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Feiern wir den 32. Dezember 1932

Welturaufführung der Operette „Drei Männer im Schnee“ nach Erich Kästner
  Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Ensemble  © Christian POGO Zach

Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Ensemble © Christian POGO Zach

 Am 30. Januar 1933 begann in Deutschland der Krieg gegen die Operette. 86 Jahre und einen Tag später wurde wieder eine Schlacht gegen die Bagatellisierung dieser Form des Musiktheaters gewonnen. Früher wurde in Berlin, am schönen Nollendorfplatz Operette gesungen, heute wird der Nollendorfplatz in der Operette besungen. Das kommt dabei raus, wenn man Operette wiederbelebt. Und genau das hat das Autorenteam um Thomas Pigor geschafft. Er, Konrad Koselleck, Christoph Israel und Benedikt Eichhorn liefern die ohrwurmträchtige Musik, die den höchstgescheiten Blödsinn aus Gesellschaftskritik, Erotik und pointierter Unterhaltung untermalt.

Das Gärtnerplatztheater holte mit Drei Männer im Schnee eine Operetten-Uraufführung auf die Bühne, die die Operettenwelt vor 1933 aufnahm und ins heute brachte. Erich Kästner, seine Bücher wurden verbrannt, schrieb 1934 den Roman, machte eine Komödie daraus, die mehrfach verfilmt wurde. Jetzt hat sie auch die Chance eine Klassiker des musikalischen Unterhaltungstheater zu werden, spätestens wenn unter anderen Abraham wiederentdeckt und das weiße Rössl einmal nicht springen soll. Auf der Bühne wird die Handlung auf den Jahreswechsel 1932/33 gelegt. Wir wissen heute, dass die Ausgelassenheit nicht einmal einen Monat später endete, die Personen im Stück nicht. Sie leben einfach. Noch ist Operette Operette. So folgt den ganzen Abend ein Lacher auf den anderen.

Das ganze Ensemble ist großartig. Der Multimillionär Tobler (Erwin Windegger), der armen Mann spielt, aber doch jeder Zeit die Sicherheit hat, sofort wieder in das reiche Leben zurückzukehren, bleibt der Menschenfreund, der sich trotz bestem Willen nicht in die Gefühle anderer versetzen kann. Zutiefst menschlich, wer kann kann schon aus seiner Haut. Da bleibt es nur ehrlich zu sein und offen für anderes. Das ist er und diese Gabe wünscht man jedem. So kann er endlich der Welt zu offenbaren, dass die Haushälterin Kunkel (Dagmar Hellberg) für ihn mehr bedeutet. Der arbeitslose Erfinder Dr. Hagedorn (Armin Kahl) ist Objekt der Gesellschaft. Er selbst kann durch alle Mühen wenig bewegen. Er bekommt, weil man ihn für reich hält, Zuwendung. Die ist nicht ehrlich. Anerkennung bleibt erst einmal verwehrt. Er findet aber dann die Liebe in Hilde Tobler (Julia Klotz), die knallharte Geschäftsfrau, die sich in den Naturgewalten am Wolkenstein dem Gefühl hingibt, und dieses wohl auch dauerhaft zulässt. Aber das weiß der Wolkenstein allein. Toblers KammerdienerJohann Kesselhuth (Alexander Franzen) hat die Welt der gesellschaftlichen Klassen verinnerlicht. Er darf sie aber auch wechseln. Im Gegensatz zu seinem Chef stilsicher in die andere Richtung. So kann er doch noch für Bequemlichkeit sorgen, wenn diesem die Rolle des armen Schluckers nicht mehr gefällt.

  Laura Schneiderhan, Florine Schnitzel, Alexander Bambach (Ensemble), Peter Neustifter (Toni Graswander), Susanne Seimel (Mrs. Sullivan), Alexander Franzen (Johann Kesselhuth), Katharina Wollmann (Ensemble)  © Christian POGO Zach

Laura Schneiderhan, Florine Schnitzel, Alexander Bambach (Ensemble), Peter Neustifter (Toni Graswander), Susanne Seimel (Mrs. Sullivan), Alexander Franzen (Johann Kesselhuth), Katharina Wollmann (Ensemble) © Christian POGO Zach

Auch Johann findet seine Liebe, kann auch offener werden. Es wäre zu wünschen, wenn er nicht nur am Berliner Nollendorfplatz mit Toni Graswander (Peter Neustifter), dem Tiroler Skilehrer, dauerhaft glücklich werden könnte. Letzterer träumt davon, aus der Enge der Tiroler Bergwelt herauszukommen, nach Innsbruck, vielleicht sogar ganz weit weg, nach München. Für den Zuschauer wäre es tragisch. Denn wer würde sonst die Skistunde Skifahr’n im Schnee mit dem Graswander Toni anführen, die zur großen Steppnummer auf Skiern wurde. Auch wenn sie nicht ganz unfallfrei abläuft. Liebevoll klischeehaft wird die österreichische Dorfbevölkerung, die unter anderem das Hotelpersonal darstellt, gezeigt. Hotelpagen, die dauernd die Hand aufhalten (Maximilian Berling, Alexander Bambach, Christian Schleinzer) sorgen für viele Lacher. Der mit allen verwandte Eisbahnwart Sepp Graswander (Stefan Bischoff) weiß, wie man andere einspannen kann. Für das heimatselig-österreichische Kolorit sorgte der hinterlistige, auf seinen Vorteil bedachte Portier Polter (Eduard Wildner) musikalisch. Sein immer für telefonische Erreichbarkeit sorgender Hoteldirektor Kühne (Frank Berg) war bei seiner Degradierung richtig erleichtert, weil die Verantwortung von ihm fiel. Karriere und gleichzeitig jederzeit jeden Wunsch anderer erfüllen zu wollen, geht halt nicht. Zu Beginn des Silvester-Kostümballs sorgte Polter, auch typisch österreichisch, für einen besonderen Lacher, als er über SA-Uniformierte sagte: „Das sind keine Nazis, das sind Österreicher“. Als am Morgen danach die junge Schottin Mrs. Sullivan (Susanne Seimel) plötzlich das „Kostüm“-Hemd eines dieser Österreicher trug, blitzte bei mir unter dem Schnee ein Grüner Hügel hervor.

