Alle für die Oper

Alle für die Oper

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Ein Kulturenthusiast muss wetterfest sein. Sei es bei Freiluftaufführungen zwischen Gewitter und Sturmwind, sei es im Schneechaos auf dem Weg zum Theater. Insbesondere aber zur Festspielsaison, wenn die Oper für alle lockt. Was ist das für eine großartige Einrichtung, den schönsten Platz Münchens in ein Festivalgelände zu verwandeln und gemeinsam aneinander gekuschelt der Musik zu lauschen und eine Vorstellung zu erleben, die ansonsten dem betuchten Festspielpublikum vorbehalten bliebe. Das eigene Tuch spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn die Wettergötter stehen mit den Musikgöttern wohl so gar nicht auf einer Seite. Jahr für Jahr regnet es ausgerechnet an diesem Tag mit Vorliebe. Der Enthusiast ging nicht im Rhein, aber im Regen baden, als er 2012 die Götterdämmerung am Platz erleben wollte. Kaum dämmerte die Ouvertüre, ergoss sich auch der Himmel aus allen Kübeln und Hörnern. Die kunstunlieben Aufpasser einer Sicherheitsfirma verboten dämlicherweise einen Luftpolster unter dem enthusiasmierten Unterteil. Die Gefahr einer Stolperschwelle im Gefahrenfalle wäre ja auch massiv gewesen, verblieben doch einige dutzend Wettergegerbte auf dem Platz, als kurz danach der Himmel dämmerte und für etwa zwei Stunden Ruhe mit dem Regen war. Kaum starb aber Siegfried, weinte auch der bayrische Himmel erneut und am Ende des Abends waren Tränen der Erlösung vom patschnassen Regenwasser nicht mehr zu trennen.
Ein R(h)einfall? Oh nein.
Das Wetter man halt nicht kiesen kann.
In diesem Fall nun spülte das Arbeitsschicksal den Enthusiasten auf die andere Seite der Absperrung hinein ins Festspielhaus zur Tellpremiere. Nicht wehmütig, aber ein wenig verwirrt ob der Entwicklung blickte er von den Festivalstufen neben russischer Sopranistin und gealterten Schätzchen hinüber zu den vielen Enthusiasten. Vorsorglich im Cape wurden sie wieder geduscht, doch auch sie blieben, bis der Apfel platzte, ein Regenbogen seine Bahn zum Galopp zog und schlussendlich Luftballons gen Himmel stiegen. Der Enthusiast freut sich über so viele Begeisterte, die das Wetter weniger wichtig als die Kunst nehmen. Was macht schon Nässe aus, wenn Rossini wärmt? Wer braucht einen Sitzplatz, wenn er neben der/dem Liebsten auf der gleichen Decke sitzt? Wer will ausgschamde Käferhäppchen bei mitgebrachtem Sekt und Leckereien? Wer braucht das Schätzchen, wenn er einen Schatz hat?
Am Ende werden sie alle belohnt. Sie haben dem Wetter getrotzt und ausgehalten, bis die Schweiz befreit und der Himmel beruhigt war. Die Soli kamen heraus, der Bachler grüßt, der Applaus brandet auf und das höfliche Zaunpublikum leistet sich weniger Buhs als die Ränge der Ganz-Gscheiden. Warum? Weil sie den Sinn der Oper verstanden haben und nicht nur alle in den Genuss der Musik kamen, sondern alle etwas für die Oper getan haben, indem sie an einem Sommerabend zwischen Kübel, Cape und Tell gezeigt haben, dass es noch immer genügend Menschen gibt, die aus Enthusiasmus und Liebe zur Musik ausharren, genießen, loben und lieben.
Der Enthusiast zieht gerührt seinen getrockneten Hut.

