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Birand Bingül – Der Hodscha und die Piepenkötter

Ursel Piepenkötter ist Oberbürgermeisterin einer Stadt irgendwo in Deutschland. Sie kandidiert für eine konservative Partei und ihre Wiederwahl scheint in trockenen Tüchern zu sein – bis Nuri Hodscha auftaucht. Der islamische Religionsgelehrte kann seinen Jähzorn nicht zügeln und plaudert gerne mal mit Allah. Er ist schon öfter unangenehm aufgefallen und hat eine letzte Chance bekommen. Um sich bei seiner Gemeinde gut einzuführen, fordert er als allererste einen Moscheeneubau. Dass das in der Stadt von Ursel Piepenkötter nicht allzugut ankommt, ist klar und für sie beginnt eine heiße Wahlkampfphase.
Was dann folgt, ist eine Schlacht. Anders kann man das, was sich Hodscha und Piepenkötter antun, nicht bezeichnen. Jeder versucht sich mit cleveren Schachzügen, mal ist es ein Ausfallschritt, mal ein heimtückischer Dolch im Gewande, Vorteile zu verschaffen. Dabei wird mit harten Bandagen gekämpft und auch die eigenen Kinder müssen mitmachen und herhalten als Waffen.
Literarisches Vorbild ist hier ganz klar Don Camillo und Peppone. Und das funktioniert. Und man lernt so ganz nebenbei so einiges. Dass ich Allah und Jesus nicht so stark unterscheiden in ihrer Liebe zum Menschen und ihrem Verständnis für die kleinen Schwächen ihrer Schafe. Dass es innerhalb des Islams verschiedene Gruppen gibt, die mal mehr, mal weniger radikal sind. Dass man mit Klischees spielen kann, ohne das sie dem Leser zu den Ohren rauskommen.
Neben dem satirisch überzeichneten Zweikampf gibt es aber auch noch die zarte Liebesgeschichte von Hülya und Patrick. Auch an ihr zeigt der Autor Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Kulturen auf, dabei fühlt er sich unglaublich gut ein in die Gefühlswelt von Teenagern. Er spricht eine klare, leicht zu verstehende Sprache, die aber immer mit einem humorvollen Augenzwinkern versehen ist.
Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und den ein oder anderen Denkanstoß mitgenommen. Lediglich ein Glossar wäre noch hilfreich gewesen.
Der Hodscha und die Piepenkötter
Birand Bingül
Broschierte Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Rowohlt Polaris (2. Mai 2011)
ISBN-13: 978-3862520152

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Criminale, 26.04.2012, Arnsberg

[singlepic id=1168 w=320 h=240 float=left]Die Criminale ist ja zum einen das Treffen der Mitglieder des Syndikats, der größten deutschsprachigen Autorenvereinigung von Kriminalschriftstellern. Da gibt es Workshops, Tagungen und ganz viel Austausch. Auf der anderen Seite ist es aber auch das größte deutschsprachige Krimifestival. Über 250 Autoren lesen im gesamten Landkreis an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten. Diese Lesungen stehen immer unter einen bestimmten Motto.

In der gemütlichen Buchhandlung Houtermanns in dem ansonsten eher beschaulichen Arnsberg hieß es an diesem Abend “Auf und davon”. Die Krimis, die an diesem Abend vorgestellt wurden, spielten alle nicht in Deutschland. Der erste, Die Moldau im Schrank von Nina Maria Marewski gar in einer Parallellwelt. Sie erhielt dafür den SERAPH-Preis der fantastischen Akademie in der Sparte Debüt. Sie las eine Szene aus dem Leben des 16-jährigen Mitja, die deutlich machte, dass sie den Preis zurecht bekommen hatte. Befragt, wie sie sich denn auf ihrer ersten Criminale fühlen würde, meinte sie, dass sie sich sehr gut aufgehoben fühle und sich freue dabei zu sein, weil ihr Buch ja nun kein lupenreiner Krimi, sondern auch Liebesroman und Phantastik wäre.

Der nächste an der Reihe war Viktor Iro mit seinem Roman Tödliche Rückkehr. Der sympathisch und offen wirkende Autor ging das Wagnis ein, eine Szene fast vom Schluß seines Romanes zu lesen, aber das hat wunderbar funktioniert. Er konnte Budapest mit seinen Worten vor meinen Augen entstehen lassen. Sein nächstes Projekt ist die Verarbeitung einer Forschungsarbeit über die Darstellung von Drehbuchautoren im Film. Die Beispiele, die er anführte, klangen sehr interessant.

Die dritte Lesung führte schließlich nach Österreich, genauer gesagt in die Steiermark. Nach eigener Aussage mordet sich die erfolgreiche Autorin Claudia Rossbacher durch dieses österreichische Bundesland. Steirerherz ist ihr zweiter Roman um die Abteilungsinspektorin Sandra Mohr und die beiden Abschnitte, die sie las, gaben einen guten Einblick. Ihre Protagonistin ginge ihr manchmal ein wenig auf die Nerven, meinte sie, weil sie das Gegenteil von ihr selbst sei, aber der Chefinspektor Sascha Bergmann sorgt für einen gewissen Ausgleich.

Die letzte Lesung an diesem Abend stammte von Claudio Michele Mancini, der mit La Nesa und seinen anderen Mafiaromanen, die alle auf wahren Geschichten beruhen sollen, angeblich seine Jugend aufarbeitet. Ob das stimmt, lasse ich mal dahingestellt sein, mir kamen jedenfalls eine Menge seiner Aussagen übertrieben und unglaubwürdig vor. So wird seiner Aussage nach, wenn man sich einen Organspenderausweis zulegt, in in riesigen Datenbanken abgeglichen, ob die Werte zu jemandem passen und wenn das zufällig ein Superreicher ist, kanns schon mal sein, dass der Spender vorzeitig ablebt. Dumm nur, dass man in Deutschland gar nicht registriert wird, wenn man einen Organspendeausweis hat und schon gar nicht irgendwelche Werte darin festgehalten sind und die meisten Länder ein Opt-Out-System haben. Es ist ja ok für mich, einen Thriller über das Thema zu schreiben, aber den Menschen Angst zu machen, in dem man ihnen suggeriert, dass es alles harte Fakten seien, halte ich für geschmacklos. Er schaffte es jedenfalls, sich in praktisch jedes Gespräch einzumischen und sein nächstes Woche erscheinendes Buch mehrfach anzupreisen. Am Ende gab es noch ein paar Publikumsfragen und natürlich standen alle Autoren zum Signieren zur Verfügung.

[singlepic id=1167 w=320 h=240 float=right]Der zweite Programmpunkt an diesem Abend versprach einen Höhepunkt der Criminale: die Weltpremiere der ersten Krimiautorenband Hands up and the Shooting Stars! Ich war ja schon seit ewigen Zeiten nicht mehr auf einem Rockkonzert, aber die Energie, die an diesem Abend von der Bühne ins Publikum sprang, war ganz, ganz großartig. Die erfolgreiche Krimiautorin Gisa Klönne gab an diesem Abend ihr Bühnendebüt, sollte sie einmal genug vom Schreiben haben, ist ihr eine zweite Karriere am Mikro sicher. Ihre Gesangkollegin Sandra Lüpkes, sang nicht nur hinreißend, sondern legte bei Every breath you take auch noch ein fetziges Trompetensolo hin. Oliver Buslau, nach eigener Aussage eher im Klassikbereich unterwegs, zeigte, dass auch die Bratsche im Rock’n’Roll ihre Berechtigung hat.  Heinrich-Stefan Noelke am Bass, Volker Bleek am Schlagzeug, Peter Demant am Keyboard, Jörg Schmitt-Kilian (Gesang, Gitarre), Arnold Küsters (Bluesharp) und Stephan Everling (Gitarre) komplettierten die Band. Jedes Lied hatte einen kriminalistischen Zug, von Killing me softly bis zu einem speziell auf das Autorenleben neu getexteten, alten Song. Ein tolles Konzert, ich hoffe, das Auftritte ein fester Bestandteil der Criminale werden.Dazwischen las Oliver Buslau aus seinem Kurzkrimi Im Keller, der in der Musikschule nebenan spielt. Dass er die Atmosphäre und die Typen von Arnsberg sehr gut eingefangen hat, zeigten die Reaktionen des örtlichen Publikums.

Ein toller Abend, danke an alle Beteiligten!

Und danke an Petra Busch für die Fotos!

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JA zum Urheberrecht!

[singlepic id=1164 w=240 h=320 float=left]Im Rahmen der Criminale 2012 im Hochsauerlandkreis wurden in einer Pressekonferenz am heutigen Welttag des geistigen Eigentums zwei hochinteressante Aktionen vorgestellt. Zum Einen ist das die Initiative JA zum Urheberrecht, die die Syndikats-Autorinnen Nina George und Angela Eßer ins Leben riefen, als unter anderem die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm festlegen wollten, dass die Schutzfrist für Urheber auf fünf Jahre (derzeit 70) verkürzt werden solle. Es ist eine verbandsunabhängige Initiative, die sich als Fürsprecherin der UrheberInnen aller kulturschaffenden Sparten versteht. Bisher hatte die Initiative eine eigene Facebookseite, auf der Statements zum Urheberrecht gesammelt wurden und man brachte sich aktiv in Diskussionen ein, unter anderem mit den Piraten und den Grünen. Ein Pictbadge wurde entwickelt, der seit der Leipziger Buchmesse auch als Button erhältlich ist und dort dem Kulturstaatsminister Neumann angepinnt werden konnte, der sich darüber sehr erfreut zeigte.[singlepic id=1165 w=240 h=320 float=right] Seit heute hat die Initiative nun auch eine eigene Webseite. Dort gibt es Informationen über die Ziele, die Beteiligten, die Unterstützer und die Aktionen der Initiative. Aufgerufen zum Mitmachen sind alle Kulturschaffenden, aber auch Kulturgenießer, die für das Urheberrecht einsetzen wollen. Förderer sind bisher unter anderem namhafte AutorInnenverbände und -gruppen wie das Syndikat, die Mörderischen Schwestern, QuoVadis oder DeLiA sowie aus der Kreativwirtschaft große Verlage wie etwa BasteiLübbe, DroemerKnaur und rowohlt. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels unterstützt die Initiative ebenfalls.
[singlepic id=1166 w=240 h=320 float=left]Eine Aktion zum Thema wurde ebenfalls vorgestellt: Hemd ab for your rights. Acht Autorinnen und Autoren des Syndikats (Guido M. Breuer, Oliver Buslau, Marcel Feige, Andreas Izquierdo, Susanne Kliem, Eva Lirot, Susanne Mischke, Sonja Ullrich) haben sich bis auf die nackte Haut ausgezogen unter dem Motto “Acht Krimischriftsteller ziehen blank – für die Rechte von Autorinnen und Autoren”. Herausgekommen bei der Fotosession in der Kölner Gerichtsmedizin sind die beigefügten drei Plakatmotive, die im Grunde für sich selbst sprechen.
Urheberrecht ist ein Menschenrecht und genauso wie alle anderen Menschenrechte muss es respektiert werden.

Alle Fotos © Das Syndikat / Armin Zedler

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Premiere Ein Maskenball, 20.04.2012, Südthüringisches Staatstheater Meiningen

Riccardo liebt Amelia, die Frau seines besten Freundes und Ratgebers. Die liebt ihn zwar auch, fühlt sich aber an ihr Eheversprechen gebunden. Um sich diese verbotene Liebe auszutreiben, sucht sie den Rat der Wahrsagerin Ulrica. Diese empfiehlt ihr ein bestimmtes Kraut, das um Mitternacht am Galgenberg gesammelt werden müsste. Die verängstigte Amelia macht sich auf und wird beim Pflücken des Krautes von Riccardo bedrängt. In diese Situation platzt Renato, der erst mal seine Frau für schuldig hält und sie umbringen will. Er überlegt es sich aber dann doch anders und verbündet sich mit Verschwörern, die Riccardo schon lange nach dem Leben trachten. Auf einem Maskenball sticht er Riccardo nieder, der inzwischen aber erkannt hat, dass es falsch ist, sich in die Ehe der beiden hineinzudrängen. Riccardo stirbt, nachdem er Renato davon überzeugt hat, dass sich Amelia nichts zu Schulden hat kommen lassen. Renato seinerseits wird von seinen Mitverschwörern als unliebsamer Zeuge ebenfalls getötet.

Verdi wollte ursprünglich das Attentat auf den schwedischen König Gustav III 1792 auf einem Maskenball in dieser Oper behandeln, dies wurde ihm jedoch weder in Neapel noch in Rom gestattet. Während die Zensur in Neapel die Oper komplett umschreiben wollte, begnügte man sich in Rom mit einer Umbenennung der Protagonisten und der Verlegung der Handlung von Stockholm nach Boston. In neuerer Zeit wird die Oper gerne wieder in ihrer ursprünglichen Fassung gespielt.

