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Gut meinen und gut machen – Oliver! von und für Kinder und Jugendliche in der alten Kongresshalle 21.4.2013

[singlepic id=1515 w=320 h=240 float=left]„Mächtigstes Bildungsmittel“, „moralische Anstalt“, „Schule des Lebens“ – was hat man das Theater in Bezug auf die ästhetische Bildung für Kinder nicht alles genannt. Der pädagogische Gehalt wurde dabei seit dem Mittelalter gerade für Heranwachsende nie unterschätzt, sollte es auch nicht werden! Wie wichtig, gewinnbringend und erfüllend die Theaterarbeit für die Kleinen und schon etwas Größeren sein kann, beweist Oliver! als Mitmachmusical vorbildlich.

Eine Bühne voller begeisterter, disziplinierter und gut gelaunter Kinder zeigen, wie man es macht: Mit Begeisterung, professioneller Anleitung und staatstheatralischer Unterstützung werden sie Teil des großen Ganzen der Bühne. Dabei wird von Regisseurin Julia Riegel das Diderot-Motto beherzigt, dem sich leider zu wenige Kinder- und Jugendtheater verschreiben: „Man muss es nicht nur gut meinen, sondern auch gut machen.“

Hier wird gemacht und gut geliefert, als seien es Große. Mit wenigen Mitteln ein ordentliches und vielseitiges Bühnenbild, mit guten szenischen Ideen eine Nummernrevue weit über dem Niveau der meisten Schultheatervorstellungen, mit top einstudierten Semijugendprofis und einem Gespür für Besetzung eine runde Sache, die bei Jung und Alt funktioniert. Die professionellen Regieideen eines Marionettenkinderspiels, der bemalten Tische wie der gut integrierten Leinwand erfreuen die Kleinen und beeindrucken die Größeren. Hier werden Kinder auf der Bühne und im Publikum nämlich ernst genommen, was im Genre der Kinderunterhaltung leider auch zu selten passiert. Lionel Barts schmissiger Sound mit einigen Ohrwürmchen helfen da ebenso wie die routinierten und augenzwinkernden Gärtnermusiker voller Spielfreude unter Martin Steinlein.

[singlepic id=1511 w=320 h=240 float=right]Unterstützt wird das junge Ensemble vom TV-Gesicht Malte Arkona, seine Erfahrung aus dem Kinderfernsehen nutzend, der einen Fagin zwischen Michael Jackson, Miss Marple und Depp Sparrow abliefert – dabei etwas überzogen daherkommt und bei den Kindern mit weniger mehr punkten hätte können. Allgemein orientiert sich die Produktion an den großen Vorbildern der Twistadaptionen wie zuletzt durch Polanski fürs große Kino. Damit erzeugt auch Julia Riegel große Bilder, große Emotionen und vor allem Authentizität anhand der lebensweltlich agierenden Jungen und Mädchen, die durch ihren Enthusiasmus und ihre Spielfreude die Geschichte wie ihre Emotionen transportieren und nicht nur ihren Altersgenossen nahebringen.

Entzückend Oliver und seine geigende Komplizin mit viel Potenzial für die Zukunft. Daneben ein starkes Ensemble mit vielen klug gewählten Gruppennummern und beachtlichen Choreographien, die mehr Schauwerte als einige langweilige Erwachsenenproduktionen liefern. Das ist kurzweilig, witzig und gewitzt.
Für alle unter 10 ist gerade die zweite Hälfte mit Nancys Schicksal und Tod wohl eine Spur zu gruselig, wenngleich es gelingt, den Sykes aufgrund seiner Jugendlichkeit weniger dämonisch und damit genau richtig auszuinszenieren. Die ein bisserl Älteren werden dafür in Olivers Welt hineingerissen, durchunterhalten und mit der launigen Schlusspolonaise genau dorthin geführt, wo Jugendbühne hinleiten muss: Zur Begeisterung für das Weltmedium des Theaters und der Musik.

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Hänsel und Gretel, 14.04.2013, Komische Oper Berlin

Die Bilder der Inszenierung von Reinhard von der Thannen, die ich mir vor der Vorstellung im Internet angesehen habe, wirkten eigentlich ganz schön.Das war es dann aber auch. Mehr als eine opulente Ausstattung hatte der Regisseur nicht zu bieten. Wenn man den Anspruch hat, ein Stück für die ganze Familie zu machen, muss man bei den Kleinsten mit der Interpretation anfangen und kann vielleicht ein oder zwei Kniffe für Erwachsene einbauen. Hier wurde aber in der Interpretation nur auf Erwachsene eingegangen, für die lieben Kleinen sollten die bunten Bilder reichen. Das war aber nicht der Fall, die Kinder und Jugendlichen um mich herum taten entweder lautstark ihre Fragen oder ihre Langeweile kund.

