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Das Leben des Timon, 06.06.2013, Theater Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik

[singlepic id=1568 w=320 h=240 float=left]Ein Stück von Shakespeare, das ich nicht kenne? Kein Wunder, handelt es sich bei Das Leben des Timon doch um das am wenigsten gespielte Stück des großen englischen Dichters. Dem Theaterensemble “Viel Lärm um Nichts” ist es gelungen, es aus der Versenkung zu holen, aufzupolieren und es zu einem brandaktuellen Stück zu machen.
Geld regiert die Welt, und die Freundschaften. Timon ist sehr freizügig und gibt sein Geld mit vollen Händen aus. Er ist ein Kunstmäzen, er greift Freunden, die in Not sind, unter die Arme, er schmeißt rauschende Partys, bei denen sich zwielichtige Gestalten auf seine Kosten bestens amüsieren. Apemantus ätzt als einziger gegen ihn, während alle anderen ihm förmlich in den Hintern kriechen. Sein Verwalter Flavius warnt vor dem drohenden Ruin, aber Timon will nicht hören. Und im übrigen würden sich seine Freunde ja um ihn kümmern, wenn es ihm schlecht ginge. Denkt er. Und dann ist es passiert, Geld alle, Kreditwürdigkeit dahin, Freunde weg. Timon wird vom Menschenfreund zum Menschenfeind und verbarrikadiert sich im Wald. Dort findet er per Zufall Gold und schon stehen alle wieder auf der Matte. Diesmal durchschaut Timon sie aber und rächt sich mit Hilfe des Feldherren Alkibiades an den Athenern.
Die Neuübersetzung von Regisseurin Margrit Carls bringt Aktualität ins Stück, ohne die elisabethianischen Bezüge zu verlieren. Ihre Regie ist sehr personenfokussiert und so gelingt es spielend, dass Daniel Pietzuch, Sven Schöcker, Catalina Navarro Kirner und Alexander Wagner ohne große Kostümwechsel 26 verschiedene Personen darstellen und diese auch authentisch und glaubhaft rüberbringen. Besonders eindringlich ist das Spiel von Andreas Seyferth in der Rolle des Timon, er zieht alle Register und schlägt das Publikum in seinen Bann. Astrid Polak als Flavius besticht mit ruhigem, intensiven Spiel. Die Figuren sind in graue Einheitsanzüge gekleidet, und unterscheiden sich nur durch verschiedenfarbig geschminkte Gesichtsmasken, mit Ausnahme von Timon und Flavius. Das bewirkt, dass auch vier Personen eine Masse darstellen. Das ist wirklich sehr geschickt gemacht, ebenso wie das zwar spartanische aber durch seine Wandlungsfähigkeit trotzdem ausdrucksstarke Bühnenbild.
Ein Theaterabend auf sehr hohem Niveau. Weitere Vorstellungen jeweils Donnerstag bis Samstag um 20 Uhr, Karten von 10€ bis 18€ (Donnerstag 7€ bis 15€) können hier vorbestellt werden oder sind an der Abendkasse erhältlich.

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Premiere Esclarmonde, 26.05.2013, Anhaltisches Theater Dessau

Fast auf den Tag genau 124 Jahre ist es her, dass die Oper Esclarmonde des französischen Komponisten Jules Massenet während der Weltausstellung in der Pariser Opéra-Comique ihre Uraufführung hatte. Am Anhaltischen Theater Dessau wurde sie jetzt erstmals in Deutschland gespielt und man darf schon fragen, warum das so lange gedauert hat.

Kaiser Phorcas ist mit Hilfe von Zaubermächten an die Macht gekommen. Müde seines Amtes, will er seine Tochter Esclarmonde zur Kaiserin machen und ihr auch seine Zauberkräfte übertragen. Bedingung dabei ist, dass sie den Sieger eines Turniers an ihrem 20. Geburtstag heiratet und sich bis dahin nur verschleiert zeigt. Aber Esclarmonde ist verliebt, sie hat den Ritter Roland gesehen und ist ihm rettungslos verfallen. Bestärkt durch ihre Schwester Parseis, die eigentlich über sie wachen sollte, nutzt sie ihre Zauberkräfte, um Roland auf eine einsame Insel zu bringen. Dort gestehen sie sich ihre Liebe und verbringen eine Liebesnacht. Am Morgen muss Esclarmonde zurückkehren, verspricht Roland aber, jede Nacht bei ihm zu sein. Als seine Heimatstadt Blois angegriffen wird, stattet sie ihn mit dem Schwert des Heiligen Georg aus, das ihn aber nur so lange beschützt, wie er ihr treu ist. Mit Hilfe des Schwertes besiegt Roland den Anführer der Sarazenen. Zum Dank dafür soll Roland die Tochter des französischen Königs heiraten. Dieser lehnt dankend ab, kann seinen Unwillen wegen seines Versprechens an Esclarmonde aber nicht begründen. Als der Bischof ihm trickreich sein Geheimnis entlockt, erscheint Esclarmonde und ist entsetzt über den Verrat. Nur mit Hilfe ihrer Geister kann sie fliehen, Roland bleibt mit den Bruchstücken des Schwertes verzweifelt zurück. Phorcas kommt zurück aus seiner Einsiedelei und zwingt Esclarmonde, auf Roland zu verzichten, da dieser sonst sterben würde und sie Kaiserthron und Zauberkräfte verlieren würde. Roland möchte sterben und nimmt deshalb an dem Turnier teil, an dessen Ende Esclarmondes Ehemann bestimmt wird. Roland gewinnt das Turnier und kann endlich seine Esclarmonde rechtmäßig in die Arme schließen.