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Media Vita

Media Vita…

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Der wohlvorbereitende Kunstbesucher informiert sich natürlich über die handelnden Personen, die ihn diesmal begeistern sollen. Dafür greift er meist auf die geschönten, knappen Kurzbiographien der Programmhefte zurück. Besser er fliegt darüber, da gerade bei Sängern das immer gleiche Aufzählen der üblichen Partien und Häuser selten neue Erkenntnisse liefert. Das Geburtsdatum gerade der Damen ohnehin nicht, weshalb meist in der Nachbereitung Wikipedia ein respektvolles Nicken oder erschrecktes Zusammenzucken aufgrund von Erhalt oder Niedergang eines Jahrgangs nachreicht.
Tiefstapelei wird bei diesen kurzen Werbetexten der Künstler nicht gerade betrieben. Verständlicherweise. Es kann jedoch sehr schnell ins andere Extrem und Übel umschlagen.
Ein sägender, knödelnder, schmerzender Quasitenor einer besseren Schulaufführung ließ sich auf einer Provinzbühne scheiternd doch tatsächlich als einer der „erfolgreichsten Tenöre unserer Zeit“ betiteln. In welchen Zeiten leben wir? Der Enthusiast dachte, die Zehn, die dieses Attribut verdienen, zu kennen und dieser Brülltamix gehörte nun wirklich nicht dazu. „Auf der ganzen Welt zu Hause“ schien dieser Unmusikvagabund zudem. Was nur bedeuten kann, dass er aus einigen Städten mit ziemlicher Sicherheit von einem heugabelschwingenden Mob an die Landesgrenze begleitet wurde. Von Einbürgerung keine Rede. Der Enthusiast hätte sich nach der Bildnisarie den Anschlussflugsverstärkern angeschlossen.
Dann schreibt man da gerne: Sang den Manrico in New York. Ob mit einem Hut im Central Park oder beim Veteranentreffen in einem Queenser Altenheim steht da freilich nicht. Auch gelesen: Gewinner des Gesangswettbewerbs auf Burg Hinterfels in Chur. Der Enthusiast würde zu gerne so manchen Juryvorstand oder tauben Grafenmäzen einmal kennenlernen, der, um die Burg zu erhalten, mit Preisen um sich wirft, die nur Schaden anrichten, da sie mittelmäßige Sänger mit zu viel Courage ausstatten. Kammersänger der freien Republik Murxsistan wäre da noch ein schöner Titelkauf, oder „sang den fünften Raben im Krabatmusicalsommer am Plattensee“, „begeistert an allen wichtigen Kiosken Südeuropas“ vielleicht? Der Enthusiast driftet ab.
media vita in morte sumus, wie der animus ardor und andere Lateiner wissen. Wenn aber die Vita der einzige mediokre Mittelpunkt eines Künstlerschaffens bleibt, dann stirbt nicht nur das Publikum am schiefen Tenorschrei, sondern dann stirbt auch die Kunst mitten in der Mittelmäßigkeit, die sich auf die Werbeformulierung des eigenen Scheins konzentriert, anstatt Kunst zu sein und ein Sein zu bedeuten. Denn auch die Vita kann schnell der Tod des Rufes sein.
finis aut exitus.

