen soll. Das ist ein (ebenfalls) Teenager. Wie schwierig war das für Dich?
Ganz leicht. Ich selbst bin mir selbst als Teenager noch sehr nahe. Der Sidekick heißt Scott, das ist der beste Freund von Samuel. Er ist ein Snob, er hat eine lose Zunge, er ist ebenfalls hochbegabt und wahnsinnig intelligent. Er versucht, jede Woche mit einem anderen Look die Girls zu begeistern. Er ist furchtbar reich und gleichzeitig beneidet er Sam um dessen Fähigkeit, das Leben wahrzunehmen. Scott macht immer wieder despektierliche Sprüche über alles Konventionelle. Er ist jemand, der dem Buch auch Leichtigkeit gibt, ich mochte ihn wirklich sehr, sehr gern. Gleichzeitig sind Teenager mir nah, weil ich innerlich immer noch ein Teenager bin. Teenager sind die Menschen, die wir alle, wenn wir älter sind, wieder sein wollen. Als Teenager haben wir schon bestimmte Prinzipen, bestimmte Lebensträume, bestimmte Gefühle und oft erlebe ich, dass Erwachsene, wenn sie dann später in Therapie gehen, versuchen, genau diese verschütteten Prinzipien, Gefühle und Träume ihrer Jugendzeit wieder zu entdecken. Manchmal möchte ich den Teenagern zurufen: Ihr wisst schon alles! Bleibt genauso, wie ihr jetzt seid, denn ihr wisst schon alles. Aber das ist eine recht unorthodoxe Herangehensweise an Teenager.
Jean Perdu hat Bücher empfohlen für alle Lebenslagen. Wem würdest Du Das Traumbuch empfehlen?
Ich würde es Menschen empfehlen, die sich fragen, was sie sich nicht zugetraut haben im Leben. Dieses Buch muss jeder lesen, der sich fragt: was ist noch offen in meinem Leben?
Demjenigen zu sagen, den ich begehre, dass ich ihn begehre. Wage ich es, meine Stimme zu erheben, wenn ich Widerstand leisten muss. Lebe ich mein Leben, traue ich mich das? Oder bleibe ich eingesperrt im kleinen Käfig der Konventionen und in meiner Angst.
Gibt es bei Dir noch etwas Offenes?
Nein, seit einigen Jahren tue ich genau das, was ich will. Ich frage mich jedes Mal, wenn ich in ein Flugzeug steige, ob noch etwas offen ist und ich etwas zu bedauern habe. Nein, ich habe alles gemacht, was ich machen wollte.
Nachtrag am 28. März: Ich würde sehr gerne Boule spielen lernen. In einem entspannten Club in Berlin, die unter Platanen spielen und dabei Rosé trinken. Bitte meldet Euch, wenn ihr einen kennt!
Du bist unglaublich engagiert für das Urheberrecht, Du bist Mitglied im Verwaltungsrat der VG Wort, Du bist Beirätin im PEN-Präsidium. Wie schaffst Du das?
Alles nach und nach und ich habe eine neue Kraftquelle für mich entdeckt, das Tangotanzen. Ich tanze etwas zwei Stunden pro Tag Tango im Berlin im Mala Junta. Die haben jeden Tag Kurse, ich tanze und dort vergesse ich alles. Dort bin ich auch nur ich. Da bin ich nur Nina. Die Menschen, die ich dort treffe, teilen mit mir die Leidenschaft für den Tango. Es ist die höchste Form von Entspannung und Meditation, danach bin ich tatsächlich wie aufgetankt. Manchmal denke ich mir, ich habe keine Kinder, ich bin gesund, und vielleicht ist das eine gute Arbeitsteilung: Andere haben Kinder und sorgen für den Fortbestand der Menschheit, sorgen dafür, dass wir vielleicht irgendwann in dreißig Jahren eine neue Kanzlerin kriegen oder sorgen für neue Ärztinnen oder Schriftstellerinnen oder für Nachwuchs der Front von Klimaschutzforschung. Mein Job ist es, mich für Autorinnenenrechte und Kultur einzusetzen. Ich finde das eine gute Arbeitsverteilung.
Du hast auf einer der Veranstaltungen auf der Messe einen sehr schönen Satz gesagt: Leser wirken an einer Geschichte mit, weil sie in ihrem Kopf entsteht. Kannst Du das noch ein bisschen erläutern?
Sehr gerne. ich glaube zum Beispiel nicht an „Mitmach-Bücher“, an Interaktivität während des Schreibens oder dass Leser befragt werden sollten: Wie soll meine Figur heißen, was sollte jetzt passieren? Das ist nicht ihr Job. Ihr Job ist es, am Ende dieses Kunstwerk erst in sich entstehen zu lassen. Buchstaben auf Papier sind gar nichts. das ist einfach nur eine Verschmutzung von Papier. Ein Buch entsteht in dem Moment, in dem es gelesen wird. Ohne Leser bin ich auch keine Schriftstellerin, bin ich auch nichts. Ich habe unfassbar viel Respekt vor der Leistung der Leser, weil dieses Werk, dieser Film, diese Gefühle, diese Landschaften erst in ihrem Kopf entstehen und zwar in jedem ganz anders. Meine Aufgabe ist es, ihnen das so gut wie möglich zu ermöglichen, indem ich Bilder schaffe, Assoziationen, indem ich psychologisch überzeugend bin, indem ich eine schöne Sprache benutze. Aber letztlich entsteht dieses Kunstwerk erst im Kopf des Lesers. das ist eine Haltung, die mir gut gefällt, denn sie macht mich auch frei in dem Sinne, dass ich mir gar keine Gedanken machen muss, ob und was ich schreiben muss um einem Leser zu gefallen. Er oder sie wird sowieso seinen oder ihren eigenen Film im Kopf erschaffen, unabhängig von mir. Ich finde das eine unglaublich großartige Kommunikation, weil der Leser und ich, wir zusammen erschaffen diese Kunst erst. Ich könnte das nicht ohne Leser und ein Leser nicht ohne mich. Wir sind eine Symbiose. Das das Verrückte. wenn man sich das einmal bewusst gemacht hat, vergisst man es nie wieder. Leserin und Autorin sind eine Symbiose – aber erst nachdem das Buch geschrieben wurde.
Das Lavendelzimmer soll verfilmt werden. Zerstört das dann nicht in einer gewissen Weise diese Symbiose?
Da bin ich relativ gelassen. Filmemacher sind Kunsthandwerker, die eine andere Kunst als ich beherrschen. Ich lasse in dem Moment mein Buch völlig los, weil ich es ja schon geschrieben habe, es gibt es, so wie es ist, ist es da. Wenn jemand einen Film daraus macht und es so umsetzt, wie er oder sie es versteht, da werde ich nicht reinquaken. Es ist auch nicht mehr meine Entscheidung, wie jemand diesen Film wahrnimmt. Ob er lieber seinen eigenen hat, wenn er das Buch liest oder ob er lieber den Film sieht. Es ist mir zwar nicht egal, aber ich kann es unfassbar gut loslassen, weil es alles eine eigene Kunstform ist. Wenn jemand sich von meinem Buch inspirieren lässt, eine Film daraus zu machen, bin ich dankbar und froh und lass ihn einfach machen.
Gibt es schon konkrete Pläne?
Eine Hollywoodfirma wird es verfilmen und ich denke, so in zwei, drei Jahren ist Drehbeginn und sie werden an Originalschauplätzen drehen. Aber der Vertrag ist noch nicht unterschrieben, also sind wir noch im Daumendrückmodus. Das Angebot ist da, es ist schon ziemlich konkret, aber noch ist die Tinte nicht trocken.
Wir drücken mit. Kannst Du schon etwas sagen über Dein nächstes Projekt?
Es wird wieder in Frankreich spielen, erst in Paris ein paar Kapitel lang und dann das ganze Buch fast ausschließlich in der Bretagne im Sommer. Die Hauptfigur wird diesmal eine Frau werden, nachdem mit Henri im Das Traumbuch ja wieder ein Mann im Mittelpunkt stand. Zwar auch noch ein Junge und eine weitere Frau, aber ich bin doch sehr froh, dass ich wieder zu einer Frau – übrigens in meinem Alter – als Protagonistin zurückkehren kann. Die in der Mitte ihres Lebens steht und sich fragt, ob sie die geworden ist, die sie hätte sein können. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, aber unter anderem wird die Bretagne vorkommen, versteinerte Geheimnisse und ein verdammt heißer, sehr heißer Sommer.
Findest Du es schwierig, aus der Perspektive eine Mannes zu schreiben?
Überhaupt nicht. Ich habe das große Glück oder auch das große Pech, Empathie an- und ausschalten zu können. Als Kind konnte ich das nicht, da war ich überflutet von Empfindungen und Mitgefühl, jetzt kann ich es bewusst Einschalten. Und auch Aushalten, indem ich einfach die Augen zu mache, die Brille abnehme, mit meinem Handy rumspiele oder wirklich einfach alles runterklappe oder -fahre und niemandem mehr sehe und auch nicht höre.
