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Interview mit Holger Seitz

Holger Seitz Herr Seitz, vielen Dank, dass Sie die Zeit gefunden haben fĂŒr ein Interview mit uns. WĂŒrden Sie uns als erstes etwas ĂŒber Ihren Werdegang erzĂ€hlen?

Ich komme aus der Pfalz, aus dem PfĂ€lzer Wald. Schule und so weiter war alles ganz normal, wie es sich gehört. Ich habe sehr frĂŒh angefangen als Statist und im Kinderchor im Theater meiner Heimatstadt Kaiserslautern und habe dort auch erste kleine Rollen gespielt. Dort wurde ich quasi entdeckt von unserer damaligen Oberspielleiterin. Dann habe ich so nebenher Ausbildung gemacht und danach ĂŒber zehn Jahre an verschiedenen Theatern als Schauspieler gearbeitet. Seit knapp 20 Jahren fĂŒhre ich hauptsĂ€chlich Regie: Kaiserslautern, Coburg, Baden-Baden, Wien, Stuttgart, Annaberg-Buchholz, Leipzig, Landshut und noch einige andere Stationen; ich bin ziemlich viel herumgekommen in meinen inzwischen etwas mehr als 30 Berufsjahren.

Gibt es Vorbilder fĂŒr Sie in den Regiearbeiten oder von den Regisseuren her?

Nein. – Nein. Ich bewundere alle Kollegen, die aus einem StĂŒck heraus, mit ihrer eigenen Phantasie dazu, grĂ¶ĂŸere Gedanken als unsereins sie denken kann auf die BĂŒhne bringen und die das Publikum berĂŒhren oder unterhalten. Ich habe kein direktes Vorbild. Ich bewundere Menschen, die – wie soll ich sagen –auf der Suche nach einer Wahrheit sind. Ob das jetzt Regiekollegen sind, Darsteller, Schriftsteller, oder ein Pfarrer, ein Lehrer. Die Suche nach irgendeiner Art von Wahrheit, ob das eine politische, eine gesellschaftliche, eine emotionale ist: Je besser Leute es schaffen, das auf die BĂŒhne zu bringen, egal in welcher Funktion, um so grĂ¶ĂŸer ist meine Bewunderung. Was ich auch noch sehr bewundere ist, wenn zum Beispiel Regisseure es schaffen, auch in einer menschlichen Art und Weise mit ihren Darstellern umzugehen. Was das angeht, habe ich, als ich noch selber Regie-gequĂ€lter Darsteller war, immer mal wieder so ein paar Tyrannen oder menschliche Wracks erlebt, die auf einen losgelassen werden und eigentlich nicht dem Ganzen dienen, einer Idee oder auch den Menschen, die auf der BĂŒhne stehen – solche Selbstdarsteller, die waren eigentlich nie so mein Fall. Wenn ich Regiekollegen bewundert habe, dann die, die es schaffen, klug und menschlich vernĂŒnftig mit anderen umzugehen. Da gibt es doch einige. Darunter wĂ€ren auch einige, die könnte man durchaus Vorbild nennen. Und Leute, die sich selbst treu bleiben und nicht irgendeiner Mode verfallen.

Wie bereiten Sie sich auf eine Produktion vor?

Das ist ganz verschieden. Als ich mal den Faust gemacht habe, da habe ich mich wirklich zwei Jahre intensiv damit beschĂ€ftigt, mit SekundĂ€rliteratur, mit diesem, mit jenem. Da habe ich sehr wissenschaftlich auch gearbeitet. Das habe ich dann alles wieder vergessen und versucht, Theater zu machen. Theater soll ja in erster Linie spannend sein. Neben lehrreich und was weiß ich soll es wirklich spannend sein. Wenn man zu sehr akademisch und wissenschaftlich herangeht, dann kann der Unterhaltungswert ein bisschen auf der Strecke bleiben. Zum Beispiel so ein StĂŒck wie Faust bereite ich sehr genau vor. – Hier am Musiktheater hat natĂŒrlich die Vorbereitung viel mit der Musik zu tun. Was sagt die Musik, was löst die Musik in mir aus, passend zum Text. Man sollte dann schon die Musik gut kennen. Bevor man anfĂ€ngt, ĂŒber ein BĂŒhnenbild nachzudenken, sollte man sich ĂŒberlegen: Aha, da ist das so besetzt; da kommt die Musik gewaltig, da muss das so und so sein; da auf der Schiene lĂ€uft dieses und jenes ab. Und dann gibt es StĂŒcke, die fliegen einem zu. So Ă€hnlich ist es ja bei Darstellern manchmal auch. Oder du liest ein StĂŒck einmal und sagst: “Wow! DafĂŒr habe ich DIE Idee. Das StĂŒck will ich aus diesem bestimmten Grund machen.” Da ist, sagen wir mal, die Vorbereitung nicht so aufwendig. Wenn ich ein StĂŒck inszeniere wie Omama im Apfelbaum, die Kinderoper – und ich wĂŒrde mich selbst als Menschen bezeichnen, der mit knappen 50 Jahren noch sehr nah am Kind ist – dann fĂŒhle ich einfach die Figuren. Mit der Musik zum Beispiel auch. Dann fĂŒhle ich diese Figuren, und dann brauche ich nicht sehr nachzudenken. Da weiß ich: ich will in die Erlebniswelt eines Kindes eintauchen, ich mache mich auch dafĂŒr offen – dafĂŒr muss ich aber nicht tonnenweise Literatur wĂ€lzen. Was ich zum Beispiel fĂŒr Mikado oder Die Piraten von Penzance getan habe. Um mir HintergrĂŒnde zu erarbeiten, um es dann ins Heute quasi zu ĂŒbertragen.

Wie lĂ€uft dann die Zusammenarbeit mit BĂŒhnenbildner und KostĂŒmbildner ab? Ab welchem Zeitpunkt?

Das ist auch ganz verschieden. Hier am GĂ€rtnerplatztheater – fĂŒr Heimatlos, das Musical, mit dem wir jetzt im MĂ€rz Premiere haben, war die Bauprobe im Juli. Das heißt, der BĂŒhnenbildner Herbert Buckmiller und ich haben im vergangenen April, also fast ein Jahr vorher, angefangen, darĂŒber nachzudenken, welchen Stil wir machen und wie das Ganze aussehen soll. Es gibt ja immer noch Änderungen, aber so im Groben wussten wir ein Jahr vorher, wie die Ästhetik von dem Ganzen sein sollte. Und Ă€hnlich ist es mit den KostĂŒmen auch.

Wie gehen Sie auf VorschlÀge ein, die von den SÀngern kommen? Wie lÀuft da die Zusammenarbeit?