Es ging schon mit der Einführung los. Pavel B. Jiracek, der produktionsbegleitende Dramaturg, redete wie ein Wasserfall, das war auch nötig. Die Ansätze des Regisseurs waren leider nicht selbsterklärend, wie es bei einer guten Regie der Fall sein sollte, sondern mussten vorab erläutert werden, sonst hätte man drei Viertel des Bühnengeschehens nicht verstanden.
Aber wollte ich wirklich wissen, dass “Ein Männlein steht im Walde” eine erotische Komponente hat und auf das sexuelle Erwachen der Gretel hindeutet und man ihr deshalb während des Liedes einen Johnny-Depp-mäßigen Fliegenpilz zur Seite stellte – der aber dann tatsächlich nur irgendwie etwas blöde im Wald umherschlich, mit einem Schlüssel spielte (Keuschheitsgürtel?), von Anmache keine Spur. Oder dass das Zerbrechen des Milchtopfes gleichbedeutend mit dem Abstillen eines Kindes ist? Oder dass Hänsel was mit der Hexe hat? Inzucht hätte doch sicher auch noch gut gepasst, schließlich setzt Hänsel der Gretel den bedeutungsschwangeren Kranz aufs Blondhaar. Ich frage mich wirklich, wie ich die Hälfte meines Lebens und ca. 50 Hänsel-Vorstellungen ohne diese tiefschürfenden Einsichten ausgekommen bin. Ich dachte eigentlich immer, dass Märchen uns helfen sollen, mit unseren Ängsten klarzukommen und nicht weitere zu schüren. Ich Dummerchen, ich.

Mal wieder kann man nicht auf die Kraft der Musik vertrauen und muss das Vorspiel bebildern, in diesem Fall mit computeranimierten Eiern, Lollies und Gebissen. Das animiert natürlich zum Lachen und Reden und störte die wirklich wundervollen Töne, die aus dem Orchestergraben kamen. Hänsel und Gretel sind dank gleicher Kleidung und fast gleicher Frisuren kaum zu unterscheiden und haben manchmal Hasenmasken auf, denn Hasen sind naiv. Oder so. Die Mutter hat die Hosen an, trägt aber in Wahrheit ein schickes Kleid, das irgendwie nicht zu der angenommenen Armut passt. Dafür darf der schwächliche Vater in langen Unterhosen und mit Dreirad auftreten, seine Shorts hatte er wohl im Suff auf den Gepäckträger geschnallt. Statt Speck, Zwiebeln und Kaffee gibt es überdimensionierte Eier. Der Milchtopf ist ein Plastikeimer und richtig lächerlich wird es, als man im Augenblick des Zerbrechens den Klang von zerbrochenem Porzellan einspielt. Schnell ab in den Wald, durch den Schrank, ja, genau, wie bei “Narnia” oder “Alice im Wunderland”. Dort sieht man die Bäume vor lauter Besteck nicht. Anscheinend war sich der Regisseur unschlüssig, ob er jetzt den Hunger oder das Erwachsenwerden thematisieren wollte. Richtig gruselig ist dort eigentlich nur die Engeltravestie. 14 halbbekleidete stilisierte männliche Engel, die sich an dem Abend zuvor im Don Giovanni gut gemacht hätten, hier aber völlig fehl am Platz waren, vollführen einen hausbacken wirkenden Tanz mit Bewegungen, die schon in den Siebzigern unmodern waren. An dieser Stelle wird nicht zum ersten Mal deutlich, dass der Choreograph nicht unbedingt die Musik im Sinn hatte, als er seine Arbeit machte. Besonders ärgerlich ist das Zerstören der Musik durch die beiden Knaller am Schluß des Tanzes und das Herzeigen von Pavianhintern (Warum???) der Tänzer. Das Taumännchen scheint aus der gleichen Show entsprungen zu sein, mit Glitzerschuhen und lächerlichen Ballons unterm Rock. Fast erwartete ich hier auch ein Platzen, denn in der Einführung wurde erwähnt, dass jedesmal, wenn die Religion ins Spiel käme, Luftballons zerplatzen würden, denn nicht sie schützt die Kinder, sondern die Musik. Aha.