Wenn ich die Sinne aufmache, fällt es mir sehr leicht, Menschen nachzufühlen. Es ist dann auch völlig egal, ob es kleine oder große Menschen sind, Männer oder Frauen. Es fällt mir sehr leicht, aus der Perspektive eine Mannes zu schreiben, wobei ich aber dann auch männliche Erstleser, zum Beispiel meinen Mann, frage, ob ich psychologisch schlüssig diese männlich Persönlichkeit dargestellt habe. Das ist schon noch so ein bisschen mein Rettungsschirm. Gewisse Dinge, die ein Mann sieht und empfindet, kann ich nicht wissen, weil ich nun mal eine Frau bin. Männer sind anders sozialisiert, Männer verbinden zum Beispiel Sex niemals mit Gewalt oder Gefahr, Frauen immer. Frauen müssen immer fürchten, dass sie vergewaltigt werden könnten oder ungewollt schwanger. Männer verbinden zum Beispiel Sexualität ausschließlich mit Spaß oder vielleicht noch mit emotionaler Verpflichtung. Allein dieser Unterschied schon der Sozialisation hat einen ganz anderen Einfluss auf Psyche, Verhalten und Auftritt, vor allem was den Umgang mit dem anderen Geschlecht angeht. Das muss einem, wenn man aus der Perspektive des anderen genders schreibt, erst mal bewusst werden. Erst dann kann man eine Figur überzeugend schreiben, die einen anderen Chromosomenbausatz hat.
Du bist Teil des Autorenduos Jean Bagnol. Gibt es da auch bald einen dritten Band?
Wir schreiben gerade an Band Nummer Drei, der im Arbeitstitel heißen wird Commissaire Mazan und die Spur des Korsen. Wir waren gerade jeweils eine Woche in Marseille und der Provence und haben dort recherchiert. Es wird die Mafia dabei sein, es werden Trüffel dabei sein, es werden Polizeiskandale dabei sein und sämtliche bisherigen Mitwirkenden sind auch dabei. Wir haben schon die ersten Kapitel geschrieben und der Prolog ist der Hammer. Das wird ein Erdbeben und von dort aus steigern wir uns. Das wird der rasanteste Jean Bagnol, den wir je geschrieben haben.
Gibt es schon einen Erscheinungstermin?
Ich glaube, 2017 im April.
Herzlichen Dank für dieses Interview und noch eine schöne Restmesse.
Es ist ein goldener September kurz vor der Weinlese in Mazan, als die von Liebeswirren gestresste Mordermittlerin Zadira Matéo um Amtshilfe gebeten wird. Eine bizarre Pariser Mordserie scheint mit den verstörenden Bildern des gerade in die Provence übergesiedelten Malers Etienne Idka zusammenzuhängen. Commissaire Mazan, der Katzenermittler, könnte Zadira helfen. Denn er kennt den „blinden Engel“ an Idkas Seite, der das Geheimnis um die rätselhaften Bildermorde entschlüsseln kann.
Zum zweiten Mal gelingt es Nina George und Jo Kramer, einen sehr spannenden Krimi zu schreiben, der teilweise aus Katzensicht erzählt wird und trotzdem nicht künstlich oder aufgesetzt wirkt. Im Gegenteil, sowohl die menschlichen als auch die tierischen Protagonisten sind für mich so lebendig, dass ich am Liebsten immer weiter gelesen hätte, um weiter an ihrem Leben teilzuhaben. Ich kann diesen Roman deshalb nicht nur Katzenliebhabern, sondern allen Krimifans empfehlen.
Wieder zeichnen die Beiden ein so mehrdimensionales Bild der Provence, der Landschaft und ihren Bewohnern, dass der Leser sich als Bewohner dieses kleinen Ortes fühlt, in dem unter der bürgerlichen Oberfläche die Abgründe einer Gesellschaft lauern, die rücksichtslos ihre Gier nach immer mehr Genuß auslebt.
Gleichzeitig kommt aber auch eine neue Note in das Duftpotpourri des Romans: diesmal geschehen Morde in Paris und Zadira wird von einem dortigen Ermittler, der ihr privat besser gefällt als dienstlich, um Amtshilfe gebeten. Pariser sind weder bei den Marseillesen noch bei den Provenzalen besonders beliebt und so gestaltet sich die Zusammenarbeit schwierig. Als dann aber ein dritter Mord in der Provence geschieht, ist es Zadira, die näher am Fall und an den Menschen ist. Dabei verzichten die Autoren auf blutige Szenen und setzen eher auf das hervorragend funktionierende Kopfkino. Bei aller Spannung gibt es aber auch immer wieder Szenen, die mich laut auflachen ließen, zum Beispiel wenn Tin-Tin sich totstellt und keiner seiner Katzenkumpels es ernst nimmt.
Besonders gefallen hat mir, dass Lucien Brell hier einen eigenen Fall zu lösen hat, er ist sicher die liebenswerteste Nebenfigur, außer der Katzengang natürlich. Die hat hier einen eigenen Fall zu lösen, Manon ist verschwunden und schwebt in Lebensgefahr.
Einfühlsam und für jeden Katzenbesitzer absolut nachvollziehbar sind die Teile aus der Sicht von Commissaire Mazan erzählt, der sich, genau wie sein menschliches Gegenstück Zadira, in diesem Roman weiterentwickelt, über sich selbst lernt und den Leser so in seinen Bann zieht, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht.
Hier geht es zur Leseprobe, hier zu einem Interview, das ich mit den Autoren zum Erscheinen des ersten Bandes geführt habe, und hier zu einem Lesungsbericht.
[singlepic id=1626 w=320 h=240 float=right]Jean Bagnol ist das Pseudonym des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jens “Jo” Kramer.
Die Spiegel-Bestsellerautorin George und der Journalist, Pilot und Schriftsteller Kramer sind seit 2006 verheiratet, leben in Hamburg, schreiben unter insgesamt sieben Namen und Pseudonymen und veröffentlichten bisher insgesamt 29 Solowerke (Romane, Sachbücher, Thriller, historische Romane). George und Kramer wurden bisher dreimal – einzeln – für den DeLiA, den Preis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, nominiert; 2011 gewann George ihn mit dem Knaur-Roman “Die Mondspielerin”. Mehr über Jean Bagnol Mehr über Jens “Jo” Kramer Mehr über Nina George
[singlepic id=1626 w=320 h=240 float=right]Es ist ein goldener September kurz vor der Weinlese in Mazan, als die von Liebeswirren gestresste Mordermittlerin Zadira Matéo um Amtshilfe gebeten wird. Eine bizarre Pariser Mordserie scheint mit den verstörenden Bildern des gerade in die Provence übergesiedelten Malers Etienne Idka zusammenzuhängen. Commissaire Mazan, der Katzenermittler, könnte Zadira helfen. Denn er kennt den „blinden Engel“ an Idkas Seite, der das Geheimnis um die rätselhaften Bildermorde entschlüsseln kann.
Hier geht es zur Leseprobe, hier zu einem Interview, das ich mit den Autoren zum Erscheinen des ersten Bandes geführt habe, und hier zu einem Lesungsbericht.
Jean Bagnol ist das Pseudonym des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jens “Jo” Kramer. Die Spiegel-Bestsellerautorin George und der Journalist, Pilot und Schriftsteller Kramer sind seit 2006 verheiratet, leben in Hamburg, schreiben unter insgesamt sieben Namen und Pseudonymen und veröffentlichten bisher insgesamt 29 Solowerke (Romane, Sachbücher, Thriller, historische Romane). George und Kramer wurden bisher dreimal – einzeln – für den DeLiA, den Preis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, nominiert; 2011 gewann George ihn mit dem Knaur-Roman “Die Mondspielerin”. Mehr über Jean Bagnol Mehr über Jens “Jo” Kramer Mehr über Nina George
Das Schlimme an der Criminale ist, dass man sich eigentlich vierteilen müsste, weil es so viele interessante Termine gibt. Das Wunderbare an der Criminale ist, dass man sich eigentlich vierteilen müsste, weil es so viele interessante Termine gibt.
Erste Anlaufstelle war das Galeriehaus Nord in Nürnberg, wo es an diesem Nachmittag um Kaffee, Kunst und Korruption gehen sollte. Für den Kaffee war es allerdings zu heiß, blieben Kunst und Korruption. Das erste war nicht nur in den Büchern, aus denen gelesen wurde, präsent, sondern auch an den Wänden: zur Zeit läuft im Galeriehaus Nord die Ausstellung Nachtabsenkung mit Bildern von Mathias Otto. Die Bilder passten hervorragend zu den Krimis, zeigten sie doch die dunkle Seite der Welt.
Als erstes las Eva Ehley aus ihrem vierten Sylt-Krimi Mörder weinen, in dem es um die Ermordung eines Galeristen geht. In Kurschattenerbe versetzte Sigrid Neureiter das Publikum nach Meran und weckte die Neugier auf Oswald von Wolkenstein. Ihre Hobbydetektivin Jenny Sommer macht sich auf die Suche nach einem verschwundenen Professor.
Als Letzter las schliesslich Bernhard Aichner, der mich ja gestern schon mit seiner Kurzgeschichte Dürers Hase begeistert hat. Bemerkenswert ist, dass bereits in seinem 2006 erschienenen Roman Nur Blau, der von der Obsession eines Mannes mit Bildern von Yves Klein handelt, seine einzigartige Erzählstimme erkennbar ist, die seinen neuesten Roman Totenfrau so genial macht.
Im Thalia-Buchhaus CAMPE in der Nürnberger Fußgängerzone las am frühen Abend Elisabeth Herrmann aus ihrem Bestseller Versunkene Gräber. Ich hatte ja schon in Leipzig daraus eine Lesung gehört, aber sie las noch mal andere Textstellen, so dass die Stunde eigentlich viel zu kurz für diesen spannenden Roman war.
