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Die Schlammgeborene(n) – Der Widerspenstigen Zähmung am Residenztheater

[singlepic id=1474 w=320 h=240 float=left]Ist Dorn zurückgekehrt? Die schwarzlackierte Betonwand – kein Bühnenbild außer einer erhöhten Rutschfläche – historisierende Kostüme. Wurden hier Altbestände vom Fiesco und der Rose Bernd recycled? Nein, das nicht, doch anscheinend vollführt das Residenztheater ein kleines Rollback in die Vergangenheit mit leichterer Kost und zufriedenerem Abonnementpublikum. Dessen Liebling und einige andere geben darum nun den Shakespeareklassiker der leichten Art, die Widerspenstige. Inszeniert hat dies die Wiederholungstäterin Tina Lanik, die auf eine zehnjährige Vergangenheit am Haus und eine Verbundenheit zu Dorn zurückblickt. Alles alt im Neuen.

Es beginnt mit Bühnenregen und Jagd. Aber was für ein Regen! Prasselnd und nieselnd zugleich schwallt er aus dem Schnürbodenhimmel und nebelt die dunkle Bühne mystisch ein. Sogar seine Kühle spürt man bis tief ins Parkett. Das schönste Theaterwetter seit dem Schnee in der Mutter Courage im gleichen Haus lässt das fade Rinnsal im Volkstheater vergessen und macht ab Beginn Stimmung. Ein toter, erlegter Hirsch, gedoubelt von Blondine fungiert als Leitbild mit dem feuchten Innenraum. Hier wird gesucht, erlegt, gejagt, gebeutet, dann gesuhlt und gedreckt.

Der Rest ist Boulevard. Stimmig und klassisch und hervorragend gesprochen werden die Kalauer überzeichnet und die Pointen gesetzt. Ein erleichtertes Publikum lehnt sich zurück und genießt, der Bühnendreck schwappt nämlich diesmal anscheinend nicht aufs Zuschauergemüt über. Dem wird dafür gutes Handwerk gezeigt – und nicht mehr. Aside und an der Rampe feuern die Mimen ihre Verslein aus der Hüfte, als hätten sie alle Shakespeare noch gekannt. Natürlich agieren sie in der nicht vorhandenen Szenerie und nehmen die leichte Muse sehr ernst. Mit Spannung, Geschick und Körpereinsatz. Einziger Aufreger, der damit verbunden ist, ist der Dreck auf der Bühne. Loriot’scher Ausrutschhelfer, Schwesterquäler, Plastelinersatz für die latente Requisitenlast und Maskenhelfer. Hier macht man sich und andere ordentlich schmutzig, um nach dem Rangeln vom Regen wieder reingewaschen zu werden. Ungesund ist der Heilerdentorf übrigens auch nicht. Lediglich ein Ärgernis für die Kostümerie, die nach dem Exzess wieder reinemachen muss.

Mittelpunkt des Abends ist natürlich die Miniminichmayer Andrea Wenzl mit einer physisch spürbaren, nicht überdrehten und fühlbaren Verkörperung der Widerspenstigen, die am Anspruch dieser Rampensaurolle ebensowenig scheitert wie an der Gefahr, zu überziehen. So spielt man Shakespeare im 21. Jahrhundert. Ebenso wie ihr kongenialer Partner Lacher, der immergleiche, doch damit befriedigende Publikumsliebling seit geraumer Zeit. Johannes Zirner und Tom Radsch geben die präzisen Sidekicks; auf den Punkt und selten überzogen. Frank Pätzold präsentiert sich eine Spur besser als im Kirschgarten, dafür beachtlich Robert Niemann als knabenhafter Diener mit schöner Pointe. Arnulf Schumacher gibt einen köstlichen Lustgreis, wenngleich die Textsicherheit bei ihm am ehesten schwindet, was die schnelle und gewiefte Inszenierung nicht immer verzeiht. Auch nicht dank dem wunderbaren Nikotinbauch mit Hornbrille von Miguel Abrantes Ostrowski, dem heimlichen Star als Tranio. Farbloser dagegen Rupperti als Vater mit seiner ebensolchen, braven Tochter Marie Seiser (Bianca). Undankbar allein die Cameos als „Sly“ von Katharina Pichler, die sich nicht erschließen und als unnötiger Regieetablierer mehr nerven als nützen.

Alles in allem was wir wollen, wie es das gesittete Publikum will und wo es das will: Im ehrwürdigen Dorn-entempel Residenz mit einem gezähmten Ensemble wird ein glatter Shakespeare hingestellt, der durch Frau Wenzls wunderbare Widerspenstigkeit lebendig bleibt.