Ein Märchen für Erwachsene, ein Ritterroman sei Massenets Esclarmonde, und so wurde das Stück von Regisseur Roman Hovenbitzer in Szene gesetzt. Er setzt auf große Gesten, die das Geschehen manchmal etwas künstlich wirken lassen, was aber wiederum sehr gut in den Kontext des Ritterromans passt. Leider gibt es nicht ganz das zuvor in der Einführung von Operndirektor und Dramaturg Felix Losert versprochene Happy End, aber der Phantasie des Publikums sind keine Grenzen gesetzt. Die Bühne von Tilo Steffens besticht durch symbolträchtige Bilder und seine Kostüme lassen den Zeitrahmen offen. Besonders gut gelungen sind die Videoeinspielungen von Barbara Janotte, die sehr ästhetisch sind. Erwähnenswert ist auch das sehr schön gestaltete Programmheft im Art Nouveau Stil. Hier finden sich sehr viele Hintergrundinformationen, die zum Verständnis der Oper beitragen. Leider fehlen die Bilder fast gänzlich, vielleicht kann man hier über einen Einleger nachdenken.

Gesungen wurde an diesem Abend auf ganz hohem Niveau. Angelina Ruzzafante ließ ihren Sopran strömen und präsentierte die zahlreichen Spitzentöne glasklar, aber ohne Schärfe. Leider blieb ihre szenische Darstellung ein bisschen dahinter zurück, die heiße Liebe zu Roland wirkte etwas lendenlahm. Gesangstechnisch ihr kongenialer Partner war Sung-Kyu Park als Roland. Ebenfalls gesanglich und auch szenisch oberste Liga waren Rita Kapfhammer als Parseis und Ulf Paulsen als Kaiser Phorcas. Komplettiert wurde das hervorragende Ensemble durch David Ameln als Eneas, dem Verlobten von Parseis, und Nico Wouterse als Bischof von Blois. Der Chor, Extrachor und der freie Opernchor coruso waren von Helmut Sonne ganz hervorragend einstudiert. Die Anhaltische Philharmonie unter der musikalischen Leitung von Daniel Carlberg ließ die wunderbare und durchaus eingängige Musik von Massenet strömen. Ein Höhepunkt im musikalischen wie auch übertragenen Sinn war sicher das Zwischenspiel im zweiten Akt, das die Liebesnacht von Esclarmonde und Roland symbolisiert. Ein besonderes Lob gebührte an diesem Abend der Statisterie des Anhaltischen Theater Dessau. Die Darstellung der Geister und insbesondere die wirklich berührende Darstellung der von Roland abgewiesenen französischen Königstochter rundeten diesen fantastischen Opernabend ab.

Zum wiederholten Mal bereitet mir das Anhaltische Theater Dessau einen Opernabend, den ich nicht so schnell vergessen werde. Wer diesen gehobenen Schatz noch sehen möchte, hat noch am 15. und am 29.06.13 Gelegenheit dazu. Der Abend ist auch eine weitere Anreise wert.

 

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Der Bettelstudent, 20.05.2013, Gärtnerplatztheater (in der Philharmonie Köln)

[singlepic id=1536 w=320 h=240 float=left]Nach Boccaccio in 2009 und Viva la Mamma! in 2011 war das die dritte konzertante Aufführung eines Gärtnerplatz-Stückes, das ich in der Philharmonie Köln erlebt habe. Wieder gelang es allen Beteiligten, die Atmosphäre des Stückes einzufangen und auch bei einer konzertanten Aufführung das Schauspielerische nicht zu kurz kommen zu lassen.

Dazu genügten die Kostüme und ein Möbelstück. Und ein Ensemble, das mit Lust dabei war. Ich gestehe, mir hat Der Bettelstudent anfangs nicht gefallen, ich fand die Melodien irgendwie doof und bis auf den Schulterkuss kannte ich nichts. Das hat sich nach dem zweiten Mal sehen und hören aber schon geändert und nun haben sich die Melodien in meinem Kopf festgesetzt und spuken da von Zeit zu Zeit rum. Musikalisch war es sehr schön und durch den weitgehenden Wegfall des Szenischen (lediglich die Auftritte und Abgänge und, soweit es die Platzverhältnisse zuließen, choreographische Elemente wurden gespielt) konnte ich mich ganz auf den Text konzentrieren und habe diesmal wirklich alles bis ins kleinste verstanden 😉

Elvira Hasanagic ist wirklich eine ganz fantastische Laura. Ihr glockenheller Sopran überstrahlte bereits im Prinzregententheater mit Leichtigkeit auch große Ensembles, hoffentlich gibt es ein Wiedersehen mit der talentierten jungen Sängerin. Zusammen mit ihrem Bühnenpartner Daniel Prohaska, der wieder dem Symon Symonowicz sehr schön Stimme und Gestalt verlieh, sang sie das Liebesduett Ich setz den Fall ausgesprochend berührend. Auch das zweite Paar, Simona Eisinger als Bronislava und Mathias Hausmann als Jan Janicki, glänzten in ihrem Duett besonders, beide sind wirklich hervorragende Sänger und Darsteller. Besonders gut gefallen hat mir übrigens die Kombination von Tenor mit Bariton; die eigentlich vorgeschriebene Tenor/Tenor-Variante kann ich mir insbesondere in den Duetten von Symon und Jan gar nicht richtig vorstellen. Köstlich auch wieder die vier sächsischen Offiziere, angeführt von Holger Ohlmann. Der Ollendorf bekam für die extra für Köln gedichtete Strophe des Couplets rauschenden Applaus. Torsten Frisch sächselte den Enterich akustisch sehr verständlich und machte die Rolle damit zu einem kleinen Höhepunkt. Susanne Heyng bei ihrem wirklich letzten Auftritt für das Gärtnerplatztheater vor dem Ruhestand, Franz Wyzner, Frances Lucey und Martin Hausmann komplettierten das bestens aufgelegte Ensemble.