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Pausentöne

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Man kann ja dann doch nicht weghören. Dazu sind die meisten Tuschler zu nah am eigenen Standort, ratschen zu dicht am eigenen Ohr und die Inhalte interessieren den Enthusiasten dann doch zu sehr.
>> Mei, sie haben‘s schön hier in dem Cuvillies. Wissen sie, mia kommen aus Landshut. Da ist kulturelle Wüste. Da ist gar nix. Nur unsere Konzertvereinigung hat jetzad so einen neuen Steinway gekriegt. Aber mehr ist da nicht los. <<
Der verdutzte Angesprochene wusste diese Dame beim Mozartserail nicht zu trösten, wie sie da ihr niederbayerisches Herz ausschüttete.
>> Ja mei, ich komm aus Nürnberg, wir sind jetzt wenigstens Metropolregion… <<
Immerhin saß sich ja kosmopolitisch downtown und altstädtisch im ehernen Epizentrum der Kultur. Nur eine Regiofahrt von der Steinwaysteppe entfernt. Der Enthusiast musste in seinen Mitschriftenstift beißen, so sehr rührte ihn das leidige Lamento der Kulturtraveller.
>> Endlich amal was Gscheites mit den Gobbelins und dem ganzen Reif. Ned das der Octavian mit einem Motorrad sein Blümerl überbringt, oder sonst so ein Schmarrn. Da geben sie mir doch auch recht. <<
Diese Dame an der BSO wollte gar keine Antwort, sie war sich ihrer Meinung so sicher, dass sie einem Zeugen gleich im Foyer missionieren ging. Dem Enthusiasten zuckte zwar der Widerspruch leicht aus dem Hüftholster, doch er hielt sich zurück und blieb in seiner geliebten Position des stillen Beobachters.
Denn beide Beobachtungen zeugen ja von dem kommunikativen Potential der Kunst. Worüber streiten, freuen, loben und kritteln wir denn sonst in der Pause?
Für die Dame war es ein Highlight fern der provinziellen Pampas endlich wieder einen Serail zu sehen und für die andere Dame ein Labsal nach zu viel metropolitischer Modernmusik und –inszenierung einen Rokokorosenkavalier schreiten zu sehen.
Inhaltlich muss es da ja nicht stimmen. Beim selben Serail mokierte sich ein anderer Herr aus der Loge:
>> Oh weh, nur die Zweitbesetzungen heut. Nur der Selim singt im hier Original. <<
Nun ja, es war die Premiere und die dementsprechende A-Besetzung, die hier ebenso wenig erkannt wurde wie die von jeher sprechende Sprechrolle des Selim Bassa. Der Bassnachname kann aber auch verwirren.
Nur bei einer Dame im Sprechtheater wollte der Enthusiast vor etwa zwei Jahren einschreiten, da sie fachfremd und stückfern aus vollem Herzen ihren Nachspeisenwunsch in die sich öffnende Bühne spie:
>> Topfenstrudel! <<
Sprachs, schwieg und das Drama nahm seinen Lauf.