Regisseur Ansgar Haag entschied sich für die Bostoner Fassung. Mir erschien es etwas surreal, dass eine Oper von Verdi in Amerika spielt, aber es fühlte sich richtig an. Laut seiner Inhaltsangabe spielt das Stück 1862. Das prächtige Bühnenbild und die historischen Kostüme von Klaus Hellenstein verdeutlichen diese Zeitangabe, bei der Ausstattung sind jedoch ein paar kleine Fehler unterlaufen. So wies die Flagge Amerikas zu diesem Zeitpunkt erst 33 Sterne auf und damit deutlich weniger als die auf den verteilten Jubelfähnchen. Die Freiheitsstatue, die hier als Losurne benutzt wird, wurde erst 1886 eingeweiht. Solche Details mögen bedeutungslos erscheinen, lenken mich aber ab, weil ich dann während des Stückes darüber nachdenke. Ansonsten hat mir die Regie aber sehr gut gefallen, für mich war alles schlüssig. Besonders interessant fand ich den Einfall, den Pagen Oscar, normalerweise eine Hosenrolle für eine Sopranistin, als Frau zu konzipieren, die hoffnungslos in Riccardo verliebt ist.

Musikalisch war dieser Abend ein Hochgenuss. Xu Chang sang den Riccardo fabelhaft und überzeugte mich besonders in der Sterbeszene. Dae-Hee Shin als Renato klang fast überirdisch schön, ich kannte die Musik vorher zwar nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man die Arien inniger und berührender singen kann. Bettine Kampp ging ganz in der Rolle der Amalia auf und Sonja Freitag überzeugte als Oscar auf der ganzen Linie. Francis Bouyer (Silvano) und Stephanos Tsirakoglou (Samuel) fielen mir in ihren Partien positiv auf. Einen Glanzpunkt setzte, wie schon so oft, Rita Kapfhammer in der Rolle der Wahrsagerin Ulrica. Bei ihr kommen eine starke Bühnenpräsenz und eine Stimme mit großer Ausdruckskraft und schier unglaublichem Umfang zusammen. Gesungen wurde übrigens, trotz des deutschen Titels, in Italienisch. Der Chor sang und spielte ebenfalls hervorragend. Das Orchester unter Alexander Steinitz brachte Verdi zum Glänzen. Am Ende euphorischer Jubel für alle Beteiligten.

Ein Abend, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

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Von Frauen, Liebe und Leben, 15.04.2012, Gärtnerplatztheater

Robert Schumanns Liedzyklus Frauenliebe und -leben beschreibt ein für die Romantik wohl typisches Frauenleben von der ersten Liebe bis zum Tod des Ehemannes. Er erfordert von der Sängerin viel stimmliches Ausdrucksvermögen, um die verschiedenen Emotionen von Verliebtheit bis Trauer gut transportieren zu können. Wer jemals Rita Kapfhammer live auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass ihr dieser Zyklus quasi auf den Leib geschrieben ist. Von Henning Kussel am Flügel wurde sie einfühlsam begleitet.

Danach sang Stefanie Kunschke Vier Lieder op. 2 von Arnold Schönberg. Ich bin ja nicht so der Experte im Liedgesang, also genauer gesagt eigentlich blutige Anfängerin, aber mir hat der klare Sopran von Frau Kunschke in diesen Liedern ausgesprochen gut gefallen. Weiter ging es nach der Pause mit Sechs deutsche Lieder op. 48 von Edvard Grieg, ebenfalls von Stefanie Kunschke gesungen. Auch hier überzeugte sie mich mit ihrem einfühlsamen und doch ausdrucksstarken Gesang.

Das Schmankerl des Abends hatten sich die beiden Sängerinnen jedoch bis zum Schluss aufgehoben: Duette von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Beide Stimmen harmonierten so wunderbar miteinander, dass man sich schon fragen muss, warum man diese Kombination nicht öfter gehört hat. Vor allem die Zugabe, das Herbstlied op. 63 Nr 4 nach einem Text von Karl Klingemann, rührte mich fast zu Tränen, nicht nur die Ausführung war sehr schön, sondern auch der Inhalt.

Ach, wie so bald verhallet der Reigen,
Wandelt sich Frühling in Winterzeit!
Ach, wie so bald in trauendes Schweigen
Wandelt sich alle die Fröhlichkeit!
Bald sind die letzten Klänge verflogen!
Bald sind die letzten Sänger gezogen!
Bald ist das letzte Grün dahin!
Alle sie wollen heimwärts zieh’n!

Wandelt sich Lust in sehnendes Leid!
War’t ihr ein Traum, ihr Liebesgedanken?
Süss wie der Lenz, und schnell verweht?
Eines, nur eines will nimmer wanken:
Es ist das Sehnen, das nimmer vergeht.

Karl Klingemann (1798-1862)

Kann es einen schöneren Abschied von den Foyerveranstaltungen geben?

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Hans Gerlach – Aromen & Gewürze: Feurig. Mild. Frisch. Erdig. Duftig. Süss

Als erstes fällt die edle Ausstattung ins Auge: geprägte Buchstaben und Bilder auf dem Einband, ein Lesebändchen und eine Unmenge von schönen und aussagekräftigen Hochglanzfotos charakterisieren dieses Kochbuch.
Auf den ersten 16 Seiten widmet sich der Autor Hans Gerlach den Grundregeln, die man beim Einkaufen und Lagern von Gewürzen beachten sollte. Das Geheimnis von Gewürzmischungen wird erklärt und wie man Aromen mit Hilfe von Salz, Essig und Öl konserviert. Weiter geht es mit einem sogenannten Würz-Workshop. Hier verdeutlicht der Autor, wie man ein Lebensmittel, zum Beispiel Reis, Kartoffeln, Hühnchen oder Rinderfilet, auf 5 verschiedene Arten zubereiten kann. Dabei unterteilt er die Geschmacksrichtungen in harmonisch-mild, frisch-aromatisch, erdig-orientalisch, scharf-feurig und ätherisch-duftend.
Diese Einteilung behält er auch bei, als er zum 126 Seiten starken eigentlichen Rezepteteil übergeht, wobei hier noch eine sechste Kategorie süß&balsamisch dazukommt. Auf den ersten zwei Seiten werden die Gewürze vorgestellt, die in dem jeweiligen Teil verwendet werden. Die meisten Rezept gehen über eine Doppelseite. Neben der Zutatenliste und der Zubereitung gibt es hier auch immer eine oder zwei Varianten, der Zeitbedarf wird festgehalten und die Bilder erklären die kniffligsten Handgriffe. Außerdem gibt es immer eine Rubrik “Das ist wirklich wichtig”. So kann eigentlich nichts schiefgehen. Meine Favoriten hieraus sind Spargel-Spagetti mit Frühlingswiesensauce, Hähnchenflügel aus dem Ofen und Zucchini-Nudeln mit Zitronensauce. Es schmeckt alles wirklich sehr fein und aromatisch.
Neben den zweiseitigen Rezepten gibt es auch noch einseitige und halbseitige sowie mehrere Rezepte für Pasten, Mischungen und Sirups auf jeweils einer Doppelseite. Im alphabetischen Register am Ende sind alle Gewürze fettgedruckt und die dazu jeweils passenden Rezepte darunter eingerückt. Diese finden sich aber auch selbst noch einmal in dem Register wieder, so dass man entweder nach allen Gerichten mit einem bestimmten Gewürz oder nach einem bestimmten Gericht suchen kann. Wie das ganze Buch ist das sehr übersichtlich.
Ein tolles Kochbuch für Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen!

Hans Gerlach – Aromen & Gewürze: Feurig. Mild. Frisch. Erdig. Duftig. Süss
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Kosmos (Franckh-Kosmos); Auflage: 1., Aufl. (8. August 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3440125890
ISBN-13: 978-3440125892

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Interview mit Thérèse Wincent und Gary Martin

[singlepic id=1163 w=320 h=240 float=left] Zur deutschen Übersetzung

Ms Wincent, Mr Martin, thank you for taking the time to talk to us. Could you give us an overview of your background and your career path?

Thérèse Wincent: I studied in London at the Royal College of Music, where I did a Bachelor of Music as well as a Postgraduate degree with a Masters. I moved to Vienna to continue my studies on the Opera course at the Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. I have since continued taking private lessons with, amongst others, Sylvia Zeman in Vienna. We try and meet as often as my schedule allows for!

How did you come to Gärtnerplatztheater?

Thérèse Wincent: I did an audition for ZBF Leipzig in the spring of 2003. A few days later I got a call that I should try and get to Gärtnerplatztheater as soon as possible as they needed somebody at short notice to cover for a soprano on maternity leave for a year. After that year they decided to offer me a three-year contract. When Dr. Peters took over the position of intendant, he decided to extend my contract on a yearly basis, so I have now been here for nine seasons. My first production, in the spring of 2003, was Werther.

Gary Martin: I attended university in the United States where I first received a Bachelor of Science degree in mathematics. But I was studying music at the same time. I stayed on at that university and finished my Bachelor of Arts degree in voice and at that time won a Rotary scholarship to study in Europe. I went to Vienna and studied at the Hochschule for Musik for one year. I returned to the States to study theology, but music would not let me go. I returned to music, receiving my Master’s degree in vocal performance from Southern Methodist University. I then moved to Chicago with my family to join the Chicago Lyric Opera Center, a training program for young opera singers. In 1995 I turned professional, singing regionally around the USA. In 1998 I auditioned for the Gärtnerplatztheater in New York City, and joined the Ensemble in July, 2000. And I have been here ever since.

Why did you become an opera singer?

Gary Martin: Sometimes I feel like opera chose me rather than the other way around. I have been singing my whole life. I always loved singing Musicals, I grew up watching all the great American Musicals and dreamed of being one of those wonderful leading baritones who always gets the girl. But as I studied music, my voice seemed better suited to the classical repertoire. The more I sang opera, the more I loved it. In my past I tried to walk away from singing, but I never could. It’s where my heart lies. So I think it was my destiny.

Thérèse Wincent: I actually also wanted to sing musical theater, before getting accepted to The Royal College of Music. I performed in a lot of Fringe and alternative west-end shows and took part in my first professional production when I was 16, at the Edinburgh Festival in Scotland. And I would have carried on, hadn’t it been for the fact that I was a much better singer than I was a dancer. Somebody heard me sing and said: “Well, why don’t you study classical singing, play to your strengths!” My love for the musical theater scene has never died though and here at Gärtnerplatz I have had the great fortune to combine both opera and musicals! One of the most fun roles I sung here was Minnie Faye in Hello Dolly!

Which music did you listen to when you were a child?

Thérèse Wincent: My parents had only two recordings. Beethoven, Ninth Symphony, and Vivaldi, The Four Seasons. I listened to them as often as I could, and those LPs I think are still alive somewhere, probably very scratched by now! But apart from that I didn’t really listen to a lot of classical music. I have never really been a “listener” but more of a “doer” so I tended to sing a lot myself even as a small child. My mom was constantly singing all sorts of songs and tunes around the house and so I copied her. I was five years old when I joined the local church choir.

Gary Martin: Well, my parents had more than two records. My mother was a professional ballerina in France when my father met her. After they moved to the States she opened a dance studio. So it was not unusual in our house to hear classical ballet being played. I’d come with my friends, and they would ask, “What in the world is that!?” I’d say, “That’s Tchaikovsky!” That was one side. On the other hand, my father loved country/western music. So it would also not be unusual to hear Johnny Cash or Tammy Wynette singing. At the same time, they also loved the crooners like Bing Crosby, Dean Martin, Frank Sinatra and, one of my personal favorites, a baritone named John Gary who had a three octave range. We also had recordings of numerous musicals, which I often listened to. When I got older I had records of my own, artists like James Taylor, Jim Croce, Harry Chapin, Don McLean, etc. So I had a very eclectic taste in music, and there was always music playing in our home.

What kind of music do you listen to now?

Gary Martin: Oh, that’s a very interesting question. I don’t really listen to music now. I sing so much that when I am not singing I want to do other things. So I watch things or I listen to audio books or I read or I do absolutely nothing. I don’t really listen to music now.

Therese Wincent: I was going to give the same answer. I tend to listen to a lot of audio books, and that’s great. I listen to the spoken word and a lot of talk radio. Sometimes I find myself just finding something on the internet that I like to listen to, that I didn’t really know before but that just takes my fancy. Working with music is interesting because every time I hear music I kind of want to sing along to it but I have to watch it that it doesn’t become work. (Laughs.)

Do you have perfect pitch?

