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Gott, Kot und Fleisch – Die Präsidentinnen im Peppertheater

Die Wichtigkeit dieser kleinen Münchner Keller- und Privatbühnen steht ohne Zweifel. Doch den Abend den drei Vollblut- und sicherlich unkommerziell motivierten Bühnentiere mit ihren Präsidentinnen hingestellt haben, beweist erneut, das Qualität nicht vom Kapital abhängt und Großes auch im kleinen, armen Theater geschaffen werden kann.

Nicht gerade leicht haben es die dreisten Drei sich dabei gemacht, indem sie Werner Schwabs schweren Brocken auf die Pepperbühne gehievt haben. Denn wenig passiert bei dem großen Textstück einer Sezierung dreier großer Frauenfiguren der Theaterbühne. Dialog und Monolog entschlüsseln langsam und grausam zynisch die Schicksale dieser kaputten Personen zwischen Geschlecht, Erinnerung und Lebensentwurf. Das braucht spielen und eine Distanz wie Nähe zu diesen kalten Karikaturen, diesen gebrochenen Menschen voller Leere und Boshaftigkeit und unendlicher Traurigkeit. Drei etablierte Bühnenfrauen haben sich diesem Schwab angenommen und bringen ihn brillant und pointiert auf die Bühne ohne dabei den Fehler zu machen, diesen Brocken als etwas anderes zu nehmen, als er ist – ein theatraler Seidlfilm, noch überzeichneter und in seiner Eindeutigkeit große Karikatur der modernen Vorstadt und der gebrochenen Frau. Manfred Lorenz Sandmeier nimmt sich in seiner Regie zurück, stellt die Frauen sparsam und auf den Text konzentriert im angedeuteten Wohnzimmer nebeneinander und lässt sie agieren, arbeitet die Rollen präzis heraus und lässt den Text sprechen. Mehr braucht es nicht.

Julia Mann gibt die Erna als verkapptes, spleeniges Wrack mit übermenschlichem Sohnkomplex. Mutig, sicher und mit Gespür für Komik gehört ihr die erste Hälfte mit manchmal etwas Hang zur Attitüde. Diese Ticks verträgt das Stück zu Auflockerung der harten Realität. Die macht die Enthaltsamkeit und Lebensverneinung von Erna spürbar, die sich alles spart, vom Gefühl zu Nähe zum Leben. Präsent und bühnenwohl und übersteigert authentisch in jeder Sekunde. Kongenial daneben die Spiegelfigur Grete von Raphaela Zick. Die regelmäßige Pepperdienerin und Bühnenliebling bekannt auch als Mephisto und Elisabeth aus Maria Stuart zeigt hier ihre beste Leistung auf hohem Niveau in der chargierenden, dem Wahn verfallenen Grete. Diese Frau ist zu bemitleiden und offenbart einen tiefen, grausamen Kern hinter der herzigen, schlampigen Oberfläche, den Zick auslotet und tief in die Figur blicken lässt. Mit jeder Träne über dem überzogenen Kajal überzeugt Zick vor allem in der zweiten Hälfte, die sie dominiert. Mann macht es ihr dabei nicht leicht, man sieht großen Akteurinnen immer dabei zu, wie sie miteinander ringen, die Figuren auf die Spitze treiben und sich immer auch einen gelungenen Darstellerwettbewerb liefern. Durch ihr junges Alter wird Schwabs Distanziertheit zu seinen Figuren, die gerne in der dritten Person von sich fabulieren nur noch deutlicher.

Dazwischen und witzigerweise alterstechnisch umgedeutet Waltraut Borchmann als rührenden, naive Mariedl. Zurückhaltend in der ersten Hälfte brilliert sie in ihrer großen Schlusserzählung ebenso wie in ihrer physischen Darstellung, die dem Zuschauer Mitleid für diese entrückte, alte Mariedl erzeugt, die wahrlich nichts trübt, bis sie an ihrer Zurückhaltung und dem Ausnutzen zerbricht. Sie komplettiert das Trio der verlorenen Seelen, die sich aneinander abarbeiten, da Hoffnung, Glück und Zukunft fehlen. Darum gehen sie aufeinander los, verachten sich und demütigen ihre gegenseitigen Schicksale. Der böse Witz funktioniert auch in der kühlen Lösung, die den Glauben an das Gute endgültig zu Grabe trägt. Hoffentlich aber arbeiten diese grandiosen Drei noch regelmäßig und auf diesem Niveau miteinander. München braucht diese Präsidentinnen.

 

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Tragikomischer Vogel – Richard Strauss in Garmisch-Partenkirchen

[singlepic id=1573 w=320 h=240 float=left]Es ist als Brigitte Fassbaenders große Leistung anzusehen, eine Art von Gefälligkeit und Leichtigkeit im Straussfestival Garmisch-Partenkirchen durchzusetzen. Um die Oberbayern mit ihrem Heimatkomponisten ein wenig näher zusammenzubringen, wurden in den letzten Jahren unter anderem der Naturbursche und der Familienmensch Strauss ausgelotet. Dieses Jahr bildet die Komik die inhaltliche Klammer der Konzertreihe. Neben der am Freitag folgenden konzertanten Ariadne aus Wien bildet das große Orchesterkonzert dabei üblicherweise das Highlight der Reihe.

Komisches bei Strauss findet sich dann ja auch zu Genüge und an diesem – vorweg als wunderschön zu bezeichnenden – Konzertabend standen der Don Quixote, der Eulenspiegel und die Rosenkavaliersuite versöhnlich nebeneinander. Was die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz dabei ablieferten wurde zurecht mit einem langen Bravokonzert beantwortet. In massiver – straussnotwendiger – Besetzung und mit Unterstützung des virtuosen Cellisten István-Alexander Gaal gelang ihnen Großes und sie bewarben sich für die Stelle eines dauerhaften Festivalorchesters für den kleinen Kurort, der an 6 Tagen im Jahr seinen berühmten Sohn Richard Strauss hochleben lässt.