Das ist von SĂ€nger zu SĂ€nger verschieden. Es gibt SĂ€nger, die von sich aus irrsinnig viel anbieten. Solange das in mein Konzept passt oder in mein Bild von Ästhetik 
 Ich meine, wir haben komische Talente, und ich fĂ€nde es furchtbar, wenn ein Regisseur erst mal in diesem Bereich ein Talent unterdrĂŒckt und sagt: “Nein, nein, nein, das wird so und so gemacht.” Also ich lasse immer erst mal den Kollegen einen gewissen Vorlauf bei einer ersten Probe. Man redet so ein bisschen, und dann lasse ich sie mal loslegen. Dann versuche ich, die Angebote, die von den Kollegen kommen, in Bahnen zu lenken, wo wir alle gut damit leben können. Zum Beispiel im Bereich Komik kann es durchaus sein, dass mir der eine mal zuviel macht. Wenn ich dann sage: “Oh, das wird dann aber doch ein bisschen arg operettig!” – dann muss man ihn etwas einbremsen. Und auf der anderen Seite Darsteller, die (in AnfĂŒhrungszeichen) etwas seriöser sind, mal ermutigen, eine völlig bekloppte Figur zu spielen. Ich bin offen fĂŒr jeden Vorschlag. Ich habe fĂŒr fast alles eine Lösung – das ist auch mein Job. Aber oft haben andere Leute bessere Lösungen, und ich wĂ€re ja völlig bescheuert, wenn ich nicht bessere Lösungen akzeptiere. Da muss man auch ganz uneitel sein. Wenn wir bei Heimatlos bleiben: hier habe ich eine wunderbare Kooperation mit unseren Solisten, zum Beispiel. Da habe ich das GefĂŒhl, wir arbeiten Hand in Hand, wir sind auf eine Schiene gekommen und die fahren wir dann auch, und innerhalb dieser Grenzen arbeiten wir super zusammen. Das ist nicht immer so, aber im Augenblick ja.

Bei dem Musical Heimatlos ist ja das Junge Theater am GĂ€rtnerplatz jtg dabei und das Seniorentheater stg und noch die Solisten 


Neben der Regie umfasst meine Arbeit hier am GĂ€rtnerplatztheater ja auch alles, was mit Kindern, Jugendlichen und so weiter zu tun hat. Was jetzt passiert, ist eigentlich – ein Traum wĂ€re vielleicht zuviel gesagt, aber: Es ist ein mögliches, erstrebenswertes Ziel, dass man zum Beispiel bei jtg und stg Generationen ein bisschen verbindet. Oder dass man durchaus auch sagen kann: Die Kids können profitieren, wenn sie zugucken: Hey, so machen das die Profis, so schnell können die was herstellen, wozu die Kids viel lĂ€nger brauchen. Auf der anderen Seite: manchmal, wenn ich meine Jugendlichen sehe, mit welchem Einsatz die da herangehen, da kann sich ab und zu auch ein Profi was davon abschneiden. Da nehme ich mich persönlich auch gar nicht aus. Gerade wenn man den Beruf lĂ€nger macht – Routine ist etwas Wunderbares, es kann aber auch eine erstarrende Routine sein, und da ist zum Beispiel fĂŒr so einen alten Hasen wie mich das Zusammenarbeiten mit den Jugendlichen durchaus erfrischend. NatĂŒrlich sind die Profis gesanglich weiter, da brauchen wir gar nicht darĂŒber reden. Aber das macht ja auch, finde ich, den Charme von so einer Arbeit aus. Wirklich, dass man lernen kann, dass man Ziele hat, dass man sagt: Hey, so möchte ich auch mal auf der BĂŒhne stehen wie zum Beispiel Daniel Fiolka oder Milica Jovanovic. Also, es hat sich, denke ich, bewĂ€hrt, und es gab vor allen Dingen auch keine BerĂŒhrungsĂ€ngste, keine Befindlichkeiten oder sowas seitens der acht Solisten vom Haus, die dabei sind. Könnte ja durchaus sein, dass 
 aber wir haben bei der Besetzung auch darauf geachtet, und ich habe jeden Kollegen, der mitspielt, gefragt: “Hast du Lust, dieses Abenteuer/Risiko mit den Jugendlichen einzugehen?” Also, es wurde keiner dazu verdonnert. Es hat auch ein Kollege abgelehnt, der wollte das nicht.

Bei dem Musical Heimatlos – gibt es da Besonderheiten, so wie es jetzt gestaltet ist?

Es ist sehr emotional, das Ganze. Der StĂŒck-immanenten GefĂŒhlsduselei versuche ich manchmal ein bisschen entgegenzuwirken, so dass es nicht kitschig wird. Ich finde, die Musik ist toll – das ist ja mit der Hauptgrund, warum ich dieses StĂŒck ausgesucht habe: die Musik hat fĂŒr mich fast “Les Miserables“-QualitĂ€ten, durchaus ein bisschen was Bombastisches an manchen Strecken. Es hat eine tolle Mischung zwischen beschwingten und komischen Nummern, auch wirklich tollen Arien und tollen Chorszenen, und genau richtig dosiert Szenen, die man vertanzt. Was den Inhalt angeht: Man kann durchaus auch ein bisschen nachdenken bei dem StĂŒck. Wenn ich sehe, der Kleine wird verkauft fĂŒr 30 Francs. Ich denke automatisch, also ohne dass ich jetzt hinten einblende auf der Opera-Folie: “Arbeitende Kinder in Indien, die fĂŒr den Westen Billig-Klamotten herstellen.” Also, wer will, der kann so GedankengĂ€nge haben. Oder: was passiert mit einer Kinderseele? Was können da fĂŒr Welten sich auftun? Wie kann man so ein zartes PflĂ€nzchen Kind zertreten? Wie sind Kinder SpielbĂ€lle von anderen Interessen? Das wird alles nicht genau ausgesprochen. Wie gesagt, ich mache da kein modernistisches Theater, dass ich die Handlung jetzt nach Sri Lanka verfrachte oder so. Aber wer genau zuhört 
 FĂŒr mich ist das eine Werbung fĂŒr: Geht gut mit Kinderseelen um. Gebt ihnen Heimat, gebt ihnen Liebe.

Es ist auch ein mutmachendes StĂŒck. Es ist manchmal an der Grenze zum Kitsch, wie gesagt, aber: Was ist Kitsch? Ich meine: Eltern wissen, wie tief empfunden eine Liebe zu einem Kind sein kann. Und wenn dann plötzlich der Junge “bin vaterlos, bin mutterlos” singt und woanders bei Tieren und bei einem Komödianten, also einem Außenseiter der Gesellschaft eigentlich, wieder Liebe und Geborgenheit findet, das ist schon … Mir persönlich passiert es da immer wieder, dass ich durch die Stadt gehe und zum Beispiel das VerhĂ€ltnis von Eltern zu ihren Kindern beobachte, und denke: “Hey, die waren ganz toll!” Theater kann da manchmal auch sensibilisieren, wĂŒrde ich sagen. Das versuche ich dann auch zuzulassen. Das ist ĂŒbrigens auch eine Art von Vorbereitung (um auf Ihre Frage zurĂŒckzukommen, wie ich mich auf StĂŒcke vorbereite). Wenn ich zum Beispiel weiß: ich mache ein StĂŒck ĂŒber Umweltverschmutzung. Dann filtriere ich Informationen, die in den Nachrichten kommen oder die ich lese, die filtriere ich dann ganz anders. Oder wenn ich ein StĂŒck mache, wo es um Krankheiten geht, sei es jetzt Aids oder – ich habe mal ein StĂŒck ĂŒber Alzheimer gemacht. Und plötzlich bin ich ganz anders wach, was so eine Problematik angeht. Was fĂŒr mich dann auch zu der Vorbereitung fĂŒr so ein StĂŒck gehört. Das lĂ€uft teilweise unbewusst ab. Ich gehe dann durch die Stadt und denke da, also wenn es um Umweltverschmutzung geht: Hoppla, muss man denn mit diesem 8000 PS-Auto durch MĂŒnchen fahren? Oder: Muss der so schnell an der Ampel anfahren, wo er da dreimal soviel Sprit verbraucht? So laufen auch meine Vorbereitungen ab. Neben der Arbeit am Schreibtisch gehört es auch dazu, mit einem verĂ€nderten Fokus durch die Welt zu gehen.

Sie haben ja viele Inszenierungen hier am Haus gemacht. Gibt es da eine, die Ihnen besonders gefÀllt oder besonders viel Spass gemacht hat?