  Armin Kahl (Dr. Fritz Hagedorn), Erwin Windegger (Eduard Tobler), Alexander Franzen (Johann Kesselhuth)  © Christian POGO Zach


Armin Kahl (Dr. Fritz Hagedorn), Erwin Windegger (Eduard Tobler), Alexander Franzen (Johann Kesselhuth)
© Christian POGO Zach

Ein ähnliches Erlebnis hatte ich bereits, als die männerverführende Frau Calabré (Sigrid Hauser) sich musikalisch als besonders anpassungsfähige Frau vorstellte (Ich pass’ mich an). Warum dachte ich sofort bei dem SCHWARZ-WEIßEM Kleid und den ROTen Haaren an die Alternative zu schwarz-rot-gold. Vielleicht lag es an den auf die Spitze gestellten rechten Winkeln? Auf jeden Fall eines von vielen tollen Kostümen von Dagmar Morell. Aber zurück zu Frau Calabré. Ihr heimtückisches Benehmen, ihren Willen durchzusetzen, erschauderte einen bei aller Komik. Gänzlich kam dieses Gefühl, als sie im Schlussbild, erblondet und sittsam gekleidet, neben ihrem Nazi-Ehemann stand. Warum musste ich da an die Kinder im Führerbunker denken und an ihre Mutter, die erst mit einem Großindustriellen und später mit dem Propagandaminister verheiratet war? Jetzt fällt es richtig schwer, auf alle anderen auf der Bühne zurückzukommen. Da gab es noch eine vom Kinderchor, Chor, die später immer wieder zum Lachen bringende Auftritte hatten, sowie dem Ensemble gesungenen Ouvertüre. Ganz modern also, da weiß das Publikum gleich, dass es keine Hintergrundmusik zur Unterhaltung mit dem Sitznachbarn ist. Und ohne die Menschen am Rande mit den ganz kleinen Geschichten (Florian Sebastian Fitz, Alexander Moitzi, Laura Schneiderhan, Florine Schnitzel, Katharina Wollmann, Martin Emmerling, Christian Weindl, Corinna Klimek, Veronika Kröppel und Kim Mira Meyer) hätte auch viel Stimmung gefehlt.

  Sigrid Hauser (Frau Calabré), Armin Kahl (Dr. Fritz Hagedorn)  © Christian POGO Zach


Sigrid Hauser (Frau Calabré), Armin Kahl (Dr. Fritz Hagedorn)
© Christian POGO Zach

Mich berührt also gute Operette. Ich hatte fast drei Stunden einen Heiden Spaß, habe mich selten so gut amüsiert. Die Musik setzte sich sofort in mir fest und ich hätte mitsingen können, obwohl ich sie das erste Mal hörte und sie doch anspruchsvolle Brüche in sich trug. Man hatte dauernd das gute Gefühl der Geborgenheit, alles zu kennen, jedoch merkte man immer, es ist alles ganz neu. Josef E. Köpplinger hat es wieder geschafft im klassisch geprägtem Bühnenbild von Rainer Sinell Menschen zu zeigen, die ganz nah bei uns sind, die einen berühren, mit denen man mitfühlt, auch wenn man herzhaft über sie lachen kann. Ist nicht das Lachen der beste Weg ins Nachdenken zu kommen? Wenn jeder ein klein wenig davon mitnimmt, dann haben wir uns die Operette zurückerobert.

DREI MÄNNER IM SCHNEE
Revueoperette

von Thomas Pigor
Nach dem Roman von Erich Kästner
Musik von Konrad Koselleck, Christoph Israel, Benedikt Eichhorn und Thomas Pigor
Orchestrierung von Konrad Koselleck
Kreative Mitentwicklung: Michael Alexander Rinz
Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Uraufführung am 31. Januar 2019

Altersempfehlung ab 12 Jahren

Dirigat Andreas Kowalewitz
Regie Josef E. Köpplinger
Choreografie Adam Cooper
Bühne Rainer Sinell
Kostüm Dagmar Morell
Licht Michael Heidinger, Josef E. Köpplinger
Dramaturgie Michael Alexander Rinz

Eduard Tobler Erwin Windegger
Hilde Tobler, seine Tochter Julia Klotz
Dr. Fritz Hagedorn Armin Kahl
Johann Kesselhuth, Toblers Kammerdiener Alexander Franzen
Claudia Kunkel, Hausdame bei Toblers Dagmar Hellberg
Portier Polter Eduard Wildner
Hoteldirektor Kühne Frank Berg
Frau Calabré Sigrid Hauser
Toni Graswander Peter Neustifter
Sepp Graswander Stefan Bischoff
Tierhändler Seidelbast / Herr Calabré Florian Sebastian Fitz
Emir von Bahrein Alexander Moitzi
Liftboy Christian Schleinzer
Mrs. Sullivan Susanne Seimel
Zimmermädchen 1 Laura Schneiderhan
Zimmermädchen 2 Florine Schnitzel
Zimmermädchen 3 Katharina Wollmann
Page Beppi Maximilian Berling
Page Franzl Alexander Bambach
SA-Mann Martin Emmerling, Christian Weindl
Milchfrauen Corinna Klimek, Veronika Kröppel, Kim Mira Meyer
Chor, Kinderchor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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Uraufführung Drei Männer im Schnee, 31.01.2019, Gärtnerplatztheater

Foto: Christian POGO Zach

Nach dem Jahreswechsel ist der Winter inzwischen doch wieder in München angekommen, passend zur neuesten Uraufführung im Gärtnerplatztheater. Drei Männer im Schnee, frei nach dem Roman von Erich Kästner aus dem Jahr 1934, wurde von Kabarettist und Liedermacher Thomas Pigor zusammen mit den Komponisten Konrad Koselleck, Christoph Israel und Benedikt Eichhorn, im Auftrag des Theaters geschaffen. Intendant Josef Köpplinger führte selbst Regie in dieser neuen Revueoperette. Die Grundgeschichte um die drei “Schneemänner” Eduard Tobler, Fritz Hagedorn und Johann Kesselhuth wurde für die Münchner Bühnenversion erweitert, sodass alle drei und nicht nur Hagedorn eine Liebesgeschichte erleben dürfen.