Quixote allüberall. Während das Gärtnerplatztheater bereits an seiner Musicalvariante des Mannes von La Mancha lustmachend probt, geht Strauss mit seinem Ritter der traurigen Gestalt einen anderen Weg. Ohne Flamencoklänge und durchwegs komplex nähert er sich Cervantes und schafft es durch die Orchestrierung den Witz und mehr noch die Tragikomik der Vorlage zu vertonen. Der weinende Ton des Violoncellos der melodiös wieder zur leichten Melodie zurückreitet, nimmt uns mit auf den Trab durch die Mancha zwischen Sanchos Esel und Rosinante. Die {Verzeihung} mancha-mal optimistischen, machmal wunderbar leidenden Holzbläser erzählen nicht nur die Geschichte, sondern auch die Grundstimmung, den Tenor, die Essenz der großen Geschichte vom aufrechten Narren und seinem unmöglichen Traum.

[singlepic id=1574 w=320 h=240 float=right]Nach der Pause dann der komponierte Running Gag des Eulenspiegels; eine Variation auf ein witziges Thema mit hohem Tempo moduliert, überspielt, verspielt und immerfort dahingetragen zum gesteigerten Gagfinale. Da fällt der Rosenkavalier eigentlich raus. Die Komik versinkt ja hier in der lakonischen, melancholischen Schlussstimmung der Scheidung und dem Abschied des Alters von der Jugend. Aber wie kann man den Rosenkavalier und seine üppigen, satten Melodien nicht zugeben zu einer ironischen, und bläserstark verkaterten Liebesgeschichte, die wie die Ariadne die Komik de Tragik herauskitzelt. Ebenso verfährt der Quixote und lässt uns gerührt zurück. In der Suite jedoch kehrt Strauss zum Finale an den mittleren Höhepunkt zurück, ironisiert sein erfolgreichstes Bühnenwerk und seine Gassenhauer. Nein, nein, kein Wein, sondern einen doppelten Espresso kippen hier die Essener um über einen Pharisäer zu einem endlosen Verlängerten überzuwechseln und die Melange knackig zu vollenden.

Soltesz beginnt Strauss komischerweise nicht nur äußerlich mehr und mehr zu ähneln, nein, sein Dirigat steigert sich im Laufe des Abends etwa beim Eulenspiegel zu Nelsonsschem Ausdruckstanz und zuletzt zur feierlichen Kür der Walzerklänge aus dem Rosenkavalier. Strauss wurde brieflich von seinem Vater für sein Showdirigat noch getadelt, Soltesz lässt mit jeder Faser seiner Kennerschaft und Begeisterung für das anspruchsvolle wie gelungene Notenmaterial durchscheinen. Gaal unterstützt in gefühlvoll und virtuos.

Lange Bravochöre und begeisterter Applaus.

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Lux facta est! – Oedipus Rex im Prinzregententheater

[singlepic id=1570 w=320 h=240 float=left]10.6.2013

Die tragische Erleuchtung kam diesmal nicht erst am Ende, sondern bereits zu Beginn des mit großer Anstrengung und Aufwand unternommenen Konzertunterfangens von Chor und Orchester der Hochschule München. Süffig und informativ nämlich führte Grandseigneur und Dirigent Professor Doktor Theodor Schmitt zu Beginn halbstündig in das, nun ja sperrige Werk Strawinskys ein. Unterstützt von den durchwegs ordentlichen Solisten wurde das geliefert, was mehr Konzertantes und Symphonisches benötigt: Ein Heranführen, Annähern und Handhabbarmachen für den Nicht-Musikologen. Gerade im komplex orchestrierten und durchwegs Gattungsgrenzen sprengenden ‚Opern-Oratorium‘ samt Chor und Sprecher war dies von Nöten. Wenngleich Schmitt ein wenig übers Ziel hinausschoss in dem Anspruch gleich eine dramaturgische Interpretation und allumfassende Poetologie jenseits von Strawinsky zu liefern, gefiel die Einführung und machte Lust auf den verdichteten Tragödienmarsch.

Ein seltsamer Zwitter begegnet Einem da. Auf wenige knappe, redundante Textstellen destilliert und dramaturgisch von einem Sprecher unterbrochen, spielt sich ein Wechselspiel aus Chor und 5(6) Solisten ab.

Rufus Beck mimte als Eyecatcher den Sprecher und gab dem knappen Text – teils etwas unterfordert – seinen typischen, treffsicheren Erzählton und wippte dabei amüsiert zum Takt des Chores mit. Diese kurzen Passagen lassen dann auch allein das dramaturgische Genie Jean Cocteaus durchscheinen, auf dessen Libretto der Oratorientext fußt. Durch die Rückübersetzung ins Lateinische und die knappen (übertitelten) wie wiederholenden Arienpartien muss der Anteil Cocteau wohl in der Verdichtung und Verknappung hin auf eine musikalische Essenz gesehen werden, die Strawinsky dann pointiert auskomponierte.

Diese Eindampfung, Übersetzung und Verengung gelingt grandios. Ein präzises und sichtbar begeistertes Orchester ist dem komplizierten Material gut gewachsen, die kleinen Unsicherheiten in den instrumentalen Solopartien werden durch den starken und ebenso enthusiastischen Chor (Einstudierung Johannes Steinbüchler) wettgemacht. Dieser als personifizierter Mob, Mahner und Menge aufschreiende Gruppenruf nach Pest, Tod und Verdammnis macht das effektvolle Highlight dieses Oedipus als Angeklagten seines Volkes aus. Nicht zu Unrecht erinnerte Schmitt an Orffs Chorsound mit satter Orchestrierung als Vorbild. Vergessen hat er allerdings den sanft durchscheinenden, sakralen Mozart, auf dessen Woge gerade die tragischen Chor-Momente deutlich dahinscheinen.

[singlepic id=1569 w=320 h=240 float=right]Die Arien ein Touch von Verdi. Und das wirkt. Der erwachsene, würdevolle und wohldosierte Tenor von Bernhard Schneider führt uns einen königlichen Oedipus vor, der nur noch vom musikalischen Glanzstück des Abends mit dem warmen, vollen Mezzo von Kerstin Descher als Iokaste übertroffen wird. Nach deren Arie ist ein kein Fürstenstreit mehr möglich und die Handlung vollführt einen erneuten adramatischen Stop. Stephan Lin bringt mit seinem hellen Tenor als Hirte sprichwörtlich Licht ins Dunkle und überstrahlt ein wenig Jussi Jarvenpää als Bote und Kreon. Benedikt Göbel als Theiresias wäre auch eine szenische Freude gewesen.