 

Regie Tina Lanik, Musik Rainer Jörissen, Licht Gerrit Jurda, Dramaturgie Sebastian Huber

Wolfram Rupperti Baptista, reicher Edelmann aus Padua, Paul Wolff-Plottegg Vicentio, ein alter Edelmann aus Pisa / Magister, spielt Vicentio, Franz Pätzold Lucentio, Vicentios Sohn, Shenja Lacher Petruchio, Edelmann aus Verona, Arnulf Schumacher Gremio, Freier Biancas, Tom Radisch Hortensio, Freier Biancas, Miguel Abrantes Ostrowski Tranio, Lucentios Diener, Robert Niemann Biondello, Lucentios Diener,  Johannes Zirner Grumio, Petruchios Diener, Andrea Wenzl Katharina, Marie Seiser Bianca, Katharina Pichler Sly

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Muse leicht. Das Gras ist grüner in der Komödie im Bayerischen Hof

Wie schön die leichte Muse sein kann. Kann! Denn Screwball ist beileibe nicht einfach auf die Bühne zu bringen. Es erfordert einen pointenreichen, gewitzten Text, präzise Darsteller, die mit den Kollegen wie dem Publikum die Bälle austauschen und einen Rahmen, der klassischerweise Boulevard zulässt.

Traditionell ist dieser Ort im Bayerischen Hof zu finden. Die Komödie schmückt sich mit größeren und kleineren Fernsehnamen, die gerade so viel Zeit haben, en-suite einen Monat oder länger auf der Musenbühne auszuharren. Im Augenblick sind diese Anja Kruse und Christian Wolff, der glücklicherweise und zufällig auch gleich mit seinem Sohnemann auf der Bühne stehen darf. Der Exförster gibt den arrivierten Landlord und sein Sprößling den jungen Amiliebhaber. Dazwischen die Gentrylady Kruse, die offensichtlich auf ihre Lockenperücke lieber verzichtet hat und dafür deutlich als Frau Kruse in Erscheinung tritt; vor allem beim Applaus.

Das ebenso arrivierte Publikum war höflich, aber nicht übermäßig begeistert. Das erlaubt das mit Duell, Nerz und allerlei Schnaps garnierte Liebesboulevardhäppchen von Hugh und Margret Williams (deutlich und üblich in diesem Genre in die Jahre gekommen) auch nicht.

Die Story um die eheliche Treue und die typisch britische Reaktion auf den unumgänglichen Seitensprung ist wie das Antlitz der Figuren geglättet und erzeugt mehr Schmunzeln als Lachen. Die “Brüller” produzieren – wie oft im Boulevard – die Nebendarsteller mit dem routinierten, trockenen Rolf Kuhisek als Butler Sellers mit Launen und Pointen und der aufgedrehten und sicher sitzenden Olivia Silhavy als peinliche Freundin. Staffage stiehlt Schlösschen die Schau.

Die Ständeklausel erlaubt den TV-Gesichtern dagegen den Konflikt, den am sympathischsten Wolff sen. präsentiert, als in sich ruhender, triebfreier und gesitteter Victor. Kruse überzeugt nicht als Hillary und macht die Begeisterung von Wolff jun. weder spürbar noch nachvollziehbar. Zu kühl, lustlos und sie selbst folgt man dieser Frau nicht in ihrem lockeren Problembezirk zwischen Ehemann und Liebhaber.  Letzteren gibt der junge Wolff (optisch und sprachlich ganz der Papa) als netten Ölmillionär von nebenan und nicht aus dem texanischen Jetset.

Gesprochen wird sauber und präzise. Das Leben fehlt jedoch oft nach der x-ten Vorstellung, was die große Herausforderung des en-suite-Betriebes ist und hier nur von Wolff sen. und Kuhisek dank ihrer ohnehin ruhenden Rollen erfüllt wird. Man vermisst trotzdem eine spritzige Paarung auf dieser Bühne mit Rampengesichern wie Jochen Busse, Walter Sittler und Aglaia Szyszkowitz oder dem tollen Michael Hinz. Es sind eben nicht Grant und Kerr sondern Rombach und die schöne Wilhelmine.

Manchmal ist zwar das Gras grüner, doch die Muse nicht leicht genug.

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Poor President – Boris Godunow an der Staatsoper

[singlepic id=1471 w=320 h=240 float=left]Sie funktioniert noch, diese russische, sperrige Politopera mit Zaren, Bojaren und Mönchen. Denn sie schneidet zeitlose Themen an: Die Rücksichtslosigkeit und damit verbundene Einsamkeit der Macht. Und darauf hat es Calixto Bieito auch abgesehen mit seiner modernen, naturalistischen, schlüssigen und wachen Interpretation von Mussorgskys Werk, die hier in der neuerdings gebräuchlichen Urfassung gegeben wird.

Bieito geht dabei in die Vollen. Seine Schläge bluten, die Bühnenmorde gehen leicht und spröde, ja professionell von der Hand; Gewalt und Bedrohung hinter jeder Wodkabude und Schüsse selbst von Kinderhand. Politik besteht hier in der Kraft des Stärkeren, die Logik der Mafia.

