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Corinna Klimek am 15. März 2012 19:45 [singlepic id=1037 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Podrečnik, herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, uns ein Interview zu geben, im Vorfeld des Familienmusicals Heimatlos, der letzten Premiere am Gärtnerplatztheater vor der großen Renovierung. Stellen Sie sich kurz vor?
Ich bin Mario Podrečnik, ich bin (noch) am Gärtnerplatztheater als Spieltenor engagiert und werde versuchen, in Zukunft dieses Fach weiter zu bedienen. Mal sehen, was in den nächsten Jahren auf mich zukommt, weil durch den Umbau und den Intendantenwechsel die ganzen Kollegen nicht verlängert worden sind, was mich natürlich sehr getroffen hat.
Erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang?
Mein Werdegang? Das ist eigentlich ganz schnell erzählt. Ich habe nach dem Abitur in Kärnten am Anfang Pädagogik und Medienkommunikation studiert, was ich abgebrochen habe, weil ich an das Kärntener Landeskonservatorium gegangen bin und dort meine Lehrerausbildung zum Gesangslehrer gemacht habe, und später noch das künstlerische Diplom. Im Diplomstudium habe ich dann einen neuen Lehrer bekommen, das war Ronald Pries, der hier in München dreizehn Jahre lang an der Staatsoper gesungen hat. Der hat mein Talent erkannt und mich zum Vorsingen nach München geschickt, damals noch zu der ZBF. Die haben mich dann weitervermittelt, und ich kam im Jahr 2000 an das Stadttheater in Regensburg. Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet und als Anfänger viele Produktionen gemacht. 2002 bin ich dann an das Pfalztheater nach Kaiserslautern gegangen, wo ich fünf Jahre lang gearbeitet habe, und nach dieser Zeit an das Gärtnerplatztheater.
Was wären Sie in einem anderen Leben geworden?
Also ich hätte schon mehrere Möglichkeiten gehabt. Da mein Vater ja bei der Post gearbeitet hat, und ich damals als Ferialpraktikant auch bei der Post als Briefträger gearbeitet habe, hatte ich schon eigentlich relativ weit meinen Fuß drin, und die hätten mich auch mit Handkuß genommen. Dann habe ich mir gesagt: “Nein, das ist nichts für mich.” Dann habe ich, wie gesagt, Medienpädagogik und Medienkommunikation studiert. Eigentlich hat mich nur die Medienkommunikation interessiert, weil ich damals auch schon bei einer privaten Firma in Kärnten gearbeitet hatte, als Kameraassistent, eine Firma, die im Auftrag des österreichischen Rundfunks Beiträge gefilmt hat. Da waren wir einige Studenten, und diese Studenten, mit denen ich damals diesen Job geteilt habe, sind heute bei der Firma als Kameraleute angestellt, und ich bin Sänger geworden. (Lacht.)
Wie kam dieser Schwenk von der Medienkommunikation zur Musik?
In unserer Familie wurde schon immer gesungen. Meine Eltern haben in einem großen Chor in Kärnten gesungen, haben im Kirchenchor gesungen. Als Kind und Jugendlicher habe ich natürlich im Kinderchor gesungen, im Jugendchor, im Schulchor. Später die erste Schulband, danach noch die zweite Schulband. Sogar Oberkrainer-Musik habe ich fünf Jahre lang gemacht, mit einem Kollegen, was auch eine interessante Erfahrung war. Aufgrunddessen kann ich relativ gut auch Musical bedienen, weil man einfach damit groß geworden ist.
Da möchte ich gleich einhaken: Welche Musik haben Sie als Kind gehört?
Als Kind? Eigentlich alles. Vom Hardrock bis zu den Schnulzen. Aber auch Oberkrainer, Volksmusik, Chorstücke, etcetera. Alles, eigentlich.
Haben Sie das absolute Gehör?
Nein. Aber man muss es nicht unbedingt haben. Man sagt zwar immer wieder, wenn man mal ein Stück gut einstudiert hat, dann trifft man komischerweise die Töne so, wie sie sein sollten, in der richtigen Tonlage, obwohl kein Orchester oder Klavier dich begleitet. Das ist eigentlich ganz interessant. Ob das das absolute Gehör wäre, weiß ich nicht. Aber es ist besser, es nicht zu haben.
Spielen Sie ein Instrument?
Ich habe früher ein paar Jahre Klavier und dann noch Kirchenorgel gelernt; da war ich aber nicht so ein großer Meister. Das war eigentlich ausschlaggebend, dass ich dann angefangen habe zu singen, also, auch professioneller Art.
Hören Sie auch heute noch andere Musikrichtungen?
Ja, ich höre relativ viel. Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, habe ich halt immer die gängigen Sender an. Ich habe auch von kroatischer Popmusik bis hin zu Rockmusik, auch Klassik. Es ist total gemischt bei mir.
Sie gehören der slowenischen Volksgruppe in Kärnten an. Sie sprechen also Slowenisch, Sie sprechen Deutsch. Welche Sprachen sprechen Sie noch, und in welchen Sprachen singen Sie auch?
Ich singe relativ viel in Italienisch, obwohl ich des Italienischen leider Gottes nicht so mächtig bin. Ich habe es zwar ein bisschen gelernt, aber einfach nie Zeit gehabt, es richtig zu lernen. Natürlich, Englisch geht auch noch, so das Gängige, dass man überleben kann. Aber sonst, im Slowenischen und Deutschen, da bin ich eigentlich zuhause.
Haben Sie musikalische Vorbilder?
Musikalische Vorbilder gibt es natürlich irrsinnig viele, speziell auch Sänger, die man einfach bewundern kann. Für mich ist einer der besten Tenöre des letzten Jahrhunderts auf alle Fälle Pavarotti gewesen: Eine wunderbare Stimme. Wenn man mal als Sänger eine Krise hat – es war immer für mich: “Hör dir mal wieder Pavarotti an.” Diese befreite Art des Singens, die er einfach gehabt hat. Ich sage immer dazu: Wenn er den Mund aufgemacht hat, da hat man so das Gefühl, wie der Hals bei ihm eigentlich offen ist, so als ob man hineinschauen könnte: Was hat er eigentlich zu Mittag gegessen? Und es tut einfach der Seele des Sängers gut, so etwas zu hören, und man gesundet seelisch wieder daran.
Haben Sie eine Lieblings-Opernaufnahme?
Naja, Aufnahme – eigentlich nicht. Ich bevorzuge da eher mal das Live-Erlebnis der Oper. Und da ich ja Darsteller und Sänger bin, fühle ich mich eher auf der Bühne wohler als im Zuschauerraum. Ich probiere es ja immer wieder mal, den Kollegen zuzuschauen. Aber irgendwie habe ich den Drang, einfach auch selber auf der Bühne zu stehen, und der ist so entsetzlich stark in mir, dass wenn ich da im Zuschauerraum sitze und zusehe es einfach sowas von zu kribbeln in mir anfängt, und eigentlich will ich mitmachen.
Gibt es eine Lieblingsoper?
Oh, da gibt es einige. Für mich auf alle Fälle ist die Traviata eine meiner Lieblingsopern. Da hatte ich ja auch das große Vergnügen, in Klagenfurt nach dem Umbau des Stadttheaters noch als Student im Extrachor mitsingen zu dürfen. Damals war die Wiedereröffnung des Hauses mit Traviata in einer Inszenierung von Dietmar Pfleger, wo sogar der schlimmste Kritiker Österreichs, das war dieser Karl Löbl vom ORF, gesagt hat: Die schönste Traviata seines Lebens. – Und in dieser Produktion durfte ich damals mitmachen. Auch wenn ich nur ein kleiner Chorsänger war, aber das hat riesig viel Spass gemacht. Weil es einfach eine wunderbare, schöne Inszenierung war. Die Leute haben geweint bei Violettas Tod. Das glaubt man einfach nicht, dass eine Oper solche Emotionen auslösen kann, bei alt und jung. – Da war ich dabei. (Lacht.)
Sie sind in Deutschland und Österreich zu Hause. Hatten Sie auch noch andere internationale Auftritte?
Ich habe auch schon in Slowenien gesungen, weil meine Frau aus Slowenien kommt und ich da drüben einen relativ großen Bekanntenkreis habe, auch in der Musikbranche. Zwar jetzt nicht in der klassischen Musikbranche, sondern eher im Pop- und Rock-Gewerbe. Da wurde ich schon einigermaßen oft eingeladen, auch bei Veranstaltungen mitmachen zu dürfen.
Sie stecken jetzt gerade mitten in den Proben zu Heimatlos; die Premiere ist in etwas über einer Woche. – Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben? Zum Beispiel, wenn morgens eine Probe ist und abends eine Probe, oder eben abends die Vorstellungen. Das ist ja doch ganz etwas anderes als ein Nine-to-five-Bürojob.
Ja, es ist bekannt, dass wir in diesem Beruf vormittags proben und abends auch proben. Das ist halt eine besondere Belastung, die wir haben. Ab und zu denkt man, dass wir alle nur Spass machen. Aber wenn man dann so zusammenzählt, wie viele Stunden man eigentlich täglich unterwegs ist – nach Hause fährt, sich mal niederlegen nach der Vormittagsprobe, dann wieder hereinfährt, ins Theater kommt und wieder probt oder eine Vorstellung hat. Man kommt da schon mal auf über acht Stunden Arbeitszeit. Und das ist relativ viel, das kann auch sehr belastend werden. Speziell, wenn man in so einem Fach ist, wie ich am Gärtnerplatztheater bin, wo man ständig in irgendeiner Produktion drinhängt. Entweder Neuproduktionen oder auch Wiederaufnahmen, die wir ja en masse an diesem Hause haben. Das ist schon eine riesengroße Belastung. Natürlich hat man dadurch halt dann auch das Problem, wenn man einen neuen Job suchen muss, eine neue Arbeit suchen muss: Man geht im Endeffekt nicht ausgeruht zu den Vorsingen. Und das kann problematisch werden, das habe ich heuer selbst miterlebt. Das heißt, ich bin zu Vorsingen gefahren für Festengagements, und einfach aufgrund dessen, wo ich dann beim Vorsingen merke: Eigentlich dürfte ich gar nicht vorsingen, ich bin zu müde dazu. Jetzt habe ich aber zum Glück für Herbst eine Lösung gefunden, wie ich das jetzt mal als Übergang machen werde. Weil ich auch in diesen zwölf Jahren, die ich jetzt in diesem Berufsleben bin, sehr, sehr viel gearbeitet habe. Eigentlich zu viel, wenn man denkt: Zwölf Jahre, an die 900 Vorstellungen und über 50 Partien. Das heißt, so schon irrsinnig viel, und wo sind dann noch die Probenzeiten? Man muss ja das alles einstudieren, man muss alles auswendig lernen. Da habe ich mir gedacht jetzt für die Zukunft: was mache ich? Werde ich das weiter so führen wie bisher, oder – schauen wir mal, was passiert. Und jetzt hat sich gottseidank eine Lösung gefunden, für ein halbes Jahr mal: Ich werde in Kaiserslautern in einer Produktion im Weißen Rößl mitspielen, den Zahlkellner Leopold, und werde einfach diese Zeit mal nutzen, dieses halbe Jahr, um herunterzukommen, mich neu zu orientieren, mich vorbereiten, bei Agenturen vorsingen, bei Theatern, aber dann: ausgeruht.
Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie gar nicht?
Ich bin relativ belastbar. Das heißt, ich kann auch unter großer Belastung arbeiten, ohne dass ich stimmliche Probleme habe. Heuer war es leider Gottes so – ich vermute auch durch diese ganze Situation mit der Nichtverlängerung – da habe ich mir in diesem Winter zwei Infekte eingehandelt, die mir Probleme gemacht haben. War mal der eine Infekt weg, dann ging es wieder gut mit der Stimme, und plötzlich war der zweite da. Das hat wieder eineinhalb bis zwei Monate gedauert, bis man sich davon erholt hat. Ich bin jetzt zwar auch relativ müde, aber komischerweise: auf der Bühne macht der Körper so einen Energieschub, dass plötzlich Sachen gehen, wo man denkt: “Wow – dass das jetzt noch geht, trotz Müdigkeit, trotz leichter Krankheit, die man hat.” Und man kann auch nicht die ganze Zeit krank machen. Das geht halt nicht in unserem Beruf.
Brauchen Sie Kondition für Ihre Arbeit, und was tun Sie dafür?
Wer mich kennt, weiß genau, dass ich relativ viel mit dem Fahrrad unterwegs bin, mit meinem Mountainbike. In der letzten Saison, also im letzten Jahr, habe ich zusammen 3800 Kilometer mit dem Rad gemacht. Wo ich richtig auch anstrengende Touren gefahren bin in die Berge, und diese Kondition braucht man dann auch auf der Bühne, um durchzuhalten. Das wird man natürlich dann auch bei Heimatlos sehen. Und da denke ich mir jetzt schon, wo es jetzt langsam zum Ende hingeht, zur Premiere: Gottseidank habe ich was gemacht.
Sie legen sehr viel Wert auf die Darstellung. War Schauspielunterricht ein Bestandteil Ihrer Ausbildung?
Sagen wir mal so: Ich habe eigentlich schon vieles als Kind mitbekommen. Wenn man aber weiß, dass mein Großvater – den ich leider nie kennengelernt habe, weil er verstorben ist, bevor ich überhaupt auf die Welt gekommen bin – in der Gemeinde in Kärnten, wo er zuhause war, Theater gespielt hat, Regie geführt hat. Kulissen haben sie selber gebaut, die Kostüme selbst genäht, es wurde viel gesungen. Und komischerweise: dieses Talent ist über eine Generation rübergesprungen, und ich habe es wieder voll abgekriegt. Es steckt etwas in mir, was man teilweise einfach nicht erklären kann. Da war dann im Endeffekt die große Ausbildung zum Schauspieler eigentlich gar nicht mehr so gravierend. Ich wurde einfach gut geführt von den Leuten, mit denen ich im Studium gearbeitet habe. Die waren natürlich dankbar, dass da so vieles da ist. Woher das gekommen ist? Ich vermute mal, es ist vererbt.
Sie haben vorhin gesagt, Sie sind Spieltenor, aber Sie haben ein sehr großes Repertoire. Gibt es Unterschiede in der Weise, wie man an eine Buffo-Rolle herangeht oder aber an eine dramatische Rolle?
Erstens einmal ist auch wichtig das Konzept des Stücks: Was ist das für eine Partie, die man übernimmt? Ist es jetzt eine lustige Partie, ist es mehr eine tragische Partie, ist das jetzt eine böse Partie? Nach dem geht man dann auch an die Arbeit heran. Wenn ich sehe, wie jetzt der Harry in Heimatlos geworden ist – ich habe ja damals in Kaiserslautern die deutsche Erstaufführung dieses Stückes mitgemacht. Und dieser Harry ist diesmal ganz anders geworden als damals. Ich schätze, das kommt durch die Jahre, durch die Erfahrung. Man will halt nicht immer alles gleich machen. Man probiert einfach, neu an eine Partie heranzugehen, auch wenn man sie schon mal gemacht hat. Es ist dasselbe Thema mit dem Alfred in der Fledermaus, den ich auch hier am Gärtnerplatztheater singe: Der ist zwar, so wie man ihn kennt, immer gleich, aber im Endeffekt ist er hier ganz anders geworden als ich ihn schon mal gemacht habe.
Also, wenn Sie eine Partie noch mal wieder aufnehmen, sozusagen, in einer anderen Inszenierung, dann versuchen Sie eher, anders heranzugehen?
Einfach nur das Neue suchen, neue Akzente finden. Ich schätze mal, auch mit der Reife der Jahre sieht man plötzlich eine Partie ganz anders. Das hilft einem schon auch weiter, die Partie neu zu gestalten. Denn immer das gleiche machen, über Jahre einer Partie in verschiedenen Produktionen immer die gleiche Linie zu geben oder immer das gleiche Spiel, die gleiche Gestik zu geben, das ist uninteressant. Das wird langweilig. Lieber neu suchen, neu entdecken, neu spüren oder auch neu leben. Ich versuche ja, meine Partien nicht zu spielen, sondern zu leben. Und das ist vielleicht ein großer Vorteil, um authentischer zu wirken auf der Bühne.