Mit perfider Fröhlichkeit, Flöte und leiser Begleitung unterlegt Strawinsky seine Arien und konterkariert auch hier die Tragödie des Inhalts. Dagegen setzt er dann seine „Todestarantella“ als obszöne Mauerschau des Chores über die finale Katastrophe. Oedipus ist hier bereits lange nach seinem Lux facta est! verstummt. Gebetsmühlenartigen Wiederholungen seiner Taten der (reinen) Vergangenheit nützen nichts. Er erkennt in einem entscheiden Moment seine Schuld, seinen Fluch und die Unentrinnbarkeit der von Iokaste geschmähten, lügenden Orakelsprüche. Strawinskys ‚Oper‘ arbeitet exakt diesen Moment aus und auf ihn zu. Orchester und Chor folgen Schmitt willig bei dieser Mammutaufgabe, die älteste und größte Tragödie der Dramengeschichte pointiert und lange nachhallend ins Publikum zu transportieren. Gerade dieses schwierige und sperrige Werk auf die Agenda zu setzen, ist eine Entdeckung, der gelungene Abend eine große Belohnung, Erleuchtung: Lux facta est.

 

Chor und Symphonieorchester der Hochschule München

 

Prof. Dr. Theodor Schmitt

 

 

Sprecher: Rufus Beck

 

Solisten:
Bernhard Schneider, Tenor
Kerstin Descher, Mezzosopran
Jussi Järvenpää, Bariton
Benedikt Göbel, Bass
Stephan Lin, Tenor

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Luxus statt Romantik – „Sei lieb zu meiner Frau“ in der Komödie

[singlepic id=1528 w=320 h=240 float=left]Eine skurrile Ausgangslage ist Teil des Grundrezepts einer guten Boulevardkomödie. Diese hier ist sehr gut. Mann A bittet Mann B netter zu seiner Frau zu seiner, damit diese dank ihrer erfüllten Affäre eine bessere und glücklichere Ehefrau wird. Dem Gesetz des Screwball folgend befindet sich natürlich Mann A ebenfalls in einer außerehelichen Beziehung mit der Frau von Mann B. Knoten gewickelt und bereit zu reißen. Jeder schläft mit der Anderen, die Frauen lernen sich kennen, alle landen in einem Hotel, kreuzen sich auf der Terrasse und das Chaos nimmt seinen Lauf. René Heinersdorff spielt mit der altbekannten Konstellation und inszeniert sich und einige Promis in diesen Wer-mit-wem-Strudel. Er variiert dabei den temporeichen Klassiker dieser Genres „Madame es ist angerichtet“ von Marc Camoletti. Dabei fehlt Heinersdorff allerdings gerade in der ersten Hälfte das Tempo, der Querwitz und der berühmte Sinn für irres Verwirrspiel und skurrile Situationen, die die französische Komödie auszeichnet. Die deutsche Variante holpert ein wenig, wiederholt frech die Konstellationen mit dem Zweitpaar, doppelt Scherze und verlässt sich auf Grimasse und Gesicht. Die typische komische Figur spart er sich dabei und inszeniert nur parallel und analog seine beiden Pärchen miteinander, nacheinander, aneinander… [singlepic id=1529 w=320 h=240 float=right]Die zweite Hälfte in Istanbul zieht an und steigert die Pointendichte nach einigen verqueren Fetzenszenen der ersten Hälfte zur überfälligen Konfrontation der untreuen Doppelpärchen. Gleichzeitig allerdings verstrickt er sich in Logiklöcher der Erkennung, Deckung, um den untreuen Altjungs die Schlusspointe zu schenken und weiterhin ohne Moral und Sorge lieb zueinander sein zu könne. Dabei spickt er seine guten Dialoge mit allerhand gescheiten Sätzchen und scharfem Spott. „Wir verwechseln Luxus mit Romantik“ beschwert sich Sabrina über ihre Affäre mit dem ältlichen Lover. Darin liegt das Problem dieser Boulevardkomödie. Die Affäre birgt keine Liebe, keine Erfüllung, nur Leere, Sex und Selbstbestätigung. Wo interessanterweise auf großer Bühne der Moralismus zurückkehrt und das große Drama wieder zu Werten zurückkehrt, da feiert die kleine Komödie das lustige Bäumchen-Wechsel-Dich ohne schlechtes Gewissen und im Grunde ohne Happy-End. Das hätten die Großmeister der Liebe, die Franzosen eleganter gelöst! Schade wenn die Geschichte und die Charaktere der Pointe geopfert werden. Beworben wird das Ding mit TV-Rumpelstilzchen Hugo Egon Balder, der wohl durchgebräunt Grimassenbauerntheater macht und mit seinem bekannten Staungesicht aus „Genial Daneben“ sich selbst gibt. Aalglatt und ordentlich daneben Dorkas Kiefer als Wirbelwind. Heimersdorff selber schreibt sich die schönsten Pointen selbst ein und gibt den soften Softsoftie. Den Abend rettet und erobert Maike Bollow, die problemlos das Promiensemble an die Wand putzt, einen Sinn für Stimme, Dosierung, Pointe und Charakter zeigt. Ihr Haspeln, ihre Weiblichkeit und ihre Ehrlichkeit selbst im größten Irrsinn erlauben die witzigsten, schönsten und stärksten Momente dieser Frauen-liebelei. Davon mehr! Weniger von Anderem. Wie schöne wäre es beispielsweise Maike Borrow einmal in der „Madame“ zu bestaunen.