Die (nicht mehr ganz) aktuellen Politikhäupter werden dazu aktuellerweise schon zu Beginn überdimensional zur Schau und zu Grabe getragen. Das geknechtete, zum Jubel gezwungene Volk erhöht Putin, Blair und (wieder) Berlusconi. Damit es das tut, wird es geschlagen, getriezt, gepeinigt. Nun ja, Kindermörder sind unsere modernen Staatsoberhäupter nun nicht gerade, doch die Mechanismen der Mediendemokratie wie des modernen Populismus hat Bieito damit recht gut wiedergegeben. Der Regiejux, dass der neue, sich zur Regentschaft überreden lassende Boris aus der Königsloge seinem Volk und dem Publikum entgegentritt, erinnert an die Kür des TV-Hochadels.

Auch die Idee, aus den chronikenschreibenden Mönchen Journalisten zu machen, überzeugt. Grigorij (mit noch zu steigerndem Tenor Sergey Skorokhodor) – mit Phototasche auf der Flucht vor dem System – gibt den Kriegs- und Krisenberichterstatter. Nach Uraniumskandalen und wiederholten Repressionen gegen die freie Presse auch im arabischen Frühling aktueller denn je. Doch er will mehr. Vom Kirchenanzeiger zur Hauptstadtpresse sozusagen. Und nach der kühlen Logik der Macht und mit genügend mörderischer Rücksichtslosigkeit erreicht er sein Ziel am Ende. Hoffnung durch den Machtwechsel entsteht dadurch aber keine.[singlepic id=1472 w=320 h=240 float=right]

Überhaupt beschreibt diese Inszenierung pessimistische Isolation. Am grandiosesten mit dem beeindruckenden Bühnenkubus, dem Bunker, dem Öltank, der Skulptur von Rebecca Ringst. Abgeschlossen, wendig und aufklappbar spiegelt sie die Misere der Macht. In einem oligarchischen feschen Mikrokosmos vegetiert dieser Boris an seinen Skrupeln und am Alleinsein der Herrschaft. Stimmgewaltig und nachvollziehbar auf dem Weg in den tödlichen Wahn überzeugt trotz weniger Glanzlichter in der Partitur nach der Art der Operà dialogué Alexander Tsymbalyuk. Er sitzt in seiner russischen Arche und sieht dem Geschehen zu. Egozentrisch mit sich beschäftigt, seine Skrupel los und doch diesen am Ende ausgeliefert.

Daneben Volk, Masse, Mensch. Analog zum bereits bestechend am Haus inszenierten Khovanshchina, das die diversen Soli noch via Splitscreen auf die Bühne aufteilte, streicht Bieito einfach – etwa den aus dem Rahmen fallenden Polenakt. Er konzentriert Handlung, Agieren und die eindringliche Musik zu einem Politkammerspiel.

Bei der Besetzung greift das Haus auf bewährte Kräfte um den sensationellen Anatoli Kotscherga als Chroniker Pimen und den quietschigen Ulrich Reß in einer Nebenrolle zurück. Nagano hantiert, wie bereits 2007, gekonnt mit der schweren, seidigen Musik und den donnernden brillianten Chören.

Damit ist ein aktueller, schwerer und doch zeitloser Kommentar gelungen. Mussorgsky liefert dafür eine reiche Musik und offene Handlung, aus der Bieito das Optimum herausholt, ohne den Sinn zu verfälschen.

Musikalische Leitung Kent Nagano /Inszenierung Calixto Bieito /Bühne Rebecca Ringst /Kostüme Ingo Krügler /Licht Michael Bauer /Dramaturgie Andrea Schönhofer /Chöre Sören Eckhoff /Boris Godunow Alexander Tsymbalyuk / Fjodor Yulia Sokolik /Xenia Eri Nakamura / Xenias Amme Heike Grötzinger /Fürst Schuiskij Gerhard Siegel /Andrej Schtschelkalow Markus Eiche /Pimen Anatoli Kotscherga /Grigorij Otrepjew Sergey Skorokhodov /Warlaam Vladimir Matorin /Missail Ulrich Reß /Schenkwirtin Okka von der Damerau /Gottesnarr Kevin Conners /Nikititsch Goran Jurić /Leibbojar Dean Power /Mitjucha Tareq Nazmi /Hauptmann der Streifenwache Christian Rieger

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Schlampige Schlittenhunde und nackige Hummer – erotisches Kabarett mit der Puderdose in der Drehleier

[singlepic id=1467 w=320 h=240 float=left]„Schatz gib mir Tiernamen!“ Unter diesem Motto läuft die Fortsetzung des Erfolgsprogramms von Claudia Schuma und Irene Weber seit letztem Samstag in der Drehleier. Erotisches Kabarett bieten sie – ein schweres Gebiet. Zu leicht kann dieses Genre zotig, peinlich und zu dreckig werden. Ich selbst empfand bei einem ebensolchen Abend einer Dame im Rohrer & Brammer nur die Empfindung des Fremdschämens.