Setzt man sich mit der Geschichte des Gärtnerplatztheaters auseinander, so findet man bald heraus, dass vor allem in der Zeit der Nationalsozialisten das Genre der Revueoperette äußerst beliebt war, um die Menschen ins Theater zu locken und vielleicht auch von den politischen Vorgängen abzulenken. Daher hat diese Theaterform nach Ende des Zweiten Weltkriegs durchaus in ihrem Ansehen gelitten. Dem möchten die Künstler des Gärtnerplatztheaters nun wieder etwas entgegenwirken, schließlich kann solch ein bunter, aufwändiger und vor allem humorvoller Theaterabend auch für das heutige Publikum noch eine große Freude sein.

Da die Handlung der Operette zu Beginn der Dreißigerjahre spielt, wird das Thema der beginnenden NS-Zeit sehr wohl in einer kleinen Szene angedeutet, von den Protagonisten jedoch noch als harmlose Spinnerei abgetan, schließlich ist man ja nicht in Deutschland.

Im Mittelpunkt der Operette stehen die drei bereits erwähnten Herren, die gemeinsam einen Urlaub in den Alpen verbringen. Dieses hat die Firma des reichen Industriellen Tobler im Rahmen eines Wettbewerbes verlost. Der Erfinder Fritz Hagedorn würde sich zwar statt der Reise lieber eine Anstellung oder zumindest Geld wünschen, fährt aber dann trotzdem nach Österreich, wo er durch eine Verwechslung für den reichen Geschäftsmann gehalten und deshalb nach allen Regeln der Kunst verwöhnt wird. Auch Tobler reist nämlich unter dem Pseudonym Schulz in die Berge, denn er möchte mal erleben, wie man als einfacher Mann behandelt wird. Begleitet wird er von seinem Kammerdiener Johann, der ihm ab und zu heimlich ein Essen ausgeben soll. Trotz der Standesunterschiede freunden sich die drei Männer an und lassen im Grand Hotel beim Schneemann-Bauen und einer Kostümparty zu Silvester ihrem inneren Kind freien Lauf. Für große Verwirrung sorgen nun eher die Frauen, zum einen die männermordende Frau Calabré, die sich dem vermeintlich reichen Hagedorn an den Hals wirft, als auch Toblers Tochter Hilde und seine Hausdame Claudia, die ihm hinterher reisen und ihn überreden wollen, ein lukratives Geschäft mit einem reichen Araber abzuschließen.

Foto: Christian POGO Zach

Ganz operettenhaft gibt es viele Irrungen und Wirrungen in diesem Stück sowie natürlich auch eine große Portion Humor. Dass das Ende natürlich dann im Zeitraffer alle Handlungsstränge zusammenführt und gut ausgehen lässt mag manchen Fan von zeitgenössischem Theater vielleicht stören, der Laune der Zuschauer schadet es jedoch nicht im Geringsten. Es ist schön, dass hier – wie eben auch häufiger im Gärtnerplatztheater – einfach noch gute Unterhaltung ohne großen moralischen Vorschlaghammer geboten wird.

Und noch etwas ist wundervoll anzusehen: eine wahre Schlacht an aufwändigen Kostümen und Bühnenbildern! Der Schnürboden und die Drehbühne werden voll ausgenutzt und verwandeln die Bühne so von der Berliner Fabrik mit rauchenden Schornsteinen im Hintergrund in die gemütliche Wohnung Toblers mit schlafender Katze. Und schließlich in das wundervolle Jugendstil-Hotel, Skipisten, Seilbahnen und eine urige Berghütte. Dazu passen die farbenfrohen Kostüme von Dagmar Morell, die ebenfalls das Flair der Dreißiger auf die Bühne zaubern.

Regisseur Josef Köpplinger bietet den Zuschauern eine rasante Inszenierung, in der auch im Hintergrund immer etwas los ist. Wie gewohnt arbeiten der Intendant und sein Team mit sehr viel Liebe zum Detail, das keine Sekunde Langeweile aufkommen lässt. Ein Highlight ist definitiv die Ski-Steppnummer von Adam Cooper, die Ensemble und Statisten auf der „schneebedeckten“ Bühne zum besten geben dürfen. Auch ohne Beteiligung des Balletts ist vom ruhigen Paartanz bis zu wuseligen Massenszenen auch tänzerisch einiges geboten.

Foto: Christian POGO Zach

Ein großes Lob muss man natürlich auch dem wundervollen Ensemble aussprechen, dessen Freude an dieser Produktion ansteckend ist. Erwin Windegger gibt einen sympathischen Eduard Tobler, der selbst als unfreiwillige Putzkraft im Grand Hotel eine kindliche Freude an den Tag legt. Ganz im Gegensatz zu seiner Tochter Hilde, gespielt von Julia Klotz, die weitaus erwachsener und geschäftsmäßiger wirkt und erst in ihren sanften Annäherungen an Fritz Hagedorn ihre roamntische Seite zeigt. Ähnlich resolut ist Dagmar Hellberg als Haushälterin Kunkel, trotzdem scheint sie die Verrücktheiten ihren „Chefs“ durchaus sympathisch zu finden. Armin Kahl gibt den arbeitslosen Erfinder Hagedorn anfangs etwas grummelig, aber auch er wird von seinen neuen Freunden mit guter Laune und Optimismus angesteckt, wenn er nicht gerade vor Frau Calabré flüchtet. Diese wunderbar aufdringliche Femme Fatale gibt Sigrid Hauser. Der Dritte im Bunde schließlich ist Kammerdiener Johann, gespielt von Alexander Franzen, der die Annehmlichkeiten des Rollentauschs mit seinem Chef sichtlich genießt und ebenfalls zarte Liebesbande knüpfen darf.

Tatsächlich und verdientermaßen sind inzwischen die Karten für Drei Männer im Schnee ziemlich rar geworden, ich hoffe sehr, dass man dieses Gute-Laune-Stück auch in der nächsten Spielzeit wieder auf der Bühne erleben darf!

