Media Vita…
Der wohlvorbereitende Kunstbesucher informiert sich natürlich über die handelnden Personen, die ihn diesmal begeistern sollen. Dafür greift er meist auf die geschönten, knappen Kurzbiographien der Programmhefte zurück. Besser er fliegt darüber, da gerade bei Sängern das immer gleiche Aufzählen der üblichen Partien und Häuser selten neue Erkenntnisse liefert. Das Geburtsdatum gerade der Damen ohnehin nicht, weshalb meist in der Nachbereitung Wikipedia ein respektvolles Nicken oder erschrecktes Zusammenzucken aufgrund von Erhalt oder Niedergang eines Jahrgangs nachreicht.
Tiefstapelei wird bei diesen kurzen Werbetexten der Künstler nicht gerade betrieben. Verständlicherweise. Es kann jedoch sehr schnell ins andere Extrem und Übel umschlagen.
Ein sägender, knödelnder, schmerzender Quasitenor einer besseren Schulaufführung ließ sich auf einer Provinzbühne scheiternd doch tatsächlich als einer der „erfolgreichsten Tenöre unserer Zeit“ betiteln. In welchen Zeiten leben wir? Der Enthusiast dachte, die Zehn, die dieses Attribut verdienen, zu kennen und dieser Brülltamix gehörte nun wirklich nicht dazu. „Auf der ganzen Welt zu Hause“ schien dieser Unmusikvagabund zudem. Was nur bedeuten kann, dass er aus einigen Städten mit ziemlicher Sicherheit von einem heugabelschwingenden Mob an die Landesgrenze begleitet wurde. Von Einbürgerung keine Rede. Der Enthusiast hätte sich nach der Bildnisarie den Anschlussflugsverstärkern angeschlossen.
Dann schreibt man da gerne: Sang den Manrico in New York. Ob mit einem Hut im Central Park oder beim Veteranentreffen in einem Queenser Altenheim steht da freilich nicht. Auch gelesen: Gewinner des Gesangswettbewerbs auf Burg Hinterfels in Chur. Der Enthusiast würde zu gerne so manchen Juryvorstand oder tauben Grafenmäzen einmal kennenlernen, der, um die Burg zu erhalten, mit Preisen um sich wirft, die nur Schaden anrichten, da sie mittelmäßige Sänger mit zu viel Courage ausstatten. Kammersänger der freien Republik Murxsistan wäre da noch ein schöner Titelkauf, oder „sang den fünften Raben im Krabatmusicalsommer am Plattensee“, „begeistert an allen wichtigen Kiosken Südeuropas“ vielleicht? Der Enthusiast driftet ab.
media vita in morte sumus, wie der animus ardor und andere Lateiner wissen. Wenn aber die Vita der einzige mediokre Mittelpunkt eines Künstlerschaffens bleibt, dann stirbt nicht nur das Publikum am schiefen Tenorschrei, sondern dann stirbt auch die Kunst mitten in der Mittelmäßigkeit, die sich auf die Werbeformulierung des eigenen Scheins konzentriert, anstatt Kunst zu sein und ein Sein zu bedeuten. Denn auch die Vita kann schnell der Tod des Rufes sein.
finis aut exitus.
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