Die arme Gretel muss an Turnringen über die Bühne schwingend die Traumerzählung singen. Rücksichtnahme auf Sänger kennt der Regisseur also auch nicht. Das Hexenhaus ist eine überdimensionierte Torte, auf der die grünlich schillernde Hexe wie eine fleischfressende Pflanze thront, Kinder, die aussehen sollen wie in Kokons eingesponnene Maden, marschieren vorüber. Vielleicht sollten es aber auch eher vorbereitete Freßpakete für die Hexenspinne sein, das würde irgendwie mehr Sinn machen. An dieser Torte ist alles künstlich, es gibt für Hänsel und Gretel hier absolut nichts zu essen, warum bleiben sie dann eigentlich da?
Der Zauberstab der Hexe ist eine Krücke, die sie aber anscheinend nicht wirklich benötigt, eigentlich ist sie noch ganz gut zu Fuß. Der weitere Verlauf wird immer abstruser, Hänsel und Gretel werden Plastiktüten über den Kopf gezogen, die Hexe stürzt eher beiläufig in ein Loch in der Torte, das wohl den Ofen symbolisieren soll, um gleich darauf wieder putzmunter auf der Torte zu stehen. Die Kinder setzen ihre Madenbrillen ab, bevor Hänsel und Gretel sie berühren, beziehungsweise berühren sie sie ja gar nicht, sondern scheinen eher Angst vor ihnen zu haben. Am Ende tragen Mutter und Vater ihren persönlichen Schrank mit sich rum. Warum? Keine Ahnung.
Entschädigung für die szenische Themaverfehlung kam aus dem Graben und von der Bühne. Das war wirklich wunderschön musiziert, das Orchester unter Kristiina Poska schwelgte in Humperdinck und ließ dennoch den Sängern Raum für Textverständlichkeit der Extraklasse. Maureen McKay als Gretel und Karolina Gumos als Hänsel ergänzten sich prächtig und ließen die Töne fließen, dass es eine Lust war. Ariana Strahl als Sand-/Taumännchen war wirklich ganz bezaubernd, Carola Guber als Gertrud und Stefan Sevenich als Peter komplettierten das Ensemble auf hohem Niveau. Lediglich Frederika Brillembourg hat mir nicht gefallen, das hat aber vermutlich daran gelegen, wie ihre Rolle angelegt wurde. Der Kinderchor war von Dagmar Fiebach ganz hervorragend einstudiert.
Nachdem dies die erste Inszenierung der Märchenoper von Engelbert Humperdinck an der Komischen Oper Berlin ist, hätte ich dem Haus eine Interpretation gewünscht, die weniger offene Fragen und Kopfschütteln zurücklässt.

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Hänsel und Gretel, 07.04.2013, Bayerische Staatsoper

[singlepic id=1516 w=320 h=240 float=left]Über die letzte Vorstellung in dieser Spielzeit hab ich wieder drüben bei mucbook geschrieben.

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Die Leiden des jungen Publikums – Werther nach Goethe am Volkstheater

[singlepic id=1494 w=320 h=240 float=left]Man kann wütend und traurig aus dem Theater kommen. Im besten sowie im schlechtesten Falle. Die Wertheradaption am Volkstheater stellt idealtypisch Letzteres dar.

Nach Goethe wird dort dessen Durchbrecher, Everburner, Briefroman und Schulbuchklassiker eingestampft, durchgedreht, ausgetanzt und an seltenen Stellen wiedererkannt. Vom Werther verbleibt dann allein texttechnisch maximal ein trauriges, verstrichenes Fünftel.

Dabei beginnt es gar nicht mal so schlecht. Die allesamt jungen fünf Darsteller laufen sich warm im grellen Bühnenlicht vor kahler Wand; ja auch im Volkstheater zeigt man neuerdings und innovationsbedingt Unverputztes.

Leider bleibt es dabei. Das Laufen läuft ins Leere, die Regieidee ist damit bereits schon am Ende. Der Rest uninspiriertes Textverteilen und Missverstehen von Charakteren, Handlung und eben dem Werther. Der mittlerweile etablierte Regiegriff der Dopplung von Figuren – meisterhaft durch Kriegenburg beim Kammerspielprozess vorgeführt – wird dabei weder durchdrungen noch durchgehalten. Dazu das leidige Problem des Sprechniveaus und der Verständlichkeit des jungen Volksensembles im Haus. Man folgt den im Grunde ja leichten und sprecherfreundlichen Texten nicht, da sie nicht gebracht werden. Nach der Reihe scheitern die Schauspieler leider am leichtesten Goethe.

