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Heute hier, morgen dort – Abschiedsgala, 22.04.2012 (20.00 Uhr), Gärtnerplatztheater

[singlepic id=1308 w=320 h=240 float=left]Selten hat ein Songtext auf eine Situation besser gepasst als dieser. Es war ja nicht nur ein Abschied von einem liebgewordenen Haus, sondern auch von vielen liebgewordenen Menschen. Meine Theaterleidenschaft begann im Mai 2007 und so konnte ich an diesem Abend viele Stücke noch mal Revue passieren lassen. In diesem Haus habe ich gelernt zu sehen, zu hören, zu fühlen und Gefühle zuzulassen. Ich bin sehr dankbar, dass ich so viel Neues kennenlernen durfte. Ich werde sicher noch viele Jahre davon profitieren.

Die musikalische Leitung dieses Galaabends hatten Lukas Beikircher, Andreas Kowalewitz, Jörn Hinnerk Andresen und Liviu Petcu inne. Die meisten Stücke wurden vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz begleitet, das damit mal wieder seine Vielseitigkeit und Ausdauer unter Beweis stellte. Die Choreografie des TTM stammte von Hans Henning Paar, der Chor wurde von Jörn Hinnerk Andresen einstudiert, die wahrlich nicht leichte Aufgabe der Programmkoordination hatte Gabriele Brousek zu bewältigen. Für die szenische Einrichtung und Spielleitung zeichnete Thomas Schramm verantwortlich, am Inspizientenpult saß Andreas Ehlers. Rolf Essers beleuchtete ganz ausgezeichnet und Dirk Buttgereit und Daniel Ployer betreuten den Ton hervorragend.

Der Abend begann mit einem Stück, mit dem ich auch meine erste aktive Erinnerung an das schönste Theater Münchens verbinde. Irgendwann in den Neunzigern hatte ich hier eine MY FAIR LADY gesehen und bis heute ist es eines meiner Lieblingsstücke. Marianne Larsen, die die Rolle der Eliza lange hervorragend verkörpert hat, trat im Kostüm ihrer anderen Glanzrolle auf: Mrs Lovett aus SWEENEY TODD. In diesen beiden Partien konnte sie ihr großartiges Musicaltalent voll ausspielen, wollte man mehr davon sehen, musste man ziemlich weit nach Osten fahren. Sie bot ihrer würdigen Rollennachfolgerin Milica Jovanovic dann auch Pasteten an, die erste war voll Alkohol (was da wohl drin war 😉 ), die letzte war marode und das war natürlich ganz klar das Gärtnerplatztheater. Unterstützt wurden die beiden von Sebastian Campione, Cornel Frey, Hans Kittelmann, Holger Ohlmann und dem Herrenchor.

Nach einem Prolog von Thomas Peters ging es weiter mit dem Überraschungserfolg DIE PIRATEN VON PENZANCE von Gilbert & Sullivan. Diese Stück hat bei mir das Interesse für die Musik des genialen Duos geweckt und seitdem beschäftige ich mich intensiv damit. Wenn das Kampfsignal ertönt schmetterten Thérèse Wincent, Frances Lucey, Ulrike Dostal, Martin Hausberg, der Chor und die Bobbies tanzten ein letztes Mal dazu. Als Schmankerl folgte dann noch das beliebteste Terzett im G&S-Kanon, Als Du uns schnöd verlassen hast, wie immer hinreißend vorgetragen von Rita Kapfhammer, Holger Ohlmann und Robert Sellier.

Sandra Moon sang Tschaikowsky, begleitet von Andreas Kowalewitz, und Neel Jansen und David Valencia zeigten Twin Shadow aus AUGENBLICK VERWEILE. Und weil so ein Dirigent auch wieder von der Bühne in den Graben muss, suchten in der kleinen Pause bis zum nächsten Stück drei fesche Herren im Bademantel die Sauna.

Das Warten hatte sich gelohnt, denn als nächstes stand Gary Martin mit To dream the impossible Dream aus DER MANN VON LA MANCHA an. Schade, dass ich das Stück nie live gesehen habe. Sebastian Campione brachte danach das Haus zum Kochen mit einer extralangen Version seiner Beatbox aus VIVA LA MAMMA. Im Anschluss unterlegte er dann auch noch den etwas abgewandelten Küchenrap aus der OMAMA IM APFELBAUM rhythmisch. Thérèse Wincent und Susanne Heyng zeigten nochmals, dass sie es drauf haben.

Der Chor sang danach Universal Good aus CANDIDE, noch ein Stück, bei dem ich mich ärgere, es nicht gesehen zu haben. Der nächste Programmpunkt, angekündigt durch Hans Henning Paar und Ursula Pscherer, hatte einige interessante Komponenten: konzipiert und einstudiert wurde das Stück von Artemis Sacantanis, ehemalige Solotänzerin und nun Probenleiterin am Haus. Ihr zur Seite standen ehemalige Tänzer des Gärtnerplatztheaters, die jetzt in anderen Berufen am Haus, zum Beispiel Orchesterwart, Probenleiterin oder Leiterin der Kinderstatisterie beschäftigt sind. Ihre Wandlung von „Auf der Bühne“ zu „Hinter der Bühne“ drückte sich sehr schön im Titel inVISIBLEs aus.