Doch in diese Falle tappen die beiden tierischen Schauspielerinnen nicht. Frech frivol und scharfzüngelnd sprechen, singen und spielen sie von der schönsten Nebensache der Welt und ihren animalischen Abgründen. Zusammen mit dem Pianisten Philipp F. Kölmel (launiger, technisch einwandfreier Sidekick am Klavier) erwecken sie dabei eine vernachlässigte Sparte der Kleinkunst zu verdientem, neuem Leben: Das Typenkabarett. Außer dem grandiosen Helmut Schleich verliert diese akteurnahe Variante der Sketchcomedy an Wichtigkeit. Zu Unrecht, wenn man den agilen Femmes fatales zusieht, die in allerlei tierische wie weibische Charaktere kongenial und eng aufeinander eingespielt schlüpfen. Von der Keniasextouristin zur lefzenden Zeitlupenläufigen, über die Sportreporterin zur keusch überdrehten Dottoressa: Claudia Schuma trägt Komik und Sexappeal physisch spürbar auf der Zunge vor sich her. Grimassenversiert und urkomisch daneben Irene Weber mit den leiseren Tönen und auf Augenhöhe der frechen Stereotypenzeichnung mit spürbarer Lach- und Schießerfahrung. Kuh, Omi oder Komikerin. Die beiden Luderladies überzeugen in allen Typen und setzen versiert pikante Pointen, die zünden. Das Zusammenspiel zeigt die lange, innige Zusammenarbeit der Witzakrobatinnen in der Horizontalen. Gerade die Songs sind gut choreografiert, aus der Hüfte präsentiert und erinnern an schmutzige Varietémoritaten vergangener finstrer Nachtclubs.

Sie singen und tanzen und spielen unter der Regie von Angelika Beier, ohne im geringsten peinlich oder zu dreckig zu werden. Ein paar Nummern entgleiten vielleicht noch dem leichten, süffisanten Sexabend über die meist weiblichen Probleme des menschelnden Verkehrs miteinander. Doch mit einer Stellungskunde anhand verstorbener bayerischer Ministerpräsidenten, der Eifersuchtsparanoia, russischer Copacabana-Oligarchinnen, einer Berufsgstanzlsaga und dem kreischkomischen Running Gag der frigidfeuchten Veterinärswissenschaftlerinnen (die sprichwörtlich „Spaß“ machen) schaffen die beiden Bühnentiere Highlights. Die Publiumsreaktionen waren dementsprechend. Nur Herren in der ersten Reihe seien gewarnt. Es kann leicht passieren, in den sinnlichen Strudel sündig integriert zu werden.

Am Ende hat man viel gelacht, einiges über das Sexualleben der gemeinen Fledermaus gelernt und bekommt vierlerlei Lust. Neben der privaten vor allem auf Typenkabarett auf diesem Niveau.

Termine folgen in der Drehleier und anderswo.

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Feuer und Steine – I Capuleti e i Montecchi an der Staatsoper München

[singlepic id=1464 w=320 h=240 float=left]Zwischen Hitze und Kälte sind sie hin- und hergerissen. Bellinis Varianten des berühmtesten aller Liebespaare. Romeo zwischen kalter Rache und heißer Liebe, Giulietta zwischen kühlem Ehrbegriff und warmem Gefühl. Ebenso warm der Bellinisound, der selbst die dramatischste Phrase mit bezauberndem Belcanto überzieht. Schöngesang und Schönklang in der Einigkeit, die dem Paar nur sehr kurz und in dieser Inszenierung (Vincent Boussard) gar nicht gegönnt ist. Nicht nur einmal lässt er seine Soli wahrlich zu Stein werden, zu Statuetten, die auch im Bühnenhimmel erscheinen. Bewusst leblos und erst behaucht bewegt. So tritt das sterbende Paar am Ende dann auch aus der Handlung und auf das vertraute Im-Grabe-Vereint-Bild wird verzichtet.

Überhaupt passiert wenig. Passend zum gerade wieder gefeierten Minimalismus vergeht dieser Abend semikonzertant mit nur szenischen Ansätzen. Statisch stehen und singen die geteilten Chöre, nichts bewegt sich wirklich – allein Romeo und Giulietta. Ein Regieansatz? Oftmals scheint es Einfallslosigkeit und nur ein kleiner Skandal tritt auf: Statt einem Balkon – ein weißes Waschbecken, an das sich Giulietta klammert, und aus dem sie singt. Die Bühne minimaler, leerer Raum mit groben Marmorprojektionen, die an die Medicikapellen in Florenz erinnern (Bühne: Vincent Lemaire). AZ-gossip zur Premiere war die Zusammenarbeit der Netrebko mit Christian Lacroix, der zeitlose, unaufgeregte Kostüme beisteuert. Allein die farbenprächtigen Damen der Hochzeit erzeugen, über eine riesige Bühnentreppe wackelnd, Kostümzauber. Alles in allem eine konzentrierte, minimale Szenenarbeit. Jedoch die Sänger:

Wunderschön und gesanglich hervorragend begeistert Joyce DiDonato als inhaltliches wie stimmliches Zentrum des Werks das Publikum. An ihrem präzisen, maskulinen Spiel können sich durchaus noch einige schmachtende Jungs ein Beispiel nehmen. Mit guter Maske, ohne peinliche Hosenrolle, in dunkler Mähne hängt ihr das Publikum an den Lippen und an ihrem überirdischen Mezzo. An ihrer Seite Ekaterina Siurina als Giulietta, die verspricht, was die Netrebko zur Premiere sicher gehalten hat. Etwas abseits der Handlung, doch mit zwei wunderschönen Arien im 1. Akt der starke Joseph Calleja mit klingendem, klarem Tenor. Der wie immer hochwertige Chor gibt hier den geteilten Schillerauftritt als Gefolge der jeweiligen Parteien. Das in kleiner Besetzung präzise und auf vertrautem Niveau spielenden Opernorchester folgt dem anscheinend innig mit Bellini vertrauten Yves Abel.