Ohnehin vertraut Regisseur Gehler dem Text unverständlicherweise nicht im Geringsten. Hilflos vertanzt und verfilmt er Pantomimenhandlung, um das Publikum scheinbar nicht zu überstrapazieren. Dafür langweilt er es mit überlang ausgewalzten Regieblitzchen die ausgekocht werden, bis das fade Partygehüpfe auch die letzte Bühnenemotion ertränkt. Die mit Morricone-Elektro-Georgel unterlegten Ensemblemomente bilden dabei noch die Höhepunkte dieses uninspirierten Abends, der es schafft die TV-Schmonzette Goethe! zum Thema Werther deutlich zu unterbieten.

Zu den Darstellern: Pascal Riedel gibt den Titelhelden anscheinend bewusst emotionslos inszeniert und auf exakt einem Sprechton/-tempo leiert er die an sich so emotionsgeladenen Bruchstücke der Vorlage herunter und verliebt sich in Publikumsextempores, die ihm mehr Erfolg bescheren, aber der Figur nicht zuträglich sind. Da kalauert er sich durch die Ränge und hüpft konzentrationsverlustig in seiner eigenen Welt durch den Applaus. Leider ließ er uns nicht an der Gefühlswelt Werthers teilhaben. Damit er nicht zu viel und zu lange sprechen muss, stellt man ihm zwei Stichwortgeber Männlein a und Weiblein b zur Seite. Das negiert die notwendige Vereinsamung der Figur leider vollkommen, ermöglicht aber noch mehr Hüpfen. Lenja Schultze spricht dabei ebenso fad, wie ihre inhalts- und charakterleere Figur angelehnt ist und schafft es leider mit dem Rest des Ensembles nicht, den Pferdetakt zu halten. Justin Mühlenhardt – einige lichte Momente – gibt einen Wilhelm/Bauernburschen mit famoser Überschätzung der Spiegelfigur nach Goethe. Noch weniger wird Albert verstanden, sondern gleich komplett verraten. DJ Albert holpert Knarre ziehend im Sido-Look und doch moralisierend, dabei den Werther teils doppelnd, ebenfalls vom Text überfordert und verzweifelt ob des Wohin-mit-den Händen um seine Turntable (Sohel Altan G.). Zuletzt Mara Widmann als Lotte. Eine Ikea-Paradiesstiege führt vom Schnürboden herab (Bühne: Sabrina Fox). Herunter tritt aber dann doch die sehr irdene Widmann. Ihre Lotte ist eine doofe, langweilige, nichtinteressierte und – ist der Schmeichler weg – zickige Göre im hässlichsten Kostüm aller Zeiten. Sie macht es an diesem Abend niemanden leicht sie zu mögen, geschweige denn sich zu verlieben.

Diese schrillen 5 müssen dann 80 Minuten lang die unwichtigsten Werthermomente überreizen, ohrfeigen und erneut viel tanzen. Wie Jugendkultur halt so funktioniert. Drum auch das DJ-Pult, die Batterie Dosenbier und die Null-Bock-Attitüde. Gedrängt wird woanders, stürmen tut‘s nur beim Bierschaum. Aus der Gesandtenszene weiß Gehler freilich nichts anzufangen, ebenso wie mit den starken Natur- und Kunstausbrüchen. Sie fehlen komplett ebenso wie die notwendigen Passagen, die eine Entwicklung der Liebe, der Grausamkeit, der Eifersucht und schließlich der Krankheit zum Tode erschlossen hätten. Dieser Werther stirbt, weil es halt so bei Goethe steht. Und um den missglückten Abend zu beenden.

Unverzeihlich ist das dem jungen Publikum gegenüber, dem ein falscher, fader und blöder Werther geboten hat. Dabei goutiert das gütige Volkstheaterpublikum ja sogar jeden Zuspätkommer, Handyklingler und deren stümperhafte Vereinnahmung der Impro-Dilettanten an der Rampe. Szenenapplaus statt Massenflucht zurück zum Reclam-Bändchen. Dabei sollten Schüler wie Erwachsene jedoch bleiben, um dieser unverzeihlichen Verwurstung fernzubleiben. Unverzeihlich ist dies deswegen, da der Text ja allein reichen würde.