Thomas Peters, der am Haus in vielen, vielen Rollen glänzte (unter anderem Freddie in MY FAIR LADY, Dirigent in ORCHESTERPROBE, Toby in SWEENEY TODD und ganz besonders Frosch in der FLEDERMAUS) erinnerte nochmal an sein bezauberndes Stück SHOCKHEADED PETER mit dem Song Der fliegende Robert. Leider habe ich es nur einmal gesehen, anfangs war ich noch nicht ganz so süchtig, zuletzt war ich ja durchschnittlich an vier Abenden in der Woche im Gärtnerplatztheater. Ursache dafür war die Vielfalt und das interessante Programm des Hauses – und das wunderbare Ensemble.

Sehr bewegend war auch der persönliche Abschied von Gunter Sonneson mit Hier im Grandhotel. Ich bin sehr froh, diesen Ausnahmekünstler noch fünfmal als John Styx in ORPHEUS IN DER UNTERWELT erleben zu dürfen. Halt nur leider nicht in München, sondern in Heilbronn.

Im letzten Stück vor der Pause hatten die drei Herren endlich die Sauna gefunden. Das Schiff aus der L’ITALIANA IN ALGERI ist zwar schon vor ein paar Wochen gesunken, aber die beliebteste Szene hatte man offensichtlich retten können. Für Publikumsliebling Stefan Sevenich natürlich ein Heimspiel, für seine beiden Begleiter Cornel Frey und Juan Fernando Gutiérrez hätte ich mir jedoch einen etwas „würdigeren“ Abschied gewünscht.

Zu Beginn des zweiten Teiles erinnerten das Preludio und die Arie Tu del mio Carlo al seno, wunderbar vorgetragen von Elaine Ortiz Arandes, an die sehr gelungene Inszenierung von I MASNADIERI. Das Schlussbild von HÄNSEL UND GRETEL gibt zwar einen wunderbaren Auftritt des Kinderchores her, aber die Solisten Rita Kapfhammer, Ann-Katrin Naidu, Thérèse Wincent und Gary Martin standen etwas verloren herum. Ich kann nur hoffen, dass diese zauberhafte Produktion wiederaufgenommen wird und nicht zu Gunsten einer Eurotrashregie in der Versenkung verschwindet. Das Balkon-Duett aus ROMEO UND JULIA wurde von Hsin-I HUANG und Marc Cloot sehr ansprechend getanzt, wenn mal keine Blätter auf der Bühne rascheln oder unaufhörlich Schnee fällt, gefällt mir moderner Tanz sogar fast.

Der scheidende Staatsintendant Dr. Ulrich Peters hielt eine persönlich gehaltene Abschiedsrede und ich kann mich seinen Worten nur anschließen: das Ensemble in Zeiten der Heimatlosigkeit aufzulösen ist in meinen Augen ein schwerer Fehler. Damit und mit der anscheinend unvermeidlichen Ablösung des im Stadtbild mittlerweile fest verankerten Logos nimmt man der Institution zumindest einen Teil ihrer Identität.

Im Anschluss sangen Franziska Rabl und Ella Tyran mit Unterstützung des Chores die Barcarole aus HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN, auch ein Stück, dass schon länger zurück liegt und das ich nicht gesehen habe. Im FREISCHÜTZ war ich trotz der schrecklichen Inszenierung ziemlich oft, was für die Qualität der Sänger spricht. Christina Gerstberger und Sandra Moon sangen das Duett Ännchen-Agathe vom Beginn des zweiten Aktes. Das Duett Hans-Kezal gehört zu meinen Lieblingsstücken aus DIE VERKAUFTE BRAUT und es war schön, Derrick Ballard und Tilmann Unger damit noch einmal zu hören. Es folgte das Quintett aus der ZAUBERFLÖTE, gesungen von Sandra Moon, Ann-Katrin Naidu, Franziska Rabl, Daniel Fiolka und Robert Sellier. Danach kam noch ein Ausschnitt aus AUGENBLICK VERWEILE und da war ich dann doch ganz froh, dass ich es nicht gesehen habe, denn bei so schnell vorbeihuschenden Szenerien wird’s mir immer schlecht, ganz abgesehen davon, dass ich nicht verstehe, was im Kreis laufen mit modernem Tanz zu tun hat.