DREI MÄNNER IM SCHNEE
Revueoperette

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Chor, Kinderchor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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Jesus Christ Superstar, Gärtnerplatztheater (in der Reithalle)

 

© Christian POGO Zach

© Christian POGO Zach

Manch einer, der meine Theaterleidenschaft nicht teilt, hat mich schon gefragt, warum ich mir ein Stück mehrfach ansehe. Meine Standardgegenfrage ist dann, wie oft sie oder er den Lieblingsfilm schon gesehen hat. Und im Gegensatz zum Film, der statisch ist, ist eine Vorstellung etwas Lebendiges, die jedes Mal anders ist.

Warum habe ich mir Jesus Christ Superstar in der Inszenierung von Staatsintendant Josef E. Köpplinger sieben Mal angesehen? Zugegebenermaßen hat es mich selbst überrascht, wie stark ich auf das Stück reagiert habe. Das war nach der halbszenischen Aufführung im Cirkus Krone im Juli 2014 nicht zu erwarten. Ich denke, ich war damals zu sehr mit mir selbst beschäftigt, schließlich hatte ich davor und danach selbst Vorstellungen mit der Zirkusprinzessin.

Es berührt mich. Wenn Jesus seinen Vater anfleht Take this cup away from me oder wenn Maria Magdalena singt Could We Start Again, Please?, schießen mir die Tränen in die Augen. Das liegt nicht nur an der sehr ergreifenden Musik, sondern zum sehr großen Teil auch an den fantastischen Darstellern Armin Kahl und Bettina Mönch.

Überhaupt ist ein Glück, so viel Talent auf der Bühne erleben zu dürfen. Neben den genannten ist auch David Jakobs ein Glücksfall, der die innere Zerrissenheit des Judas in jeder Geste und in jeder Note grandios darstellt. Aber auch die Mitglieder des Ensembles des Theaters zeigen, dass sie an einem Haus, das sowohl Oper wie auch Operette und Musical spielt, bestens aufgehoben sind. So überrascht der junge Tenor Maximilian Mayer (Simon Zelotes) mit einer großartigen Rocknummer, nachdem er in dieser Spielzeit schon an zwei Opern-Uraufführungen, einem Purcell, der Dreigroschenoper und einer Operette mitgewirkt hat. Auch Erwin Windegger, der in dieser und vorangegangen Spielzeiten seine Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, erreicht mit der Rolle des Pontius Pilates einen neuen Höhepunkt. Eigentlich könnte man wirklich jeden Einzelnen der Mitwirkenden bis hin zu den Statisten namentlich benennen, weil sie alle so großartig sind. Obwohl ich ja sonst eher sparsam mit Standing Ovation bin, hat es mich bei keiner Vorstellung auf dem Sitz gehalten. Auch der wie immer äußerst spielfreudige Chor und das fantastische Orchester unter Jeff Frohner bzw. Andreas Partilla tragen zu diesen sehr emotionalen und erfüllenden Abenden bei.

© Christian POGO Zach

© Christian POGO Zach

Es sind starke Bilder. Egal ob wütender Mob, das letzte Abendmahl oder der Selbstmord von Judas, Josef E. Köpplinger erzählt die letzten sieben Tage von Jesus in der Jetztzeit stringent und aufregend. Wie immer ist es eigentlich mit einmal Ansehen nicht getan, selbst in der siebten Vorstellung habe ich noch Neues entdeckt. Die Bühne von Rainer Sinell ist minimalistisch und unterstützt die Übertragung in die Gegenwart ebenso wie die Kostüme von Anja Lichtenegger. Die Choreografie von Ricarda Regina Ludigkeit ergänzt das Team großartig.

Mir wurde vorgeworfen, ich wäre unkritisch. Tatsächlich hat mich in dieser Spielzeit praktisch jedes Stück von der Opernuraufführung über die Operette bis zum Ballett fasziniert. Aber ok, die Herodesszene gefällt mir nicht ganz so gut. Aber wie sagt Previn Moore als König Herodes so schön: This is my Song und so dominiert er mit seiner groovigen Soulstimme die Szene und drängt die etwas schrägen weiteren Beteiligten in den Hintergrund.

Ich hätte es gerne öfter gesehen als sieben Mal. Ich bin kein religiöser Mensch, meine Entwicklung diesbezüglich reicht von der katholischen Taufe erst mit zehn Jahren über den Übertritt in die evangelische Kirche als junge Erwachsene zum jetzigen pragmatischen Atheismus, aber trotzdem berührt mich diese Darstellung der letzten sieben Tage von Jesus Christus. Weil er ein Mensch ist, mit Zweifeln, mit Hoffnung, mit Liebe. Ich habe es aus verschiedenen Perspektiven gesehen, von ganz nah bis ganz weit weg, von rechts oder von links. So sehr ich mich freue, dass das Stück nächstes Jahr in meiner Herzensheimat, dem Stammhaus wieder gespielt wird, so sehr bedauere ich es, dass es manche Perspektiven wohl nicht mehr geben wird. Ansehen werde ich es mir trotzdem, so oft es geht.

PS: erwähnte ich das Licht schon? Das ist einfach großartig!

Musikalische Leitung Jeff Frohner
Regie Josef E. Köpplinger
Choreografie Ricarda Regina Ludigkeit
Bühne Rainer Sinell
Kostüme Anja Lichtenegger
Licht Michael Heidinger / Josef E. Köpplinger
Videodesign Meike Ebert / Raphael Kurig
Choreinstudierung Felix Meybier
Dramaturgie Daniel C. Schindler

Jesus von Nazareth Armin Kahl
Judas Ischariot David Jakobs
Maria Magdalena Bettina Mönch
Pontius Pilatus Erwin Windegger
Herodes Previn Moore
Kaiphas Holger Ohlmann / Levente Páll
Annas Juan Carlos Falcón
Simon Zelotes Maximilian Mayer
Petrus Benjamin Oeser
Johannes / Soldat Jens Olsen
Judas Thaddäus Nicola Gravante
Jakobus der Jüngere Lars Schmidt
Bartholomäus Christian Schleinzer
Andreas Michael B. Sattler
Matthäus Alexander Moitzi
Jakobus der Ältere Claus Opitz
Philippus Peter Neustifter
Thomas Carl van Wegberg
1. Priester Dirk Lüdemann
2. Priester Martin Hausberg / Holger Ohlmann
3. Priester Frank Berg
Soul-Girl / Frau am Feuer Dionne Wudu
Soul-Girl Joana Henrique, Susanne Seimel
Girls Katharina Lochmann, Evita Komp, Leoni Kristin Oeffinger, Valerie Luksch, Lisandra Bardél, Lisa Rothhardt
Ein Soldat Maximilian Berling
Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