Nimm einen guten Sprecher/Leser, setz ihn an einen Tisch und der Werther erzeugt und bringt mehr als durch diese Ver-Soap-ierung eines zeitlosen Stoffs. Dann verlässt das Publikum auch aus gutem Grunde erschüttert, ja traurig ob der Tragik der jungen Liebe und wütend ob des verschwendeten Genius das Theater. Bis auf ein paar billige Lacher und dem gefühlten Grauen vor schlechtem Adaptierungstheater erzeugt Gehler leider kein Gefühl und hat bei dieser verkorksten Inszenierung wohl auch keines empfunden.

Besucht wurde die Vorstellung am 06.04.2013

Regie: Jan Gehler; Bühne: Sabrina Rox; Kostüme: Katja Strohschneider; Albert: Sohel Altan G., Wilhelm: Justin Mühlenhardt, Werther: Pascal Riedel, Sophie: Lenja Schultze, Lotte: Mara Widmann

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Alice im Wunderland, 31.03.2013, Anhaltisches Theater Dessau

Ich bin ja eigentlich eher nicht so fürs Ballett zu haben, aber das Ensemble des Anhaltischen Theaters Dessau zeigte mit Alice im Wunderland sowohl optisch wie akustisch ansprechendes Tanztheater, das mir Lust auf mehr machte.

Alice sitzt allein in ihrem Zimmer, seltsame, gesichtslose, eckige Gestalten jagen ihr Angst ein. Sie fühlt sich ausgeschlossen und als ein weißer Hase auftaucht (sehr witzig im Schottenrock und mit überdimensionaler Uhr) folgt sie ihm bereitwillig in eine andere Welt. Dort reiht sich eine Merkwürdigkeit an die andere, eine schrille Köchin, die nicht kochen kann, lebende Spielkarten, eine Grinsekatze, hüpfende Zwillinge, ein Hutmacher und eine Königin, die ihre Untertanen gerne köpfen lässt. Alice wandert verwundert durch diese Welt, nimmt alles begierig auf und setzt sich damit auseinander. Am Ende lernt sie, dass man zusammen mehr erreichen kann als allein.

Die Tanzsprache hat mir ganz ausgezeichnet gefallen. Das waren fließende Bewegungen, grazil, aber doch kraftvoll und sehr aussagekräftig. Da wurde nicht geschleudert und gestoßen, alles war sehr fein und damit auch sehr emotional. Klassische Elemente wie Spitzentanz vereinigten sich aufs Beste mit modernen Tanzelementen. Bis hin zum jüngsten Besucher waren alle in meiner Nähe Sitzenden vom Bühnengeschehen fasziniert. Die Inszenierung und Choreografie von Tomasz Kajdanski lassen die gesamte Familie Freude an dem Stück haben. Die sehr fantasievollen Kostüme von Dorin Gal, der auch die wandlungsfähige Bühne entworfen hat, tragen zum tollen Gesamteindruck bei. Die Projektionen von Enrico Mazzi auf den Bühnenhintergrund vertiefen das Bühnengeschehen zusätzlich.

Getanzt wurde, so weit ich das beurteilen kann, auf sehr hohem Niveau. Laura Costa Chaud ist wirklich von ihrer ganzen Körpersprache her eine bezaubernde Alice. Leider hab ich mir nicht gemerkt, wer das Kaninchen getanzt hat, das hat mir nämlich auch sehr gut gefallen. Fantastisch fand ich auch die Königin Anna-Maria Tasarz, nicht nur vom Tanz, sondern auch vom Darstellerischen her. Aber auch die restlichen Tänzer waren ganz ausgezeichnet und schafften eine kindlich-spielerische Athmosphäre.

Beieindruckend schön war auch die Musikauswahl, ausschließlich französische Komponisten in ihrer ganzen Vielfalt, Debussy, Bizet, Ravel, Massenet, Offenbach, um nur einige zu nennen. Die einzelnen Stücke passten wirklich hervorragend zu den jeweiligen Szenen und unterstrichen die vorherrschende Stimmung. Lediglich die Übergänge zwischen den einzelnen Stücken war mir an manchen Stellen zu lang, da nahm ein wenig Spannung aus dem Stück, das fand ich ein wenig schade. Die Anhaltische Philharmonie unter Wolfgang Kluge musizierte klangschön und lies bei jedem Komponisten dessen Stil erkennen und stellte doch einen inneren Zusammenhang her.

