Auch beim vierten Ansehen hat dieses Stück nichts von seiner Faszination verloren. Es gehört für mich auf jeden Fall zu den Top 3 der Neuproduktionen der letzten fünf Jahre. Die Gefühle, die Musik und Szene in mir auslösen, sind schwer zu toppen.
An den Reaktionen meiner Mitzuschauer kann ich ablesen, dass es ihnen ähnlich geht. Selbst das manchmal etwas schwerfällige Abopublikum geizt nicht mit Beifallsbekundungen. Leider haben anscheinend so viele Angst vor dem Thema und vielleicht auch vor neuer Musik, dass sie lieber fernbleiben als sich damit auseinanderzusetzen. Denen möchte ich zurufen: Wagt es! Es ist ein unvergesslicher Abend. Der Trailer kann zwar kaum das rauschhafte Gefühl vermitteln, das die Produktion bei mir bewirkt, aber vielleicht hilft er, ein paar Ängste abzubauen:
Die Besetzung ist wirklich vom Allerfeinsten: Gary Martin zeichnet ein vielschichtiges Porträt von Joseph Süß, dem Mann der hoch hinaus wollte und sehr tief fiel, weil er zufällig Jude war. Seine Bühnenpräsenz und seine tolle Stimme lassen einen mitjubeln und mitleiden. Besser geht es eigentlich nicht. Das kann man im Grunde von allen Akteuren sagen. Ich habe zwar keinen Vergleich, weil ich diese Oper noch nirgendwo anders gesehen habe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man noch tiefer eindringen kann in Musik und Darstellung. Thérèse Wincent als Magdalena, die zu Joseph Süß steht, obwohl sie sich hätte retten können. Carolin Neukamm als engelsgleiche Naemi, die eines grausamen Todes stirbt. Was aber wohl nicht jeder mitbekommt, wie man einer Kritik entnehmen konnte. Karolina Andersson als Graziella, das Sängerpüppchen, das aber ganz schön durchtrieben ist. Mark Bowman-Hester als Weissensee, der auf dem Weg zur Macht seine Tochter und den Herzog opfert. Juan Gernando Gutiérrez als Magus, der Joseph Süß vor seinem Schicksal zu bewahren sucht. Thomas Peters, der nicht nur die Schlinge für Joseph knüpft, sondern ihn auch mit Worten seziert. Und schließlich Stefan Sevenich, der sich auch nicht von den Nachwehen eines grippalen Infektes abhalten ließ, den Herzog vor viriler Kraft strotzend zu geben.
Nicht genug loben kann man den Chor. Aufpeitschend, präzise in den Bewegungen, steigert er die Spannung bis zum unvermeidlichen Ende. Daran müssen sich größere Häuser messen lassen. Das Orchester unter Roger Epple agierte wie auch schon an den Abenden vorher konzentriert und trug seinen Teil zum Gesamterlebnis bei.
[singlepic id=1135 w=320 h=240 float=left]Als letzte Opernpremiere vor dem Umbau im Stammhaus am Gärtnerplatz präsentierte das Staatstheater die Münchener Erstaufführung der Oper Joseph Süß des zeitgenössischen Komponisten Detlev Glanert. Die Oper in dreizehn Szenen wurde als Auftragsarbeit 1999 in Bremen uraufgeführt. Detlev Glanert und die Autoren Uta Ackermann/Werner Fritsch haben in verdichteter Form eine Neudeutung der nicht gerade einfachen Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer geschaffen. Oppenheimer machte am Hofe des Herzogs Karl Alexander von Württemberg schnell Karriere und wurde zum unverzichtbaren Berater des Herzogs. Nach dem Tode des Herzogs gab es eine mörderische Hetzkampagne gegen ihn. Er wurde wegen zahlreicher willkürlicher Anklagepunkte zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 gehängt. Dieser Aufstieg und Fall von Joseph Süß Oppenheimer erregte im 18. Jahrhundert und auch heute noch die Gemüter.