Hätte sich diese hitzige Kühle im Gasteig ebenso produziert? Wahrscheinlich, doch dann hätten wir auf die hervorragende szenische und charakterliche Arbeit der DiDonato verzichten müssen. Denn da wird dem Zuschauer  und Zuhörer heißkalt.

Musikalische Leitung Yves Abel; Inszenierung Vincent Boussard; Bühne Vincent Lemaire; Kostüme Christian Lacroix; Licht Guido Levi; Dramaturgie Rainer Karlitschek; Chor Sören Eckhoff; Romeo Joyce DiDonato; Giulietta Ekaterina Siurina; Tebaldo Joseph Calleja; Capellio Goran Jurić; Lorenzo Andrea Borghini; Bayerisches Staatsorchester; Chor der Bayerischen Staatsoper

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Ge-Stückl-te Geschichtsstunde – Der Stellvertreter im Volkstheater

[singlepic id=1462 w=320 h=240 float=left]In einem Interview mit dem Merkur ließ Stückl durchblicken, dass er rein zufällig bei einem Berliner Bücherflohmarkt auf das Leseheft mit Hochhuths beginnendem Dokumentardrama gestoßen sei. Er kannte es nicht, es hätte ihn interessiert, dann hat er‘s inszeniert. Nun läuft es seit geraumer Zeit an seinem Volkstheater.

Ein wichtiges Stück aus den Sechzigern, dass die Untätigkeit oder das schwierige Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus aufarbeitet, sich akteweise in den Akten vergräbt, deklamiert und dialogisiert, um dem Kern der Auseinandersetzung von Regime und Religion näher zu kommen. So wichtig das Thema, so leicht daran zu scheitern. Das ist nun Stückl mit seiner Fünffachgeschichtsstunde passiert, bei dem selbst der geneigte Volkstheaterfan oder Historiker den Pausengong sehnsüchtig erwartet.

Stückl bettet aus überdeutlich pädagogischen Gründen die Handlung in einen Rahmendialog zwischen zwei Studenten in einer weder besonders realistischen noch artifiziellen Bibliothek ein (Bühne/Kostüm: Stefan Hageneier). Auch das Studentenleben folgt eher Stückls Logik als realistischen Unibedingungen (und das im Dokutheater). Fesche, intellektuelle Posterboyjünglinge, die wahlweise der Neonredaktion oder der katholischen Universität entsprungen scheinen, schöngeistern und diskutieren sich die Seele aus dem Leib, bevor sie verspätet und mit etwas Bühnenzauber in die NS-Handlung springen.

Das Problem ist dabei die dauernde pädagogische, moralische Keule auf beiden Zeitebenen. Der wichtige Grundkonflikt wird dermaßen gedehnt, zerkaut, aufgedröselt, dass die Dramatik schwindet, die Emotionen verschwinden. Das darf im Dokutheater passieren, soll im politischen Theater so funktionieren. Doch dann muss es besser gespielt sein. Das junge Volkstheaterensemble ist mit dem textlastigen Vielsprechen überfordert. Schwer zu verstehen, ohne genügend Töne und als Akteure blaß stemmen sie Hochhuths hohen Sprachanspruch nicht. Es sei niemand beim Namen genannt.  Doch der Wechsel von übergroßen Gesten, nerviger Sprachmelodie und Scherenschnitten von Charakteren lässt den Besucher sehr kalt. Das ist bei der essentiellen Thematik nicht zu entschuldigen und auch durch faden Bühnensprinklerregen nicht zu erzeugen.

Was aber tun? Die Finger davon lassen? Es den Profis überlassen? Nicht von ungefähr wird Hochhuth selten gespielt, Kipphardt praktisch nicht mehr. Wie geht man mit dem Stoff um, ohne sein Publikum zu verlieren? Rettung naht aus der Maximilianstraße!

Die Kammerspiele nämlich führen es vor! Mit Elfriede Jelineks Rechnitz (Der Würgeengel) überfällt den Zuschauer die Drastik, die Härte und das Grauen der NS-Vergangenheit mit verwandten Methoden (Aktenstudie, Tätersprache, hist. Handlung). Doch die böse Stimme aus Österreich verwandelt die kalte Akte in heiße Anklage, macht aus Horror Kunst, ohne an Substanz zu verlieren. Der ebenso textlastige Botenbericht wird dann von grandiosen Sprechern (allen voran die große Hildegard Schmahl) direkt dem Publikum entgegengeschleudert, erzeugt Abscheu, Verwirrung, Berührung. Auf diese Weise lernen wir und werden angesprochen. Erleiden sozusagen stellvertretend das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiter. Am Volkstheater wird vom Leid nur stellvertretend und geschwätzig erzählt.