Also es gibt es offensichtlich noch, das schön anzuschauende, spannende Tanztheater, das eine Geschichte stringent erzählt und das Publikum auch ohne “ironische Brechungen” zu fesseln vermag. Schade, dass Dessau nicht um die Ecke liegt, sonst hätte ich hier nach den bisher erlebten Vorstellungen schon ein Abo.

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HungerPhantasie – Hänsel und Gretel an der Staatsoper

[singlepic id=1485 w=240 h=320 float=left]Was wurde nicht alles gesagt, geschrieben und geschimpft über diese Fastneuproduktion des Weihnachtsklassikers an der Bayerischen Staatsoper: Nostalgietrauer um die List–Inszenierung, Aufregung über den Produktionsrestverkauf um den Globus, moderne Küche, gestrichene Engel und dieser Fisch… zu neu, zu brutal, zu nicht-kitschig.
Lassen wir die Produktion für sich selber sprechen.
Dazu sollte man sich kunstgeschichtlich diesem Abend nähern. Denn Richard Jones malt Bilder für die Bühne, nutzt sie im Prospekt und baut starke Momente. Viel Magritte zu Anfang, ein bisschen Beuys, sehr starker Warhol in den Zwischenakten (John MacFarlane Bühne und Kostüm). Fluchtpunktperspektivisch wird so das Märchen zum Ästhetikkammerspiel. Das ist surreal und Popart, sieht gut aus und funktioniert. Ein Kammerspiel des Hungers, wie im Libretto deutlich belegbar und schlüssig ausformuliert entsteht in den kühlen Räumen, in einer hübschen Leere ohne Nahrung wie der leere Mottoteller zu Beginn. Der Wald verkommt zur Tapete die Statisterie in cooler Ent-Optik zu den rauschenden Bäumen. Verständlich bleibt das alles und die Abstraktion zeigt den Kindern und ihren oft konservativeren Eltern, mit welchen Mitteln das Theater im Kleinen zaubern kann.
Getragen wird dieser Minimalismus durch elaborierte szenische Arbeit des Hochleistungsmärchentraumpaares Tara Erraught und noch eine Spur zauberhafter Hanna-Elisabeth Müller. Mit allerhand Choreografie und Gezank bleibt der Fokus auf dem ersehnten Mahl. Auch bei den Eltern. Besenbinder Alejandro Marco-Buhrmester putzt dabei stimmlich wie spielerisch seine Frau Janina Baechle an die kahle Wand. Dieser Vater ist Suffkopf, Angsthase und liebender Vater zugleich. Mutter steht kleine angedeutet vor dem Pillensuizid und spuckt vor Angst die Wurst wieder aus. Darüber lässt sich streiten, bleibt aber den Kleinen eher verborgen als den Großen, die diese existenzielle Seite des Überlebensmärchens durchaus erkennen dürfen. Denn existenziell ist dieser Text und der Konflikt
Wovon träumt wohl ein an Hunger leidendes Kind? Sicherlich nicht von Rauschgoldengeln, sondern von Essen, von Küche und von Genuss. Eine Mischung aus Groteske und Sei-Hier-Gast-Disney-Optik erscheint dann auch wirkungsmächtig und kindgerecht durch aufmarschierende Comicköche und eine livrierte Makrele (Christian Prager) – wohl getimt ins Finale Akt II. hineingeschneidert. Das passt, ist komisch anzusehen und vor allem für die Kindelein schlüssig. Und auch das soll nicht aus den Augen verloren werden.
Das Gruselhutzelmännlein des Sandmannes überzeugt weniger als die spülende Taufrau, die die letzten Reste des schönen nächtlichen Traumes beseitigt, bevor der Grundtenor des Abends mit dem überdimensionierten Mäulchen zurückkehrt. Da hüpfen die 4-8-Jährigen kurz vom Stuhl und bleiben gespannt dabei. Ebenso wie beim folgenden entstaubten Hexenküchenakt.
[singlepic id=1486 w=320 h=240 float=right]Eine Verbeugung vor der großartigen Fatsuit-Travestie dieser tollen Knusperhexe von Rainer Trost. Im Gegensatz zur alten Karikatur der Karikatur (Ulrich Reß) mischt er in seiner Küche genau die richtigen Mischung aus Überdrehtheit, wohl dosiertem Grusel, Klamauk und (weiblichem) Talent, damit sich auch die Kleinen ein wenig fürchten ohne Angst zu bekommen. Die Kühlschranktür bleibt immer nur so lange offen, um die Kinderhaxerl zu erahnen und die Backekinder verwandeln sich natürlich alle zum HappyEndFinale mit Osterbotschaft in brave Kindelein. Wie es nun mal im Märchen sein soll. Und wo wenn nicht im Schutzraum Theater, ohne die Konsequenz des Alltags darf man eine Hexe – wie von den Grimms ja nun mal vor-geschrieben – in den Ofen schieben und in einen Hefezopf verbacken, wo doch jedes Kind weiß, dass sie spätestens beim Applaus wohlbehalten wieder an die Rampe tritt.
An der Rampe wurde das starke Ensemble dann auch euphorisch gewürdigt und die Reaktionen von Jung und Alt steigerten sich im Vergleich zur Listseligkeit. Das liegt vor allem am satten und wachen Sound des Orchester unter Tomáš Hanus der meiner Ansicht nach jede Stunde Humperdincks an der Nibelungenkanzlei zutage treten lässt.
Zopfschneider Bachler wünscht dieser Inszenierung und – indirekt damit verbunden – auch seiner Fortdauer der Intendanz ein langes Leben. Diesem Wunsch will man sich nach dieser modernen und guten Hänselneuauflage gerne anschließen, da sich Erwachsene nicht langweilen und die Anspielungen durchdringen, dieser Abend aber vor allem für die Kinder durchaus etwas von der Opern- und Bühnenmagie überträgt, sie ernst nimmt, fordert und dabei glänzend unterhält.