Es ist immer – oder meistens – die aktuellste. Sagen wir mal, von meinem politischen Bewusstsein war es das StĂŒck, das ich mit der Jugendgruppe gemacht habe: Ab heute heißt du Sara, oder auch was ich ganz am Anfang mit denen gemacht habe, dieses chorische SprechstĂŒck Das Dreivierteljahr des David Rubinovicz oder die literarischen/musikalischen Programme, das war von meinem politischen Engagement her mein Lieblingsding. Oder wenn ich dann etwas mache wie Zauberer von Oz, sage ich: Hey, das ist gute Unterhaltung fĂŒr die Familie, oder auch mal mit einem höheren Blödsinn umzugehen wie Die Piraten von Penzance, das habe ich auch irrsinnig gerne gemacht. Aber so richtige Favoriten habe ich jetzt eigentlich nicht, wohl auch, weil ich gerade in einer aktuellen Produktion bin. Vielleicht ist in zwei Jahren zurĂŒckblickend Heimatlos mein LieblingsstĂŒck, das kann ich jetzt noch nicht sagen.

Welches StĂŒck wĂŒrden Sie denn gerne mal inszenieren? Gibt es da ein ganz spezielles StĂŒck, wo Sie sagen: Das wĂŒrde ich gerne mal machen!

Eines wird man mir höchstwahrscheinlich erfĂŒllen: Als Gastvertrag 2014 ist zum Beispiel König Lear von Shakespeare im GesprĂ€ch. Ich habe schon Shakespeare inszeniert. Ich liebe Klassiker. Da sage ich sofort Ja. Ich liebe auch StĂŒcke, die ein bisschen was mit anderen Theaterformen zu tun haben. Ich wĂŒrde zum Beispiel irrsinnig gerne mal ein japanisches StĂŒck inszenieren und mich da befruchten lassen von anderen theatralen Formen. Oder was ich auch immer gerne gemacht habe ist italienisches oder französisches Theater. Im Bereich Oper wĂŒrde mich durchaus einmal interessieren, wie zum Beispiel jetzt unser Joseph SĂŒĂŸ, mal einen Glanert zu machen. Auch mit der ein bisschen kaputten Musik (lacht). Gerade nach fĂŒnf Jahren GĂ€rtnerplatztheater, wo ich ja immer versucht habe, auch eine gewisse Wahrheit in den komischen Stoffen zu finden, drĂ€ngt es mich jetzt ein bisschen nach ernsthafteren Stoffen und nach “großen Tragödien”. Wobei es StĂŒcke gibt, zu denen hat man Zugang – also wenn man mir jetzt den Sommernachtstraum anbietet, um bei Shakespeare zu bleiben. Oder, wie gesagt, König Lear oder Richard III, da sage ich: Mache ich sofort. Ich könnte zum Beispiel mit dem Kaufmann von Venedig nichts anfangen, da mĂŒsste ich Nein sagen. Beim Musiktheater geht es genauso. Ich mache auch gerne Operette. (Es gibt dann aber bestimmt ein paar Operetten, die wĂ€ren mir einfach zu blöd.) Sowas wie das RĂ¶ĂŸl, in dem Bereich. Die Zirkusprinzessin, sowas wĂŒrde ich auch gerne mal machen. In der Oper wĂŒrde ich mich langsam auch mal an ein paar ernstere StĂŒcke trauen – muss nicht Wagner sein. Verdi oder so. So allmĂ€hlich. Aber Wunsch-StĂŒcke – nun, es gibt StĂŒcke, die ich nicht mache, sagen wir mal so, weil ich sie inhaltlich teilweise nicht mehr vertreten kann oder keinen Zugang dazu habe. Aber ansonsten – Man verliebt sich in jeden Auftrag, wĂŒrde ich mal sagen. Das muss auch so sein. Wenn man ein StĂŒck angeboten bekommt – jetzt wo ich wieder gastieren gehen muss – man muss ja das StĂŒck dann lieben, und das tut man dann auch.

Können Sie uns schon einen kleinen Ausblick auf die nÀchste Spielzeit geben?

Ich werde Die Piraten von Penzance machen in Hof. Ansonsten bin ich mit ein paar Leuten noch in Verhandlungen. Wie gesagt, König Lear oder VogelhĂ€ndler. Ansonsten bin ich ganz banal am Bewerben und Job-Suchen. Regisseure gibt es ja wie Sand am Meer. Wenn es nicht ĂŒber Beziehungen oder Kontakte geht, oder GlĂŒcksfĂ€lle 
 Wie gesagt, ich habe jetzt 30 Jahre fast durchgearbeitet. Ich bin arbeitssuchend, aber ein kleiner Sabbatical, eine kleine Pause tut mir auch ganz gut. Ich habe ziemlich rangeklotzt die letzten 13 Jahre, eben auch durch die Jugendarbeit, weil ich da ganz viele Sonntage und Wochenenden gearbeitet habe. Ich bin da nicht abgeneigt, einfach mal ein bisschen durchzuschnaufen. GĂ€rtnerplatztheater war auch sehr anstrengend jetzt die Jahre. Aber wenn Sie einen Intendanten kennen, der Gastregisseure sucht, der darf sich ruhig bei mir melden.

Ja. Vielen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch!

Gerne!

(Das Interview wurde gefĂŒhrt am 9. MĂ€rz 2012 in MĂŒnchen.)

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Interview mit Guy Montavon

Guy Montavon Sehr geehrter Herr Montavon, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklÀrt haben zu einem Interview. Sie sind Intendant am Theater Erfurt. Welche Schwerpunkte setzen Sie da?

Wir haben eine Linie, seitdem ich Generalintendant bin dort, eine Linie, die basiert auf der Forschung, das ist die UrauffĂŒhrung. Jedes Jahr eröffne ich mit einer, oder mindestens mache ich einmal in der Spielzeit eine UrauffĂŒhrung, es gibt ein Auftragswerk von einem jungen Komponisten, oder weniger jung. Wir haben StĂŒcke von Philip Glass uraufgefĂŒhrt, ich habe das ganze Theater 2003 eröffnet mit einer UrauffĂŒhrung, ich habe auch die DomStufen-Festspiele-UrauffĂŒhrung gemacht. Also, ich lege sehr viel Wert auf die Forschung und auf die Nachpflanzung unserer Art und unserer Sparte. Dann machen wir einmal im Jahr auch noch mal eine Ausgrabung, das heißt, ein StĂŒck, das schon geschrieben ist, aber weniger bekannt ist. Meistens fĂŒhrt das zu einer CD-Aufnahme. Und dann das klassische Repertoire, was das Publikum sehen will, inklusive Operette. Aber schwerpunktmĂ€ĂŸig: Junge SĂ€nger, UrauffĂŒhrung und Ausgrabung.

Hat das Tradition, UrauffĂŒhrungen in Erfurt, oder haben Sie das eingefĂŒhrt? Und wie kommt das beim Publikum an?

Es kann keine Tradition haben, weil das Opernhaus zehn Jahre alt ist. Vorher, in dem anderen Opernhaus in Erfurt, im alten Opernhaus, war die moderne Musik gar nicht gepflegt. Beim Publikum, das dauert immer eine gewisse Zeit, bis das Publikum das goutiert, aber ich habe das geschafft, dass die UrauffĂŒhrung in Erfurt gesellschaftsfĂ€hig geworden ist. Es hat dort den Publikumspreis vor einem Jahr gewonnen: Wir haben von den Chinesen eine UrauffĂŒhrung gemacht, und das Publikum hat das als beste Produktion des Jahres goutiert. Also, das ist Mode: In Erfurt geht man in die UrauffĂŒhrung. Die Leute wissen, dass es nicht lange dauert, also 90 Minuten mit oder ohne Pause, und dass es immer hörbar und vor allem nachvollziehbar von der Geschichte ist.