Die sicher zahlreichen Schulklassen, die den Stellvertreter am Volkstheater sehen werden, lernen dadurch durchaus etwas aus der Geschichte, doch nichts vom Theater und seiner Wirkung.

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Castorfs Gonzo – Kasimir und Karoline am Resi

[singlepic id=1460 w=320 h=240 float=left]„Aufhören! Bitte aufhören! Lesen sie doch mal den Horvath!“ Dies war nur eine Reaktion des zumeist empörten Publikums, das dann auch zuhauf den Saal des Resi vorzeitig verließ.

Nein, man brauchte den Horvath nicht gelesen zu haben, um Castorfs Version in München zu sehen. Es war sogar besser, weder Horvath, noch Theater im klassischen Sinne zu erwarten, oder gar ein stringentes Volksgemälde zur Wiesnzeit. Denn es wäre nicht Kusej und schon gar nicht Castorf, würde nicht, wie in allen seiner jüngeren  Arbeiten ein Text- oder episches Stück durch die Mangel gedreht und daraus ein hochgradig selbstreferenzielles, postdramatisches Kabarettstück destilliert. So auch beim Kasimir, seiner ersten Münchner Inszenierung nach 20 Jahren und vor seinem erwarteten bis befürchteten Ring kommenden Sommer in Bayreuth.

Dazu kommt der bewusst provozierte, gewollte, sinnentleerte und ironischerweise trotzdem funktionierende Skandal. Kasimir uriniert aufs Kreuz und lässt sich danach kreuzigen. Franz (massiv gesteigert seit der Ära Dorn: Shenja Lacher) steigt, nachdem ihm bereits live und ohne Tricks ausführlich der Hintern versohlt wurde, in Kunstkot gebadet aus dem zentralen Ausstattungselement (Bühne: Hartmut Mayer) Klosett und rezitiert den Zauberlehrling. Karoline entmannt die weibliche Mitspielerin via Gummischwanz und wirft ihn dem echten Pony zum Fraß vor. Dazu noch eine Prise Lokalhumor über die Bayern und der immer wieder gerne genommene Rundumschlag auf die Brechterben samt unlauterer Liedverwendung aus der Dreigroschenoper. Dazu noch ein surrealer Offenbachcover von zwei Laien-(?)-animierdamen in breitem Thai-Bayrisch. Berstende Theaterglaskrüge, Körperflüssigkeiten, Nacktheit, Dreck.

Alles das wird bewusst als Skandalzitat der großen Regietheaterzeit verwendet und funktioniert als reiner Selbstzweck – noch kommentiert von Kasimir, der in einer der vielen Sollimprostellen das traurige Ende des Theaters verkündet. Doch das Publikum spielt ehrlich entrüstet mit. Da wird gebuht, gegangen, kopfgeschüttelt, von den Verbliebenen jedoch lautstark gelacht, wenn unter der Internationale das Bühnenwirrwarr zum irren, intertextuellen Schauspielvirtuosenwahnsinn ausartet und sich niemand mehr ernst nimmt. Weder im Parkett noch auf der vollgesauten Szene. Horvath läuft dabei im Hintergrund. Davor stehen große Mimen und lassen die Sau raus.

Überhaupt die grandiosen Darsteller. Birgit Minichmayr rotzt in beeindruckendem Tempo die innere Leere der leichten Göre Karoline mit nervigen Obertönen, tiefem Stöhnen und einer offenen Naivität hin, dass allein sie den Besuch lohnt. Der leider in dieser Spielzeit nicht mehr vertretene Nicholas Ofczarek spielt mehr mit dem Publikum als mit den Kollegen, was auch ihm mit Schmäh und dem Charme eines Budenlungerers gelingt. Er moderiert die Zwischenrufe, prophezeit die baldige Erlösung des leidgeprüften Publikums und hält allein mit seiner physischen Präsenz die losen Fetzenszenen, Sketche und Extempores zusammen. Wie Marc Hose-mann die – der Kalauer sei wie in den 4 Stunden Castorf erlaubt – großen Selbigen seines Vorgängers füllt, sei noch zu prüfen. Jürgen Stössinger rührt und reizt die Lachmuskeln als linke Travestiemutti mit roter Flagge. Bibiana Beglau präsentiert eine vielseitige Einsicht in diverse, verschiedenste Charaktere. Immer wunderbar überdreht und spürbar nah am Publikum, wie an den Rollen. Allein Götz Argus geht in diesem Zurschaustellen und weniger Schauspiel etwas unter.