Besucht wurde die Vorstellung am 01.04.2013.

Musikalische Leitung Tomáš Hanus, 
Inszenierung Richard Jones, 
Bühne und Kostüme John Macfarlane, 
Neueinstudierung Benjamin Davis
, Lichtkonzept Jennifer Tipton
, Licht Michael Bauer, 
Choreographie Linda Dobell, 
Einstudierung Choreographie Anjali Mehra
, Einstudierung Kinderchor Stellario Fagone, 

Peter, Besenbinder Alejandro Marco-Buhrmester
, Gertrud Janina Baechle
, Hänsel Tara Erraught
, Gretel Hanna-Elisabeth Müller
, Die Knusperhexe Rainer Trost
, Sandmännchen / Echo IV Yulia Sokolik
, Taumännchen / Echo II Golda Schultz
, Echo I Iulia Maria Dan, 
Echo III Agnes Preis
, Echo V Silvia Hauer

, Bayerisches Staatsorchester
K, inderchor der Bayerischen Staatsoper

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Premiere Siegfried, 30.03.2013, Anhaltisches Theater Dessau

Auch mit dem zweiten Teil des von rückwärts aufgezähmten Ringes, dem Siegfried, lieferte das Anhaltische Theater mit seinem Ensemble wieder ein Meisterstück ab.

Der erste Akt zeigt zwei Computerfreaks, Mime eine Mischung aus Bill Gates und Elton John, Siegfried ein Möchtegernrapper. Beide liefern sich ein Spielduell, das in der Wiedererstehung von Nothung gipfelt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Projektionen teilweise unscharf waren, und es hätte mich schon interessiert, was genau Siegfried da programmiert, fehlte hier die Kraft und die Magie der Schmiedeszene komplett. Ich verstehe den Ansatz des Regisseurs André Bücker durchaus, finde ihn aber nicht mit dem Text und der Musik schlüssig umgesetzt.

Das änderte sich ab dem zweiten Akt, ab hier nahm mich das Geschehen auf der Bühne völlig gefangen, wie schon bei der Götterdämmerung. Verschiebbare, dreiseitige Prismen, deren eine Seite als Projektionsfläche diente und die anderen zwei Seiten eine Gitterkonstruktion zeigte, die sowohl einen dichten Wald als auch eine Art Gefängnis hervorragend symbolisierte, bildeten zusammen mit den schon aus der Götterdämmerung bekannten halbrunden Vorhängen, auf die ebenfalls projiziert wurde, das Bühnenbild. Dazu kam ein Fafner mit einem wirklich imposanten Kostüm, ein Waldvogel mit einem gut aussehenden, symbolträchtigen, vielleicht etwas bewegungsunfreundlichen Kostüm und ein Alberich, der auch einer Pyramide entsprungen sein könnte.