Die Handlung der Oper von Detlev Glanert setzt nach der Verurteilung ein. Joseph Süß sitzt im Gefängnis und erlebt die Vergangenheit als Alptraum, er hört die Stimmen der Lebenden und der Toten, und es es werden Erinnerungen wach. Der Regisseur Guy Montavon verlangt seinen Sängern einiges ab; mit seiner intensiven Personenregie kann er durchweg überzeugen. Seine Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass er die Geschichte sehr realistisch und nah am Handlungsstrang erzählt. Das Ensemble besticht nicht nur mit guten Stimmen, sondern es wurden auch mit Regisseur Montavon hervorragende und sehr berührende Rollenportraits erarbeitet. Die Solisten der Aufführung sind bis auf drei Gäste aus dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters besetzt.
In der Titelrolle beeindruckt der Bariton Gary Martin mit intensiver Darstellung und guter Artikulation; die Entwicklung vom Aufstieg zum Fall des Joseph Süß gelingt ihm sehr glaubwürdig. Als korrupter Gegenspieler Weissensee, Sprecher der Landstände, singt und spielt der Gast-Tenor Mark Bowman-Hester ganz hervorragend. Thérèse Wincent in der Rolle der Magdalena, die Tochter von Weissensee, besticht in der Interpretation der vom Herzog missbrauchten, leidenden bis hin zur liebenden Frau. Frau Wincent überzeugt mit ihrem Sopran, in den lyrischen wie auch tragischen Situationen des Abends. Die sich nach dem Vater sehnende Naemi, Tochter von Joseph Süß, wird von der jungen Mezzosopranistin Carolin Neukamm mit schöner Stimme und jugendlichem Spiel dargestellt. Gut präsentiert sich die als Gast am Haus engagierte Sopranistin Karolina Andersson als Mätresse des Herzogs und Opernsängerin, die ein eigenes Opernhaus gebaut bekommt. Sie hat in ihrer Rolle alle Möglichkeiten, ihren gut klingenden Koloratursopran im positiven Sinne zur Schau zu stellen.
Auch ein großer Garant am Haus ist Stefan Sevenich; er schlüpft in die Rolle des lüsternen und ohne Skrupel agierenden Herzogs Karl Alexander von Württemberg. Ihm steht diese Rolle ausgezeichnet, er spielt sie mit kräftiger Stimme und wie immer toller Bühnenwirkung. In der Rolle des Magus (ein Rabbiner, der Joseph Süß warnt, und gleichzeitig der liebevolle Erzieher von Naemi) war an diesem Abend der Bariton Tobias Scharfenberger zu hören, der als Gast bei der Premiere einsprang. Thomas Peters ist der immer präsente Henker, der nur eines im Kopf hat, und zwar, Josef Süß zu richten. Florian Wolf ist als Haushofmeister rollendeckend besetzt.
An diesem gelungenen Premierenabend hatte auch das Orchester des Staatstheaters großen Anteil. Unter der Leitung des in neuer Musik versierten Dirigenten Roger Epple[singlepic id=1136 w=320 h=240 float=right] entfaltete das Orchester die farbenreiche und für dieses Werk passend komponierte, beklemmende Musik. Mit dem Chor war der rhythmische Gesang der Glanert-Komposition von Chordirektor Jörn Hinnerk Andresen gut einstudiert worden. Für ein gelungenes Bühnenbild und die passenden Kostüme zeichnete Peter Sykora verantwortlich. Er nutzte die Drehbühne des Hauses für die Bebilderung des Geschehens. Die Wände der kleinen Zelle, in der Joseph Süß inhaftiert ist, schmückte Sykora mit Goldbarren aus. Eine Kulisse aus grauen Wänden, Spiegeln und, als Zeichen des Reichtums, einige Regale mit Gold, Silber und anderen Objekten, wechseln sich in den anderen Szenen ab. Die gute Beleuchtung setzte alles in das richtige Licht. Schöne und in die Zeit der Handlung passende Kostüme sind für Solisten und Chor entworfen und geschneidert worden. Unter den vielen Grautönen und den wunderbaren weißen Kostümen des Chores stach Joseph Süß, in purpurrotes Gewand gekleidet, immer heraus. Es ist dem Ensemble und dem Theater gelungen, für das Publikum einen sehr intensiven, spannungsreichen und berührenden Theaterabend zu gestalten. Bravo!