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Die Marquise de Merteuil ist eine Meisterin im Intrigenspiel um Macht und Sex. Sie möchte, dass der Vicomte de Valmont eine ehemalige Klosterschülerin verführt, die kurz vor der Heirat mit einem Grafen steht. Dieser war einst der Liebhaber der Marquise und hatte sie verlassen, das hat sie ihm nicht verziehen. Doch Valmont ist hinter der prüde-verschlossenen Madame de Tourvel her, ihre Eroberung sieht er als sein Meisterstück. Sollte ihm dies gelingen, winkt ihm als Belohnung eine Liebesnacht mit der Marquise, die gegen ihn gewettet hat. Anfangs läuft alles nach Plan, aber als Valmont sich in Madame de Tourvelle verliebt, wenden sich die Intrigen der Marquise gegen sie selbst.

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Standing Ovation für eine gelungene Uraufführung eines Musicals, das die deutsche Musiktheaterlandschaft bereichert.

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Musikalische Leitung Andreas Kowalewitz, Regie Josef E. Köpplinger, Choreografie u. Co-Regie Adam Cooper, Bühne Rainer Sinell, Kostüme Alfred Mayerhofer,Licht Michael Heidinger / Josef E. Köpplinger, Video Raphael Kurig / Thomas Mahnecke, Dramaturgie Michael Otto

Marquise de Merteuil Anna Montanaro, Vicomte de Valmont Armin Kahl, Madame de Tourvel Julia Klotz, Cécile de Volanges Anja Haeseli, Chévalier de Danceny Florian Peters, Madame de Rosemonde Gisela Ehrensperger, Madame de Volanges Carin Filipčić, Azolan Erwin Windegger, Joséfine de Fontillac / Madame Gérard u. a. Anna Thorén, Émilie / Nonne u. a. Nazide Aylin, Julie u. a. Evita Komp, Christine / Opernsängerin u. a. Eva Aasgaard, Victoire u. a. Johanna Zett, Prévan u. a. Carl van Wegberg, Belleroche / Gérard u. a. Peter Neustifter, Jean / Comte de Gercourt u. a. Jörn Linnenbröker, Steuereintreiber / Priester u. a. Florian Hackspiel, Statisterie und Kinderstatisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Dauer 2 Stunden 45 Minuten, Altersempfehlung ab 15 Jahre

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Die Musikauswahl ist ausgesprochen gelungen. Es war darauf Wert gelegt worden, dass die Komponisten entweder aus Berlin stammten oder in der Zeit, in der das Stück angesiedelt ist, dort gelebt haben und so atmet jede Note das damalige Lebensgefühl. Mit Hanns Eisler, Kurt Weill und Ernst Krenek fand man hier wirklich ganz herausragende Vertreter dieser Zeit. Das Orchester unter Michael Brandstätter lief erneut zur Höchstform auf. Dessen Wandlungsfähigkeit ist wirklich bemerkenswert. Vor zwei Wochen noch gefeiertes Barockorchester, lässt man nun den Geist der Zwanziger Jahre wiederauferstehen. Chapeau! Ergänzt wurde das ganze durch alte Aufnahmen von Schlagern von Peter Kreuder, Paul Abraham und anderen Größen dieser Zeit. Dazu sang Nadine Zeintl, dem Gärtnerplatzpublikum noch bestens in Erinnerung durch ihre famose Interpretation der Sally Bowles. Das klang mir ein bisschen zu flach, sie hob sich nicht genug von der Musik ab. Ansonsten war es musikalisch ein wirklich toller Abend.

Dem Gärtnerplatztheater ist nach Dornröschen in der letzten Spielzeit erneut eine hervorragende Ballettproduktion gelungen. Karl Alfred Schreiner und seine Tänzer etablieren sich als feste Größe in der Münchner Theaterszene.

Musikalische Leitung Michael Brandstätter, Choreografie Karl Alfred Schreiner, Bühne Rainer Sinell, Licht Marco Policastro, Kostüme Jan Meier, Video und Projektionen Raphael Kurig, Thomas Mahnecke, Dramaturgie Judith Altmann
Hans Klein Alessio Attanasio / Davide Di Giovanni, Eva Klimpke Sandra Salietti / Rita Barão Soares, Harry Weber, Hans’ bester Freund Russell Lepley / Filippo Pelacchi, Gertrude Klimpke, Evas Mutter Lieke Vanbiervliet / Marta Jaén, Wilhelm Klimpke, Evas Vater Morgan Reid / Neel Jansen, Richard von Stetten, ein Großindustrieller Davide Di Giovanni / Francesco Annarumma, Oskar Stein, Richards Bodyguard Neel Jansen / Morgan Reid, Kiki Schuster, Richards Mätresse Isabella Pirondi / Ariella Casu, Zwei Prostituierte Marta Jaén, Lieke Vanbiervliet, Natalia Palshina, Transvestit Filippo Pelacchi / Russell Lepley, Polizist Morgan Reid / Neel Jansen, Zwei Boxer Filippo Pelacchi, Gaetano Montecasino, Javier Ubell, Hans im Rausch Matteo Carvone, Eva im Rausch Anna Calvo, Gertrude im Rausch Ariella Casu, Wilhelm im Rausch Filippo Pelacchi / Russell Lepley, Richard im Rausch Gaetano Montecasino, Priester im Rausch Russell Lepley / Filippo Pelacchi, Arbeiter, Showgirls, Rauschwesen u.a. Rita Barão Soares, Anna Calvo, Ariella Casu, Aina Clostermann, Marta Jaén, Natalia Palshina, Isabella Pirondi, Roberta Pisu, Sandra Salietti, Lieke Vanbiervliet, Francesco Annarumma, Alessio Attanasio, Matteo Carvone, Davide Di Giovanni, Neel Jansen, Russell Lepley, Gaetano Montecasino, Filippo Pelacchi, Morgan Reid, Javier Ubell, Chansonette Nadine Zeintl, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Uraufführung am 21. November im Cuvilliéstheater
Weitere Vorstellungen am 22., 23., 24., 26., 27., 28. und 30. November
Vorstellungsbeginn 19.30 Uhr, am 24. November 18.00 Uhr
Benefizveranstaltung zugunsten der Münchner AIDS-Hilfe am 30. November
Preise 14,- bis 55,- Euro,Schüler- und Studentenkarten 50% ermäßigt, an der Abendkasse und für die Vorstellungen am 22. und 27. November bereits im Vorverkauf 8,- Euro
Tickets gibt es an den Vorverkaufsstellen, unter www.gaertnerplatztheater.de, Tel. 089 2185 1960 oder tickets@gaertnerplatztheater.de

