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Andreas M. Bräu am 15. März 2014 12:54 Garderoben
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Es ist erstaunlich, wie viel Zeit man mit und in der Vorbereitung zum eigentlichen Auftritt verbringt. Ähnlich wie beim Gepäckbank am Flughafen oder im Wartezimmer des Arztes nimmt dabei die Garderobe des Künstlers – neben der Kantine und der Hinterbühne – den zentralen Aufenthaltsraum vor dem Auftritt ein. Allerseltenst bewohnt man diese allein. Was auch sehr einsam sein kann. Meist und vor allem auf Gastspielen drängt sich dort auf engen Raum das ganze Ensemble oft auch nicht geschlechtergetrennt zusammen, um übereinandergestapelt mit einem Teilblick auf den Spiegel noch kurz das Gesicht und den Kragen für das Stück zu richten. Besonders liebe Veranstalter bessern die Stimmung gescheiterweise mit Butterbrezen oder selbstgemachten Keksen auf, in guten Stätten liegen dort alle Necessaires der Maske schon zur freien Verfügung aus. In besonderen Locations sitzt man allerdings auch schon mal zu siebt in einem Baucontainer vor dem Hallentor zum sympathischen Summen des Elektroheizgeräts und dem penetranten Regenprasseln auf dem Blechdach oder noch schlimmer in Hörweite offen hinter der Bühne, was jegliche private Unterhaltung oder Freizeitgestaltung zwischen entfernteren Auftritten konsequent unterbindet. Bei einem Festengagement wird einem typischerweise ein fester Platz mit festem Maskenkoffer zugewiesen, der nicht selten neidisch und stringent gegen Neulinge, die auch gerne einmal im Koffer herumwühlen, verteidigt wird. Zweimal gelang mir der große Clou aufgrund von massivem Herrenüberhang in das versteckte, vorhangverdeckte, geheimnisvolle Elysium der Damengarderobe hinübergebucht zu werden. In Gedanken schweben dort nicht bekleidete Akteursschönheiten umher, kichern und stauben mit Puder. Es roch so fein, allerlei Tand, Perücke und Stola breitete sich über die Kostümständer und der Hauch des Exklusiven, Verbotenen umgarnte das Männerherz. Einmal schmuggelte mich sogar die Soubrette ins Allerheiligste, dem Manne ansonsten niemals Zugängliche, wo Strumpfhalter und beidseitiges Klebeband mit Rouge und falschen Wimpern den Divenzauber bereiten. Den eigenen, männlichen wie weiblichen Fleck stattet man nach Möglichkeit gemütlich aus. Die Nippes-Sammlung aus vielerlei Toitoitoipackerln, die vielen Erinnerungsfotos – gerade älterer Kollegen oft der eigenen jugendlichen Vergangenheit – rahmen oft ein mehrstöckiges Papiertheater um den fleckigen Schminkspiegel herum. Daneben die kahlen oder behaarten Perückenköpfe mit ihrem immer gleichen kalten Styroporausdruck, hat sich niemand erbarmt und ihnen ein Gesicht gemalt. An diesem kleinen Flecken kann ich dann noch einmal ernst mit mir zu Gericht gehen, die Grundierung für den Abend anlegen, die Pointen am Wangenknochen nachziehen, die Dramenfalten glätten oder furchen und oftmals eine Rolle mit ein paar Pinselstrichen erschaffen. Dann überprüfe ich meinen Charakter, steige in mein Kostüm, ver(un)gewissere mich und verlasse das Buben- oder Mädchenstübchen über die Treppe oder Ecke zum Auftritt und das Warten am Band, im Zimmer, vorm Garderobentürl hat ein Ende. Dann muss man hinaus und danach wieder zurück in die Heimat vor dem Schminkspiegel oder die große weite Welt an der Rampe.
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Andreas M. Bräu am 28. Februar 2014 15:15 Jäger und Sammler
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Ein guter Führer ist notwendig. Auf der Straße, in der Fremde und in der Kultur erst recht. Auch zu Zeiten des schnellen Googlens und der langsamen Wikileserei braucht es einen Standardwälzer, der knapp vor der Oper konsultiert werden darf, um die Rheintöchternamen zum vierzehnten Mal zu memorieren, die wirre Trovatorehandlung nachzuzeichnen (am besten mit einem Generationenschema) und um die Mozartdamen nicht erneut zwischen allen Donnen durcheinanderzubringen.
Dem Kulturenthusiasten dient dazu ein vererbter, alter Knaurs Opernführer der schon etwas ausgeleiert doch regelmäßig genutzt immer griffbereit steht. In den Führer – bei den Verlägen seien da keine Präferenzen genannt – sind alle Karten eingelegt, die der stolze Enthusiast besuchen durfte. Bei einer Carmen wird es da schon dicker, beim Ödipus Rex eher schlanker. Das Schmökern im beträchtlich angewachsenen Schinken offenbart ein jedes Mal die eigene Kunstbiographie und erwärmt das Herz. Vertraute Karten der Stammhäuser schmiegen sich an Raritäten von Reisen. Die Karte in der Seite weckt dann die damit verbundene Geschichte jenseits des Kunstinhalts…
Vielleicht von einem lieben Menschen, oder einer Liebe geschenkt, vielleicht mit einer besonderen Erinnerung verbunden? Karten repräsentieren stellvertretend für die Abende in der Oper wie im Theater immer mehr, als nur den einmaligen, produktionsgebundenen Genuss, sondern einen Teil des eignen Lebens; für viele gar einen Höhepunkt der Jahres.