Sie sind ja unglaublich vielseitig. Wenn ich mal ein paar Glanzlichter herausgreifen darf – der Pirelli in Sweeney Todd, der Prinz in Boccaccio, der Rolla in I Masnadieri – das sind ja drei ganz unterschiedliche Genres. Wie sehen Sie die Unterschiede, und auch die Herangehensweise?
Am Anfang kommt natürlich auch die Musik dazu: Was ist es für ein Genre, ist es Oper, ist es Operette, ist es Musical? Und dann schaut man aber auch an: Wo liegt die Schwierigkeit in den Partien, wo soll er hingehen, was sollen das für Figuren werden? Und natürlich, das freut mich ja, dass die Leute es sehen, dass ich vielseitig bin. Einen Pirelli zu spielen, der ein total durchgeknallter, falscher Italiener ist, in diesem Fall. Einfach auch diese Spielastik zu geben, die diese Partie einfach braucht. Diese komische, übertriebene Art des Spiels – wobei sich ja später herausstellt, dass es ja gar kein Italiener ist – und der dann nebenbei noch richtig schwer zu singen hat: die Partie besteht aus vier hohen C! Das weiß man gar nicht. Wo findet man sonst einen Spieltenor, der so etwas kann? Buffonesk zu sein, zu spielen, und trotzdem dann noch so sicher zu sein, um die vier C zu halten. Ist ein Wahnsinn. Gar nicht machbar. Wenn man aber wieder hernimmt: Die Musik von Verdi, I Masnadieri, der Rolla. Auch das Konzept des Regisseurs war so überzeugend für diesen Bösewicht – der Handlanger des Todes ist, der dann den Carlo verführt, damit er die Amalia umbringt. Das hat schon was. Da war immer der Hauch des Todes zu spüren, der über dem ganzen Stück schwebt. Es ist schwierig, Bösewichter zu spielen. Das ist gar nicht so einfach. Dabei trotzdem auch glaubwürdig zu bleiben. Aber das hat halt dann auch Spaß gemacht. Wenn man dann wieder zurückgeht zur Operette: in Boccaccio der Prinz. Das ist halt mehr diese lyrischere Partie, der Schönling, der auftritt, die Damen verführt. Oder sich auch verführen lässt, weil er etwas erleben will. Das macht Spaß. Darum macht dieser Beruf so viel Spaß: Man steckt halt nicht nur in einer einzigen Schublade. Man hat vieles zu machen. Man kann verschiedene Partien neu gestalten, anders gestalten, anstatt nur immer die gleiche Linie zu fahren.
Wie sehen Sie das Verhältnis von Schauspielkunst und Gesangskunst auf der Bühne – was dominiert?
Ich würde sagen: Es darf nichts dominierender sein, es muss beides ausgeglichen bleiben. Natürlich, was den Text in einer Operette betrifft – die Dialoge sollen ja die Musik im richtigen Moment auslösen. Dann ist aber auch wichtig, dass die Dialoge gearbeitet werden. Nur manchmal hat man halt auch Regisseure, die leider Gottes speziell Musiktheater nicht gut führen können. Es darf nicht Schauspiel werden, weil Schauspiel wieder etwas ganz anderes ist, aber man muss einen gewissen Rhythmus in der Sprache entwickeln, in den Dialogen, damit man dann zu einem Punkt kommt, wo die Musik ausgelöst wird. Ich hatte vor Jahren mal eine Produktion gemacht, das war zwar keine Operette, sondern eine Spieloper, Die Entführung aus dem Serail, wo die Regisseurin sehr bedacht war, Schauspieldialoge zu führen. Bei der Bühnenorchesterprobe hat der Chef des Hauses dirigiert, der GMD höchstpersönlich; der hat während so einer Probe mal im Orchestergraben gestanden und hat nicht eingesetzt mit dem Orchester, hat sich umgedreht zu der Regisseurin und gesagt: “Ich fühle jetzt keine Musik.” – Weil irgendetwas vorher nicht stimmt. – Er sagte: “Ich fühle jetzt nichts. Ich weiß nicht, was für ein Tempo ich machen soll, damit das fließend übergeht.” Das sind so diese Momente im Leben, wo man sagt: Ja, man muss halt auch das Genre Operette oder Spieloper beherrschen, auch die Dialoge richtig führen. Jetzt nicht schauspielhaft, aber jetzt auch nicht übertrieben sängertechnisch gesehen, sondern einfach die Hinführung zur Musik sollte es bleiben. Das ist aber auch die hohe Kunst des Musiktheaters, und daran scheitern viele Regisseure.
Müssen Sie als Sänger sehr diszipliniert leben?
Auf alle Fälle sollte man schon diszipliniert leben, aber ich sage immer: Man muss wissen, was man im richtigen Moment machen kann. Man muss seinen Körper kennen, man braucht auch genug Schlaf. Man kann sonst alles machen, aber nur nicht übertreiben.
Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?
Ich bin da eher einer, der aus dem Bauch heraus arbeitet. Ich stelle mir jetzt nicht irrsinnig viele Fragen: Was ist das für ein Typ, woher kommt er? Ich probiere die Musik zu spüren, ich lese mir die Dialoge durch, und dann lasse ich es einfach aus mir heraussprudeln, aber schon ein bisschen mehr geführter. Und da ist halt auch wichtig, dass der Regisseur sagt: Was will er eigentlich haben, wohin soll das Ding führen? Wenn es aber nicht kommt – natürlich, die Begabung des Spiels ist einfach da, dass man dann eine Partie auch selbst erarbeitet. Ich hatte mal vor Jahren eine Produktion, das war die Zauberflöte, da habe ich den Monostatos gesungen, einzeln besetzt, und da war die einzige Regieanweisung, die ich vom Regisseur bekommen habe, dass er sagte: “Der Monostatos ist schlecht. Er hat einen Defekt: linkes oder rechtes Knie. Such es dir aus.” Ich bin damals auf der Probebühne gewesen, es war aufgebaut, wie die Bühne sein würde, mit Stufen, Gängen und so. Ich habe gesagt: “Moment!”, bin mal über die Probebühne gehuscht, über die Stiegen, runter, rauf, hin und her, und sagte: “Okay, rechtes Knie bleibt steif.” Und dann durfte ich eigentlich diese Partie für mich selbst anlegen. Er hat mir diese große Freiheit gegeben, es einfach selbst zu machen. Er hat mich dann nur noch geführt, indem er sagte: “In diesem Moment solltest du hier stehen, in diesem Moment solltest du da stehen, das andere passt alles. Danke.” Das ist natürlich auch lustig, wenn man die Möglichkeit hat, es einmal so zu machen. Und dieser Monostatos war – der hat so gelebt, der war auch so spritzig, so durchtrieben und frech, fast wie in Herr der Ringe, ein bisschen angelegt auf Gollum. Also, das hat schon viel Spass gemacht. Auch die Art, wie er dann gesprochen hat, ging schon in Richtung Gollum. Es war damals gerade diese Zeit, mit dieser Trilogie, Herr der Ringe. Das hat irgendwie super gepaßt. Und ich habe dann einige gute Kritiken bekommen. Zum Beispiel in einer Kritik stand, das war, glaube ich, in Wiesbaden: “Der heimliche Star des Abends: Ein in Bestlaune spielender und singender Monostatos.” – Das freut mich natürlich dann, wenn es so kommt.
Sie haben vorhin schon die Rolle des Harry Driscoll angesprochen, die Sie in der Produktion Heimatlos übernehmen. Erzählen Sie uns ein bisschen von Harry.
Harry. (Lacht.) Was soll man zu Harry sagen? Harry ist ein Drecksack. (Lacht.) Erstens mal ist er ein Gauner. Er ist verheiratet mit Maggie, also: Maggie und Harry Driscoll. Das sind hier die komischen Gauner, die den Auftrag kriegen, ein Kind umzubringen. Sie bringen das natürlich nicht übers Herz, sie verkaufen das Kind lieber weiter. Nur damit sie immer wieder zu Geld kommen. Ich weiß nicht, wie viel ich verraten soll, jedenfalls: es ist eine Paraderolle für mich, dieser Harry. Die Schwierigkeit liegt in dieser Partie auf alle Fälle in der Kondition. Der hat auch die zwei größten Nummern des Abends zu singen, die großen Shownummern. Aber er ist so ein Typ, der – wenn er Geld riecht, dann wird er, wenn ich das sagen darf: geil, er träumt von Frauen, er träumt von Sex. Er ist so ein Typ, so ein Schleimer, aber immer wieder kriegt er dann von seiner Frau einen auf den Deckel. Die holt ihn wieder zurück auf den Boden.
Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation dieser Rolle?
Natürlich ist vieles von mir gekommen. Ich habe auch probiert, ihm eine gewisse Richtung zu geben. Man probiert ja einiges aus in der Probenzeit: Wie könnte man da noch – soll ich in diese Richtung gehen, soll er mehr gnomhaft wirken oder nicht? Soll er mehr ernst bleiben? Aber dann haben wir uns auch mit dem Regisseur dazu entschieden – der hat mir den Tip gegeben, mal dieses Koboldhafte eher wegzunehmen und geradliniger zu bleiben, weil der Harry authentischer wirkt, viel stärker wird, aber trotzdem lustig. Und natürlich mit seiner Frau zusammen, Maggie, die übrigens Milica Jovanovic spielen wird. Zusammen sind wir ein tolles Team.
Was gefällt ihnen am besten an dieser Partie, und gibt es da auch etwas, was nervt?
Eigentlich nervt in diesr Partie nichts! Denn so etwas wünscht sich ein Sänger oder auch Darsteller immer wieder mal, solche Figuren spielen zu dürfen. Das sind nämlich die Interessanten im Musiktheater, da steckt so viel drin. Die Figur braucht so viel Energie. Das kann einen gar nicht nerven. Es ist halt nur, das Nervige ist halt: du musst das echt proben, was wir da machen! Das kann ab und zu nerven. Aber es ist wichtig, dass es gut geprobt ist, um einfach auch glaubwürdig am Abend dazustehen. Dass der Funke dann rüberspringt auf das Publikum. Und ich hoffe, es wird klappen.
Da habe ich eigentlich keinen Zweifel. – Es ist ja eine Kooperation mit dem Jungen Theater jtg und mit dem Seniorentheater stg. Wie ist das, mit Laien auf der Bühne zu stehen?
Ich finde es natürlich irrsinnig toll, dass hier die Jugend einmal die Möglichkeit bekommt – speziell im letzten Jahr, dass sie einmal mit professionellen Sängern zusammenarbeiten. Zum Teil gibt es Kinder, die später einmal solche Berufe ergreifen wollen, Künstler werden wollen, Sänger, Schauspieler. Einfach auch zu sehen, wie man mit solchen Partien dann als Profi umgeht. Wie viel Energie man in solche Partien hineinstecken kann, die die Kinder noch nicht haben, aber vom Leiter des jtg einfach vermittelt bekommen, wie es sein sollte. Ich denke, dass die Kinder jetzt in dieser Probenzeit, die wir zusammen hatten, viel, viel, viel gelernt haben. Das finde ich natürlich toll, dass so etwas passiert. Und natürlich auch, dass das stg dabei ist, das Seniorentheater: einfach mal so eine Koproduktion mitzumachen. Auf der einen Seite kommt es auch vom Regisseur – er hat hier das Seniorentheater mal gemacht, er hat das jtg geleitet und auch mit Profis gearbeitet, und das ist jetzt auch ein schöner Abschluss für ihn: Die letzte Produktion hier am Haus, seine letzte Regie hier am Haus. Damit einmal alles unter einen Hut kommt. Ich finde das toll. Und die Kids sind recht gut drauf, wirklich. Das macht einen Riesen-Spass, mit denen zu arbeiten.
In welchem Alter sind die Jugendlichen?
Oh, ich glaube, von 14 Jahren aufwärts bis über 20 Jahre. 23, 24 Jahre, sowas.
Können Sie uns ein Detail aus den Probenarbeiten erzählen?
Ein Detail. Irgendetwas Lustiges? – Okay, ja, gleich am Anfang: Harry und Maggie Driscoll treten auf. Es kommt der böse Onkel James Milligan, der das Baby entführt hat und das Baby uns übergibt. Ich mache das dann eigentlich für einen Spottpreis. Und natürlich regt sich sofort Maggie auf, nicht? Maggie, meine Frau, haut mir dann gleich in dieser Szene eine richtige Ohrfeige herunter. – Es ist auch ganz spannend, wie gewisse Kolleginnen dann an dieses Detail herangehen: Wie haue ich ihm jetzt eine runter? – Wir haben uns langsam schön dahingetastet; ich habe gesagt: “Du kannst richtig schön zuhauen.” Jedenfalls bitte nicht aufs Ohr schlagen, sondern einfach mal schön auf die Wange, es kann ruhig knallen. Das tut nicht weh, wir sind in Spannung auf der Bühne, wir werden unter Adrenalin stehen. Das tut nicht weh. Und in der Zwischenzeit langt sie ganz schön zu! (Lacht.)
Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja: was tun Sie dagegen?
Das hängt auch immer wieder davon ab, wie ein Stück geprobt ist. Wenn es gut geprobt ist, ist ein vernünftiges Lampenfieber immer vorhanden. Andererseits gibt es auch Abende – speziell, wenn ein Stück lange gelegen ist, dass man es lange nicht mehr gemacht hat, dass man besonders nervös ist. Aber das ist auch ein Zeichen, dann wieder unter höchster Anspannung zu arbeiten. Adrenalin wird ausgeschüttet, und dieses Adrenalin fördert die Konzentration, damit man da einfach besser spielen kann. Mir ist es auch schon passiert, dass ich Abende gehabt habe, wo ich relativ cool war, fast keine Nervosität vorhanden war. Diese Abende sind die schlimmsten. Da passieren so viele Sachen, die eigentlich sonst nie passieren. Also, eine gewisse kleine Nervosität ist immer wichtig zu haben. Sonst habe ich eigentlich damit keine Probleme. Man muss halt seine Partie ordentlich können, dann braucht man auch keine Angst haben vor nix.
Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?
Das Schönste in diesem Beruf ist, auf der Bühne zu stehen: Leute, wir machen Live-Erlebnis. Das heißt, wir bringen wirklich zweieinhalb bis drei Stunden Live-Unterhaltung. Du hast nur diese eine, einzige Chance am Abend, und die will man immer richtig machen. Natürlich, desto perfekter man ist – das ist so mein Ansporn: immer perfekt sein zu wollen, was aber nicht immer machbar ist. Wenn man so einen richtig perfekten Abend hat, sagt man: “Mensch, das war jetzt echt gut, das war super.” – Aber komischerweise, dann springt der Funke nicht so gut über beim Publikum, als wenn man so eine mittelmäßige Vorstellung hat. Das ist ein interessanter Effekt am Theater. Leiden die Leute mit einem mit, wenn man nicht so perfekt ist? Ich weiß es nicht. Eigentlich sollte unsere Arbeit perfekt sein. Wir haben das im Endeffekt auch gesehen in Grand Hotel, wie sich dieses Stück dann einfach höchst professionell eingeschliffen hat: Jeder hat an diesem Abend seinen Job toll gemacht, höchst professionell, und es wurde plötzlich ein großer Abend. Es war zwar nicht unbedingt mein Musical, dieses Grand Hotel, aber ich muss trotzdem sagen: Es war ein sehr guter Abend, jedesmal.
Und das Nervigste?