Zum Abschluß ging es dann noch nach Fürth, wo im Bühlers ebenfalls Kunst und Literatur verlinkt wurden. Die Räume der Galeristin und Sammlerin Sabine Pillenstein bildeten einen fantastischen Rahmen für einen gelungenen Abend. Dort sind zur Zeit die Bilder von Katrin Heichel, einer Meisterschülerin von Neo Rauch, in einer Ausstellung unter dem Titel Die Nacht zu sehen. Es gab nicht nur Literatur und Kunst, sondern auch Häppchen, Wein und die Möglichkeit, mit allen an diesem Abend in Fürth lesenden Autoren ins Gespräch zu kommen, ein wirklich gelungener Abend.
Den Auftakt bildete Ingrid Schmitz mit ihrem vierten Kriminalroman Liebeskiller. Dieser ist gerade erst erschienen, so dass es sich bei der Lesung sogar um die Buchpremiere handelte. Leider war es ein bisschen schwierig, die einzelnen Stimmen auseinanderzuhalten, aber der Anfang klang schon mal spannend. Wolfgang Polifka stellte seinen Roman Die Rosenberg-Pergamente vor, der in Kronach spielt. Die Autoren stellten sich jeweils gegenseitig vor und seine einleitenden Worte für das Autorenehepaar Jean Bagnol waren wirklich der Kracher.
Hinter Jean Bagnol verbergen sich Nina George und Jo Kramer, die auch mit ihren Soloprojekten erfolgreich sind. Sie lasen aus der Anthologie Auf leisen Sohlen kommt der Tod ihre Kurzgeschichte Der Heiratsschwindler. Mit verteilten Rollen, unglaublich witzig und charmant, machten sie Lust auf diese Geschichte und auf ihren Roman Commissaire Mazan und die Erben des Marquis. Sicherlich einer der Höhepunkte dieser Criminale.
Der Tag, angefüllt mit neuen Eindrücken und Anregungen für mindestens ein halbes Jahr Lesestoff, klang noch an der Criminalebar aus, wo das Publikum Gelegenheit hat, mit den Autoren ins Gespräch zu kommen.
[singlepic id=1632 w=320 h=240 float=left]Münchens erste Katzencafé, das Café Katzentempel, erwies sich als der ideale Schauplatz für die Lesung aus Commissaire Mazan und die Erben des Marquis. Zwar gäbe es von technischer Seite noch Optimierungsbedarf, aber der Raum, l-förmig mit dem Autorenehepaar im Winkel und daher von jedem Platz aus gut zu sehen, eignete sich gut für das Zusammentreffen von literarischem Kater und echten Katzen. Und obwohl der Raum proppevoll war, kam keiner der tierischen Bewohner zu Schaden. Außerdem gab es ein superleckeres vegetarisches Büffet, großes Kompliment an die Küche!
Dass hier die Katzen an erster Stelle stehen, wurde gleich zu Beginn deutlich: Nina George bat die Zuschauer, nicht zu klatschen, da dieses laute Geräusch die Katzen erschrecken könnte. Stattdessen sollten wir mit den Armen in der Luft wedeln. Und das taten wir ausgiebig an diesem Abend. In Anbetracht der tierischen Zuhörer hatten sich die beiden entschieden, mehr kätzische Teile aus dem Buch zu lesen und das ist wirklich sehr, sehr gut gelungen. Anfangs wurden die beiden Ermittler, die nach Mazan abgeschobene Polizistin Zadira Matéo und der herrenlose schwarze Kater, genannt Commisaire Mazan, vorgestellt. Später kamen noch ein attraktiver Tierarzt, ein sabbernder Hund, vier zwielichtige Gestalten, ein Mordopfer sowie jede Menge Katzenpersonal dazu. Nina George und Jo Kramer lasen hervorragend mit verteilten Rollen und führten den Text schon fast halbszenisch auf. Köstlich war Nina als Hund oder der Höhepunkt am Schluss (die Trapeznümmer – denken Sie sich jetzt einen französischen Akzent dazu), als zwei Autoren sechs verschiedene Katzen (die tierische Ermittlerbande oder auch KatzenNSA) lasen und diese sehr unterschiedlich ausgestalteten. So wurde an diesem Abend auch viel gelacht.
Zwischen den einzelnen Abschnitten, die klug gewählt waren und extreme Lust auf das Buch machten, erzählten die Autoren vom Schauplatz Mazan. Der Ort liegt im Schatten des Mont Ventoux, jedem Fahrradenthusiasten bestens bekannt von der alljährlichen Tour de France. Es gibt in der Innenstadt keine Autos, dafür aber jede Menge Katzen. Er hat einen Friedhof, auf dem eine große Anzahl von Merowinger-Sarkophagen zu bewundern sind, wenn man sie denn findet und nicht für die Friedhofsmauer hält. Marquis de Sade hatte eine Residenz dort und begründete hier das erste Theaterfestival Frankreichs. Außerdem hat Keira Knightley dort geheiratet, aber erst nachdem sich das Autorenduo dort die Inspiration für ihren ersten gemeinsamen Roman geholt hat.
Aus dem Publikum kamen nach dem sehr gelungenen Vortrag Fragen nach der Zusammenarbeit als Ehepaar, worauf die beiden eine typische Szene beim Schreiben vorführten. Sie hatten sich die Protagonisten aufgeteilt und waren jeder für die deren Detailausgestaltung zuständig. Jo Kramer, von Nina George auch liebevoll Katzenflüsterer genannt, übernehm dabei die Katzen. In den gelesenen Abschnitten konnte man feststellen, dass es ihm sehr gut gelungen ist, aus deren Sicht zu schreiben. Den Namen Bagnol haben sie sich vom Friedhof in Mazan geliehen und nicht von dem französchichen Wort für Klapperkiste, bagnole. Die Autoren haben noch Ideen für viele weitere Bände um das ungleiche Ermittlerduo und so kann man nur hoffen, dass es bald Nachschub gibt.
Eine sehr, sehr gelungene Lesung, die nicht nur den Roman, sondern auch die Menschen dahinter und den Entstehungsprozeß vorstellte. Danke Nina George und Jo Kramer für einen großartigen Abend!
[singlepic id=1626 w=320 h=240 float=left]Ihr seid beide erfolgreiche Schriftsteller. Wie war die Zusammenarbeit?
N.G.: Aufregend. Sie war insofern aufregend, weil wir zusammen mehr Ideen hatten als alleine. In der Summe unserer Teile sind wir mehr als jeder allein. Andererseits, während normale Ehepaare sich ungefähr nur sieben Minuten am Tag unterhalten, mussten wir zusehen, dass wir mal sieben Minuten Ruhe hatten. Wir mussten unglaublich viel reden, was wer gerade schreibt, denkt, meint, plant…. Wir mussten uns ständig unterhalten. Das war sehr, sehr zeitaufwendig. Irgendwann haben wir zwei Zimmerwände mit Kapitelplänen, Figuren-Details und Plotideen tapeziert, um immer auf demselben Stand zu sein.
J.K.: Und wir haben gelernt, füreinander anstrengend zu sein – und sich trotzdem auszuhalten. Während man in einer normalen Zusammenarbeit sagen kann: „Ach komm, lass stecken, wir machen jetzt einfach weiter…” ist es bei diesem Buch so gewesen: Wir mussten jede Unstimmigkeit ausräumen, denn sonst hätte es nicht geklappt. Wir mussten uns genau aufeinander einstimmen. Wenn das nicht hundertprozentig hinhaute, dann klappte die ganze Geschichte nicht. Wir mussten alle Eitelkeiten und Ängste vergessen, und uns mutig alles sagen, was wir wollen, und was wir nicht wollen.
Hat es euch vorangebracht im Hinblick auf eure eigenen Bücher?
N.G.: Absolut. Es gibt nichts Unausgesprochenes mehr zwischen uns. Wir haben geübt, Kritik zu üben. Wo man früher aus Nettigkeit oder Konfliktscheu verschwiegen hat, dass man fand: Oh, da ist eine Länge drin. Oh, die Figur ist nicht überzeugend, die gehört gar nicht in diese Geschichte! – haben wir jetzt trainiert, absolut ehrlich zu urteilen, ohne kränkend zu sein. So können wir jetzt gegenseitig unsere eigenen Projekte neu und freier beurteilen – frei von falscher Rücksicht. Für meine eigene Arbeit hat mir das sehr viel gebracht: Ich habe zwar immer noch einen Hang zu Reflexion und Landschaftsbeschreibung ohne Ende, aber das spare ich mir jetzt zum Beispiel beim Lavendelzimmer-Nachfolger. Das hat mir die Arbeit mit Jens gebracht: die eigenen Schwächen zu minimieren. Und die Stärken zu erkennen.
J.K.: Stimmt: Wir haben sowohl die Schwächen als auch die Stärken des anderen kennengelernt. Wir waren ja zum Teil im gleichen Kopf. Dadurch konnte ich sehen, wie Nina mit Sprache, Stil, Dramaturgie und Metathemen arbeitet, und sie konnte einiges von mir abgucken; Dialoge, Ironie, kreatives Chaos. Ich bin davon überzeugt, dass unsere gemeinsame Arbeit uns beiden neue Tricks beigebracht hat.
Wie kam es zu dem Projekt?