Thérèse Wincent: I have a relative pitch. I think I was born with somewhat of a perfect pitch, but it drove me nuts, because very few things in life have perfect pitch. One fellow student of mine at the Royal College of Music who had perfect pitch, found it so difficult to hear the actual pitches that he had to have the musical instruments retuned before the lessons.

Gary Martin: I do not have perfect pitch. Never have. I have good relative pitch. When I rehearse a piece over and over again, I can soon begin singing my part without having to receive a tone, not because I have perfect pitch but just because it stays in my head. It was like that for Joseph Süß. But if I let the piece lie for a month, then it will be gone.

Do you play an instrument?

Gary Martin: Before I studied voice I played the trumpet, and then later switched to the baritone horn or euphonium. I never studied piano, but learned guitar for a short while. I loved playing in my high school band. That was one of my favourite things before I started singing. One reason I can read music well is because of my background playing an instrument.

Ms Wincent, do you still play the flute?

Thérèse Wincent: Well, I do pick it up occasionally, but it’s a very different breathing technique than singing. It is something that maybe one day, when I am not singing any more, I will take up again because it is a lovely instrument.

Which languages do you speak, and in which languages do you sing?

Thérèse Wincent: Ah, good question. I don’t speak any language perfectly any more. I was born just speaking Swedish, but I moved to England so soon in my life that I became more and more bilingual. Now l couldn‘t say what my native tongue is anymore. I have had to learn German because it is the work language at Gärtnerplatz. I was actually quite good at French when I was back at school. But now it is very difficult to keep that as a spoken language as well. Having three languages is kind of all my brain can do sometimes. But I can certainly understand French and Italian well enough to work in those languages as well. I would however love to learn Chinese. I have actually sung in Japanese, and that was wonderful. So any required language l can do, as long as I can look at it phonetically. I studied phonetics in London as part of my degree, it helps a lot when you have to deal with languages.

Gary Martin: I speak American English and somewhat passable German, I would say. Unfortunately, though my mother is French, she did not teach me French. She tried, I believe, when I was thirteen or fourteen, but by then I was too busy being a teenager to bother learning another language. I speak a little Spanish as well, but that’s it. I also understand some French and Italian. I’m beginning to learn Swedish. I have sung in the above six languages, as well as Latin, Russian, and Czech.

Are there any singers or actors that have influenced you?

Gary Martin: The short answer would be yes. To list them would be difficult. Whenever I listen to singers I always listen critically as well as for enjoyment. In other words, I ask myself, “What is that person doing? How is he or she producing that kind of sound? What is his/her technique?” And I feel like I am capable of understanding the technique without imitating the voice. I think Pavarotti had one of the most incredible techniques. But certainly I have been influenced and continue to be influenced by good singers. Absolutely.

Thérèse Wincent: Lots of people have influenced me. Certainly my singing teachers. To name one, Graziella Schiutti. Also my colleagues here at Gärtnerplatz, as well as other colleagues I have been working with over the past years, inspire me a lot too.

Do you have a favourite operatic recording?

Thérèse Wincent: Actually, I do, but it’s not complete and apart from Jussi Björling, there are no other known singers on it. A rather lovely Swedish version of La Bohème!

Gary Martin: No, I don’t think I have a favourite opera recording. The first one I ever heard was La Bohème with Freni and Pavarotti. I was mesmerized the first time I heard it. I had never heard anything like it. But I don’t think I have one favourite recording. There are just too many to mention.

Did you have engagements outside of Germany?

Gary Martin: I have sung quite a bit in the States. Even after I came here (to Germany) I went back there to sing a number of times. But other than that, Gärtnerplatz has kept me fairly busy. So other than the occasional concert, I have mostly been singing here in Munich.

Thérèse Wincent: I tend to sing mainly in the country where I currently live. My fest contract at Gärtnerplatz has certainly kept me busy! Saying that, l have had the possibility to perform in such different places as the USA, China and Japan as well as in my native Sweden and the rest of Europe.

What do you do – or avoid – to keep your voice in top condition?

Thérèse Wincent: Sleep. (Laughs.) My favourite pastime. I have to get enough sleep. If I don’t get enough sleep I tend to sing technically poor. Sometimes it’s not so much performances but rehearsal time that makes you tired. So rest, and more rest, and no loud talking in loud places. That’s the ticket in my case.

Gary Martin: Well, I would agree with Thessy that sleep is one of the primary things that we have to do. We have to be rested. And again, it depends on our schedule. If I am rehearsing a lot then I don’t tend to sing much extra because the voice has enough. But if I’m not singing then I do try regularly to warm up and test my voice and try to learn new music, and through the new music work on my technique. I am always working on my technique, constantly trying to learn new things about my voice and how it functions. I also try to stay physically fit and healthy. We try to eat well. And mostly, other than that, I try to avoid smoky and loud places, because that’s death for me.

What do you do to keep physically fit? How much sports does a singer have to do?

Gary Martin: I do mostly bodyweight exercises like push-ups and pull-ups, squats, etc. We also have an elliptical machine at home which I use about 30 minutes every other day; that’s what I normally try to do. I don’t belong to a gym.

Thérèse Wincent: Well, we don’t have a car which helps! I don’t like to sit around a lot so any kind of movement is good enough for me, even just a long walk. However, when I am working on a piece that is physical, I like to tie in my movements to fit that piece.

How much discipline do you need as an opera singer?

Thérèse Wincent: I don’t know if you need more discipline as an opera singer than anything else, but I think you generally need a lot of discipline in life. This thing about trying to stay healthy, I think, is one of the most important. Being an opera singer, being exposed and working with a very small muscle, the little vocal cords that we have, is rather specific. So, yes, we have to maybe look after ourselves slightly more. I know that I have a choice, I know if I have an early rehearsal the following morning I shouldn’t stay out until past midnight.

Gary Martin: I think we will need another discipline when we leave the theater. It is easy to get lazy when you have nothing to do. Here at the theater Joseph Süß had its premiere and then two days later our Studienleiter called to ask, “When do you want to start working on Falstaff?” So, in other words, the theater keeps us doing what we are supposed to be doing, they keep track of us. Whereas when we will be freelance it will be tempting to put off learning new roles. But tomorrow never comes. So there is a certain discipline needed to force oneself to keep a daily routine. We also need to keep our repertoire fresh in case a theater calls us to jump into a performance when a singer gets ill.

How do you prepare for a new role?

Gary Martin: Well, I usually listen to it first if I am not familiar with the piece, but I don’t listen to it to learn it, I listen to it just to become acquainted with it. Then I sit down at the piano and start playing my part and singing along, and pretty soon I’m learning the music and text simultaneously. I memorize my own part and learn the rest during the rehearsal process. With a tonal piece that is easy, but with Joseph Süß I found it quite difficult. It was one thing to learn a line, but then to know exactly how that line relates to the other singers – that was very difficult. So it took me longer to learn Joseph Süß as a whole than any other piece I have probably ever done, even though I knew my part fine. But I couldn’t quite fit it in the context until all of us were rehearsing as an ensemble. It was a challenge, but I found it to be a lot of fun.

Thérèse Wincent: I tend to look at the text, first thing I do. I always read through the whole score, even if I already know the opera in question. I just started looking at the fox in The Cunning Little Vixen to get an overview. Only then do I start looking at the actual notes which I have to learn. Very often we have to deal with translations, be it into German or English. But translations usually don’t work as well with the lines we have to sing, so we need to try to find where the difficulties might be. I like to have some ideas of my own about my character before I meet the director for the first time, this helps me as an actress.

Are you nervous before you go on the stage, and if so, what do you do to cope with that?

Thérèse Wincent: You mean, before performances ? I tend, generally, to be more nervous during rehearsals. By the time we get to the First Night I usually feel secure enough with my role. However, there is always a part of me thinking “Will the voice work tonight, will I remember my text…” Being a part of the Gärtnerplatz ensemble has certainly meant a great deal of security for me. We have worked together for so long that we know what to expect from one another. It certainly was very nerve-wrecking learning and performing a piece like Joseph Süß. Very difficult both musically as well as dramatically with great emotional impact on the singers, as well as on the audience.

Gary Martin: I am always nervous before a performance, but rarely so nervous that it affects my performance. I don’t do anything in particular, I simply use the nervousness to generate energy. I have always believed that the day I stop being nervous is the day I no longer care, and that’s the day I should stop singing. So I’ll always be somewhat nervous before a performance.

What is it you like about being an opera singer, and is there something you don’t like?

Gary Martin: That’s a good question. I love singing. I love being on stage, and I don’t even know why. I used to wonder if simply I need the applause, but that’s not it. It’s simply who I am. I like the challenge of learning new music, I enjoy meeting new people, performing with new people, new directors, new venues, new houses. That’s what I like about it. What I don’t like about it, I suppose, is the inconsistency, not always knowing what is going to come. Now in a permanent engagement, that was not so much the case; but even then we wouldn’t know what the next season was going to bring or what roles we were going to be given, and we had very little say. I sometimes feel I don’t fit in with the rest of the world because I don’t have a “normal job”. It’s almost impossible for others, even my family, to understand what I do. Not that they don’t try to understand. It’s simply beyond their experience. Beyond that I wouldn’t say there is much I dislike about what I do.

Thérèse Wincent: I do like the idea that I don’t have to get up that early in the morning and go to a normal job. It’s nice to have a lie-in. (Laughs.) No. – I want to be on the stage. However we don’t have the same freedom acting-wise as you do in just normal theater because we have to make sure that the music fits. But there is something absolutely marvelous to be able to be on stage and perform together with people and create something together. I think I need the stage more than I just need to sing. Being just a right-out concert singer is not my thing, and I’ve come to realize that more and more. I need the stage – not so much costume and make-up, but I need to be able to explore other realms and other people, trying to figure out what my character is all about. A negative thing about it? Well. We have stress like everybody else in our life. A slightly different stress. One has to make sure that it doesn’t consume us and take over, that we keep some kind of normality in our life. That’s when I need my friends and family to make sure I don’t overdo. But so far it’s worth every bit of it.

[singlepic id=1142 w=320 h=240 float=right]You just sang the premiere of Joseph Süß. Would you tell us something about your role?

Thérèse Wincent: Well, my role, Magdalena Weissensee, is the daughter of Weissensee, one of the protagonists. She is a victim character, certainly in this rendition of Joseph Süß. She is used in a political game of power of her father’s greed and wish for a better position in life. She is a character who doesn’t really have a say herself. I don’t think there was any time that she could have protected herself from this situation or gotten out of it. She has very little to put up against the very masculine world that she is faced with. She has never been to court, we find out as the story progresses, and she is being presented then to the duke, and he can use his droit de seigneur and just take her any way he wants, which he also does. She is somewhat confused, I think, because certainly in our production Guy Montavon wanted to explore a little bit of the relationship between Süß and Magdalena. So there certainly is an element of falling in love with Joseph Süß. But she is not allowed to do that, being a Christian woman. Having a relationship with a Jewish man would have been, certainly then, absolutely unheard of. That could have been a way for her to protest, even, against her father and against the normality of life. Towards the end of the opera she actually does stand up for herself. She could have lied and said: “No, I didn’t go along with what he said, he ensnared me.” When the judge is asking: “Have you done this?” – she could have said: “No, he has forced me to do all this.” – I think she loves him to the end.

Gary Martin: Joseph Süß is a very multi-faceted character, which makes him fascinating to play. He is a man of ambition. Obviously, there have always been those who have, and those who do not have, even today. In that time, you were either born into wealth and position, as the duke was, or you had to work your way into it by getting into his good graces. Joseph Süß wanted power, he wanted to be a man who amounted to something. He was already rich because of his connections, but he wanted to have position. He knew the way he could work into that position was by getting on the good side of the duke, helping him do what he wants to do, helping him to finance the things that he wants to finance. Because Süß is good with money, that’s his way in.

At the same time this man of ambition, a man who was willing to do whatever it took to get what he desired, also wanted to see his people freed. Then, Jews were not allowed into the city, and he believed that by having access to the duke he would eventually gain access for his people. So when his uncle tells him he’s going the wrong way, that it is not the “Jewish” way, and to stay away from those people because they are bad, Süß disagrees. He feels he is bringing glory to his people and their name, and they will gain access to the city through his position with the duke.

Süß is also a man of passion and compassion, a man who can love. He falls in love with Magdalena. He understands that the way to get Magdalena is first to allow the duke to have her. Thessy mentioned the droit de seigneur. The duke is allowed to do whatever he wants with any maiden in his realm. Süß knows that she has to go through that “hell”, as he puts it, before she can become his. And he does love her. But of course in the end he is betrayed by her father who hates him. So Süß is a multi-faceted character, and it is a challenge to try to bring out these various nuances on the stage. From both an acting and singing point of view, it is a rewarding and extremely enjoyable exercise for me and hopefully for the people that have seen it.