Das Nervigste ist – die Bezahlung. Das kann man ruhig mal sagen. Das Schlimme ist wirklich, dass zum Teil wir Künstler, speziell in den Festensembles, relativ schlecht bezahlt sind. Wenn man denkt, wie viel man arbeitet, speziell auch gewisse Fächer – so ist halt das Spielfach schlechter bezahlt als das lyrischere Fach, aber du hast trotzdem sehr viel zu tun. Wenn man dann die Relation hernimmt, was man verdient – das kann schon ganz schön nervig werden. Da spart die Kultur einfach zu viel. Aber komischerweise: bei uns kann man ja sparen. Das ist ja interessanterweise in jedem Theater so, dass bei den Künstlern, die Leute, die in vorderster Front auf der Bühne stehen – dort wird komischerweise zuerst gespart. Das ist ein großer Fehler. Das sollte sich die Kulturpolitik wirklich mal überlegen, ob sie das so weitermachen wollen. Wo andererseits dann in großen Häusern für sogenannte Stars große Beträge für einen einzigen Abend herausgeschmissen werden. Da denke ich mir: Wir machen auch unseren Job. Wenn man bedenkt: Die kleinen Stadttheater wurden vor ein paar Jahren zu den Opernhäusern des Jahres gekürt! Die Branche besteht nicht nur aus den großen Stars, sondern auch aus den kleinen Theatern, die irgendwo in der Provinz sind und Kunst und Kultur den Leuten bringen. Auch den Bildungsauftrag, den das Theater hat. Man könnte zum Beispiel auch die Theater hundertprozentig vollkriegen, wenn man nur solche Stücke spielt, die halt gehen. Aber ist das Kulturauftrag? Bildungsauftrag? Man muss auch Stücke machen, die unbequem sind, die halt nicht unbedingt Publikumserfolge sind. Und dann hört man aber: “Ja, das Haus ist ja nicht voll.” – Da denke ich mir: “Irgendetwas läuft in unserer Branche schief!” Und so etwas nervt mich am meisten.
Sie haben sich ja schon ein breites Repertoire erarbeitet. Gibt es noch eine Wunschpartie?
Aber natürlich! Die nächste Wunschpartie, die kommt zum Glück jetzt endlich mal auf mich zu, das ist der Leopold im Weißen Rößl. Auf diese Partie warte ich ja schon zwölf Jahre lang! Und eine zweite Partie, die ich auch irrsinnig gerne machen will, ist der Adam im Vogelhändler. Zwölf Jahre warte ich schon darauf, zwölf Jahre. Und er ist noch immer nicht gekommen! Ich hoffe, dass das jetzt mal passieren wird.
Dann bleibt mir eigentlich nur noch, Ihnen Toi-Toi-Toi zu wünschen für die Premiere von Heimatlos!
Danke schön!
(Das Interview wurde geführt am 7. März 2012 in München.)
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NachtMusik am 14. März 2012 18:40 [singlepic id=1150 w=240 h=320 float=left]Herr Seitz, vielen Dank, dass Sie die Zeit gefunden haben für ein Interview mit uns. Würden Sie uns als erstes etwas über Ihren Werdegang erzählen?
Ich komme aus der Pfalz, aus dem Pfälzer Wald. Schule und so weiter war alles ganz normal, wie es sich gehört. Ich habe sehr früh angefangen als Statist und im Kinderchor im Theater meiner Heimatstadt Kaiserslautern und habe dort auch erste kleine Rollen gespielt. Dort wurde ich quasi entdeckt von unserer damaligen Oberspielleiterin. Dann habe ich so nebenher Ausbildung gemacht und danach über zehn Jahre an verschiedenen Theatern als Schauspieler gearbeitet. Seit knapp 20 Jahren führe ich hauptsächlich Regie: Kaiserslautern, Coburg, Baden-Baden, Wien, Stuttgart, Annaberg-Buchholz, Leipzig, Landshut und noch einige andere Stationen; ich bin ziemlich viel herumgekommen in meinen inzwischen etwas mehr als 30 Berufsjahren.
Gibt es Vorbilder für Sie in den Regiearbeiten oder von den Regisseuren her?
Nein. – Nein. Ich bewundere alle Kollegen, die aus einem Stück heraus, mit ihrer eigenen Phantasie dazu, größere Gedanken als unsereins sie denken kann auf die Bühne bringen und die das Publikum berühren oder unterhalten. Ich habe kein direktes Vorbild. Ich bewundere Menschen, die – wie soll ich sagen –auf der Suche nach einer Wahrheit sind. Ob das jetzt Regiekollegen sind, Darsteller, Schriftsteller, oder ein Pfarrer, ein Lehrer. Die Suche nach irgendeiner Art von Wahrheit, ob das eine politische, eine gesellschaftliche, eine emotionale ist: Je besser Leute es schaffen, das auf die Bühne zu bringen, egal in welcher Funktion, um so größer ist meine Bewunderung. Was ich auch noch sehr bewundere ist, wenn zum Beispiel Regisseure es schaffen, auch in einer menschlichen Art und Weise mit ihren Darstellern umzugehen. Was das angeht, habe ich, als ich noch selber Regie-gequälter Darsteller war, immer mal wieder so ein paar Tyrannen oder menschliche Wracks erlebt, die auf einen losgelassen werden und eigentlich nicht dem Ganzen dienen, einer Idee oder auch den Menschen, die auf der Bühne stehen – solche Selbstdarsteller, die waren eigentlich nie so mein Fall. Wenn ich Regiekollegen bewundert habe, dann die, die es schaffen, klug und menschlich vernünftig mit anderen umzugehen. Da gibt es doch einige. Darunter wären auch einige, die könnte man durchaus Vorbild nennen. Und Leute, die sich selbst treu bleiben und nicht irgendeiner Mode verfallen.
Wie bereiten Sie sich auf eine Produktion vor?
Das ist ganz verschieden. Als ich mal den Faust gemacht habe, da habe ich mich wirklich zwei Jahre intensiv damit beschäftigt, mit Sekundärliteratur, mit diesem, mit jenem. Da habe ich sehr wissenschaftlich auch gearbeitet. Das habe ich dann alles wieder vergessen und versucht, Theater zu machen. Theater soll ja in erster Linie spannend sein. Neben lehrreich und was weiß ich soll es wirklich spannend sein. Wenn man zu sehr akademisch und wissenschaftlich herangeht, dann kann der Unterhaltungswert ein bisschen auf der Strecke bleiben. Zum Beispiel so ein Stück wie Faust bereite ich sehr genau vor. – Hier am Musiktheater hat natürlich die Vorbereitung viel mit der Musik zu tun. Was sagt die Musik, was löst die Musik in mir aus, passend zum Text. Man sollte dann schon die Musik gut kennen. Bevor man anfängt, über ein Bühnenbild nachzudenken, sollte man sich überlegen: Aha, da ist das so besetzt; da kommt die Musik gewaltig, da muss das so und so sein; da auf der Schiene läuft dieses und jenes ab. Und dann gibt es Stücke, die fliegen einem zu. So ähnlich ist es ja bei Darstellern manchmal auch. Oder du liest ein Stück einmal und sagst: “Wow! Dafür habe ich DIE Idee. Das Stück will ich aus diesem bestimmten Grund machen.” Da ist, sagen wir mal, die Vorbereitung nicht so aufwendig. Wenn ich ein Stück inszeniere wie Omama im Apfelbaum, die Kinderoper – und ich würde mich selbst als Menschen bezeichnen, der mit knappen 50 Jahren noch sehr nah am Kind ist – dann fühle ich einfach die Figuren. Mit der Musik zum Beispiel auch. Dann fühle ich diese Figuren, und dann brauche ich nicht sehr nachzudenken. Da weiß ich: ich will in die Erlebniswelt eines Kindes eintauchen, ich mache mich auch dafür offen – dafür muss ich aber nicht tonnenweise Literatur wälzen. Was ich zum Beispiel für Mikado oder Die Piraten von Penzance getan habe. Um mir Hintergründe zu erarbeiten, um es dann ins Heute quasi zu übertragen.
Wie läuft dann die Zusammenarbeit mit Bühnenbildner und Kostümbildner ab? Ab welchem Zeitpunkt?
Das ist auch ganz verschieden. Hier am Gärtnerplatztheater – für Heimatlos, das Musical, mit dem wir jetzt im März Premiere haben, war die Bauprobe im Juli. Das heißt, der Bühnenbildner Herbert Buckmiller und ich haben im vergangenen April, also fast ein Jahr vorher, angefangen, darüber nachzudenken, welchen Stil wir machen und wie das Ganze aussehen soll. Es gibt ja immer noch Änderungen, aber so im Groben wussten wir ein Jahr vorher, wie die Ästhetik von dem Ganzen sein sollte. Und ähnlich ist es mit den Kostümen auch.
Wie gehen Sie auf Vorschläge ein, die von den Sängern kommen? Wie läuft da die Zusammenarbeit?
Das ist von Sänger zu Sänger verschieden. Es gibt Sänger, die von sich aus irrsinnig viel anbieten. Solange das in mein Konzept passt oder in mein Bild von Ästhetik … Ich meine, wir haben komische Talente, und ich fände es furchtbar, wenn ein Regisseur erst mal in diesem Bereich ein Talent unterdrückt und sagt: “Nein, nein, nein, das wird so und so gemacht.” Also ich lasse immer erst mal den Kollegen einen gewissen Vorlauf bei einer ersten Probe. Man redet so ein bisschen, und dann lasse ich sie mal loslegen. Dann versuche ich, die Angebote, die von den Kollegen kommen, in Bahnen zu lenken, wo wir alle gut damit leben können. Zum Beispiel im Bereich Komik kann es durchaus sein, dass mir der eine mal zuviel macht. Wenn ich dann sage: “Oh, das wird dann aber doch ein bisschen arg operettig!” – dann muss man ihn etwas einbremsen. Und auf der anderen Seite Darsteller, die (in Anführungszeichen) etwas seriöser sind, mal ermutigen, eine völlig bekloppte Figur zu spielen. Ich bin offen für jeden Vorschlag. Ich habe für fast alles eine Lösung – das ist auch mein Job. Aber oft haben andere Leute bessere Lösungen, und ich wäre ja völlig bescheuert, wenn ich nicht bessere Lösungen akzeptiere. Da muss man auch ganz uneitel sein. Wenn wir bei Heimatlos bleiben: hier habe ich eine wunderbare Kooperation mit unseren Solisten, zum Beispiel. Da habe ich das Gefühl, wir arbeiten Hand in Hand, wir sind auf eine Schiene gekommen und die fahren wir dann auch, und innerhalb dieser Grenzen arbeiten wir super zusammen. Das ist nicht immer so, aber im Augenblick ja.
Bei dem Musical Heimatlos ist ja das Junge Theater am Gärtnerplatz jtg dabei und das Seniorentheater stg und noch die Solisten …
Neben der Regie umfasst meine Arbeit hier am Gärtnerplatztheater ja auch alles, was mit Kindern, Jugendlichen und so weiter zu tun hat. Was jetzt passiert, ist eigentlich – ein Traum wäre vielleicht zuviel gesagt, aber: Es ist ein mögliches, erstrebenswertes Ziel, dass man zum Beispiel bei jtg und stg Generationen ein bisschen verbindet. Oder dass man durchaus auch sagen kann: Die Kids können profitieren, wenn sie zugucken: Hey, so machen das die Profis, so schnell können die was herstellen, wozu die Kids viel länger brauchen. Auf der anderen Seite: manchmal, wenn ich meine Jugendlichen sehe, mit welchem Einsatz die da herangehen, da kann sich ab und zu auch ein Profi was davon abschneiden. Da nehme ich mich persönlich auch gar nicht aus. Gerade wenn man den Beruf länger macht – Routine ist etwas Wunderbares, es kann aber auch eine erstarrende Routine sein, und da ist zum Beispiel für so einen alten Hasen wie mich das Zusammenarbeiten mit den Jugendlichen durchaus erfrischend. Natürlich sind die Profis gesanglich weiter, da brauchen wir gar nicht darüber reden. Aber das macht ja auch, finde ich, den Charme von so einer Arbeit aus. Wirklich, dass man lernen kann, dass man Ziele hat, dass man sagt: Hey, so möchte ich auch mal auf der Bühne stehen wie zum Beispiel Daniel Fiolka oder Milica Jovanovic. Also, es hat sich, denke ich, bewährt, und es gab vor allen Dingen auch keine Berührungsängste, keine Befindlichkeiten oder sowas seitens der acht Solisten vom Haus, die dabei sind. Könnte ja durchaus sein, dass … aber wir haben bei der Besetzung auch darauf geachtet, und ich habe jeden Kollegen, der mitspielt, gefragt: “Hast du Lust, dieses Abenteuer/Risiko mit den Jugendlichen einzugehen?” Also, es wurde keiner dazu verdonnert. Es hat auch ein Kollege abgelehnt, der wollte das nicht.
Bei dem Musical Heimatlos – gibt es da Besonderheiten, so wie es jetzt gestaltet ist?
Es ist sehr emotional, das Ganze. Der Stück-immanenten Gefühlsduselei versuche ich manchmal ein bisschen entgegenzuwirken, so dass es nicht kitschig wird. Ich finde, die Musik ist toll – das ist ja mit der Hauptgrund, warum ich dieses Stück ausgesucht habe: die Musik hat für mich fast “Les Miserables“-Qualitäten, durchaus ein bisschen was Bombastisches an manchen Strecken. Es hat eine tolle Mischung zwischen beschwingten und komischen Nummern, auch wirklich tollen Arien und tollen Chorszenen, und genau richtig dosiert Szenen, die man vertanzt. Was den Inhalt angeht: Man kann durchaus auch ein bisschen nachdenken bei dem Stück. Wenn ich sehe, der Kleine wird verkauft für 30 Francs. Ich denke automatisch, also ohne dass ich jetzt hinten einblende auf der Opera-Folie: “Arbeitende Kinder in Indien, die für den Westen Billig-Klamotten herstellen.” Also, wer will, der kann so Gedankengänge haben. Oder: was passiert mit einer Kinderseele? Was können da für Welten sich auftun? Wie kann man so ein zartes Pflänzchen Kind zertreten? Wie sind Kinder Spielbälle von anderen Interessen? Das wird alles nicht genau ausgesprochen. Wie gesagt, ich mache da kein modernistisches Theater, dass ich die Handlung jetzt nach Sri Lanka verfrachte oder so. Aber wer genau zuhört … Für mich ist das eine Werbung für: Geht gut mit Kinderseelen um. Gebt ihnen Heimat, gebt ihnen Liebe.
Es ist auch ein mutmachendes Stück. Es ist manchmal an der Grenze zum Kitsch, wie gesagt, aber: Was ist Kitsch? Ich meine: Eltern wissen, wie tief empfunden eine Liebe zu einem Kind sein kann. Und wenn dann plötzlich der Junge “bin vaterlos, bin mutterlos” singt und woanders bei Tieren und bei einem Komödianten, also einem Außenseiter der Gesellschaft eigentlich, wieder Liebe und Geborgenheit findet, das ist schon … Mir persönlich passiert es da immer wieder, dass ich durch die Stadt gehe und zum Beispiel das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern beobachte, und denke: “Hey, die waren ganz toll!” Theater kann da manchmal auch sensibilisieren, würde ich sagen. Das versuche ich dann auch zuzulassen. Das ist übrigens auch eine Art von Vorbereitung (um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie ich mich auf Stücke vorbereite). Wenn ich zum Beispiel weiß: ich mache ein Stück über Umweltverschmutzung. Dann filtriere ich Informationen, die in den Nachrichten kommen oder die ich lese, die filtriere ich dann ganz anders. Oder wenn ich ein Stück mache, wo es um Krankheiten geht, sei es jetzt Aids oder – ich habe mal ein Stück über Alzheimer gemacht. Und plötzlich bin ich ganz anders wach, was so eine Problematik angeht. Was für mich dann auch zu der Vorbereitung für so ein Stück gehört. Das läuft teilweise unbewusst ab. Ich gehe dann durch die Stadt und denke da, also wenn es um Umweltverschmutzung geht: Hoppla, muss man denn mit diesem 8000 PS-Auto durch München fahren? Oder: Muss der so schnell an der Ampel anfahren, wo er da dreimal soviel Sprit verbraucht? So laufen auch meine Vorbereitungen ab. Neben der Arbeit am Schreibtisch gehört es auch dazu, mit einem veränderten Fokus durch die Welt zu gehen.
Sie haben ja viele Inszenierungen hier am Haus gemacht. Gibt es da eine, die Ihnen besonders gefällt oder besonders viel Spass gemacht hat?