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Premiere Anything Goes, 28.02.2013, Gärtnerplatztheater (im Deutschen Theater) – Nachtkritik

[singlepic id=1470 w=320 h=240 float=left]Mit der zweiten Musicalpremiere innerhalb einer Woche setzt das Team des Gärtnerplatztheaters neue Maßstäbe in der Unterhaltungsmusiktheaterlandschaft in München. Obwohl beide Stücke in der gleichen Zeit spielen, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während in Cabaret eher eine düstere Grundstimmung vorherrscht, regiert hier die Fröhlichkeit und die Lebenslust. Natürlich ist Anything Goes kein Stück mit Tiefgang, aber darf Musiktheater auch nicht einfach nur unterhalten? Natürlich darf es das, vor allem, wenn die Unterhaltung so gut gemacht ist wie an diesem Abend.

Ausgangspunkt für die Entstehung des Musicals war der Produzent Vinton Freedly, dem die Idee dazu auf einem Schiff kam, mit dem er sich vor seinen Gläubigern aus dem Staub machte. Er beauftragte Guy Bolton und P.G. Wodehouse damit, das Buch dazu zu schreiben, letzterer vor allem bekannt durch seine köstlichen Romane, unter anderem die Jeeves & Wooster-Serie, genial verfilmt mit Stephen Fry und Hugh Laurie. Die Story beinhaltete eine Bombendrohung und einen Schiffbruch und muss ziemlich chaotisch gewesen sein. Als wenige Wochen vor der Premiere vor der Küste New Jerseys ein Feuer auf einem Luxusliner 138 Menschen das Leben kostete, musste die Geschichte schnellstmöglich umgeschrieben werden. Da die originalen Autoren gerade nicht verfügbar waren, stammt das Libretto, so wie wir es heute kennen, von Howard Lindsay und Russell Crouse, die hier erstmals zusammenarbeiteten. Die Musik stammt von Cole Porter, der nach Roger Hammerstein und George Gershwin eigentlich nur die dritte Wahl war, und so ist es nur natürlich, dass sie sofort ins Ohr geht und sich da festsetzt. Praktisch jeden Song hat man schon mal in der ein oder anderen Version gehört, der Wiedererkennungseffekt ist beträchtlich und das Publikum ist von der ersten Minute voll dabei.

Das Gärtnerplatztheater hat sich entschieden, nur die Dialoge auf Deutsch zu bringen und die Songs im Original zu belassen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn man die Dialoge immer gut verstehen könnte, was insbesondere am Anfang ein bisschen schwierig ist. Überhaupt kommt das Stück erst langsam auf Touren und zu Beginn ist man etwas überwältigt von dem schieren Überangebot an visuellen Reizen. Sieht man einer kleinen Detailhandlung rechts zu, verpasst man links was. Sehr geschickt, so muss man sich das Stück mehrfach ansehen. Es lohnt sich aber wirklich, denn es ist wirklich alles perfekt erarbeitet, die Choreografien sitzen, die Bewegungen erfolgen exakt im Takt der Musik, man wird absolut mitgerissen von der prallen Lebensfreude.

Um was geht’s, wenn alles geht? Billy Crocker ist ein kleiner Wallstreetbroker, der sich in ein Mädchen verliebt. Als er seinen Boss Elisha Whitney zum Schiff bringt, das in Kürze nach England ablegen soll, sieht er das bezaubernde Wesen wieder. Er erfährt, dass sie Hope Harcourt heißt und mitsamt ihrer überdrehten Mutter und dem stinkreichenVerlobten Lord Evelyn Oakleigh, der die Familienfinanzen sanieren soll, in die neue Heimat fährt. Mit von der Partie ist auch noch seine Bekannte Reno Sweeney, eine Nachtclubsängerin, die zur Predigerin mutiert ist, sowie der Staatsfeind Nummer 13, der so gerne die Nummer 1 wäre und dessen Freundin Erma. Billy schleicht sich an Bord, um die Heirat zu verhindern und Hope für sich zu erobern. Um an sein Ziel zu kommen, muss er in die verschiedensten Rollen schlüpfen. Für die Uraufführung 1934 war diese Rolle dem Komiker William Gaxton auf den Leib geschrieben, der berühmt für seine Verwandlungskünste war. Es kommt zu den absurdesten Situationen, befeuert durch viel Wortwitz und exzellente Darsteller auf der Bühne. Und weil nicht nur der Titel, sondern auch das Motto Anything goes heißt, werden die Paare bis zum Ende schön durcheinandergewürfelt.