Do you understand Joseph Süß’s actions?

Gary Martin: Personally, you mean? I understand where they come from, yes. I understand why things were the way they were at the time historically. But because we didn’t have the time to discuss our characters in depth, due to the difficult nature of the piece, I do have some questions. For example, why did Süß tell the duke about Magdalena? Does he know her, or has he seen her and desired her? Does he understand that the only way he could have her is for the duke to have her first, and then, when he discards her, Süß would then be free to pursue her? Or did he not know that the duke had not met or even known of Magdalena?

I certainly understand Süß’ struggles with God in the end. It’s the same struggle many who trust in God have when bad things happen to them. They ask, “Why is God silent in my pain; where is he?” That’s what Süß is asking himself. When Magus, his uncle, tells him, “You must remember your prayers!” Süß responds, “I’ll pray when my prayers move God.” From his point of view God doesn’t listen, so why should he bother to pray? At the end, when he is executed, it is almost as if he says, “See? God doesn’t listen.” But one could answer him: “Perhaps, but didn’t you bring this on yourself? Wasn’t it your own ambition, your own desire for power and position that created this situation?”

Thérèse Wincent: What do I answer to that? Do I understand Magdalena’s actions? Yes, but it’s very difficult for a liberal 21st-century-woman to quite understand a person who lived so long ago and under these circumstances. Nowadays at least, most western women have choice. Magdalena’s position was to listen to what her father wanted, and then it would have been her husband, what he wanted. So she acts out of tradition and necessity. I think, personal love, personal interest for a woman in her situation didn’t really exist.

Gary Martin: But what she said at the end, what she does at the end is actually true. Because when the judge asks: “Whose child is that that you are carrying?”, and the father says: “It’s the duke’s.” – she could have gone along with that. So she shows her strength in the end by saying: “No, it’s from Süß.” – knowing that that is going to condemn her to death. Naemi does, who resists the duke. So really, two of the women in this story have tried to resist this male-dominated society. It didn’t get them very far, but they at least tried.

Thérèse Wincent: That’s right, yes.

Why didn’t Magdalena flee to save herself and her unborn child?

Thérèse Wincent: I’m not sure that there is anywhere to go, that you can flee, that you can get away. Where would she have gone? She would have been a woman who at the time couldn’t earn her own keep. I don’t know if she had any other family, but she would have been an outcast anywhere she would have gone. She protested the only way she knew how to, but I don’t think that she could have stood up for herself in any other way or fled. I don’t think she would have been accepted in the Jewish circles either, you know. She could have said: My child is half Jewish, could you protect me? – I don’t think they would have done.

Why doesn’t Joseph Süß save himself by converting to Christianity?

Gary Martin: I think he had a certain sense of – pride, perhaps, is not the right word, but he says to the Magus: “I have this position, I got this position as a Jew, and I’m going to keep it as a Jew.” In other words, if I convert to Christianity just to save myself, then that is no true conversion whatsoever. I am simply trying to save my own neck” – and there was something in him that couldn’t do that. Magdalena asked him to do that. She came to him and said: “Let us flee together.” She wanted to save them both, and their child, but the only way she knew, the only way they could do that was if he converted to Christianity. But Süß obviously couldn’t bring himself to do that.

Did you have any liberties with regard to the interpretation of your role?

Gary Martin: Yes we did. Guy Montavon approached the piece with very, very deliberate and distinct ideas of what he wanted and what he expected. But if we disagreed with something, he certainly allowed us to argue our point and would consider what we had to say. An example is: When Naemi is killed and Joseph Süß is kneeling before her, the duke offers him a position: “Freiherr von Süß”; and Guy Montavon wanted me to nod or to look up as if I were considering the offer. But I told himI did not believe my character would consider that at that point. So he went away, and the next day he came back and he said: “Okay, you are right. Then just don’t react whatsoever.” So he allowed me to impose my interpretation on his idea. Because his idea was that Süß is a man of ambition, and would do anything, even if it costs him his daughter’s life; I felt that was too much. Weissensee was like that. Weissensee made that choice at the very beginning, when the duke offered him the position of Magistralrat in exchange for his daughter. Weissensee chose the position. I don’t think Süß would have chosen to sacrifice his daughter to gain a position.

Thérèse Wincent: Freedom in characterization? Actually, yes, Guy Montavon had his ideas and I mine but they for the most part matched. Her (Magdalena’s) role in this opera is not so present – there could have been more to it, in a way, but it’s not written that way, which I think is actually good. She provides a nice sub-plot in her relationship with Süß. There is a lot, I think, scenically, that is going on behind stage where the audience have to do a lot of their own thinking . Her characterization could have been rather more extended, had we had more time, had it been a full-length opera, for instance, it would have had to be. But I certainly found that with this type of piece, because it is very difficult musically, and dramatically as well, it was good to have a director who said: “This is what I want. Can you do this?” It was also a very difficult piece technically, we had a revolving stage, and therefore there were a few spots I had to talk to him about, and he was very easy to deal with: “Whatever you can do to make it work, we will try it out. If I see that I don’t want it, I will tell you.” But he said: “No, that’s good, make it work, make it look okay.”

Do you have a dream role you would like to sing?

Thérèse Wincent: A dream role? Actually, I think I have already sung a dream role: Anne Frank by Grigori Frid, a mono-opera which premiered here in Munich in 2009. That was certainly a fantastic role to do. I would like to do it again. – Another dream role would be: Senta in The Flying Dutchman. But I am not sure if I can ever get to sing that one. (Laughs.) But that would be a dream role, absolutely.

Gary Martin: We have actually discussed doing that together, The Flying Dutchman. I used to think I wanted to sing Rigoletto, and while I would still like to, I am not sure it will ever happen. So I am just staying open. The Musical side of me always wanted to play Billy Bigelow in Carousel, but I think those days have passed me by, so – I am looking forward to whatever comes.

Can you give us an outlook on the rest of the season, and maybe next season, too?

Gary Martin: Well, I have this run of Joseph Süß, which I am going to enjoy, I think. It was a lot of hard work, and good work, and I am pleased with the end product. I think it was a good team that was put together. On 22 April we have our Farewell Concerts which are still being planned. In early May I sing Germont in La Traviata in Ingolstadt. In May and June I sing Ford in Falstaff, my last Gärtnerplatz production, though it will play in Prinzregententheater. And that will mark the end of my Gärtnerplatz career.

I have some concerts coming up in Bavaria and Mallorca. A fun project that will be coming up in 2013 in Bayreuth: A team has condensed the four Wagner Ring operas into one. They are calling it Der Ring an einem Abend (“The Ring in One Evening”). I have been chosen to sing Wotan, Wanderer, and Gunther for that, so I am looking forward to it very much. Then I will just see what comes beyond that.

Thérèse Wincent: In June I will sing the fox in Das schlaue Füchslein (The Cunning Little Vixen). That will be my last production for Gärtnerplatz, in the Prinzregententheater. After the last performance I have one day to pack my bags before going up to the Neue Eutiner Festspiele to sing the role of Bessie in Die Blume von Hawaii. The premiere is on the 2nd of August with another five performances after that. Then I think I need a holiday, before it is on to new and hopefully wonderful things. Any Intendants out there? Hurry up, I am still up for grabs! (Laughs.)

Thank you both very much for this interview!

Gary Martin: Thank you!
Thérèse Wincent: You are very welcome!

(This interview was given in Munich on 8. March 2012.)

[singlepic id=1135 w=320 h=240 float=left]Frau Wincent, Herr Martin, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Würden Sie uns einen Einblick in Ihren Werdegang geben?

Thérèse Wincent: Ich habe in London am Royal College of Music studiert und mein Studium mit einem Bachelor of Music sowie, nach einem Aufbaustudiengang, mit einem Masters abgeschlossen. Dann ging ich nach Wien, um an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die Opernschule zu besuchen. Seitdem nehme ich privaten Gesangsunterricht, unter anderen bei Sylvia Zeman in Wien. Wir versuchen, uns zu treffen, so oft mein Terminplan es zulässt!

Wie kamen Sie ans Gärtnerplatztheater?

Thérèse Wincent: Ich habe im Frühling 2003 an einem Vorsingen der ZBF Leipzig teilgenommen. Ein paar Tage später wurde ich angerufen, dass ich mich so schnell wie möglich am Gärtnerplatztheater vorstellen sollte, weil sie kurzfristig einen Ersatz benötigten für eine Sopranistin, die ein Jahr Babypause machte. Nach diesem Jahr entschied man sich, mir einen Dreijahresvertrag anzubieten. Als Dr. Peters Intendant wurde, entschied er sich dafür, meinen Vertrag immer auf Jahresbasis zu verlängern. Also bin ich jetzt seit neun Spielzeiten hier am Gärtnerplatztheater in München. Meine erste Produktion, im Frühling 2003, war Werther.

Gary Martin: Ich habe in den USA studiert. Mein erster Abschluss war ein Bachelor of Science in Mathematik. Aber gleichzeitig habe ich Musik studiert. Ich blieb an dieser Universität und machte einen Bachelor of Arts in Gesang. Zu dieser Zeit bekam ich ein Stipendium des Rotary Clubs, um in Europa zu studieren. Ich ging nach Wien und studierte dort ein Jahr an der Hochschule für Musik. Danach kehrte ich in die USA zurück, um Theologie zu studieren, aber die Musik ließ mich nicht los. Ich nahm mein Musikstudium wieder auf und machte meinen Master’s in Gesang an der Southern Methodist University. Dann zog ich mit meiner Familie nach Chicago, um an das Chicago Lyric Opera Center zu gehen, wo ich an einem Ausbildungsprogramm für junge Opernsänger teilnahm. 1995 begann ich, als professioneller Sänger zu arbeiten, und sang regional an unterschiedlichen Auftrittsorten in den USA. 1998 absolvierte ich ein Vorsingen für das Gärtnerplatztheater in New York City, und seit Juli 2000 bin ich Ensemblemitglied hier.

Was gab den Ausschlag, Opernsänger zu werden?

Gary Martin: Manchmal habe ich das Gefühl, die Oper hat mich gewählt, und nicht andersherum. Ich habe mein ganzes Leben lang gesungen. Ich sang immer sehr gerne Musicals, in meiner Jugend habe ich all die großartigen amerikanischen Musicals gesehen und ich träumte davon, diese wundervollen Bariton-Hauptrollen zu singen, wo der Bariton am Ende des Stücks immer das Mädchen kriegt. Aber als ich dann Musik studierte, schien meine Stimme für das klassische Repertoire geeigneter zu sein. Je mehr Opernpartien ich sang, desto mehr entdeckte ich meine Liebe zur Oper. In der Vergangenheit habe ich versucht, das Singen aufzugeben, aber es ging nicht. Das Singen ist das, woran mein Herz hängt. Also glaube ich, es war mir vorherbestimmt.

Thérèse Wincent: Ich wollte tatsächlich auch Musical singen, bevor ich am Royal College of Music aufgenommen wurde. Ich stand in vielen Fringe-Produktionen und alternativen West-End-Shows auf der Bühne und trat in meiner ersten professionellen Produktion auf, als ich 16 Jahre alt war, beim Edinburgh Festival in Schottland. Das hätte ich auch fortgesetzt, aber es stellte sich heraus, dass ich als Sängerin wesentlich besser war als als Tänzerin. Mir wurde dann gesagt, von jemandem, der mich singen gehört hatte: “Warum studierst du nicht klassischen Gesang, das liegt dir!” Meine Liebe zum Musical blieb aber bestehen, und hier am Gärtnerplatztheater hatte ich das große Glück, sowohl Oper als auch Musical singen zu dürfen. Eine der witzigsten Rollen, die ich hier gesungen habe, war Minnie Faye in Hello Dolly!

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Thérèse Wincent: Meine Eltern hatten nur zwei Schallplatten: Beethoven, Neunte Sinfonie, and Vivaldi, Die Vier Jahreszeiten. Ich habe sie ständig gehört. Diese LPs müssen noch irgendwo sein, aber vermutlich sind sie mittlerweile ziemlich verkratzt! Aber abgesehen davon habe ich nicht viel klassische Musik gehört. Ich war noch nie ein “Hörer” sondern eher ein “Selbermacher”, also habe ich schon als kleines Kind sehr viel selbst gesungen. Meine Mutter sang zuhause ständig alle möglichen Songs und Lieder, und ich habe das dann auch so gemacht. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich angefangen, in unserem Kirchenchor zu singen.