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Mimik = Mimesis – Satansbraten in den Kammerspielen

[singlepic id=1527 w=320 h=240 float=left]Nun auch das Plagiat an den Kammerspielen! Und zwar gewollt, transparent, als Stilmittel und geglückt. Theater plagiiert nämlich durchsichtigsterweise Film durch Film, filmisch und gefilmt. Nach Schiller beobachtet dabei das Publikum eine Ochsentour von Nachahmung zur Manier zum Stil, indem Nachahmung an diesem manierierten Abend stilbildend ist. Als goldenen Ochsen hat man dazu Rainer Werner Fassbinder, das schwierige, komische, geniale Theater- und Filmtier geschlachtet und die Obduktion auf die Bühne erhoben.
[singlepic id=1526 w=320 h=240 float=right]Regisseur Stefan Pucher macht es sich dabei einfach und schwer zugleich – und überzeugt; das sei vorweggenommen. Mit großem Aufwand nämlich rekonstruiert er Bild für Bild, Szene für Szene mit wenig Abwandlung des Films für die Bühne nach. Selbiges Experiment scheiterte unter Gus van Sant‘s Anspruch „Psycho“ nach Hitchcock eins zu eins nachzudrehen. Wär er nur auf die Bühne der Kammerspiele gegangen, denn der Medienwechsel von der Linse ins Theater machts.
Dabei wählt Pucher zudem einen unbekannteren Titel, der dem Zuschauer – selbst beim g‘scheiten Einführungspublikum – praktisch unbekannt ist. Doch youtube ermöglicht es; der Vergleich ist verblüffend. Ausstattung, Kulisse, Kostüm, Text und vor allem – und vor allem chapeau – das „mimische Material“ wird erschreckend und grandios imitiert. Dazu später. Filmisch macht man das ganze nach neuer Regiemode durch die Kamera auf der Bühne. Mit Handgerät abgefilmt und live auf diverse Leinwände und Untergründe projiziert entsteht eine dreidimensionale Theateroptik, die den Bühnenrahmen sprengen und erweitern kann. Gleichzeitig von hinten persönlich sichtbar, teils abgefilmt und von vorn beobachtbar, dabei lautverstärkt im Ohr dröhnend und von allen Seiten bei der Kunst bespiegelt, leisten die Akteure hier Großes und multiplizieren Bühnen- und Kameraspieltechnik zum einem großen Ganzen. Das kumuliert dann irgendwann darin, das der Schauspieler mit seiner eigenen Einblendung einen Dialog führt zwischen Konserve, Bühnensprechen, dabei eine seltsame wie passende Metaebene aus filmischer Bühne, Bühnenfilm oder Filmbühne produziert.
[singlepic id=1525 w=320 h=240 float=left]Schön dabei zu sehen, dass nach dem innovativ Minimalismus all überall die Theatermache noch knarzt, Wände verschoben werden, Frauen samt Bädern von der Decke schweben und Bühne wieder Bild sein darf. Der Clou dabei in Tapete, Intarsie und kameradurchsichtiger vierter Wand das Interieur der Kammerspiele perfekt zu kopieren (Cheffälscherin: Stéphanie Laimé), multipliziert das Spiel mit der Kopie und zieht eine schöne neue Ebene ein, die uns unsicher macht, wer hier spielt, wo sitzt und was sieht. Kino macht Theater. Sinnvoll, wenn diverse Tatörter sich ja auch frech von den Bühnentieren Münchens bedienen.
[singlepic id=1524 w=320 h=240 float=right]RDas muss man erst einmal stemmen. Ohne Nachlasser und in einem Kostüm- und Rollenwust arbeiten sich die Mimen an Fassbinders irren Dialogen ab. Sie folgen dem Theaterethos der gesteigerten Wirklichkeit, überziehen die Originale ein wenig mehr, legen eine Schippe nach um das, was vor der Kamera besteht auf der Bühne gelingen zu lassen. Wolfgang Pregler imitiert nicht nur, sondern macht sich den Filmkranz dermaßen zu eigen, dass ein Eindruck zwischen staunendem Erschrecken und Respekt zurückbleibt. Pointensicher gibt er Autor, George, Egomanen und schafft es diese furchtbare Figur distanziert genug vorzuführen, damit das Lachen nicht im Halse stecken bleibt. Kongenial und Hit des Abends Brigitte Hobmeier zwischen überzogener Karikatur der femme fatale und laufende bebrillter Verklemmung mit einer staunenswerten Wandelbarkeit. Annette Paulmann erdet diesen guten Irrsinn und beweist, wie man mit wenig die Stimmung durch großes Können in Sekundenbruchteilen ins Tragische kippen lassen kann, was die wüste Revue braucht und von ihr geliefert wird. Sehr cool und gelackt Edmund Telgenkämper kroetziger als das Original, stark und abgründig Thomas Schmauser als Ernst im Methodmode und schön wie gut Genija Rykova trotz Lädierung grandios. Diese chargieren zwischen Linse und Rampe, geben alles, sparen wenig und tun das, was ein Fassbinder verlangt und die Bühne dankt: Sie gehen in die Vollen und zeigen, das gut kopiert eben immer noch besser ist als schlecht erfunden.

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Gut meinen und gut machen – Oliver! von und für Kinder und Jugendliche in der alten Kongresshalle 21.4.2013

[singlepic id=1515 w=320 h=240 float=left]„Mächtigstes Bildungsmittel“, „moralische Anstalt“, „Schule des Lebens“ – was hat man das Theater in Bezug auf die ästhetische Bildung für Kinder nicht alles genannt. Der pädagogische Gehalt wurde dabei seit dem Mittelalter gerade für Heranwachsende nie unterschätzt, sollte es auch nicht werden! Wie wichtig, gewinnbringend und erfüllend die Theaterarbeit für die Kleinen und schon etwas Größeren sein kann, beweist Oliver! als Mitmachmusical vorbildlich.

Eine Bühne voller begeisterter, disziplinierter und gut gelaunter Kinder zeigen, wie man es macht: Mit Begeisterung, professioneller Anleitung und staatstheatralischer Unterstützung werden sie Teil des großen Ganzen der Bühne. Dabei wird von Regisseurin Julia Riegel das Diderot-Motto beherzigt, dem sich leider zu wenige Kinder- und Jugendtheater verschreiben: „Man muss es nicht nur gut meinen, sondern auch gut machen.“

Hier wird gemacht und gut geliefert, als seien es Große. Mit wenigen Mitteln ein ordentliches und vielseitiges Bühnenbild, mit guten szenischen Ideen eine Nummernrevue weit über dem Niveau der meisten Schultheatervorstellungen, mit top einstudierten Semijugendprofis und einem Gespür für Besetzung eine runde Sache, die bei Jung und Alt funktioniert. Die professionellen Regieideen eines Marionettenkinderspiels, der bemalten Tische wie der gut integrierten Leinwand erfreuen die Kleinen und beeindrucken die Größeren. Hier werden Kinder auf der Bühne und im Publikum nämlich ernst genommen, was im Genre der Kinderunterhaltung leider auch zu selten passiert. Lionel Barts schmissiger Sound mit einigen Ohrwürmchen helfen da ebenso wie die routinierten und augenzwinkernden Gärtnermusiker voller Spielfreude unter Martin Steinlein.