Im Anschluss gabs noch das schöne Duett Marie-Wenzel aus DIE VERKAUFTE BRAUT, Stefanie Kunschke und Hans Kittelmann wären auch ein prächtiges Paar gewesen, wenn sie sich nicht jeweils anders entschieden hätten. Der Weibermarsch aus DIE LUSTIGE WITWE machte nochmal so richtig Laune. Daniel Fiolka, Sebastian Campione, Mario Podrečnik, Robert Sellier, Gunter Sonneson, Tilmann Unger und Martin Hausberg mussten sich mit der geballten Weiblichkeit des Theaters zu einer schönen Choreographie von Fiona Copley auseinandersetzen. Thomas Peters hatte noch einen allerletzten Auftritt als Frosch, seine Paraderolle, bevor mit Tutto nel mondo è burla (Alles ist Spaß auf Erden) aus FALSTAFF ein positiver Schlusspunkt gesetzt wurde. Heike Susanne Daum, Sandra Moon, Christina Gerstberger, Ella Tyran, Ann-Katrin Naidu, Franziska Rabl, Gregor Dalal, Martin Hausberg, Hans Kittelmann, Gary Martin, Mario Podrečnik, Robert Sellier und der Chor machten Lust auf die nächste Premiere am 18.05., dann im Prinzregententheater. Am Ende winkten Publikum und Ensemble sich gegenseitig mit weißen Taschentüchern zu und nicht nur bei mir flossen ein paar Tränen.

Mir bleibt nur Danke zu sagen. Danke an alle Beschäftigten des schönsten Theaters Münchens, die für mich die letzten fünf Jahre zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Ich werde die Erinnerung an diese Zeit immer in einer ganz speziellen Stelle meines Herzens bewahren. Danke für viel Heiterkeit und viele Tränen. Danke für emotionale, aufwühlende Stunden und für Lehrreiches.

Danke für so viel Schönes, liebes Gärtnerplatztheater.

 

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Die Fledermaus, 20.02.2012, Gärtnerplatztheater

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Die Fledermaus am Rosenmontag mit einem bestens aufgelegten Ensemble und ein ausverkauftes Gärtnerplatztheater – was braucht man mehr!

In der Inszenierung von (Noch-) Intendant Ulrich Peters tummelten sich die Ensemblemitglieder des Theaters. Heike Susanne Daum und Tilmann Unger standen als Ehepaar Eisenstein auf der Bühne. Tilmann Ungers Tenor passt sehr gut zum Eisenstein, und Heike Susanne Daum beeindruckte nicht nur schauspielerisch: sehr schön gelang den beiden das Uhrenduett. Mit ausdrucksstarker Stimme interpretierte Frau Daum die Rosalinde und bot auf dem Ball des Prinzen einen feurigen Csardas. In weiteren Rollen Ella Tyran als quicklebendige Adele und Ulrike Dostal als Ida. Torsten Frisch verlieh dem Dr. Falke seinen Bariton und Spielfreude. Mit schönem sattem Mezzo sang Franziska Rabl den Prinzen Orlowsky. Robert Sellier als Gesanglehrer Alfred und Hans Kittelmann in der Rolle des Advokaten Dr. Blind brachten die Figuren überzeugend auf die Bühne. Auch immer wieder schön: der Gefängnisdirektor Frank, von Dirk Lohr verkörpert. Mit Thomas Peters hat das Haus einen ausgezeichneten Gefängniswärter Frosch gefunden. Es kommen keine Längen, wenn er zu den alten Gags den Bezug auf die Politik und aktuelle Themen aufnimmt.  Einfach super!

Der Chor war wie gewohnt in dieser Produktion gut und hatte an diesem Tag besonders viel Spaß. Auch das Orchester war in Champagner-Laune: Dirigent Andreas Puhani entlockte dem Orchester mit leichter Hand schmissige Rhythmen, schnelle Tempi, und die Funken sprühten. Danke!

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Die Liebe zu den drei Orangen, 24.11.2011, Gärtnerplatztheater

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Adieu, mon amour! Dabei haben wir uns gar nicht so oft gesehen, wir zwei, nur dreizehn Mal, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Dabei bist Du gar nicht so traditionell daher gekommen, wie ich es eigentlich gerne mag, sondern warst immer ein bisschen schrill, ein bisschen laut, ein bisschen bunt. Aber eben nie zu schrill, zu laut, zu bunt. Im Gegenteil, Du warst unglaublich sinnlich und hast mir immer das Gefühl gegeben, dass alles richtig ist. Du hast mich gefangen genommen mit Deinen wunderschönen Bildern, hast mir die Musik Prokofjews nahe gebracht und mich für Otto Dix interessiert. Du hast mich fasziniert mit Deiner Ausstrahlung und in Atem gehalten mit deiner Spannung. Du bist das schönste, was am Gärtnerplatz in den letzten viereinhalb Jahren gespielt wurde.

Am 10.12.2011  kannst Du Dich ein letztes Mal in voller Pracht zeigen, aber ich werde nicht dabei sein, deshalb habe ich jetzt schon Abschied von Dir genommen. Danach wirst Du in der Versenkung verschwinden. Was für eine Verschwendung.

