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Kalteis, 29.02.2012, Kleines Theater Haar

Ist zwar schon ein paar Tage her, aber auch über die Uraufführung von Kalteis des Jungen Schauspiel Ensemble München nach dem Roman von Andrea Maria Schenkel habe ich drüben bei mucbook geschrieben.

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Interview mit Wolfgang Schwaninger

[singlepic id=1139 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Schwaninger, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Würden Sie uns als erstes etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Ja. Ich bin ja mittlerweile – ich glaube 16 – oder sogar im 17. Jahr jetzt in meiner beruflichen Tätigkeit. Seit fünf Jahren bin ich nunmehr freischaffend, das heißt, innerhalb und außerhalb Deutschlands viel unterwegs. Ich habe vor fünf Jahren diesen Fachwechsel vollzogen und habe seither im Bereich Wagner etliches gesungen. Das ist also auch mein Schwerpunkt: Strauss, Wagner, und dann Ausflüge in andere Bereiche wie zum Beispiel Mahagonny, Weill, oder auch den Alba in Lulu singe ich sehr gerne. Mein Wirkungskreis hat sich die letzten Jahre auch ein bisschen weiter erstreckt, also ich bin jetzt auch viel im Ausland unterwegs. Es ist alles, wie jetzt gerade in dieser Situation, oft auch eine stressige Angelegenheit, gerade wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Ich habe also morgen noch einen Lohengrin, da habe ich schon etwas Bedenken, ob ich den morgen um 18.00 Uhr auch wirklich heil und gesund erreiche. Da müssen Sie mir ein bisschen die Daumen drücken.

Das machen wir. – Sie waren ja zehn Jahre Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater. Welche Erinnerungen haben Sie denn heute noch an diese Zeit?

Ich bin ein sehr großer Fan des Gärtnerplatztheaters. Ich bin ein Fan des Ensembleprinzips und bin sehr traurig darüber, dass nicht nur das Ensemble in den letzten 14 Jahren stark verkleinert worden ist, sondern dass es jetzt, nun ja, ganz danach aussieht, als ob man sich auch nach dem Umbau vom Ensemblegedanken komplett verabschiedet. Ich empfinde das als riesengroßen Verlust. Ich selber habe als junger Sänger sehr davon profitiert, und ich denke, das Publikum auch: Einen festen Stamm von bekannten Gesichtern und Sängern auf der Bühne zu erleben in verschiedensten Rollen. Ich finde dieses System erhaltenswert und bedauere das zutiefst. Ich wünsche dem Theater alles erdenkliche Gute und habe nur angenehme Erinnerungen an diese lange Zeit.

In dieser Zeit haben Sie viel Oper und natürlich auch Operette gemacht. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Oper und Operette?

Von der musikalischen Seite her sind natürlich die Anforderungen an einen Opernsänger insofern komplexer, als dass es sich um schlicht die kompliziertere Musik handelt. Das heißt, es ist ein höheres Maß an Vorbereitung und ein höheres Maß auch an intellektueller Auseinandersetzung mit dem Werk nötig. Aber rein stimmlich gesehen sind viele Werke in der Operette sehr anspruchsvoll. Man denke nur an Lehar, beispielsweise. Gerade wenn wir bei Lehar bleiben: Ein Sou-Chong ist einfach schwer zu singen, Barinkay genauso. Auch Künneke ist durchaus stimmlich sehr anspruchsvoll, und nicht ohne Grund gab es eben diese typischen Karrieren wie zum Beispiel Siegfried Jerusalem, die auch mit Operette begonnen haben – nicht nur Rene Kollo, auch Siegfried Jerusalem hat sehr, sehr viele Operetten gesungen, sehr viele Einspielungen auch gemacht. Die Voraussetzungen an einen Tenor sind groß im Operettenfach, und deswegen ist es eine solide Grundlage für das deutsche Fach. Da die Operette aber nur ein absolutes Nischendasein noch führt und auch kaum mehr in einer Form aufgeführt wird, wo man sich wirklich ganz dem Sujet anvertrauen kann als Sänger, sondern sehr vieles abstrahiert wird oder auf eine ganz und gar andere Weise entgegen der Musik inszeniert wird, ist es heute leider nicht mehr so. Ich gebe der Operette deswegen keine große Zukunft. Ich glaube, das werden vielleicht noch drei Stücke sein, die da irgendwann mal gespielt werden. Wenn man nicht wieder den Aufführungscharakter ändert. – Eher wahrscheinlich wird man den ändern. Aber wir haben ja immer noch mit dem Regietheater zu tun; ich bin sehr gespannt, was da kommt. Da sind wir ja alle ganz hoffnungsfroh, dass es da etwas andere Ideen gibt in der Zukunft.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor? Ist das unterschiedlich, oder …

Nein, eigentlich ist es so: Neben der einfachen Tatsache, dass es immer schnelllebiger wird und es immer noch sehr viele Rollen gibt, die ich also neu lernen muss, wie zum Beispiel jetzt gerade den Peter Grimes, den ich zum ersten Mal in Münster mache, bedeutet das, je nachdem, wann man engagiert worden ist – ich sage schnelllebig, weil: sehr oft geschieht es heute, dass man ein paar Monate vor der Premiere noch gefragt wird, ob man noch Zeit hat. Das gab es früher nicht in der Häufigkeit; heute ist es gang und gäbe, auf den letzten Drücker Sänger zu engagieren. Das heißt, wenn man die entsprechende Zeit dafür hat, nimmt man sich mit seinem Klavier zuhause das Stück vor, später dann mit seinem Korrepetitor, dem Gesangslehrer, der Bibliothek setzt man sich hin, indem man begleitende Literatur eben auch nebenher liest, und beginnt dann, sozusagen die Noten zu fressen und sich hineinzuknien. Je nachdem, wie lange man Zeit hat – (lacht) oft muss man auch das eine oder andere überspringen – erscheint man irgendwann zu den Proben, und spätestens dann sollte man in der Lage sein, das einmal von vorne bis hinten durchzusingen. Also, ich halte ehrlich gesagt nichts davon – es gibt Kollegen, die sagen: “Ja, ich brauche mindestens zwei Jahre für eine Partie.” Ich muss sagen: ich kann das nur bewundern, wenn man das so systematisch vorbereiten kann. Ich habe nicht die Zeit dazu, beziehungsweise es ist so schnelllebig, dass ich jetzt nicht wüsste, dass ich in zwei Jahren Tannhäuser singe. Kann ich jetzt noch nicht sagen. Insofern gilt auch hier, was vielleicht in allen Berufen gilt: Es ist alles etwas hektischer geworden, das heißt, man muss auch hier schnell sein, schnell lernen können. Man darf sich nicht wundern, dass etwas an einem vorübergeht, wenn man sagt: “Nein, da habe ich nicht genug Zeit dazu.” Das kann man sich auch nicht erlauben.

Nun zu Mahagonny. Sie singen in Mahagonny den Jim Mahoney. Fanden Sie es schwierig, sich in diese Rolle einzufinden?

Nun, den Jim Mahoney singe ich jetzt mittlerweile hier am Gärtnerplatz im dritten Jahr, glaube ich. Das ist jetzt hier noch mal eine Serie von fünf Vorstellungen, dann ist das Stück abgespielt. Ich komme gerade aus Tel Aviv, wo ich auch den Jim Mahoney gesungen habe, in einer großen Produktion dort. Es ist mittlerweile das fünfte Mal, dass ich den singe, und ich muss sagen, ich habe also schon einiges an Erfahrung gesammelt, und deswegen fällt der Jim Mahoney mir nicht schwer. Im Gegenteil, der ist ein Charakter, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Also, es ist eine Rolle, die mir, denke ich, sehr gut liegt, und die mir auch immensen Spaß macht, weil es ein Werk ist, eine Rolle, welche sehr, sehr viele Schichten aufzeigt, von denen man dann in jeder neuen Begegnung mit dem Werk als Sänger wieder neue entdecken darf. Und das ist ganz außergewöhnlich schön: eben nicht einen Abschluss zu finden, sondern immer wieder neue Farben da herauszuholen aus dem Werk. Und auch die Regisseure sind immer sehr erstaunt darüber, wie dieses Stück erstens so wunderbar auf unsere Zeit paßt und wunderbar, wie ich jetzt auch erleben durfte, zum Beispiel nach Tel Aviv paßt, aber genauso in eine Metropole wie Istanbul, wie wir im Sommer mit unserem Gastspiel dort dem türkischen Publikum beweisen durften.

