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Kurzinterview mit Heike Susanne Daum

[singlepic id=1130 w=240 h=320 float=left]Frau Daum, herzlichen Dank, dass Sie uns zur Wiederaufnahme von “Der Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” am Gärtnerplatztheater ein kurzes Interview geben. Wie sehen Sie die Jenny?

Jenny ist in die Prostitution hineingeboren, die Mutter war auch Prostituierte, das erzählt sie ja ganz am Anfang in ihrem “ach bedenken Sie, Herr Jack O’Brian” und sieht in dieser Profession überhaupt nichts Schlimmes. Die Jenny ist nicht die Intelligenteste, nicht die Liebevollste, sie ist ein Kind dieses Milieus. So sehe ich sie.

Und wie ist ihr Charakter?

Sie ist das, was man in ihr sehen möchte, wie bei der Lulu auch, ist sie eine Projektionsfläche für Männerwünsche. Und ich denke, für sie zählt nur noch das eigene Vergnügen. Sie säuft gerne und und verdient gerne Geld mit ihrem Körper, denn Geld zu haben ist ihr ein Vergnügen. Aber ich denke, sonst hat sie nicht viel Charakter.

Sie haben gerade schon die Männerwünsche angesprochen. Jim Mahoney fragt sie nach ihren Wünschen, und Jenny antwortet: “Dafür ist es noch zu früh”. Hätte das die große Liebe werden können zwischen Jim und Jenny?

Das hätte Jenny nie zugelassen, weil sie in Männern immer nur Kunden sieht und nie eine verwandte Seele oder einen Menschen. Jenny trennt zwischen Männern, die sind Kunden, und Privatem, was sie wahrscheinlich gar nicht hat, höchstens ihre Mädchen.

Deswegen wäre es Jim auch nie gelungen, sie zu überreden, ihm zu helfen?

Nein. Einer der sie kauft, der sagt, “vielleicht nehme ich sie” – das würde für sie nie in Frage kommen, dass da ihr Herz mitspielt.

Aber Jim war verliebt in Jenny, oder?

Weil ihm sonstige Wärme gefehlt hat und Männer ja oft genug Sex mit Wärme, ja mit Liebe verwechseln.

Aber sie sagt ihm, dass sie ihn vermissen wird.

Nein, sagt sie nicht. Sie sagt nur: ja, ich bin Deine Witwe und nie werde ich Dich vergessen, wenn ich jetzt zurückkehre zu den Mädchen. Sie sagt nicht, dass sie ihn vermissen wird. Nichts davon, gar nichts.

Gegen Ende gibt es einen Song, “Where is the telephone?”, der den Eindruck macht, als ob er nicht ganz dazugehören würde. Wie kommt das?

Das ist der Benares-Song. Unsere Mahagonny-Fassung ist relativ zusammengestrichen worden. Es fehlt ja auch “Gott kam nach Mahagonny”, aber dieser Benares-Song ist ein Ausdruck für die Hilflosigkeit, die die Jenny dann im Endeffekt doch noch befällt angesichts dessen, dass Jim in der herrschenden Gesellschaftsordnung zum Tode verurteilt ist. Ich denke nicht, dass sie so um ihn trauert und deshalb letztendlich die Gedanken umkippen und dann in dieses etwas traurige Lied einfließen. “There is no money in this land, there is no boy to shake with hands”, und dieses “where is the telephone” ist wahrscheinlich der Hilfeschrei, wo ist die bessere Welt, wo ist der, der mir hilft, wo sind die Menschen, die bereit sind, mir zu helfen. Das Telefon als Kommunikationsmittel nach außen. Und diese bessere Welt, Benares, gibt es auch nicht mehr – ein Erdbeben hat es zerstört! Es ist, wie es ist –keine Hoffnung in Sicht. So sehe ich es, und vielleicht ist das völlig falsch gedacht. Und Jenny denkt eigentlich auch gar nicht so sehr an Jim, sondern sie sieht sich und die ganze Gesellschaft in der Geschichte und am Ende steht auch sie auf und sagt: können uns und Euch und niemand helfen.

Können Sie sich mit der Inszenierung identifizieren?

Ja, absolut. Der Regisseur Thomas Schulte-Michels hat uns jegliche Freiheit gelassen, die Figuren passend zu dem, was wir für die Figuren empfinden und wie wir sie körperlich ausdrücken können, zu spielen. Die Alternativbesetzung für die Jenny, Elaine Ortiz Arandes, spielt vollkommen anders, sieht sie auch vollkommen anders, das war für den Regisseur genauso gut und genauso richtig, solange es so empfunden wurde. Und weil ich es halt so spielen darf, wie ich es sehe, wie ich die Jenny für mich zurechtgelegt habe, kann ich mich absolut damit identifizieren. Jetzt bin ich natürlich keine Prostituierte und ich sehe die Welt auch nicht so wie sie, aber ich kann es sehr gut nachvollziehen, wie sich ein Mensch fühlt, der nie etwas anderes war als Ware.

Sie waren letztes Jahr auf Gastspiel mit Mahagonny in Istanbul. Wie hat das türkische Publikum reagiert auf ihre doch recht freizügige Art und Kleidung?

Ich habe gedacht, dass ich vielleicht Buhs bekommen könnte oder dass die Frauen mich böse anschauen würden. Es war genau anders herum. Sie konnten absolut zwischen der Künstlerin Heike Susanne Daum und der Rolle, die ich verkörpere, unterscheiden. Ich habe in keinster Weise irgendwelche Anfeindungen gespürt oder habe mich schämen müssen für wie freizügig ich da sitze, breitbeinig, jeder kann den Slip sehen. Da dachte ich schon, oje, das könnte vielleicht schwierig werden, war es aber in keinster Weise. Das Publikum war sehr, sehr offen und hat, fand ich, auch noch etwas mehr mitgelebt in dem Stück, weil sie den Text mitgelesen haben. Bei uns in München gibt es ja keine Übertitel, und wenn dann mehrere gleichzeitig singen, versteht man auch nicht immer unbedingt den Text. Das türkische Publikum konnte richtig mitlesen und hat dann auch an vielen Stellen reagiert, wo unser Publikum am Gärtnerplatz nicht reagiert, also für uns hörbar und spürbar reagiert. Ich fand es ganz großartig, wie das Publikum in Istanbul Mahagonny aufgenommen hat. Und sie haben ja auch in der Kritik geschrieben, ein sehr, sehr aktuelles Stück. Das größte Verbrechen auf dieser Welt ist, kein Geld zu haben. Dann ist man nichts und niemand mehr.

Herzlichen Dank und Toi Toi Toi für die Wiederaufnahme!

Herzlichen Dank, ich freu mich schon drauf!

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