Gary Martin: Nun, meine Eltern besaßen mehr als zwei Schallplatten. Meine Mutter arbeitete als Tänzerin in Frankreich, als mein Vater sie kennenlernte. Nachdem sie in die USA gezogen waren, eröffnete sie ein Tanzstudio. Also war es bei uns zuhause nicht ungewöhnlich, klassisches Ballett zu hören. Wenn ich meine Freunde mit nach Hause brachte, fragten die: “Was um Himmels willen ist das denn!?” Ich antwortete dann: “Das ist Tschaikowski!” Das war die eine Seite. Zum anderen liebte mein Vater Country- und Westernmusik. Also war es auch nicht ungewöhnlich, Johnny Cash oder Tammy Wynette singen zu hören. Außerdem liebten sie Sänger wie Bing Crosby, Dean Martin, Frank Sinatra und, einer meiner persönlichen Favoriten, ein Bariton namens John Gary, der einen Stimmumfang von drei Oktaven hatte. Wir hatten auch Aufnahmen von vielen Musicals, die ich mir häufig anhörte. Als ich älter war, hatte ich meine eigenen Schallplatten, von Künstlern wie James Taylor, Jim Croce, Harry Chapin, Don McLean, etc. Ich hatte also einen sehr eklektischen Musikgeschmack, und bei uns zuhause lief immer Musik.

Welche Musik hören Sie heute?

Gary Martin: Oh, das ist eine sehr interessante Frage. Ich höre zur Zeit eigentlich gar keine Musik. Ich singe so viel, dass ich andere Dinge tun möchte, wenn ich nicht singe. Ich schaue mir was an, oder ich höre mir Hörbücher an, oder ich lese, oder ich mache überhaupt nichts. Ich höre zur Zeit eigentlich keine Musik.

Therese Wincent: So ist das bei mir auch. Ich höre mir oft Hörbücher an, die finde ich toll. Ich höre also gesprochene Texte und viel Talkradio. Manchmal finde ich einfach zufällig etwas im Internet, was ich gerne höre, etwas, was ich zuvor nicht kannte, aber was mir einfach gefällt. Es ist interessant, mit Musik zu arbeiten, denn immer, wenn ich Musik höre, möchte ich mitsingen; ich muss also aufpassen, dass es nicht in Arbeit ausartet. (Lacht.)

Haben Sie das absolute Gehör?

Thérèse Wincent: Ich habe ein relatives Gehör. Ich glaube, ich wurde mit etwas geboren, was in Richtung absolutes Gehör geht, aber das machte mich wahnsinnig, weil nur sehr wenige Dinge im Leben rein gestimmt sind. Einer meiner Mitstudenten am Royal College of Music, der das absolute Gehör hatte, fand es so unangenehm, die tatsächlichen Tonhöhen zu hören, dass die Musikinstrumente vor den Unterrichtsstunden für ihn neu gestimmt werden mussten.

Gary Martin: Ich habe kein absolutes Gehör, nie gehabt. Ich habe ein gutes relatives Gehör. Wenn ich ein Stück immer wieder probe, kann ich bald meine Partie singen, ohne einen Ton vorgegeben zu bekommen, nicht weil ich das absolute Gehör habe, sondern einfach, weil er in meinem Kopf bleibt. So war es bei Joseph Süß. Wenn ich das Stück aber einen Monat ruhen lasse, dann ist der Ton wieder weg.

Spielen Sie ein Instrument?

Gary Martin: Vor meinem Gesangsstudium habe ich Trompete gespielt, und später wechselte ich zum “baritone horn” bzw. Euphonium. Ich hatte nie Klavierunterricht, aber für eine kurze Zeit hatte ich Gitarrenstunden. Ich fand es toll, in meiner High-School-Band zu spielen. Das war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, bevor ich mit dem Singen anfing. Ein Grund, warum ich gut Noten lesen kann, ist, dass ich früher ein Instrument gespielt habe.

Spielen Sie immer noch Querflöte, Frau Wincent?

Thérèse Wincent: Nun, ich nehme meine Querflöte gelegentlich zur Hand, aber die Atemtechnik ist ganz anders als beim Singen. Vielleicht fange ich eines Tages, wenn ich mal nicht mehr singe, wieder an zu spielen, denn es ist ein wundervolles Instrument.

Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?

Thérèse Wincent: Ah, das ist eine gute Frage: Ich spreche keine Sprache mehr perfekt. Ich habe als ganz kleines Kind nur Schwedisch gesprochen, aber dann bin ich schon sehr früh in meinem Leben nach England umgezogen, so dass ich allmählich zweisprachig wurde. Heute könnte ich nicht mehr sagen, was meine Hauptsprache ist. Ich musste natürlich Deutsch lernen, weil das die Arbeitssprache am Gärtnerplatztheater ist. Damals in der Schule war ich sehr gut in Französisch, aber es ist jetzt schwierig, das als gesprochene Sprache aufrechtzuerhalten. Manchmal hat mein Gehirn nur ausreichend Kapazität für drei Sprachen. Aber auf jeden Fall verstehe ich Französisch und Italienisch gut genug, um in diesen Sprachen auch zu arbeiten. Ich würde sehr gerne noch Chinesisch lernen. Auf Japanisch habe ich schon gesungen, das war toll. Ich kann in jeder gewünschten Sprache singen, vorausgesetzt, dass ich das phonetische Schriftbild vor mir sehe. Phonetik war eines meiner Studienfächer in London; das ist sehr hilfreich, wenn man mit Fremdsprachen arbeitet.

Gary Martin: Ich spreche amerikanisches Englisch und ganz passables Deutsch, würde ich sagen. Leider hat mir meine Mutter kein Französisch beigebracht, obwohl sie Französin ist. Sie hat es versucht, als ich ungefähr 13 oder 14 Jahre alt war, aber da war ich dann schon zu sehr damit beschäftigt, ein Teenager zu sein, so dass ich mich nicht auch noch damit befassen konnte, eine andere Sprache zu lernen. Ich spreche auch ein wenig Spanisch, aber das ist alles. Ich verstehe allerdings etwas Französisch und Italienisch, und ich habe damit begonnen, Schwedisch zu lernen. In all diesen sechs Sprachen habe ich schon gesungen, außerdem in Latein, Russisch und Tschechisch.

Gibt es Sänger oder Schauspieler, die Sie beeinflusst haben?

Gary Martin: Die kurze Antwort wäre: Ja. Sie aufzuzählen wäre allerdings nicht so einfach. Wenn ich Sängern zuhöre, tue ich das nicht allein zum Vergnügen, sondern ich höre immer auch analytisch zu. Mit anderen Worten, ich frage mich: “Was macht diese Person da? Wie erzeugt er oder sie diesen Ton? Was hat er/sie für eine Technik?” Ich glaube, ich bin in der Lage, die Technik zu verstehen, ohne die Stimme zu imitieren. Pavarotti hatte eine ganz unglaubliche Technik, meiner Meinung nach. Aber natürlich wurde und werde ich von guten Sängern beeinflusst. Auf jeden Fall.

Thérèse Wincent: Viele Menschen haben mich beeinflusst. Meine Gesangslehrer vor allen Dingen. Um nur eine zu erwähnen: Graziella Schiutti. Auch meine Kollegen hier am Gärtnerplatztheater, und andere Kollegen, mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe, haben mich sehr inspiriert.

Bevorzugen Sie eine bestimmte Opern-Aufnahme?

Thérèse Wincent: Ja, ich habe eine Lieblingsaufnahme, aber sie ist unvollständig, und abgesehen von Jussi Björling von lauter unbekannten Sängern gesungen. Eine ganz reizende schwedische Fassung von La Bohème !

Gary Martin: Nein, ich glaube nicht, dass ich eine Lieblings-Opernaufnahme habe. Die allererste, die ich überhaupt gehört habe, war La Bohème mit Freni und Pavarotti. Ich war völlig fasziniert, als ich sie zum ersten Mal hörte; ich hatte zuvor noch nie etwas Derartiges gehört. Aber ich würde nicht sagen, dass ich eine bestimmte Lieblingsaufnahme habe. Es sind einfach zu viele, als dass man sie aufzählen könnte.

Hatten Sie schon internationale Engagements?

Gary Martin: Ich habe sehr viel in den USA gesungen. Auch nachdem ich nach Deutschland kam, bin ich des öfteren in die USA geflogen, um dort zu singen. Aber abgesehen davon hat mich das Gärtnerplatztheater ziemlich auf Trab gehalten, ich hatte ganz gut zu tun. Bis auf gelegentliche Konzerte habe ich also hauptsächlich hier in München gesungen.

Thérèse Wincent: Ich singe normalerweise hauptsächlich in dem Land, in dem ich gerade lebe. In meinem Festengagement am Gärtnerplatztheater hatte ich immer sehr viel zu tun! Ich hatte aber dennoch schon die Möglichkeit, in vielen unterschiedlichen Ländern aufzutreten: USA, China, Japan, in meinem Geburtsland Schweden und auch in anderen europäischen Ländern.

Was tun Sie – oder lassen Sie – um Ihre Stimme in Top-Form zu halten?

Thérèse Wincent: Ich schlafe. (Lacht.) Meine liebste Freizeitbeschäftigung. Ich brauche genügend Schlaf. Wenn ich nicht genug Schlaf bekomme, neige ich dazu, technisch nicht optimal zu singen. Manchmal sind es nicht so sehr die Vorstellungen als vielmehr die Proben, die einen müde machen. Also: Ruhe, nochmals Ruhe, und in einer lauten Umgebung nicht laut sprechen. Das ist es, was meiner Stimme guttut.

Gary Martin: Nun, ich stimme mit Thessy überein, dass Schlaf eines der wichtigsten Dinge ist, die wir tun müssen. Wir müssen ausgeruht sein. Hier kommt es auch wieder auf unseren Terminplan an. Wenn ich viel probe, dann singe ich normalerweise darüber hinaus nicht viel, weil die Stimme ausgelastet ist. Wenn ich aber nicht singe, dann versuche ich, meine Stimme regelmäßig aufzuwärmen und zu erproben, neue Stücke zu lernen, und mittels dieser neuen Stücke an meiner Technik zu arbeiten. Ich arbeite ständig an meiner Technik und versuche immer, Neues zu lernen in bezug auf meine Stimme und wie sie funktioniert. Ich achte auch darauf, mich körperlich fit und gesund zu halten. Wir legen Wert auf gute Ernährung. Und insbesondere, abgesehen davon, versuche ich, verrauchte und laute Orte zu meiden, denn das ist tödlich für mich.

Wie halten Sie sich körperlich fit? Wie viel Kondition braucht ein Sänger?

Gary Martin: Ich mache hauptsächlich Eigengewichtübungen, wie Liegestützen, Klimmzüge, Kniebeugen, und so weiter. Wir haben auch einen Ellipsentrainer zuhause, mit dem ich jeden zweiten Tag eine halbe Stunde lang trainiere; das mache ich normalerweise. Ich gehe nicht ins Fitnessstudio.

Thérèse Wincent: Nun, wir haben kein Auto, das hilft! Ich sitze nicht gerne herum, also ist mir jede Art von Bewegung recht, selbst wenn es nur ein langer Spaziergang ist. Aber wenn ich an einer Rolle arbeite, die viel Körpereinsatz erfordert, passe ich meine sportlichen Aktivitäten nach Möglichkeit an diese Rolle an.

Wie viel Disziplin muss ein Opernsänger aufbringen?

Thérèse Wincent: Ich weiß nicht, ob man als Opernsänger mehr Disziplin benötigt als in anderen Berufen, aber ich denke, man braucht generell viel Disziplin im Leben. Diese Sache, dass man versucht, gesund zu bleiben, ist mit am wichtigsten, würde ich sagen. Als Opernsänger sind wir in einer ziemlich speziellen Situation: man ist exponiert, man arbeitet mit sehr kleinen Muskeln, diese kleinen Stimmlippen. Also müssen wir vielleicht etwas mehr auf uns achten, doch, ja. Ich weiß, dass ich eine Wahl habe, ich weiß, dass es mir nicht guttut, nach Mitternacht noch unterwegs zu sein, wenn ich am nächsten Tag frühmorgens Probe habe.

Gary Martin: Ich glaube, wir werden eine andere Art von Disziplin benötigen, wenn wir vom Theater weggehen. Es ist leicht, in Müßiggang zu verfallen, wenn man nichts zu tun hat. Hier am Theater hatte Joseph Süß Premiere, und zwei Tage später rief unser Studienleiter an und fragte: “Wann möchtest du anfangen, am Falstaff zu arbeiten?” Ich meine damit, das Theater sorgt dafür, dass wir das tun, was wir tun sollen, sie behalten uns im Auge. Wohingegen, wenn wir dann freiberuflich arbeiten, da kommt man schon in Versuchung, das Einstudieren neuer Rollen bis zum Sankt Nimmerleinstag aufzuschieben. Also braucht man eine gewisse Disziplin, um sich zu einer täglichen Routine zu zwingen. Wir müssen auch unser Repertoire frisch halten, falls ein Theater kurzfristig anruft und wir bei einer Vorstellung einspringen sollen, wenn ein Sänger krank wird.

Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?

Gary Martin: Ich höre mir das Stück zuerst an, wenn ich es noch nicht kenne; aber nicht, um es zu lernen, sondern nur, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Dann setze ich mich ans Klavier und beginne, meine Partie zu spielen und mitzusingen, und sehr bald lerne ich die Musik und den Text gleichzeitig. Ich lerne meine eigene Partie auswendig, und den Rest lerne ich während der Proben. Bei einem tonalen Stück ist das einfach, aber bei Joseph Süß fand ich das ziemlich schwierig. Eine Zeile zu lernen war die eine Sache, aber dann genau zu wissen, wie diese Zeile zu den anderen Sängern in Bezug gesetzt wird – das war sehr schwierig. Ich habe also insgesamt wohl länger gebraucht, um Joseph Süß zu lernen, als für jedes andere Stück, das ich jemals gemacht habe, obwohl ich meine Partie gut konnte. Aber ich konnte sie nicht genau in den Zusammenhang einordnen, bis wir alle als Ensemble geprobt haben. Das war wirklich eine Herausforderung, aber es hat mir auch viel Spaß gemacht.

Thérèse Wincent: Ich sehe mir normalerweise zuerst den Text an. Ich lese mir immer den gesamten Klavierauszug durch, auch wenn ich die Oper, um die es geht, bereits kenne. Jetzt gerade habe ich angefangen, mir die Rolle des Fuchses in Das Schlaue Füchslein anzuschauen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Erst dann beginne ich damit, mir die Noten anzusehen, die ich lernen muss. Sehr oft haben wir es mit Übersetzungen zu tun, sei es ins Deutsche oder ins Englische. Aber Übersetzungen lassen sich meistens nicht so gut singen, also müssen wir versuchen, herauszufinden, wo es Schwierigkeiten geben könnte. Ich mache mir gerne meine eigenen Gedanken zu meiner Figur, bevor ich den Regisseur zum ersten Mal treffe, das hilft mir bei der szenischen Umsetzung.

Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja, was tun Sie dagegen?

Thérèse Wincent: Vor den Vorstellungen, meinen Sie? Ich bin generell nervöser während der Proben. Wenn wir dann bei der Premiere angelangt sind, fühle ich mich normalerweise sicher genug in meiner Rolle. Aber da ist immer ein Teil von mir, der denkt: “Ist die Stimme heute Abend gut; kann ich meinen Text …” Auf jeden Fall hat es mir sehr viel Sicherheit gegeben, ein Teil des Gärtnerplatz-Ensembles zu sein. Wir haben so lange zusammengearbeitet, dass wir wissen, wie sich die anderen verhalten. Es war auf jeden Fall sehr nervenaufreibend, ein Stück wie Joseph Süß zu lernen und aufzuführen. Sehr schwierig, sowohl musikalisch als auch szenisch, mit einer starken emotionalen Wirkung auf die Sänger und auf das Publikum.

Gary Martin: Ich habe immer Lampenfieber vor einer Vorstellung, aber ich bin nur sehr selten so nervös, dass es meine Leistung beeinträchtigt. Ich mache nichts Besonderes dagegen, ich nutze das Lampenfieber einfach, um Energie zu erzeugen. Ich war immer schon der Meinung, dass der Tag, an dem ich kein Lampenfieber mehr habe, der Tag ist, an dem mir alles egal ist, und das ist der Tag, an dem ich mit dem Singen aufhören sollte. Ich werde also vor einer Vorstellung immer ein bisschen Lampenfieber haben.

Was gefällt Ihnen an dem Beruf des Opernsängers, und gibt es etwas, was Ihnen daran nicht gefällt?

Gary Martin: Das ist eine gute Frage. Ich liebe es, zu singen. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, und ich weiß nicht einmal, warum. In der Vergangenheit habe ich mich öfter gefragt, ob ich einfach den Applaus brauche, aber das ist es nicht. Das ist einfach der, der ich bin. Ich mag die Herausforderung, neue Stücke zu lernen, ich lerne gerne neue Menschen kennen, trete gerne mit neuen Kollegen auf, arbeite gerne mit neuen Regisseuren, an neuen Spielstätten, in neuen Häusern. Das ist es, was mir daran gefällt. Was mir nicht daran gefällt, würde ich mal sagen, ist die Unbeständigkeit: dass man nicht immer weiß, was die Zukunft bringt. In einem Festengagement war das nicht so sehr der Fall, aber auch da wussten wir nicht, was die nächste Spielzeit bringen würde oder welche Rollen uns zugeteilt werden würden, und wir hatten da sehr wenig Mitspracherecht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich nicht so richtig zum Rest der Welt passe, weil ich keinen “normalen” Beruf habe. Es ist fast unmöglich für andere, selbst für meine Familie, zu verstehen, was ich mache. Nicht, dass sie nicht versuchen würden, es zu verstehen. Es liegt einfach außerhalb ihres Erfahrungsbereichs. Abgesehen davon gibt es nicht viel, was mir an meinem Beruf nicht gefällt.

Thérèse Wincent: Mir gefällt der Gedanke, dass ich morgens nicht so früh aufstehen muss wie ein “normaler” Arbeitnehmer. Es ist schön, wenn man ausschlafen kann. (Lacht.) Nein. – Ich möchte auf der Bühne stehen. Wir haben allerdings, was das Schauspielerische angeht, nicht die Freiheiten, die man beim Sprechtheater hat, weil wir darauf achten müssen, dass es die Musik nicht beeinträchtigt. Aber das ist etwas ganz Wunderbares, wenn man auf der Bühne stehen kann, zusammen mit anderen Menschen auftreten und etwas zusammen erschaffen kann. Ich glaube, ich brauche die Bühne noch mehr als das Singen. Ausschließlich Konzertsängerin zu sein wäre nichts für mich, und das ist etwas, was mir immer mehr bewusst wird. Ich brauche die Bühne – nicht so sehr Kostüm und Maske, aber ich muss andere Welten und andere Persönlichkeiten erforschen können, indem ich versuche, herauszufinden, wie die Figur, die ich auf der Bühne darstelle, wirklich ist. – Negative Aspekte? Nun, wir stehen unter Stress, so wie alle anderen um uns herum. Es ist ein etwas anderer Stress. Man muss aufpassen, dass er nicht überhand nimmt und uns auffrisst, dass wir eine gewisse Normalität in unserem Leben beibehalten. Da brauche ich meine Freunde und meine Familie, die dafür sorgen müssen, dass ich es nicht übertreibe. Aber bis jetzt ist es das alles wert. Auf jeden Fall.

Sie haben gerade die Premiere der Oper Joseph Süß gesungen. Würden Sie uns etwas über Ihre Rolle erzählen?

Thérèse Wincent: Nun, meine Partie, Magdalena Weissensee, ist die Tochter von Weissensee, einem der Protagonisten. Ihre Rolle ist als Opferfigur angelegt, auf jeden Fall in dieser Fassung von Joseph Süß. Sie wird benutzt in einem politischen Machtspiel ihres Vaters, der habgierig ist und eine bessere Position im Leben anstrebt. Sie ist eine Figur, die selbst eigentlich nichts mitzureden hat. Ich glaube nicht, dass es jemals einen Zeitpunkt gab, zu dem es ihr möglich gewesen wäre, sich vor dieser Situation zu schützen oder ihr zu entrinnen. Der sehr maskulinen Welt, der sie sich gegenübersieht, hat sie nur sehr wenig entgegenzusetzen. Im Lauf der Handlung stellt sich heraus, dass sie noch nie am Hof des Herzogs war. Sie wird dem Herzog dann vorgestellt, und er kann auf sein droit de seigneur pochen und sich diese junge Frau einfach nehmen, so wie er will, und das tut er auch. Sie ist etwas durcheinander, glaube ich, denn auf jeden Fall in unserer Produktion wollte Guy Montavon die Beziehung zwischen Süß und Magdalena ein wenig ausloten. Da gibt es also auf jeden Fall den Aspekt, dass sie sich in Joseph Süß verliebt. Aber als Christin darf sie das nicht. Eine Beziehung zu einem Juden zu haben, wäre damals natürlich absolut unerhört gewesen. Das könnte sogar eine Möglichkeit gewesen sein für sie, gegen ihren Vater zu protestieren und gegen die Normalität ihres Lebens. Gegen Ende der Oper bezieht sie dann tatsächlich Stellung und versucht, sich zu behaupten. Sie hätte lügen können und sagen: “Nein, ich war mit dem, was er sagte, nicht einverstanden, er hat mich dazu verleitet.” Als der Richter fragt, ob sie das getan hat, hätte sie sagen können: “Nein, er hat mich gezwungen, all das zu tun.” Ich glaube, sie liebt ihn bis zum Ende.

Gary Martin: Joseph Süß ist eine Figur mit sehr vielen Facetten, was ihn zu einer faszinierenden Rolle macht. Er ist ein ehrgeiziger Mann. Natürlich gab es immer die Wohlhabenden, und die Habenichtse, auch heute noch. In jener Zeit wurde man entweder in eine Position und in Wohlstand geboren, wie der Herzog, oder man musste darauf hinarbeiten, indem man seine Gunst erlangte. Joseph Süß wollte Macht, er wollte ein Mann sein, der etwas darstellte. Er war bereits reich aufgrund seiner Beziehungen und Verbindungen, aber er wollte Status. Er wusste, dass er sich so eine Position erarbeiten konnte, indem er sich mit dem Herzog gut stellte, ihm half, seine Ziele zu erreichen und die Dinge zu finanzieren, die er finanzieren wollte. Denn Süß kann gut mit Geld umgehen, das ist sein Weg ins Innere der Macht.

Aber dieser ehrgeizige Mann, ein Mann, der bereit war, alles zu tun, was erforderlich war, um seine Ziele zu erreichen, wollte gleichzeitig auch Freiheit für sein Volk. Damals war es Juden nicht erlaubt, die Stadt zu betreten, und er glaubte, dadurch, dass er Zugang zum Herzog hatte, würde er schließlich auch für sein Volk den Zugang zur Stadt erringen. Als sein Onkel ihm also sagt, dass er einen Irrweg eingeschlagen hat, dass das nicht der “jüdische” Weg ist, und dass er sich von diesen Leuten fernhalten soll, weil sie böse sind, widerspricht ihm Süß. Er glaubt, dass er seinem Volk und ihrem Namen Ruhm bringt, und dass sie durch seine Position beim Herzog den Zugang zur Stadt erlangen werden.

Süß ist auch ein Mann voller Leidenschaft und Mitgefühl, ein Mann, der lieben kann. Er verliebt sich in Magdalena. Er versteht, dass, wenn er Magdalena haben will, er sie zuerst dem Herzog überlassen muss. Thessy sprach von dem droit de seigneur: Der Herzog darf mit jeder jungen Frau in seinem Reich tun, was ihm beliebt. Süß weiß, dass sie durch diese “Hölle” gehen muss, wie er es nennt, bevor sie die Seine werden kann. Und er liebt sie wirklich. Aber am Ende natürlich wird er von ihrem Vater verraten, der ihn hasst. Süß ist also eine Figur mit vielen Facetten, und es ist eine Herausforderung, diese verschiedenen Nuancen auf die Bühne zu bringen. Sowohl schauspielerisch als auch sängerisch ist es ein lohnendes und sehr, sehr schönes Stück für mich und hoffentlich auch für die Zuschauer.

[singlepic id=1141 w=320 h=240 float=right]Können Sie Joseph Süß verstehen, warum er so handelt?

Gary Martin: Ich persönlich, meinen Sie? Ich verstehe seine Beweggründe, ja. Ich verstehe, warum die Dinge damals, historisch betrachtet, so waren, wie sie waren. Aber wir hatten nicht genug Zeit, um unsere Figuren noch genauer zu analysieren, weil das Stück so schwer ist, und deswegen habe ich noch einige offene Fragen. Zum Beispiel, warum hat Süß dem Herzog von Magdalena erzählt? Kennt er sie, oder hat er sie gesehen und begehrt sie? Versteht er, dass er sie nur haben kann, wenn der Herzog sie zuerst nimmt … und dann, wenn der Herzog sie wegschickt, weil er ihrer überdrüssig ist, es Süß freistünde, um sie zu werben? Oder war ihm gar nicht klar, dass der Herzog Magdalena noch nie begegnet war, dass er nicht einmal von ihr wusste?