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Das Durchhalten

Das Durchhalten

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„Monsieur Wagner a de beaux moments, mais de mauvais quart d’heures.“
Nicht, dass er selber, der Signore Rosssini dagegen gefeit wäre, doch er hat recht. Ja manchmal – und bei Gott eben nicht nur beim Bayreuther Marathon – zieht es sich und selbst als größter Enthusiast spürt man die Längen gerade auf den Stehrängen und in den Schenkeln. Den Oberkörper auf die Brüstung geladen, ein Bein auf dem Tritt, das andere voll belastet und der Sopran will und und will noch immer nicht sterben…
Ausdauer und theatrale Sportivität sind natürlich Voraussetzung für den Begeisterten, doch manches Mal könnte es einem die Regie wirklich einfacher machen. Müssen die Nonnen denn ohne Umbau und Unterbau stundenlang in diesem Bunker verharren und die Serailbewohner auf diesen abwechslungslosen Sofas dahinsimmern und –singern?
Würd nicht ein bisserl Licht und Bums und Nebel und Feuerwerk alles ein bisserl aufpeppen? Meister Goethe hat doch die richtige Einkaufsliste fürs Spektaktel, dass bitte nicht nur beim Vorspiel sondern allüberall am Theater Verwendung finde:
„Drum schonet mir an diesem Tag
Prospekte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das groß, und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.“
(natürlich Vorspiel, Faust I)
Aber bitte zur rechten Zeit!
Nicht nur ewig Hölle und ein Hauch Himmel am Ende. Das ko(s)mische Feuerwerk und Wasserspiel am Ende des Münchner Liebestrankes (Verzeihung: Elisirs) konnte mich nicht mehr aus der Einödenstimmung von zwei Akten in postzivilisatorischem Grau samt Mähdrescher und Endzeitstimmung reißen. Musste das ganze Budget auf dreißig Sekunden Schlussbammbamm aufgespart werden, wo man schon bei der Ouvertüre ein paar Sterne werfen könnte?
Bei einer 3D-Turandot kürzlich war die ganze Eishockeymannschaft zumindest samt Schlittschuhen und Eisfläche schon im ersten Akt auf der Bühne. Die haben sie sich nicht (auf)gespart. Und kurzweilig wars zumindest. Auch was für den Sportschaufan.
Bei einer Zauberflöte am Gärtner dacht ich gar im Rang, ich sei eingenickt und zu lang geblieben, als eine Putzfrau über die Bühne kehrte. Aber nein, keine Sorge, es war die Pamina im, …äh mit Eimer.
Es muss ja nicht immer Bregenz mit Wackelkopf und Schifferlfahrt und Stunt und Feuer und Wasserballett sein. Wir sind ja auch im Kleinen geduldig und duldsam. Wenn die Qualität stimmt, dann stehen wir es durch und denken gar nicht ans Bein, weil Bass und Bariton und und und uns schweben ließen.
Na ja spätestens zum Applaus kann man sich ja kräftig ausschütteln und gymnastisch rhythmisch ein Bewegungsintermezzo hinlegen. Einige ölen ja sogar schon zwischen den Akten ihre Stimmbänder neu, vom langen Schweigen mit gutturalen Buhu-Lauten. Dazu zähle ich aber nicht. Viele müssen dann halt auch – wohl wegen Arthritis früher gehen. Verständlich vielleicht, wenn man am regem Wehnenleiden oder wehem Regieweinen leidet.
Wieder andere nutzen ein Zwischennickerchen um sich fürs Finale neu zu erwecken. Nur ein Herr verschnarchte leider kürzlich das lucevan le stelle, weil halt da das Vorspiel zu leise war. Das konnte bei der himmelschreiend lauten und lauteren Lola in Cuv nicht passieren, da heizten die Pollyestersounds so lautstark ein, dass einige Abonnenten ihr eigenes Kopfschütteln nicht mehr hören konnten. Dafür waren sie wach. Und durften im Sprechtheater noch dazu sitzen oder manchmal aussitzen bis diese verquaste Reise ans Ende der Geduld und in die frühen Morgenstunden am Resi sein schwer identifizierbares Ende nahm. In der Oper steht Sänger und Stehplatzender bis zum Abbruch oder Zusammenbruch, wie Wotan zu Zeiten der ersten Krampfader weiß:
Zusammenbreche,
was ich gebaut!
Auf geb’ ich mein Werk;
nur Eines will ich noch:
das Ende,
das Ende! – Walküre II.,2.
Na Meister Wälse, das kommt doch dann auch 2 Stunden bzw. 2 Tage später. Aber was soll’s Vergessen wir nicht:
Tja, die Oper hat die großartigste Stunden, doch einige zähe, wehe Momente.

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Das Wo beim Was – Theatertopologie