Da haben Sie jetzt schon mal zwei Unterschiede angesprochen zur traditionellen Oper. Opern des Librettisten Lorenzo da Ponte dauern drei Stunden, Sie sagen jetzt: 90 Minuten. Gibt es weitere Unterschiede zwischen modernen Opern und traditionellen Opern?

Naja, also, was ist der Unterschied zwischen Canaletto und Josef Beuys? Ich meine, da muss man die Klassik und die Moderne und die Postmoderne – also, jede Kunstgattung hat ihre Stilrichtung. Und das ist nicht ein Faktor der Zeit, das ist ein Faktor des Ausdrucks und der Vermittlung von Ă€sthetischen Prozessen. Ich glaube, dass Mozart und da Ponte ein kongeniales Duett waren, das nie wieder existiert hat. Bei denen ist kein Wort und kein Takt zuviel. Bei UrauffĂŒhrungen hat man immer noch die Möglichkeit, einzugreifen und Sachen zu korrigieren. Ein Komponist ist tot, der andere lebt, also, das sind zwei verschiedene AnsĂ€tze, sowohl Ă€sthetisch als auch soziokulturell, und deshalb sind die Unterschiede sehr groß, natĂŒrlich sind sie das, aber wegen dieser Unterschiede macht man das ja auch.

Sie haben bei der EinfĂŒhrung erzĂ€hlt, dass Sie sich mit dem Komponisten Detlev Glanert im Vorfeld getroffen haben. Haben Sie ihn in die Inszenierung mit eingebunden?

Ich habe Detlev Glanert gezeigt, was wir vorhaben. Es war noch im Rohzustand, sprich: Modellfotos und KostĂŒme. Ich habe ihm da schon erklĂ€rt, wie es anfĂ€ngt und wie es aufhört. Wir konnten uns schon damals austauschen. Danach hat er mich machen lassen, und vorgestern oder gestern hat er mir gesagt, dass er das sehr gut fand.

Haben Sie mehr Freiheiten, wenn Sie eine moderne Oper inszenieren?

Das glaube ich nicht. Also, das Werk ist das Werk, die Partitur ist die Partitur; diesen Kanon gibt es seit 400 Jahren, und die Regisseure mĂŒssen sich daran halten. Die Frage ist, wie Sie mit der Partitur umgehen. Manchmal muss man mit der Musik inszenieren, manchmal muss man gegen die Musik inszenieren. Die Freiheiten des Regisseurs hören auf, wo die des Komponisten anfangen. Ich bin selber ausgebildeter Musiker, insofern habe ich mit dem Parameter Musik ĂŒberhaupt keine Probleme. Ich kann sehr gut Noten lesen. Man muss als Regisseur ein StĂŒck interpretieren, man muss ein StĂŒck vermitteln im 21. Jahrhundert fĂŒr ein Publikum, das sich immer weniger fĂŒr die Oper interessiert. Deshalb muss man manchmal PrioritĂ€ten setzen, die in der Zeit, wo die StĂŒcke komponiert wurden, vielleicht nicht da waren.

Sie haben ja selbst schon die verschiedensten StĂŒcke inszeniert. Gibt es da einen roten Faden, anhand dessen man Ihre StĂŒcke erkennt?

Ich wĂŒrde sagen: Ich mag gern StĂŒcke mit tiefem Sinn. Ja, ich bin eher auf der dramatischen Seite als auf der Unterhaltungs-Seite, also, auf der Ufo-Seite. Figaro durfte ich auch inszenieren – die Frage ist: Wie viel lacht man im Figaro? Ich glaube, ich bin eher jemand, der auf der dramatischen Seite einzuordnen ist. Ein StĂŒck wie Joseph SĂŒĂŸ passt perfekt in mein Vokabular. Ein StĂŒck wie Fedra von Pizzetti, das ist zum Beispiel eine Ausgrabung, die wir gemacht haben. Ich arbeite sehr gerne mit Peter Sykora, denn er hat sehr weite, große Bilder, monumentale Bilder, und das passt gut in mein Temperament.

Was ist Ihnen als Regisseur besonders wichtig?

Was jedem Regisseur wichtig ist: Eine Geschichte erzĂ€hlen. Eine Geschichte erzĂ€hlen, die die Leute nachvollziehen können; etwas mitzugeben auf dem Nachhauseweg, wo sie darĂŒber nachdenken können. Sie zu sensibilisieren, sie zu bewegen, zu emotionalisieren: das ist unsere Aufgabe als Regisseur.

Wie sind Sie an das StĂŒck Joseph SĂŒĂŸ herangegangen?

Das war ein Vorschlag von meinem Kollegen Uli Peters. Ich habe das untersucht und habe gesagt: Sofort. Sofort, wegen Detlev Glanert, dessen Schaffen mir vertraut ist. Das war der Vorschlag von Uli Peters, ganz einfach.

Und wie sind Sie an den Stoff herangegangen?

Ganz neutral. Ganz neutral, wie wir Schweizer nun mal sind. Wir sind keinesfalls vorbelastet mit der Geschichte des Judentums, sei es jetzt vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg oder ĂŒberhaupt. Damit hat die Schweiz sehr wenig zu tun. Also, das merken Sie zum Beispiel in der Schule, in der Grundschule oder in der Abiturzeit, da wird das Thema nur bedingt durchgenommen. Wir sind nicht so belastet, sage ich mal, durch die Geschichte, durch die Nacharbeitung der Geschichte, wie in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern geht man vielleicht nicht so befangen daran und nicht so emotional daran wie vielleicht jemand, der hier eine Geschichte mit dem Judentum ĂŒberhaupt hat. Bis jetzt, im Zweiten Weltkrieg, oder davor, oder danach. Ich gehe sehr analytisch daran, und dann stellt man fest, dass alles, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, schon vorher da war. Insofern – es ist auch eine kleine Geschichtslektion fĂŒr mich gewesen, und ich fand das hochspannend. Ich meine spannend, weil: Ich habe dadurch viel gelernt, so dass ich die Problematik des Judentums vielleicht besser verstehen kann.

Sie haben bei der EinfĂŒhrung gesagt, dass Sie BezĂŒge auf das Dritte Reich vermieden haben, außer in einem Fall. Können Sie uns das noch einmal nĂ€her erlĂ€utern?

Nein, das kann ich nicht, das mĂŒssen Sie sehen.

Gut, wir werden es sehen. Welche Besonderheiten hat das StĂŒck Joseph SĂŒĂŸ?

Ich glaube, die Besonderheit liegt in der Gliederung des StĂŒckes. Das StĂŒck ist in dreizehn Szenen gegliedert. Davon sind neun Szenen 
 oder sieben Szenen sind Kerkerszenen, wo man immer in dem gleichen Raum ist und wo die Zeitebene unterschiedlich ist zu dem, was in den ĂŒbrigen Szenen stattfindet. Zwischen Nachempfinden und ErzĂ€hlung changiert das StĂŒck die ganze Zeit. Das ist ziemlich schwer fĂŒr ein AusfĂŒhrungsteam, zum Beispiel Regisseur und BĂŒhnenbildner, da diesen Rhythmus zu behalten, denn Glanert lĂ€sst wenig Zeit, die Umbauten zu machen. Also, das war eine ziemlich große Herausforderung, muss ich sagen, da entlang das StĂŒck zu inszenieren. In einem Fall habe ich da ein bisschen was geĂ€ndert, so dass das Publikum das noch besser versteht. Aber das ist dann der Charakter des StĂŒcks: Erinnerung und ErzĂ€hlung. Und das ist wirklich sehr, sehr gut gemacht.