Wie waren die Reaktionen in Istanbul?

Das Publikum war äußerst aufmerksam und äußerst wohlwollend. Wie ich aus den Kritiken auch entnommen habe, waren sie von der Inszenierung, von der Art und Weise, wie wir das dargeboten haben und wie wir das vor allen Dingen auch umgesetzt haben in einer Freilichtbühne am Bosporus, sehr angetan. Das freut mich, denn dieses Stück ist es wert, überall auf der Welt gespielt zu werden.

In Tel Aviv war es wahrscheinlich ein Wagnis, oder?

In Tel Aviv ist es natürlich insofern … da möchte ich nicht sagen: Wagnis, aber es handelt sich um ein Stück, das auf Deutsch gesungen wird. Das stellt natürlich auch eine Herausforderung dar, mit der Übersetzung, mit den Übertiteln, mit der Vorbereitung, wie man an das Publikum herantritt, damit man diesen doch recht spröden, deutschen, tiefsinnigen und typisch in Brechtscher Manier aufgebrochenen Text richtig versteht. Das ist die große Kunst – man merkt gerade im Ausland, wie sehr Brecht und auch Weill, natürlich, obwohl er sich ja überall stilistisch bedient hat … da sind ja Elemente sowohl des Jiddischen drin als auch Elemente des Jazz als auch Zitate aus der Klassik … also, obwohl man es mit so einem Kosmopoliten zu tun hat wie Weill, ist es in der Deutung dermaßen typisch deutsch, würde ich mal sagen, dass das nicht jeder versteht. Auch den Brechtschen Geist versteht nicht jeder, und gerade diese textlichen Andeutungen, merke ich, muss man sehr, sehr dem Publikum deutlich und transparent machen. Das ist so ein Stück, welches wirklich so aufgeführt werden muss, dass die Kerngeschichte deutlich hervortritt, in ihrer ganzen Härte auch. Da hilft es nicht, auf der einen Seite eine Revue daraus zu machen – und auf der anderen Seite auch nicht irgendein anderes Stück, wie gerade zum Beispiel in Augsburg geschehen.

In Tel Aviv hatte ich es zu tun mit einer sehr aufwendigen, von Video und Licht her immens teuren und wertigen Geschichte. Interessant war, dass wir während der Produktion, das ganze Regieteam und das ganze Haus eben, genau das feststellten, was ich eben angesprochen habe: dass das eben kein Musical ist, dass das kein irgendwie gearteter Zwitter ist zwischen Oper und Unterhaltung, oder Oper und Operette oder Musical, sondern es ist eine Oper. Ich möchte es jetzt nicht musikwissenschaftlich begründen, ich möchte es vom Anspruch her begründen und von der Art und Weise, was für eine Aussagekraft dieses Stück hat. Und das würde ich mir wünschen, dass wir mehr Stücke dieser Art hätten, die auf so aktuelle Themen, die uns draußen bewegen, auch wirklich eine Antwort haben oder zumindest ein Statement abgeben. Das wurde dort im Laufe der Proben zum Glück erkannt, und deswegen war es auch für die Tel Aviver Oper, die Israel Opera, ein großer Erfolg.

Wie viele Freiheiten hatten Sie hier bei der Interpretation, bei der Produktion hier am Gärtnerplatztheater?

Ich hatte das Glück, dass der Regisseur, Herr Schulte-Michels, in mir einen Partner gesehen hat, mit dem er die Rolle entwickelt hat. Ich muss sagen, dass ich ihm da sehr dankbar bin, weil er nämlich sehr viele neue Akzente gegeben hat, mir aber im Gegenzug auch die Freiheiten gelassen hat, um das aus der Rolle herauszuholen, was ich denke, was drinsteckt. Insofern gibt uns der Erfolg ja auch recht: es ist ja sehr gut aufgenommen worden hier. Es ist ein, möchte ich sagen, ein Weill und Brecht angemessen wüstes Spektakel, das aber seine Unterhaltung hat. Ich sage das noch mal: ich möchte die Musik von Weill nicht in irgendeiner Weise schmälern, aber sie illustriert eben, sie steht begleitend zu dem Text. Das ist eigentlich das Wichtigste in diesem Stück, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Ich würde sagen, das ist ein Stück, das man wegen dem Libretto aufführt und weniger wegen der Musik, obwohl ich das nicht schmälern möchte, aber sie steht im Dienst dieser Aussage.

[singlepic id=1131 w=240 h=320 float=right]Jim hat Freunde, die ihm nicht helfen, nimmt das aber so hin. Glauben Sie, er hätte sich umgekehrt genauso verhalten?

Jim gehört zu der Spezies, die eine innere Entwicklung durchmachen. Jim Mahoney ist so etwas wie ein umgekehrter Messias. Wir haben ja massenhaft Zitate aus dem Alten und Neuen Testament in einer natürlich umgekehrten und fast schon karikierten Fassung. Und er ist derjenige, der ja auf die Schwächen eines Systems aufmerksam macht, eine Idee einer Revolution hat und daran kläglich scheitert am Ende. Ich glaube, dass er sich natürlich genauso verhalten hätte, als er noch Teil des Systems war. Er ist kein besserer Mensch als die anderen, er hat nur im entscheidenden Moment eine Idee, und alle folgen ihm. Und sein Problem ist, in seinem Konstrukt hat er eines vergessen; er hat vergessen, das Geld abzuschaffen. Weil: in seiner anarchischen Weltideologie stimmt alles, das ist richtig, aber er übersieht, dass das Geld die entscheidende Rolle spielt. Das ist sein Fehler, der ihn dann schließlich das Leben kostet. Ich glaube, eine aktuellere Aussage als diese kann ein Stück im Moment nicht haben, oder? Aber hätte er diese Katharsis sozusagen nicht durchgemacht, hätte er sich mit Sicherheit genauso konform verhalten, wie alle anderen es auch tun.

Er liebt Jenny, die ihm auch nicht hilft, obwohl sie weiß, dass sie ihn vermissen wird. Warum versucht er nicht, sie zu überreden?

Weil er weiß, dass es zu Ende ist, und er weiß auch, und sie sagt das auch in ihrem Lied: “Du hast mir doch gesagt: Denn wie man sich bettet, so liegt man … Und wenn einer tritt, dann bin ich es; wird einer getreten, bist du’s.” Und sie war eine gelehrige Schülerin. Er gibt ihr recht und sagt am Ende: “Ja, du hast recht, das ist das, was ich gesagt habe, und du bist nur dem gefolgt.” Jetzt kann man mal dahingestellt sein lassen, ob das nur eine Parabel ist, oder ob sie tatsächlich kein Geld hat, oder ob sie einfach in ihrer Welt dieses Gefühl nicht aufbringen kann. Dass sie ihm nicht hilft, ist aber absolut logisch und folgt genau den Gesetzen, die Jim Mahoney selber aufgestellt hat. Insofern kommt er zwar am Ende zu der Überzeugung, dass es wohl ein Fehler war, aber er hat schließlich keine Variante. Und er sagt nicht: “Es war ein Fehler, dass ich das vorgeschlagen habe.” – sondern er sagt nur fatalistisch: “Das Leben ist so kurz, genieße es.” Das ist in sich wieder eine Kapitulation und eigentlich noch mal ein ganz bitter-sarkastischer Hinweis darauf, dass sich wieder einmal nichts geändert hat.