Das Wo beim Was – Theatertopologie

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Es muss nicht immer die erste Reihe an der ersten Geige sein, sollte es auch nicht, denn gerade ganz hinten und ganz oben lernt man loben.
Doch manches Mal bietet der vordere Platz ein grandioses Erlebnis: Kürzlich briet Anette Paulmann als Hausmutti in Armreichweite am Bühnenrand voller Hingabe Rührei. Das war showcooking besser als bei Lanz, direkter und olfaktorisch schon ein Genuss, während sich dabei das Pfanneninnere noch in der dicken Hornbrille der Ausnahmeakteurin spiegelte. Aus der ersten Reihe saß der Enthusiast sozusagen direkt am Essenstisch mit der großen Kunst, durfte selber einen Löffel mitnehmen vom Stück, anstatt wie sonst nur in die Fernsehküche zu lechzen. Das geht übrigens auch vom Balkon: Unvergessen der kollektiv knurrende Magen des ganzen Resipublikums, als Courage Froebess Schnitzel in ihrer Feldküche brutzelte.
Moment jetzt wird’s zu kulinarisch. Bevor wir die Kreditkarte für Kusejs Gorillaaffenküchencirkus zücken müssen – zurück zur Sitzplatznummer. Die Oper verlangt zumindest die dritte Reihe, um nicht nur das Stiefelgeklapper eines Carlos, sondern auch seinen Tenor mitzubekommen – vor allem, wenn weniger Graben als in München ausgehoben wurde. Durch den Pulverduft nach der Cavaradossierschießung erschnuppert man dafür bei der aktuellen Tosca noch vor der verladenen Diva, dass ihr Geliebter tatsächlich das Zeitliche gesegnet hat.
Alles in allem überprüft ja gerade der Stehplatz in der Oper die Akustik des Hauses ebenso wie die Klangfülle der Astralresonanzkörper an der Rampe. Die Wiener Staatsoper schluckt die tiefen Töne wie so manches Haus. Der Sopran trägt sich dagegen glockenklar ins renovierte Rund. Wer da als Bass ankommen will, muss stützen und schicken. Vertrackte Architekturen jenseits des allgemein geliebten Concertgebouws Amsterdam fordern eben alles.
Im Sprechtheater darf es dafür näher dran sein.
Doch dann Obacht: Bühnenblut, Dosenbier, Champagner und Stullenspucke drohen auf die ersten beiden Reihen überzugehen! Mittlerweile wird ja gerne rumgesaut auf modernen Bühnen, selbst in alten Stücken. Eine eigens benötigte Abtropfrinne schützte das RoseBernd-Publikum über Jahre vor der fließenden Dreckbühne. Die Drohung, mit Echtpferd in die erste Reihe zu reiten, verängstige das alte Abopaar dann schon sehr. Mit Gummicape und Hut und Becher lässt es sich da besser aushalten und dann sieht man schließlich jede Regung, jede Zuckung, jedes Lachen, jede Träne, jede… Falte.
Noch schwieriger im Kabarett: Die Angst für den nächsten Gag auf die Bühne geholt zu werden, verdarb einer Begleitung gleich den ganzen Abend. Da half es auch nichts, dass Schauspielkabarettschwergewicht Helmut Schleich die Befürchtung seiner Zuschauer verbalisierte und gleich alle nacheinander zum Kinderliedersingen auf einen Bühnenstuhl bat. Kommen musste dann nämlich keiner.
Es ist demnach gar nicht so einfach akustisch, ästhetisch und abschirmbar zu sitzen. Wie man es macht, es ist verkehrt. Flieht man an den Ausgang nach hinten für etwaiges Aufgeben nach zweieinhalb Stunden Quasirezitation eines wiederentdeckten rumänischen Teilbühnenautors, dann entwickelt sich der Abend so klasse, dass man sich nach vorne wünscht. Erobert man beim wenig besuchten Liederabend die vordere Mitte, fühlt man sich auch nach der endlosesten Zugabe bemüßigt, dem Sänger vor den wenigen Zuhörern ein gutes Gefühl zu geben, wo man sich doch eigentlich nur erst in die Pfälzer und dann ins Bett wünscht.
Tja wo ist fast so entscheidet wie was, aber wann überwiegt das wo das was während das wie irgendwann was wird…?

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Störer

Störer

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Die haben sie doch auch schon in den Wahnsinn getrieben, nicht wahr? Seien sie ehrlich, wir wünschen ihnen nichts Gutes, wenn sie uns nerven, die Störer.

Zischer, Klimperer, Flüsterer, Raschler, Grummler, Fummler, Brummler, Sucher, Huster, Pruster und alle anderen Geräuschproduzenten auf den Plätzen neben uns. Kürzlich quietschte ein besonders Frecher mit seiner Eintrittskarte im Resi so penetrant neben mir, man hätte sich eine der Bühnenknarren gewünscht, um ihn zu verstummen. Er ruhe – ja vor allem ruhe – in Frieden. In der Oper störte ein Störer mit dreistem Münzgeklimpere in der Hosentasche beim Liebestod von Romeo und Giulietta. Den hätten wir lieber gleich in der Nachbargruft, getrennt durch dicken Marmor zur letzten Ruhe gebettet. Ohne zu vergessen, ihm vorher die letzten Münzen für die Überfahrt zu nehmen. Eine schwäbelnde Dame unterbrach einmal tatsächlich kichrig die Andacht im Gasteig, als Kaufmann bei Straussliedern nach dem langen, schönen, elegischen Vorspiel die erste Zeile „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen…“ anhauchte mit einem brachialen: „OH JA DES WÜNSCH MA UNS AA. HAHA.“ Die letzten Lieder vergönnte ich dieser Hobbymeterologin nimmer. Eher einen Sonnenstich mit –brand und Bettruhe bis zum Ende der Konzertsaison.