Chenier in Bregenz, Elektra Open Air in Oberammergau, Traviata im Innenhof in Rom; das sind nur Auszüge der Ticketbiographie des Enthusiasten. Er denkt dabei zurück an römische Luft, an die Wiener Philharmoniker zur Elektra, an den Kopf aus dem Bodensee ragend – die Bühne für den Giordano. Er denkt auch an die Tage, die wundervolle Begleitung, das gemeinsame Erleben und sammelt alle diese Erinnerung behelfsweise in seinem Führer.
Das Sammeln aber macht Lust auf die nächste Jagd nach einer neuen Karte, in eine neue Seite, eine neue Erfahrung und einen neuen Schatz für ein Kulturleben. Bis der Führer platzt und erfüllt zugleich.
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Andreas M. Bräu am 15. Februar 2014 16:44 Lass uns was machen…
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Wie oft man diesen Satz zu hören bekommt. Scheiß auf die blöden Vorsprechen und die Wurzen, lass und selber was machen, den Text am besten selber schreiben. Ich kenn wen, der macht Musik, vielleicht macht der auch mit, die hat eh nix zu tun. Dann tun wir uns zusammen und machen was.
Was? Egal, aber ich hätte ne Idee für ne Inszenierung: Kürzlich hab ich so Luftpolsterfolie gesehen und mir gedacht: Wie geil wäre denn das, damit mal die ganze Bühne auszulegen. Damit es ständig so knistert und knackt. Das is‘ doch ne super Atmo.
Welches Stück? Das such‘ ma gemeinsam aus. Tasso, oder so. Und du kannst auch Regie machen, wenn du magst. Des müsst eh einer übernehmen. Dafür könnt ma die Kostüme bei ner Verwandten leihen, die hat endlos viel im Keller. Ja wie ein Fundus. Und Technik mach ma ganz einfach: Anlage vom Haus, und hast du nicht noch nen Scheinwerfer mit dem Rot? Den nehm ma.
Ich hab einfach keinen Bock mehr, für Andere Schmarrn zu machen. Lass uns selber was aufziehen. Wie könnten da im Keller auftreten und du kennst doch genug Leute, die wir dann reinholen und ein Spezl hat ein Praktikum bei der SZ gemacht, der schreibt dann noch drüber und ein anderer, der macht Fotos, das ist seine Leidenschaft und vielleicht macht der dann auch den Flyer und dann ist das ja schon die halbe Miete.
Geld? Du wir teilen alles was übrigbleibt und vielleicht setzt jeder so zum Start für die Technik was ein. Spiel ma halt was Rechtefreies. Schiller ist immer gut, wegen Schulen und so und vielleicht gibt’s dann ja ne Förderung. Du könntest doch so nen Antrag schreiben, dafür reservier ich was für die Premierenfeier. Und ich kenn da noch wen, wenn wir nen Typen bräuchten, der hat schon mal statiert und wirkt total super, den müssen wir mit reinnehmen und der bräuchte eh die Kohle. Wir teilen dann einfach. Vielleicht auch gleich die Arbeit. Ne die lieber nicht, die zickt grundsätzlich bei den Endproben, die Eine dafür, gut die ist älter und nimmer so gut, kocht aber echt klasse. Außerdem mag ich die sehr.
Also wenn du dir die Stücke anschauen könntest. Ich bin da komplett offen. Ich spiel alles. Also wir die Hauptrollen, denn wir haben das Ding ja angestoßen und dann machen wir ne Facebookgruppe und dann läuft die Werbung von selber. Ich stell’s dann auch auf meine Seite. Und Du auf Deine vielleicht auch.
Was? Ne, der hat kein Internet, kennt aber viel Leute. Vielleicht schaut ja dann auch wer Wichtiges zu. Könntest du nicht wen einladen? Dann haben wir ja im Endeffekt alle was davon. Und dann stehen wir beide auf den Flyer vorn drauf und das mit dem Layouten, da kenn ich – glaub ich – auch wen. Das muss ja auch nicht perfekt sein. Werbewirksam halt. Proben könnten wir übrigens ja bei dir, wenn dein Mitbewohner nicht da ist? Dann schieben wir halt die Sachen ein bisschen zur Seite. Wir brauchen ja nicht viel Platz.
Was? Ne Bühne halten wir minimal. Und, ja genau, mit der Luftpolsterfolie. Das findest du auch, nicht wahr? Das ist auch mal was Neues. Vielleicht kriegen wir die irgendwo gebraucht her. Oder kann man da die Post fragen? Klärst du das? Ich mach dafür ne Skizze. Also keine Möbel und Kram, das kriegen wir eh nicht in dein kleines Auto.
Aber vielleicht was mit Video? Das wär sicher cool, wenn das so auf der Folie reflektiert wird. Das können wir auch mit dem Handy machen. Du hast doch ein Neues?