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Interview mit Tilmann Unger

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Herr Unger, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, ein Interview zu geben für den Blog „Nacht-Gedanken“.

Sehr gerne!

Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Ich habe in Würzburg studiert und bin dann direkt aus dem Studium ans Stadttheater Würzburg engagiert worden. Dort war ich drei Jahre lang und habe etliche große Rollen gesungen: Tamino, Pelleas, Zigeunerbaron, Cassio, Lensky, solche Sachen. Der Werdegang ist ein bisschen unkonventionell insofern, als dass ich danach eine Babypause eingelegt habe, während der ich nur Gastverträge annehmen konnte, z.B. in Linz und Wuppertal. Danach bin ich wieder ins Festengagement gegangen, nämlich nach Augsburg, ein Jahr bevor Ulrich Peters Intendant in München wurde – schon mit dem Plan, dann mit nach München zu kommen. Mittlerweile bin ich die fünfte Spielzeit hier am Staatstheater am Gärtnerplatz.

Wie kamen Sie zum Singen?

Eigentlich mehr über das Theaterspielen. Musik war in der Familie sehr präsent, zudem hatte ich schon während der Schulzeit Gelegenheit in einem guten Chor zu singen, das war für mich auch eine Leidenschaft. Schon an der Schule, aber auch später in freien Theatergruppen in Freiburg, wo ich eine Zeit lang Musikwissenschaftsstudent war, habe ich Theater gespielt, beleuchtet und ausgestattet. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Stimmbildung zu betreiben, und die Stimmbildung war dann so fruchtbar, dass sehr bald die Idee kam, das professionell weiter zu betreiben. Daraufhin habe ich mich an der Hochschule beworben, was sofort funktioniert hat, und ich hatte dann im Handumdrehen einen Studienplatz in Würzburg.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind habe ich, kann man sagen, fast ausschließlich „klassische“ Musik gehört, also alles im Bereich der großen sinfonischen Sachen. Viel Romantisches: Brahms, Mendelssohn, Schubert, Beethoven, um etwas weiter zurückzugehen, dann später die großen Instrumentalkonzerte, Klavierkonzerte, Schumann, Rachmaninoff, das hat mich sehr begeistert. Auch Operette habe ich sehr gern gehört als Kind. Da ist auch ein intuitiver Zugang zur Operetten-Musik entstanden, die ich heute ja immer noch sehr gerne singe und spiele. Es stört mich nicht bei der Oper, die jetzt das Kerngeschäft ist, beziehungsweise von Anfang an auch schon Kerngeschäft war. Ich mache es sehr gerne, es macht mir Freude. Ich finde, dass sich beides sehr gut ergänzt.

Also Sie teilen nicht die Einschätzung mancher Sänger, dass die Operette eher minderwertig ist?

Sagen wir mal so: Zunächst mal ist es – wenn man die Partien singt, die ich in der Operette singe – eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Operettenarien und Duette, die da zu singen sind, auch die Finali zum Teil, wenn Sie da zum Beispiel an den Zigeunerbaron denken, die sind gewaltig, auch für die Operettendiva oft wirklich eine größere Herausforderung als manche Oper. Zuweilen wird das mit gewisser Geringschätzung beurteilt, weil die Sujets oft – naja, etwas halbseiden sind und die Dialoge manchmal hanebüchen, und natürlich auch viel Gebrauchsmusik dabei ist, die eben nach einer Ausstattung, nach Tanz und ein bisschen Revue schreit, und da rümpfen dann manche die Nase. Natürlich ist Operette eine besonders anspruchsvolle Aufgabe durch die Dialoge, die in der Regel mit dabei sind. Ich sage immer, wenn ich eine Partie wie den Tassilo in „Gräfin Mariza“ singe – was ich hier gemacht habe in den letzten zwei Jahren – da habe ich einen höheren Aufwand an Stimme, als wenn ich in eine Opernpartie wie beispielsweise den Prinz in „Die Liebe zu den drei Orangen“ singe, obwohl die Orangen viel artifizieller sind und von der Tessitur ganz anders. Aber eben die großen Dialoge, auch das Melodrama, auch über das Orchester zu sprechen, das erfordert schon ein gewisses Standing.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe als Kind Geige gelernt, aber das pflege ich nicht mehr, das habe ich sehr bald wieder geschmissen. Klavier hat mich dann lange begleitet und heute ist es für mich, wie soll man sagen, ein Gebrauchs-Instrument. Die musikalische Kernaktion ist und bleibt das Singen.

Hören Sie heute auch noch andere Musikrichtungen?

Nicht so viel, in Wirklichkeit. Ich spitze die Ohren gerne bei gewissen Jazz-Sachen, das erfreut mich. Ich entdecke auch neue Welten, die in meiner Jugend einfach nicht präsent waren. Ich entdecke heute viel, wobei ich sagen muss, dass ich von der schieren Lautstärke verstärkter Musik sehr schnell verschreckt werde und das Weite suche. Das führt dazu, dass ich zu manchem keinen rechten Zugang finde, weil es mir einfach zu laut ist.