[singlepic id=1511 w=320 h=240 float=right]Unterstützt wird das junge Ensemble vom TV-Gesicht Malte Arkona, seine Erfahrung aus dem Kinderfernsehen nutzend, der einen Fagin zwischen Michael Jackson, Miss Marple und Depp Sparrow abliefert – dabei etwas überzogen daherkommt und bei den Kindern mit weniger mehr punkten hätte können. Allgemein orientiert sich die Produktion an den großen Vorbildern der Twistadaptionen wie zuletzt durch Polanski fürs große Kino. Damit erzeugt auch Julia Riegel große Bilder, große Emotionen und vor allem Authentizität anhand der lebensweltlich agierenden Jungen und Mädchen, die durch ihren Enthusiasmus und ihre Spielfreude die Geschichte wie ihre Emotionen transportieren und nicht nur ihren Altersgenossen nahebringen.

Entzückend Oliver und seine geigende Komplizin mit viel Potenzial für die Zukunft. Daneben ein starkes Ensemble mit vielen klug gewählten Gruppennummern und beachtlichen Choreographien, die mehr Schauwerte als einige langweilige Erwachsenenproduktionen liefern. Das ist kurzweilig, witzig und gewitzt.
Für alle unter 10 ist gerade die zweite Hälfte mit Nancys Schicksal und Tod wohl eine Spur zu gruselig, wenngleich es gelingt, den Sykes aufgrund seiner Jugendlichkeit weniger dämonisch und damit genau richtig auszuinszenieren. Die ein bisserl Älteren werden dafür in Olivers Welt hineingerissen, durchunterhalten und mit der launigen Schlusspolonaise genau dorthin geführt, wo Jugendbühne hinleiten muss: Zur Begeisterung für das Weltmedium des Theaters und der Musik.

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Die Leiden des jungen Publikums – Werther nach Goethe am Volkstheater

[singlepic id=1494 w=320 h=240 float=left]Man kann wütend und traurig aus dem Theater kommen. Im besten sowie im schlechtesten Falle. Die Wertheradaption am Volkstheater stellt idealtypisch Letzteres dar.

Nach Goethe wird dort dessen Durchbrecher, Everburner, Briefroman und Schulbuchklassiker eingestampft, durchgedreht, ausgetanzt und an seltenen Stellen wiedererkannt. Vom Werther verbleibt dann allein texttechnisch maximal ein trauriges, verstrichenes Fünftel.

Dabei beginnt es gar nicht mal so schlecht. Die allesamt jungen fünf Darsteller laufen sich warm im grellen Bühnenlicht vor kahler Wand; ja auch im Volkstheater zeigt man neuerdings und innovationsbedingt Unverputztes.

Leider bleibt es dabei. Das Laufen läuft ins Leere, die Regieidee ist damit bereits schon am Ende. Der Rest uninspiriertes Textverteilen und Missverstehen von Charakteren, Handlung und eben dem Werther. Der mittlerweile etablierte Regiegriff der Dopplung von Figuren – meisterhaft durch Kriegenburg beim Kammerspielprozess vorgeführt – wird dabei weder durchdrungen noch durchgehalten. Dazu das leidige Problem des Sprechniveaus und der Verständlichkeit des jungen Volksensembles im Haus. Man folgt den im Grunde ja leichten und sprecherfreundlichen Texten nicht, da sie nicht gebracht werden. Nach der Reihe scheitern die Schauspieler leider am leichtesten Goethe.

Ohnehin vertraut Regisseur Gehler dem Text unverständlicherweise nicht im Geringsten. Hilflos vertanzt und verfilmt er Pantomimenhandlung, um das Publikum scheinbar nicht zu überstrapazieren. Dafür langweilt er es mit überlang ausgewalzten Regieblitzchen die ausgekocht werden, bis das fade Partygehüpfe auch die letzte Bühnenemotion ertränkt. Die mit Morricone-Elektro-Georgel unterlegten Ensemblemomente bilden dabei noch die Höhepunkte dieses uninspirierten Abends, der es schafft die TV-Schmonzette Goethe! zum Thema Werther deutlich zu unterbieten.

Zu den Darstellern: Pascal Riedel gibt den Titelhelden anscheinend bewusst emotionslos inszeniert und auf exakt einem Sprechton/-tempo leiert er die an sich so emotionsgeladenen Bruchstücke der Vorlage herunter und verliebt sich in Publikumsextempores, die ihm mehr Erfolg bescheren, aber der Figur nicht zuträglich sind. Da kalauert er sich durch die Ränge und hüpft konzentrationsverlustig in seiner eigenen Welt durch den Applaus. Leider ließ er uns nicht an der Gefühlswelt Werthers teilhaben. Damit er nicht zu viel und zu lange sprechen muss, stellt man ihm zwei Stichwortgeber Männlein a und Weiblein b zur Seite. Das negiert die notwendige Vereinsamung der Figur leider vollkommen, ermöglicht aber noch mehr Hüpfen. Lenja Schultze spricht dabei ebenso fad, wie ihre inhalts- und charakterleere Figur angelehnt ist und schafft es leider mit dem Rest des Ensembles nicht, den Pferdetakt zu halten. Justin Mühlenhardt – einige lichte Momente – gibt einen Wilhelm/Bauernburschen mit famoser Überschätzung der Spiegelfigur nach Goethe. Noch weniger wird Albert verstanden, sondern gleich komplett verraten. DJ Albert holpert Knarre ziehend im Sido-Look und doch moralisierend, dabei den Werther teils doppelnd, ebenfalls vom Text überfordert und verzweifelt ob des Wohin-mit-den Händen um seine Turntable (Sohel Altan G.). Zuletzt Mara Widmann als Lotte. Eine Ikea-Paradiesstiege führt vom Schnürboden herab (Bühne: Sabrina Fox). Herunter tritt aber dann doch die sehr irdene Widmann. Ihre Lotte ist eine doofe, langweilige, nichtinteressierte und – ist der Schmeichler weg – zickige Göre im hässlichsten Kostüm aller Zeiten. Sie macht es an diesem Abend niemanden leicht sie zu mögen, geschweige denn sich zu verlieben.