Das wird echt geil. Ach komm, wir können auch was aus verschiedenen Stücken zusammennehmen, dann kann man auch mehr zeigen. Nur so die Essentials. Und vielleicht auf bayerisch? Dann kriegen wir auch die Einheimischen rein. Und es lernt sich leichter! Du könntest doch auf was Singen, oder der eine Spezl mit der Klarinette, der bräuchte auch dringend ne Chance zum Auftreten, den könnte man so an die Rampe setzen, so wie kürzlich bei den …dings. Das wär auch mal was Anderes.
Und es muss ja nicht lang sein. Ohne Pause neunzig Minuten, das reicht und so zwölf Termine am Wochenende, wenn ich Zeit hab. Es muss ja nicht immer ganz voll sein und deine Familie kommt ja vielleicht zweimal?
Ich seh’s das wird super. Und mal ganz was Eigenes und was Neues und echt was Professionelles.
Lass uns das machen.
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Andreas M. Bräu am 30. Januar 2014 16:35 Das Wo beim Was – Theatertopologie
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Es muss nicht immer die erste Reihe an der ersten Geige sein, sollte es auch nicht, denn gerade ganz hinten und ganz oben lernt man loben.
Doch manches Mal bietet der vordere Platz ein grandioses Erlebnis: Kürzlich briet Anette Paulmann als Hausmutti in Armreichweite am Bühnenrand voller Hingabe Rührei. Das war showcooking besser als bei Lanz, direkter und olfaktorisch schon ein Genuss, während sich dabei das Pfanneninnere noch in der dicken Hornbrille der Ausnahmeakteurin spiegelte. Aus der ersten Reihe saß der Enthusiast sozusagen direkt am Essenstisch mit der großen Kunst, durfte selber einen Löffel mitnehmen vom Stück, anstatt wie sonst nur in die Fernsehküche zu lechzen. Das geht übrigens auch vom Balkon: Unvergessen der kollektiv knurrende Magen des ganzen Resipublikums, als Courage Froebess Schnitzel in ihrer Feldküche brutzelte.
Moment jetzt wird’s zu kulinarisch. Bevor wir die Kreditkarte für Kusejs Gorillaaffenküchencirkus zücken müssen – zurück zur Sitzplatznummer. Die Oper verlangt zumindest die dritte Reihe, um nicht nur das Stiefelgeklapper eines Carlos, sondern auch seinen Tenor mitzubekommen – vor allem, wenn weniger Graben als in München ausgehoben wurde. Durch den Pulverduft nach der Cavaradossierschießung erschnuppert man dafür bei der aktuellen Tosca noch vor der verladenen Diva, dass ihr Geliebter tatsächlich das Zeitliche gesegnet hat.
Alles in allem überprüft ja gerade der Stehplatz in der Oper die Akustik des Hauses ebenso wie die Klangfülle der Astralresonanzkörper an der Rampe. Die Wiener Staatsoper schluckt die tiefen Töne wie so manches Haus. Der Sopran trägt sich dagegen glockenklar ins renovierte Rund. Wer da als Bass ankommen will, muss stützen und schicken. Vertrackte Architekturen jenseits des allgemein geliebten Concertgebouws Amsterdam fordern eben alles.
Im Sprechtheater darf es dafür näher dran sein.
Doch dann Obacht: Bühnenblut, Dosenbier, Champagner und Stullenspucke drohen auf die ersten beiden Reihen überzugehen! Mittlerweile wird ja gerne rumgesaut auf modernen Bühnen, selbst in alten Stücken. Eine eigens benötigte Abtropfrinne schützte das RoseBernd-Publikum über Jahre vor der fließenden Dreckbühne. Die Drohung, mit Echtpferd in die erste Reihe zu reiten, verängstige das alte Abopaar dann schon sehr. Mit Gummicape und Hut und Becher lässt es sich da besser aushalten und dann sieht man schließlich jede Regung, jede Zuckung, jedes Lachen, jede Träne, jede… Falte.
Noch schwieriger im Kabarett: Die Angst für den nächsten Gag auf die Bühne geholt zu werden, verdarb einer Begleitung gleich den ganzen Abend. Da half es auch nichts, dass Schauspielkabarettschwergewicht Helmut Schleich die Befürchtung seiner Zuschauer verbalisierte und gleich alle nacheinander zum Kinderliedersingen auf einen Bühnenstuhl bat. Kommen musste dann nämlich keiner.
Es ist demnach gar nicht so einfach akustisch, ästhetisch und abschirmbar zu sitzen. Wie man es macht, es ist verkehrt. Flieht man an den Ausgang nach hinten für etwaiges Aufgeben nach zweieinhalb Stunden Quasirezitation eines wiederentdeckten rumänischen Teilbühnenautors, dann entwickelt sich der Abend so klasse, dass man sich nach vorne wünscht. Erobert man beim wenig besuchten Liederabend die vordere Mitte, fühlt man sich auch nach der endlosesten Zugabe bemüßigt, dem Sänger vor den wenigen Zuhörern ein gutes Gefühl zu geben, wo man sich doch eigentlich nur erst in die Pfälzer und dann ins Bett wünscht.