J.K.: Manche Romane entstehen im Kopf. Sie sind geplant, durchdacht, mit Zeit und Strategie erarbeitet. Und ganz selten – und das sind oft auch die richtig tollen Romane –, da entsteht die Geschichte praktisch durch eine Offenbarung, wie eine Ohrfeige aus dem Nichts: Auf einmal sieht man eine Szene, denkt einen Schlüsselsatz, sieht eine Figur. Nur ein Augenblick, und man denkt: „Wow! Das ist es!“ In unserem Fall haben wir beide etwas wahrgenommen. Eine bestimmte Beobachtung. Und wir haben uns angeguckt und haben gewusst, wie im Kopf des anderen die gleiche Idee entstand. Das war gelinde gesagt: irre. Null Strategie, sondern eine Musenwatsche.
N.G.: Zuerst hatten wir sogar die Idee, einen Koch und einen Gourmet-Kater ermitteln zu lassen. Aber wir haben gemerkt, dass der Koch mich – weil ich die Figurenhoheit über ihn gehabt hätte – nicht genug reizt, nicht für eine Serie. Dann haben wir gemeinsam die halbalgerische Drogenfahnderin Zadira entwickelt, während Jo sich den Kater vornahm. Wir hatten die Idee am Abend des 6.7.2012 in Mazan, 442 Tage später hatten wir das Ding ausgeliefert auf dem Tisch. Und dazwischen waren wir in der Zone des Wahnsinns. Schreiben, planen, zweifeln, streiten, versöhnen, weiter schreiben.
J.K: Die erste Zeit, in der wir uns nur darüber unterhalten haben, was wir aus dieser Grundidee machen könnten, war die schönste. Weil wir da noch nicht arbeiten, sprich: schreiben, planen, abwägen, entscheiden mussten! Wir haben die Wochen, in denen wir nicht geschrieben sondern gemeinsam auf dieser Idee herumgekaut haben, wahnsinnig genossen. Das ist sowieso immer das Schönste am Schreiben – entweder noch nicht zu schreiben oder schon geschrieben zu haben. Das Dazwischen ist leider unglaublich unromantisch.
Wie war das, einen Kater zu schreiben?
J.K.: Ich habe mich erstaunlicherweise recht schnell in die Katerpersönlichkeit einfinden können. Sich in eine Figur hinein zu versetzen gehört zur serienmäßigen Aussattung eines Autoren. Mann, Frau, Kind, Killer, Käfer, Kater … Man beobachtet, man studiert die Verhaltensweisen und versucht, die Lücken des Nicht-Wissens – die wir natürlich haben; wir wissen nicht, wie eine Katze denkt –, diese Lücken des Nicht-Wissens zu füllen. Das gelang ganz gut, so dass ich die Hälfte wieder rausschmeißen musste, sonst wäre der Roman 600 Seiten lang geworden.
N.G.: Irgendwann war die Geschichte so überbevölkert mit den charmanten Weltherrschern, dass der Krimiplot sich schamhaft in eine Ecke drückte.
[singlepic id=1625 w=320 h=240 float=right]Hast du ein Anschauungsobjekt gehabt?
J.K.: In der letzten Phase hatten wir einen Besuchskater, Gigi, ein Britisches Kurzhaar, das nur fließend Wasser trinkt und lieber Plastikfalter als Kunstmäuse jagt.
Ich war mein halbes Leben Katzenbesitzer, in meinem Wohnhaus in Eimsbüttel gibt es etliche Katzen, die täglich bei mir hereinschauen. Katzelein, Schröder, Mikesch … also, Rohmaterial läuft genug in der Gegend herum (lacht). Jeder, der Katzen hat, weiß, dass Katzen eigene Charaktere haben. Das hat besonderen Spaß gemacht, diese unterschiedlichen Katzenpersönlichkeiten darzustellen. Den dicken Faulen Oscar. Die feinfühlige Louise, die ein bisschen eingebildet ist, weil sie lesen kann. Den zünftigen, aber herzensguten Revierschläger Rocky, der nicht mehr mitbekommt, wenn Katzendamen etwas Bestimmtes von ihm wollen. Es gibt diese Katzentypen überall, ich konnte sie so aus dem Erleben herausgreifen.
N.G.: Ich muss verraten, dass Jo ein Katzenflüsterer ist. Wenn wir in der Fremde sind – zuletzt in Oxford – und die Katzen zur Nacht heraus kommen: Innerhalb kürzester Zeit sind die bei ihm! Da kann ich noch so süß locken: (Nina flötet: ) „Ja, halloo, wer bist du denn, du bist ja ein süßes Mädchen…“ Die ignorieren mich und krabbeln gleich auf Jo herum. Wir können nicht einmal Nachts spazieren gehen, ohne dass ihm was Pelziges hinterher maunzt. Es scheint also, als ob sie in dir irgendeine kätzische Seelenverwandtschaft spüren.
J.K.: Wahrscheinlich war ich in meinem letzten Leben eine Katze.
N.G.: Wahrscheinlich. Katzen sind die besseren Menschen, aber du hast was angestellt und wurdest zum Mensch zurück „degradiert“. Und sicher warst du ein schmusiger Kater in Mazan – dieses Städtchen im Vaucluse war für uns das totale „Katzablanca“. Es besitzt eine mittelalterliche Innenstadt ohne Autos, in der nur Katzen herumlaufen! Wir haben an fünf Abenden so viele unterschiedliche Katzentypen kennengelernt. Die schüchterne Schwarzweiße, die nur im Schatten läuft, die lässige Gescheckte, die so lange auf dem Auto liegen bleibt, bis es los fährt, der freche Schwarze, der einem die Wurst vom Teller zieht. Da haben wir uns auch bedient für die literarische Katzenbande.
Wie seid ihr auf den Namen gekommen, Bagnol?
N.G.: Der stand in Mazan auf ganz vielen Grabsteinen – der Friedhof dort ist berühmt für seine neunundsechzig Merowinger-Sarkophage, für Fans der Bestattungskultur ein echtes Highlight. Zuerst sollte der ermittelnde Koch so heißen, aber dann haben wir uns entschieden, Jean Bagnol für unser Pseudonym zu verwenden.
Gibt es schon weitere Pläne für Jean Bagnol?
N.G.: Wir haben Ideen für weitere elf Folgen. Aber wir müssen erst noch absprechen, welche als nächstes verwirklicht werden soll.
Dann herzlichen Dank und viel Erfolg!
Die Bagnols: Vielen lieben Dank – merci und „mau“!
Jean Bagnol ist das Pseudonym des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jens “Jo” Kramer. Die Spiegel-Bestsellerautorin George und der Journalist, Pilot und Schriftsteller Kramer sind seit 2006 verheiratet, leben in Hamburg, schreiben unter insgesamt sieben Namen und Pseudonymen und veröffentlichten bisher insgesamt 29 Solowerke (Romane, Sachbücher, Thriller, historische Romane). George und Kramer wurden bisher dreimal – einzeln – für den DeLiA, den Preis für den besten deutschsprachigen Liebesroman, nominiert; 2011 gewann George ihn mit dem Knaur-Roman “Die Mondspielerin”. “Commissaire Mazan und die Erben des Marquis” ist der erste gemeinsame Jean-Bagnol-Provencethriller des Schriftsteller-Ehepaares Nina George und Jo Kramer. Sie wären beide gerne als Katzen auf die Welt gekommen, müssen sich aber damit begnügen, die Samtpfoten zu erforschen und erstmals über sie zu schreiben. Als Provence-Liebhaber und Spannungsautoren kam ihnen die erste Idee zu “Commissaire Mazan und die Erben des Marquis”, als sie im Château de Mazan im Vaucluse ihren zukünftigen Helden auf leisen Pfoten (und mit unwiderstehlicher Eleganz) eine Thunfischpastete stehlen sahen. Mehr über Jean Bagnol: www.jeanbagnol.com. Mehr über Jens “Jo” Kramer: www.jensjohanneskramer.de. Mehr über Nina George: www.ninageorge.de.
Nachdem am Abend vorher das hübsche Städtchen Arnsberg Ziel meiner abendlichen Lesungsreise war, ging es diesmal von Olsberg aus in die andere Richtung, nach Marsberg. Diese Städtchen ist leider nicht ganz so hübsch, zumindest, der Teil, den ich auf meinem Weg zum Kilianstollen, dem Veranstaltungsort der abendlichen Lesung, zu sehen bekam. Der Fußweg führte hinter dem Gebäude für den Maßregelvollzug vorbei, da fürchtete ich mich schon auf dem Hinweg vor dem Rückweg im Dunkeln.
Die Lesung fand dann nicht direkt im Stollen, sondern in einem dazugehörigen Besucherzentrum statt. Der Stollen wäre zwar ein wirklich toller Schauplatz gewesen, aber vermutlich wären wir dort in den zwei Stunden der Lesung erfroren. Positiv empfand ich, dass es hier Getränke zu kaufen gab und der Büchertisch war sehr gut bestückt. Leider mussten die Autoren jedoch ohne Mikrofon auskommen.