Welche Freiheit haben Sie den SĂ€ngern gelassen?

Ach wissen Sie, die Entstehung einer Premiere ist immer ein gegenseitiges Zuhören und ein gegenseitiges 
 Es ist so: Wenn Sie nichts zu sagen haben, dann merken Sie das sofort bei den SĂ€ngern, dass Sie nichts zu sagen haben. Wenn Sie zu viel zu sagen haben, dann merken Sie das auch, denn da fĂ€ngt eine rege Diskussion an. Und eigentlich – jeder darf vorschlagen, was er will. Entscheiden muss ich am Ende selber, denn ich bin der Regisseur.

Welche Eigenschaften schÀtzen Sie bei SÀngern am meisten?

Mit ihren KrĂ€ften umzugehen. Das heißt, dass sie nicht um zehn Uhr in der FrĂŒh anfangen, ihre Stimme voll zu belasten. Viele SĂ€nger haben die Tendenz, zu frĂŒh zu viel zu singen, und unterschĂ€tzen die LĂ€nge und die Anstrengung einer Probezeit. Ich schĂ€tze sehr bei SĂ€ngern, dass sie prĂ€zise sind, dass sie bei Wiederholungen von Proben immer das Gleiche machen. Wenn wir uns auf etwas geeinigt, etwas verabredet haben, dass es immer in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden kommt, genau so, wie wir es abgemacht haben. Es gibt Begabte und eher Unbegabte. Es gibt also manche, die meinen immer noch, etwas erfinden zu mĂŒssen bei der Generalprobe. Das finde ich nicht gut, und das lasse ich auch nicht zu. Es gibt auch andere, die wirklich jedesmal – ich hatte zum Beispiel in La Boheme in den Vereinigten Staaten, die Baritonpartie, der Marcello, der hat wirklich sekundengenau immer das Gleiche gemacht, wie es bei den Proben war. Das schĂ€tze ich sehr: PrĂ€zision, ZuverlĂ€ssigkeit, denn darauf kann man wirklich eine richtige Premiere erarbeiten.

Roger Epple wird die Premiere dirigieren. Wie wurde er eingebunden? Ab welchem Punkt haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?

Im Vorfeld haben wir uns mehrmals getroffen, und dann wĂ€hrend der Probenzeit war er da. Ich habe ihm gesagt, dass ich musikalisch ausgebildet bin, ich bin ausgebildeter Fagottist und Dirigent, so dass ich also mit Dirigenten nie Probleme habe, weil ich deren Probleme sehr gut verstehe. Insofern: Intelligente Dirigenten, und das ist der Fall bei Roger Epple, die nicht nur ĂŒber Musik reden außerhalb der Dienstzeit, sondern, was Roger angeht, ĂŒber bildende Kunst 
 das finde ich sehr erfrischend, so dass wir ĂŒber unsere Freundschaft hinaus einen sehr guten Austausch hatten. Das finde ich sehr schön.

Da komme ich gleich noch zu einem anderen Punkt: Joseph SĂŒĂŸ ist ein sehr schwerer Stoff. Wie erholen Sie sich davon?

Wie ich mich erhole? War das die Frage? – Ach 
 Das ist eine sehr gute Frage. Schwer zu beantworten. – Ich glaube 
 Ich weiß es nicht. (Lacht.)

Also mussten Sie sich nicht erholen?

Nein, musste ich nicht, nein.

Welchen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland und international?

Also, ich bin nicht fĂŒr Internationales zustĂ€ndig, ich kann nur meine Beobachtungen wiedergeben: Sobald Sie Deutschland verlassen – vielleicht ein bisschen in England und bedingt in Frankreich – haben die ökonomischen und materiellen ZwĂ€nge Vorrang. Es ist außerhalb der Met in New York so gut wie unmöglich, StĂŒcke zur UrauffĂŒhrung zu bringen, weil die SĂ€le nicht voll sind, und ergo stimmt das Marketing nicht mehr. Also, ich beobachte eine sehr große Angst und Aversion gegen moderne Musik, weil man Angst hat, dass das Publikum nicht kommt. Was zum Teil stimmt, was auf der anderen Seite aber ein Beweis von Armut ist. Ich finde, Mut gehört zu unserem Job, Risiken einzugehen gehört auch zu unserem Job, man muss sie nur kalkulieren und man muss einfach versuchen, diese Parameter, neue Musik, Forschung, richtig rĂŒberzubringen. Und das machen LĂ€nder, die zuviel an wirtschaftliche ZwĂ€nge gebunden sind, einfach nicht mehr. Schauen Sie, die SpielplĂ€ne in Amerika, das ist ein sehr gutes Beispiel dafĂŒr. Ich schĂ€tze die Amerikaner sehr, aber die SpielplĂ€ne sind durchorganisiert, von Boheme, Carmen, Zauberflöte, wenn ĂŒberhaupt, und dann Otello, Nabucco, und dann Boheme, Carmen und Butterfly, und damit hat sich das, und das ist fĂŒr die Amerikaner Oper. Und dabei darf es nicht bleiben. Wir dĂŒrfen nie den Mut verlieren, wir dĂŒrfen nie die Lust auch am Forschen verlieren. Ich beobachte, dass es immer weniger gemacht wird, und ich beobachte auch, dass ich dafĂŒr immer gelobt werde in Erfurt, dass ich das nach wie vor mache.

Also können UrauffĂŒhrungen nur an subventionierten HĂ€usern stattfinden?

Ich wĂŒrde fast sagen: Ja. Denn wer kann sich das sonst leisten? Oder die Oper in Austin/Texas oder in Washington findet einen Sponsor, der sagt: “Ich bezahle das.” Die Amerikaner sind sehr, sehr an dieses System gebunden. Ich wĂŒrde Ihre Feststellung bejahen, denn: Die Subvention ist auch dafĂŒr da. Also, wir sind subventioniert – oder, von Subvention spricht man nicht, sondern von Zuschussbetrieb – die Subvention ist auch dafĂŒr da, um Forschung zu betreiben, und das finde ich auch richtig.

Dann sage ich herzlichen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch und Toi-Toi-Toi fĂŒr die Premiere!

Wird schon schiefgehen! Danke!

(Das Interview wurde gefĂŒhrt am 1. MĂ€rz 2012 in MĂŒnchen.)

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Interview mit Peter Baumgardt

Die Verkaufte Braut | Staatstheater am GÀrtnerplatz | BĂƒÂŒhnenprobe 22.07.2011

Herr Baumgardt, herzlichen Dank, dass Sie noch vor der Premiere Zeit finden fĂŒr ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Sie waren ja von 1980 bis 1992 bereits am GĂ€rtnerplatztheater tĂ€tig, zunĂ€chst als Regieassistent, zuletzt als Oberspielleiter und Persönlicher Assistent des Staatsintendanten. Sie haben unter anderem so erfolgreiche Inszenierungen wie „Anatevka“ am Haus gemacht. Wie fĂŒhlt es sich jetzt an, die Eröffnungspremiere zu inszenieren?