Tja wo ist fast so entscheidet wie was, aber wann überwiegt das wo das was während das wie irgendwann was wird…?
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Corinna Klimek am 21. Januar 2014 23:38 [singlepic id=1706 w=320 h=240 float=left]Kann man ein Stück, das mehrere tausend Jahre auf dem Buckel hat, heute noch spielen? Und zwar so spielen, dass auch der Mensch der Gegenwart sich damit identifizieren kann? Ja, man kann, wie das Kleine Ensemble München bei der Premiere des Stückes Elektra von Sophokles bewies.
Elektra will den Tod des Vaters rächen. Agamemnon wurde von seiner Frau Klytaimnestra und deren Liebhaber Aeghist getötet. Ihr Bruder Orest ist erst einmal geflohen, kehrt aber zurück, um Vergeltung zu üben. Um unerkannt zu bleiben, lässt er verbreiten, dass er bei einem Wagenrennen zu Tode gekommen ist. So weit die griechische Tragödie. Regisseur Manfred Lorenz Sandmeier verlegt die Handlung in eine psychatrische Anstalt. Elektra ist dort eingesperrt, wird sogar fixiert und mit Elektroschocks behandelt. Dennoch sinnt sie weiter auf Rache. Chrisothemis ist eine Mitinsassin, der Alte ein Wärter und Klytaimnestra die Oberschwester. Orest dringt in die Klinik ein und befreit sie. Das war alles sehr schlüssig, vergegenwärtigt den zeitlosen Stoff und reisst den Zuschauer mit. Der Schluß toppt das Ganze aber nochmal mit eingespielten, satirischen Fernsehszenen, bei denen dem Zuschauer schon mal das Lachen im Halse stecken bleibt. Überhaupt wird viel moderne Technik verwendet, der Chor sind Stimmen, die Elektra hört. Leider waren diese durch den (gewollten) Halleffekt kaum zu verstehen.
Das Bühnenbild besteht aus einem kärglich eingerichteten Krankenzimmer. Leider verhinderten die räumlichen Gegebenheiten, dass man ab der dritten Reihe die recht häufigen Szenen auf dem Fußboden sehen kann. Das ist schade, denn die schauspielerischen Lesitungen sind grandios. Der Regisseur Manfred Lorenz Sandmeier sprang selbst als Klytaimnestra ein und war dann mehr ein Aeghist, meisterte seine Rolle aber gut. Andreas M. Bräu als Orest, der das erste Mal für das Kleine Ensemble München spielte, und Martin Wichmann als Alter waren sehr präsent und fesselten das Publikum mit ihren Rollenportraits. Raphaela Zick ist Chrisothemis und spielt diese naiv angelegte Figur mit großer Hingabe. Der Star des Abends ist aber ganz sicher Julia Mann in der Titelrolle. Ihr Schmerz überträgt sich auf das Publikum und mehr als einmal fragtman sich, ob sie nun wahnsinnig ist oder doch zu Unrecht eingesperrt.
Ein sehr intensiver Abend, ein begeistertes Publikum feierte das Ensemble stürmisch. Weitere Vorstellungen am 23./24/25 Januar in der Blauen Maus und am 30/31. Januar und 1.Februar im Peppertheater.
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Andreas M. Bräu am 15. Januar 2014 13:30 Aller Anfang
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Bereits der erste Auftritt kann entscheiden: Wenn er gut läuft, besitzt du die Gunst des Publikums, läuft er schlecht, kannst du dir den kompletten Abend einen Ast spielen und kein Blumentopf wird mehr gewonnen. Schaffst du einen Auftrittslacher oder gar –applaus, dann trägt dich diese Energie ohne Probleme durch alles, was da auf den Brettern noch an Unabwägbarkeiten kommen mag. Eine Aufgabe ist es dagegen, den Griesgram im Parkett mitte vielleicht doch noch zu kriegen, obwohl ihn seine Gattin gezwungen hat, ins Theater zu gehen. Lacht der am Ende und applaudiert erfreut, dann scheint es als seien der Beruf und der Sinn der Bühne nicht verloren.
Gerade Anfänger tun sich mit dem Anfangen natürlich schwer. Da merkt man dann auch noch die Aufregung über das Auftreten und das aufgeputschten Auffangen durch Auf-den-Putz-Hauen. Das ist meistens schon zu viel des vermeintlich Guten.
Trägt man allerdings kein grandioses Lacherkostüm (Mann in Frauenklamotte, Flaschenbodenbrille, Neonleggings) oder wird gott-sei-bei-mir grandios aninszeniert (aus der Kulisse fallend, von der Decke einfliegend), kann das durchaus schwerfallen. Eine alte Theaterregel besagt: der Gute kommt immer von rechts. Eitle Kollegen hassen deshalb das linke Portal mehr als Probenpfeifer. Sicherer ist die sogenannte a-perspektivische Einführung der eigenen Figur: Sabbeln die Kollegen erst einmal vier Dialogseiten über den netten Retter, der da gleich aus der Papptür stolpern wird, dann erwartet sich das geneigte Publikum schon den rechten Kerl. So geschehen bei einer netten Boulevardproduktion, in der ich diesen guten Eindruck dann stante pedem als Arsch wieder zerstören durfte. Das berühmte Spiel mit den Erwartungen entwickelt sich zum dann zum köstlichen Hättste-nicht-gedacht.