Die Schriftstellerin Nina George moderierte den Abend, der unter der Überschrift „Der Reiz des Tötens“ stand und stellte ihre mitlesenden Autoren mit drei Wahrheiten und einer Lüge vor. Den Auftakt machte Andreas Gruber, seine vier Fakten waren: der Autor hat vier Katzen, arbeitet halbtags in einem Pharmaunternehmen, ist an der Entwicklung eines Medikamentes namens Zickosan beteiligt und könnte ein Teil aus einem bestimmten Automaten auf der Männertoilette des Tagungshotels vorführen. Das führte schon mal zu vielen Lachern und so war das Eis zwischen Autoren und Publikum ganz schnell gebrochen. Andreas Gruber las zwei Stellen aus seinem Roman Rachesommer, sehr pointiert und mit viel Ausdruck. Diese waren hochspannend und ich musste teilweise schlucken, weil die Szenen teilweise ganz schön „hart“ waren. Definitiv ein Buch, das ich im Auge behalten werde.
Den zweiten Teil des Lesungsabends bestritt Gina Greifenstein mit einem Auszug aus ihrem Roman Stirb noch einmal, Liebling, der mir persönlich ein bisschen zu lang war. Insgesamt ist es aber sicher eine witzige Story. Nach der Pause las dann Nina George selbst, Andreas Gruber übernahm ihre Vorstellung. Eine Wahrheit über sie ist die Tatsache, dass sie knapp 850000 Bücher verkauft hat. Als Lüge stellte sich hingegen heraus, dass sie mit der Crimelady Elizabeth George verwandt sei. Sie las ihre, in Marsberg spielende und in der Anthologie Tausend Berge, tausend Abgründe erschienene Kurzgeschichte Der Reiz des Tötens. Sie las ebenfalls sehr gut und hatte offensichtlich die Schauplätze und den Charakter des Ortes sehr genau getroffen, sie wurde mit sehr viel Applaus der Ortsansässigen bedacht. Am Ende gab es wie immer Zeit zum Fragen und zum Signieren. Ein sehr gelungener Abend!
[singlepic id=1164 w=240 h=320 float=left]Im Rahmen der Criminale 2012 im Hochsauerlandkreis wurden in einer Pressekonferenz am heutigen Welttag des geistigen Eigentums zwei hochinteressante Aktionen vorgestellt. Zum Einen ist das die Initiative JA zum Urheberrecht, die die Syndikats-Autorinnen Nina George und Angela Eßer ins Leben riefen, als unter anderem die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm festlegen wollten, dass die Schutzfrist für Urheber auf fünf Jahre (derzeit 70) verkürzt werden solle. Es ist eine verbandsunabhängige Initiative, die sich als Fürsprecherin der UrheberInnen aller kulturschaffenden Sparten versteht. Bisher hatte die Initiative eine eigene Facebookseite, auf der Statements zum Urheberrecht gesammelt wurden und man brachte sich aktiv in Diskussionen ein, unter anderem mit den Piraten und den Grünen. Ein Pictbadge wurde entwickelt, der seit der Leipziger Buchmesse auch als Button erhältlich ist und dort dem Kulturstaatsminister Neumann angepinnt werden konnte, der sich darüber sehr erfreut zeigte.[singlepic id=1165 w=240 h=320 float=right]
Seit heute hat die Initiative nun auch eine eigene Webseite. Dort gibt es Informationen über die Ziele, die Beteiligten, die Unterstützer und die Aktionen der Initiative. Aufgerufen zum Mitmachen sind alle Kulturschaffenden, aber auch Kulturgenießer, die für das Urheberrecht einsetzen wollen. Förderer sind bisher unter anderem namhafte AutorInnenverbände und -gruppen wie das Syndikat, die Mörderischen Schwestern, QuoVadis oder DeLiA sowie aus der Kreativwirtschaft große Verlage wie etwa BasteiLübbe, DroemerKnaur und rowohlt. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels unterstützt die Initiative ebenfalls.
[singlepic id=1166 w=240 h=320 float=left]Eine Aktion zum Thema wurde ebenfalls vorgestellt: Hemd ab for your rights. Acht Autorinnen und Autoren des Syndikats (Guido M. Breuer, Oliver Buslau, Marcel Feige, Andreas Izquierdo, Susanne Kliem, Eva Lirot, Susanne Mischke, Sonja Ullrich) haben sich bis auf die nackte Haut ausgezogen unter dem Motto “Acht Krimischriftsteller ziehen blank – für die Rechte von Autorinnen und Autoren”. Herausgekommen bei der Fotosession in der Kölner Gerichtsmedizin sind die beigefügten drei Plakatmotive, die im Grunde für sich selbst sprechen.
Urheberrecht ist ein Menschenrecht und genauso wie alle anderen Menschenrechte muss es respektiert werden.
[singlepic id=1133 w=320 h=240 float=left]Liebe Nina, herzlichen Dank, dass Du Dich bereiterklärt hast, uns ein Interview zu geben. Stellst Du Dich kurz vor?
Mein Name ist Nina George, ich rauche nicht mehr, ich schreibe, ich brauche das Schreiben wie andere vielleicht das Atmen, ich liebe meinen Mann, ich liebe Hamburg und hey, Corinna, schön, dass Du hier bist.
Herzlichen Dank! Das war schon meine nächste Frage: Du schreibst seit 1992 in wechselnden Genres, brauchst Du das Schreiben wie die Luft zum Atmen?
Ich habe mir mal kurzfristig überlegt, was ich statt des Schreibens machen würde: Ich wäre vielleicht Gärtnerin, weil ich es liebe, mit den Händen in der dreckigen Erde rumzuwühlen, oder ich würde vielleicht das machen, was ich irgendwann auch mal gelernt habe, nämlich kellnern. Aber das macht nicht im mindesten so viel Lust, ja es ist eine ganz seltsame Lust, es ist auch eine Qual und das Schreiben ist auch eine …. es ist kein Liebeslied. Aber es ist der einzige Weg für mich, um zu leben.
Du schreibst Kurzgeschichten im Krimigenre, Du schreibst Romane wie Die Mondspielerin, Du schreibst Kolumnen und Sexratgeber unter Deinem Pseudonym Anne West. Wie findest Du Deine Geschichten, oder finden sie Dich?
Das Erstaunliche ist, dass es sehr leicht ist, Geschichten zu finden. Das Schwierige ist, sich zu entscheiden, welche ich erzählen will! Vielleicht bin ich auch deshalb Schriftstellerin geworden, weil ich sogar, wenn ich schlafe und wenn ich träume, das Gefühl habe, ständig auf Empfang zu sein. Ich nehme ganz viel wahr, ich sehe, wie Menschen miteinander umgehen, was sie erzählen. Meist habe ich das Gefühl, ich spüre die verschiedenen Stimmungen, Gefühle und Emotionen im Raum. Ich mache mir viel Gedanken, ich lese viel, ich denke permanent in einer Geschwindigkeit, die mir auch manchmal Angst macht. Das Schreiben ist eine Art Möglichkeit, mich zu entscheiden, was möchte ich davon festhalten, was möchte ich nochmal erzählen, was möchte ich insoweit festhalten, weil es mir wichtig ist? Wie kann ich es noch besser beschreiben?
Das Schlimme am Schreiben ist bei jedem Roman, bei jeder Kurzgeschichte: was lasse ich weg? Und das tut mir manchmal sehr weh. Die ersten paar Jahre habe ich den Fehler gemacht, dass ich immer alles, was ich weiß, in jeder Geschichte erzählen wollte. Ich wollte alle meine Weisheit, die ich bis dahin, so mit 25, 27, 32 angehäuft hatte, in jede Geschichte verpacken, bis ich dann irgendwann einmal gemerkt habe, so funktioniert das Schreiben nicht. Das Schwierige ist das Entscheiden. Ja.
Hast Du einen bestimmten Schreibrhythmus und brauchst Du eine bestimmte Umgebung dafür?
Ich bin sehr gerne alleine, ich möchte, dass man mein Gesicht nicht sieht, während ich schreibe, weil ich mich erinnere, weil ich mich dann auch erinnere an Sachen, die nicht schön sind, die nicht harmonisch sind, an Liebeskummer, an Lügen, an Betrügereien, an sehr traurige Sachen, an Dramen, an Krieg, an Mord und Totschlag, an Sex, an Abgründe. Ich möchte nicht, dass man mich dabei beobachtet, wie ich all diese Dinge nochmal durchdenke und wie ich sie kühl versuche, in Worte zu fassen. Ich schreibe jeden Tag, bis auf die Zeit meiner Krankheitsphase. Der Arbeitsablauf ist ganz einfach: ich stehe auf, ich schmeiß die Kaffeemaschine an oder mache mir einen Bohnenkaffee. Früher habe ich mir eine Zigarette angezündet, die erste von ungefähr 50 am Tag, heute mache ich das nicht, sondern lese erst mal ein bisschen Internetzeitung, und wenn der erste Kaffee durchgelaufen ist, setze ich mich mal ran und kuck mal, was ich heute mache. Ich habe sehr viele journalistische Kunden, dadurch ist bereits ein ungefährer Wochenplan vorgeben.
Und was tust Du, wenn es mal nicht so gut läuft?
Dann gehe ich schwimmen, dann gehe ich raus oder ich lege mich hin und schlafe. Schreibblockaden als solches weiß ich, wie man sie überwindet. Es gibt vielleicht auch nicht unbedingt Blockaden, es gibt vielleicht Momente, die ich auch kenne, wo ich leer geschrieben war, einfach leer, wo mich nichts mehr auf der Welt je reizte festzuhalten oder anderen Menschen nochmal neu nachzuerzählen.