Ich bin unglaublich gespannt und ich bin auch aufgeregt, so als wĂŒrde ich zum ersten Mal am Hause inszenieren, muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite sind es ja 15 Jahre, dass ich das letzte Mal hier inszeniert habe, 1996 „Funny Girl“. „Anatevka“ lief von 1991 bis 2007, ich habe es natĂŒrlich auch immer wieder gesehen, auch, glaube ich, die letzte Vorstellung sogar, und ich kam zurĂŒck, und es war irgendwie, als wĂŒrde ich nach Hause kommen. Es war unglaublich angenehm, und es war sehr schön, einige Kolleginnen und Kollegen aus der vergangenen gemeinsamen Zeit wiederzusehen. Es war ganz vertraut, und trotzdem: „Die Verkaufte Braut“ ist ein schwieriges StĂŒck, ein herrliches StĂŒck, ein ganz wunderbar lebendiges StĂŒck. Es gab zwei erfolgreiche Produktionen, die ich noch erleben konnte, die Inszenierung von Kurt Pscherer, die Inszenierung von Hellmuth Matiasek – und insofern ist natĂŒrlich durchaus schon so etwas da wie: Na, reihen wir uns jetzt mit unserer Interpretation, mit unserer Konzeption, mit all dem, was man auf der BĂŒhne dann sehen und erleben kann, reihen wir uns ein in diese Riege der erfolgreichen Inszenierungen der „Verkauften Braut“? Also insofern: Ich freue mich darauf und bin aufgeregt.

Sie werden 2012 die Intendanz der Festspiele „EuropĂ€ische Festwochen Passau“ ĂŒbernehmen. Wie verlief Ihr Weg vom Germanistik-Studium in Frankfurt bis nach Passau?

Ja mei (lacht). Ich habe wĂ€hrend meines Studiums Schauspielunterricht genommen, habe da auch meine PrĂŒfung gemacht. Damals gab es noch die PrĂŒfung bei der ZBF, ParitĂ€tische PrĂŒfungskommission nannte sich das. Ich habe diese Schauspielausbildung nicht gemacht, um Karriere als Schauspieler zu machen, sondern ich habe sie gemacht und habe dann auch gespielt, in Heidelberg, in Darmstadt, hier in MĂŒnchen, um einfach zu schauen: wie ist denn das, wenn man da so auf der BĂŒhne steht und jemand eben unten sagt, was man zu tun hat – also, es gemacht, um selber als Regisseur dann nachempfinden zu können, was so in den Schauspielern oder in SĂ€ngern vorgeht. Ziel war immer, Regisseur und Intendant zu werden. Insofern war ich sehr glĂŒcklich, als Kurt Pscherer mich hier 1980 als Regieassistent engagiert hat und ich dann auch unter Hellmuth Matiasek tĂ€tig sein durfte, von Hellmuth Matiasek auch dann zum Oberspielleiter berufen worden bin. Das war fĂŒr mich eine ganz große Freude, mit vielen wunderbaren Inszenierungen. Dann ging es nach Augsburg, damals jĂŒngster Intendant in Deutschland. Dort blieb ich bis 1997 und es kam etwas, womit ich nie gerechnet habe, es kam von August Everding die Anfrage: „Sagen Sie, ich leite da den Deutschen Pavillon auf der Expo, hĂ€tten Sie nicht Lust, so ein bisschen mich zu begleiten?“ Das habe ich sehr gerne getan, ich habe in der Zeit als freier Regisseur inszeniert. Die Zusammenarbeit mit August Everding war unglaublich wunderbar, spannend und inspirierend. Ich habe sehr, sehr viel gelernt. August Everding verstarb viel zu frĂŒh, und mir wurde angetragen, seine Nachfolge als Intendant des Kulturprogramms im Deutschen Pavillon anzutreten. Aus dieser Aufgabe, sehr viel Management, aber auch sehr viel befördern können, kam die nĂ€chste Aufgabe in gleicher Richtung, nĂ€mlich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec zu befördern, bis in die Endrunde der Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Das bin ich voller Leidenchaft angegangen. Ich muss aber sagen, dass ich doch dann nach sechs, sieben Jahren Management-TĂ€tigkeit irgendwie dachte: Ich muss zurĂŒck ans Theater. Da habe ich angefangen. Ich habe das Ensemble vermisst, ich habe die Musik vermisst, wenn man ins Haus kommt, ich habe das Ballett vermisst. Ich war sehr glĂŒcklich, dass ich dann aus 120 Bewerbern fĂŒr die Intendanz des Stadttheaters Kempten ausgewĂ€hlt worden bin; damals ein Theater, das ein reines Bespiel-Theater war, das erst geschlossen, spĂ€ter saniert, erweitert worden ist mit dem Ziel, sich als ein Stadttheater zu etablieren. Das war eine große Herausforderung, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben das Haus wirklich zum dritten professionell geleiteten Theater in Bayerisch-Schwaben positionieren können in relativ kurzer Zeit. Ja, und plötzlich kam die Möglichkeit, sich um die Intendanz in Nachfolge von Dr. von Freyberg der Festspiele der EuropĂ€ischen Wochen Passau zu bewerben. Es gibt eine klare Vorgabe, diese Festspiele zu profilieren, als Festspiele, die sich deutlich von anderen unterscheiden, dahingehend, dass sie auch eigene Produktionen herausbringen. Den 60. Geburtstag dieser Festspiele in Niederbayern, Oberösterreich und Böhmen feiern wir wir nĂ€chstes Jahr. Dazu noch wieder am GĂ€rtnerplatztheater inszenieren zu dĂŒrfen, das ist ein buntes Leben, und ich hoffe, das bleibt es auch.

Sie haben ja vorhin schon die VorzĂŒge der „Verkauften Braut“ angesprochen. Warum „Die Verkaufte Braut“, und warum am GĂ€rtnerplatztheater?

Dieses StĂŒck gehört auf den Spielplan des GĂ€rtnerplatztheaters. Es ist eine Spieloper, eine komische Oper. Das Haus hat hier eine ganz, ganz große Tradition, und bei einem Ensemble, das hier tatsĂ€chlich gepflegt und gefördert wird, wie seit Jahrzehnten, liegt es einfach nahe, „Die Verkaufte Braut“ mit diesen wunderschönen und herrlichen Charakteren ganz unterschiedlicher Art, mit Höhen und Tiefen, dass dieses StĂŒck wieder auf den Spielplan kommt, nach, glaube ich, fĂŒnfzehn Jahren. Ich mag es sehr, Menschen auf der BĂŒhne zu zeigen, in denen wir uns wiederfinden können. In jedem Einzelnen der „Verkauften Braut“, in jedem einzelnen Charakterzug, in den Höhen und in den Tiefen, in den Untiefen teilweise auch, können wir uns wiederfinden, und dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gerne. Ich möchte die Geschichte erzĂ€hlen. Die Geschichte lĂ€sst sich erzĂ€hlen, sie ist nĂ€mlich nicht ganz leicht, aber sie lĂ€sst sich erzĂ€hlen, wenn man ein so wunderbares Ensemble hat wie dieses, das immer wieder bereit war, sich auseinanderzusetzen mit den einzelnen Figuren und die ZusammenhĂ€nge versucht hat zu erkennen und einfach miteinander spielt. Und das finde ich, ist fĂŒr das GĂ€rtnerplatztheater etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Entscheidendes und ist einfach auch das Besondere am GĂ€rtnerplatztheater. Und da muss man auch dann schon sagen, dass es nicht so viele Opern gibt, die auch noch eine so herausragende Musik haben wie Smetanas „Die Verkaufte Braut“. Das, denke ich, war auch mit ein Grund, oder vielleicht sogar der Hauptgrund, der Einladung von Ulrich Peters zu folgen.

Sie haben gerade gesagt, Sie möchten nichts aufpfropfen. Gibt es denn Merkmale, die man in allen Ihren Inszenierungen wiederfindet? – Ich habe gehört, bei einem Regisseur muss immer ein TeddybĂ€r auf der BĂŒhne sein, in irgendeiner Form.