Der Chor zeigte, dass er auch singen kann, wenn er nicht spielt, und Florian Wolf, Stefan Thomas und Marcus Wandl erfüllten ihre kleinen Soli mit Leben.
Ein sehr schöner Abend, der nicht nur mir Spaß gemacht hat. Schade, dass die Vorstellung gleichzeitig die Dernière war.

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Martha, 17. und 18.05.2013, Gärtnerplatztheater (im Theater Heilbronn)

[singlepic id=1534 w=320 h=240 float=left]Gelangweiltes Luxusweibchen möchte zur Abwechslung mal leben wie die gemeine Dienerschaft und lässt sich als Magd anheuern. Einer ihrer Chefs gefällt ihr zwar, aber ihr Standesdünkel gewinnt die Oberhand. Sie haut kurzerhand ab, ohne die Kündigungsfrist einzuhalten, und macht sich über ihren Chef noch lustig. Als dieser sie entdeckt und sie an ihre vertragliche Verpflichtung erinnert, lässt sie ihn sogar ins Gefängnis werfen. Erst als sich rausstellt, dass er ihr sozial und finanziell ebenbürtig ist, macht sie sich an ihn ran und kann schließlich den dicken Fisch an Land ziehen.

Eigentlich eine ziemlich blöde Kuh, die Lady Harriet Durham, aber Friedrich von Flotow hat ihr so schöne Melodien auf den Leib geschrieben, dass man ihr verzeihen kann. Auch ihre Gesellschafterin Nancy, die ebenso snobistisch ist und sich am Ende den Ziehbruder des Adeligen in disguise angelt, ist keine sympathische Figur. Außerdem finde ich die Inszenierung von Loriot zwar ganz nett, viktorianisch angehaucht mit schönen choreografischen Elementen. An einigen Stellen übertreibt er es aber ein bisschen, so zum Beispiel mit diesen doofen Pferdchen, die nichts anderes machen als einmal über die Bühne zu hüpfen und damit einen Riesenapplaus einsacken. Hier wird die Manipulation des Zuschauers zu offensichtlich, um noch Spass zu machen. Oder wenn der Kellner (in diesen beiden Vorstellungen wirklich hinreißend gespielt) hinten Krach und Spässchen macht, während der Tenor vorne eine wirklich zauberhafte und sicher nicht ganz einfache Arie singt. Ich mag es nicht, wenn man Musik vorsätzlich stört, und auf ironische Brechungen kann ich gerne verzichten.

[singlepic id=1535 w=320 h=240 float=right]Warum ich dann bis nach Heilbronn reise, um mir die vorerst letzten beiden Vorstellungen anzusehen? Weil ich die Musik unglaublich gerne mag. Und ich die Chorszenen liebe. Ich kann nähen, ich kann mähen, ich kann säen…, neben dem Mondlied aus Die Lustigen Weiber von Windsor, ist mein Favorit. Und wenn der hervorragende Chor und Extrachor des Gärtnerplatztheaters auf der Bühne steht, ist es eine Lust und eine Freude, zuzusehen und zuzuhören. Chormitglied Marcus Wandl sang sogar den Richter, von ganz hinten auf der Bühne füllte er das Theater bis in den letzten Winkel, in dem ich saß, mit seinem kräftigen Bass. Glänzend auch wieder Christian Schwabe als Diener des Lord Tristan sowie Annette Müller, Isabella Chamier und Simone Stäger als Mägde.

Neben meinem Lieblingschor war es natürlich auch wieder schön, einige bekannte Gesichter zu sehen. So gefiel mir Martin Hausberg als besagter Lord Tristan an diesen beiden Abenden wirklich ganz ausgezeichnet, und auch Holger Ohlmann war als Plumkett szenisch und musikalisch bestens disponiert. Die Gäste Johannes Chum als Lyonel und Inga-Britt Andersson ergänzten die beiden sehr gut.
Es bleibt zu hoffen, dass die beiden als “zum vorerst letzten Mal” angekündigten Vorstellungen nicht die letzten waren und dieses Schmuckstück dann im wiederöffneten Stammhaus am Gärtnerplatz wieder ins Repertoire aufgenommen wird.