Weitere Termine: 7., 11., 20., 22., 26., 30. März sowie 4 Abende im April.
Die nächste und zugleich letzte (I stand corrected: vorletzte) Premiere im Gärtnerplatztheater vor dem großen Umbau ist eine Oper von Detlev Glanert mit einem Libretto von Werner Fritsch und Uta Ackermann. Sie handelt von Joseph Süß Oppenheimer, Geheimer Finanzrat am Hofe des württembergischen Herzogs Karl Alexander, wurde 1999 in Bremen uraufgeführt. Die Premiere wird die 6. Inszenierung dieses Stückes sein, was für eine moderne Oper schon ganz beachtlich ist.
Hört man den Namen des Protagonisten, so muss man fast unweigerlich an den unsäglichen Propagandafilm von Veit Harlan denken. Doch nicht erst im 3. Reich ist der markanten Figur Unrecht getan worden. Er fiel einem Justizmord zum Opfer, ausgelöst durch Intrigen und seine Prunksucht und dem Wunsch, geadelt zu werden. Glanert und seine Librettisten versuchen nicht, ihn zu idealisieren, sondern ihn als Menschen mit Licht- und Schattenseiten zu zeigen. Die Oper beginnt mit der Kerkerszene, zu der sie auch immer wieder zurückkehrt. Dazwischen gibt es Rückblicke ins Leben Joseph Süß’. Dies greift auch das Bühnenbild des bekannten Bühnenbildners Peter Sykora auf. Er unterteilt die Bühne mit Stelen, die die verschiedenen Räume begrenzen und gleichzeitig aber Durchblicke erlauben. So soll man, auch wenn die Handlung zum Beispiel in der Wunderkammer von Süß spielt, immer an den Kerker erinnert werden. Das Bühnenbild ist wohl eher zeitlos, während die ebenfalls von Sykora stammenden Kostüme eindeutig der Zeit des Geschehens zuzuordnen sind. Der Regisseur Guy Montavon, gebürtiger Schweizer und derzeit Intendant in Erfurt, kann sicher als die beste Wahl angesehen werden. Einerseits kann er als Nichtdeutscher unbefangener an den Stoff gehen, andererseits wird in seinem Opernhaus seit 10 Jahren jedes Jahr ein Werk uraufgeführt, er ist also mit neuer Musik bestens vertraut. Trotzdem habe er gezögert, berichtete er, nicht wegen Glanert, den er als einen der größten lebenden Komponisten bezeichnet hat, sondern wegen der schwierigen Thematik. Er zeigte sich begeistert von Komposition und Libretto, insbesondere die Chorteile hob er hervor. Aber auch Joseph Süß, der inmitten all der Hektik lyrisch und nobel seinem Ende entgegen gehe. Gary Martin, der die Partie übernommen hat, sang begleitet von Anke Schwabe am Flügel, zwei wirklich sehr schöne Beispiele. Ein weiterer musikalischer Beitrag kam von Karolina Andersson, die die Graziella singt. Montavon bezeichnete sie als comic relief, als Hofopernsängerin zeige sie die Relation zum Theater. Bezüge zum 3. Reich habe er weitgehend vermieden, die Ausgrenzung wegen Religionszugehörigkeit sei nicht zeitgebunden. Deutlich werde dieser Bezug allerdings beim Blick in den Orchestergraben, dort fehlen ganze Instrumentengruppen wie Hörner oder Streicher. Dies war nach 1933 ein häufiges Bild, da die Musiker jüdischer Abstammung Berufsverbot hatten und deshalb im Graben fehlten.
Der Komponist Detlev Glanert wird die Endproben begleiten und auch zur Premiere anwesend sein. Nach anfänglicher Skepsis hat mich dieser Vormittag überzeugt, dass es ein spannender Theaterabend wird. Die Vorstellung dauert rund 90 Minuten, außer bei der Premiere gibt es eine halbe Stunde vor Beginn eine Einführung, die man wohl nicht versäumen sollte.
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