Welche Aufnahmen im Bereich der klassischen Musik mögen Sie am liebsten? Gibt es eine spezielle Aufnahme, die Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?

Könnte ich so allgemein nicht sagen. Es gibt natürlich gewisse Highlights, zum Beispiel fällt mir eine Walküren-Einspielung von Solti mit James King als Siegmund ein, oder eine Götterdämmerung unter Karajan mit Helge Brilioth, einem wenig bekannten Tenor, der einen formidablen Siegfried singt. Sie merken schon, es hängt sich ein bisschen an den Sängern auf. Sonst habe ich bei den instrumentalen Sachen immer mehrere Aufnahmen griffbereit und bin da nicht dogmatisch.

Hören Sie sich Aufnahmen der Opern an, bevor Sie die Rolle einstudieren?

Jein. Vieles kennt man natürlich, ich bin ja mittlerweile schon eine Weile dabei und habe vieles schon gehört, lange bevor ich es selbst mal zu singen bekomme. Also, man hat es gewissermaßen im Ohr, leider oft auch – wenn man über Stücke wie die „Verkaufte Braut“ redet, oder andere, die mit Übersetzung arbeiten – mit “ falschen“ Texten. Falsch im Sinne von: für die aktuelle Inszenierung nicht passend, was man dann wieder umlernen muss. Gerade bei der „Verkauften Braut“ habe ich mich ein paar Mal ertappt, dass ich in die sehr schöne Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Gottlob Frick verfallen bin, das muss man halt dann wegarbeiten. Aber ich benutze die Aufnahmen nicht, um die Stücke zu lernen. Das ist nicht meine Art zu arbeiten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

Der erste Schritt, gerade mit einem Stück, das ich gar nicht kenne, ist immer, den Klavierauszug durchzuarbeiten, mit dem Stift zu markieren: was ist meine Partie. Dann das Ganze mal durchzulesen. Ich lese mir, ohne die Musik zu hören, einfach die Texte durch und versuche, die Geschichte zunächst mal zu erfassen, mir ein Bild zu machen: Was ist impliziert vom Librettisten, vom Komponisten, welche Spielorte sind vorgesehen, damit ich ein Gesamtbild bekomme, bevor ich mich dann an die musikalische Umsetzung wage.

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Erzählen Sie uns etwas vom Hans aus der „Verkauften Braut“.

Der Hans ist einer, der schon etwas erlebt hat, nicht mehr ganz jung. Ein junger Mann, Ende Zwanzig, kann man vermuten, der aus einem problematischen Elternhaus weggelaufen ist, wahrscheinlich, weil der Vater eine zweite Frau geheiratet hat, mit der er nicht zurecht kam, die ihn vielleicht auch schlecht behandelt hat, das bleibt offen. Jedenfalls ist er unterwegs gewesen, auf der Walz, man kann sich sonst was ausmalen, was er erlebt hat. Es war sicher kein Zuckerschlecken, für einen Jugendlichen und dann später einen jungen Mann, sich durchzuschlagen. Man kann also davon ausgehen, dass er, wenn er zurückkommt in dieses Dorf und sich in Marie verliebt, ein gewisses Standing hat, dass er kein Unbedarfter mehr ist und sich auch von diesen Figuren im Dorf nicht mehr verunsichern lässt. Er hat sich emanzipiert von diesem Umfeld und kann deshalb auch mit einer gewissen Chuzpe diese Geschichte so einfädeln, wie sie dann eben später mit dem „Verkauf“ der Braut kulminiert.

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation der Rolle?

Also generell, muss ich sagen, fühle ich mich selten durch eine Regie, eine Inszenierung eingeengt. Man bringt sich ja doch immer sowieso selber mit. Selbst wenn der Regisseur irgendetwas forderte, was mir zunächst nicht passt, bin es ja doch immer ich, der es umsetzt. Das ist genau wie mit dem Singen auch. Wenn jetzt irgendeiner zu mir sagt: Sing es so oder sing es so: Es bleibt ja doch immer meine Stimme. Das heißt, ich bleibe ein Stück weit immer ich. Auch wenn man unterschiedliche Partien spielt, wie ich es ja hier am Gärtnerplatztheater tue: heute Abend Eisenstein und morgen früh dann wieder Hans probieren, da sind ja doch Welten dazwischen, aber das geht mit durchlässiger Stimme und ebensolchem Körper, und ich finde mich in allem wieder.

Was gefällt Ihnen am besten an der Partie des Hans, und was ist das Schwierigste dabei?

Am besten gefällt mir, dass es eine Partie ist, die sich nicht nur im Ariosen erschöpft, dass man Text und Musik aus der Szene heraus sehr gut motivieren kann. Natürlich gibt es ariose Momente, wo man sehr blühend singen kann, und das macht mir auch viel Freude. Also, ich könnte eigentlich gar nicht sagen, dass es etwas gibt, was mir nicht gefällt an der Partie. Ich finde mich da gut zurecht.