Zum Abschluss unseres Gesprächs – könnten Sie uns noch einen Ausblick auf diese Spielzeit geben, was jetzt noch kommt, und was Sie so in der nächsten Spielzeit machen?

Im Moment bereite ich den Peter Grimes vor, der wird Ende März in Münster Premiere haben. Dann singe ich den Hüon in Oberon, ebenfalls in Münster. Das ist auch das erste Mal, dass ich mit dieser Rolle zu tun habe. Dazwischen habe ich einige Gastspiele, da sind etliche Lohengrin und hier am Gärtnerplatztheater noch Mahagonny. Da sind jetzt auch Planungen, über die ich jetzt noch nicht reden kann, aber es gibt an größeren Häusern Planungen für Fidelio, also für den Florestan einmal wieder. Ich werde im Jahr 2013 Tote Stadt dann wieder machen in Innsbruck. Ich werde Walküre in Taipei aufführen. Dazwischen wird sich das jetzt noch füllen mit verschiedenen anderen Sachen. Wie gesagt, es sind ein paar Sachen in der Schwebe, über die ich noch nicht reden kann, aber ich werde weiterhin fleißig sein – also mein Terminkalender ist gut gefüllt.

Sehr schön! Herzlichen Dank für das Gespräch, und alles Gute!

Ihnen auch! Danke schön!

(Dieses Interview wurde geführt am 18. Februar 2012 in München)

 

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Interview mit Guy Montavon

[singlepic id=1138 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Montavon, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Sie sind Intendant am Theater Erfurt. Welche Schwerpunkte setzen Sie da?

Wir haben eine Linie, seitdem ich Generalintendant bin dort, eine Linie, die basiert auf der Forschung, das ist die Uraufführung. Jedes Jahr eröffne ich mit einer, oder mindestens mache ich einmal in der Spielzeit eine Uraufführung, es gibt ein Auftragswerk von einem jungen Komponisten, oder weniger jung. Wir haben Stücke von Philip Glass uraufgeführt, ich habe das ganze Theater 2003 eröffnet mit einer Uraufführung, ich habe auch die DomStufen-Festspiele-Uraufführung gemacht. Also, ich lege sehr viel Wert auf die Forschung und auf die Nachpflanzung unserer Art und unserer Sparte. Dann machen wir einmal im Jahr auch noch mal eine Ausgrabung, das heißt, ein Stück, das schon geschrieben ist, aber weniger bekannt ist. Meistens führt das zu einer CD-Aufnahme. Und dann das klassische Repertoire, was das Publikum sehen will, inklusive Operette. Aber schwerpunktmäßig: Junge Sänger, Uraufführung und Ausgrabung.

Hat das Tradition, Uraufführungen in Erfurt, oder haben Sie das eingeführt? Und wie kommt das beim Publikum an?

Es kann keine Tradition haben, weil das Opernhaus zehn Jahre alt ist. Vorher, in dem anderen Opernhaus in Erfurt, im alten Opernhaus, war die moderne Musik gar nicht gepflegt. Beim Publikum, das dauert immer eine gewisse Zeit, bis das Publikum das goutiert, aber ich habe das geschafft, dass die Uraufführung in Erfurt gesellschaftsfähig geworden ist. Es hat dort den Publikumspreis vor einem Jahr gewonnen: Wir haben von den Chinesen eine Uraufführung gemacht, und das Publikum hat das als beste Produktion des Jahres goutiert. Also, das ist Mode: In Erfurt geht man in die Uraufführung. Die Leute wissen, dass es nicht lange dauert, also 90 Minuten mit oder ohne Pause, und dass es immer hörbar und vor allem nachvollziehbar von der Geschichte ist.

Da haben Sie jetzt schon mal zwei Unterschiede angesprochen zur traditionellen Oper. Opern des Librettisten Lorenzo da Ponte dauern drei Stunden, Sie sagen jetzt: 90 Minuten. Gibt es weitere Unterschiede zwischen modernen Opern und traditionellen Opern?

Naja, also, was ist der Unterschied zwischen Canaletto und Josef Beuys? Ich meine, da muss man die Klassik und die Moderne und die Postmoderne – also, jede Kunstgattung hat ihre Stilrichtung. Und das ist nicht ein Faktor der Zeit, das ist ein Faktor des Ausdrucks und der Vermittlung von ästhetischen Prozessen. Ich glaube, dass Mozart und da Ponte ein kongeniales Duett waren, das nie wieder existiert hat. Bei denen ist kein Wort und kein Takt zuviel. Bei Uraufführungen hat man immer noch die Möglichkeit, einzugreifen und Sachen zu korrigieren. Ein Komponist ist tot, der andere lebt, also, das sind zwei verschiedene Ansätze, sowohl ästhetisch als auch soziokulturell, und deshalb sind die Unterschiede sehr groß, natürlich sind sie das, aber wegen dieser Unterschiede macht man das ja auch.

Sie haben bei der Einführung erzählt, dass Sie sich mit dem Komponisten Detlev Glanert im Vorfeld getroffen haben. Haben Sie ihn in die Inszenierung mit eingebunden?

Ich habe Detlev Glanert gezeigt, was wir vorhaben. Es war noch im Rohzustand, sprich: Modellfotos und Kostüme. Ich habe ihm da schon erklärt, wie es anfängt und wie es aufhört. Wir konnten uns schon damals austauschen. Danach hat er mich machen lassen, und vorgestern oder gestern hat er mir gesagt, dass er das sehr gut fand.

Haben Sie mehr Freiheiten, wenn Sie eine moderne Oper inszenieren?

Das glaube ich nicht. Also, das Werk ist das Werk, die Partitur ist die Partitur; diesen Kanon gibt es seit 400 Jahren, und die Regisseure müssen sich daran halten. Die Frage ist, wie Sie mit der Partitur umgehen. Manchmal muss man mit der Musik inszenieren, manchmal muss man gegen die Musik inszenieren. Die Freiheiten des Regisseurs hören auf, wo die des Komponisten anfangen. Ich bin selber ausgebildeter Musiker, insofern habe ich mit dem Parameter Musik überhaupt keine Probleme. Ich kann sehr gut Noten lesen. Man muss als Regisseur ein Stück interpretieren, man muss ein Stück vermitteln im 21. Jahrhundert für ein Publikum, das sich immer weniger für die Oper interessiert. Deshalb muss man manchmal Prioritäten setzen, die in der Zeit, wo die Stücke komponiert wurden, vielleicht nicht da waren.

Sie haben ja selbst schon die verschiedensten Stücke inszeniert. Gibt es da einen roten Faden, anhand dessen man Ihre Stücke erkennt?

Ich würde sagen: Ich mag gern Stücke mit tiefem Sinn. Ja, ich bin eher auf der dramatischen Seite als auf der Unterhaltungs-Seite, also, auf der Ufo-Seite. Figaro durfte ich auch inszenieren – die Frage ist: Wie viel lacht man im Figaro? Ich glaube, ich bin eher jemand, der auf der dramatischen Seite einzuordnen ist. Ein Stück wie Joseph Süß passt perfekt in mein Vokabular. Ein Stück wie Fedra von Pizzetti, das ist zum Beispiel eine Ausgrabung, die wir gemacht haben. Ich arbeite sehr gerne mit Peter Sykora, denn er hat sehr weite, große Bilder, monumentale Bilder, und das passt gut in mein Temperament.

Was ist Ihnen als Regisseur besonders wichtig?

Was jedem Regisseur wichtig ist: Eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte erzählen, die die Leute nachvollziehen können; etwas mitzugeben auf dem Nachhauseweg, wo sie darüber nachdenken können. Sie zu sensibilisieren, sie zu bewegen, zu emotionalisieren: das ist unsere Aufgabe als Regisseur.

Wie sind Sie an das Stück Joseph Süß herangegangen?