Was immer funktioniert ist Understatement. Die schönste Variante davon durfte ich interessanter- beziehungswiese eigentlich logischerweise nicht von einem Schauspieler, sondern von einem Germanisten lernen. Der ehrwürdige Norbert Miller, ein Universalgelehrter, der als Student schnell einmal seine Jean-Paul-Gesamtausgabe aus dem Cordsakkoärmel schüttelte, gibt ein Vorbild und Beispiel, wie man die Gunst des Auditoriums gewinnt, indem man sich verschmitzt unter den eigenen Scheffel stellt: Miller entschuldigt sich mit mindestens drei Lachern regelmäßig für sein Nuscheln, sein Kleben am Manuskript und seinem wirren Gedankenfluss, um anschließend mit sonorstem viennaschwabinger Bass, freisprechend und Perlen der Weisheit webend die Zuhörer an seine Lippen hängt. Chapeau. So gelingt es natürlich leichter, eine Moderation oder einen Conferenciersdienst zu meistern; doch im Stück erlaubt Buch und Anspielpartner diese Extemporefreiheit meist nicht. Es sei denn, man gibt den Frosch und bekommt im III. Akt Fledermaus ohnehin fünfzehn Minuten Narrenfreiheit, bevor die Handlung weitergeht. Auf den freuen sich die Operettenfreunde allerdings sowieso so sehr, dass man nur mehr die Vorschusslorbeeren einlösen muss, was aber auch erst einmal gestemmt werden will.
Es ist verhext und befindet sich im schwebenden Bereich der wechselseitigen Chemie. Das Publikum spürt eine Schwäche oder Unpässlichkeit deinerseits sofort und willst du sie zu angestrengt kriegen, kannst gleich wieder abgehen und es demütiger noch einmal probieren. Die totale Rampensau nämlich benötigt viel schweinisches Testosteron, um gekauft zu werden und nicht in einer Ferkelei zu enden. Wie kompliziert allein der erster Auftritt, der erste Satz wiegt, das beweist, dass ein Germanist den besten Tipp geben muss, da die Magie dieses Berufs, diese gewichtige Frage nicht lösen kann. Egal ob man rechts oder links ins Fegefeuer der Eitelkeiten geworfen wird. Aller Anfang bleibt eben schwer…
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Andreas M. Bräu am 30. Dezember 2013 17:01 Störer
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Die haben sie doch auch schon in den Wahnsinn getrieben, nicht wahr? Seien sie ehrlich, wir wünschen ihnen nichts Gutes, wenn sie uns nerven, die Störer.
Zischer, Klimperer, Flüsterer, Raschler, Grummler, Fummler, Brummler, Sucher, Huster, Pruster und alle anderen Geräuschproduzenten auf den Plätzen neben uns. Kürzlich quietschte ein besonders Frecher mit seiner Eintrittskarte im Resi so penetrant neben mir, man hätte sich eine der Bühnenknarren gewünscht, um ihn zu verstummen. Er ruhe – ja vor allem ruhe – in Frieden. In der Oper störte ein Störer mit dreistem Münzgeklimpere in der Hosentasche beim Liebestod von Romeo und Giulietta. Den hätten wir lieber gleich in der Nachbargruft, getrennt durch dicken Marmor zur letzten Ruhe gebettet. Ohne zu vergessen, ihm vorher die letzten Münzen für die Überfahrt zu nehmen. Eine schwäbelnde Dame unterbrach einmal tatsächlich kichrig die Andacht im Gasteig, als Kaufmann bei Straussliedern nach dem langen, schönen, elegischen Vorspiel die erste Zeile „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen…“ anhauchte mit einem brachialen: „OH JA DES WÜNSCH MA UNS AA. HAHA.“ Die letzten Lieder vergönnte ich dieser Hobbymeterologin nimmer. Eher einen Sonnenstich mit –brand und Bettruhe bis zum Ende der Konzertsaison.
Seien wir ehrlich, den schlimmsten Bühnentod wünschen wir den Störenfrieden, den Kulturbanausen und Tönern in den Rängen um uns herum. Haben sie denn immer noch nicht kapiert, dass wenn sie sich schon – dem Bronchialexitus nahe – mit letzter Schnaufkraft und einer Familienpackung Hustenbonbons in den Balkon geschleppt haben, das Auspapierln schneller geht, wenn man es nicht ewiglich in die Länge zieht, um vermeindlich leise zu sein, sondern wenn schon, dann herrschaftszeiten schnell und danach still bitte. Es stimmt, die Kranken gehn ins Bett, die Halbtoten ins Theater. Und die Doofen. Nach dem vierten Häh? und Wer war jetz das nochmal? plädiere ich für Schulverweis und Nachsitzen anstatt Klassenausflug zu Shakespeare. Auch Theaterverhalten gehört zur Bildung!