[singlepic id=1469 w=320 h=240 float=right]Obwohl das Stück als Screwballcomedy daher kommt, schwingen auch sozialkritische Untertöne mit. Geschrieben kurz nach dem Ende der Prohibition und unter dem Eindruck der gerade überstandenen Weltwirtschaftskrise, sind die Gangsterverherrlichung und Bußprediger ein Thema, ist das Schiff mit Trinkern, Spielern und Betrügern bevölkert. So kann man schon darüber nachdenken, wenn Billy feststellt, dass er als kleiner Börsenmakler in das Gefängnis geworfen werden würde und man ihm als Gangster Nummer 1 den roten Teppich ausrollt. Auch wenn man darüber lacht, dass der Mann von Mutter Harcourt wie ein Gentleman gefallen ist nach dem Sprung aus dem Fenster, weil man beim Börsencrash alles verloren hat, ist das doch eine tragische Geschichte. Das Musical hat sich mit den Jahren beständig verändert, es wurden Songs umgestellt und Cole-Porter-Schlager aus anderen Stücken eingebaut. Auch Regisseur Josef E. Köpplinger hat eine Szene hinzugefügt und einige aktuelle Bezüge aufgenommen, die sehr gut ankamen beim Publikum. Zu lachen gibt es viel an diesem Abend, Köpplinger setzt auf Tempo und exakt getimte Abläufe. Rainer Sinell, der auch für die zeitlich passenden Kostüme verantwortlich ist, nutzt eine Drehscheibe, um das Vorderdeck des zweistöckigen Schiffes in intime Kabinen zu verwandeln. Das Schiff nimmt im ersten Teil langsam an Fahrt auf und ist dann kaum mehr zu stoppen. Ähnlich wie in Cabaret gibt es auch hier leicht bekleidete Menschen, aber anders als in der Reithalle wirkt es hier nicht ordinär, sondern lustig. Das Ende kommt etwas abrupt, aber nach einem so temporeichen Abend verzeiht man das gerne.

Viel zu dem schwungvollen, temporeichen Abend trägt auch die Choreografie von Ricarda Regina Ludigkeit bei. Sie lässt das Ensemble sich die Seele aus dem Hals steppen und es gleichzeitig so leicht aussehen, dass es auch noch Spaß machen könnte. Sie gibt den Akteuren eine tolle Körpersprache von lasziv bis Czardas. Bei diesem Musical ist wirklich alles gefragt, die Akteure müssen singen, steppen und darstellen können. Fällt nur eines unter den Tisch, geht ein Teil des Zaubers verloren. Ganz hinreißend waren auch die Projektionen von Raphael Kurig und Thomas Mahnecke. Sie beschwörten zahlreiche Stimmungen herauf und schafften es, ein Schiff, dass sich nicht vom Fleck bewegt, mal in New York, mal auf hoher See zu zeigen.

Die Rollen sind mit ziemlicher Sicherheit für diese Münchner Erstaufführung 79 Jahre nach der Uraufführung am Broadway optimal besetzt. Anna Montanaro gibt der Reno Drive, aber auch besinnliche Momente. Sigrid Hauser ist eine herrlich überdrehte und dabei immer absolut süße Erma. Die Figur könnte einem auf die Nerven gehen, aber in der Interpretation von Sigrid Hauser möchte man sie eher mal fest in den Arm nehmen. Milica Jovanovic singt und spielt die Hope Harcourt mit sehr viel mädchenhaften Charme, kein Wunder, dass Billy ihr zu Füßen liegt. Es ist wirklich sehr schön, sie mal wieder auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters erleben zu dürfen. Dagmar Hellberg als ihre Mutter konnte mich anfangs nicht überzeugen, aber bei Birds do it, bees do it drehte sie dermaßen auf, dass es eine reine Freude war. Komplettiert wurde die sehr gute Frauenriege durch die tanzfreudigen Angels und Ulrike Dostal als Frieda, die hervorragende Akzente setzte.

[singlepic id=1468 w=320 h=240 float=left]Bei den Männern ist natürlich Billy Crocker der unbestrittene Chef im Ring. Daniel Prohaska spielt alle Facetten der Rolle aus und singt und tanzt dabei noch wie ein junger Gott. Naja, fast. Die Auftritte von Hannes Muik als Lord Evelyn Oakleigh zählten für mich zu den Highlights des Abends. Er strahlte bis in den kleinen Zeh Aristokratie aus und hat doch Paprika im Blut. Erwin Windegger als Elisha Whitney ist lustig und tiefgehend zugleich, und Boris Pfeifer als Moonface Martin verkörpert den etwas schmierigen Gangster perfekt. Besonders beeindruckend ist die Stimme von Previn Moore, der den Kapitän auf diesem Tollhaus namens M.S. Amerika mimt und Night and Day wirklich ganz wundervoll interpretiert. Frank Berg als Steward und neben anderen die drei Matrosen Maurice Klemm, Stefan Bischoff und Christian Schleinzer sowie eine engagierte Statisterie komplettieren das praktisch perfekte Ensemble. Der Hund Chuseok erwies sich als nervenstark und zeigte sich unbeeindruckt von seiner Rolle als Benjamin Franklin. Das kleine Orchester mit großer Rhythmusgruppe unter Michael Brandstätter kreierte den perfekten Bigbandsound passend zum Stück, und der hauseigene Chor zeigte sich zum wiederholten Male bewegungsfreudig und sehr gut einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen.

Am Ende wurden die Beteiligten frenetisch mit Standing Ovations gefeiert, damit waren sicher auch die vielen unsichtbaren Helfer gemeint, die Werkstätten, die diese schier unglaubliche Anstrengung zweier Premieren in einer Woche gemeistert haben, die Technik, die Kostümabteilung, die zwei Spielstätten gleichzeitig betreuen muss, die Maske, Souffleuse und Inspizient. Ein Stück zum Wiedersehen, ich bin mir sicher, auch beim dritten Besuch lassen sich noch weitere Details entdecken. Weitere Vorstellungen bis 22.03. jeweils Dienstag bis Sonntag, Karten von 25 – 60 € bei den bekannten Vorverkaufsstellen.

 

Musikalische Leitung Michael Brandstätter / Regie Josef E. Köpplinger / Choreografie Ricarda Regina Ludigkeit / Bühne und Kostüme Rainer Sinell / Dramaturgie Michael Otto / Reno Sweeney Anna Montanaro / Billy Crocker Daniel Prohaska / Elisha Whitney Erwin Windegger / Evangeline Harcourt Dagmar Hellberg / Hope Harcourt Milica Jovanović / Lord Evelyn Oakleigh Hannes Muik / Moonface Martin Boris Pfeifer / Erma Sigrid Hauser / Kapitän Previn Moore / Steward Frank Berg / 1. Matrose Alexander Moitzi / Reporter, 2. Matrose Christoph Graf /Reverend Henry Swiss Dobson, 3. Matrose Maurice Klemm / 4. Matrose Nicola Gravante / Chinese Luke, 5. Matrose Stefan Bischoff / Chinese John, 6. Matrose Christian Schleinzer / Reinhild Reinheit, Angel Susanne Seimel / Kirsten Keuschheit, Angel Katharina Lochmann / Niki Nächstenliebe, Angel Kenia Bernal Gonzàles / Trude Tugend, Angel Stéphanie Signer / Frieda, Whitneys Sekretärin Ulrike Dostal / Benjamin Franklin, Hund Chuseok

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Premiere Die Csárdásfürstin, 12.01.2013, Theater Dortmund

[singlepic id=1445 w=240 h=320 float=left]Die Csárdásfürstin ist ein gern gespieltes Werk und Emmerich Kálmáns erfolgreichste Operette. An der Oper Dortmund hatte jetzt eine umjubelte Neuproduktion mit der fabelhaften Heike Susanne Daum in der Titelrolle Premiere.