Im dritten Akt weisen Bühne und Kostüme schon deutlich in Richtung Götterdämmerung, der kubische Brünnhildenfelsen ist wieder da, Siegfried schält sich langsam aus seiner Lederjacke und zeigt die darunter liegenden Bandagen, seine Brünnhilde trägt beim Erwachen noch unschuldiges Weiß, hüllt sich aber schon in die erdigen Farben des letzten Teiles des Rings. Die Projektionen beim Auftritt der Erda deuten auf ihre Eigenschaft als Urmutter hin, ein Nukleus, der Ursprung allen Lebens. Ihr Kostüm soll wohl so etwas ähnliches symbolisieren, ganz wurde ich nicht schlau draus. Auch der staksige Gang von Siegfried erklärt sich hier, die Figuren wirken marionettenhaft, jemand anderes zieht die Fäden, sie sind Erfüllungsgehilfen der Vorsehung, keine eigenständig Handelnden.

Insgesamt bilden Bühne (Jan Steigert), Kostüme (Suse Tobisch), die Projektionen von Frank Vetter und Michael Ott sowie die Regie von Generalintendant André Bücker wieder eine sehr schöne Einheit, die einen fast hypnotischen Sog erzeugen und die Zeit vergessen lassen. Ein paar Kleinigkeiten wie die unscharfen Projektionen im ersten Akt oder die leicht zeitverzögerte Projektion  von Fafners Mund beim Aufwecken durch den Wanderer irritieren zwar kurzfristig, stören aber den großartigen Gesamteindruck nicht nachhaltig. Vieles trägt Formen in sich, die eine eigene Bildersprache haben. So besteht das Kostüm des Waldvogels unter anderem aus einer liegenden Acht, dem Symbol für die Unendlichkeit. Hier bietet sich schon viel Stoff zum Nachdenken an. Bückers Inszenierung ist ein  fabelhaftes Beispiel für eine sehr gelungene Neuinterpretation, die das Publikum fordert, aber nicht überfordert. Eine Regie muss sich selbst erklären, und das ist sowohl bei Siegfried wie auch bei der Götterdämmerung der Fall. Ich bin schon sehr gespannt auf die Walküre. Und habe mir fest vorgenommen, mir den ganzen Ring anzusehen, denn der innere Zusammenhang, den Bücker herstellt, gefällt mir jetzt schon sehr. Insgesamt muss man wieder sagen: Hut ab, was Sänger, Orchester und Bühnentechnik geleistet haben.

Musikalisch war der Abend auf sehr hohem Niveau. Peter Svensson, der sehr überzeugend spielte, merkte man im dritten Akt dann doch die noch nicht ganz auskurierte Erkältung an, aber davor zeigte er eine wirklich tolle Leistung, wie eigentlich alle Beteiligten. Herausragend der Wanderer von Ulf Paulsen, der neben einer tollen Stimme eine starke Bühnenpräsenz zeigte. Der Auftritt von Stefan Adam als Alberich war kurz und prägnant und Dirk Aleschus  als Fafner ist nicht nur in der Statur imposant. Albrecht Kludszuweits Interpretation des Mime hat mir im ersten Akt noch nicht so gut gefallen, das änderte sich im zweiten jedoch schlagartig. Ich fühlte mich an die Humperdincksche Knusperhexe erinnert, was ganz ausgezeichnet zu der Rolle passte. Angelina Ruzzafante war in Stimme und Spiel ein ganz bezaubernder Waldvogel, wenn ich jetzt an die Vorstellung zurückdenke, habe ich ihre Partie im Ohr. Iordanka Derilova ist eine fantastische Brünnhilde und das zeigte sie auch an diesem Abend, wobei ich in meiner persönlichen Vorstellung die Figur hier noch etwas zurückhaltender ist. Rita Kapfhammer sang eine Erda aus dem Bilderbuch, die Stimme passte perfekt zur Partie, dunkel und erdig und zugleich göttlich. Antony Hermus hätte hin und wieder das Orchester etwas zurücknehmen können zugunsten der Sänger, aber über weite Strecken war es perfekt.

Ein sehr erfüllender Abend, der zeigt, dass sich das Anhaltische Theater Dessau nicht zu verstecken braucht und durchaus mit groß- und hauptstädtischen Theatern mithalten kann. Weitere Vorstellungen am 13.04., 09.05. und 09.06., Karten von 18,50€ bis 49€.

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