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Die arme Teufelin – Faust im Residenztheater

[singlepic id=1979 float=left w=320 h=240]Lange hat München nach dem missglückten Experiment am Volkstheater auf einen neuen Faust gewartet. Nicht nur Lehrer und Abonnementstraditionalisten werden nun beglückt sein. Das Resi hat eine Faustoffensive gestartet, die anhand von Nebenprojekten, Lesungen und Diskussionen das Dramendrama wieder dorthin rückt, wo es allein im Schulkanon immer gewesen ist: Ins Zentrum der klassischen deutschen Literatur jenseits gefälliger Einzeiler, Bonmots und entfernter Adaptionen der Popkultur.
Der Chef macht das natürlich selbst und schart die stärksten Stammkräfte, ein motiviertes Haus und allerlei Aufwendungen um sich. Kusejs Faust überrascht dabei zunächst mit Lust zum Zitat und frechem Mut zur Lücke. Nicht nur fallen jegliche metaphysische Stellen dem Strich zum Opfer, sondern ganze Szenen werden eingedampft, umgedeutet, metaphorisiert und heraus kommt ein rein weltlicher, atheistischer Faust, die Geschichte des Lustgetriebenen, des Unstudierten, der im Wahn nach dem Rausch zwischen Pädophilie, Selbstzerstörung und Zweifeln an der Seite einer armen Teufelin zerbricht. Gemäß einer neuen Inszenierungsmode kommt nämlich der weibliche Mephisto recht kläglich daher. Der Teufel ohne Macht mit den abgerissenen Flügeln, die als Narben auf dem schmalen Rücken prangen, oszilliert zwischen nihilistischer Orgienlust und gottvergessener Perspektivlosigkeit einer grauzonenhaften Welt, die Böses nicht mehr ahndet und Gutes nicht mehr belohnt. Die Wette verliert dabei an Attraktivität, also berauscht er sich mit diesem müden Faust und testet, ob dessen Abstieg ihn aus seiner Lethargie herauszureißen vermag.
[singlepic id=1978 float=right w=320 h=240]Kusejs Faust kommt zeitlos daher und dabei trägt er die Jahrhunderte seiner (Über)Rezeption doch in sich. Ein wenig scheint dieser Faust auch seiner Stückgeschichte müde zu sein. Deshalb die krasse Schere und die epochalen Einsprengsel aus der Tragödie zweiten Teils. Die Bühnenmaschinerie rumpelt wütend mit Feuer und Explosionen zwischen Auerbachs Fightclub und Gretchens steriler Zelle. Übrig bleiben die destillierten Stammthemen des mehr und mehr Operntableau liefernden Intendanten. Die Zwänge der bürgerlichen Familie, ausgestaltet durch die neugedeutete und eingeführte Figur von Gretchens Mutter. Kopulation und Rausch als Mittel zur Selbsterkenntnis und das Stemmen gegen die postmoderne Ahnungslosigkeit durch den Mann und die (zwischengeschlechtliche) Gewalt als Paradox auf die Liebe. Alles das sucht und baut sich Kusej in seinem Faust zusammen und gestaltet einen tristen, harten und aufgrund der vielen Leerstellen allein in der Gretchentragödie überzeugenden Kurzgoethe für Fortgeschrittene. Es gelingen einprägsame Bilder einer lyrischen Walpurgisnacht, die leider durch skandalersoffenen Quatsch wie Pferdeschwanzmelken in der Hexenküche und das erneut langweilende Statisteriegevögel abgeschwächt werden.
[singlepic id=1977 float=left w=320 h=240]Vorhersehbar positioniert er seine Deutung in der urbanen Tristesse der vielseitig gelungenen Bühnenskulptur von Aleksandar Denić. Der Drei-Etagenbau zwischen Baukran, Waschraum, Zelle und Unterführung birgt alle Handlungsflächen im Stadtregen und hinter Maschendrähten. Analog kleidet Stammausstatterin Heidi Hackl das Personal in Retroschick, Leder und Kaufhausklamotte. Erwähnenswert das spektakuläre Szenenlicht von Tobias Löffler, der die Fetzenszenen präzise und ästhetisch schneidet.
In diesem dunklen Nichts agieren starke Kräfte. Antagonistisch, unsympathisch, grob und gewaltig kommt Werner Wölbern als Faust daher. Ein schwankender Bacchus, ein Oldboy mit blutigen Händen und verkokster Schnapsnase, der den Exzess spielt und brüllt und spürbar macht. Die ausgesprochen negative Darstellung des suchenden Goethegenies konterkariert er durch die selten so präzise gespielte Verzweiflung eines Mannes, der nicht weiß, wie er mit dem beglückenden, langweilenden Gretchenaufriss umgehen soll. An seiner Seite der Skandal in Person, der Körper der Inszenierung und das Zentrum dieses Teufelsspiels: Bibiana Beglau färbt ihren Mephisto in dunklen Schattierungen, teils unentschlossen, immer extrem und physisch spürbar. Etwas weniger Körperlichkeit, weniger Grand Guignol und mehr leise Töne hätten ihr gut getan. Der Zuschauer kennt sie mittlerweile beim Röhren und gestützten Kreischen, doch sie überrascht ihn mit tieftraurigen, ehrlichen und erfrischend entstaubten Goetheversen. Wenn ihre Kunstnarben sich vom Rücken ablösen, sie keine Verrenkungen tanzt und ohne Grimasse spricht, sieht man eine starke Frau, die einen noch stärkeren Mephisto gibt. Zurückgenommen, doch physisch anderweitig gefordert, überzeugt Andrea Wenzl als geerdetes Gretchen. Ihre einprägsame Stimme bricht das dumme Ding zu einer liebenden Frau, die alles opfert und ihren Körper deutlich hingibt. Wenzl rührt, verstört und bleibt als neues, modernes, bluttriefendes Gretchen in Erinnerung.
[singlepic id=1976 float=right w=240 h=320]Wird dieser Brutalofaust in Erinnerung bleiben? Der Western, dessen inflationäre Bühnenschüsse sanften Silvesterduft in den Zuschauerraum treiben, der explodiert, wenn die Handlung stillsteht und nach all den Drehungen der finsteren Bühne die irdischen Fragen allein beantwortet? Am Ende ist niemand erlöst, niemand gerettet. Das Nichts regiert, der Teufel und sein Faust gehen ab und München hat einen diskutablen neuen Goethe mit starken Abgründen und fraglichen Strichen. Es stellt sich nicht die Frage „Was bleibt?“, sondern „Was bleibt übrig?“.

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