Seien wir ehrlich, den schlimmsten Bühnentod wünschen wir den Störenfrieden, den Kulturbanausen und Tönern in den Rängen um uns herum. Haben sie denn immer noch nicht kapiert, dass wenn sie sich schon – dem Bronchialexitus nahe – mit letzter Schnaufkraft und einer Familienpackung Hustenbonbons in den Balkon geschleppt haben, das Auspapierln schneller geht, wenn man es nicht ewiglich in die Länge zieht, um vermeindlich leise zu sein, sondern wenn schon, dann herrschaftszeiten schnell und danach still bitte. Es stimmt, die Kranken gehn ins Bett, die Halbtoten ins Theater. Und die Doofen. Nach dem vierten Häh? und Wer war jetz das nochmal? plädiere ich für Schulverweis und Nachsitzen anstatt Klassenausflug zu Shakespeare. Auch Theaterverhalten gehört zur Bildung!

Was aber tun? Aufmerksam machen? Erzeugt nur noch mehr Ton und im schlimmsten Fall Widerspruch und eine Höflichkeitsdiskussion. Gleich geräuschlos um die Ecke bringen? Schwierig in der moralischen Anstalt der Kunst. Überhören? Unmöglich bei den Manieren mancher Kulturgänger. Eines hilft: Versetzen sie den Störenfried in die Rolle des Bühnenböslings und lassen sie ihn an dessen Stelle leiden. Das hilft, da es dem Bösen – wie meist in der Kunst – gerechterweise schlecht ergeht! Schieben sie den Tuschler in den Hexenofen, erdolchen sie den Zischler von hinten, liefern sie den Huster den Ricolariesen und den Klimperer der Guillotine aus. Die Oper und das Sprechtheater hat schon genug im Folterrepertoire, um für Ruhe zu sorgen. Oder zumindest für Gerechtigkeit.

War nicht Scarpia auch ein simpler Störenfrieden der Kunstliebe? Und wie ist es ihm ergangen..?

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Nur nicht verbiegen – Vorbeugendes über Verbeugegehabe

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Ist es nicht erstaunlich, wie leicht man nach drei bis sechs Stunden Spitzenleistung die Gunst des Publikums binnen Millisekunden verlieren kann, indem man es sich beim Applaus verscherzt?
Denn es besteht nur ein Bravo-Ruf Platz zwischen der großen feierwürdigen Diva und dem frechen Hagestolz, der sich übermäßig abfeiern lässt, zwischen dem sympathischen Tenor und der unantastbaren Leadinglady, zwischen der verdienten Grand Dame und dem peinlichen Publikumsanbiederer.
Hier also ein Guide für alle Rampensäue und selbige, die es werden wollen, wie man auch beim Verbeugen vor dem Publikum besteht:

1. Wir wissen es, wie großartig du bist – oder entscheiden gern selber darüber – also versuch uns nicht davon zu überzeugen, indem du deine eigene Größe auch noch überdeutlich bis über den Souffleurkasten hinaussabberst! So geschehen bei Schmalz-Italo-Tenor Vittorio Grigolo (pardon, neuerdings Grigòlo) nach einer ausgesprochen mittelmäßigen Boheme. Da kam der Messias mit erhobenen Händen durchgetreten und grinste seinen Schäfchen zu, weil er sie mit seiner bloßen Anwesenheit erleuchtet hat, ohne auch nur ein Detail der Schenkinszenierung auf den Punkt gebracht zu haben.