Wie geht der Hans damit um, dass die Marie so eine starke Persönlichkeit ist?

Ja, das findet er doch anziehend! Der Junge war unterwegs in der Welt, der hat sicher auch schon etwas erlebt mit Frauen, und ich glaube, wenn die zu langweilig wäre, würde er sich für sie gar nicht interessieren.

Und wie wird die Ehe von Hans und Marie in zehn Jahren aussehen?

Das ist sehr spekulativ, aber ich bin da prinzipiell optimistisch.

Die „Verkaufte Braut“ ist ja eine Übersetzung. Würden Sie es auch im Original singen?

Ich würde es sicherlich auch im Original singen. Sich das Tschechische heranzuarbeiten ist natürlich viel Arbeit, aber da sehe ich kein grundsätzliches Problem.

In welchen Sprachen singen Sie?

Das ist natürlich eine „Fachfrage“ bei mir, da ich gerade hier sehr aufs deutsche, slawische Fach festgelegt bin. Ich habe Italienisch natürlich schon gesungen, auch französische Partien, beispielsweise „Pelleas e Melisande“, Russisch wenig, nur Teile von Stücken. Das sind so die Dinge, die ich gemacht habe.

Haben Sie Vorbilder, musikalisch oder auch szenisch?

Szenisch würde ich sagen: Nein. Es gibt natürlich Sänger, ich habe vorhin Helge Brilioth und James King erwähnt, wo man einfach so berührt ist von der Interpretation, berührt im doppelten Sinne, sowohl von der emotionalen Seite, aber auch, dass die Art zu singen sich in einem widerspiegelt und man das Gefühl hat, da kann etwas in diese Richtung wachsen.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?

Nein, das habe ich natürlich nicht. Es ist ja bei uns oft schwer zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Freizeit: da sind viele Stunden, die man mit sich allein verbringt, um die Partie vorzubereiten, das heißt, sich mit dem Text, mit der Musik beschäftigt, sich gesangstechnisch weiterentwickelt. Aber ich würde nicht anfangen, die Stunden zu zählen.

Also Sie haben Freude an Ihrem Beruf.

Auf jeden Fall, sonst täte ich es nicht.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?

Naja. Das würde ich nicht so hoch hängen. Es gibt gewisse Dinge, die man halt nicht gut machen kann: Wenn Sie zum Beispiel einen Tanzkurs belegen wollen, der immer zu einem bestimmten Termin ist, sind Sie sehr eingeengt, weil eben gerade die Zeiten, wo andere Menschen Zeit haben, so etwas zu machen, wo so etwas auch angeboten wird, meistens nicht gehen, weil wir eben in der Zeit auf der Bühne sind, aber das sind nur Kleinigkeiten. Dafür haben wir oft auch mal einen Tag frei, wo andere Menschen arbeiten müssen, mitten in der Woche, wo wir dann auch mal sagen können: Das Wetter ist schön, wir fahren raus, und man macht dann quasi Wochenende in der Wochenmitte. Das bringt eine Spontaneität ins Leben, das verlangt eine gewisse Flexibilität.

Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut? Auf was müssen Sie achten?

Generell meide ich laute Situationen. Das ist auch ein Grund, warum ich eben gewisse musikalische Erlebnisse nicht hatte und habe. Ich würde auch zum Beispiel nicht in ein Bierzelt auf dem Oktoberfest gehen, weil mir das einfach zu laut ist. Sowohl für die akustische Wahrnehmung, als auch um dagegen anzusprechen. Was mir gut tut, ist alles, was mir als Mensch auch gut tut: Mich in der Natur zu bewegen, was so mein wesentliches Steckenpferd ist. Das kann ein Waldspaziergang ebenso sein wie eine Stunde Arbeit im Garten. Das entspannt mich sehr, und alles, was einen lockermacht, findet sich auch wieder in der Qualität der Stimme.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Ja, es gibt da eine Reihe von Übungen, die ich relativ regelmäßig mache.

Müssen Sie sehr diszipliniert leben?

Ich habe nicht den Eindruck, nein. Ich komme mit der Verbindung von meinen Freizeitaktivitäten und dem Beruf sehr gut zurecht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gewisse Dinge nicht mache, die vielleicht schädlich sein könnten. Ich habe das nie als Komplikation empfunden.

Was empfinden Sie als das Schönste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?