Das Theater Dortmund ist in vieler Hinsicht ein ungewöhnliches Haus. Der typische Bau der Sechziger Jahre bietet fast 1200 Zuschauern Platz. Die Sessel mit stärker zurück geneigter Lehne als üblich sind gewöhnungsbedürftig, aber auf die Dauer doch erstaunlich bequem. Es war nur, sowohl im Foyer wie auch im Zuschauerraum, über weite Strecken viel zu kalt. Dass die Zuschauer dies gewöhnt sind, konnte man an den vielen Schals und Jacken erkennen, die auch im Zuschauerraum getragen wurden. Ebenfalls ungewöhnlich sind die Garderobenschränke wie im Freibad. Dieses System hat sicher auch Vorteile, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig für Stammbesucher ein vertrautes Gesicht an der Garderobe ist. Das Programmheft, eigentlich nur ein Flyer, ist sehr dürftig ausgefallen. Man findet weder die Biografien der Beteiligten noch eine über einen kurzen Artikel und die Inhaltsangabe hinausgehende Beschäftigung mit dem Werk.

Die Csárdásfürstin ist eine Operette über Standesunterschiede und die Überwindung derselben durch die wahrhaftige Liebe. Obwohl, hätte sich Edwin wirklich am Ende gegen seinen Vater gestellt, wenn der ihm die Heirat nicht doch noch erlaubt hätte? Der hatte Standesdünkel ohne Ende und knickt erst ein, als er erkennen muss, dass er selbst schon seit langem mit einer Varietéhure, wie er die Chansonette Sylva Varescu mal abfällig genannt hat, verheiratet ist. Sein Sohn Edwin liebt Sylva zwar, aber er ist schwach und kann das Heiratsversprechen nicht einlösen, dass er ihr gegeben hatte. Da müssen halt wieder die Frauen die Sache in die Hand nehmen und so erzwingt Anhilte, seine Mutter, die Einwilligung des Vaters zur Heirat. Dazwischen gibt es sehr schöne, weit über diese Operette hinaus bekannt gewordene, Melodien. Kálmán spannt den musikalischen Bogen von Budapest nach Wien, von Csárdás bis Walzer, ohne in Operettenseligkeit zu versinken. Vielmehr spiegelt sein Werk ebenso wie das Libretto von Leo Stein und Béla Jenbach die Entstehungszeit 1914/15 wieder.

Die Inszenierung von Ricarda Regina Ludigkeit nach einem Regiekonzept von Josef Ernst Köpplinger (eine Übernahme vom Staatstheater Nürnberg) greift diese Zeit auf, da marschieren am Ende die Soldaten in eine ungewisse Zukunft. Die Hinterbühne des Orpheums, der Salon der Lippert-Weilersheims, Edwins Eltern, selbst die Hotellobby, in dem der letzte Akt spielt, alles besteht aus den gleichen Mauern, von denen der Putz abblättert, mit mal mehr, mal weniger luxuriösem Interieur (Bühne Rainer Sinnell). Wenig Sinn habe ich in den Tanzeinlagen gesehen. Was sollten uns schwarz maskierte Edwin/Sylva-Doubles sagen? Ober Clowns, die die Sänger bewegen wie Puppen? Ohne diese hätte man den Fokus noch mehr auf die ganz ausgezeichneten Sängerdarsteller legen können und noch ein bisschen mehr Temperament rauskitzeln können. Die Kostüme von Marie-Luise Walek sind sehr schön und passend zur Zeit, vor allem die Kleider der Damen.

Musikalisch und szenisch blieben keine Wünsche offen. Hier hat man wirklich nur die besten verpflichtet. Heike Susanne Daum ist die Rolle der Sylva Varescu auf den Leib geschneidert. Mit ihrer ebenso temperamentvollen wie anrührenden Darstellung und mit makellosem Gesang feierte sie eine umjubelte Rückkehr an ihr früheres Stammhaus. Die Duette mit Edwin waren die Höhepunkte des Abends, denn in Peter Bording fand sich ein kongenialer Partner. Aber auch die anderen zwei Paare, Stasi und Boni und Edwins Eltern, waren echte Traumpaare. Tamara Weimerich und Philippe Clark Hall sowie Johanna Schoppa und Andreas Ksienzyk zeichneten tolle Rollenportraits, ebenso Hannes Brock als Feri Bácsi. Der Chor bestach durch Spielfreude und war von Granville Walker sehr gut einstudiert. Philipp Armbruster leitete die Dortmunder Philharmoniker mit genau der richtigen Mischung von Temperament und Zurückhaltung. Am Ende großer Jubel für alle Beteiligten.

Choreinstudierung: Granville Walker, Leopold Maria, Fürst von und zu Lipper-Weylersheim: Andreas Ksienzyk, Anhilte, seine Gemahlin: Johanna Schoppa, Edwin, beider Sohn: Peter Bording, Stasi, seine Cousine: Tamara Weimerich, Graf Boni Káncsiánu: Philippe Clark Hall, Sylva Varescu, Varieté Sängerin: Heike Susanne Daum, Feri von Kerekes, genant Feri Bácsi: Ks. Hannes Brock, Eugen von Rohnsdorff: Bastian Thurner, Musikalische Leitung: Philipp Armbruster, Inszenierung und Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit, Regiekonzeption: Josef Ernst Köpplinger, Bühne: Rainer Sinell, Kostüme: Marie-Luise Walek

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