Gut, ich kenne auch einen Regisseur, da ist immer eine Leiter auf der BĂŒhne. Ganz so ist es bei mir jetzt nicht, und es ist ganz schwer, das von sich selber zu sagen. Mir ist immer wichtig gewesen – schon, ich glaube, die allererste Inszenierung, die ich hier am Hause gemacht habe, im Marstall damals, „Through Roses“ und dann spĂ€ter „Die heimliche Ehe“– zwischendurch „FrĂ€ulein Julie“ – ja, es ist mir immer die Nachvollziehbarkeit dessen wichtig gewesen, was auf der BĂŒhne passiert, das SelbstverstĂ€ndliche. Und zu diesem SelbstverstĂ€ndlichen zĂ€hlt der vollkommen natĂŒrliche und selbstverstĂ€ndliche Umgang der Leute miteinander, was wiederum nicht unbedingt etwas SelbstverstĂ€ndliches im Musiktheater oder in der Oper ist. Dieses herauszuarbeiten, herauszukitzeln und auch festzustellen, dass das Ensemble, die SĂ€ngerinnen und SĂ€nger auf der BĂŒhne, eigentlich danach lechzen, das ist immer mein Anliegen gewesen, das alle meine Inszenierungen, ob jetzt Oper, Operette, Musical, Schauspiel, durchzieht.

Woher kommt die erste Idee, in welche Richtung die Inszenierung gehen soll?

Aus der Überlegung heraus: Hat das eigentlich noch GĂŒltigkeit, das Ganze, wenn man es genauer betrachtet? Also, „Verkaufte Braut“, das ist ja eigentlich ein irrefĂŒhrender Titel. Sie wird ja nun nicht tatsĂ€chlich verkauft, weil ja das einfach eine LĂŒge des Hans ist, um zu einem Happy-End zu kommen; also, ist es ist auch nicht die Situation in Köln vor ein paar Jahren, wo tatsĂ€chlich ein Vater seine Tochter fĂŒr, weiß nicht, 40.000 Euro oder 50.000 Euro, an einen Sohn eines anderen Vaters verkauft hat. Oder auch nicht wirklich die Geschichte, die in Vorarlberg passiert ist in den 80er Jahren, wo ein Bauer seine Tochter verkauft hat gegen KĂŒhe und Schweine. Das StĂŒck steht fĂŒr gesellschaftliche Regeln. Und diese gesellschaftlichen Regeln, die in der Entstehungszeit der „Verkauften Braut“ ĂŒber das Beispiel des Versprechens eines Mannes an einen anderen, dass dessen Sohn die eigene Tochter bekommt, verdeutlicht wurden, das ist einfach ein Bild fĂŒr Regeln, in denen wir alle uns bewegen und aus denen wir ausbrechen wollen und einige es auch können. Deshalb ist fĂŒr mich Hans und Marie so etwas wie die Moderne, die in diesen Ort, in dieses Dorf hereinbricht. Diejenigen, die einfach sagen: Wir beugen uns nicht mehr, oder wir verhalten uns nicht mehr gemĂ€ĂŸ den Regeln, die in Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten geschaffen worden sind. Und es gibt andere, die von diesen Regeln nicht lassen können, wie zum Beispiel Micha und Hata oder Ludmilla und Kruschina, die erst davon ĂŒberzeugt werden mĂŒssen – und wie sie sich dann wirklich dazu verhalten, ist nun die ganz große Frage.

Richtig ist: Liebe, Leben, oder Liebe und Leben, statt Geld, ist uns einfach wichtiger. Hat das etwas mit Heute zu tun? Ja, es hat etwas mit Heute zu tun. Alles, was da zwischenmenschlich passiert, passiert uns auch. Nicht jedem vielleicht, und auch nicht in der GĂ€nze. Also holen wir das StĂŒck so nah wie möglich an unsere Zeit heran, um einfach diese Barriere abzubauen. Ist das jetzt eine spezielle Zeit? Vielleicht erinnern Sie sich oder haben es gehört: „Heimliche Ehe“ habe ich damals ganz klar in die 1950er Jahre verlegt, weil genau diese 1950er Jahre durchaus etwas zu tun hatten mit den 1750er Jahren. Wir haben einen ganz klaren Vergleich angestellt; fĂŒr uns war der Reifrock von 1750 der Petticoat von 1950, und der Wunsch nach Adel und sich baden in diesem Glanz und Glamour gab es eben einfach in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch. Insofern war es eine ganz klare Festlegung und es handelte sich einfach auch um ein Sujet, wo es um – ja – ausschließlich um gespielte Intrigen ging. Bei der „Braut“ habe ich mich entschlossen, das nicht zu machen, die klare Zeit, sondern wir haben uns entschlossen, es nĂ€her heranzuholen. Oder, sagen wir mal so, es auf die BĂŒhne zu bringen in einer gewissen AllgemeingĂŒltigkeit. Ich bin immer der Meinung, dass es trotzdem eine Lokalisierung braucht, wenn ich eine Geschichte auch mit realistischen Mitteln erzĂ€hle. Also, ich will jetzt nicht sagen, dass wir den Realismus pur haben, aber das, was zwischen den Menschen passiert, ist realistisch, also brauche ich auch eine realistische ErzĂ€hlweise. Die Lokalisierung bei uns ist ein Milchpilz, oder eine Milchbar, so wie man heute auf dem Land die Erdbeer- oder die Spargelbude findet. Das Hauptargument aber fĂŒr diesen Pilz auf der BĂŒhne war: Was macht die Marie eigentlich? Oder was sind die Eltern der Marie? Haben die ein GeschĂ€ft? Also von Micha wissen wir: Großgrundbesitzer. Kann man ĂŒbertragen und sagen: Okay, der hat in dem Dorf HĂ€user und vermietet die Wohnungen. Aber von Kruschina und Ludmilla wissen wir es nicht so richtig: Bauer. Ja. Wenn wir das wortwörtlich nehmen: Bauer Kruschina, dann könnte die Tochter auf dem Hof beschĂ€ftigt sein. Jetzt ist sie aber ein bisschen weiter. Also, sie ist fĂŒr mich kein Puppchen, sondern eine selbstbewusste jĂŒngere Frau. Also hat sie sich von ihren Eltern ein GeschĂ€ft aufbauen lassen, und dieses GeschĂ€ft wiederum wurde von Micha finanziert. Micha hat dem Kruschina und der Ludmilla Geld geliehen, und aus diesem heraus erklĂ€rt sich wiederum, warum ĂŒberhaupt das Versprechen zustande gekommen ist, dass die Marie den einzigen Sohn, den Micha und Hata gemeinsam haben, Wenzel, heiraten muss. Wir wollten damit ein bisschen klarer machen: Wieso kommt es zu so einer Geschichte des Versprechens. Wieso hat Marie denn nicht diesen Wenzel schon frĂŒher geheiratet. Weil ihre Eltern eben Geld geliehen haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das mal geklĂ€rt werden muss. Also wird auch an diesem Tag, – wir spielen es an einem Tag, ein entscheidender Tag im Leben der Marie – , diese Sache geklĂ€rt werden. Und fĂŒr diese Vermittlung wiederum hat man einen Vermittler, einen Agenten eingeschaltet, das ist der Kecal. Somit haben wir auch zugleich den Kecal ganz klar situiert: Er ist in diesem Dorf, in diesem Ort, in diesem Stadtteil, in dieser Kleinstadt, der GeschĂ€ftemacher. Und nicht ausschließlich der Heiratsvermittler, denn der Heiratsvermittler damals war im Endeffekt auch ein GeschĂ€ftemacher. Und damit man nicht jetzt oberflĂ€chlich darĂŒber hinweggeht und sagt: Ah, wunderbare Musik, herrliche Stimmen, wollte ich durch so eine Lokalisierung verdeutlichen: Sie hat einen Kiosk oder speziell eine Milchbar, weil damit wiederum die Produkte des Dorfes verkauft werden.