Was aber will uns Castorf damit sagen? Will er die letzten, lange gebrochenen Tabus der modernen Bühne erneuern? Will er sich selbst einen Abgesang des Regietheaters dahinszenieren? Will er ganz ordinär unterhalten? Vielleicht alles oder doch nur etwas Gonzotheater vom Feinsten. Vielleicht will er nur die betroffenen, empörten Abonnenten zufriedenstellen mit ihrer Ablehnung seines Schaffens. Hat das empörte, fliehende Publikum damit zwischenrufend Recht? Wer Horvath will, vielleicht. Wer Castorf will, wird dagegen voll auf seine Kosten kommen, und kann noch darüber nachdenken, ob nicht der provozierte der artifiziellste Skandal ist. Gerade auf der Bühne. Also bitte nicht aufhören.

 

Besucht wurde die Vorstellung am 12.11.2012

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Ein einstürzender Altbau – Bieitos Kirschgarten im Residenztheater

[singlepic id=1459 w=320 h=240 float=left]Am Ende bleibt der Spucker. Mit diesem beginnt auch Tschechows Adelsabgesang, der sehr jetztzeitig im Resi stattfindet. Guntam Brattia als neureicher Kaufmann schmatzt inmitten des Parketts an einem Butterbrot und verteilt Brösel ausladend und sprühend spritzig über die umsitzenden Zuschauer. Er ist ein Emporkömmling, ein Rohling ohne Manieren und das wird scherenschnittig bereits im Prolog klar. Dass man den brösligen Überfall verzeiht, liegt an Brattias nichtsdestotrotz sympathischer Ausstrahlung hinter dem Derben, Dummen, Kahlen und Kalten des Neureichen, der den Kirschgarten und das Erbe der verarmten Bourgeosie übernehmen wird. Ganz im Gegenteil zu seinem kühlen Killermanager aus Die Götter weinen gibt er hier haptisch fühlbar und mit einer verstörenden Nähe den pragmatischen Verschlinger, den Modernisten und Verweser. Das Spucken entschädigt er am Ende mit Gratisbrut für die Abrissparty.

Überhaupt wird mit dem Betonhammer zerstört bei Bieito. Der kahle, auf Sand gebaute Rohbau (Bühne: Rebecca Ringst) bricht sukzessive und lautstark in sich zusammen, wie die Figuren. Diese degenerieren bereits in ihrer Einführung zu Pappkameraden und Funktionsmöbeln von Bieitos Leichenschau. Allein Sophie von Kessel als Andrejewna darf Zwischentöne produzieren, wenn sie von Tabletten vernebelt langsam ihr Schicksal dämmern sieht. Auch sie ist physisch fassbar, zerbrechlich, authentisch und traurig.

Daneben Varietéfiguren angeführt von dem sinnentleert, doch komisch locker aus der Hüfte spielenden Manfred Zapatka, ähnlich wie sein Firmenkönig in Die Götter weinen. Keiner hört ihm zu und er verkennt die Lage, doch ist sichtbar damit zufrieden. Alle verkennen sie die Notlage des Guts oder wollen sie schlichtweg nicht wahrhaben. Auch Bieito nimmt seine Charaktere nicht zu ernst. Was bei Tschechow noch ein Diener ist, wird bei ihm mit der Rolle Jascha zum notgeilen Hipster (etwas viel: Franz Pätzold). Sprichwörtlich zum Möbel deklamiert und deklassiert er als guten Einfall den alten, störrenden Firs – Jürgen Stössinger bietet eine gelungene Neuauflage seiner Kasimir und Karoline-Travestie. Auch Friederike Ott gibt eine überdeutliche Warja – irgendwann in verhärmter Krankenschwesterntracht. Diese wiederum wird vom Belorusspüppchen Marie Seiser (ätherisch spröde) gespiegelt (Kostüme: Ingo Krügler).

Ab der Hälfte spielen die Figuren dann Historientheater und kleiden sich in historischen Kostümen zur Live-Untermalung der Bühnenmusiker. Nötig wäre das nicht, denn den Text tastet Bieito nicht an, bleibt ganz nah an Tschechows lakonischer Komik zwischen Verzweiflung und geliebten Weltschmerz unter dem dicken Boden eines vollen Wodkaglases. Nur die Figuren entfremdet er zu Betonklötzen, die er zermalmt. Eine vielschichtige tragikomische Figur, wie sie Tschechow eigentlich immer anlegt, bleibt nicht. Dafür Baulärm, Dosenbier, Geschrei und kaputte Menschen.

Vielleicht spuckt Bieito selbst etwas lakonisch dem alten Russen hinterher und gönnt ihm keinen ruhigen Abgesang auf einen Kirschgarten, sondern reibt uns die Brösel des einfallenden Altbaus direkt und mit Gewalt sprichwörtlich unter die Nase.

Tschechow erlaubt das mit Abstrichen. Die Frage bleibt, ob dies sein Godunow am Nachbarhaus auch kann.