Das war ein Vorschlag von meinem Kollegen Uli Peters. Ich habe das untersucht und habe gesagt: Sofort. Sofort, wegen Detlev Glanert, dessen Schaffen mir vertraut ist. Das war der Vorschlag von Uli Peters, ganz einfach.

Und wie sind Sie an den Stoff herangegangen?

Ganz neutral. Ganz neutral, wie wir Schweizer nun mal sind. Wir sind keinesfalls vorbelastet mit der Geschichte des Judentums, sei es jetzt vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg oder überhaupt. Damit hat die Schweiz sehr wenig zu tun. Also, das merken Sie zum Beispiel in der Schule, in der Grundschule oder in der Abiturzeit, da wird das Thema nur bedingt durchgenommen. Wir sind nicht so belastet, sage ich mal, durch die Geschichte, durch die Nacharbeitung der Geschichte, wie in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern geht man vielleicht nicht so befangen daran und nicht so emotional daran wie vielleicht jemand, der hier eine Geschichte mit dem Judentum überhaupt hat. Bis jetzt, im Zweiten Weltkrieg, oder davor, oder danach. Ich gehe sehr analytisch daran, und dann stellt man fest, dass alles, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, schon vorher da war. Insofern – es ist auch eine kleine Geschichtslektion für mich gewesen, und ich fand das hochspannend. Ich meine spannend, weil: Ich habe dadurch viel gelernt, so dass ich die Problematik des Judentums vielleicht besser verstehen kann.

Sie haben bei der Einführung gesagt, dass Sie Bezüge auf das Dritte Reich vermieden haben, außer in einem Fall. Können Sie uns das noch einmal näher erläutern?

Nein, das kann ich nicht, das müssen Sie sehen.

Gut, wir werden es sehen. Welche Besonderheiten hat das Stück Joseph Süß?

Ich glaube, die Besonderheit liegt in der Gliederung des Stückes. Das Stück ist in dreizehn Szenen gegliedert. Davon sind neun Szenen … oder sieben Szenen sind Kerkerszenen, wo man immer in dem gleichen Raum ist und wo die Zeitebene unterschiedlich ist zu dem, was in den übrigen Szenen stattfindet. Zwischen Nachempfinden und Erzählung changiert das Stück die ganze Zeit. Das ist ziemlich schwer für ein Ausführungsteam, zum Beispiel Regisseur und Bühnenbildner, da diesen Rhythmus zu behalten, denn Glanert lässt wenig Zeit, die Umbauten zu machen. Also, das war eine ziemlich große Herausforderung, muss ich sagen, da entlang das Stück zu inszenieren. In einem Fall habe ich da ein bisschen was geändert, so dass das Publikum das noch besser versteht. Aber das ist dann der Charakter des Stücks: Erinnerung und Erzählung. Und das ist wirklich sehr, sehr gut gemacht.

Welche Freiheit haben Sie den Sängern gelassen?

Ach wissen Sie, die Entstehung einer Premiere ist immer ein gegenseitiges Zuhören und ein gegenseitiges … Es ist so: Wenn Sie nichts zu sagen haben, dann merken Sie das sofort bei den Sängern, dass Sie nichts zu sagen haben. Wenn Sie zu viel zu sagen haben, dann merken Sie das auch, denn da fängt eine rege Diskussion an. Und eigentlich – jeder darf vorschlagen, was er will. Entscheiden muss ich am Ende selber, denn ich bin der Regisseur.

Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Sängern am meisten?

Mit ihren Kräften umzugehen. Das heißt, dass sie nicht um zehn Uhr in der Früh anfangen, ihre Stimme voll zu belasten. Viele Sänger haben die Tendenz, zu früh zu viel zu singen, und unterschätzen die Länge und die Anstrengung einer Probezeit. Ich schätze sehr bei Sängern, dass sie präzise sind, dass sie bei Wiederholungen von Proben immer das Gleiche machen. Wenn wir uns auf etwas geeinigt, etwas verabredet haben, dass es immer in regelmäßigen Abständen kommt, genau so, wie wir es abgemacht haben. Es gibt Begabte und eher Unbegabte. Es gibt also manche, die meinen immer noch, etwas erfinden zu müssen bei der Generalprobe. Das finde ich nicht gut, und das lasse ich auch nicht zu. Es gibt auch andere, die wirklich jedesmal – ich hatte zum Beispiel in La Boheme in den Vereinigten Staaten, die Baritonpartie, der Marcello, der hat wirklich sekundengenau immer das Gleiche gemacht, wie es bei den Proben war. Das schätze ich sehr: Präzision, Zuverlässigkeit, denn darauf kann man wirklich eine richtige Premiere erarbeiten.

Roger Epple wird die Premiere dirigieren. Wie wurde er eingebunden? Ab welchem Punkt haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?

Im Vorfeld haben wir uns mehrmals getroffen, und dann während der Probenzeit war er da. Ich habe ihm gesagt, dass ich musikalisch ausgebildet bin, ich bin ausgebildeter Fagottist und Dirigent, so dass ich also mit Dirigenten nie Probleme habe, weil ich deren Probleme sehr gut verstehe. Insofern: Intelligente Dirigenten, und das ist der Fall bei Roger Epple, die nicht nur über Musik reden außerhalb der Dienstzeit, sondern, was Roger angeht, über bildende Kunst … das finde ich sehr erfrischend, so dass wir über unsere Freundschaft hinaus einen sehr guten Austausch hatten. Das finde ich sehr schön.

Da komme ich gleich noch zu einem anderen Punkt: Joseph Süß ist ein sehr schwerer Stoff. Wie erholen Sie sich davon?

Wie ich mich erhole? War das die Frage? – Ach … Das ist eine sehr gute Frage. Schwer zu beantworten. – Ich glaube … Ich weiß es nicht. (Lacht.)

Also mussten Sie sich nicht erholen?

Nein, musste ich nicht, nein.

Welchen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland und international?

Also, ich bin nicht für Internationales zuständig, ich kann nur meine Beobachtungen wiedergeben: Sobald Sie Deutschland verlassen – vielleicht ein bisschen in England und bedingt in Frankreich – haben die ökonomischen und materiellen Zwänge Vorrang. Es ist außerhalb der Met in New York so gut wie unmöglich, Stücke zur Uraufführung zu bringen, weil die Säle nicht voll sind, und ergo stimmt das Marketing nicht mehr. Also, ich beobachte eine sehr große Angst und Aversion gegen moderne Musik, weil man Angst hat, dass das Publikum nicht kommt. Was zum Teil stimmt, was auf der anderen Seite aber ein Beweis von Armut ist. Ich finde, Mut gehört zu unserem Job, Risiken einzugehen gehört auch zu unserem Job, man muss sie nur kalkulieren und man muss einfach versuchen, diese Parameter, neue Musik, Forschung, richtig rüberzubringen. Und das machen Länder, die zuviel an wirtschaftliche Zwänge gebunden sind, einfach nicht mehr. Schauen Sie, die Spielpläne in Amerika, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Ich schätze die Amerikaner sehr, aber die Spielpläne sind durchorganisiert, von Boheme, Carmen, Zauberflöte, wenn überhaupt, und dann Otello, Nabucco, und dann Boheme, Carmen und Butterfly, und damit hat sich das, und das ist für die Amerikaner Oper. Und dabei darf es nicht bleiben. Wir dürfen nie den Mut verlieren, wir dürfen nie die Lust auch am Forschen verlieren. Ich beobachte, dass es immer weniger gemacht wird, und ich beobachte auch, dass ich dafür immer gelobt werde in Erfurt, dass ich das nach wie vor mache.

Also können Uraufführungen nur an subventionierten Häusern stattfinden?

Ich würde fast sagen: Ja. Denn wer kann sich das sonst leisten? Oder die Oper in Austin/Texas oder in Washington findet einen Sponsor, der sagt: “Ich bezahle das.” Die Amerikaner sind sehr, sehr an dieses System gebunden. Ich würde Ihre Feststellung bejahen, denn: Die Subvention ist auch dafür da. Also, wir sind subventioniert – oder, von Subvention spricht man nicht, sondern von Zuschussbetrieb – die Subvention ist auch dafür da, um Forschung zu betreiben, und das finde ich auch richtig.