Diese schrillen 5 müssen dann 80 Minuten lang die unwichtigsten Werthermomente überreizen, ohrfeigen und erneut viel tanzen. Wie Jugendkultur halt so funktioniert. Drum auch das DJ-Pult, die Batterie Dosenbier und die Null-Bock-Attitüde. Gedrängt wird woanders, stürmen tut‘s nur beim Bierschaum. Aus der Gesandtenszene weiß Gehler freilich nichts anzufangen, ebenso wie mit den starken Natur- und Kunstausbrüchen. Sie fehlen komplett ebenso wie die notwendigen Passagen, die eine Entwicklung der Liebe, der Grausamkeit, der Eifersucht und schließlich der Krankheit zum Tode erschlossen hätten. Dieser Werther stirbt, weil es halt so bei Goethe steht. Und um den missglückten Abend zu beenden.

Unverzeihlich ist das dem jungen Publikum gegenüber, dem ein falscher, fader und blöder Werther geboten hat. Dabei goutiert das gütige Volkstheaterpublikum ja sogar jeden Zuspätkommer, Handyklingler und deren stümperhafte Vereinnahmung der Impro-Dilettanten an der Rampe. Szenenapplaus statt Massenflucht zurück zum Reclam-Bändchen. Dabei sollten Schüler wie Erwachsene jedoch bleiben, um dieser unverzeihlichen Verwurstung fernzubleiben. Unverzeihlich ist dies deswegen, da der Text ja allein reichen würde.

Nimm einen guten Sprecher/Leser, setz ihn an einen Tisch und der Werther erzeugt und bringt mehr als durch diese Ver-Soap-ierung eines zeitlosen Stoffs. Dann verlässt das Publikum auch aus gutem Grunde erschüttert, ja traurig ob der Tragik der jungen Liebe und wütend ob des verschwendeten Genius das Theater. Bis auf ein paar billige Lacher und dem gefühlten Grauen vor schlechtem Adaptierungstheater erzeugt Gehler leider kein Gefühl und hat bei dieser verkorksten Inszenierung wohl auch keines empfunden.

Besucht wurde die Vorstellung am 06.04.2013

Regie: Jan Gehler; Bühne: Sabrina Rox; Kostüme: Katja Strohschneider; Albert: Sohel Altan G., Wilhelm: Justin Mühlenhardt, Werther: Pascal Riedel, Sophie: Lenja Schultze, Lotte: Mara Widmann

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HungerPhantasie – Hänsel und Gretel an der Staatsoper

[singlepic id=1485 w=240 h=320 float=left]Was wurde nicht alles gesagt, geschrieben und geschimpft über diese Fastneuproduktion des Weihnachtsklassikers an der Bayerischen Staatsoper: Nostalgietrauer um die List–Inszenierung, Aufregung über den Produktionsrestverkauf um den Globus, moderne Küche, gestrichene Engel und dieser Fisch… zu neu, zu brutal, zu nicht-kitschig.
Lassen wir die Produktion für sich selber sprechen.
Dazu sollte man sich kunstgeschichtlich diesem Abend nähern. Denn Richard Jones malt Bilder für die Bühne, nutzt sie im Prospekt und baut starke Momente. Viel Magritte zu Anfang, ein bisschen Beuys, sehr starker Warhol in den Zwischenakten (John MacFarlane Bühne und Kostüm). Fluchtpunktperspektivisch wird so das Märchen zum Ästhetikkammerspiel. Das ist surreal und Popart, sieht gut aus und funktioniert. Ein Kammerspiel des Hungers, wie im Libretto deutlich belegbar und schlüssig ausformuliert entsteht in den kühlen Räumen, in einer hübschen Leere ohne Nahrung wie der leere Mottoteller zu Beginn. Der Wald verkommt zur Tapete die Statisterie in cooler Ent-Optik zu den rauschenden Bäumen. Verständlich bleibt das alles und die Abstraktion zeigt den Kindern und ihren oft konservativeren Eltern, mit welchen Mitteln das Theater im Kleinen zaubern kann.
Getragen wird dieser Minimalismus durch elaborierte szenische Arbeit des Hochleistungsmärchentraumpaares Tara Erraught und noch eine Spur zauberhafter Hanna-Elisabeth Müller. Mit allerhand Choreografie und Gezank bleibt der Fokus auf dem ersehnten Mahl. Auch bei den Eltern. Besenbinder Alejandro Marco-Buhrmester putzt dabei stimmlich wie spielerisch seine Frau Janina Baechle an die kahle Wand. Dieser Vater ist Suffkopf, Angsthase und liebender Vater zugleich. Mutter steht kleine angedeutet vor dem Pillensuizid und spuckt vor Angst die Wurst wieder aus. Darüber lässt sich streiten, bleibt aber den Kleinen eher verborgen als den Großen, die diese existenzielle Seite des Überlebensmärchens durchaus erkennen dürfen. Denn existenziell ist dieser Text und der Konflikt
Wovon träumt wohl ein an Hunger leidendes Kind? Sicherlich nicht von Rauschgoldengeln, sondern von Essen, von Küche und von Genuss. Eine Mischung aus Groteske und Sei-Hier-Gast-Disney-Optik erscheint dann auch wirkungsmächtig und kindgerecht durch aufmarschierende Comicköche und eine livrierte Makrele (Christian Prager) – wohl getimt ins Finale Akt II. hineingeschneidert. Das passt, ist komisch anzusehen und vor allem für die Kindelein schlüssig. Und auch das soll nicht aus den Augen verloren werden.
Das Gruselhutzelmännlein des Sandmannes überzeugt weniger als die spülende Taufrau, die die letzten Reste des schönen nächtlichen Traumes beseitigt, bevor der Grundtenor des Abends mit dem überdimensionierten Mäulchen zurückkehrt. Da hüpfen die 4-8-Jährigen kurz vom Stuhl und bleiben gespannt dabei. Ebenso wie beim folgenden entstaubten Hexenküchenakt.
[singlepic id=1486 w=320 h=240 float=right]Eine Verbeugung vor der großartigen Fatsuit-Travestie dieser tollen Knusperhexe von Rainer Trost. Im Gegensatz zur alten Karikatur der Karikatur (Ulrich Reß) mischt er in seiner Küche genau die richtigen Mischung aus Überdrehtheit, wohl dosiertem Grusel, Klamauk und (weiblichem) Talent, damit sich auch die Kleinen ein wenig fürchten ohne Angst zu bekommen. Die Kühlschranktür bleibt immer nur so lange offen, um die Kinderhaxerl zu erahnen und die Backekinder verwandeln sich natürlich alle zum HappyEndFinale mit Osterbotschaft in brave Kindelein. Wie es nun mal im Märchen sein soll. Und wo wenn nicht im Schutzraum Theater, ohne die Konsequenz des Alltags darf man eine Hexe – wie von den Grimms ja nun mal vor-geschrieben – in den Ofen schieben und in einen Hefezopf verbacken, wo doch jedes Kind weiß, dass sie spätestens beim Applaus wohlbehalten wieder an die Rampe tritt.
An der Rampe wurde das starke Ensemble dann auch euphorisch gewürdigt und die Reaktionen von Jung und Alt steigerten sich im Vergleich zur Listseligkeit. Das liegt vor allem am satten und wachen Sound des Orchester unter Tomáš Hanus der meiner Ansicht nach jede Stunde Humperdincks an der Nibelungenkanzlei zutage treten lässt.
Zopfschneider Bachler wünscht dieser Inszenierung und – indirekt damit verbunden – auch seiner Fortdauer der Intendanz ein langes Leben. Diesem Wunsch will man sich nach dieser modernen und guten Hänselneuauflage gerne anschließen, da sich Erwachsene nicht langweilen und die Anspielungen durchdringen, dieser Abend aber vor allem für die Kinder durchaus etwas von der Opern- und Bühnenmagie überträgt, sie ernst nimmt, fordert und dabei glänzend unterhält.