Regie Calixto Bieito; Bühne Rebecca Ringst;Licht Tobias Löffler; Kostüme Ingo Krügler; Dramaturgie Andreas Karlaganis; Sophie von Kessel Ljubow Andrejewna Ranjewskaja, Gutsbesitzerin; Marie Seiser Anja, ihre Tochter; Friederike Ott Warja, ihre Adoptivtochter; Manfred Zapatka Leonid Andrejewitsch Gajew, ihr Bruder; Guntram Brattia Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, Kaufmann; Lukas Turtur Pjotr Sergejewitsch Trofimow, Student; Gerhard Peilstein Boris Borissowitsch Simeonow-Pischtschik, Gutsbesitzer; Ulrike Willenbacher Charlotta Iwanowna, Gouvernante; Thomas Gräßle Semjon Pantelejewitsch Jepichodow, Kontorist; Katrin Röver Dunjascha, Dienstmädchen; Jürgen Stössinger Firs, Diener; Franz Pätzold Jascha, ein junger Diener

Besucht wurde die Vorstellung am 29.01.2013

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Kriegenburgs Ring an der Münchner Staatsoper als Menschheitsgeschichte – Eine Regiekritik

[singlepic id=1458 w=320 h=240 float=left]Wie viele sind an der Tetralogie gescheitert. Wie viele wurden von der Presse gescheitert, gescholten und getriezt. 2012 hat es nun also der Schauspielmann Kriegenburg nach seinen massiven Achtungserfolgen mit dem Wozzeck an der Staatsoper und dem Prozess an den Kammerspielen versucht. 2013 wurde der Ring zum Wagnerjahr mit einigen Umbesetzungen natürlich wieder aufgenommen und wird zu den Opernfestspielen erneut aufgeführt.

Um es vorweg zu nehmen: Die Regielinie ist grandios, schlüssig, neuartig und liefert bei den – selbst für barfüssige Wagnerianer manchmal zähen – 21 Stunden des Rings (bis auf den 2. Walküreakt) Schauwerte, Bühnenzauber und Kurzweil beim Untergang der Götter. Ein wirklicher Skandal ist ihm dabei bis auf die im Grunde zahmen Walkürenrosse wie dem betulichen Euroschaukelross (Gott sei Dank?) nicht gelungen.

Kriegenburg legt den Ring anthropologisch an und will nichts weniger als eine ästhetische Menschheitsgeschichte vorlegen, die als simpler wie genialer Ansatz mit Menschen und um Menschen spielt. Herden von bewegungs- und einsatzbereiten Statisten füllen die ausladende Staatsopernbühne. Zu Beginn des Rheingoldes als friedliche, picknickende weiße Urgemeinde vor dem Sündenfall der blauen Besudelung, die die Menschenhorde dank blauer Farbe in einen schönen, wabernden, aus Körperliedern fließenden Rhein verwandelt, der die berühmte Ouvertüre im wahrsten Sinne des Wortes ausfüllt. Sie kehren den ganzen Ring hindurch wieder, als gepeitschte Knechte des Nibelungen, als “comic-relief”-Ensemble der Schmiedeszene und immer wieder als Lichtmenschen, die anhand elektrischem Bühnenbeleuchtungszauber, einer subjektiven Kamera gleich, Licht auf die Sänger werfen, Intimität erzeugen und machmal notwendigerweise auch das Licht wegnehmen.

Zweisamkeit gibt es deshalb keine. Selbst in der dialogischen Annäherung zwischen Siegmund und Sieglinde bleibt die menschliche Staffage dabei, und wichtiger noch zwischen den Soli. Sie verhindern eine Annäherung der Blutsverwandten und erzeugen doch einen wahrhaft menschendeln Schutzraum für die folgende, inzestuöse Verschmelzung der Geschwister.

Nicht umsonst hat Spencer Tunick diesen Ring begleitet und mit gleicher Bildsprache der nackten, bemalten Körper fotografisch sozusagen eine Analogaussage zu Kriegenburgs Ansatz im Haus auf die Stufen vor dem Haus hingeworfen. Die Aussage der beiden Künstler ist eine Verwandte: Der Mensch entwickelt sich und gipfelt in der Katastrophe der Moderne. Nach drei lyrischen Teilen ist dieser nämlich bei Kriegenburg über die Antike (Götterstatuen des Rheingolds) und das Mittelalter (Ritter der Walküre) und die Industrialisierung (Pistolenkampf bei Fafner im Siegfried) in der Jetztzeit der Eurokrise angekommen. Die Rheinsöhne und -töchter sind nicht mehr die blau gischtenden, freien Körper, sondern vertaktete, synchronisierte Büromasse mit Aktenkoffern in aschfahlem Alltagsgrau. Die leere Bühne füllt sich mit Kapitalismus-Tand und die Natur – im Siegfried noch menschliche Bäume – verkommt zum eingetüteten Schauobjekt hinter Glas. Siegfried passt ebenso wenig wie die Idee des Freien, ja Menschlichen in diese kalte Jetztzeit und geht mit dem ganzen System im Rahmen eines Bankenbrandes unter.

Erst am Ende lässt Kriegenburg die weißen Menschen zurückkehren, die Gutrune – das Zentrum seiner optimistischen Schluss-Idee – trösten und in eine menschlichere, positive Zukunft nach dem Weltenbrand zurückführen.

 

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