Dann sage ich herzlichen Dank für das Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!

Wird schon schiefgehen! Danke!

(Das Interview wurde geführt am 1. März 2012 in München.)

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Premiere Joseph Süß, 03.03.2012, Gärtnerplatztheater (1)

Ich habe über die Premiere mal wieder drüben bei mucbook geschrieben. Die nächste Vorstellung kann ich kaum erwarten.

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Interview mit Inge Löhnig

[singlepic id=1137 w=240 h=320 float=left]Liebe Inge, herzlichen Dank, dass du dich bereiterklärt hast zu einem Interview auf dem Blog “Nacht-Gedanken”. Stellst du dich kurz vor?

Mein Name ist Inge Löhnig, ich bin Autorin von Kriminalromanen und lebe in der Nähe von München mit meiner Familie und einem betagten Kater.

Ursprünglich bist du Grafikdesignerin. Wann hast du angefangen mit dem Schreiben?

Puh. So genau kann ich das gar nicht sagen. Vor vielen Jahren habe ich den ersten Romanversuch gestartet und irgendwann in die Tonne getreten. In der Folge habe ich mir Fachbücher über das Schreiben besorgt und Workshops besucht. So langsam nahm dann Dühnforts erster Fall Gestalt an. Fünf Jahre habe ich daran geschrieben. Als ich mich dann an den Folgeband wagte, habe ich mir eine Agentin gesucht. Auf diesem Weg kam Dühnfort zu Ullstein. Dann hat es noch eineinhalb Jahre gedauert, bis das Buch erschien.

Dühnfort hat ja gleich von Anfang an voll eingeschlagen. Wie findest du deine Geschichten um Dühnfort, oder auch für deine Jugendromane? Oder finden sie dich?

Meistens finden sie mich. Es gibt Themen, die springen mich an und lassen mich nicht mehr los. Bei Dühnforts erstem Roman hat eine Radtour den Ausschlag gegeben. Mein Mann und ich sind durch den Sauerlacher Forst geradelt und haben auf einer einsamen Lichtung im Wald eine Kapelle entdeckt. Dort haben wir Rast gemacht, und ich dachte mir: “Wow! Das wäre eine klasse Location für einen Mord.” Um diese Ausgangssituation herum habe ich dann mit dem Ideenspinnen begonnen. Wer ermordet jemanden an einer Kapelle, die in einem einsamen Wald liegt und warum? Um diese Ideen spinnen sich wieder neue, das ist wie so ein großes Wollknäuel oder mehrere Wollknäuel, die sich miteinander verheddern.
Beim zweiten Roman war ein Zeitungsartikel ausschlaggebend, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen. Beim dritten Roman war es das Blättern in den Rechercheunterlagen des zweiten. In diesem Fall hat mich das Thema wirklich angesprungen. Ich habe dann relativ früh angefangen, den dritten Roman zu schreiben, obwohl gerade erst Dühnforts erster Fall erschienen war. Bei dem Jugendbuch stand die Idee plötzlich im Raum, jemand könnte verschwunden sein. Und um diese Ausgangssituation herum habe ich dann eine Geschichte gewoben. Beim zweiten Jugendbuch war auch ein Zeitungsartikel Auslöser. Es ging darin um einen zehnjährigen Jungen, der mit drei kleineren Geschwistern ganz alleine in Berlin lebte. Die Mutter war einfach ausgezogen. Einen Vater gab es schon lange nicht mehr. Die Frage, weshalb dieser Junge sich keine Hilfe holte, hat mich lange beschäftigt. Sie war der Ausgangspunkt für “Scherbenparadies”, meinen zweiten Jugendroman.

Sitzen deine Figuren mit am Frühstückstisch?

Das kann man so sagen. Meine Hauptfiguren sind schon sehr präsent in meinem Leben.

Hast du einen bestimmten Schreibrhythmus, und was tust du, wenn es mal nicht so gut läuft?

Ich habe tatsächlich Schreibrhythmus. Bisher begann mein Schreibtag um sechs Uhr morgens, denn um diese Zeit habe ich meinen Kopf frei. Seit ich hauptberuflich schreibe, ist die Schreibzeit in den Vormittag gerutscht. Und der zweite Teil der Frage? Richtige Schreibkrisen habe ich noch nicht erlebt. Es gibt aber regelmäßig Punkte, an denen ich stecken bleibe und am Vormittag nur eine halbe Seite schaffe oder so eine Stelle immer wieder umkreise und nicht weiter komme. Inzwischen weiß ich, woran das liegt. Da gibt es drei mögliche Gründe. Erstens: Ich kenne eine Figur noch nicht gut genug, um zu wissen, wie sie sich in der Situation, die es nun zu beschreiben gilt, verhalten würde. Der zweite – der häufigste – Grund: Ich habe etwas noch nicht genau ausrecherchiert. Hier ein aktuelles Beispiel aus Dühnforts viertem Fall: Meine Rechtsmedizinerin muss sich zu einem tödlichen Autounfall äußern. Da steht dann im Kapitelplan: “Doktor Weidenbach erklärt Unfallablauf und Todesursache.” Soweit die graue Theorie. Und nun muss ich der Frau schlaue Worte in den Mund legen. Ich muss also wissen, was eine Rechtsmedizinerin jetzt sagen würde, und das geht nur mit Recherche. In diesem Fall habe ich mit dem ADAC telefoniert, und die Verletzungsmuster in einem meiner Fachbücher über Todesermittlungen nachgelesen. Diese scheinbaren Kleinigkeiten und Details recherchiere ich meistens während der Schreibphase. Sie sind häufig ein Grund, weshalb ich meinen Text umkreise und nicht weiterkomme, bis ich dann kapiere, woran es liegt und mir sage: “Hallo, Inge, jetzt aber! Bitte: Telefon, Fachbuch, guck, wer dich da beraten kann.” Und der dritte Grund ist die Polizeiarbeit. Dühnfort ist Kriminalhauptkommissar bei der Münchner Mordkommission. Ich will keinen Superhelden aus ihm machen, à la Schimanski und Co, für die Regeln und Grenzen nicht gelten. Ich möchte seine Arbeit realistisch beschreiben. Doch Polizeiarbeit ist in weiten Teilen todlangweilig. Ich muss mir daher überlegen, wie ich sie interessant darstelle.

Deine Dühnfort-Romane spielen in München und im Münchner Umland, sie atmen die Umgebung, in der sie spielen. Gehst du diese Wege real ab?

Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Viele der Örtlichkeiten, die ich beschreibe, kenne ich, ohne sie vorher nochmal abgehen zu müssen. Und die anderen sehe ich mir natürlich genau an.

Schreibst du auch unterwegs, oder nur an deinem Schreibtisch?

Ich bin keine Unterwegs-Schreiberin. Ich kann das einfach nicht. Ich muss alleine in meinem Arbeitszimmer sein, um mich in die Geschichte hineinfallen lassen zu können.

Welche Phase eines Buches ist für dich die anstrengendste?

Ich finde Schreiben überhaupt nicht anstrengend. Die erste Phase in der Entwicklung eines Romans geht Hand in Hand mit der Recherche. Diesen Teil finde ich ungemein spannend. Dabei lerne ich häufig interessante Menschen kennen und gewinne neue Einblicke. Ein Beispiel: Im vierten Dühnfort-Roman spielt eine Bogenbauerin eine Rolle. Sie baut Bögen für Streichinstrumente. Dieses Berufsbild musste ich recherchieren und war dafür einen Tag bei einem Geigenbauer in der Werkstatt, der auch einen Bogenbauer beschäftigt. Ich durfte zusehen, tausend Fragen stellen und fotografieren. Das war ein spannender und interessanter Tag. Die zweite Phase ist die Schreibphase: Da bin ich dann wirklich monatelang ganz für mich. Das ist eine Zeit der Einsamkeit. Die Tür zum Arbeitszimmer ist zu, ich muss und will alleine sein. Die schönsten Momente sind die, in denen die Figuren beginnen, sich selbst zu schreiben und mir das Heft des Handelns aus der Hand nehmen wollen, wenn ich nicht groß überlegen muss und der Text einfach fließt.