2. Eng damit verbunden: die vollkommene Überschätzung der Rolle an diesem Abend (sog. Baritonkomplex). Eine alte Anekdote besagt: Bleibt man beim Verbeugen nur lang genug unten und außer Sicht der Publikums, ist leicht selber das ein oder andere Bravo zu schreien. Und keiner hat‘s gemerkt – außer dem Kulturenthusiasten.

3. Bitte auch nicht das Gegenteil: den schüchtern-ernsten, blutleeren Schüler, so wie drei Viertel jedes Schauspielensembles an die Rampe kriechen, die dem Applaus als bourgeoisen Kontrapunkt der postdramatischen Intellektualität ihres Stoffes misstrauen und lieber wieder zurück auf die Probenbühne zum Grübeln wollen. Das kaufen wir den Bühnentieren ohnehin nicht ab, dass sie der Publikumsgunst schon enthoben schweben, auch wenn sie dafür wieder mal als Einzige (trotz Einführung) das Regiekonzept des Abends durchdrungen haben.

4. Ebenso schlimm der/die Sympathling/-in, der/die den halben Chor umarmt, sich vor Freude überschlägt, die Bühne hibbelig durchrennt und am Liebsten noch den Inspizienten nach vorne zehrt, als wäre er/sie selber noch auf zwei Flaschen Bordeaux und einem Liter Elisir dazu. Etwas Contenance bitte, u. a. Herr Filianoti. Mehr Gesang und weniger Overacting ergibt gescheiten Applaus.

5. Der verängstigte Regisseur. Zugegebenermaßen hat der es schwer, da die Merkurkritik ihre Meinung nur mehr nach den Buhrufen abzählt (4 Grauenhafts von 5). Aber dann stehen sie zu den blutigen Gämsen, den Misteisflächen, den Sofaserails und den Nackig-nackigen bitte. Schließlich seid ihr ja auch dafür verantwortlich. Die Gesichter sind beim braven Zeitlosen – wenn die ‚Juhus‘ kommen – allerdings auch nicht fröhlicher. Ist es der Hunger oder das Schuldbewusstsein? An beidem leidet GonzoCastorf natürlich nicht; bei seinem 13-er Bayreuth-Ring hätte man ihn – aufgegeilt vom Buh – fast mit einem Wasserschlauch von der Rampe spülen müssen, so sehr badete er moonwalkend im Publikumshass. Chapeau, und ab!

6. Bitte nicht die Durchtretzeiten abstoppen, dass sich Madame auch wirklich lange bitten lässt, bis sie…erscheint, dafür gleich in vollkommener Gebets-Haltung mit verschränkten Beinen und den Armen wahlweise nach Holzbläser, Blumenstrauß, Himmel oder Verfolger gerichtet. Länger ist wie beim Allem nicht gleich besser, ja wir meinen auch sie Frau Martínez!
So also nicht. Wie aber dafür?

Mit Mittelmaß: Ein verschmitzter Leo Nucci, der wendiger als in der ganzen Inszenierung nach vorn watschelt und es sichtlich einfach nur genießt. Herzig wie die Netrebko als Mischung aus PrimaAnna und Russin von nebenan. Ruhig die stemm-ige Diva mit Hand aufs Herz – aber bitte dafür auch den Saal aussingen. Denn nicht vergessen, verbiegen allein ist es gar nicht, was den Applaus ausmacht.
da capo
7. Ach ja, Herr Giordano – fast wären sie mir entkommen. Aber dieser Gebärdenpantomimenveitstanz – schlimmer als
bei einem Fußballspieler mit all den Bussis, Winkis, Herzchen und Eigenumarmungen etc. ist dann auch ein bisschen viel.