Besucht wurde die Vorstellung am 01.04.2013.

Musikalische Leitung Tomáš Hanus, 
Inszenierung Richard Jones, 
Bühne und Kostüme John Macfarlane, 
Neueinstudierung Benjamin Davis
, Lichtkonzept Jennifer Tipton
, Licht Michael Bauer, 
Choreographie Linda Dobell, 
Einstudierung Choreographie Anjali Mehra
, Einstudierung Kinderchor Stellario Fagone, 

Peter, Besenbinder Alejandro Marco-Buhrmester
, Gertrud Janina Baechle
, Hänsel Tara Erraught
, Gretel Hanna-Elisabeth Müller
, Die Knusperhexe Rainer Trost
, Sandmännchen / Echo IV Yulia Sokolik
, Taumännchen / Echo II Golda Schultz
, Echo I Iulia Maria Dan, 
Echo III Agnes Preis
, Echo V Silvia Hauer

, Bayerisches Staatsorchester
K, inderchor der Bayerischen Staatsoper

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Kino konzertant – Der Herr der Ringe live im Gasteig

Gehört Kino in den Konzertsaal? Ist Filmmusik der legitime zeitgenössische Erbe der Oper? Es scheint bald so, folgt dem nahezu ausverkauften, orchestrierten Kinoabend in der Philharmonie. Gegeben wurde in Giganto-Besetzung der erste HerrderRinge-Teil der „Gefährten“ aus Peter Jacksons beliebtem Fantasymärchen. Allein 150 Chordamen und -Herren, unterstützt von artigen Solisten und Choreleven aus Wolfratshausen, einer ätherischen Sopranistin und den Symphonikern in großer Besetzung. Das braucht es auch, um Howard Shores großen Score live zur Leinwand aufzuführen.
Das wirkt und beeindruckt. Man muss sich irgendwann entscheiden, ob man den Fokus auf die mittlerweile altbekannte Zwergerlgeschichte legt, oder das famos aufgelegte Orchester unter der präzisen Führung von Ludwig Wicki beim Zaubern beobachtet.
Gerade als Nichtmusikologe – und der Gasteig war an diesem Abend mit jungem und eher untypischem Konzertpublikum angefüllt – lernt man allerhand. Howard Shores Verliebtheit in die Posaune beispielsweise, die virtuose Schönheit der Soloflöte für die Hobbitmelodie und die Effektivität des Schlagwerks – vierhändig zum Schlachtenrums. Auch über das nicht leichte und notwendigerweise wenig kreative Dirigat nach dem Primat der Leinwand. Mithilfe eines kleinen Karaoke-Bildschirms mit Tempi-Tacho und Einsatzblinkern, punktete Wicki genau mit Tusch auf Schwerthieb. Dazu lieferte noch Mittelerdes kleiner Instrumentenladen allerhand Exotisches Klangwerk samt Leier- und Mittelaltersound. Und das die hohen Sopranjodeltöne besser im Studio gemischt werden, während der Enya-ethnossong wunderschön hallte.
Man lernt auch ein wenig über Shore und seine Kompositionstechnik. Der hat nämlich nicht nur bei diesem anderen Jubiläums-Goldreifmehrteiler leitmotivisch genau hingeschaut nein auch bei Mozarts Klarinettenkonzert. Wie beim Themenjubilaren des Jahres wird retardiert, wiederholt, erlöst, zugeordnet und im richtigen Moment überwältigend überladen. Die Dialoge verstand man dann nicht mehr, doch das verzeiht man dem hörnerstarken Megasoundtrack, weswegen allerhand Halblinge und anderes Volk ja passenderweise die Mienen Morias – Münchens, den hässlichen Gasteigbunker bevölkerten. Das Hallenthema wirkte dann auch samt Verfolgungsjagd am Epochalsten, ebenso wie die Isengarttutti mit drallem Klang und kühlem Effekt. Das versprochene „Gänsehautgefühl“ aus der Ankündigung nach „15 vollen Ringabenden“ im Gasteig (bisher), stellt sich dann auch ein.
Und der Applaus scheint, hat einigen Konzertneulingen vielleicht Lust gemacht einen verwandten Abend ohne Leinwand im gleichen Haus zu besuchen. Es kann gerne wieder, muss aber nicht immer Kinomucke sein. Vielleicht Mussorgsky oder Dvorak wo es auch rumst und tönt und man neben Posaune und Chor eine weitere Lektion über die Emotionsmacht der Orchestermusik erlernt und erfühlt. Möge die Reise weitergehen.