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Luxus statt Romantik – „Sei lieb zu meiner Frau“ in der Komödie

[singlepic id=1528 w=320 h=240 float=left]Eine skurrile Ausgangslage ist Teil des Grundrezepts einer guten Boulevardkomödie. Diese hier ist sehr gut. Mann A bittet Mann B netter zu seiner Frau zu seiner, damit diese dank ihrer erfüllten Affäre eine bessere und glücklichere Ehefrau wird. Dem Gesetz des Screwball folgend befindet sich natürlich Mann A ebenfalls in einer außerehelichen Beziehung mit der Frau von Mann B. Knoten gewickelt und bereit zu reißen. Jeder schläft mit der Anderen, die Frauen lernen sich kennen, alle landen in einem Hotel, kreuzen sich auf der Terrasse und das Chaos nimmt seinen Lauf. René Heinersdorff spielt mit der altbekannten Konstellation und inszeniert sich und einige Promis in diesen Wer-mit-wem-Strudel. Er variiert dabei den temporeichen Klassiker dieser Genres „Madame es ist angerichtet“ von Marc Camoletti. Dabei fehlt Heinersdorff allerdings gerade in der ersten Hälfte das Tempo, der Querwitz und der berühmte Sinn für irres Verwirrspiel und skurrile Situationen, die die französische Komödie auszeichnet. Die deutsche Variante holpert ein wenig, wiederholt frech die Konstellationen mit dem Zweitpaar, doppelt Scherze und verlässt sich auf Grimasse und Gesicht. Die typische komische Figur spart er sich dabei und inszeniert nur parallel und analog seine beiden Pärchen miteinander, nacheinander, aneinander… [singlepic id=1529 w=320 h=240 float=right]Die zweite Hälfte in Istanbul zieht an und steigert die Pointendichte nach einigen verqueren Fetzenszenen der ersten Hälfte zur überfälligen Konfrontation der untreuen Doppelpärchen. Gleichzeitig allerdings verstrickt er sich in Logiklöcher der Erkennung, Deckung, um den untreuen Altjungs die Schlusspointe zu schenken und weiterhin ohne Moral und Sorge lieb zueinander sein zu könne. Dabei spickt er seine guten Dialoge mit allerhand gescheiten Sätzchen und scharfem Spott. „Wir verwechseln Luxus mit Romantik“ beschwert sich Sabrina über ihre Affäre mit dem ältlichen Lover. Darin liegt das Problem dieser Boulevardkomödie. Die Affäre birgt keine Liebe, keine Erfüllung, nur Leere, Sex und Selbstbestätigung. Wo interessanterweise auf großer Bühne der Moralismus zurückkehrt und das große Drama wieder zu Werten zurückkehrt, da feiert die kleine Komödie das lustige Bäumchen-Wechsel-Dich ohne schlechtes Gewissen und im Grunde ohne Happy-End. Das hätten die Großmeister der Liebe, die Franzosen eleganter gelöst! Schade wenn die Geschichte und die Charaktere der Pointe geopfert werden. Beworben wird das Ding mit TV-Rumpelstilzchen Hugo Egon Balder, der wohl durchgebräunt Grimassenbauerntheater macht und mit seinem bekannten Staungesicht aus „Genial Daneben“ sich selbst gibt. Aalglatt und ordentlich daneben Dorkas Kiefer als Wirbelwind. Heimersdorff selber schreibt sich die schönsten Pointen selbst ein und gibt den soften Softsoftie. Den Abend rettet und erobert Maike Bollow, die problemlos das Promiensemble an die Wand putzt, einen Sinn für Stimme, Dosierung, Pointe und Charakter zeigt. Ihr Haspeln, ihre Weiblichkeit und ihre Ehrlichkeit selbst im größten Irrsinn erlauben die witzigsten, schönsten und stärksten Momente dieser Frauen-liebelei. Davon mehr! Weniger von Anderem. Wie schöne wäre es beispielsweise Maike Borrow einmal in der „Madame“ zu bestaunen.

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Mimik = Mimesis – Satansbraten in den Kammerspielen