Das Schönste ist, dass man immer wieder die Chance hat, sich selbst neu zu entdecken. Dass man sich aktualisiert, dass man ja, wenn man authentisch sein möchte, immer wieder die Energie, die man für diesen Beruf und für das Singen braucht, immer neu mobilisieren muss. Und das ist ja kein Müssen im Sinne eines Zwangs, sondern es ist im Prinzip wie eine Aufforderung, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was vielen anderen Menschen nicht gegönnt ist in ihrem Beruf, und das ist ein absolutes Privileg in diesem Beruf. Schwierig ist, dass man gewissen Unbilden sehr ausgeliefert ist. Es gibt halt leider doch mal Erkältungskrankheiten, die einem das Leben sehr schwer machen können. Da muss man manchmal dann die Reißleine ziehen und sagen: Jetzt geht’s einfach nimmer. Manchmal kann man sich aber über das Singen wieder fit machen, man kann sich quasi gesundsingen. Das geht, wenn man locker bleibt.

Hatten Sie irgendwann einmal überlegt, etwas anderes zu machen als zu singen?

Das habe ich wohl, ja, ich habe mich mit allen möglichen Sachen beschäftigt. Ich bin sehr naturverbunden und habe das auch sehr gepflegt und könnte mir manchen Beruf vorstellen, der im weitesten Sinne damit zu tun hat. Aber es ist auch sehr schön, das jetzt als Freizeitperspektive zu haben.

Haben Sie noch eine Wunschpartie?

Es gibt deren einige. Was ich jetzt vorbereite, ist z.B. der Parsifal. Es geht jetzt ganz konkret in das deutsche Fach hinein, und die Partien, die ich jetzt hier am Gärtnerplatz singen kann und durfte und auch diese Spielzeit noch singen werde, in den Wiederaufnahmen vom „Freischütz“ und den „Orangen“, die passen da sehr gut, um das aufzubauen.

Können Sie uns einen Ausblick auf diese Spielzeit und auf die kommenden Jahre geben?

Diese Spielzeit bringt jetzt, wie bereits erwähnt, neben der „Verkauften Braut“ dann noch mal den „Freischütz“, auf den ich mich sehr freue, genauso auch auf die „Liebe zu den drei Orangen“. Ich singe sehr gerne auch die „Fledermaus“. Anfang des nächsten Jahres wird es auch noch ein Liedprogramm geben, mit Duetten, das wird eine schöne Sache, denke ich. Und dann wird es ja hier am Gärtnerplatz unruhig. Ich werde an den beiden Produktionen, die im Prinzregententheater stattfinden, nicht mitwirken, werde aber dort auch noch eine „Zauberflöte“ singen, wo ich den Geharnischten gebe. Und dann gibt es auch schon Pläne für die Spielzeit darauf, aber die sind noch in statu nascendi, da möchte ich noch nicht darüber sprechen.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview und Toi-Toi-Toi für die Premiere der „Verkauften Braut“!

Vielen Dank!

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Premiere Die Liebe zu den drei Orangen, 06.05.2011, Gärtnerplatztheater

[singlepic id=951 w=320 h=240 float=left]Auch bei seiner zweiten Inszenierung am schönsten Theater Münchens hat Regisseur Immo Karaman und sein Team eine hervorragende künstlerische und sehr sinnliche Arbeit abgeliefert. Die Handlung spielt in der Entstehungszeit, die Figuren sind von Otto Dix und anderen Künstlern dieser Zeit geprägt. Und tatsächlich hat jede Figur eine eigene Persönlichkeit, eine bestimmte Art, sich zu bewegen. Hier merkt man sehr deutlich, dass Choreograf Fabian Posca nicht nur mit dem Extraballett, sondern auch mit den Solisten und dem Chor viel und erfolgreich gearbeitet hat.
Die Bühne vom Ausstattungsteam Timo Dentler und Okarina Peter besteht nur aus einem Kasten, der ein aufgeschnittenes Zimmer, einen Salon oder Foyer, darstellt. Dieser Kasten wird nicht nur durch die Drehbühne, sondern auch durch Bühnenmitarbeiter bewegt, teilweise mit 60 Personen darauf, dafür hätten diese eigentlich am Ende einen Sonderapplaus verdient gehabt. Die teilweise gegenläufigen Bewegungen erzeugen vor allem im ersten Teil sehr viel Dynamik und Spannung. Die Kostüme sind zeit- und typgerecht. Applaus brandete bereits auf, als sich der Vorhang zu Beginn hob und den Kasten, der in diesem Fall wie ein Bilderrahmen wirkt, der bis auf den letzten Zentimeter mit Menschen gefüllt ist, enthüllte.
Das Orchester unter Anthony Bramall beeindruckte mit präzisem Spiel, dass es öfter ziemlich laut war, ist sicher der schieren Anzahl an Musikern im Graben geschuldet.
Bewundernswert waren die Tänzer, die sich in vielen verschiedenen Rollen präsentierten und jeder Figur ein anderes “Gesicht” gaben.
Der Chor verstand es wie immer, ausgezeichneten Gesang mit ebensolcher Darstellung zu verbinden und hatte einen erheblichen Anteil am Erfolg des Abends. Zwei seiner Mitglieder, die kurzfristig für die erkrankte Solistin als Linetta eingesprungene Brigitte Lang und Marcus Wandl als Herold zeigten, dass sie nicht nur in der Gemeinschaft eine gute Figur machen, sondern durchaus auch solistisch einsetzbar sind. Zwei Gäste, Stephan Klemm als König und Kouta Räsänen als Tschelio erwiesen sich als gute Wahl. Hochkarätig aus dem Ensemble besetzt waren alle weiteren Rollen, ob groß oder klein. Robert Sellier, Christina Gerstberger und Sebastian Campione überzeugten ebenso wie Franziska Rabl, Sibylla Duffe und Tilmann Unger. Holger Ohlmann als Köchin bewegte sich auf schwindelerregend hohen Absätzen, als ob es sein normales Schuhwerk wäre und zog darstellerisch und musikalisch alle Register von dämonisch bis schmeichlerisch. Daniel Fiolka spielte und sang den Pantalone sehr überzeugend und Frances Lucey wechselte gekonnt zwischen den verschiedenen Facetten der Smeraldine. Cornel Frey als Truffaldino war ein Spassmacher der anderen Art, anfangs erinnerte mich seine Gestik an die Bauchrednerpuppe aus “Death in Venice”, das gab sich aber im Laufe des Abends. Die Rolle ist ihm quasi auf den Leib geschrieben. Gary Martin als Leander verwandelte sich in einen selbstverliebten Schönling mit präzisen Bewegungen und Gesang. Last but not least zeigte sich Rita Kapfhammer als Idealbesetzung der Fata Morgana, sie beeindruckte mit Stimmumfang und Darstellung.
Ein fantastische Premiere, die noch viele Blicke wert ist, besonders vor der Pause kann man immer wieder neue Details entdecken. Das Publikum jubelte lange und einhellig allen Beteiligten zu.