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Balkonpflanzen

[singlepic id=1636 w=320 h=240 float=left] Ein wacher Kulturenthusiast berichtet und regt auf

Kolumnist Andreas M. Bräu liebt und lebt den Kulturbetrieb und muss seiner Sucht regelmäßig frönen. Dabei begegnet ihm allerhand Schönes, Wahres und Ästhetisches, jedoch auch einiges Seltsames, Abgründiges und Schockierendes. Seine Aufreger und Aufregung verarbeitet er als überzeugter Kulturenthusiast hier auf den Nachtgedanken und generiert dabei neue Energie für Erregung und Aufregung auf den Galerien und Parketten der Theater dieser Welt.

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Samstag, 26.10.2013

Ansichten eines Akteurs

Balkonpflanzen

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Allerlei Exotisches aus der Flora der Opern- und Theaterbesucher versammelt sich allabendlich auf den günstigeren Rängen der großen Häuser, um ihrem Götzen, der Kultur zu huldigen. Allerhand Wildes, Verrücktes, Farbenfrohes, Duftintensives ist darunter und wie auf jedem Balkon reiht sich eine Menge verschiedenster Pflänzchen auf engem Raum mit Aussicht ins Licht.
Die Urpflanzen trifft man gewöhnlich schon einige Plätze vor sich beim Anstehen um die guten Stehplatzkarten vor dem nächsten Highlight, sozusagen der Samenbank oder dem Dehner des zentralen Kartenvorverkaufs. Gibts bei Aldi Geranien verhält es sich wie, wenn ein Ring oder die Damrau „anstehen“ – dann wird ordentlich gedrängelt. Ansonsten kann der Kulturgärtner jedoch auch Kontakt schliessen, Fachwissen breitest auslegen, Sänger vergleichen und das eigene Knowhow proklamieren. Gar manche zarte Romanze entspinnt sich zwischen dem Connaisseur mit Halbglatze („Ach die … hat doch ein Vibrato zum n‘Hut durchwerfen.“) und der Basisliebhaberin Mitte sechzig („Welcher Verdi war das mit der Schwindsucht?“), wenn man sich gegenseitig belehren oder belehrt werden, nun ja sprießen darf. Beim Umgraben wächst zusammen, was zumindest für einen Opernabend zusammengehört.
Darum zurück ins Beet:
Gerade die älteren und verwurzelten Gewächse erfreuen das junge Balkongemüse durch ihren reizenden Sittenwuchs.
Ein wirklich urgroßvaterhafter Wagnerianer, alt wie Erda, musste vier Abende lang im Ring mithilfe der Pillenuhr immer Schlag halb 8 dank der Pharmazie dem Blutdruck etwas nachhelfen, konnte dafür bis zu den dämmrigen Göttern durch-stehen.
Ein blumig gekleideter Herr im Parsifal erklärte, dass er seit Jahren die Inszenierungen nicht mehr verfolge, sondern ausschließlich die Holzbläser und -bläserinnen mit der Unterstützung eines antiken Opernguckers im Auge behielte. Das tat er dann auch über die gesamte Länge des Weihespiels, für ihn den erlösenden – und bei weitem nicht immer im Einsatz verwei(h)lenden – Oboen und Fagotten geweiht.
Extrovertiertheit ist dabei keine Tugend des Alters. Auch das mittlere Pflanzenalter marschiert über den Balkon wie ein Strauß Blumen. Wagnerkonterfei auf schwarzem T-Shirt zu dunkelschwarzer Perücke in Kaufhausoptik? Schon gesehen. Bebrillter, shortstragender Angelsachse dem Angelparadies entlaufen? Vor mir in der Turandot.
Die laxe Kleiderordnung stört den Enthusiasten ein wenig, der auch auf dem Rang Tuch zur Krawatte wählt, doch er verzeiht viel, jedoch nicht olfaktorische Missstände – wie in einer Traviata. Muffelt die Vorderpflanze modrig, ja welkt sie bereits im ersten Akt, empfiehlt es sich, den Balkon umzugraben, um unter frischen Blumen den Graben zu überwinden und den Helden und Heldinnen an der Rampe zu Füssen zu fallen.

Interview mit Andreas M. Bräu

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