Es ist immer – oder meistens – die aktuellste. Sagen wir mal, von meinem politischen Bewusstsein war es das Stück, das ich mit der Jugendgruppe gemacht habe: Ab heute heißt du Sara, oder auch was ich ganz am Anfang mit denen gemacht habe, dieses chorische Sprechstück Das Dreivierteljahr des David Rubinovicz oder die literarischen/musikalischen Programme, das war von meinem politischen Engagement her mein Lieblingsding. Oder wenn ich dann etwas mache wie Zauberer von Oz, sage ich: Hey, das ist gute Unterhaltung für die Familie, oder auch mal mit einem höheren Blödsinn umzugehen wie Die Piraten von Penzance, das habe ich auch irrsinnig gerne gemacht. Aber so richtige Favoriten habe ich jetzt eigentlich nicht, wohl auch, weil ich gerade in einer aktuellen Produktion bin. Vielleicht ist in zwei Jahren zurückblickend Heimatlos mein Lieblingsstück, das kann ich jetzt noch nicht sagen.
Welches Stück würden Sie denn gerne mal inszenieren? Gibt es da ein ganz spezielles Stück, wo Sie sagen: Das würde ich gerne mal machen!
Eines wird man mir höchstwahrscheinlich erfüllen: Als Gastvertrag 2014 ist zum Beispiel König Lear von Shakespeare im Gespräch. Ich habe schon Shakespeare inszeniert. Ich liebe Klassiker. Da sage ich sofort Ja. Ich liebe auch Stücke, die ein bisschen was mit anderen Theaterformen zu tun haben. Ich würde zum Beispiel irrsinnig gerne mal ein japanisches Stück inszenieren und mich da befruchten lassen von anderen theatralen Formen. Oder was ich auch immer gerne gemacht habe ist italienisches oder französisches Theater. Im Bereich Oper würde mich durchaus einmal interessieren, wie zum Beispiel jetzt unser Joseph Süß, mal einen Glanert zu machen. Auch mit der ein bisschen kaputten Musik (lacht). Gerade nach fünf Jahren Gärtnerplatztheater, wo ich ja immer versucht habe, auch eine gewisse Wahrheit in den komischen Stoffen zu finden, drängt es mich jetzt ein bisschen nach ernsthafteren Stoffen und nach “großen Tragödien”. Wobei es Stücke gibt, zu denen hat man Zugang – also wenn man mir jetzt den Sommernachtstraum anbietet, um bei Shakespeare zu bleiben. Oder, wie gesagt, König Lear oder Richard III, da sage ich: Mache ich sofort. Ich könnte zum Beispiel mit dem Kaufmann von Venedig nichts anfangen, da müsste ich Nein sagen. Beim Musiktheater geht es genauso. Ich mache auch gerne Operette. (Es gibt dann aber bestimmt ein paar Operetten, die wären mir einfach zu blöd.) Sowas wie das Rößl, in dem Bereich. Die Zirkusprinzessin, sowas würde ich auch gerne mal machen. In der Oper würde ich mich langsam auch mal an ein paar ernstere Stücke trauen – muss nicht Wagner sein. Verdi oder so. So allmählich. Aber Wunsch-Stücke – nun, es gibt Stücke, die ich nicht mache, sagen wir mal so, weil ich sie inhaltlich teilweise nicht mehr vertreten kann oder keinen Zugang dazu habe. Aber ansonsten – Man verliebt sich in jeden Auftrag, würde ich mal sagen. Das muss auch so sein. Wenn man ein Stück angeboten bekommt – jetzt wo ich wieder gastieren gehen muss – man muss ja das Stück dann lieben, und das tut man dann auch.
Können Sie uns schon einen kleinen Ausblick auf die nächste Spielzeit geben?
Ich werde Die Piraten von Penzance machen in Hof. Ansonsten bin ich mit ein paar Leuten noch in Verhandlungen. Wie gesagt, König Lear oder Vogelhändler. Ansonsten bin ich ganz banal am Bewerben und Job-Suchen. Regisseure gibt es ja wie Sand am Meer. Wenn es nicht über Beziehungen oder Kontakte geht, oder Glücksfälle … Wie gesagt, ich habe jetzt 30 Jahre fast durchgearbeitet. Ich bin arbeitssuchend, aber ein kleiner Sabbatical, eine kleine Pause tut mir auch ganz gut. Ich habe ziemlich rangeklotzt die letzten 13 Jahre, eben auch durch die Jugendarbeit, weil ich da ganz viele Sonntage und Wochenenden gearbeitet habe. Ich bin da nicht abgeneigt, einfach mal ein bisschen durchzuschnaufen. Gärtnerplatztheater war auch sehr anstrengend jetzt die Jahre. Aber wenn Sie einen Intendanten kennen, der Gastregisseure sucht, der darf sich ruhig bei mir melden.
Ja. Vielen Dank für das Gespräch!
Gerne!
(Das Interview wurde geführt am 9. März 2012 in München.)
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Corinna Klimek am 13. März 2012 19:51
- Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
- Verlag: Hoffmann und Campe (5. März 2012)
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3455403816
- ISBN-13: 978-3455403817
- Größe und/oder Gewicht: 20,6 x 13,2 x 1,8 cm
Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich das Buch in seiner Gesamtheit nun gut finde oder nicht.
Einerseits zielt es ganz klar darauf ab, im Windschatten von Tannöd und Kalteis Kohle zu machen. Knapp 17 € für 125 Seiten (nicht 160, wie fälschlicherweise vom Verlag angegeben) ist jede Menge Holz. 30 Kapitel, wobei jedes schon eine Viertelseite für die Überschrift braucht, jedes beginnt auf einer eigenen Seite und schindet somit nochmals Platz. Das wirkt aufgeblasen, als ob man hier wenig Text teuer verkaufen wollte. Dazu kommt, dass es keinen Anhang gibt, nichts, was darauf hindeutet, was echt und was erfunden ist. Kein Glossar, was die Vielzahl der zutiefst bayerischen Idiome, mit denen ich mich als Münchnerin schon einigermaßen schwer getan habe, erklärt. Irgendwie komme ich mir hier als Leser so vor, als würde mir hier der dritte Aufguss als besondere Spezialität verkauft werden.
Kriminalroman steht als Untertitel auf dem Cover. Möglicherweise ist es das sogar. Nur nicht in der Form, wie es der normale Leser kennt, aber auch nichts grundlegend Neues, die beiden Vorgängerromane der Autorin waren im gleichen Stil gehalten. Erst vor kurzem habe ich die Uraufführung von Kalteis als Theaterstück gesehen, das war unglaublich gut, lebte aber sehr von der fantastischen Präsenz der Darsteller. Hier hat man sie leider nicht und so fehlt es ein bisschen an der Spannung, die ich von einem Krimi erwarte, an der Figurentiefe, an der Lebendigkeit. Es wirkt ziemlich steril, wie eben zitierte Vernehmungsprotokolle.
Gleichzeitig haben mich Afra und ihr Vater aber durchaus in ihren Bann gezogen, ich habe mich in Gedanken mit ihrem Schicksal beschäftigt. Wenn es das war, was die Autorin erreichen wollte, dann hat sie bei mir einen Volltreffer gelandet. Die Engstirnigkeit der späten Vierziger, die einem die Luft zum Atmen nimmt, kommt sehr gut rüber. Aber auch die Enge des Elternhauses, begrenzt durch einen stets gläubigen Vater und eine unselbständige Mutter, ist plastisch gezeichnet. Aber reicht das?

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NachtMusik am 12. März 2012 18:43 [singlepic id=1148 w=320 h=240 float=left]Sehr geehrter Herr Glanert, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns ein Interview zu geben. Sie haben die Oper Joseph Süß komponiert. Würden Sie uns als erstes etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?
Ich bin 1960 in Hamburg geboren, habe keinen sonderlich musikalischen Elternhaushalt gehabt – eher bildungsbürgerlich, mein Vater war einer, der ein Abonnement an der Oper und fürs Konzert hatte, wie sich das damals gehörte. Das hat mir wunderbar gefallen. Ab dem ersten Moment, wo er mich in die Oper mitgenommen hat – ich glaube, es war die Zauberflöte – bin ich dem verfallen gewesen. Meine zweite Oper war übrigens Die Soldaten von Zimmermann, die ich damals so schrecklich fand, dass ich sechsmal hingegangen bin. Und seitdem habe ich es geliebt, bis heute, es ist ein grandioses Werk. Ich habe dann in der Schule das Glück gehabt, zwei sehr gute Musiklehrer zu haben, die mich sehr förderten. Ich habe selber aber kein Instrument gespielt, bei uns zuhause gab es keinen Platz für ein Klavier, und habe dann mit Trompete bei der Feuerwehrkapelle angefangen. Später habe ich dann auf Tenorhorn gewechselt, aber in der Schule lernte ich dann mein Hauptinstrument: Kontrabass. Damit war ich dann auch im Schulorchester und in diversen Jugendorchestern tätig, vor allen Dingen im Hamburger Jugendorchester. Das ist gar nicht mal so unwichtig, weil ich von dieser praktischen Seite ein Orchester von innen kennengelernt habe. Wie das zusammenhängt, wie das funktioniert, wie Instrumente gehen, wo die Spieler Mühe haben und wo die Spieler sehr einfach Dinge produzieren können. Und gleichzeitig – so mit elf, zwölf, glaube ich – habe ich angefangen, zu komponieren. Die ersten Aufführungen fanden mit dem Schulorchester statt. Mein Vater hat mich dann prüfen lassen, ob das einen Studiengang wert ist, und der Prüfer hieß Diether de la Motte, da war ich fünfzehn. Er hat das nicht nur positiv entschieden, sondern hat auch gesagt, daß ich das Studium später bei ihm beginnen könnte. So habe ich das große Glück gehabt, bei Diether de la Motte einsteigen zu können in die Welt der Komposition. Das war ein wunderbarer Lehrer für den Beginn. Er ging dann weg aus Hamburg. Später bin ich dann zu Henze gegangen, auf Anraten von einem guten Freund. Bei Henze war ich dann tatsächlich vier, fünf Jahre.
Jetzt zu dem Joseph Süß. Das war ja ein Auftragswerk. War damals festgelegt in Bremen: speziell dieses Werk? Oder konnten Sie da frei entscheiden? Oder war das ein Vorschlag vom Haus?
Das war eine sehr lustige Geschichte, die auch der Intendant von damals, Herr Pierwoß, sehr gerne erzählt. Und zwar hatte ich aus purem Zufall fünf Jahre vorher das Buch von Feuchtwanger gelesen und war begeistert, gerade von diesem dramatischen Sog, den dieser Roman hat, und ich dachte mir: das wäre doch phantastisch, wenn man einen solchen Sog auf die Bühne bringen könnte, der von A nach Z wirklich in einem durchgeht, mit einem Thema, das uns alle angeht. Und dann rief mich der Herr Pierwoß an und fragte, ob ich Lust hätte, eine große Oper zu schreiben, und ob wir uns mal treffen sollten. Das haben wir gemacht, und dieses Gespräch dauerte, glaube ich, zwei Minuten. Er fragte mich nämlich, ob ich Lust hätte, Joseph Süß zu machen, und ich habe Ja gesagt. Ab da haben wir nur noch Rotwein getrunken. All der Rest, also das Honorar, die Librettofrage und so weiter, die kamen später. Das war das kürzeste Auftragsgespräch, das ich je hatte.
Wie kam Joseph Süß dann hier ans Gärtnerplatztheater in München?
Das hat vielfältige Gründe gehabt. Das Stück wurde ja in Bremen uraufgeführt, kam dann nach Regensburg und dann nach Heidelberg, das war die dritte Inszenierung. Dann ist es eine ganze Weile nicht gespielt worden. Plötzlich gab es drei Inszenierungen hintereinander weg: Trier, Krefeld und Mönchengladbach, München. Guy Montavon und Ulrich Peters haben, glaube ich, unabhängig voneinander das Stück kennengelernt, ich weiß aber nicht, wo, das kann ich nicht sagen. Sie wussten aber über das Stück erstaunlich gut Bescheid. Vielleicht haben sie es in Regensburg oder in Heidelberg gesehen. Dann kam Roger Epple ins Spiel – er war ja der Uraufführungsdirigent von Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung zwei Jahre später in Halle – zu dem ich sowieso einen sehr guten Draht hatte, er kannte das Stück vom Lesen. Nun wollte es eben der Zufall, dass Peters, Montavon und Epple eine Konkordanz gebildet haben hier am Gärtnerplatztheater. Das war zuerst für Freischütz, Epple und Gärtnerplatz; Montavon und Epple haben aber auch schon andere Produktionen zusammen gemacht. Nun hat Peters Montavon eingeladen, Montavon fragte Peters nach einem Dirigenten, und der sagte: Epple. Und dann kam sehr schnell mein Stück ins Spiel. Das sind diese kommunizierenden Röhren.
Welche Besonderheiten gibt es gerade in Joseph Süß?
Besonders finde ich die Struktur der Erinnerung: Die Setzung des Librettisten Werner Fritsch ist gewesen, dass wir die Quasi-Realzeit vor der Hinrichtung im Kerker erleben, und dieser Kerker ist erfüllt mit Erinnerungen an das Vergangene und letzten Besuchen, Leute, die ihn im letzten Moment retten wollen oder Verhöhnungen, wenn zum Beispiel der Herzog mit dem Schlaganfall noch einmal kommt. Beide Zeitstränge werden dann zusammengeführt in dem Punkt der Hinrichtung. Das war die Grundidee, und so eine strikte Dramaturgie hatte ich noch nie, in dieser Strenge. Das fand ich für einen Einakter eben ganz fabelhaft.
Und musikalische Besonderheiten?
Ich wollte eine Art eigene Barockmusik erfinden und habe darum das Orchester ausgedünnt und alle “weichen” Instrumente entfernt. Dahinter steht noch eine Phantasie: Ich hatte mir ein Orchester vorgestellt nach dem Arbeitsverbot für Juden 1935. Die deutschen Orchester hatten große Schwierigkeiten, die Lücken zu füllen. Es ist also tatsächlich ein gewollt lückenhaftes Orchester. Jede Rolle hat ihren eigenen Klangbereich: der Herzog ist immer mit Trompeten und Posaunen versehen, das steht für seine militärische Brutalität. Er war ja als Herzog gar nicht vorgesehen, aber sein Bruder starb viel zu früh, und er ist ja sozusagen vor Belgrad auf den Schlachtfeldern groß geworden und dort sozialisiert worden. Magdalena ist begleitet mit Oboen, Englisch-Horn, Melancholie … sie und Süß bilden das einzig wahre Liebespaar. Naemi, die Tochter von Süß, hat sehr durchsichtige, fast ätherische Klänge, es sind nur Flageoletts und Vibrafon mit Bogen gestrichen. Ich habe mir da ein ganz zartes Mädchen vorgestellt, das also gerade auf dem Weg zur Pubertät ist, also fast noch gar keinen Körper hat. Das sind Beispiele, wie ich mit musikalischen Charakterisierungen versucht habe zu arbeiten.
Die Anmerkungen von Ihnen, wie Sie sich eine Inszenierung ihrer Oper vorstellen – geben Sie da den Regisseuren vorher Tipps, oder überlassen Sie das erst mal ganz dem Regisseur?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich habe natürlich eine genaue Vorstellung, wie meine Opern aussehen sollen, aber diese Vorstellung ist irreal, sie ist quasi nicht zu realisieren. Das kommt auch aus Traumbildern und anderen Vorstellungen. Auf der anderen Seite habe ich eine ganz allgemeine Idee, wie eine Oper auszusehen hat; das kommt durch meine persönliche Sozialisierung, ich bin geprägt worden an der Hamburgischen Staatsoper in den Siebzigern und Achtzigern und an den Berliner Opern. Dann gibt es eine dritte Ebene, das ist die akustische, und eine vierte Ebene, das ist die dramaturgische. Die akustische Ebene ist ein ganz großes Problem. Denn Sie wissen genau: Wenn man Sänger nach hinten singen lässt, oder sie hinten stehen hat, versteht man nichts mehr. Manchmal haben Regisseure dieses unglaubliche Händchen, die lautesten Stellen, die kompliziertesten Stellen genau da hinten zu inszenieren, und ich weiß nicht, woher das nun wieder kommt. (Lacht.) Das sind so Sachen, da greife ich ein, indem ich darüber rede, denn ich habe ja kein Befehlsrecht. Und die vierte, die dramaturgische Ebene, ist für mich die des Timings und der erzählerischen Klarheit, des wirklich präzisen Erzählens. Ich behaupte nicht, dass jeder im Publikum sofort alles verstehen muss, aber es muss die Möglichkeit geben, es zu dechiffrieren. Für meinen Geschmack neigen viele Regisseure dazu, Generalpausen und Zäsuren zu überdehnen, weil sie da Morgenluft wittern für das sogenannte freie Spiel. Deshalb achte ich sehr darauf, dass es keine Spannungsabfälle gibt. Solche Dinge finde ich wichtig, vor allem diese vier Punkte.