[singlepic id=1527 w=320 h=240 float=left]Nun auch das Plagiat an den Kammerspielen! Und zwar gewollt, transparent, als Stilmittel und geglückt. Theater plagiiert nämlich durchsichtigsterweise Film durch Film, filmisch und gefilmt. Nach Schiller beobachtet dabei das Publikum eine Ochsentour von Nachahmung zur Manier zum Stil, indem Nachahmung an diesem manierierten Abend stilbildend ist. Als goldenen Ochsen hat man dazu Rainer Werner Fassbinder, das schwierige, komische, geniale Theater- und Filmtier geschlachtet und die Obduktion auf die Bühne erhoben.
[singlepic id=1526 w=320 h=240 float=right]Regisseur Stefan Pucher macht es sich dabei einfach und schwer zugleich – und überzeugt; das sei vorweggenommen. Mit großem Aufwand nämlich rekonstruiert er Bild für Bild, Szene für Szene mit wenig Abwandlung des Films für die Bühne nach. Selbiges Experiment scheiterte unter Gus van Sant‘s Anspruch „Psycho“ nach Hitchcock eins zu eins nachzudrehen. Wär er nur auf die Bühne der Kammerspiele gegangen, denn der Medienwechsel von der Linse ins Theater machts.
Dabei wählt Pucher zudem einen unbekannteren Titel, der dem Zuschauer – selbst beim g‘scheiten Einführungspublikum – praktisch unbekannt ist. Doch youtube ermöglicht es; der Vergleich ist verblüffend. Ausstattung, Kulisse, Kostüm, Text und vor allem – und vor allem chapeau – das „mimische Material“ wird erschreckend und grandios imitiert. Dazu später. Filmisch macht man das ganze nach neuer Regiemode durch die Kamera auf der Bühne. Mit Handgerät abgefilmt und live auf diverse Leinwände und Untergründe projiziert entsteht eine dreidimensionale Theateroptik, die den Bühnenrahmen sprengen und erweitern kann. Gleichzeitig von hinten persönlich sichtbar, teils abgefilmt und von vorn beobachtbar, dabei lautverstärkt im Ohr dröhnend und von allen Seiten bei der Kunst bespiegelt, leisten die Akteure hier Großes und multiplizieren Bühnen- und Kameraspieltechnik zum einem großen Ganzen. Das kumuliert dann irgendwann darin, das der Schauspieler mit seiner eigenen Einblendung einen Dialog führt zwischen Konserve, Bühnensprechen, dabei eine seltsame wie passende Metaebene aus filmischer Bühne, Bühnenfilm oder Filmbühne produziert.
[singlepic id=1525 w=320 h=240 float=left]Schön dabei zu sehen, dass nach dem innovativ Minimalismus all überall die Theatermache noch knarzt, Wände verschoben werden, Frauen samt Bädern von der Decke schweben und Bühne wieder Bild sein darf. Der Clou dabei in Tapete, Intarsie und kameradurchsichtiger vierter Wand das Interieur der Kammerspiele perfekt zu kopieren (Cheffälscherin: Stéphanie Laimé), multipliziert das Spiel mit der Kopie und zieht eine schöne neue Ebene ein, die uns unsicher macht, wer hier spielt, wo sitzt und was sieht. Kino macht Theater. Sinnvoll, wenn diverse Tatörter sich ja auch frech von den Bühnentieren Münchens bedienen.
[singlepic id=1524 w=320 h=240 float=right]RDas muss man erst einmal stemmen. Ohne Nachlasser und in einem Kostüm- und Rollenwust arbeiten sich die Mimen an Fassbinders irren Dialogen ab. Sie folgen dem Theaterethos der gesteigerten Wirklichkeit, überziehen die Originale ein wenig mehr, legen eine Schippe nach um das, was vor der Kamera besteht auf der Bühne gelingen zu lassen. Wolfgang Pregler imitiert nicht nur, sondern macht sich den Filmkranz dermaßen zu eigen, dass ein Eindruck zwischen staunendem Erschrecken und Respekt zurückbleibt. Pointensicher gibt er Autor, George, Egomanen und schafft es diese furchtbare Figur distanziert genug vorzuführen, damit das Lachen nicht im Halse stecken bleibt. Kongenial und Hit des Abends Brigitte Hobmeier zwischen überzogener Karikatur der femme fatale und laufende bebrillter Verklemmung mit einer staunenswerten Wandelbarkeit. Annette Paulmann erdet diesen guten Irrsinn und beweist, wie man mit wenig die Stimmung durch großes Können in Sekundenbruchteilen ins Tragische kippen lassen kann, was die wüste Revue braucht und von ihr geliefert wird. Sehr cool und gelackt Edmund Telgenkämper kroetziger als das Original, stark und abgründig Thomas Schmauser als Ernst im Methodmode und schön wie gut Genija Rykova trotz Lädierung grandios. Diese chargieren zwischen Linse und Rampe, geben alles, sparen wenig und tun das, was ein Fassbinder verlangt und die Bühne dankt: Sie gehen in die Vollen und zeigen, das gut kopiert eben immer noch besser ist als schlecht erfunden.

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Gut meinen und gut machen – Oliver! von und für Kinder und Jugendliche in der alten Kongresshalle 21.4.2013

[singlepic id=1515 w=320 h=240 float=left]„Mächtigstes Bildungsmittel“, „moralische Anstalt“, „Schule des Lebens“ – was hat man das Theater in Bezug auf die ästhetische Bildung für Kinder nicht alles genannt. Der pädagogische Gehalt wurde dabei seit dem Mittelalter gerade für Heranwachsende nie unterschätzt, sollte es auch nicht werden! Wie wichtig, gewinnbringend und erfüllend die Theaterarbeit für die Kleinen und schon etwas Größeren sein kann, beweist Oliver! als Mitmachmusical vorbildlich.

Eine Bühne voller begeisterter, disziplinierter und gut gelaunter Kinder zeigen, wie man es macht: Mit Begeisterung, professioneller Anleitung und staatstheatralischer Unterstützung werden sie Teil des großen Ganzen der Bühne. Dabei wird von Regisseurin Julia Riegel das Diderot-Motto beherzigt, dem sich leider zu wenige Kinder- und Jugendtheater verschreiben: „Man muss es nicht nur gut meinen, sondern auch gut machen.“

Hier wird gemacht und gut geliefert, als seien es Große. Mit wenigen Mitteln ein ordentliches und vielseitiges Bühnenbild, mit guten szenischen Ideen eine Nummernrevue weit über dem Niveau der meisten Schultheatervorstellungen, mit top einstudierten Semijugendprofis und einem Gespür für Besetzung eine runde Sache, die bei Jung und Alt funktioniert. Die professionellen Regieideen eines Marionettenkinderspiels, der bemalten Tische wie der gut integrierten Leinwand erfreuen die Kleinen und beeindrucken die Größeren. Hier werden Kinder auf der Bühne und im Publikum nämlich ernst genommen, was im Genre der Kinderunterhaltung leider auch zu selten passiert. Lionel Barts schmissiger Sound mit einigen Ohrwürmchen helfen da ebenso wie die routinierten und augenzwinkernden Gärtnermusiker voller Spielfreude unter Martin Steinlein.