Auf jeden Fall kann ich verstehen, dass Joseph Süß am Ende an Gott zweifelt. Viele Menschen, die auf Gott vertrauen, haben diese Zweifel, wenn ihnen Schlimmes zustößt. Sie fragen: “Warum schweigt Gott zu meinem Schmerz, wo ist er?” Das ist die Frage, die Süß sich stellt. Wenn sein Onkel Magus ihm sagt: “Du musst an deine Gebete denken!”, antwortet Süß: “Ich werde beten, wenn meine Gebete Gott bewegen.” Aus seiner Sicht hört Gott ihm nicht zu, warum also sollte er sich die Mühe machen, zu beten? Am Ende, wenn er hingerichtet wird, ist es fast, als würde er sagen: “Siehst du? Gott hört mich nicht.” Aber man könnte ihm antworten: “Mag sein, aber hast du dir das nicht selbst zuzuschreiben? War es nicht dein eigener Ehrgeiz, dein eigenes Verlangen nach Macht und Status, wodurch diese Situation entstanden ist?”

Thérèse Wincent: Was antworte ich darauf? Verstehe ich, warum Magdalena so handelt, wie sie handelt? Ja, aber es ist sehr schwierig für eine Frau aus dem liberalen 21. Jahrhundert, eine Person tatsächlich zu verstehen, die vor so langer Zeit und unter solchen Umständen lebte. Heutzutage zumindest haben die meisten Frauen im Westen eine Wahl. Magdalenas Position war es, auf das zu hören, was ihr Vater wollte, und danach wäre es ihr Ehemann gewesen, was der wollte. Sie handelt also aus der Tradition und Notwendigkeit heraus. Ich glaube, so etwas wie romantische Liebe oder persönliches Interesse gab es für eine Frau in ihrer Lage eigentlich nicht.

Gary Martin: Aber was sie am Ende sagte, was sie am Ende tut, ist wahrhaftig. Denn wenn der Richter fragt: “Von wem ist das Kind, das du unter dem Herzen trägst?”, und der Vater sagt: “Es ist das Kind des Herzogs” – bei dieser Aussage hätte sie es belassen können. Aber sie beweist am Ende Stärke, indem sie sagt: “Nein, es ist von Süß!” – obwohl sie weiß, dass das ihr Todesurteil bedeutet. Auch Naemi beweist Stärke, indem sie sich dem Herzog widersetzt. Also haben zwei von den Frauen in dieser Geschichte versucht, sich dieser von Männern dominierten Gesellschaft zu widersetzen. Sie sind nicht weit gekommen, aber zumindest haben sie es versucht.

Thérèse Wincent: Ja, das stimmt.

Warum ist Magdalena nicht geflohen, um sich und ihr ungeborenes Kind zu retten?

Thérèse Wincent: Ich bin mir nicht sicher, dass sie irgendwohin fliehen konnte, dass es eine Möglichkeit gab, zu entkommen. Wo hätte sie hingehen sollen? Sie wäre eine Frau gewesen, die zu der Zeit ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen konnte. Ich weiß nicht, ob sie noch mehr Familie hatte, aber überall, wo sie hingegangen wäre, wäre sie eine Ausgestoßene gewesen. Sie hat protestiert, auf die einzige Art und Weise, die ihr zu Gebote stand, aber ich glaube nicht, dass sie sich auf irgendeine andere Weise hätte behaupten können, oder dass sie hätte fliehen können. Meiner Meinung nach wäre sie auch in den jüdischen Kreisen nicht akzeptiert worden. Sie hätte zwar sagen können: “Mein Kind ist halb jüdisch, könnt ihr mich beschützen?”, aber ich denke nicht, dass sie das getan hätten.

Warum rettet Joseph Süß sich nicht, indem er zum Christentum übertritt?

Gary Martin: Ich glaube, er hatte einen gewissen – Stolz ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber er sagt zum Magus: “Ich habe diese Position, ich habe diese Position als Jude bekommen, und ich werde sie als Jude behalten.” Anders ausgedrückt: Wenn ich zum Christentum übertrete, nur um mich zu retten, dann ist das keine echte Bekehrung, überhaupt nicht. Ich versuche dann nur, meinen eigenen Hals zu retten” – und das widerstrebte ihm so sehr, dass er es nicht tun konnte. Magdalena bat ihn, das zu tun. Sie kam zu ihm und sagte: “Lass uns zusammen fliehen.” Magdalena wollte sie beide retten, und dazu ihr gemeinsames Kind, aber die einzige Möglichkeit, die sie kannte, die einzige Möglichkeit, wie sie das tun konnten, war, wenn er zum Christentum übergetreten wäre. Aber Süß konnte sich offenkundig nicht dazu überwinden, das zu tun.

Hatten Sie Freiheiten bei der Interpretation Ihrer Rolle?

Gary Martin: Ja, das hatten wir. Guy Montavon ist an das Stück mit ganz durchdachten und konkreten Vorstellungen herangegangen, was er wollte und was er erwartete. Aber wenn wir bei einem Punkt nicht seiner Meinung waren, ließ er uns jederzeit unsere Argumente vortragen und dachte darüber nach. Ein Beispiel: Als Naemi getötet wird und Joseph Süß vor ihr kniet, bietet ihm der Herzog eine Position an, einen Titel: “Freiherr von Süß”. Guy Montavon wollte, dass ich nicken oder aufschauen sollte, so als würde ich über dieses Angebot nachdenken. Aber ich sagte ihm, dass ich nicht glaubte, meine Figur würde das zu diesem Zeitpunkt in Betracht ziehen. Dann ging er wieder, und am nächsten Tag kam er zurück und sagte: “Okay, du hast recht. Dann zeige überhaupt keine Reaktion.” Also gestattete er mir, meine Interpretation über seine ursprüngliche Idee zu legen. Denn sein Gedanke dazu war, dass Süß ein ehrgeiziger Mann ist und alles dafür tun würde, sogar wenn es ihn das Leben seiner Tochter kostet; ich fand, das war zuviel. Weissensee war so ein Mensch. Weissensee traf ganz am Anfang diese Entscheidung, als der Herzog ihm die Position eines Magistralrats im Tausch gegen seine Tochter anbot. Weissensee wählte den Titel. Ich glaube nicht, dass Süß sich dafür entschieden hätte, seine Tochter zu opfern, um eine Position zu erlangen.

Thérèse Wincent: Freiheiten bei der Charakterisierung? Ja, doch, Guy Montavon hatte seine Vorstellungen und ich hatte meine, aber sie stimmten größtenteils überein. Magdalenas Rolle in dieser Oper ist nicht so präsent – man hätte mehr daraus machen können, in gewisser Weise, aber es ist nicht so geschrieben, was ich sogar gut finde. Sie liefert einen schönen untergeordneten Handlungsstrang mit ihrer Beziehung zu Süß. Ich denke, szenisch gesehen findet vieles hinter den Kulissen statt, wo die Zuschauer sich an vielen Stellen ihre eigenen Gedanken machen müssen. Die Charakterisierung dieser Figur hätte noch deutlich ausgeweitet werden können, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten. Wenn es eine Oper in voller Länge gewesen wäre, hätte das so sein müssen. Aber auf jeden Fall fand ich, dass bei so einem Stück, weil es musikalisch und auch szenisch sehr schwierig ist, es gut war, einen Regisseur zu haben, der sagte: “Das will ich. Könnt ihr das machen?” Es war auch technisch ein sehr kompliziertes Stück, wir hatten eine Drehbühne, und deshalb gab es ein paar Punkte, die ich mit ihm besprechen musste. Er war da sehr angenehm im Umgang: “Versuch mal, dass du es irgendwie hinbekommst, und dann probieren wir das aus. Wenn ich sehe, dass es mir nicht gefällt, sage ich es dir.” Aber er sagte dann: “Nein, das ist gut, mach es so, dass es funktioniert und dass es vernünftig aussieht.”

Gibt es eine Rolle, die Sie gerne noch singen würden, eine Traumrolle vielleicht?

Thérèse Wincent: Eine Traumrolle? Ich würde sagen, ich habe schon eine Traumrolle gesungen: Anne Frank von Grigori Frid, eine Mono-Oper, die hier in München 2009 Premiere hatte. Das war eine fantastische Rolle, die würde ich gerne noch einmal machen. – Eine andere Traumrolle wäre Senta in Der Fliegende Holländer. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals dazu komme, diese Partie zu singen (lacht). Aber das wäre eine Traumrolle, unbedingt.

Gary Martin: Wir haben sogar mal darüber gesprochen, diese Oper gemeinsam zu machen, Der Fliegende Holländer. Ich dachte früher immer, dass ich Rigoletto singen wollte, und das würde ich immer noch gerne, aber ich bin mir nicht sicher, dass das jemals in Erfüllung geht. Also bin ich offen für das, was kommt. Der Musical-begeisterte Teil von mir wollte immer Billy Bigelow in Carousel spielen, aber ich glaube, diese Zeiten sind vorbei. Also freue ich mich auf alles, was kommt.

Können Sie uns einen Ausblick auf die restliche Spielzeit geben, und vielleicht auch auf die kommende Spielzeit?

Gary Martin: Nun, derzeit singe ich, wie gesagt, bis in den April Joseph Süß, und ich glaube, das wird mir viel Freude machen. Es war sehr viel Arbeit, und gute Arbeit, und ich bin mit dem Endergebnis sehr zufrieden. Ich finde, da wurde ein gutes Team zusammengestellt. Am 22. April haben wir unsere Abschiedskonzerte, die derzeit noch im Planungsstadium sind. Anfang Mai singe ich den Germont in La Traviata in Ingolstadt. Im Mai und Juni singe ich den Ford in Falstaff, meine letzte Gärtnerplatz-Produktion, auch wenn sie im Prinzregententheater gespielt wird. Und das ist dann der Schlusspunkt meiner Zeit am Gärtnerplatztheater.

Dann habe ich ein paar Konzerte in Bayern und auf Mallorca. Ein schönes Projekt kommt 2013 in Bayreuth: Ein Team hat die vier Ring-Opern von Wagner zu einer zusammengefasst. Sie nennen es Der Ring an einem Abend. Ich soll in dieser Produktion Wotan, Wanderer und Gunther singen, und darauf freue ich mich sehr. Was danach ist, das lasse ich einfach auf mich zukommen.

Thérèse Wincent: Im Juni werde ich in Das schlaue Füchslein den Fuchs singen. Das wird meine letzte Produktion für das Gärtnerplatztheater sein; sie wird allerdings im Prinzregententheater zu sehen sein. Nach der letzten Vorstellung habe ich einen Tag, um meine Koffer zu packen, bevor ich nach Norden fahre und bei den „Neue Eutiner Festspiele“ in Die Blume von Hawaii die Rolle der Bessie singe. Die Premiere ist am 2. August, und dann gibt es noch weitere fünf Vorstellungen. Danach brauche ich Urlaub, glaube ich, bevor es weitergeht mit neuen und hoffentlich wunderbaren Dingen. An alle Intendanten da draußen: Greifen Sie zu, ich bin noch zu haben! (Lacht.)

Ganz herzlichen Dank Ihnen beiden für dieses Interview!

Gary Martin: Vielen Dank!

Thérèse Wincent: Sehr gerne!

(Dieses Interview wurde am 8. März 2012 in München geführt.)

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Parsifal, 08.04.2012, Bayerische Staatsoper

Also, wenn es um Wagner geht, bin ich ja immer noch ein Waisenkind. Als sich nun die Gelegenheit bot, den Parsifal zu sehen, schlug ich zu, denn seit dem denkwürdigen Lohengrin vor etwas über einem Jahr bin ich ein halber Fan des Meisters. Ich kannte vorher weder die Musik noch eine andere Produktion. Peter Konwitschnys Bilder und Deutung haben mir gefallen. Vielleicht eben weil ich nichts anderes kenne.

Ich bin ja kein Fan von modernen Inszenierungen, das kann leicht mal in die Hose gehen. Obwohl, so was Verstaubtes wie die Traviata in Hamburg mag ich ja auch nicht.  An diesem Abend hat jedoch alles gepasst. Außer, dass man den Statisten, der sich tarzanmäßig am Seil über die Bühne schwingt, bevor er den Schwan erlegt, vielleicht mehr nach der Statur des Parsifal hätte aussuchen sollen, das war schon sehr offensichtlich, dass das ein anderer war. Ansonsten war für mich alles schlüssig, von Kundry als Marienerscheinung bis zum roten Papierherz.

Einen großen Anteil am Gelingen des Abends hatten sicherlich die Sänger der Hauptpartien, die nicht nur verdammt gut sangen, sondern auch hervorragend spielten. Ich gehe zwar meistens mit Opernglas in die Vorstellungen, benutze es aber selten, weil es für mich als Brillenträgerin sehr störend ist. Umso schöner ist es, wenn die Emotionen und das Spiel auch so im dritten Rang ankommen. Und so war das an diesem Abend.