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Der Freischütz, Premiere am 30.09.2010, Gärtnerplatztheater

Für mich war das eine doppelte Premiere: das erste Mal im schönsten Theater Münchens und zum ersten Mal einen Freischütz überhaupt. Ich bin ja eigentlich schon ziemlich aufgeschlossen, aber diese szenische Umsetzung finde ich persönlich nicht sehr gelungen. Die Bambi-Idylle, die auf den Eisernen Vorhang vor Beginn projiziert wird, macht falsche Versprechungen.

Die Bühne ist schwarz-weiß gehalten und dreht sich. Oft. Die Perspektive war teilweise so verzerrt, dass ich das Gefühl hatte, die Wände kippen um beim Drehen. Die einzigen Male, wo mir die Bühne wirklich gut gefallen hat, sind die Momente, in denen die weißen Streben wie Gitterstäbe wirken, die die Protagonisten einsperren.  Die Wolfsschlucht, die nach Aussage der Regisseurin besonders gruselig sein soll, ist hell erleuchtet und besteht aus weißen, schräg gestellten Planken. Gruselig ist eigentlich nur, dass die Gewalt, die Agathe hier angetan wird, von der Regisseurin als dunkle Erotik bezeichnet wurde. Wenn man dem Zuseher Vorstellungskraft zubilligt, kann das, was sich im Kopf abspielt, viel grauenvoller als das Dargestellte sein. Das geht natürlich nicht, wenn man die Holzhammermethode verwendet.

Das Ganze als Traum Agathes zu inszenieren, ist natürlich möglich, aber ich fand es nicht zwingend umgesetzt. Vor allem fand ich zu viele Versatzstücke aus der letzten Inszenierung der Regisseurin am Haus, dem Märchen vom Zaren Saltan: das Bett und die Hauptfigur in verschiedenen Größen bzw. Alterstadien, den Teddybären, sogar das Schreiten der dunklen Braut war exakt das Gleiche wie das eines Miltrissa-Doubles im Zaren. Dort hat es fantastisch funktioniert, hier langweilt es mich. Richtig gelungen fand ich nur die Rollenanlage von Ännchen und dem Eremiten, wobei man zumindest mit dem Verständnis des letzteren Probleme haben könnte, wenn man nicht in der Einführung war.

Die Kostüme sind manchmal ein Farbklecks, meistens eher comichaft-überzeichnet, der Herrenchor als Kunomultiplikation, die Damen als lebendige Zielscheiben und schwangere Brautjungfern, kann man so machen, muss man aber nicht.

Musikalisch war die Premiere aber Top. Angefangen vom Orchester unter dem fabelhaften Roger Epple über den von Jörn Hinnerk Andresen hervorragend einstudierten und absolut präsenten Chor bis hin zu den Solisten war es ein Genuss, zuzuhören. Vor allem Christina Gerstberger als Ännchen, Derrick Ballard als Kaspar und Sebastian Campione als Eremit haben es mir angetan. Aber auch Sandra Moon als Agathe, Tilmann Unger als Max und Juan Fernando Gutiérrez als Ottokar zeigten sehr gute Leistungen.

Heute Abend wird sich zeigen, ob die Inszenierung durch mehrfaches Ansehen gewinnt.

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