[singlepic id=1511 w=320 h=240 float=right]Unterstützt wird das junge Ensemble vom TV-Gesicht Malte Arkona, seine Erfahrung aus dem Kinderfernsehen nutzend, der einen Fagin zwischen Michael Jackson, Miss Marple und Depp Sparrow abliefert – dabei etwas überzogen daherkommt und bei den Kindern mit weniger mehr punkten hätte können. Allgemein orientiert sich die Produktion an den großen Vorbildern der Twistadaptionen wie zuletzt durch Polanski fürs große Kino. Damit erzeugt auch Julia Riegel große Bilder, große Emotionen und vor allem Authentizität anhand der lebensweltlich agierenden Jungen und Mädchen, die durch ihren Enthusiasmus und ihre Spielfreude die Geschichte wie ihre Emotionen transportieren und nicht nur ihren Altersgenossen nahebringen.

Entzückend Oliver und seine geigende Komplizin mit viel Potenzial für die Zukunft. Daneben ein starkes Ensemble mit vielen klug gewählten Gruppennummern und beachtlichen Choreographien, die mehr Schauwerte als einige langweilige Erwachsenenproduktionen liefern. Das ist kurzweilig, witzig und gewitzt.
Für alle unter 10 ist gerade die zweite Hälfte mit Nancys Schicksal und Tod wohl eine Spur zu gruselig, wenngleich es gelingt, den Sykes aufgrund seiner Jugendlichkeit weniger dämonisch und damit genau richtig auszuinszenieren. Die ein bisserl Älteren werden dafür in Olivers Welt hineingerissen, durchunterhalten und mit der launigen Schlusspolonaise genau dorthin geführt, wo Jugendbühne hinleiten muss: Zur Begeisterung für das Weltmedium des Theaters und der Musik.

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Hänsel und Gretel, 14.04.2013, Komische Oper Berlin

Die Bilder der Inszenierung von Reinhard von der Thannen, die ich mir vor der Vorstellung im Internet angesehen habe, wirkten eigentlich ganz schön.Das war es dann aber auch. Mehr als eine opulente Ausstattung hatte der Regisseur nicht zu bieten. Wenn man den Anspruch hat, ein Stück für die ganze Familie zu machen, muss man bei den Kleinsten mit der Interpretation anfangen und kann vielleicht ein oder zwei Kniffe für Erwachsene einbauen. Hier wurde aber in der Interpretation nur auf Erwachsene eingegangen, für die lieben Kleinen sollten die bunten Bilder reichen. Das war aber nicht der Fall, die Kinder und Jugendlichen um mich herum taten entweder lautstark ihre Fragen oder ihre Langeweile kund.

Es ging schon mit der Einführung los. Pavel B. Jiracek, der produktionsbegleitende Dramaturg, redete wie ein Wasserfall, das war auch nötig. Die Ansätze des Regisseurs waren leider nicht selbsterklärend, wie es bei einer guten Regie der Fall sein sollte, sondern mussten vorab erläutert werden, sonst hätte man drei Viertel des Bühnengeschehens nicht verstanden.
Aber wollte ich wirklich wissen, dass “Ein Männlein steht im Walde” eine erotische Komponente hat und auf das sexuelle Erwachen der Gretel hindeutet und man ihr deshalb während des Liedes einen Johnny-Depp-mäßigen Fliegenpilz zur Seite stellte – der aber dann tatsächlich nur irgendwie etwas blöde im Wald umherschlich, mit einem Schlüssel spielte (Keuschheitsgürtel?), von Anmache keine Spur. Oder dass das Zerbrechen des Milchtopfes gleichbedeutend mit dem Abstillen eines Kindes ist? Oder dass Hänsel was mit der Hexe hat? Inzucht hätte doch sicher auch noch gut gepasst, schließlich setzt Hänsel der Gretel den bedeutungsschwangeren Kranz aufs Blondhaar. Ich frage mich wirklich, wie ich die Hälfte meines Lebens und ca. 50 Hänsel-Vorstellungen ohne diese tiefschürfenden Einsichten ausgekommen bin. Ich dachte eigentlich immer, dass Märchen uns helfen sollen, mit unseren Ängsten klarzukommen und nicht weitere zu schüren. Ich Dummerchen, ich.

Mal wieder kann man nicht auf die Kraft der Musik vertrauen und muss das Vorspiel bebildern, in diesem Fall mit computeranimierten Eiern, Lollies und Gebissen. Das animiert natürlich zum Lachen und Reden und störte die wirklich wundervollen Töne, die aus dem Orchestergraben kamen. Hänsel und Gretel sind dank gleicher Kleidung und fast gleicher Frisuren kaum zu unterscheiden und haben manchmal Hasenmasken auf, denn Hasen sind naiv. Oder so. Die Mutter hat die Hosen an, trägt aber in Wahrheit ein schickes Kleid, das irgendwie nicht zu der angenommenen Armut passt. Dafür darf der schwächliche Vater in langen Unterhosen und mit Dreirad auftreten, seine Shorts hatte er wohl im Suff auf den Gepäckträger geschnallt. Statt Speck, Zwiebeln und Kaffee gibt es überdimensionierte Eier. Der Milchtopf ist ein Plastikeimer und richtig lächerlich wird es, als man im Augenblick des Zerbrechens den Klang von zerbrochenem Porzellan einspielt. Schnell ab in den Wald, durch den Schrank, ja, genau, wie bei “Narnia” oder “Alice im Wunderland”. Dort sieht man die Bäume vor lauter Besteck nicht. Anscheinend war sich der Regisseur unschlüssig, ob er jetzt den Hunger oder das Erwachsenwerden thematisieren wollte. Richtig gruselig ist dort eigentlich nur die Engeltravestie. 14 halbbekleidete stilisierte männliche Engel, die sich an dem Abend zuvor im Don Giovanni gut gemacht hätten, hier aber völlig fehl am Platz waren, vollführen einen hausbacken wirkenden Tanz mit Bewegungen, die schon in den Siebzigern unmodern waren. An dieser Stelle wird nicht zum ersten Mal deutlich, dass der Choreograph nicht unbedingt die Musik im Sinn hatte, als er seine Arbeit machte. Besonders ärgerlich ist das Zerstören der Musik durch die beiden Knaller am Schluß des Tanzes und das Herzeigen von Pavianhintern (Warum???) der Tänzer. Das Taumännchen scheint aus der gleichen Show entsprungen zu sein, mit Glitzerschuhen und lächerlichen Ballons unterm Rock. Fast erwartete ich hier auch ein Platzen, denn in der Einführung wurde erwähnt, dass jedesmal, wenn die Religion ins Spiel käme, Luftballons zerplatzen würden, denn nicht sie schützt die Kinder, sondern die Musik. Aha.