Es gibt so ein paar Tricks, um mich wieder ans Schreiben zu bringen, vielleicht nützt es dem einen oder anderen, wenn er merkt: Uahh, weißes Blatt, es schaut mich an. Uahh, mir fällt nix ein. Ich fange an zu beschreiben. Ich nehme mir ein schönes Bild und fange an es zu beschreiben, oder wie es wohl zu der Situation auf diesem Bild kam. Da kann ich eine x-beliebige Postkarte, einen x-beliebigen Fotoband aus meiner Bibliothek nehmen, ich schlage eine x-beliebige Seite auf, sehe ein Paar, das zum Beispiel Tango tanzt und erdenke mir, wie kam es dazu? Und dann fange ich an, einfach mal zu dokumentieren, was haben die an, wie sehen die aus, und plötzlich merke ich: Ach so, ach, geht doch noch, du musst dich jetzt nicht aus dem Fenster rollen oder arbeitslos melden.
Oder ich nehme mir ein ausgesprochen schlechtes Buch und danach bin ich dann so empört, dass so etwas gedruckt wird und davon überzeugt, dass, wenn so etwas gedruckt wird, hey!, dann kann ich auch schreiben. Und das kann ganz wunderbar gegen Selbstzweifel oder Kreativleere helfen. Also liebe Kollegen: bitte nicht jedes schlechte Buch wegschmeißen, es hilft über eine Schreibblockade. (kichert)
Hast Du dazu extra einen Stapel angelegt?
Der Stapel schlechter Motivationsbücher? Nein, aber ich kenne die Bücher ganz genau. Ich werde jetzt keine Titel nennen, sonst werde ich geteert und gefedert. Ich habe einmal den Fehler gemacht, mich geschmäcklerisch abfällig über Autoren zu äußern, die noch leben. Das macht man nicht.
Welche Phase eines Buches oder einer Kurzgeschichte ist für Dich die anstrengendste?
Das Schreiben! Wenn ich eine Geschichte durchdenke, das ist schon ein sehr großer Teil, der dauert extrem lang, bis ich weiß, wo beginne ich die Geschichte und wie endet sie. Diese Phase dauert sehr lang, aber wenigstens kann ich das überall machen. Es tut nicht weh und ich kann drum herum denken, ich geh aufs Klo und denk da ein bisschen oder beim Einschlafen denke ich ein bisschen, oder im Bus denke ich ein bisschen, ich denke ständig darüber nach, aber das ist vergleichsweise einfach. Die schwierigste Phase ist, das, was ich dann im Kopf habe – wenn ich zum Beispiel genau weiß, das muss sich so oder so anfühlen –, das dann in Worte umzusetzen. Es ist ein bisschen so wie beim Shoppen. Du hast ein bestimmtes Kleid, einen bestimmten Fummel, bestimmte Jeans vor Augen, und man rast durch jeden verdammten Laden und findet es nicht! Manchmal ist genau das auch beim Schreiben so: ich habe ein bestimmtes Gefühl, ein bestimmtes Bild, eine bestimmte Nachricht, eine bestimmte Vorstellung einer Figur, die ich vermitteln möchte – aber ich schaffe es nicht. Das macht mich rasend. Das sind solche Momente, da überlege ich mir das mit dem Gärtnern oder Kellnern doch wieder sehr genau, weil da habe ich endlich meine Ruhe und muss mich nicht damit herumquälen, dass ich es trotz meiner 20-jährigen Berufserfahrung mal nicht schaffe, eine verdammte Situation so zu erklären, dass sie perfekt erzählt ist.
Du bist ja sehr vielseitig. Aber gibt es noch ein Genre, in dem Du noch nicht geschrieben hast, das Du aber gerne mal ausprobieren möchtest? Und was hält Dich davon ab, es zu tun?
Drei Genres habe ich noch, die ich unbedingt gerne schreiben will. Das erste ist Fantasy, ich habe eine Idee, die würde für eine… hmm… Septologie reichen. Minimum. Ich habe ebenfalls noch ein paar Ideen für historische Romane, hauptsächlich 18. Jahrhundert, Vorabend der Revolution. Und ich möchte auch noch ein erzählendes Sachbuch über Schmerz schreiben.
Was hält mich davon ab? Schiss. Ich bin seit 12 Jahren selbständig und habe eine ganze Zeit von der Hand in den Mund gelebt, das heißt, das Geld kam rein, wurde für die Fixkosten und Steuern ausgegeben und Punkt. Ich hatte kein Sparkonto, kein Nichts, kein Garnichts. Jetzt habe ich seit geraumen Jahren ein kleines Sparkonto, hab eine Altersvorsorge, und ein Sicherheitsteil von mir sagt: Du musst auch leben, und zwar im Kopf frei leben können, um zu schreiben, das heißt, ich halte zum Beispiel nichts von dem armen Poeten, der nur deshalb kreativ sein kann, weil er arm ist und sich bloß nicht mit so etwas Schmutzigem wie Geld abgibt.
Es hält mich davon ab, dass ich Schiss habe, einen Teil meines journalistischen Einkommens aufzugeben, um Zeit und Kraft zu haben für die anderen Projekte. Um genau zu sein: es genau das, womit ich mich seit zwei, drei Jahren in Gedanken beschäftige, diesen Mut zu haben, zu springen. Und Marianne, die Figur aus der Mondspielerin, hat mir das vorgemacht, sie ist gesprungen. Auf der anderen Seite hat sie auch gar nichts mit mir zu tun. Aber dieser Mut, zu springen, mehr und mehr von Büchern zu leben – ich nehme immer noch Anlauf.
Welches Genre liest Du selbst gerne und hast Du einen Lieblingsautor oder ein literarisches Vorbild?
Ich lese alles, was mich interessiert. Ich bin überhaupt nicht genrefixiert, ich war sogar sehr erstaunt, als ich irgendwann im Laufe der Jahrzehnte feststellen musste: hö, Bücher werden ja in Genres aufgeteilt, und wenn ich einen Liebesroman habe, da kann nicht noch ein Toter drin vorkommen und auch keine Zeitreise, sonst finden die das alle doof. “Die” heißt: die Verlage, die Agenten, es hat sich so ein unglaubliches Schubladendenken festgesetzt die letzten 15 Jahre.
Ich lese alles, ich habe einige Lieblingsautoren, die sich seitdem ich in der Pubertät war kaum geändert haben. Es ist vielleicht wie mit Liedern, wie ich sozialisiert oder geprägt wurde mit Songs aus den Achtzigern, bin ich auch mit Autoren dieser Zeit aufgewachsen, und sie haben mich quasi in einer Lebensphase erreicht, wo ich noch ganz formbar war, wo meine Gefühlslandschaft sich geformt hat, und die haben sich in mich hineingefurcht und hineingedübelt. Sie haben dort ihren Platz bis heute. Das ist zum Beispiel Stephen King, das ist John Irving, das ist die gute Elizabeth Dunkel, die kein Mensch mehr kennt, – sie hat Der Fisch ohne Fahrrad geschrieben, die Mutter der Frauenromane, der intelligenten Frauenromane.
Ich hatte außerdem immer ein Faible für Sagen und Fabeln, Krimis sind relativ spät dazu gekommen, heute lese ich sehr, sehr viele Krimis, auch sehr gerne von deutschsprachigen Autoren, die werden immer besser, vor allen Dingen die Frauen, Holladiewaldfee. Skandinavier kann ich durch die Bank nicht leiden, Isländer auch nicht, weil ich sie nicht verstehe, ich mag britische und amerikanische zeitgenössische Literatur, Biografien, Bildbände, alles rund um Frauenrecht, Frauen, Frauen, Frauen, immer wieder Frauen – ach, verdammt, ich befürchte, ich lese alles. Ich bin so ein Allesfresser, ich bin wie eine Möwe, die alles frisst, und so picke ich mich durch die Bücherlandschaft wie ein Flugsaurier.
Du hast gerade schon von Songs gesprochen, die Dich geformt haben. Lässt Du Dich von Musik beim Schreiben inspirieren? Und welche Musik hörst Du auch sonst gerne?
Ich habe das mal probiert, Schreiben und Musik, und habe feststellen müssen, das ist wie Schreiben und Alkohol, das funktioniert mit einem Song oder mit einem Glas, und dann komme ich durcheinander, dann höre ich meine Gedanken nicht mehr, dann kann ich mich nicht konzentrieren, dann ist mein Sandkasten oder mein mentaler, literarischer Spielgarten, der ist dann auch vollgemüllt mit zu vielen Informationen. Es reicht, wenn meine eigenen Gedanken in meinem Spielgarten sind, meine Gefühle, aus denen ich dann schöpfe und etwas Neues erschaffe. Wenn dann auch noch ein Lied dabei ist und auch noch Alkohol, das wird zu voll im “Blumenbeet”, das wird eine Riesengartenparty, da kann kein Mensch mehr was mit anfangen.
Das bedeutet praktisch, Musik höre ich ganz unabhängig von allem anderen. Ich spiel selber auch Klavier, nie vor Zuhörern, aber ich bin sehr glücklich dabei.
Aber Musik zum Schreiben? Ich erinnere mich an zwei, drei Mal, wo ich das Gefühl von Musik versucht habe in einen Roman zu übertragen, was sehr schwierig ist. Musik sagt Dinge, die Wörter niemals ausdrücken können. Bei der Mondspielerin habe ich das gemacht, indem ich ein und dasselbe Lied immer wieder gehört habe, Piazollas Libertango, um diese Bilder und Emotionen, die dann in mir entstehen und wohl auch in anderen, zu übersetzen. Das mache ich nicht unbedingt wieder. Musik sollte Musik bleiben, und die Musik der Worte unabhängig davon sein.