Was aber tun? Aufmerksam machen? Erzeugt nur noch mehr Ton und im schlimmsten Fall Widerspruch und eine Höflichkeitsdiskussion. Gleich geräuschlos um die Ecke bringen? Schwierig in der moralischen Anstalt der Kunst. Überhören? Unmöglich bei den Manieren mancher Kulturgänger. Eines hilft: Versetzen sie den Störenfried in die Rolle des Bühnenböslings und lassen sie ihn an dessen Stelle leiden. Das hilft, da es dem Bösen – wie meist in der Kunst – gerechterweise schlecht ergeht! Schieben sie den Tuschler in den Hexenofen, erdolchen sie den Zischler von hinten, liefern sie den Huster den Ricolariesen und den Klimperer der Guillotine aus. Die Oper und das Sprechtheater hat schon genug im Folterrepertoire, um für Ruhe zu sorgen. Oder zumindest für Gerechtigkeit.
War nicht Scarpia auch ein simpler Störenfrieden der Kunstliebe? Und wie ist es ihm ergangen..?
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Andreas M. Bräu am 15. Dezember 2013 22:23 [nggallery id=98]
Die Germanistik liefert Regalmeter über den bewussten Einsatz von Requisiten, von Ringen, Briefen, Dolchen oder Schmuck. Das alles hilft leider gar nichts, wenn das verflixte Ding vor seinem Bühneneinsatz nicht auf seinem Platz ist! Ehen scheitern an verlegten Ringen, Morde an vergessenen Messern und Besäufnisse an nichtgefüllten Gläsern, wenn die Requisite patzt. Oder natürlich der Schauspieler. Bei kleinen Häusern richtet man sich grundsätzlich selbst sein Zeug vor der Vorstellung her – vergisst man es, muss man dann in den intimsten und oder peinlichsten Momenten schnell mal kurz verschwinden, um den notwendigen Liebesbrief von den Hinterbühne zu holen. So ist es Bruno Jonas als Don Quijchote am Gärtner passiert, was ihn allerdings nicht weiter störte, sondern zu einem kabarettistischen Intermezzo über die Requisite verleitete.
Ein Kollege verzichtete dagegen auf seine Mordwaffe in der „Mausefalle“ und ging anstatt mit dem fehlenden Revolver, der sich verflixterweise auch nach längerer Suche nicht in der Anoraktasche finden ließ, würgend mit beiden Händen auf die Kollegin los. Ihre Verwunderung und Angst war an keinem Abend mehr so real, wie an diesem. Gott sei dank reagierte der eingreifende Polizist auch in dieser Vorstellung rechtzeitig, da die zudrückenden Daumen sicher mehr Schaden als die ungeladene Schreckschusspistole angerichtet hätten. Vor allem wenn es sich um eine typische Kollegin handelt!
Nicht nur Vergesslichkeit auch die Art der Requisitenzubereitung kann mitunter zu Problemen führen. Freut sich noch jeder Opernchor über Essbares bei Mahlszenen („Fresst nicht gleich alles bei der Ouvertüre weg!“), so fällt ein durstiger Statist wie in Stückls „Dreigroschenoper“ am Münchner Volkstheater nur zuleicht über die Freude eines frischen Bühnenbieres aus der Rolle. Selbiger zuzelte sein Bier bei der MeckiMesserHochzeit dermaßen genußvoll, dass ihm die seltene Statistenehre gebührte, die alleinige Aufmerksamkeit des Publikums neben nebensächlicher Trauung zu erlangen.
Im Boulevard auf kleiner Bühne sollte ich etwa 30 Vorstellungen lang eine Cola kippen – Jugendjargon der späten 60-er. Aus Kostengründen wurde diese jedoch mit Zuckercouleur getrickst, der zähflüssigen braunen Lebensmittelfarbe mit Sacharinnote zur Färbung von Soßen. Ein Tropfen in genug Wasser erzeugt Weißwein, etwas mehr Rosé, noch mehr Bordeaux und in Massen zum Colabrauen – Grausen. Ab der 3. Vorstellung nippte ich nur mehr am braunen Trank.
Vorsichtig wurde ich zudem mit intransparenten Flaschen nachdem in eine Champagnerflasche in der „Fledermaus“ mehrere Zigarettenkippen der letzten Feier anstatt reinem Bühnenwasser für den Perlweinakt schwamen. Unvergessen auch der Versuch dem Boandlkramer des „Brandner Kasper“ echten Enzian unterzujubeln – von dem der naive Tod bekanntlich 12 Stamperl auf der Bühne vernichten sollte. Leider kam uns der Kollege selbst bei der Derniere drauf und blieb beim Gebirgsselters. Als dann noch mein Jagdstutzen abhanden ging, feuerte ich aus allen Rohren einer – üblicherweise verdeckten Schreckschusswaffe und es gelang ein Highnoon am Blauberg.
Requisiteure sind Meister des Bauens, Tricksens, die Leute an den Neblern, die Regenschirme im Eimerchen abwaschen, damit sie auf der Bühne tropfen und wahrlich Schaumschlagen können ohne schmutzige Wäsche zu waschen. Sehr bedacht sind sie dabei natürlich ob des Wohls ihrer kleinen Erfindungen. „Mach das bloß nicht kaputt! Das haben wir nur einmal!“ klang vielleicht nur bei 007s Quartiermeister Q ebenso oft und bestimmt, wie von den sonoren Stimmen der ordnenden und konservierenden Requisite.