Was ich außerdem sehr mag, ist das Überarbeiten. Ich überarbeite meine Manuskripte drei-, viermal, bevor sie ins Lektorat gehen. Wie wirkt ein Satz, wenn ich ihn umstelle oder ein Wort herausnehme oder durch ein treffenderes ersetze? Oft ändere ich ganze Absätze, um eine bestimmte Stimmung zu erzielen. Dieses Feilen, bis der Text so ist, wie ich ihn mir erhofft habe, ist eine ungeheuer befriedigende Arbeit. Und dann bin ich ein Fan des Kürzens. Aus meinem ersten Dühnfort-Roman, der ursprünglich 550 Seiten hatte, habe ich 110 Seiten herausgeworfen. Danach war er gut, so, wie ich ihn haben wollte. Bei dieser Aktion habe ich das Kürzen schätzen gelernt. Ich habe Ballast abgeworfen, und das hat der Sache gut getan. Mein Fazit lautet also: Ich empfinde keine Phase des Schreibens als anstrengend oder belastend.

Du hast gerade schon deinen ersten Dühnfort-Roman erwähnt. Wie ist dir Tino Dühnfort das erste Mal begegnet?

Das erste Mal eigentlich gar nicht. (Lacht.) Er sollte keine eigene Perspektive bekommen. Ursprünglich sollte Agnes die eine Hauptfigur sein, und ihr Gegenspieler, dieser Mann, der zuerst ein Kind entführt und dann zwei Frauen ermordet, die andere Hauptrolle bekommen. Der Ermittler sollte eigentlich nur aus der Sicht dieser beiden Figuren wahrgenommen werden. Also sehr begrenzt. Als ich dann einen Workshop im Münchner Literaturhaus für “Krimiautoren und solche, die es werden wollen” besuchte, meinten plötzlich alle Teilnehmer, dass das nicht geht. Ich habe darauf gehört. Bis dahin kannte ich von Dühnfort nur ein paar vage Fakten. Seinen Namen, dass er aus Hamburg kommt, und dass er ein grüblerischer, nachdenklicher Mensch ist. Mehr nicht. Als ich dann die erste Szene aus seiner Sicht schrieb, hat er sich selbst hingestellt, war auf einmal da.

Dann müssen wir ja dem Workshop sehr dankbar sein. (Kichert.) Du hast Jugendromane geschrieben, du schreibst die Reihe um Konstantin Dühnfort. Gibt es noch ein Genre, in dem du gerne mal schreiben würdest, und was hält dich davon ab?

Mich würde es reizen, mal aus der Sicht eines Bösewichts zu schreiben und ihn zur Hauptfigur zu machen. Das Genre bliebe also dasselbe. Ja, was hält mich davon ab? Verträge für zwei Dühnfort-Romane und einer für ein Jugendbuch. Es wird also noch dauern, bis ich mich an ein derartiges Projekt setzen kann.

Da können wir uns ja auf die nächsten Jahre noch freuen! – Welches Genre liest du gerne selbst, und hast du einen Lieblingsautor?

Ich lese neben Krimis und Thrillern gerne Familienromane. Fantasy ist jetzt nicht so meins. Diese lustigen Frauenbücher lese ich schon zwischendrin gerne, aber ich denke, Familienromane, Krimis, Thriller, das ist meine Welt. Lieblingsautor? Da gibt es etliche. Im Bereich Krimi lese ich die skandinavischen und die britischen Autoren sehr gerne. Val McDermid ist eine Lieblingsautorin von mir, Ruth Rendell, alias Barbara Vine. Karin Alvtegen, die Nichte von Astrid Lindgren, schreibt wahnsinnig tolle Krimis. “Schatten” ist eins meiner Lieblingsbücher. Henning Mankell natürlich. Dann bin ich ein Fan von Paul Auster und seit dem vergangenen Sommer auch ein Fan seiner Frau, Siri Hustvedt. Ich habe die erst vor kurzem entdeckt. Sie schreibt grandios und ist meine Entdeckung des letzten Jahres.

Hast du literarische Vorbilder?

Eigentlich die, die ich gerade erwähnt habe. Ich begeistere mich ja für sie, weil sie eine ganz eigene Art haben, ihre Geschichten zu erzählen. Sie erzählen Geschichten nicht einfach um einer Geschichte willen. Es liegt ein Thema darunter. Eine Art Subtext, der sich durchzieht und das versuche ich in meinen Romanen ja auch. Ich schreibe keine Whodunnits, sondern Whydunnits. Mich interessiert, warum Menschen sich so verhalten, wie sie sich verhalten.

Lässt du dich von Musik beim Schreiben inspirieren?

Selten. Und wenn, dann geht eigentlich nur Klassik. Außer beim Jugendroman. Beim zweiten spielen zwei Musikstücke eine große Rolle. Die habe ich mir während des Schreibens doch immer wieder angehört, um auch in die Stimmung meiner beiden Figuren in diesem Roman zu kommen.

Wie hoch ist dein aktueller SUB?

Der hat leider nie geahnte Höhen erreicht. Früher habe ich Bücher verschlungen. Leider komme ich momentan nicht dazu. Ich kann keine Krimis lesen, während ich selbst einen schreibe. Entweder bekomme ich Depressionen, weil sie so toll geschrieben sind, oder ich bin total ungnädig und würde jedes Wort auf die Goldwaage legen. So kommt keine Freude auf. Während der Schreibphase lese ich also andere Genres.

Du hast vorhin erwähnt, es kommt ein Dühnfort Fünf und auch ein Dühnfort Sechs. Kannst du uns darüber schon ein bisschen was verraten?

Dühnfort Fünf ist fertig geplant, geplottet. Den muss ich jetzt “nur noch” schreiben. Es ist schwierig, etwas darüber zu sagen, ohne zuviel zu verraten. Letztlich geht es um eine Grenzüberschreitung, die eigentlich nicht wirklich schlimm wäre. Ausschlaggebend war ein Zeitungsartikel, nach dessen Lektüre ich gespürt habe, in dieser Situation steckt Potential, das sollte man mal zu Ende denken, und sehen, was man daraus schlimmstenfalls machen könnte. Am Ende kommt etwas heraus, das ich als einen “Reigen des Verderbens” bezeichnen möchte.

Dein vor kurzem erschienener Roman “Schuld währt ewig”, der vierte aus der Reihe um Konstantin Dühnfort, ist nur zwölf Tage nach dem Erscheinungsdatum in die zweite Auflage gegangen. Was ist das Beste daran, eine erfolgreiche Autorin zu sein, und was ist das Nervigste?

Ja, das Beste ist, dass ich niemals damit gerechnet hätte. Anfangs war das Schreiben ein Hobby. Meinen ersten Roman wollte ich nicht veröffentlichen, den habe ich wirklich für mich geschrieben. Ich wollte wissen, ob ich es schaffe, einen Krimi zu schreiben, den ich gerne lesen würde. Erst beim zweiten Roman habe ich mich bei Agenten beworben und bin dann schnell untergekommen Also, das Tollste ist gewissermaßen, dass da ein Traum in Erfüllung gegangen ist, den ich nie geträumt habe.
Inzwischen verdiene ich meine Brötchen mit Schreiben. Das ist einfach klasse. Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass ich heute hier sitze und ein Interview führe, ich hätte ich ihn sicher ausgelacht. Und nervig ist nichts. Es ist ein tolles Gefühl, Autorin zu sein. Manchmal bekomme ich natürlich Leser-Reaktionen, die nicht so toll sind. Mir ist es jetzt zweimal passiert, dass mich Leser einfach angerufen haben. Einmal samstags beim Mittagessen-Kochen rief eine ältere Dame an. Sie musste unbedingt ihren Ärger loswerden, dass in “Der Sünde Sold” eine Katze getötet wird. Die andere Leserin hat mich abends um zehn angerufen. Sie hatte das dringende Bedürfnis mir zu sagen, dass ich die tollste deutsche Autorin bin, die sie kennt. Das schmeichelt natürlich schon.
Andererseits hat das auch etwas Unheimliches. Das muss ich ehrlich zugeben. Wer mich im Internet finden will hat meine Kontaktdaten in drei Minuten raus und kann mich anrufen oder mir Mails schicken. Und da sind eben nicht nur nette dabei. Ich habe auch schon anonyme Mails bekommen und gegen einen dieser Absender tatsächlich Anzeige erstattet.