Die arme Gretel muss an Turnringen über die Bühne schwingend die Traumerzählung singen. Rücksichtnahme auf Sänger kennt der Regisseur also auch nicht. Das Hexenhaus ist eine überdimensionierte Torte, auf der die grünlich schillernde Hexe wie eine fleischfressende Pflanze thront, Kinder, die aussehen sollen wie in Kokons eingesponnene Maden, marschieren vorüber. Vielleicht sollten es aber auch eher vorbereitete Freßpakete für die Hexenspinne sein, das würde irgendwie mehr Sinn machen. An dieser Torte ist alles künstlich, es gibt für Hänsel und Gretel hier absolut nichts zu essen, warum bleiben sie dann eigentlich da?
Der Zauberstab der Hexe ist eine Krücke, die sie aber anscheinend nicht wirklich benötigt, eigentlich ist sie noch ganz gut zu Fuß. Der weitere Verlauf wird immer abstruser, Hänsel und Gretel werden Plastiktüten über den Kopf gezogen, die Hexe stürzt eher beiläufig in ein Loch in der Torte, das wohl den Ofen symbolisieren soll, um gleich darauf wieder putzmunter auf der Torte zu stehen. Die Kinder setzen ihre Madenbrillen ab, bevor Hänsel und Gretel sie berühren, beziehungsweise berühren sie sie ja gar nicht, sondern scheinen eher Angst vor ihnen zu haben. Am Ende tragen Mutter und Vater ihren persönlichen Schrank mit sich rum. Warum? Keine Ahnung.
Entschädigung für die szenische Themaverfehlung kam aus dem Graben und von der Bühne. Das war wirklich wunderschön musiziert, das Orchester unter Kristiina Poska schwelgte in Humperdinck und ließ dennoch den Sängern Raum für Textverständlichkeit der Extraklasse. Maureen McKay als Gretel und Karolina Gumos als Hänsel ergänzten sich prächtig und ließen die Töne fließen, dass es eine Lust war. Ariana Strahl als Sand-/Taumännchen war wirklich ganz bezaubernd, Carola Guber als Gertrud und Stefan Sevenich als Peter komplettierten das Ensemble auf hohem Niveau. Lediglich Frederika Brillembourg hat mir nicht gefallen, das hat aber vermutlich daran gelegen, wie ihre Rolle angelegt wurde. Der Kinderchor war von Dagmar Fiebach ganz hervorragend einstudiert.
Nachdem dies die erste Inszenierung der Märchenoper von Engelbert Humperdinck an der Komischen Oper Berlin ist, hätte ich dem Haus eine Interpretation gewünscht, die weniger offene Fragen und Kopfschütteln zurücklässt.

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Hänsel und Gretel, 07.04.2013, Bayerische Staatsoper

[singlepic id=1516 w=320 h=240 float=left]Über die letzte Vorstellung in dieser Spielzeit hab ich wieder drüben bei mucbook geschrieben.

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Die Leiden des jungen Publikums – Werther nach Goethe am Volkstheater

[singlepic id=1494 w=320 h=240 float=left]Man kann wütend und traurig aus dem Theater kommen. Im besten sowie im schlechtesten Falle. Die Wertheradaption am Volkstheater stellt idealtypisch Letzteres dar.

Nach Goethe wird dort dessen Durchbrecher, Everburner, Briefroman und Schulbuchklassiker eingestampft, durchgedreht, ausgetanzt und an seltenen Stellen wiedererkannt. Vom Werther verbleibt dann allein texttechnisch maximal ein trauriges, verstrichenes Fünftel.

Dabei beginnt es gar nicht mal so schlecht. Die allesamt jungen fünf Darsteller laufen sich warm im grellen Bühnenlicht vor kahler Wand; ja auch im Volkstheater zeigt man neuerdings und innovationsbedingt Unverputztes.

Leider bleibt es dabei. Das Laufen läuft ins Leere, die Regieidee ist damit bereits schon am Ende. Der Rest uninspiriertes Textverteilen und Missverstehen von Charakteren, Handlung und eben dem Werther. Der mittlerweile etablierte Regiegriff der Dopplung von Figuren – meisterhaft durch Kriegenburg beim Kammerspielprozess vorgeführt – wird dabei weder durchdrungen noch durchgehalten. Dazu das leidige Problem des Sprechniveaus und der Verständlichkeit des jungen Volksensembles im Haus. Man folgt den im Grunde ja leichten und sprecherfreundlichen Texten nicht, da sie nicht gebracht werden. Nach der Reihe scheitern die Schauspieler leider am leichtesten Goethe.