Du warst ja mal Opernstatistin. Hat es Dich nie auf die Bühne gezogen?
Es hat mich einst immer auf die Bühne gezogen, ich war mir sicher, dass ich Schauspielerin werde, seit ich wusste, was Schauspieler so machen. Wobei, wenn ich Schauspielerin sage, dann meine ich tatsächlich Theater, nicht Fernsehen! Fernsehen, das habe ich mir schon mal so als junges Mädchen von acht, neun Jahren … Ich habe Laientheater gespielt und habe dann mit 18, 19 angefangen, mich bei den Schauspielschulen zu bewerben. Und musste unfassbar scheitern. Offenbar war ich nicht gut genug oder war in dem Jahr nicht der Typ. Das war das Jahr, wo die Generation Hübsch sehr viele blonde Mädchen produziert hatte und ich bin nunmal dunkel und knubbelig. Ich weiß nicht, woran es außerdem lag, vermutlich war ich einfach nicht gut genug. Als ich kurz in Augsburg lebte und hörte, dass dort am Theater Statisten gesucht seien, bin ich mit Herzklopfen hin. Es war ganz einfach, Komparsin zu werden, es kam einfach nur darauf an, genügend Zeit zu haben, nicht Talent. Zeit hatte ich, vormittags habe ich gearbeitet in einer Männerzeitschrift-Redaktion in München, und so konnte ich bei den Opern entweder unter einem Bett mal hervorkriechen und so tun als sei ich eine Schabe, oder ich spielte Teil eines wütenden Mobs. Einmal durfte ich sogar etwas sagen. Weiß ich das noch? Nein, so eine große Rolle war es nicht. “In ihr steckt der Teufel, in ihr steckt der Teufel”. Jaja, großes Tennis.
Beim Theaterspielen hat man ja eine relativ direkte Interaktion mit dem Publikum, die ja einem Autor irgendwie fehlt. Hast Du das vermisst?
Nein, denn obgleich ich unglaublich gerne Theater spielen wollte, litt ich unter entsetzlichem Lampenfieber. Man musste mir eigentlich nur das Wort Bühne zeigen, da sass ich schon auf dem Klo. Obwohl, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, während des Laientheaters, da hatte ich kein Lampenfieber, da war ich ein bisschen aufgeregt, klar, wer kuckt und so und mache ich das alles ordentlich, aber erst nachdem ich so bei den Vorsprechen gescheitert war, hatte ich Lampenfieber. Und die Interaktion wurde mir eigentlich auch vergällt, dadurch, dass dort Juroren saßen in den Schauspielschulen, die mir hauptsächlich Ablehnung entgegengebracht haben. Dieter Bohlen ist dagegen geradezu kuschelig! Und ich war jung, 18, 19, und ihre Urteile haben mich so beeindruckt, dass ich manchmal noch heute, wenn ich eine Lesung habe, Sorge habe, dass einer aufsteht, mit dem Finger auf mich zeigt und sagt: “Die kann doch gar nicht schreiben! Die kann doch gar nicht lesen! Und warum trägt sie ne Hose? Ist doch ne Frauenrolle, die sie gerade vorliest! Die soll man was anderes machen was auch mit “Sch” anfängt, wie wärs mit Scheibenwischerin!” Aber dann nehme ich mein verschrecktes 19-jähriges Mädchen innerlich an die Hand und sage: und wenn schon. Wär doch ne lustige Sache, wenn da jemand aufsteht!
Heute genieße ich Lesungen sehr, denn die Aufmerksamkeit, die Begeisterung, die Zuneigung, die ich vom Publikum erhalte, lässt mich immer besser lesen und manchmal geradezu bühnenhaft agieren. Ich habe dann wieder in meine ureigene Spielfreude gefunden. Mein Lesungspublikum die letzten 10, 12, 15 Jahre, das hat mir geholfen, diese heißgeliebte und so verunsicherte Spielfreude zu reanimieren. Und eigentlich gefällt mir das Lesen aus eigenen Erzählungen besser. Ich habe meine Texte, meine Figuren, und ich muss mich nicht mit so einem naiven Gretchen rumplagen oder mit so einer Kuh aus Nachtasyl, die wie blöde so einem Heini nachgloint, der sie verlässt. Also es ist mir lieber, wenn ich meine Figuren vortragen und leiden lassen kann, dann weiß ich wenigstens, was die Autorin uns damit sagen wollte ….
Dein Mann ist auch Schriftsteller. Lest ihr gegenseitig Test und er ist er Dein größter Kritiker und umgekehrt?
Wir sind einander die größten Fans. Wir lesen nicht gegen und sagen: Kuck mal, da ist eine Länge, oder: Kuck mal, das ist aber doof, sondern wir loben das Gute, und reden vorher ganz viel darüber. Dieser Prozess des Redens, des Planens und des Entscheidens ist ja ein wahnsinnig großer Prozess. Das Schreiben besteht ja nicht nur aus Hinsetzen und Tippen, sondern aus dem Denkprozess. Wir reden sehr, sehr, sehr viel über Ideen, über Plots, über Figuren, über Stimmungen, die wir erzeugen wollen, aber haben auch beide festgestellt, Jens hat einen komplett anderen Erzählton als ich, und ich kann ihn nicht kopieren und er nicht mich. Das ist merkwürdig, weil wir sehr viel kopieren können, also manchmal machen wir uns den Scherz zu schreiben wie … xy. Das gelingt ganz gut, manchmal für eine halbe Seite oder eine Seite, gar kein Problem. Ich glaube sogar, 50 Prozent aller Autoren könnte ich kopieren im Ton, aber meinen Mann nicht, ich weiß nicht, wie er das macht, der Sauhund. (lacht) Jens ist allerdings für mich ein guter Scriptdoctor. Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann schicke ich ihm das, er schaut drauf und meistens sagt er, “Süße, kuck doch mal, Du hast doch schon alles angelegt, Du kannst da den Faden weiterziehen oder dort.” Mein Mann ist mein drittes Auge, wenn ich blind für meinen Text geworden bin. Und umgekehrt bin ich ihm eine gute Figurenhilfe. Ich kann Figuren gut machen – und er kann gut plotten. So ergänzen wir uns.
Du hast letztes Jahr den DeLia-Preis für den besten Liebesroman mit der Mondspielerin gewonnen. Hat sich seitdem etwas geändert für Dich?
Nein, glaube ich nicht. Nein. Außer dass ich viele neue hinreißende KollegInnen aus dieser DeLiA-Autorengruppe kennengelernt habe. Das ist ein großer Gewinn.
Du hast vorhin gesagt, Du liebst Hamburg. Gibt es auch eine andere Stadt, in der Du leben könntest, oder willst Du hier nicht mehr weg?
Hach, im Sommer habe ich ja eine kennengelernt. Sie ist dreckig, sie ist laut, sie ist brutal, sie ist unglaublich sexy, sie ist viel zu anstrengend, sie heißt New York. Ich glaube, nicht, dass ich dort leben möchte im Sinne von 10, 20, 30 Jahre, für immer, aber ich würde gerne ein Zeitlang dort sein. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Stadt so eine Wirkung hat, ich dachte immer, das sei daher geschriebener Marketingscheiß, aber in der Tat, in New York hatte ich immer das Gefühl, es kann was passieren, Abenteuer, es kann sich was bewegen, ich kann hier alles machen! Natürlich kann man nicht alles machen, es gibt z.B. selten unhöflichere Polizisten als die in New York, aber dennoch, dieses Gefühl von: mach doch, mach doch was Du willst, das war unglaublich viril und vibrierend, ich habe das selten. Ich habe das, glaube ich, noch nie bei einer Stadt so erlebt. Aber ansonsten, in Hamburg werde ich leben, werde ich alt werden, werde ich lieben, werde ich bleiben, aber ich werde immer mal wieder kleine Ausflüge machen.
Wie hoch ist dein aktueller SUB?
Ich rechne in Breite. Ich glaube 60 Zentimeter breit, die stehen so, tackatackatack, dann habe ich noch so einen Stapel daneben, das sind vielleicht 5 Bücher, das sind, ohh, das sind jede Menge, lass es 40 Bücher sein.
Nicht viel.
Nein, ich lese ja ständig alles weg. Wenn der SUB zu feist wird, dann besteht die Gefahr, dass der Berg mich voruwrfsvoll anstarrt, na, das kann ich ja ab! So einen wachsenden Bücherbaum? Nee, dann wird es einsortiert und wenn ein Buch erst einmal in meiner Bibliothek einsortiert ist, dann ist es weg, einfach verschwunden.
Kannst Du uns schon etwas über Dein aktuelles Projekt sagen?
Nein, ich habe alles auf Eis gelegt, nachdem ich einen Bandscheibenvorfall hatte und mein Vater gestorben ist, so dass ich auch zurückrudern muss von der Absicht, einen Provenceroman zu schreiben. Die Hauptfigur dadrin trauerte nämlich einer Liebe hinterher, die schon vor langen Jahren gestorben ist und er lebt immer noch in dem Damals und macht sich erst heute auf den Weg, wieder sein eigenes Leben zu finden. Aber ich konnte die Vorstellung nicht aushalten, darüber zu schreiben, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man mehr geliebt hat als alles. Das möchte ich nicht schreiben. Nicht jetzt, vielleicht in ein paar Jahren. Deswegen bin ich im Moment vorsichtig im Herumdenken, ich bin mir noch nicht sicher. Ich möchte Geschichten erzählen über ein sehr starkes Gefühl, das jeder von uns schon einmal hatte, das lebensverändernd ist, das schmerzt, das einen dazu bringt, das ganze Leben nochmal neu zu überdenken, die Vergangenheit und die Zukunft. Dieses starke Gefühl, was so eine Art Vorwegnahme des eigenen Todes ist, hat einen sehr beknackten Namen: Liebeskummer. Aber Liebeskummer bringt Dich um bei lebendigem Leibe. Und ich möchte um dieses Gefühl herum eine Geschichte schreiben. Ich weiß nicht, warum das unbedingt, es erscheint mir nötig!