Da ging es um den zweiten Dühnfort-Band. Kannst du uns den Zusammenhang kurz erklären?

Zwei kleine Szenen des Buchs spielen einer Station im Krankenhaus Großhadern. Ich hätte niemals gedacht, dass jemand daran Anstoß nehmen könnte. Denn letztlich geht es bei diesen Szenen darum, zu zeigen, dass Dühnfort ein sehr freundschaftliches und gutes Verhältnis zu seiner Kollegin Gina hat. Also habe ich Gina ein gesundheitliches Problem angedichtet und sie ins Krankenhaus geschickt und Dühnfort besucht sie dort. Und ein wenig recherchefaul wie ich manchmal bin, habe ich einfach eine Station beschrieben, auf der ich tatsächlich mal war. Und … nun ja, die Einrichtung des Zimmers, die fehlenden Vorhänge und einiges mehr, das war nicht so schön und ich habe es so beschrieben. Eines Tages kam eine E-Mail mit einem Phantasienamen@gmx.de als Absender, also für mich nicht nachzuvollziehen, wer wirklich dahinter steht. Man mokierte sich über meine Darstellung der Station. Unterschrieben war die Mail mit “Im Namen aller Mitarbeiter der Station XY”. Ich habe dummerweise darauf reagiert und ein Gespräch angeboten, denn es war nie meine Absicht, jemandem auf die Zehen zu treten. Postwendend kam eine Antwort. Die war wirklich gruselig, denn die gute Frau – also, ich habe vermutet, dass es eine Frau war – schrieb: Ich wüsste ja, wo sie zu finden sei, also, wenn ich mit ihr reden wollte, könnte ich antanzen, und im übrigen wäre ich gar nicht auf ihrer Station gelegen, sondern auf der Nachbarstation. Da ist mir der Kinnladen heruntergeklappt. Woher wusste diese Frau, dass ich als Patientin auf dieser Station gewesen war? Beziehungsweise eben nicht auf dieser, sondern auf einer anderen und wann. Denn das wusste sie auch. Ich hätte das selber nicht mehr gewusst. Die Folge war eine schlaflose Nacht. Am nächsten Tag habe ich mit dem Datenschutzbeauftragten der Münchener Kliniken telefoniert, dem ist der Kinnladen heruntergefallen wie mir. Er hat mir zur Anzeige geraten, denn so wie es aussah, hatte jemand in meine Patientenakte geguckt.
Ich wollte wissen, wer da hinter diesen Mails steckt. Ich hatte mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass es alle Mitarbeiter dieser Station sind, und habe Anzeige erstattet. So ist es mir tatsächlich gelungen, die Mailschreiberin aus der Anonymität zu holen und ihr zu zeigen: ich weiß wer du bist. Das Erschreckende daran war für mich, dass tatsächlich alle Mitarbeiter der Station hinter diesen Mails standen. Und das Lustige daran, dass niemand mein Buch gelesen hat. Man kannte nur die zwei kurzen Szenen.

Hat dich dieser Vorfall bewogen, deine Orte noch mehr zu verfremden?

Ja. Das ist so. Wobei ich das nicht müsste. Aber man weiß einfach nicht, wem man unwissentlich auf die Zehen tritt und was für Folgen das haben kann.

Hast du auch noch eine lustige Anekdote aus deinem Autorenleben für uns?

Lustig? Da muss ich jetzt gerade mal nachdenken. – Doch, ja. Da gibt es eine lustige Geschichte. Ich habe durch einen Zufall einen ehemaligen Kriminalhauptkommissar der Münchener Mordkommission kennengelernt, der mich seit meinem ersten Buch berät. Gerade bei meinem ersten Dühnfort-Roman habe ich so jede Menge Basics der Polizeiarbeit gelernt. Als der Roman dann fertig war, habe ich meinem Berater das Manuskript zu lesen gegeben, und er rief mich völlig entsetzt an und sagte: “Frau Löhnig, das machen’s aber nicht noch mal.” – Ich fragte: “Ja, was denn?” – “Am Ende ist der Täter tot. Und das ist für einen Kriminaler das Schlimmste überhaupt.”
Ein Kriminaler will den Täter natürlich lebend erwischen, damit auch das kleinste Detail des Falls noch restlos geklärt werden kann. Wenn der Täter tot ist, dann geht das nicht mehr. – “Frau Löhnig, das machen Sie aber nicht noch mal!” (Beide lachen).

Dann sage ich herzlichen Dank für das Gespräch, und viel Erfolg mit Dühnfort Vier, Fünf und Sechs!

Ich danke dir, Corinna!

Inge Löhnig wurde 1957 in München geboren. Sie studierte an der renommierten Akademie U5 in München Grafik-Design und arbeitete anschließend in verschiedenen Werbeagenturen, zuletzt als Art-Directorin auf einem Mode-Etat.Heute lebt sie als freiberufliche Grafik-Designerin und Autorin mit ihrer Familie und einem betagten Kater in der Nähe von München. „Der Sünde Sold“, war ihr erster Roman mit Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort und Auftakt der Serie, die bei Kritikern und Lesern einhellige Begeisterung auslöst: „Meisterhafte Erzählkunst“ schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Mehr davon“ wünscht sich die Frauenzeitschrift FREUNDIN. Neben Romanen für Erwachsene schreibt die Autorin auch Jugendbücher.

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La Traviata, 26.02.2012, BSO

In der Inzenierung von Günter Krämer haben in den letzten 19 Jahren viele Sänger ihr Rollenportrait gezeigt. Nun waren zwei neue an der Reihe, und ein Sänger, der über 20 Jahre nicht an der Bayerischen Staatsoper gesungen hatte. Der siebzigjährige Leo Nucci überzeugte in der Rolle des Vater Germont. Er stattete die Rolle mit Ausdruck und Klarheit seines Baritons aus, verlieh dem Vater die nötige Persönlichkeit und ein eigenes Profil. In der Rolle des Alfredos war der Tenor James Valenti zu hören, mit schöner Stimme, und er klang bis in die Höhen am ganzen Abend nicht einmal angestrengt. In der Darstellung hielt er sich an die Anweisungen des Regieassistenten, und das Publikum sah einige der alten Operngesten.

Die Sopranistin in der Titelrolle hatte es schwer bei so vielen und legendären Vorgängerinnen, wie z.B. Cristina Gallardo-Domas, Angela Gheorghiu und Anja Harteros. Ihre große und nicht gut sitzende Stimme hatte in ihrer Arie im ersten Akt Ungenauigkeiten und Intonationschwächen. In den Folgeakten wurde es etwas besser, vor allem im Duett mit Vater Germont. Diese Stimme ist zu groß, und es fehlt an Linie. Als Schauspielerin hatte die Dame mehr zu bieten. Nach dem etwas überdrehten ersten Akt gelang ihr der Wandel zur ehrlich Liebenden.