Wie ist das, Ihre Zusammenarbeit, wenn Sie bei den Proben dann selber da sind, mit Dirigent und Orchester? Wenn man sich nicht so gut kennt wie jetzt?
Ich lerne den Dirigenten viel früher kennen als das Orchester und beruhige sie meist gleich beim ersten Treffen, dass ich kein “Dazwischenbrüller” bin, der die Proben stört. Ich schreibe während der Probe Zettelchen, viele kleine Zettelchen, und in der Pause, oder wenn eine größere Umbau-Unterbrechung ist, gehe ich kurz nach vorne und bespreche mich mit dem Dirigenten. Das betrifft dann immer drei Gruppen: Es betrifft den Dirigenten selber, das machen wir unter vier Augen, da geht es um Tempo-Fragen, Übergangsfragen. Es betrifft die Sänger, das mache ich dann separat, oft mit den Assistenten. Und dem Orchester kann man sicher bei irgendwelchen Umbaupausen immer rasch Sachen mitteilen. Zum Beispiel hat das Gärtnerplatztheater eine sehr spezielle Akustik und einen relativ lauten Graben. Da muss man ein bisschen dämpfen, und ich habe auch ein paar Instrumente aus der Partitur herausgenommen oder dynamische Zeichen geändert.
Das ist ja auch schwierig mit der Seitenloge, der Klang da.
Das ist schwierig. Das finde ich ein bisschen schade, ich hätte mir die Bühnenmusik tatsächlich auf der Bühne gewünscht. Aber mal gucken, vielleicht kann man das in Münster oder in Erfurt noch nachholen, vielleicht haben die nutzbare Seitenbühnen, die es am Gärtnerplatztheater nicht gibt.
Sie haben die sechs Produktionen schon angesprochen. Waren die sehr unterschiedlich von den Auffassungen?
Eine habe ich nicht gesehen, aus Zeitmangel, das war die in Trier. Aber nach den Fotos zu urteilen waren sie vollkommen unterschiedlich, alle sechs. Sie haben manchmal merkwürdigerweise gleiche Elemente, auf die sind alle sechs Regisseure gekommen. Aber es freut mich sehr, dass die Produktionen so unterschiedlich sind, weil offensichtlich jeder Regisseur etwas fand, was seine Phantasie belebt hat. Es gab alles, von ganz realistisch bis ganz streng. Die hier am Gärtnerplatztheater ist relativ realistisch, ähnlich wie in Heidelberg. Aber es ist immer ein sehr sehr tolles Phantasiebarock herausgekommen. Nicht ein Barock wie wir es uns gewöhnlicherweise vorstellen, sondern eine düstere Zeit, eine wilde Zeit, auch eine gefährliche Zeit – wo sehr, sehr reich und sehr, sehr arm sehr eng zusammen leben müssen.
Was für einen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland? Wie würden Sie das überhaupt einschätzen im Moment?
Sie hat noch einen – knapp. Sie hat nicht mehr den, den sie mal hatte, aber eben mehr als in anderen Ländern. Das merke ich an so vielen ausländischen Kollegen, die hierherkommen, weil sie nur in Deutschland Operninszenierungen bekommen. Ich wünschte mir manchmal, moderne Musik hätte hier den Stellenwert wie in England. Die Engländer haben einen viel freieren Zugang zu neuer Musik, weil sie vermutlich viel weniger Traditionen haben. Auf der anderen Seite sieht man dann Länder wie Frankreich und Italien, wo die Kollegen fast alle längst längst aufgegeben haben. In Frankreich vielleicht gibt es noch hie und da etwas, aber die italienischen Kollegen sind fast alle hier. Jemand wie Battistelli hat viele seiner Uraufführungen in Deutschland. Bei dem von mir geleiteten Festival “Cantiere Internazionale” in Montepulciano haben wir 2010 die italienische Erstaufführung von Sciarrinos Luci Mie Traditrici gemacht, was fast ein Skandal war, weil das Stück nämlich schon elf Inszenierungen gehabt hat, aber alle in Deutschland. In Italien lief es nie. Das sind so Zeichen…
In Deutschland ist noch Interesse da, aber das Überleben moderner Musik ist auch verknüpft mit den Apparaten. Und Deutschland ist dabei, auf vielfältige Weise seine Orchester und seine Theater abzuschaffen. Mit kleinen Sticheleien: da ist diese traditionelle Anbindung an die Kommunen, die alle schlecht dastehen durch die mangelnden Gewerbesteuereinnahmen. Es ist die sehr komplexe Anbindung des Theaterpersonals an den öffentlichen Dienst. Jetzt sind ja gerade wieder Verhandlungen. Wir hatten gestern ein großes Streitgespräch gehabt über die Frage, bei welchem Prozentsatz Steigerung wieder zehn Theater zumachen müssen. Es haben gestern auch zu meiner Überraschung, auch zu meiner Freude, viele auch für die Anbindung an den öffentlichen Dienst plädiert, weil sie sagen, das würde überhaupt dieses Theatersystem noch schützen. Aber Sie wissen genau, dass innerhalb der deutschen Theater eine riesige Schere geöffnet ist: von geschützten Bereichen wie Chor und Orchester zu völlig ungeschützten Bereich wie Solisten und Assistenten. Aber noch lebt es. Und ich glaube, das ist die Verpflichtung meiner Generation, und auch wahrscheinlich Ihrer Generation: das Musiktheater mit allem Feuer am Leben zu erhalten. Denn es ist eines der schönsten Dinge, die wir geschenkt bekommen und geerbt haben. Das haben uns 400 Jahre zugespielt. Ich finde ja, es ist bis heute eine der grandiosesten Erfindungen der Menschheit. Eine reine Utopie, denn die Oper ist ja erfunden worden, indem man Text, Bild, Gesang, Tanz zusammenbringt. Ich finde, es gibt nichts Heutigeres, weil es so unglaublich innovativ ist: Wir verhandeln uns auf der Bühne immer selbst, auf naiver, kindlicher und sehr hoher Intelligenzebene. Gleichzeitig. Das ist unübertrefflich.
Sie haben jetzt zehn Jahre den Status als Hauskomponist in Amsterdam bei Concertgebouw.
Ich kenne die Amsterdamer schon von früher, und da gab es eine Aufführung von meinem Orchesterstück Theatrum Bestiarum . Und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe mich mit dem Orchester sofort verstanden. Dann kamen noch andere Aufführungen. Vor einem Jahr oder zwei hat mich die Intendanz gebeten, sehr feierlich, mal vorbeizukommen, als ich in Amsterdam war: sie haben mir eröffnet, dass sie gerne mit drei Komponisten eine längerfristige Zusammenarbeit wollen, die zehn Jahre dauern soll. Und das ist natürlich ungeheuerlich, so etwas habe ich noch nie gehört. Sie haben mir auch sehr klar erklärt, warum: Ein oder zwei Jahre sind zu wenig, um eine Entwicklung zusammen durchzumachen. Von den Dreien bin also einer ich, und das ist grandios. Sie haben mir fünf Aufträge gegeben, verteilt über die Jahre, und spielen auch noch meine alten Sachen.
Es geht um Orchesterwerke – ?
Orchesterwerke, auch Chorwerke, auch Konzertwerke, und es sind verschiedene Solokonzerte im Gespräch.
[singlepic id=1147 w=320 h=240 float=right]Da hat man ja viele Möglichkeiten. Kammermusik auch?
Kammermusik hat das Concertgebouw auf privater Ebene mit mir arrangiert; nach den Proben kamen einige Musiker zu mir und fragten: “Haben Sie nicht dies? Haben Sie nicht das?” – Ich schreibe jetzt etwas für die Blechbläser zu ihrem Jubiläum. Es gibt dort einen bezaubernden Posaunisten, Jörgen van Rijen, der leitet das und hat das eingefädelt.
Und sonst noch ein Ausblick auf die nächste Zukunft?
Die sieht bei mir glücklich aus, muss ich sagen. Also, sehr viel Oper, es wird fast alles nachgespielt. Es geht auch ins Internationale, das freut mich. Jetzt kommt Österreich mit Nijinskys Tagebuch in Linz, in Koproduktion mit Bregenz. London kommt im Mai mit Caligula. Danach gibt es in Bregenz die Uraufführung von Solaris, in Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin. Das sind alles sehr, sehr erfreuliche Aussichten. Ich habe viele Anfragen – ich kann gar nicht so viel ablehnen. Also, man fühlt sich wohl, wenn man gefragt wird. Und ich kann Ihnen auch gleich sagen: Es war nicht immer so. Die ersten 10, 15 Jahre sind mager für jeden Komponisten heutzutage.
Ja. Vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke Ihnen!
(Das Interview wurde geführt am 2. März 2012 in München.)
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Corinna Klimek am 10. März 2012 15:59 Ist zwar schon ein paar Tage her, aber auch über die Uraufführung von Kalteis des Jungen Schauspiel Ensemble München nach dem Roman von Andrea Maria Schenkel habe ich drüben bei mucbook geschrieben.
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NachtMusik am 9. März 2012 22:03 [singlepic id=1139 w=240 h=320 float=left] Sehr geehrter Herr Schwaninger, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Würden Sie uns als erstes etwas über Ihren Werdegang erzählen?
Ja. Ich bin ja mittlerweile – ich glaube 16 – oder sogar im 17. Jahr jetzt in meiner beruflichen Tätigkeit. Seit fünf Jahren bin ich nunmehr freischaffend, das heißt, innerhalb und außerhalb Deutschlands viel unterwegs. Ich habe vor fünf Jahren diesen Fachwechsel vollzogen und habe seither im Bereich Wagner etliches gesungen. Das ist also auch mein Schwerpunkt: Strauss, Wagner, und dann Ausflüge in andere Bereiche wie zum Beispiel Mahagonny, Weill, oder auch den Alba in Lulu singe ich sehr gerne. Mein Wirkungskreis hat sich die letzten Jahre auch ein bisschen weiter erstreckt, also ich bin jetzt auch viel im Ausland unterwegs. Es ist alles, wie jetzt gerade in dieser Situation, oft auch eine stressige Angelegenheit, gerade wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Ich habe also morgen noch einen Lohengrin, da habe ich schon etwas Bedenken, ob ich den morgen um 18.00 Uhr auch wirklich heil und gesund erreiche. Da müssen Sie mir ein bisschen die Daumen drücken.
Das machen wir. – Sie waren ja zehn Jahre Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater. Welche Erinnerungen haben Sie denn heute noch an diese Zeit?
Ich bin ein sehr großer Fan des Gärtnerplatztheaters. Ich bin ein Fan des Ensembleprinzips und bin sehr traurig darüber, dass nicht nur das Ensemble in den letzten 14 Jahren stark verkleinert worden ist, sondern dass es jetzt, nun ja, ganz danach aussieht, als ob man sich auch nach dem Umbau vom Ensemblegedanken komplett verabschiedet. Ich empfinde das als riesengroßen Verlust. Ich selber habe als junger Sänger sehr davon profitiert, und ich denke, das Publikum auch: Einen festen Stamm von bekannten Gesichtern und Sängern auf der Bühne zu erleben in verschiedensten Rollen. Ich finde dieses System erhaltenswert und bedauere das zutiefst. Ich wünsche dem Theater alles erdenkliche Gute und habe nur angenehme Erinnerungen an diese lange Zeit.
In dieser Zeit haben Sie viel Oper und natürlich auch Operette gemacht. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Oper und Operette?
Von der musikalischen Seite her sind natürlich die Anforderungen an einen Opernsänger insofern komplexer, als dass es sich um schlicht die kompliziertere Musik handelt. Das heißt, es ist ein höheres Maß an Vorbereitung und ein höheres Maß auch an intellektueller Auseinandersetzung mit dem Werk nötig. Aber rein stimmlich gesehen sind viele Werke in der Operette sehr anspruchsvoll. Man denke nur an Lehar, beispielsweise. Gerade wenn wir bei Lehar bleiben: Ein Sou-Chong ist einfach schwer zu singen, Barinkay genauso. Auch Künneke ist durchaus stimmlich sehr anspruchsvoll, und nicht ohne Grund gab es eben diese typischen Karrieren wie zum Beispiel Siegfried Jerusalem, die auch mit Operette begonnen haben – nicht nur Rene Kollo, auch Siegfried Jerusalem hat sehr, sehr viele Operetten gesungen, sehr viele Einspielungen auch gemacht. Die Voraussetzungen an einen Tenor sind groß im Operettenfach, und deswegen ist es eine solide Grundlage für das deutsche Fach. Da die Operette aber nur ein absolutes Nischendasein noch führt und auch kaum mehr in einer Form aufgeführt wird, wo man sich wirklich ganz dem Sujet anvertrauen kann als Sänger, sondern sehr vieles abstrahiert wird oder auf eine ganz und gar andere Weise entgegen der Musik inszeniert wird, ist es heute leider nicht mehr so. Ich gebe der Operette deswegen keine große Zukunft. Ich glaube, das werden vielleicht noch drei Stücke sein, die da irgendwann mal gespielt werden. Wenn man nicht wieder den Aufführungscharakter ändert. – Eher wahrscheinlich wird man den ändern. Aber wir haben ja immer noch mit dem Regietheater zu tun; ich bin sehr gespannt, was da kommt. Da sind wir ja alle ganz hoffnungsfroh, dass es da etwas andere Ideen gibt in der Zukunft.
Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor? Ist das unterschiedlich, oder …
Nein, eigentlich ist es so: Neben der einfachen Tatsache, dass es immer schnelllebiger wird und es immer noch sehr viele Rollen gibt, die ich also neu lernen muss, wie zum Beispiel jetzt gerade den Peter Grimes, den ich zum ersten Mal in Münster mache, bedeutet das, je nachdem, wann man engagiert worden ist – ich sage schnelllebig, weil: sehr oft geschieht es heute, dass man ein paar Monate vor der Premiere noch gefragt wird, ob man noch Zeit hat. Das gab es früher nicht in der Häufigkeit; heute ist es gang und gäbe, auf den letzten Drücker Sänger zu engagieren. Das heißt, wenn man die entsprechende Zeit dafür hat, nimmt man sich mit seinem Klavier zuhause das Stück vor, später dann mit seinem Korrepetitor, dem Gesangslehrer, der Bibliothek setzt man sich hin, indem man begleitende Literatur eben auch nebenher liest, und beginnt dann, sozusagen die Noten zu fressen und sich hineinzuknien. Je nachdem, wie lange man Zeit hat – (lacht) oft muss man auch das eine oder andere überspringen – erscheint man irgendwann zu den Proben, und spätestens dann sollte man in der Lage sein, das einmal von vorne bis hinten durchzusingen. Also, ich halte ehrlich gesagt nichts davon – es gibt Kollegen, die sagen: “Ja, ich brauche mindestens zwei Jahre für eine Partie.” Ich muss sagen: ich kann das nur bewundern, wenn man das so systematisch vorbereiten kann. Ich habe nicht die Zeit dazu, beziehungsweise es ist so schnelllebig, dass ich jetzt nicht wüsste, dass ich in zwei Jahren Tannhäuser singe. Kann ich jetzt noch nicht sagen. Insofern gilt auch hier, was vielleicht in allen Berufen gilt: Es ist alles etwas hektischer geworden, das heißt, man muss auch hier schnell sein, schnell lernen können. Man darf sich nicht wundern, dass etwas an einem vorübergeht, wenn man sagt: “Nein, da habe ich nicht genug Zeit dazu.” Das kann man sich auch nicht erlauben.
Nun zu Mahagonny. Sie singen in Mahagonny den Jim Mahoney. Fanden Sie es schwierig, sich in diese Rolle einzufinden?