Ohnehin vertraut Regisseur Gehler dem Text unverständlicherweise nicht im Geringsten. Hilflos vertanzt und verfilmt er Pantomimenhandlung, um das Publikum scheinbar nicht zu überstrapazieren. Dafür langweilt er es mit überlang ausgewalzten Regieblitzchen die ausgekocht werden, bis das fade Partygehüpfe auch die letzte Bühnenemotion ertränkt. Die mit Morricone-Elektro-Georgel unterlegten Ensemblemomente bilden dabei noch die Höhepunkte dieses uninspirierten Abends, der es schafft die TV-Schmonzette Goethe! zum Thema Werther deutlich zu unterbieten.

Zu den Darstellern: Pascal Riedel gibt den Titelhelden anscheinend bewusst emotionslos inszeniert und auf exakt einem Sprechton/-tempo leiert er die an sich so emotionsgeladenen Bruchstücke der Vorlage herunter und verliebt sich in Publikumsextempores, die ihm mehr Erfolg bescheren, aber der Figur nicht zuträglich sind. Da kalauert er sich durch die Ränge und hüpft konzentrationsverlustig in seiner eigenen Welt durch den Applaus. Leider ließ er uns nicht an der Gefühlswelt Werthers teilhaben. Damit er nicht zu viel und zu lange sprechen muss, stellt man ihm zwei Stichwortgeber Männlein a und Weiblein b zur Seite. Das negiert die notwendige Vereinsamung der Figur leider vollkommen, ermöglicht aber noch mehr Hüpfen. Lenja Schultze spricht dabei ebenso fad, wie ihre inhalts- und charakterleere Figur angelehnt ist und schafft es leider mit dem Rest des Ensembles nicht, den Pferdetakt zu halten. Justin Mühlenhardt – einige lichte Momente – gibt einen Wilhelm/Bauernburschen mit famoser Überschätzung der Spiegelfigur nach Goethe. Noch weniger wird Albert verstanden, sondern gleich komplett verraten. DJ Albert holpert Knarre ziehend im Sido-Look und doch moralisierend, dabei den Werther teils doppelnd, ebenfalls vom Text überfordert und verzweifelt ob des Wohin-mit-den Händen um seine Turntable (Sohel Altan G.). Zuletzt Mara Widmann als Lotte. Eine Ikea-Paradiesstiege führt vom Schnürboden herab (Bühne: Sabrina Fox). Herunter tritt aber dann doch die sehr irdene Widmann. Ihre Lotte ist eine doofe, langweilige, nichtinteressierte und – ist der Schmeichler weg – zickige Göre im hässlichsten Kostüm aller Zeiten. Sie macht es an diesem Abend niemanden leicht sie zu mögen, geschweige denn sich zu verlieben.

Diese schrillen 5 müssen dann 80 Minuten lang die unwichtigsten Werthermomente überreizen, ohrfeigen und erneut viel tanzen. Wie Jugendkultur halt so funktioniert. Drum auch das DJ-Pult, die Batterie Dosenbier und die Null-Bock-Attitüde. Gedrängt wird woanders, stürmen tut‘s nur beim Bierschaum. Aus der Gesandtenszene weiß Gehler freilich nichts anzufangen, ebenso wie mit den starken Natur- und Kunstausbrüchen. Sie fehlen komplett ebenso wie die notwendigen Passagen, die eine Entwicklung der Liebe, der Grausamkeit, der Eifersucht und schließlich der Krankheit zum Tode erschlossen hätten. Dieser Werther stirbt, weil es halt so bei Goethe steht. Und um den missglückten Abend zu beenden.

Unverzeihlich ist das dem jungen Publikum gegenüber, dem ein falscher, fader und blöder Werther geboten hat. Dabei goutiert das gütige Volkstheaterpublikum ja sogar jeden Zuspätkommer, Handyklingler und deren stümperhafte Vereinnahmung der Impro-Dilettanten an der Rampe. Szenenapplaus statt Massenflucht zurück zum Reclam-Bändchen. Dabei sollten Schüler wie Erwachsene jedoch bleiben, um dieser unverzeihlichen Verwurstung fernzubleiben. Unverzeihlich ist dies deswegen, da der Text ja allein reichen würde.

Nimm einen guten Sprecher/Leser, setz ihn an einen Tisch und der Werther erzeugt und bringt mehr als durch diese Ver-Soap-ierung eines zeitlosen Stoffs. Dann verlässt das Publikum auch aus gutem Grunde erschüttert, ja traurig ob der Tragik der jungen Liebe und wütend ob des verschwendeten Genius das Theater. Bis auf ein paar billige Lacher und dem gefühlten Grauen vor schlechtem Adaptierungstheater erzeugt Gehler leider kein Gefühl und hat bei dieser verkorksten Inszenierung wohl auch keines empfunden.

Besucht wurde die Vorstellung am 06.04.2013

Regie: Jan Gehler; Bühne: Sabrina Rox; Kostüme: Katja Strohschneider; Albert: Sohel Altan G., Wilhelm: Justin Mühlenhardt, Werther: Pascal Riedel, Sophie: Lenja Schultze, Lotte: Mara Widmann

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