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Lasst uns die Totenruhe stören! Lola Montez im Cuvilliés (erobert endlich München)

[singlepic id=1488 w=320 h=240 float=left]Muss der Krach sein? Und muss des im Cuvilliés sein?
Ja! So laut und so krachig und nur im Cuvilliés – sozusagen am Originaltatort der ersten femme fatales der Geschichte. Denn Lola ist Krach, ist laut und ist Punk – deswegen nur ein logischer Schritt sie auf diese grandiose Weise für die Bühne neu zu erzeugen, ihre Totenruhe zu stören und ihr ein funky Denkmal zu setzen, an das sich München erinnern wird, wenn es auch nicht grad Geschichtsstunde ist. Ein wenig wirkt der abend, als hätte Peter Fox Guido Knopp {Verzeihung} verräumt und die Redaktion der Märchenstunde geentert.
Natürlich hat diese Produktion Schwächen. Alles zerfasert, keine Stringenz, eine Kalauerparade, szenischer Minimalismus und ein sinnloser Zirkusdirektor, der lieber hinterm Regiepult bliebe. Doch Kühnel und Kuttner machen aus diesen Schwächen Stärken und liefern einen neuen, innovativen SprechSingspielAbend, der einfach rockt. Drama per musica nennt sich das heute und funktioniert.
Man nehme:
Eine leere Bühne, ein paar Scheinwerfer, achteinhalb Musiker, zwei grandiose Lolen, einen Operettenludwig, 14 Mann Laien-Opachor, eine Prise Brecht, drei Löffel DDR-Märchenklamauk, viel mehr Punk, etwas Nockerberg, viel Varieté, ein bisserl Musical, ein bisserl mehr Respektlosigkeit, warum ned a Stückerl Bollywwood, Schlager, Ballade, Volkslied, Ohrwurm viel Dezibel, jede Menge Spiellaune und nebenbei zwei mögliche Wiesnhits und schon erkennt man die bayrische Geschichte, die eigenen Sehgewohnheiten, das Resi und das Cuv nicht wieder und ist begeistert. Alles andere wäre dezent und wäre der Montez nicht angemessen, denn wir lernen an diesem Abend: Dezenz ist Schwäche.
Das Publikum? Zufrieden, amüsiert, oder verwirrt, kriegt aber was auf die Ohren. Der Applaus jedoch brachte wieder Ruhe zwischen Lola und Bayern, München und Punk, Resi und seinem Publikum.
Worum geht’s? Nebensache. Die Skandalaffäre und der Auslöser der bayrischen Revolution werden schnell abgehandelt. Hier interessiert nur eins:
Eine unangepasste, starke, erotisierende Feministin und ihr kühler Plan, den alternden bayrischen Monarchen wieder zu beleben und belieben, um selber Queen of Bavaria and Pop zu werden. Dafür wird das schizophrene Überweib gleich gedoppelt. Gescheiterweise. Hier stehen sich Frau und Klischee gegenüber.
Katrin Röver als Klischee darf nach all den Dienstmädchen und Dienerinnen endlich ihre Klasse und Stimme beweisen, macht verliebt, während die Rockröhre Genija Rykova uns nicht nur plärrend und lefzend die Frau Lola zeigt, sondern auch mit Monolog und Zwischenton überzeugt. A cappella, synchron, im frechklugen Openingschocker sprachgewandt und immer lasziv, spürbar präsent zeigen diese beiden Bühnendamen wie eine Lola das werden konnte, was sie war – eine Prima Donna und Skandalon zugleich. Zu Recht.
Köstlicher Viennasidekick bei diesen Lolas die Zenzi Katharina Pichler, pointensicher und stimmgewaltig und so wunderbar beim Kochen anzusehen.
Da haben es die Männer schwer, bis auf den köstlichen, wie immer wunderbaren So-Gar-Nicht-Ludwig-und-darum-Prächtig Oliver Nägele als Resi- und Monarchenveteran in der Potenzkrise mit Ukulele. Götz Arugs brüllt sich routiniert und wohl bewusst eindimensional durch den Comic-Polizisten in billiggrüner Uniform. Arthur Klemt gibt einen netten Stieler, Wolfram Rupperti liegt Lola als Leutnant zu Füßen und Lukas Turtur nervt vor allem durch fehlende Stimmgewalt als Bébé ohne verständliche Songs. Eine Ladies Night eben. Darum bitte, bitte lieber Coautor, Coregisseur und College Kuttner, tu deinem Werk den Gefallen und inszenier dich daraus hinaus. Weder Rhythmus, noch Tempo, Witz oder Sinn des miesen Direktors erschließt sich wie sie es beim Haspeln doch auch selber gemerkt haben. Entweder Schnellsprechunterricht über der Gasse bei Frau Paulmann nehmen, oder lassen. Dem grandiosen Abend tut‘s nur Gutes.
Den Federhandschuh soll Lola ganz allein werfen. Dieser Abend kann die Pausenhofgeneration mit Operette und Sprechtheater versöhnen. Nicht nur weil die hippen Yeah-Yeah-Yeah-Look-alikes Pollyester die Bube zum Dröhnen bringen. Hier sehen wir Unterhaltung und Show auf höchsten Niveau. Frech und neu und skandalös.
Kokett, cool und krass im Cuv? Grandios!

Katrin Röver Lola Montez, Genija Rykova Lola Montez, Oliver Nägele König Ludwig I., Katharina Pichler Emerenzia Klachlmoser, Götz Argus Polizeidirektor von Pechmann, Arthur Klemt Maler Stieler, Wolfram Rupperti Leutnant Nussbaumer / Minister, Lukas Turtur Bébé / Bischof, Jürgen Kuttner Direktor, Manu Dacoll Musiker (dr), Thomas Wühr Musiker (dr), Polina Lapkovskaja Musiker (keyb), Ulrich Wangenheim Musiker (cl, bcl, fl), Blerim Hoxa Musiker (vio), Eugen Bazijan Musiker (cello), Manfred Manhart Musiker (akk), Leo Gmelch Musiker (tuba, btb), Dieter Bayer Herrenchor

Besucht wurde die Vorstellung am 24.03.2013

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