Nun, den Jim Mahoney singe ich jetzt mittlerweile hier am Gärtnerplatz im dritten Jahr, glaube ich. Das ist jetzt hier noch mal eine Serie von fünf Vorstellungen, dann ist das Stück abgespielt. Ich komme gerade aus Tel Aviv, wo ich auch den Jim Mahoney gesungen habe, in einer großen Produktion dort. Es ist mittlerweile das fünfte Mal, dass ich den singe, und ich muss sagen, ich habe also schon einiges an Erfahrung gesammelt, und deswegen fällt der Jim Mahoney mir nicht schwer. Im Gegenteil, der ist ein Charakter, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Also, es ist eine Rolle, die mir, denke ich, sehr gut liegt, und die mir auch immensen Spaß macht, weil es ein Werk ist, eine Rolle, welche sehr, sehr viele Schichten aufzeigt, von denen man dann in jeder neuen Begegnung mit dem Werk als Sänger wieder neue entdecken darf. Und das ist ganz außergewöhnlich schön: eben nicht einen Abschluss zu finden, sondern immer wieder neue Farben da herauszuholen aus dem Werk. Und auch die Regisseure sind immer sehr erstaunt darüber, wie dieses Stück erstens so wunderbar auf unsere Zeit paßt und wunderbar, wie ich jetzt auch erleben durfte, zum Beispiel nach Tel Aviv paßt, aber genauso in eine Metropole wie Istanbul, wie wir im Sommer mit unserem Gastspiel dort dem türkischen Publikum beweisen durften.
Wie waren die Reaktionen in Istanbul?
Das Publikum war äußerst aufmerksam und äußerst wohlwollend. Wie ich aus den Kritiken auch entnommen habe, waren sie von der Inszenierung, von der Art und Weise, wie wir das dargeboten haben und wie wir das vor allen Dingen auch umgesetzt haben in einer Freilichtbühne am Bosporus, sehr angetan. Das freut mich, denn dieses Stück ist es wert, überall auf der Welt gespielt zu werden.
In Tel Aviv war es wahrscheinlich ein Wagnis, oder?
In Tel Aviv ist es natürlich insofern … da möchte ich nicht sagen: Wagnis, aber es handelt sich um ein Stück, das auf Deutsch gesungen wird. Das stellt natürlich auch eine Herausforderung dar, mit der Übersetzung, mit den Übertiteln, mit der Vorbereitung, wie man an das Publikum herantritt, damit man diesen doch recht spröden, deutschen, tiefsinnigen und typisch in Brechtscher Manier aufgebrochenen Text richtig versteht. Das ist die große Kunst – man merkt gerade im Ausland, wie sehr Brecht und auch Weill, natürlich, obwohl er sich ja überall stilistisch bedient hat … da sind ja Elemente sowohl des Jiddischen drin als auch Elemente des Jazz als auch Zitate aus der Klassik … also, obwohl man es mit so einem Kosmopoliten zu tun hat wie Weill, ist es in der Deutung dermaßen typisch deutsch, würde ich mal sagen, dass das nicht jeder versteht. Auch den Brechtschen Geist versteht nicht jeder, und gerade diese textlichen Andeutungen, merke ich, muss man sehr, sehr dem Publikum deutlich und transparent machen. Das ist so ein Stück, welches wirklich so aufgeführt werden muss, dass die Kerngeschichte deutlich hervortritt, in ihrer ganzen Härte auch. Da hilft es nicht, auf der einen Seite eine Revue daraus zu machen – und auf der anderen Seite auch nicht irgendein anderes Stück, wie gerade zum Beispiel in Augsburg geschehen.
In Tel Aviv hatte ich es zu tun mit einer sehr aufwendigen, von Video und Licht her immens teuren und wertigen Geschichte. Interessant war, dass wir während der Produktion, das ganze Regieteam und das ganze Haus eben, genau das feststellten, was ich eben angesprochen habe: dass das eben kein Musical ist, dass das kein irgendwie gearteter Zwitter ist zwischen Oper und Unterhaltung, oder Oper und Operette oder Musical, sondern es ist eine Oper. Ich möchte es jetzt nicht musikwissenschaftlich begründen, ich möchte es vom Anspruch her begründen und von der Art und Weise, was für eine Aussagekraft dieses Stück hat. Und das würde ich mir wünschen, dass wir mehr Stücke dieser Art hätten, die auf so aktuelle Themen, die uns draußen bewegen, auch wirklich eine Antwort haben oder zumindest ein Statement abgeben. Das wurde dort im Laufe der Proben zum Glück erkannt, und deswegen war es auch für die Tel Aviver Oper, die Israel Opera, ein großer Erfolg.
Wie viele Freiheiten hatten Sie hier bei der Interpretation, bei der Produktion hier am Gärtnerplatztheater?
Ich hatte das Glück, dass der Regisseur, Herr Schulte-Michels, in mir einen Partner gesehen hat, mit dem er die Rolle entwickelt hat. Ich muss sagen, dass ich ihm da sehr dankbar bin, weil er nämlich sehr viele neue Akzente gegeben hat, mir aber im Gegenzug auch die Freiheiten gelassen hat, um das aus der Rolle herauszuholen, was ich denke, was drinsteckt. Insofern gibt uns der Erfolg ja auch recht: es ist ja sehr gut aufgenommen worden hier. Es ist ein, möchte ich sagen, ein Weill und Brecht angemessen wüstes Spektakel, das aber seine Unterhaltung hat. Ich sage das noch mal: ich möchte die Musik von Weill nicht in irgendeiner Weise schmälern, aber sie illustriert eben, sie steht begleitend zu dem Text. Das ist eigentlich das Wichtigste in diesem Stück, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Ich würde sagen, das ist ein Stück, das man wegen dem Libretto aufführt und weniger wegen der Musik, obwohl ich das nicht schmälern möchte, aber sie steht im Dienst dieser Aussage.
[singlepic id=1131 w=240 h=320 float=right]Jim hat Freunde, die ihm nicht helfen, nimmt das aber so hin. Glauben Sie, er hätte sich umgekehrt genauso verhalten?
Jim gehört zu der Spezies, die eine innere Entwicklung durchmachen. Jim Mahoney ist so etwas wie ein umgekehrter Messias. Wir haben ja massenhaft Zitate aus dem Alten und Neuen Testament in einer natürlich umgekehrten und fast schon karikierten Fassung. Und er ist derjenige, der ja auf die Schwächen eines Systems aufmerksam macht, eine Idee einer Revolution hat und daran kläglich scheitert am Ende. Ich glaube, dass er sich natürlich genauso verhalten hätte, als er noch Teil des Systems war. Er ist kein besserer Mensch als die anderen, er hat nur im entscheidenden Moment eine Idee, und alle folgen ihm. Und sein Problem ist, in seinem Konstrukt hat er eines vergessen; er hat vergessen, das Geld abzuschaffen. Weil: in seiner anarchischen Weltideologie stimmt alles, das ist richtig, aber er übersieht, dass das Geld die entscheidende Rolle spielt. Das ist sein Fehler, der ihn dann schließlich das Leben kostet. Ich glaube, eine aktuellere Aussage als diese kann ein Stück im Moment nicht haben, oder? Aber hätte er diese Katharsis sozusagen nicht durchgemacht, hätte er sich mit Sicherheit genauso konform verhalten, wie alle anderen es auch tun.
Er liebt Jenny, die ihm auch nicht hilft, obwohl sie weiß, dass sie ihn vermissen wird. Warum versucht er nicht, sie zu überreden?
Weil er weiß, dass es zu Ende ist, und er weiß auch, und sie sagt das auch in ihrem Lied: “Du hast mir doch gesagt: Denn wie man sich bettet, so liegt man … Und wenn einer tritt, dann bin ich es; wird einer getreten, bist du’s.” Und sie war eine gelehrige Schülerin. Er gibt ihr recht und sagt am Ende: “Ja, du hast recht, das ist das, was ich gesagt habe, und du bist nur dem gefolgt.” Jetzt kann man mal dahingestellt sein lassen, ob das nur eine Parabel ist, oder ob sie tatsächlich kein Geld hat, oder ob sie einfach in ihrer Welt dieses Gefühl nicht aufbringen kann. Dass sie ihm nicht hilft, ist aber absolut logisch und folgt genau den Gesetzen, die Jim Mahoney selber aufgestellt hat. Insofern kommt er zwar am Ende zu der Überzeugung, dass es wohl ein Fehler war, aber er hat schließlich keine Variante. Und er sagt nicht: “Es war ein Fehler, dass ich das vorgeschlagen habe.” – sondern er sagt nur fatalistisch: “Das Leben ist so kurz, genieße es.” Das ist in sich wieder eine Kapitulation und eigentlich noch mal ein ganz bitter-sarkastischer Hinweis darauf, dass sich wieder einmal nichts geändert hat.
Zum Abschluss unseres Gesprächs – könnten Sie uns noch einen Ausblick auf diese Spielzeit geben, was jetzt noch kommt, und was Sie so in der nächsten Spielzeit machen?
Im Moment bereite ich den Peter Grimes vor, der wird Ende März in Münster Premiere haben. Dann singe ich den Hüon in Oberon, ebenfalls in Münster. Das ist auch das erste Mal, dass ich mit dieser Rolle zu tun habe. Dazwischen habe ich einige Gastspiele, da sind etliche Lohengrin und hier am Gärtnerplatztheater noch Mahagonny. Da sind jetzt auch Planungen, über die ich jetzt noch nicht reden kann, aber es gibt an größeren Häusern Planungen für Fidelio, also für den Florestan einmal wieder. Ich werde im Jahr 2013 Tote Stadt dann wieder machen in Innsbruck. Ich werde Walküre in Taipei aufführen. Dazwischen wird sich das jetzt noch füllen mit verschiedenen anderen Sachen. Wie gesagt, es sind ein paar Sachen in der Schwebe, über die ich noch nicht reden kann, aber ich werde weiterhin fleißig sein – also mein Terminkalender ist gut gefüllt.
Sehr schön! Herzlichen Dank für das Gespräch, und alles Gute!
Ihnen auch! Danke schön!
(Dieses Interview wurde geführt am 18. Februar 2012 in München)
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Corinna Klimek am 8. März 2012 21:57 [singlepic id=1138 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Montavon, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Sie sind Intendant am Theater Erfurt. Welche Schwerpunkte setzen Sie da?
Wir haben eine Linie, seitdem ich Generalintendant bin dort, eine Linie, die basiert auf der Forschung, das ist die Uraufführung. Jedes Jahr eröffne ich mit einer, oder mindestens mache ich einmal in der Spielzeit eine Uraufführung, es gibt ein Auftragswerk von einem jungen Komponisten, oder weniger jung. Wir haben Stücke von Philip Glass uraufgeführt, ich habe das ganze Theater 2003 eröffnet mit einer Uraufführung, ich habe auch die DomStufen-Festspiele-Uraufführung gemacht. Also, ich lege sehr viel Wert auf die Forschung und auf die Nachpflanzung unserer Art und unserer Sparte. Dann machen wir einmal im Jahr auch noch mal eine Ausgrabung, das heißt, ein Stück, das schon geschrieben ist, aber weniger bekannt ist. Meistens führt das zu einer CD-Aufnahme. Und dann das klassische Repertoire, was das Publikum sehen will, inklusive Operette. Aber schwerpunktmäßig: Junge Sänger, Uraufführung und Ausgrabung.
Hat das Tradition, Uraufführungen in Erfurt, oder haben Sie das eingeführt? Und wie kommt das beim Publikum an?
Es kann keine Tradition haben, weil das Opernhaus zehn Jahre alt ist. Vorher, in dem anderen Opernhaus in Erfurt, im alten Opernhaus, war die moderne Musik gar nicht gepflegt. Beim Publikum, das dauert immer eine gewisse Zeit, bis das Publikum das goutiert, aber ich habe das geschafft, dass die Uraufführung in Erfurt gesellschaftsfähig geworden ist. Es hat dort den Publikumspreis vor einem Jahr gewonnen: Wir haben von den Chinesen eine Uraufführung gemacht, und das Publikum hat das als beste Produktion des Jahres goutiert. Also, das ist Mode: In Erfurt geht man in die Uraufführung. Die Leute wissen, dass es nicht lange dauert, also 90 Minuten mit oder ohne Pause, und dass es immer hörbar und vor allem nachvollziehbar von der Geschichte ist.
Da haben Sie jetzt schon mal zwei Unterschiede angesprochen zur traditionellen Oper. Opern des Librettisten Lorenzo da Ponte dauern drei Stunden, Sie sagen jetzt: 90 Minuten. Gibt es weitere Unterschiede zwischen modernen Opern und traditionellen Opern?
Naja, also, was ist der Unterschied zwischen Canaletto und Josef Beuys? Ich meine, da muss man die Klassik und die Moderne und die Postmoderne – also, jede Kunstgattung hat ihre Stilrichtung. Und das ist nicht ein Faktor der Zeit, das ist ein Faktor des Ausdrucks und der Vermittlung von ästhetischen Prozessen. Ich glaube, dass Mozart und da Ponte ein kongeniales Duett waren, das nie wieder existiert hat. Bei denen ist kein Wort und kein Takt zuviel. Bei Uraufführungen hat man immer noch die Möglichkeit, einzugreifen und Sachen zu korrigieren. Ein Komponist ist tot, der andere lebt, also, das sind zwei verschiedene Ansätze, sowohl ästhetisch als auch soziokulturell, und deshalb sind die Unterschiede sehr groß, natürlich sind sie das, aber wegen dieser Unterschiede macht man das ja auch.
Sie haben bei der Einführung erzählt, dass Sie sich mit dem Komponisten Detlev Glanert im Vorfeld getroffen haben. Haben Sie ihn in die Inszenierung mit eingebunden?
Ich habe Detlev Glanert gezeigt, was wir vorhaben. Es war noch im Rohzustand, sprich: Modellfotos und Kostüme. Ich habe ihm da schon erklärt, wie es anfängt und wie es aufhört. Wir konnten uns schon damals austauschen. Danach hat er mich machen lassen, und vorgestern oder gestern hat er mir gesagt, dass er das sehr gut fand.
Haben Sie mehr Freiheiten, wenn Sie eine moderne Oper inszenieren?
Das glaube ich nicht. Also, das Werk ist das Werk, die Partitur ist die Partitur; diesen Kanon gibt es seit 400 Jahren, und die Regisseure müssen sich daran halten. Die Frage ist, wie Sie mit der Partitur umgehen. Manchmal muss man mit der Musik inszenieren, manchmal muss man gegen die Musik inszenieren. Die Freiheiten des Regisseurs hören auf, wo die des Komponisten anfangen. Ich bin selber ausgebildeter Musiker, insofern habe ich mit dem Parameter Musik überhaupt keine Probleme. Ich kann sehr gut Noten lesen. Man muss als Regisseur ein Stück interpretieren, man muss ein Stück vermitteln im 21. Jahrhundert für ein Publikum, das sich immer weniger für die Oper interessiert. Deshalb muss man manchmal Prioritäten setzen, die in der Zeit, wo die Stücke komponiert wurden, vielleicht nicht da waren.
Sie haben ja selbst schon die verschiedensten Stücke inszeniert. Gibt es da einen roten Faden, anhand dessen man Ihre Stücke erkennt?
Ich würde sagen: Ich mag gern Stücke mit tiefem Sinn. Ja, ich bin eher auf der dramatischen Seite als auf der Unterhaltungs-Seite, also, auf der Ufo-Seite. Figaro durfte ich auch inszenieren – die Frage ist: Wie viel lacht man im Figaro? Ich glaube, ich bin eher jemand, der auf der dramatischen Seite einzuordnen ist. Ein Stück wie Joseph Süß passt perfekt in mein Vokabular. Ein Stück wie Fedra von Pizzetti, das ist zum Beispiel eine Ausgrabung, die wir gemacht haben. Ich arbeite sehr gerne mit Peter Sykora, denn er hat sehr weite, große Bilder, monumentale Bilder, und das passt gut in mein Temperament.
Was ist Ihnen als Regisseur besonders wichtig?