Aber im Moment bin ich auf der Suche nach meiner Heldin, ich weiß nur, wie sie in dieses Liebeskummerloch gestoßen wird, und ich habe neulich ein paar Zeilen notiert, wie es endet, aber dazwischen liegen noch 300 Seiten! Ich habe noch nicht mal einen Namen für sie, ich habe schon zwei Freundinnen für sie, ja, und ich habe auch ihren Ex, den sie in verrückten Minuten immer noch liebt, obwohl er ihr so weh getan hat, aber ich bin noch nicht viel weiter.
Ich will außerdem ein Buch über Schmerz schreiben. Über Schmerz und wie er die Welt verkleinert. Körperlicher Schmerz, der auch Deine Seele verändert. Und wie man da wieder raus kommt. Ich habe mir Schmerzgeschichten angehört im Rückenzentrum am Michel, wo ich mich versucht habe, wieder aufzurichten, und es ist erstaunlich, wie viel Schmerz in der Welt ist und wie unsichtbar er ist! Wie viele Menschen Schmerzen haben. Manche rollen ihn auf wie einen Faden, um ihn in den Griff zu kriegen, manche stellen sich eine Kugel vor, machen sie ganz klein und stecken ihn in die Tasche, damit er nicht so viel Raum einnimmt. Ich habe auch einen Weg gefunden, mit meinem Schmerz umzugehen. Und darüber möchte ich gerne schreiben, um jenen, die keinen haben, aber Menschen an der Seite haben mit Schmerzen, mit denen anders umzugehen, besser umzugehen, aber auch, um sich selber zu schützen, weil wir Schmerzgeplagten – ach, wir sind auch unglaublich vereinnahmend. Und wir sind ungeduldig. Sehr. Und wir sind innerlich furchtbar einsam. Darüber würde ich gerne schreiben. Ich werde ein Konzept machen, ich werd schauen, mit welchem Verlag ich drüber rede, denn ich halte es für wichtig, darüber zu sprechen, denn jetzt kann ich es. Es ist eine Welt hinter dieser Welt, die Welt des Schmerzes. Davon möchte ich erzählen.
Du bist eine erfolgreiche Autorin. Was ist das Beste daran und was das Nervigste?
Das Beste daran … obwohl, muss ich zurückstellen, muss ich mal kurz im Hinterkopf überlegen. Das Schlechteste daran ist, dass Erfolg rein gar nichts bringt für die innere Ruhe oder das innere Glück oder für das Lebensglück oder für das Verhältnis zwischen den Menschen, die mir etwas bedeuten. Also es ist völlig egal, ob ich erfolgreich bin oder nicht! Es ist so etwas von schnuppe, dass man sich manchmal fragen muss, warum streben Menschen nach Erfolg? Weil im Grunde ist es wurscht für eine gewisse Form des lebenswichtigen Glücks. Erfolg heißt nicht, dass Du besser lieben kannst, mehr geliebt wirst, dass Du kreativer bist oder weniger kreativ, es heißt noch nicht mal, dass Du besser die Welt verändern kannst, nur weil man Dir eher zuhört. Das ist das Blöde am Erfolg, dass an ihn so viel gehangen wird, das das Leben angeblich glücklich macht – und Überraschung! Es ist nicht so.
Was das Schöne daran ist. Ich vergesse es manchmal, aber jetzt, wo ich drüber nachgedacht habe, das Schöne an meiner Sorte Erfolg ist – ich kann machen, was ich will. Weitestgehend. Ich habe meine Verpflichtungen, aber ich kann zu einem unglaublich großen Teil machen, was ich will. Und das ist ein unfassbar tolles Gefühl. Das Allerschönste an dieser Selbstständigkeit und einem wie auch immer Erfolg, ob nun finanziell oder inhaltlich: ich kann ausschlafen. Ich habe es schon immer gehasst, das Geräusch des Weckers. Immer. Ich kann bis nachts eins, zwei, drei bestens arbeiten, aber ich kann es nicht leiden, wenn ich vor elf irgendwo sein muss. Oder aufstehen muss. Womöglich kämmen! Das ist das Beste am Erfolg: ich kann ausschlafen!
Erzählst Du uns noch eine Anekdote aus Deinem Autorenleben? Oder auch zwei?
Mein Pseudonym Anne West sorgt immer dafür, dass sich Menschen anders benehmen. Männer wollen gerne mit mir recherchieren oder behaupten: Ich hab das alles gar nicht nötig, ohne dass sie überhaupt wissen, über was ich schreibe, oder wie ich schreibe oder was meine Prinzipien sind. Ich verkaufe ja zum Beispiel keine Gelinggarantien für Sex, weil ich das einfach albern finde, total albern. Dass alle auch so tun, als ob Sex nichts mit der Persönlichkeit zu tun hat, nervt mich total. Aber Leute wissen halt nicht, dass ich sehr bei Verstand bin, wenn ich meine Sexbücher schreibe und reagieren, als ob sie mit jemandem sprechen, der als Arbeitskleidung nur irgendwie einen Bindfaden durch den Schritt und zwei Briefmarken vornerum trägt. Sie reagieren seltsam. Es hat mir ja auch noch nie jemand vorgeworfen, dass ich so viele Leichenberge angehäuft habe, warum regt sich keiner über meine Leichenberge auf, über Mord und Totschlag und Gemeinheit, ich hab so gemeine Geschichten geschrieben? Nein, mir wird vorgeworfen, wenn sich mal irgendwie zwei liebhaben. Ist jetzt nicht so richtig eine Anekdote, seh ich ein ….
Jetzt aber: eine Anekdote: im Rahmen des Krimifestivals “Mord am Hellweg” mache ich ab und zu neben Lesungen auch Moderationen, und eine Krimilese-Moderation wurde mal in Unna gemacht. In einem gewissen Etablissement, kurz gesagt, in einem Puff. Der Chef kam nach der Show – wir hatten drei Schriftsteller, wir hatten einen Striptease, wir hatten eine Vorführung einer Domina – auf mich zu, zeigte sich sehr begeistert und meinte: “Du Mädel, Du kannst ja echt toll schreiben, und wenn das mal nichts mehr mit dem Schreiben wird – (zwinker, zwinker) – kannste bei mir anfangen. Tolle Beine hast Du ja schon mal.” Frechheit!
Wie konnte er nur übersehen, dass ich auch tolle Hände habe!
Gibt es eine Frage, die Du schon immer mal beantworten wolltest, die aber noch keiner gestellt hat?
Träumst Du Geschichten? Ja ich träume Geschichten. Wenn ich nachts träume, dann habe ich manchmal das Gefühl, das ist mein anderes, mein zweites Leben. Und manchmal träume ich Geschichten und schreibe sie auf. Weil sie gute Geschichten sind. Ja, manchmal träume ich Romane …
Herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast!
Ich danke Dir, liebe Corinna!
Die Schriftstellerin und Journalistin Nina George, geboren 1973 in Bielefeld, schreibt Romane, Krimis, Science-Thriller, Kurzgeschichten, Kolumnen, Reportagen. Zu ihren Kunden gehören und gehörten u.a. TV Movie, Das Hamburger Abendblatt, die JOY, Der Hamburger, die Bild am Sonntag, Für Sie, Fit for Fun, und etwa ein Dutzend weiterer Magazine. Georges Pseudonym Anne West gilt mit zwölf Sachbüchern und Kurzgeschichtenbänden als erfolgreichste deutschsprachige Erotika-Autorin, die u.a. vom Papst verboten wurde (Weltbild-Affäre 2011). Unter ihrem zweiten Pen-Name Nina Kramer veröffentlichte George 2008 den ersten deutschen Thriller, der sich mit den ethischen Verbrechen der Reproduktionsmedizin auseinander setzt: Nina Kramer und “Ein Leben ohne mich”. Für ihren Roman “Die Mondspielerin” wurde George mit der DeLiA 2011, dem Literaturpreis für den besten Liebesroman des Jahres, ausgezeichnet. Mit “Das Licht von Dahme” war George 2010/2011 für den renommierten Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte ‘Kurzgeschichte’ nominiert, mit “Das Spiel ihres Lebens” (Aus: Scharf geschossen, kbv) ist sie 2012 nominiert. Bisher erschienen rund 80 (Nicht nur Krimi-)Kurzgeschichten. Nina George lebt im Hamburger Grindelviertel, ist eine nicht sehr strenge-Nicht-Mehr-Raucherin und zudem gern verheiratet. Sie engagiert sich für den Schutz des geltenden Urheberrechtes auf der Site https://www.facebook.com/pages/AutorInnen-und-Verlage-für-Urheberrechte/197507973665930 https://www.facebook.com/NinaGeorge.Schriftstellerin, http://www.ninageorge.de
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