Nicht zu unterschätzen ist nämlich die Spiel- und Ärgerfreude der Kollegen. Jeder Junge spielt gern mit Schwertern und Pistolen. Bei einigen Bühnenkämpfen wird das zum Selbstzweck. Schauspieler sind und bleiben eben Kinder, weshalb die Theaterwissenschaft vielleicht der Requisitentheorie der Dramatiker eine ganz neue Spielttriebsdiskussion des Schauspielers und seiner geliebten Requisite folgen lassen sollte!
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Andreas M. Bräu am 30. November 2013 12:18 [nggallery id=97]
Ist es nicht erstaunlich, wie leicht man nach drei bis sechs Stunden Spitzenleistung die Gunst des Publikums binnen Millisekunden verlieren kann, indem man es sich beim Applaus verscherzt?
Denn es besteht nur ein Bravo-Ruf Platz zwischen der großen feierwürdigen Diva und dem frechen Hagestolz, der sich übermäßig abfeiern lässt, zwischen dem sympathischen Tenor und der unantastbaren Leadinglady, zwischen der verdienten Grand Dame und dem peinlichen Publikumsanbiederer.
Hier also ein Guide für alle Rampensäue und selbige, die es werden wollen, wie man auch beim Verbeugen vor dem Publikum besteht:
1. Wir wissen es, wie großartig du bist – oder entscheiden gern selber darüber – also versuch uns nicht davon zu überzeugen, indem du deine eigene Größe auch noch überdeutlich bis über den Souffleurkasten hinaussabberst! So geschehen bei Schmalz-Italo-Tenor Vittorio Grigolo (pardon, neuerdings Grigòlo) nach einer ausgesprochen mittelmäßigen Boheme. Da kam der Messias mit erhobenen Händen durchgetreten und grinste seinen Schäfchen zu, weil er sie mit seiner bloßen Anwesenheit erleuchtet hat, ohne auch nur ein Detail der Schenkinszenierung auf den Punkt gebracht zu haben.
2. Eng damit verbunden: die vollkommene Überschätzung der Rolle an diesem Abend (sog. Baritonkomplex). Eine alte Anekdote besagt: Bleibt man beim Verbeugen nur lang genug unten und außer Sicht der Publikums, ist leicht selber das ein oder andere Bravo zu schreien. Und keiner hat‘s gemerkt – außer dem Kulturenthusiasten.
3. Bitte auch nicht das Gegenteil: den schüchtern-ernsten, blutleeren Schüler, so wie drei Viertel jedes Schauspielensembles an die Rampe kriechen, die dem Applaus als bourgeoisen Kontrapunkt der postdramatischen Intellektualität ihres Stoffes misstrauen und lieber wieder zurück auf die Probenbühne zum Grübeln wollen. Das kaufen wir den Bühnentieren ohnehin nicht ab, dass sie der Publikumsgunst schon enthoben schweben, auch wenn sie dafür wieder mal als Einzige (trotz Einführung) das Regiekonzept des Abends durchdrungen haben.
4. Ebenso schlimm der/die Sympathling/-in, der/die den halben Chor umarmt, sich vor Freude überschlägt, die Bühne hibbelig durchrennt und am Liebsten noch den Inspizienten nach vorne zehrt, als wäre er/sie selber noch auf zwei Flaschen Bordeaux und einem Liter Elisir dazu. Etwas Contenance bitte, u. a. Herr Filianoti. Mehr Gesang und weniger Overacting ergibt gescheiten Applaus.
5. Der verängstigte Regisseur. Zugegebenermaßen hat der es schwer, da die Merkurkritik ihre Meinung nur mehr nach den Buhrufen abzählt (4 Grauenhafts von 5). Aber dann stehen sie zu den blutigen Gämsen, den Misteisflächen, den Sofaserails und den Nackig-nackigen bitte. Schließlich seid ihr ja auch dafür verantwortlich. Die Gesichter sind beim braven Zeitlosen – wenn die ‚Juhus‘ kommen – allerdings auch nicht fröhlicher. Ist es der Hunger oder das Schuldbewusstsein? An beidem leidet GonzoCastorf natürlich nicht; bei seinem 13-er Bayreuth-Ring hätte man ihn – aufgegeilt vom Buh – fast mit einem Wasserschlauch von der Rampe spülen müssen, so sehr badete er moonwalkend im Publikumshass. Chapeau, und ab!
6. Bitte nicht die Durchtretzeiten abstoppen, dass sich Madame auch wirklich lange bitten lässt, bis sie…erscheint, dafür gleich in vollkommener Gebets-Haltung mit verschränkten Beinen und den Armen wahlweise nach Holzbläser, Blumenstrauß, Himmel oder Verfolger gerichtet. Länger ist wie beim Allem nicht gleich besser, ja wir meinen auch sie Frau Martínez!
So also nicht. Wie aber dafür?