Was jedem Regisseur wichtig ist: Eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte erzählen, die die Leute nachvollziehen können; etwas mitzugeben auf dem Nachhauseweg, wo sie darüber nachdenken können. Sie zu sensibilisieren, sie zu bewegen, zu emotionalisieren: das ist unsere Aufgabe als Regisseur.
Wie sind Sie an das Stück Joseph Süß herangegangen?
Das war ein Vorschlag von meinem Kollegen Uli Peters. Ich habe das untersucht und habe gesagt: Sofort. Sofort, wegen Detlev Glanert, dessen Schaffen mir vertraut ist. Das war der Vorschlag von Uli Peters, ganz einfach.
Und wie sind Sie an den Stoff herangegangen?
Ganz neutral. Ganz neutral, wie wir Schweizer nun mal sind. Wir sind keinesfalls vorbelastet mit der Geschichte des Judentums, sei es jetzt vor dem Ersten Weltkrieg, dem Zweiten Weltkrieg oder überhaupt. Damit hat die Schweiz sehr wenig zu tun. Also, das merken Sie zum Beispiel in der Schule, in der Grundschule oder in der Abiturzeit, da wird das Thema nur bedingt durchgenommen. Wir sind nicht so belastet, sage ich mal, durch die Geschichte, durch die Nacharbeitung der Geschichte, wie in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern geht man vielleicht nicht so befangen daran und nicht so emotional daran wie vielleicht jemand, der hier eine Geschichte mit dem Judentum überhaupt hat. Bis jetzt, im Zweiten Weltkrieg, oder davor, oder danach. Ich gehe sehr analytisch daran, und dann stellt man fest, dass alles, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, schon vorher da war. Insofern – es ist auch eine kleine Geschichtslektion für mich gewesen, und ich fand das hochspannend. Ich meine spannend, weil: Ich habe dadurch viel gelernt, so dass ich die Problematik des Judentums vielleicht besser verstehen kann.
Sie haben bei der Einführung gesagt, dass Sie Bezüge auf das Dritte Reich vermieden haben, außer in einem Fall. Können Sie uns das noch einmal näher erläutern?
Nein, das kann ich nicht, das müssen Sie sehen.
Gut, wir werden es sehen. Welche Besonderheiten hat das Stück Joseph Süß?
Ich glaube, die Besonderheit liegt in der Gliederung des Stückes. Das Stück ist in dreizehn Szenen gegliedert. Davon sind neun Szenen … oder sieben Szenen sind Kerkerszenen, wo man immer in dem gleichen Raum ist und wo die Zeitebene unterschiedlich ist zu dem, was in den übrigen Szenen stattfindet. Zwischen Nachempfinden und Erzählung changiert das Stück die ganze Zeit. Das ist ziemlich schwer für ein Ausführungsteam, zum Beispiel Regisseur und Bühnenbildner, da diesen Rhythmus zu behalten, denn Glanert lässt wenig Zeit, die Umbauten zu machen. Also, das war eine ziemlich große Herausforderung, muss ich sagen, da entlang das Stück zu inszenieren. In einem Fall habe ich da ein bisschen was geändert, so dass das Publikum das noch besser versteht. Aber das ist dann der Charakter des Stücks: Erinnerung und Erzählung. Und das ist wirklich sehr, sehr gut gemacht.
Welche Freiheit haben Sie den Sängern gelassen?
Ach wissen Sie, die Entstehung einer Premiere ist immer ein gegenseitiges Zuhören und ein gegenseitiges … Es ist so: Wenn Sie nichts zu sagen haben, dann merken Sie das sofort bei den Sängern, dass Sie nichts zu sagen haben. Wenn Sie zu viel zu sagen haben, dann merken Sie das auch, denn da fängt eine rege Diskussion an. Und eigentlich – jeder darf vorschlagen, was er will. Entscheiden muss ich am Ende selber, denn ich bin der Regisseur.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei Sängern am meisten?
Mit ihren Kräften umzugehen. Das heißt, dass sie nicht um zehn Uhr in der Früh anfangen, ihre Stimme voll zu belasten. Viele Sänger haben die Tendenz, zu früh zu viel zu singen, und unterschätzen die Länge und die Anstrengung einer Probezeit. Ich schätze sehr bei Sängern, dass sie präzise sind, dass sie bei Wiederholungen von Proben immer das Gleiche machen. Wenn wir uns auf etwas geeinigt, etwas verabredet haben, dass es immer in regelmäßigen Abständen kommt, genau so, wie wir es abgemacht haben. Es gibt Begabte und eher Unbegabte. Es gibt also manche, die meinen immer noch, etwas erfinden zu müssen bei der Generalprobe. Das finde ich nicht gut, und das lasse ich auch nicht zu. Es gibt auch andere, die wirklich jedesmal – ich hatte zum Beispiel in La Boheme in den Vereinigten Staaten, die Baritonpartie, der Marcello, der hat wirklich sekundengenau immer das Gleiche gemacht, wie es bei den Proben war. Das schätze ich sehr: Präzision, Zuverlässigkeit, denn darauf kann man wirklich eine richtige Premiere erarbeiten.
Roger Epple wird die Premiere dirigieren. Wie wurde er eingebunden? Ab welchem Punkt haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?
Im Vorfeld haben wir uns mehrmals getroffen, und dann während der Probenzeit war er da. Ich habe ihm gesagt, dass ich musikalisch ausgebildet bin, ich bin ausgebildeter Fagottist und Dirigent, so dass ich also mit Dirigenten nie Probleme habe, weil ich deren Probleme sehr gut verstehe. Insofern: Intelligente Dirigenten, und das ist der Fall bei Roger Epple, die nicht nur über Musik reden außerhalb der Dienstzeit, sondern, was Roger angeht, über bildende Kunst … das finde ich sehr erfrischend, so dass wir über unsere Freundschaft hinaus einen sehr guten Austausch hatten. Das finde ich sehr schön.
Da komme ich gleich noch zu einem anderen Punkt: Joseph Süß ist ein sehr schwerer Stoff. Wie erholen Sie sich davon?
Wie ich mich erhole? War das die Frage? – Ach … Das ist eine sehr gute Frage. Schwer zu beantworten. – Ich glaube … Ich weiß es nicht. (Lacht.)
Also mussten Sie sich nicht erholen?
Nein, musste ich nicht, nein.
Welchen Stellenwert hat die moderne Musik in Deutschland und international?
Also, ich bin nicht für Internationales zuständig, ich kann nur meine Beobachtungen wiedergeben: Sobald Sie Deutschland verlassen – vielleicht ein bisschen in England und bedingt in Frankreich – haben die ökonomischen und materiellen Zwänge Vorrang. Es ist außerhalb der Met in New York so gut wie unmöglich, Stücke zur Uraufführung zu bringen, weil die Säle nicht voll sind, und ergo stimmt das Marketing nicht mehr. Also, ich beobachte eine sehr große Angst und Aversion gegen moderne Musik, weil man Angst hat, dass das Publikum nicht kommt. Was zum Teil stimmt, was auf der anderen Seite aber ein Beweis von Armut ist. Ich finde, Mut gehört zu unserem Job, Risiken einzugehen gehört auch zu unserem Job, man muss sie nur kalkulieren und man muss einfach versuchen, diese Parameter, neue Musik, Forschung, richtig rüberzubringen. Und das machen Länder, die zuviel an wirtschaftliche Zwänge gebunden sind, einfach nicht mehr. Schauen Sie, die Spielpläne in Amerika, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Ich schätze die Amerikaner sehr, aber die Spielpläne sind durchorganisiert, von Boheme, Carmen, Zauberflöte, wenn überhaupt, und dann Otello, Nabucco, und dann Boheme, Carmen und Butterfly, und damit hat sich das, und das ist für die Amerikaner Oper. Und dabei darf es nicht bleiben. Wir dürfen nie den Mut verlieren, wir dürfen nie die Lust auch am Forschen verlieren. Ich beobachte, dass es immer weniger gemacht wird, und ich beobachte auch, dass ich dafür immer gelobt werde in Erfurt, dass ich das nach wie vor mache.
Also können Uraufführungen nur an subventionierten Häusern stattfinden?
Ich würde fast sagen: Ja. Denn wer kann sich das sonst leisten? Oder die Oper in Austin/Texas oder in Washington findet einen Sponsor, der sagt: “Ich bezahle das.” Die Amerikaner sind sehr, sehr an dieses System gebunden. Ich würde Ihre Feststellung bejahen, denn: Die Subvention ist auch dafür da. Also, wir sind subventioniert – oder, von Subvention spricht man nicht, sondern von Zuschussbetrieb – die Subvention ist auch dafür da, um Forschung zu betreiben, und das finde ich auch richtig.
Dann sage ich herzlichen Dank für das Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!
Wird schon schiefgehen! Danke!
(Das Interview wurde geführt am 1. März 2012 in München.)
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Corinna Klimek am 6. März 2012 22:44 Ich habe über die Premiere mal wieder drüben bei mucbook geschrieben. Die nächste Vorstellung kann ich kaum erwarten.
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Corinna Klimek am 5. März 2012 23:59 [singlepic id=1137 w=240 h=320 float=left]Liebe Inge, herzlichen Dank, dass du dich bereiterklärt hast zu einem Interview auf dem Blog “Nacht-Gedanken”. Stellst du dich kurz vor?
Mein Name ist Inge Löhnig, ich bin Autorin von Kriminalromanen und lebe in der Nähe von München mit meiner Familie und einem betagten Kater.
Ursprünglich bist du Grafikdesignerin. Wann hast du angefangen mit dem Schreiben?
Puh. So genau kann ich das gar nicht sagen. Vor vielen Jahren habe ich den ersten Romanversuch gestartet und irgendwann in die Tonne getreten. In der Folge habe ich mir Fachbücher über das Schreiben besorgt und Workshops besucht. So langsam nahm dann Dühnforts erster Fall Gestalt an. Fünf Jahre habe ich daran geschrieben. Als ich mich dann an den Folgeband wagte, habe ich mir eine Agentin gesucht. Auf diesem Weg kam Dühnfort zu Ullstein. Dann hat es noch eineinhalb Jahre gedauert, bis das Buch erschien.
Dühnfort hat ja gleich von Anfang an voll eingeschlagen. Wie findest du deine Geschichten um Dühnfort, oder auch für deine Jugendromane? Oder finden sie dich?
Meistens finden sie mich. Es gibt Themen, die springen mich an und lassen mich nicht mehr los. Bei Dühnforts erstem Roman hat eine Radtour den Ausschlag gegeben. Mein Mann und ich sind durch den Sauerlacher Forst geradelt und haben auf einer einsamen Lichtung im Wald eine Kapelle entdeckt. Dort haben wir Rast gemacht, und ich dachte mir: “Wow! Das wäre eine klasse Location für einen Mord.” Um diese Ausgangssituation herum habe ich dann mit dem Ideenspinnen begonnen. Wer ermordet jemanden an einer Kapelle, die in einem einsamen Wald liegt und warum? Um diese Ideen spinnen sich wieder neue, das ist wie so ein großes Wollknäuel oder mehrere Wollknäuel, die sich miteinander verheddern.
Beim zweiten Roman war ein Zeitungsartikel ausschlaggebend, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen. Beim dritten Roman war es das Blättern in den Rechercheunterlagen des zweiten. In diesem Fall hat mich das Thema wirklich angesprungen. Ich habe dann relativ früh angefangen, den dritten Roman zu schreiben, obwohl gerade erst Dühnforts erster Fall erschienen war. Bei dem Jugendbuch stand die Idee plötzlich im Raum, jemand könnte verschwunden sein. Und um diese Ausgangssituation herum habe ich dann eine Geschichte gewoben. Beim zweiten Jugendbuch war auch ein Zeitungsartikel Auslöser. Es ging darin um einen zehnjährigen Jungen, der mit drei kleineren Geschwistern ganz alleine in Berlin lebte. Die Mutter war einfach ausgezogen. Einen Vater gab es schon lange nicht mehr. Die Frage, weshalb dieser Junge sich keine Hilfe holte, hat mich lange beschäftigt. Sie war der Ausgangspunkt für “Scherbenparadies”, meinen zweiten Jugendroman.
Sitzen deine Figuren mit am Frühstückstisch?
Das kann man so sagen. Meine Hauptfiguren sind schon sehr präsent in meinem Leben.
Hast du einen bestimmten Schreibrhythmus, und was tust du, wenn es mal nicht so gut läuft?
Ich habe tatsächlich Schreibrhythmus. Bisher begann mein Schreibtag um sechs Uhr morgens, denn um diese Zeit habe ich meinen Kopf frei. Seit ich hauptberuflich schreibe, ist die Schreibzeit in den Vormittag gerutscht. Und der zweite Teil der Frage? Richtige Schreibkrisen habe ich noch nicht erlebt. Es gibt aber regelmäßig Punkte, an denen ich stecken bleibe und am Vormittag nur eine halbe Seite schaffe oder so eine Stelle immer wieder umkreise und nicht weiter komme. Inzwischen weiß ich, woran das liegt. Da gibt es drei mögliche Gründe. Erstens: Ich kenne eine Figur noch nicht gut genug, um zu wissen, wie sie sich in der Situation, die es nun zu beschreiben gilt, verhalten würde. Der zweite – der häufigste – Grund: Ich habe etwas noch nicht genau ausrecherchiert. Hier ein aktuelles Beispiel aus Dühnforts viertem Fall: Meine Rechtsmedizinerin muss sich zu einem tödlichen Autounfall äußern. Da steht dann im Kapitelplan: “Doktor Weidenbach erklärt Unfallablauf und Todesursache.” Soweit die graue Theorie. Und nun muss ich der Frau schlaue Worte in den Mund legen. Ich muss also wissen, was eine Rechtsmedizinerin jetzt sagen würde, und das geht nur mit Recherche. In diesem Fall habe ich mit dem ADAC telefoniert, und die Verletzungsmuster in einem meiner Fachbücher über Todesermittlungen nachgelesen. Diese scheinbaren Kleinigkeiten und Details recherchiere ich meistens während der Schreibphase. Sie sind häufig ein Grund, weshalb ich meinen Text umkreise und nicht weiterkomme, bis ich dann kapiere, woran es liegt und mir sage: “Hallo, Inge, jetzt aber! Bitte: Telefon, Fachbuch, guck, wer dich da beraten kann.” Und der dritte Grund ist die Polizeiarbeit. Dühnfort ist Kriminalhauptkommissar bei der Münchner Mordkommission. Ich will keinen Superhelden aus ihm machen, à la Schimanski und Co, für die Regeln und Grenzen nicht gelten. Ich möchte seine Arbeit realistisch beschreiben. Doch Polizeiarbeit ist in weiten Teilen todlangweilig. Ich muss mir daher überlegen, wie ich sie interessant darstelle.
Deine Dühnfort-Romane spielen in München und im Münchner Umland, sie atmen die Umgebung, in der sie spielen. Gehst du diese Wege real ab?
Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Viele der Örtlichkeiten, die ich beschreibe, kenne ich, ohne sie vorher nochmal abgehen zu müssen. Und die anderen sehe ich mir natürlich genau an.
Schreibst du auch unterwegs, oder nur an deinem Schreibtisch?
Ich bin keine Unterwegs-Schreiberin. Ich kann das einfach nicht. Ich muss alleine in meinem Arbeitszimmer sein, um mich in die Geschichte hineinfallen lassen zu können.
Welche Phase eines Buches ist für dich die anstrengendste?
Ich finde Schreiben überhaupt nicht anstrengend. Die erste Phase in der Entwicklung eines Romans geht Hand in Hand mit der Recherche. Diesen Teil finde ich ungemein spannend. Dabei lerne ich häufig interessante Menschen kennen und gewinne neue Einblicke. Ein Beispiel: Im vierten Dühnfort-Roman spielt eine Bogenbauerin eine Rolle. Sie baut Bögen für Streichinstrumente. Dieses Berufsbild musste ich recherchieren und war dafür einen Tag bei einem Geigenbauer in der Werkstatt, der auch einen Bogenbauer beschäftigt. Ich durfte zusehen, tausend Fragen stellen und fotografieren. Das war ein spannender und interessanter Tag. Die zweite Phase ist die Schreibphase: Da bin ich dann wirklich monatelang ganz für mich. Das ist eine Zeit der Einsamkeit. Die Tür zum Arbeitszimmer ist zu, ich muss und will alleine sein. Die schönsten Momente sind die, in denen die Figuren beginnen, sich selbst zu schreiben und mir das Heft des Handelns aus der Hand nehmen wollen, wenn ich nicht groß überlegen muss und der Text einfach fließt.