Auf der Homepage des Theaters wird von der „Regiefassung Peter Baumgardt fĂŒr das GĂ€rtnerplatztheater“ gesprochen – was heißt das genau?

Also, das ist jetzt ĂŒberhaupt nichts Besonderes. Ich bin da jetzt schon ein paar Mal darauf angesprochen worden und bin ein bisschen verwundert darĂŒber, ehrlich gesagt. Bei der „Heimlichen Ehe“ haben wir auch eine „Regiefassung von Peter Baumgardt“ gemacht. Regiefassung bedeutet, dass Texte oder einzelne Worte dahingehend verĂ€ndert werden, dass es einen logischen Zusammenhang gibt und dass man einfach sagt: es „Ihr-zt“ und „Euch-zt“ niemand auf dieser BĂŒhne, weil wir damit eine Distanz haben, also muss ich bestimmte Sachen verĂ€ndern, muss sagen: An welcher Stelle geht das Siezen, wo macht es Sinn, dass sie sich duzen? Wann gibt es eventuell auch ganz klar die Entscheidung: jetzt duzen wir ihn? Also, der Kecal wird immer gesiezt, aber am Schluss, wo alle denken, dass es zu Ende ist mit ihm, wird er geduzt. Oder ich habe umgestellt – im ĂŒbrigen ĂŒberhaupt nicht neu, hat Felsenstein auch schon gemacht – das Duett Marie-Wenzel aus dem zweiten Akt in den ersten Akt vorgezogen, weil dadurch die Geschichte stringenter wird.

Wieviel Freiheit lassen Sie den Solisten bei der Interpretation der Rollen? Wird die Inszenierung ein StĂŒck weit auch an die Persönlichkeit der Solisten angepasst, und gibt es einen Unterschied zwischen der Premierenbesetzung und der Alternativbesetzung?

Nun, es gibt einen Unterschied zwischen den Besetzungen dahingehend, dass der eine Kecal groß ist und der andere Kecal etwas kleiner ist, oder das gleiche betrifft auch Marie: Eine ist die etwas gestandenere, erst mal, und die andere ist die sehr liebenswĂŒrdige. Aber das Entscheidende ist ja die Bereitschaft, die Bereitschaft beider Besetzungen, sich mit der Konzeption auseinanderzusetzen. Ich nehme zum Beispiel mal heraus die wunderbare Kecal-Arie vor dem Dukaten-Duett, die fĂŒr mich nicht nur eine Antwort an Hans ist, der sagt: Marie ist die Schönste, die Tollste. Kecal reflektiert sein ganzes Leben, im Endeffekt. Er wiederholt so oft diese eine Antwort „Jeder, der verliebt“ und kommt von dort nicht wie sonst ins Quatschen, sondern in ganz klare Aussagen: Immer wieder passiert es, dass man allein ist, auch wenn man denkt, dass diejenige die Einzige ist. Das ist fĂŒr mich, fĂŒr uns, eine Verarbeitung seines Lebens, nicht des ganzen Lebens, aber sicherlich eines wichtigen Teils des Lebens.

Sie haben gerade schon den Kecal angesprochen: Ist der Kecal fĂŒr Sie eine sympathische Figur?

Oh, der Kecal hat so viele Facetten. Kecal ist ein Schlitzohr. Aber ein Schlitzohr, das deshalb ein Schlitzohr ist und sich ausschließlich mit Geld und GeschĂ€ften beschĂ€ftigt, weil er in seinem Leben einfach enttĂ€uscht und verletzt worden ist. Ich möchte ihn nicht eindimensional darstellen und sagen: Das ist der Lustige, das ist der, ĂŒber den ich lache. Ich glaube, ĂŒber den schmunzelt man und den bedauert man auch, mit dem hat man Mitleid. Das betrifft im ĂŒbrigen auch Wenzel. FĂŒr mich eine Figur – und das machen beide Wenzels in diesem Ensemble ganz herrlich – mit einer Sprachhemmung. Warum hat der eine Sprachhemmung? Das ist doch nicht der Dorfdepp oder Trottel, der stotternd durch die Welt geht. Sondern das ist jemand, dem einfach von der Mutter Regeln auferlegt worden sind, der eine strenge Erziehung hatte. Nicht weil die Mutter ihn nicht mag; sie will Wenzel aus Liebe zu ihm einfach an die Frau bringen. Aber das mit einer Penetranz, erfĂŒllt von Mutterliebe, unfĂ€hig, sie ihm zu zeigen, so dass Wenzel eine Sprachhemmung hat, die, ich sage mal, aus tiefenpsychologischen GrĂŒnden da ist.

Marie ist ja eine starke Frau, und sie will mit Hans ihre TrÀume verwirklichen. Wird das dann eine Ehe auf Augenhöhe sein? Sind sie zwei gleichberechtigte Partner?

Ich glaube, sie entwickeln sich an diesem einen Tag – der auch wiederum stellvertretend natĂŒrlich ist fĂŒr eine gewisse Zeit – zu gleichberechtigten Partnern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das hĂ€lt. Wir haben auch darĂŒber nachgedacht, eventuell einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ich habe mich dann davon ehrlich gesagt verabschiedet, weil einfach das Finale unglaublich rasch an einem vorĂŒberzieht und ich nicht verwirren will. Eines aber ist klar: Sie beide treffen am Schluss die Entscheidung: Hier bleiben wir nicht. Also, wir bauen uns eine Zukunft, aber nicht unbedingt hier, wo alle jetzt sagen: Ja, so wunderbar wie dieses Happy-End ist, das wussten wir ja von Anfang an. Die Gesellschaft hat ihnen Steine zwischen die FĂŒĂŸe geworfen; hier bleiben sie nicht. Was aus ihnen dann wird und wie lange das hĂ€lt? Hm. Ich weiß es nicht. Hans, der eigentlich ZurĂŒckhaltende am Anfang. Hans, der konfliktscheu ist. Hans, der ja, obwohl Marie es will, sich nicht dem Problem stellt. Marie, die es von ihm verlangt, und in dem Moment, wo sie es von ihm verlangt hat, tut es ihr schon wieder leid, dass sie so stark gewesen ist, und sie kuschelt. Also, es gibt bei ihnen in diesen 90 Minuten, die sie auf der BĂŒhne sind, wenn man das alles zusammenrechnet, so viele Schwankungen, dass ich glaube, dass diese Schwankungen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenschweißen und man erst einmal auf ein- und demselben Level ist.

Bleibt denn, so als Ausblick, neben der Intendanz in Passau auch noch Zeit fĂŒr andere Projekte?

Also, jetzt ist es erst mal so, dass ich die nĂ€chsten Monate absolut meinen Blick auf Passau richten werde und auf die sechzigsten Festspiele. Es gibt durchaus GesprĂ€che fĂŒr die Spielzeit 2012/2013, was Inszenierungen angeht. Ich habe mich hier noch nicht festgelegt. Ja, ich möchte auch weiterhin Regie fĂŒhren, ich halte das auch fĂŒr ganz wichtig, mal ĂŒber den Tellerrand hinaus zu schauen.

Herzlichen Dank fĂŒr dieses GesprĂ€ch und Toi-Toi-Toi fĂŒr die Premiere!

Sehr gerne, danke!

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