Bleibt noch der “Neuling” am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Der ungarische Dirigent Henrik Nánási führte das Orchester zu einer guten Abendleistung. Bei den zarten Vorspielen beeindruckten die Musiker mit hoher Klangkultur. Der Dirigent war immer bei den Sängern und unterstützte sie in den großen Ensembleszenen mit federnder Rhythmik. Leider konnte da der Chor der Staatsoper nicht immer in der Klangkultur mithalten. Dem Dirigenten alles Gute für seine Arbeit an der Komischen Oper Berlin, wo er ab der Saison 2012/13 Generalmusikdirektor sein wird. Ein Abend in der Bayerischen Staatsoper mit Höhen und Tiefen!

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Premiere Joseph Süß, 03.03.2012, Gärtnerplatztheater – Nachtkritik

[singlepic id=1135 w=320 h=240 float=left]Als letzte Opernpremiere vor dem Umbau im Stammhaus am Gärtnerplatz präsentierte das Staatstheater die Münchener Erstaufführung der Oper Joseph Süß des zeitgenössischen Komponisten Detlev Glanert. Die Oper in dreizehn Szenen wurde als Auftragsarbeit 1999 in Bremen uraufgeführt. Detlev Glanert und die Autoren Uta Ackermann/Werner Fritsch haben in verdichteter Form eine Neudeutung der nicht gerade einfachen Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer geschaffen. Oppenheimer machte am Hofe des Herzogs Karl Alexander von Württemberg schnell Karriere und wurde zum unverzichtbaren Berater des Herzogs. Nach dem Tode des Herzogs gab es eine mörderische Hetzkampagne gegen ihn. Er wurde wegen zahlreicher willkürlicher Anklagepunkte zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 gehängt. Dieser Aufstieg und Fall von Joseph Süß Oppenheimer erregte im 18. Jahrhundert und auch heute noch die Gemüter.

Die Handlung der Oper von Detlev Glanert setzt nach der Verurteilung ein. Joseph Süß sitzt im Gefängnis und erlebt die Vergangenheit als Alptraum, er hört die Stimmen der Lebenden und der Toten, und es es werden Erinnerungen wach. Der Regisseur Guy Montavon verlangt seinen Sängern einiges ab; mit seiner intensiven Personenregie kann er durchweg überzeugen. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er die Geschichte sehr realistisch und nah am Handlungsstrang erzählt. Das Ensemble besticht nicht nur mit guten Stimmen, sondern es wurden auch mit Regisseur Montavon hervorragende und sehr berührende Rollenportraits erarbeitet. Die Solisten der Aufführung sind bis auf drei Gäste aus dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters besetzt.

In der Titelrolle beeindruckt der Bariton Gary Martin mit intensiver Darstellung und guter Artikulation; die Entwicklung vom Aufstieg zum Fall des Joseph Süß gelingt ihm sehr glaubwürdig. Als korrupter Gegenspieler Weissensee, Sprecher der Landstände, singt und spielt der Gast-Tenor Mark Bowman-Hester ganz hervorragend. Thérèse Wincent in der Rolle der Magdalena, die Tochter von Weissensee, besticht in der Interpretation der vom Herzog missbrauchten, leidenden bis hin zur liebenden Frau. Frau Wincent überzeugt mit ihrem Sopran, in den lyrischen wie auch tragischen Situationen des Abends. Die sich nach dem Vater sehnende Naemi, Tochter von Joseph Süß, wird von der jungen Mezzosopranistin Carolin Neukamm mit schöner Stimme und jugendlichem Spiel dargestellt. Gut präsentiert sich die als Gast am Haus engagierte Sopranistin Karolina Andersson als Mätresse des Herzogs und Opernsängerin, die ein eigenes Opernhaus gebaut bekommt. Sie hat in ihrer Rolle alle Möglichkeiten, ihren gut klingenden Koloratursopran im positiven Sinne zur Schau zu stellen.

Auch ein großer Garant am Haus ist Stefan Sevenich; er schlüpft in die Rolle des lüsternen und ohne Skrupel agierenden Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Ihm steht diese Rolle ausgezeichnet, er spielt sie mit kräftiger Stimme und wie immer toller Bühnenwirkung. In der Rolle des Magus (ein Rabbiner, der Joseph Süß warnt, und gleichzeitig der liebevolle Erzieher von Naemi) war an diesem Abend der Bariton Tobias Scharfenberger zu hören, der als Gast bei der Premiere einsprang. Thomas Peters ist der immer präsente Henker, der nur eines im Kopf hat, und zwar, Josef Süß zu richten. Florian Wolf ist als Haushofmeister rollendeckend besetzt.

An diesem gelungenen Premierenabend hatte auch das Orchester des Staatstheaters großen Anteil. Unter der Leitung des in neuer Musik versierten Dirigenten Roger Epple[singlepic id=1136 w=320 h=240 float=right] entfaltete das Orchester die farbenreiche und für dieses Werk passend komponierte, beklemmende Musik. Mit dem Chor war der rhythmische Gesang der Glanert-Komposition von Chordirektor Jörn Hinnerk Andresen gut einstudiert worden. Für ein gelungenes Bühnenbild und die passenden Kostüme zeichnete Peter Sykora verantwortlich. Er nutzte die Drehbühne des Hauses für die Bebilderung des Geschehens. Die Wände der kleinen Zelle, in der Joseph Süß inhaftiert ist, schmückte Sykora mit Goldbarren aus. Eine Kulisse aus grauen Wänden, Spiegeln und, als Zeichen des Reichtums, einige Regale mit Gold, Silber und anderen Objekten, wechseln sich in den anderen Szenen ab. Die gute Beleuchtung setzte alles in das richtige Licht. Schöne und in die Zeit der Handlung passende Kostüme sind für Solisten und Chor entworfen und geschneidert worden. Unter den vielen Grautönen und den wunderbaren weißen Kostümen des Chores stach Joseph Süß, in purpurrotes Gewand gekleidet, immer heraus. Es ist dem Ensemble und dem Theater gelungen, für das Publikum einen sehr intensiven, spannungsreichen und berührenden Theaterabend zu gestalten. Bravo!

Weitere Termine: 7., 11., 20., 22., 26., 30. März sowie 4 Abende im April.

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Die Fledermaus, 20.02.2012, Gärtnerplatztheater

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Die Fledermaus am Rosenmontag mit einem bestens aufgelegten Ensemble und ein ausverkauftes Gärtnerplatztheater – was braucht man mehr!

In der Inszenierung von (Noch-) Intendant Ulrich Peters tummelten sich die Ensemblemitglieder des Theaters. Heike Susanne Daum und Tilmann Unger standen als Ehepaar Eisenstein auf der Bühne. Tilmann Ungers Tenor passt sehr gut zum Eisenstein, und Heike Susanne Daum beeindruckte nicht nur schauspielerisch: sehr schön gelang den beiden das Uhrenduett. Mit ausdrucksstarker Stimme interpretierte Frau Daum die Rosalinde und bot auf dem Ball des Prinzen einen feurigen Csardas. In weiteren Rollen Ella Tyran als quicklebendige Adele und Ulrike Dostal als Ida. Torsten Frisch verlieh dem Dr. Falke seinen Bariton und Spielfreude. Mit schönem sattem Mezzo sang Franziska Rabl den Prinzen Orlowsky. Robert Sellier als Gesanglehrer Alfred und Hans Kittelmann in der Rolle des Advokaten Dr. Blind brachten die Figuren überzeugend auf die Bühne. Auch immer wieder schön: der Gefängnisdirektor Frank, von Dirk Lohr verkörpert. Mit Thomas Peters hat das Haus einen ausgezeichneten Gefängniswärter Frosch gefunden. Es kommen keine Längen, wenn er zu den alten Gags den Bezug auf die Politik und aktuelle Themen aufnimmt.  Einfach super!

Der Chor war wie gewohnt in dieser Produktion gut und hatte an diesem Tag besonders viel Spaß. Auch das Orchester war in Champagner-Laune: Dirigent Andreas Puhani entlockte dem Orchester mit leichter Hand schmissige Rhythmen, schnelle Tempi, und die Funken sprühten. Danke!

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