Was ich außerdem sehr mag, ist das Überarbeiten. Ich überarbeite meine Manuskripte drei-, viermal, bevor sie ins Lektorat gehen. Wie wirkt ein Satz, wenn ich ihn umstelle oder ein Wort herausnehme oder durch ein treffenderes ersetze? Oft ändere ich ganze Absätze, um eine bestimmte Stimmung zu erzielen. Dieses Feilen, bis der Text so ist, wie ich ihn mir erhofft habe, ist eine ungeheuer befriedigende Arbeit. Und dann bin ich ein Fan des Kürzens. Aus meinem ersten Dühnfort-Roman, der ursprünglich 550 Seiten hatte, habe ich 110 Seiten herausgeworfen. Danach war er gut, so, wie ich ihn haben wollte. Bei dieser Aktion habe ich das Kürzen schätzen gelernt. Ich habe Ballast abgeworfen, und das hat der Sache gut getan. Mein Fazit lautet also: Ich empfinde keine Phase des Schreibens als anstrengend oder belastend.
Du hast gerade schon deinen ersten Dühnfort-Roman erwähnt. Wie ist dir Tino Dühnfort das erste Mal begegnet?
Das erste Mal eigentlich gar nicht. (Lacht.) Er sollte keine eigene Perspektive bekommen. Ursprünglich sollte Agnes die eine Hauptfigur sein, und ihr Gegenspieler, dieser Mann, der zuerst ein Kind entführt und dann zwei Frauen ermordet, die andere Hauptrolle bekommen. Der Ermittler sollte eigentlich nur aus der Sicht dieser beiden Figuren wahrgenommen werden. Also sehr begrenzt. Als ich dann einen Workshop im Münchner Literaturhaus für “Krimiautoren und solche, die es werden wollen” besuchte, meinten plötzlich alle Teilnehmer, dass das nicht geht. Ich habe darauf gehört. Bis dahin kannte ich von Dühnfort nur ein paar vage Fakten. Seinen Namen, dass er aus Hamburg kommt, und dass er ein grüblerischer, nachdenklicher Mensch ist. Mehr nicht. Als ich dann die erste Szene aus seiner Sicht schrieb, hat er sich selbst hingestellt, war auf einmal da.
Dann müssen wir ja dem Workshop sehr dankbar sein. (Kichert.) Du hast Jugendromane geschrieben, du schreibst die Reihe um Konstantin Dühnfort. Gibt es noch ein Genre, in dem du gerne mal schreiben würdest, und was hält dich davon ab?
Mich würde es reizen, mal aus der Sicht eines Bösewichts zu schreiben und ihn zur Hauptfigur zu machen. Das Genre bliebe also dasselbe. Ja, was hält mich davon ab? Verträge für zwei Dühnfort-Romane und einer für ein Jugendbuch. Es wird also noch dauern, bis ich mich an ein derartiges Projekt setzen kann.
Da können wir uns ja auf die nächsten Jahre noch freuen! – Welches Genre liest du gerne selbst, und hast du einen Lieblingsautor?
Ich lese neben Krimis und Thrillern gerne Familienromane. Fantasy ist jetzt nicht so meins. Diese lustigen Frauenbücher lese ich schon zwischendrin gerne, aber ich denke, Familienromane, Krimis, Thriller, das ist meine Welt. Lieblingsautor? Da gibt es etliche. Im Bereich Krimi lese ich die skandinavischen und die britischen Autoren sehr gerne. Val McDermid ist eine Lieblingsautorin von mir, Ruth Rendell, alias Barbara Vine. Karin Alvtegen, die Nichte von Astrid Lindgren, schreibt wahnsinnig tolle Krimis. “Schatten” ist eins meiner Lieblingsbücher. Henning Mankell natürlich. Dann bin ich ein Fan von Paul Auster und seit dem vergangenen Sommer auch ein Fan seiner Frau, Siri Hustvedt. Ich habe die erst vor kurzem entdeckt. Sie schreibt grandios und ist meine Entdeckung des letzten Jahres.
Hast du literarische Vorbilder?
Eigentlich die, die ich gerade erwähnt habe. Ich begeistere mich ja für sie, weil sie eine ganz eigene Art haben, ihre Geschichten zu erzählen. Sie erzählen Geschichten nicht einfach um einer Geschichte willen. Es liegt ein Thema darunter. Eine Art Subtext, der sich durchzieht und das versuche ich in meinen Romanen ja auch. Ich schreibe keine Whodunnits, sondern Whydunnits. Mich interessiert, warum Menschen sich so verhalten, wie sie sich verhalten.
Lässt du dich von Musik beim Schreiben inspirieren?
Selten. Und wenn, dann geht eigentlich nur Klassik. Außer beim Jugendroman. Beim zweiten spielen zwei Musikstücke eine große Rolle. Die habe ich mir während des Schreibens doch immer wieder angehört, um auch in die Stimmung meiner beiden Figuren in diesem Roman zu kommen.
Wie hoch ist dein aktueller SUB?
Der hat leider nie geahnte Höhen erreicht. Früher habe ich Bücher verschlungen. Leider komme ich momentan nicht dazu. Ich kann keine Krimis lesen, während ich selbst einen schreibe. Entweder bekomme ich Depressionen, weil sie so toll geschrieben sind, oder ich bin total ungnädig und würde jedes Wort auf die Goldwaage legen. So kommt keine Freude auf. Während der Schreibphase lese ich also andere Genres.
Du hast vorhin erwähnt, es kommt ein Dühnfort Fünf und auch ein Dühnfort Sechs. Kannst du uns darüber schon ein bisschen was verraten?
Dühnfort Fünf ist fertig geplant, geplottet. Den muss ich jetzt “nur noch” schreiben. Es ist schwierig, etwas darüber zu sagen, ohne zuviel zu verraten. Letztlich geht es um eine Grenzüberschreitung, die eigentlich nicht wirklich schlimm wäre. Ausschlaggebend war ein Zeitungsartikel, nach dessen Lektüre ich gespürt habe, in dieser Situation steckt Potential, das sollte man mal zu Ende denken, und sehen, was man daraus schlimmstenfalls machen könnte. Am Ende kommt etwas heraus, das ich als einen “Reigen des Verderbens” bezeichnen möchte.
Dein vor kurzem erschienener Roman “Schuld währt ewig”, der vierte aus der Reihe um Konstantin Dühnfort, ist nur zwölf Tage nach dem Erscheinungsdatum in die zweite Auflage gegangen. Was ist das Beste daran, eine erfolgreiche Autorin zu sein, und was ist das Nervigste?
Ja, das Beste ist, dass ich niemals damit gerechnet hätte. Anfangs war das Schreiben ein Hobby. Meinen ersten Roman wollte ich nicht veröffentlichen, den habe ich wirklich für mich geschrieben. Ich wollte wissen, ob ich es schaffe, einen Krimi zu schreiben, den ich gerne lesen würde. Erst beim zweiten Roman habe ich mich bei Agenten beworben und bin dann schnell untergekommen Also, das Tollste ist gewissermaßen, dass da ein Traum in Erfüllung gegangen ist, den ich nie geträumt habe.
Inzwischen verdiene ich meine Brötchen mit Schreiben. Das ist einfach klasse. Wenn mir jemand vor fünf Jahren gesagt hätte, dass ich heute hier sitze und ein Interview führe, ich hätte ich ihn sicher ausgelacht. Und nervig ist nichts. Es ist ein tolles Gefühl, Autorin zu sein. Manchmal bekomme ich natürlich Leser-Reaktionen, die nicht so toll sind. Mir ist es jetzt zweimal passiert, dass mich Leser einfach angerufen haben. Einmal samstags beim Mittagessen-Kochen rief eine ältere Dame an. Sie musste unbedingt ihren Ärger loswerden, dass in “Der Sünde Sold” eine Katze getötet wird. Die andere Leserin hat mich abends um zehn angerufen. Sie hatte das dringende Bedürfnis mir zu sagen, dass ich die tollste deutsche Autorin bin, die sie kennt. Das schmeichelt natürlich schon.
Andererseits hat das auch etwas Unheimliches. Das muss ich ehrlich zugeben. Wer mich im Internet finden will hat meine Kontaktdaten in drei Minuten raus und kann mich anrufen oder mir Mails schicken. Und da sind eben nicht nur nette dabei. Ich habe auch schon anonyme Mails bekommen und gegen einen dieser Absender tatsächlich Anzeige erstattet.
Da ging es um den zweiten Dühnfort-Band. Kannst du uns den Zusammenhang kurz erklären?
Zwei kleine Szenen des Buchs spielen einer Station im Krankenhaus Großhadern. Ich hätte niemals gedacht, dass jemand daran Anstoß nehmen könnte. Denn letztlich geht es bei diesen Szenen darum, zu zeigen, dass Dühnfort ein sehr freundschaftliches und gutes Verhältnis zu seiner Kollegin Gina hat. Also habe ich Gina ein gesundheitliches Problem angedichtet und sie ins Krankenhaus geschickt und Dühnfort besucht sie dort. Und ein wenig recherchefaul wie ich manchmal bin, habe ich einfach eine Station beschrieben, auf der ich tatsächlich mal war. Und … nun ja, die Einrichtung des Zimmers, die fehlenden Vorhänge und einiges mehr, das war nicht so schön und ich habe es so beschrieben. Eines Tages kam eine E-Mail mit einem Phantasienamen@gmx.de als Absender, also für mich nicht nachzuvollziehen, wer wirklich dahinter steht. Man mokierte sich über meine Darstellung der Station. Unterschrieben war die Mail mit “Im Namen aller Mitarbeiter der Station XY”. Ich habe dummerweise darauf reagiert und ein Gespräch angeboten, denn es war nie meine Absicht, jemandem auf die Zehen zu treten. Postwendend kam eine Antwort. Die war wirklich gruselig, denn die gute Frau – also, ich habe vermutet, dass es eine Frau war – schrieb: Ich wüsste ja, wo sie zu finden sei, also, wenn ich mit ihr reden wollte, könnte ich antanzen, und im übrigen wäre ich gar nicht auf ihrer Station gelegen, sondern auf der Nachbarstation. Da ist mir der Kinnladen heruntergeklappt. Woher wusste diese Frau, dass ich als Patientin auf dieser Station gewesen war? Beziehungsweise eben nicht auf dieser, sondern auf einer anderen und wann. Denn das wusste sie auch. Ich hätte das selber nicht mehr gewusst. Die Folge war eine schlaflose Nacht. Am nächsten Tag habe ich mit dem Datenschutzbeauftragten der Münchener Kliniken telefoniert, dem ist der Kinnladen heruntergefallen wie mir. Er hat mir zur Anzeige geraten, denn so wie es aussah, hatte jemand in meine Patientenakte geguckt.
Ich wollte wissen, wer da hinter diesen Mails steckt. Ich hatte mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass es alle Mitarbeiter dieser Station sind, und habe Anzeige erstattet. So ist es mir tatsächlich gelungen, die Mailschreiberin aus der Anonymität zu holen und ihr zu zeigen: ich weiß wer du bist. Das Erschreckende daran war für mich, dass tatsächlich alle Mitarbeiter der Station hinter diesen Mails standen. Und das Lustige daran, dass niemand mein Buch gelesen hat. Man kannte nur die zwei kurzen Szenen.
Hat dich dieser Vorfall bewogen, deine Orte noch mehr zu verfremden?
Ja. Das ist so. Wobei ich das nicht müsste. Aber man weiß einfach nicht, wem man unwissentlich auf die Zehen tritt und was für Folgen das haben kann.
Hast du auch noch eine lustige Anekdote aus deinem Autorenleben für uns?
Lustig? Da muss ich jetzt gerade mal nachdenken. – Doch, ja. Da gibt es eine lustige Geschichte. Ich habe durch einen Zufall einen ehemaligen Kriminalhauptkommissar der Münchener Mordkommission kennengelernt, der mich seit meinem ersten Buch berät. Gerade bei meinem ersten Dühnfort-Roman habe ich so jede Menge Basics der Polizeiarbeit gelernt. Als der Roman dann fertig war, habe ich meinem Berater das Manuskript zu lesen gegeben, und er rief mich völlig entsetzt an und sagte: “Frau Löhnig, das machen’s aber nicht noch mal.” – Ich fragte: “Ja, was denn?” – “Am Ende ist der Täter tot. Und das ist für einen Kriminaler das Schlimmste überhaupt.”
Ein Kriminaler will den Täter natürlich lebend erwischen, damit auch das kleinste Detail des Falls noch restlos geklärt werden kann. Wenn der Täter tot ist, dann geht das nicht mehr. – “Frau Löhnig, das machen Sie aber nicht noch mal!” (Beide lachen).
Dann sage ich herzlichen Dank für das Gespräch, und viel Erfolg mit Dühnfort Vier, Fünf und Sechs!
Ich danke dir, Corinna!
Inge Löhnig wurde 1957 in München geboren. Sie studierte an der renommierten Akademie U5 in München Grafik-Design und arbeitete anschließend in verschiedenen Werbeagenturen, zuletzt als Art-Directorin auf einem Mode-Etat.Heute lebt sie als freiberufliche Grafik-Designerin und Autorin mit ihrer Familie und einem betagten Kater in der Nähe von München. „Der Sünde Sold“, war ihr erster Roman mit Kriminalhauptkommissar Konstantin Dühnfort und Auftakt der Serie, die bei Kritikern und Lesern einhellige Begeisterung auslöst: „Meisterhafte Erzählkunst“ schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Mehr davon“ wünscht sich die Frauenzeitschrift FREUNDIN. Neben Romanen für Erwachsene schreibt die Autorin auch Jugendbücher.
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NachtMusik am 4. März 2012 22:08 In der Inzenierung von Günter Krämer haben in den letzten 19 Jahren viele Sänger ihr Rollenportrait gezeigt. Nun waren zwei neue an der Reihe, und ein Sänger, der über 20 Jahre nicht an der Bayerischen Staatsoper gesungen hatte. Der siebzigjährige Leo Nucci überzeugte in der Rolle des Vater Germont. Er stattete die Rolle mit Ausdruck und Klarheit seines Baritons aus, verlieh dem Vater die nötige Persönlichkeit und ein eigenes Profil. In der Rolle des Alfredos war der Tenor James Valenti zu hören, mit schöner Stimme, und er klang bis in die Höhen am ganzen Abend nicht einmal angestrengt. In der Darstellung hielt er sich an die Anweisungen des Regieassistenten, und das Publikum sah einige der alten Operngesten.
Die Sopranistin in der Titelrolle hatte es schwer bei so vielen und legendären Vorgängerinnen, wie z.B. Cristina Gallardo-Domas, Angela Gheorghiu und Anja Harteros. Ihre große und nicht gut sitzende Stimme hatte in ihrer Arie im ersten Akt Ungenauigkeiten und Intonationschwächen. In den Folgeakten wurde es etwas besser, vor allem im Duett mit Vater Germont. Diese Stimme ist zu groß, und es fehlt an Linie. Als Schauspielerin hatte die Dame mehr zu bieten. Nach dem etwas überdrehten ersten Akt gelang ihr der Wandel zur ehrlich Liebenden.
Bleibt noch der “Neuling” am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Der ungarische Dirigent Henrik Nánási führte das Orchester zu einer guten Abendleistung. Bei den zarten Vorspielen beeindruckten die Musiker mit hoher Klangkultur. Der Dirigent war immer bei den Sängern und unterstützte sie in den großen Ensembleszenen mit federnder Rhythmik. Leider konnte da der Chor der Staatsoper nicht immer in der Klangkultur mithalten. Dem Dirigenten alles Gute für seine Arbeit an der Komischen Oper Berlin, wo er ab der Saison 2012/13 Generalmusikdirektor sein wird. Ein Abend in der Bayerischen Staatsoper mit Höhen und Tiefen!
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