Mit Mittelmaß: Ein verschmitzter Leo Nucci, der wendiger als in der ganzen Inszenierung nach vorn watschelt und es sichtlich einfach nur genießt. Herzig wie die Netrebko als Mischung aus PrimaAnna und Russin von nebenan. Ruhig die stemm-ige Diva mit Hand aufs Herz – aber bitte dafür auch den Saal aussingen. Denn nicht vergessen, verbiegen allein ist es gar nicht, was den Applaus ausmacht.
da capo
7. Ach ja, Herr Giordano – fast wären sie mir entkommen. Aber dieser Gebärdenpantomimenveitstanz – schlimmer als
bei einem Fußballspieler mit all den Bussis, Winkis, Herzchen und Eigenumarmungen etc. ist dann auch ein bisschen viel.
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Corinna Klimek am 15. November 2013 16:21 [singlepic id=1477 w=320 h=240 float=left]
Eigentlich hat er schon alles gemacht. Doch die Lust an seinem Job war niemals größer. Ob nackt, als Tier, in Frauenkleidern, in vielen kleinen und irgendwann den großen Rollen, unser Blogger Andreas M. Bräu hat vielseitigste Erfahrungen auf den Brettern, die seine Welt bedeuten, gesammelt. Seine Eindrücke aus Kunst, Oper, Staatsbetrieb und kleinem Theater verarbeitet er hier auf den Nachtgedanken mit Hingebung, Ironie, Berufsethos und bewundernden Respektlosigkeiten, um seine Ansichten über das Akteursdasein auszudrücken. [catlist id=2471 numberposts=-1 orderby=date order=desc]
Freitag, 15.11.2013
Der….ah ja Hänger
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Niemand, wirklich niemand ist vor ihm gefeit. Selbst der sicherste Kollege hängt irgendwann wie eine Glocke. Bei einigen textunsicheren Kollegen ist man zwar darauf vorbereitet, meistens leidet man trotzdem mit ihnen. Die große Ungerechtigkeit beim Hängen besteht dabei darin, dass der Helfende und selten der Hängende vom Publikum als stotternder, herumparaphrasierender Clown identifiziert wird, der mit ungelenken Worten die Szene zu retten versucht. Jeder Schauspieler kann Litaneien von Hängergeschichten, Versprechern und Bühnenblackouts berichten. Ich gelte als relativ sicher, weswegen ich öfter von Kollegen drausgebracht wurde. Am Schönsten als der Bürgermeister eines kleinen, fiktiven Bergstädtchens mich als preußischen Adligen samt Kinderchor und Kranz zum Ehrenbürger ernennen sollte, er aber seine komplette Rede vergaß, hustete und mit dem schönen Satz: „Mir fehlen die Worte“ die Szene verließ. Da stand ich mit Kindern und Kränzchen und musste mich zwangsweise selber zum Ehrenbürger erklären, bevor die schnell reagierende Bühnengeliebte mit einem sanften St ins Rückgrat der Kinder deren anschließendes Gedicht auslöste. Man stirbt in diesen Momenten, verflucht den Kollegen und schaut ihm – wie in diesem Moment – schlichtweg fassungslos beim wahrhaftig falschen Abgang hinterher. Schlimmer noch sich die Kamikazekollegen, deren Gedächtnis an falscher Stelle wieder einsetzt und die dann Sätze von lange weggespielten Seiten erfüllt von der Freude, sich an sie erinnert zu haben, einfach an unpassender Stelle wieder einwerfen. „Einen Whiskey!“, sprach die ältere Dame mit vollem Glas in der Hand, vorauf der Rest des Ensembles ebenfalls ziemlich belämmert auf ihr Glas deutetet. „Ach so…“ – und Ex und weg. Selbige liebe Kollegin wählte zudem mit Vorliebe freiere Textinterpretationen, wenn die eigentlichen Einsätze wieder dünn wurden. Die vom Autor noch als nervenberuhigend bezeichnete Harfe wurde da schnell zur Orgel – die Kollegen bissen sich innerlich laut loslachend auf die geschminkten Lippen. Das macht den Dialog nicht einfacher! Lässt sich dank der Musik noch jede Arie mit einem Blaladadida übersingen, wenn das Publikum ohnehin an den Übertiteln hängt, stirbt der Mime im schnellen Screwball tausend Tode. Überhaupt erlauben die faschistoiden Übertitel übrigens jedem Zuschauer oberlehrerhaft über die geringste Textungenauigkeit informiert zu werden. Bei Abweichung wird dann meist gelächelt und zur Nachbarin genickt. Würde man diese digitalen Aushilfssouffleure fürs Publikum im Boulevard einsetzen, keine einzige Tournee könnte mehr in der Bundesrepublik aufgrund massivem Rampenfiebers der Darsteller stattfinden. Plärrt die Souffleuse in der Oper zwecks Anschluss meist jeden Zeilenanfang in die Szene, fehlt sie im Sprechtheater aus Kostengründen meist komplett. Dann ist man auf sich allein gestellt. Im schönsten Fall hat man dann einen glücklichen Hänger. Damit ist das Gefühl beschrieben, nicht im Geringsten für das überlange Schweigen auf der Bühne verantwortlich zu sein. Man sucht die Gesichter der Partner ab, denkt über die Szene nach und im Falle des viel zu späten Dämmerns kann man es nicht schöner sagen, als mit dem Burgveteranen Joseph Meinrad: „Äh … Moment, … ach ja: Schon wieder ich?”?“
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