Michael Volle sang und spielte den Amfortas so ergreifend, dass ich mir seine Parsifaltermine für März 2013 schon mal vorgemerkt habe. Ebenfalls hervorragend in Spiel und Gesang waren Christopher Ventris als Parsifal und Stephen Milling als Gurnemanz. Wenn man bedenkt, dass Waltraud Meier ihr Debüt als Kundry vor 29 Jahren gegeben hat, war ihr Auftritt phänomenal. Lediglich Klingsors Zaubermädchen hätten vielleicht noch ein bisschen mehr proben sollen. Das klang in meinen ungeübten Ohren schräg und wurde mir auch später von geübten bestätigt. Kent Nagano deckte mir manchmal die Sänger etwas zu sehr zu, aber insgesamt blieb der Eindruck des Ätherischen, das ich mit Wagner verbinde.

Alles in allem ein toller Abend, der mir Lust auf mehr Wagner machte.

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Das kommt mir spanisch vor, 07.04.2012, Gärtnerplatztheater

Das kommt mir spanisch vor heißt ja eigentlich, dass man etwas nicht versteht. Lustigerweise ist das spanische Pendant dazu esto me suena a chino (das kommt mir chinesisch vor) 😉 An diesem Abend blieb jedoch nichts unverstanden, denn die drei Ausnahmekünstler auf der Bühne verliehen dem Gesang und dem Spiel so viel Ausdruck, dass die den Stücken zu Grunde liegenden Emotionen immer sehr stark präsent waren.

Im ersten Teil gab es überwiegend Lieder aus Zarzuelas zu hören, dem spanischen Gegenstück zur Opéra comique oder zur deutschen Operette. Ihre mitreißenden und melodiösen Rhythmen ließen bei mir schon mal die Frage aufkommen, warum diese Stücke bei uns so wenig bekannt sind, geschweige denn gespielt werden. Hauptsächlich war es hier die Zarzuela Luisa Fernanda von Federio Moreno Torroba. Elaine Ortiz Arandes erklärte den Inhalt und zusammen mit den Übersetzungen im ausführlichen Programmheft konnte man sich ein gutes Bild von dem Stück machen. Die Stimmen der puertoricanischen Sopranistin und des kolumbianischen Baritons Juan Fernando Gutiérrez harmonierten prächtig miteinander, aber auch in ihren Solostücken überzeugten beide.

Am Flügel begleitet wurden die beiden Solisten von Liviu Petcu, der im zweiten Teil unter Beweis stellte, dass er nicht nur ein ganz ausgezeichneter Begleiter ist. Mit dem bekanntesten Tango von Astor Piazzolla Adiós nonino spielte er sich auch als Solist in die Herzen der Zuschauer. Die Sprache wechselte jetzt auch mal ins Französische oder Italienische und die Lieder wurde auch etwas bekannter, wie Bésame mucho, Funiculí, funicolá oder dem Chanson Française von Maurice Ravel.

Ein sehr interessanter, abwechslungsreicher Abend, der einen schönen Einblick in die südeuropäische Musikkultur gab.

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Interview mit Titus Müller

[singlepic id=1161 w=240 h=320 float=left]Lieber Titus, herzlichen Dank, dass du dich zu einem Interview bereiterklärt hast. Stellst du dich uns kurz vor?

Ich bin 34, lebe in München, und wenn ich nicht gerade Computer spiele, lese, einen Film gucke oder mit meiner Frau spazieren gehe, schreibe ich Romane.

Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Ich hab immer gern gelesen, auch als Kind schon. Ich war eine Leseratte, sozusagen. Habe aber nie darüber nachgedacht, wer eigentlich die ganzen Bücher schreibt und dass das auch ein Beruf sein könnte. Das kam bei mir dann so: Mit 17, 18 habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben, weil ich unglücklich verliebt war. Dann habe ich angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben, und dann meinen ersten Roman so mit 22. Als ich 24 war, ist er veröffentlicht worden, das war Der Kalligraph des Bischofs. Während des Studiums habe ich drei weitere Romane veröffentlicht, viel geschwänzt, und nach dem Studium einfach weitergeschrieben. Ich hab nie anständig gearbeitet. (Lacht.)

Wie findest du deine Geschichten, oder finden sie dich?

Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Ich lese viel, ich rede mit Leuten, gucke mir Sachen an … So begegnen einem viele Geschichten. Das ist traurig, dass man weiß: Ich kann von all dem, was ich da Tolles sehe, nur eine begrenzte Menge aufschreiben und in Romanform bringen, weil mein Leben natürlich nicht endlos dauert. Deshalb muss ich immer auswählen. Ich habe einen dicken Ideen-Ordner mit Themen, über die ich gerne noch schreiben will, und rede immer mit dem Verlag und sage: „Das sind drei Sachen, die mir momentan Spaß machen würden. Was würdet ihr euch als nächstes wünschen?“ So geht es immer weiter.

Hast du einen bestimmten Schreibrhythmus, und was tust du, wenn es mal nicht so gut läuft?

Einen richtigen Rhythmus habe ich eigentlich nicht. Also keine festen Arbeitszeiten. Ich stehe morgens auf, wenn ich ausgeschlafen bin, setze mich an den Computer und murkele vor mich hin, bis ich in die Geschichte zurückgefunden habe. Dann schreibe ich ein paar Stunden, und am Abend höre ich auf. Ich habe natürlich ein Seitenpensum, was ich versuche, jeden Tag zu erreichen. Wenn das nicht klappt, bin ich ganz frustriert. Meine Frau sieht mir das schon am Gesicht an abends, sie weiß sofort, ob ich zufrieden bin mit dem Geschriebenen oder nicht. – Meistens, wenn man nicht vorankommt, hat das Gründe, die in der Geschichte liegen. Dann muss man herausfinden: Was passt nicht, welche Figuren verhalten sich vielleicht unlogisch oder sind nicht motiviert, nicht aktiv genug. Hat man das herausgefunden, geht es auch wieder gut voran.

Wie und wo schreibst du am liebsten? Brauchst du bestimmte Bedingungen dafür?

Ich schreibe gerne zu Filmmusik. Und ich kann sehr gut im Zug schreiben. Meine Frau hat schon ernsthaft vorgeschlagen, ich sollte mit dem Zug herumfahren, ohne Ziel, einfach so, weil ich da am produktivsten bin. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich im Zug keinen Internetzugang habe. Ich habe das bewusst nicht angeschafft, dass ich da ins Internet kann. Es klingelt kein Telefon, ich kann nicht zum Kühlschrank oder zum Briefkasten gehen. Im Grunde gibt es nur den Rechner und mich, dann geht es am besten. Man kann auch immer mal aus dem Fenster gucken, sieht die schöne Landschaft vorbeiziehen. Das ist der ideale Ort, und der zweitbeste ist mein Schreibtisch zuhause.

Hast du dann sozusagen einen musikalischen Soundtrack für ein Buch? Lässt du dich von Musik inspirieren?

Naja, es ist nicht so, dass ich ein bestimmtes Album während eines Romans immer höre, sondern ich weiß, jetzt kommt eine romantische Szene oder eine Action-Szene oder was auch immer, und dementsprechend suche ich dann die Musik aus, die ich an dem Tag höre. Ich habe ganz viele Filmmusik-Alben und wechsele die ab, weil es ja sonst langweilig wird.

Aber ausschließlich Filmmusik?

Ja, fast ausschließlich – ich überlege gerade. Also auf jeden Fall Instrumentalmusik, nichts mit Sprache, weil mich das ablenken würde. Afro Celt Sound System höre ich auch manchmal, das ist keine Filmmusik, aber reine Instrumentalmusik, zu der ich gut schreiben kann.

Hat das einen bestimmten Grund, außer dass es nur Instrumentalmusik ist?

Filmmusik ist dafür geschrieben, Emotionen zu wecken und einen innerlich aufzuwühlen, ohne dass sie sich dabei in den Vordergrund drängt. Man denkt nicht: Aha, jetzt spielt eine Oboe, oder: Da kommen die Hörner. Man konzentriert sich nicht auf die Musik. Das ist ideal für das Schreiben. Ich werde in eine emotionale Stimmung versetzt, ohne dass die Musik mich vom Schreiben ablenken würde. Ich komme in eine richtige Strömung rein, die mich weiterzieht. Das verhindert Ablenkungen, weil ich ja der Musik folge, sozusagen. Das kann man schwer beschreiben.

Welche Phase eines Buches ist für dich die anstrengendste?

Ich glaube, die anstrengendste Phase ist das erste Drittel. Denn in dieses erste Drittel fällt immer die große Enttäuschung: Auch das wird kein 110-prozentiges Buch, sondern ein 80-prozentiges. Wenn man eine Idee hat, denkt man sich immer, das wird DIE Geschichte, die wird die ganze Welt verändern! Dann schreibt man los und merkt, es wird ein guter Roman, aber auch er hat seine Schwächen. Entweder gibt es in der Dramaturgie irgendeine Schwäche, die sich nicht ausbügeln lässt, weil die Geschichte nun mal so geht. Oder eine Figur ist doch nicht so umwerfend, wie ich sie mir vorgestellt habe. Schwächen sind immer dabei. Dann muss man versuchen, die Stärken der Geschichte zu finden und sie zum Leuchten zu bringen, damit sie die Schwächen überstrahlen und es ein guter Roman wird.

In welchem Genre möchtest du gerne noch mal schreiben, und was hält dich bisher davon ab, es zu tun?

Vielleicht schreibe ich irgendwann einmal einen Roman, der in der Gegenwart spielt. Mich hält die Sorge davon ab, dass ich Sachen beschreiben müsste, die jeder in seinem Alltag erlebt. Wie kann man davon so erzählen, dass sie interessant sind? Wenn ich eine Zeitreise mache, dann ist für mich alles spannend: Was essen die Leute, was haben die an, wie sieht ihr Alltag aus? Aber wenn es heute spielt, dann muss die Geschichte auf eine andere Art spannend sein. Das Heute kennt jeder. Sollte ich jemals diesen Gegenwartsroman schreiben, wird es bestimmt eine abstruse Geschichte, damit sie trotzdem für mich reizvoll ist, auch wenn sie heute spielt.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann mal einen „Love-and-landscape“-Roman zu schreiben?

Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Das Dumme ist nur: Ich habe nicht jahrelang in Kenia oder Australien gelebt. Nur mal ein Jahr in den USA. Amerika ist nicht exotisch genug, fürchte ich.

Welches Genre liest du selbst am liebsten, und hast du einen Lieblingsautor?

Ich lese alles durcheinander. Natürlich historische Romane, aber auch Science Fiction, Fantasy, Sachbücher, Klassiker, alles mögliche. Das brauche ich so. Wenn es jeden Tag Nudeln geben würde, wäre es mir auch langweilig. Ich gehe immer an das Regal mit den ungelesenen Büchern und denke: Worauf habe ich jetzt Lust? Und dann ziehe ich eines heraus. Ich habe auch keinen Autor, von dem ich sagen würde, das ist mein Lieblingsautor.

Und hast du literarische Vorbilder?

Auch nicht wirklich. Ich lese einfach viel, und von jedem lerne ich ein bisschen was.

Du hast ja historische Romane veröffentlicht und auch – im Stil von C.S. Lewis vielleicht –  Ratgeber-Bücher, die ich persönlich leider noch nicht kenne. Welches von den beiden bevorzugst du?

Die historischen Romane sind ganz klar meine Favoriten. Das ist das, was ich hoffentlich mein Leben lang machen kann. Es hängt natürlich auch davon ab, ob die Leute das Genre weiterhin lieben oder nicht. Die kleinen Alltagsglück-Bücher schreibe ich einfach, weil mir lustige Sachen passiert sind, die ich auch erzählen will. Sie passen in keinen historischen Roman, deshalb fasse ich sie alle paar Jahre zu einem kleinen sympathischen Büchlein zusammen.

Du wohnst seit kurzem in München. Gibt es eine Stadt, wo du dir vorstellen könntest zu leben, oder wo du gerne leben möchtest außer in München?

Ach, so viele! Ich würde gerne mal in Moskau leben, in London, in New York. In Berlin habe ich schon achtzehn Jahre verbracht, würde aber gerne auch dort mal wieder sein. Oder in Hamburg. Am liebsten würde ich immer ein paar Jahre in einer anderen Stadt verbringen. Ich habe Zigeunerblut. Aber ich habe eine Frau geheiratet, die kein Zigeunerblut hat, sondern feste Wurzeln. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum sie so attraktiv für mich ist. Das heißt, ich bleibe hier und lebe meine Städteträume in den Büchern aus.

Wie hoch ist dein aktueller SUB?

Ich bin da bestimmt nicht so schlimm wie du. Ich habe, glaube ich, vielleicht siebzig ungelesene Bücher. Du wahrscheinlich siebenhundert.

Über 1100.

Wahnsinn! Das ist sicher eine schöne Bibliothek.

Du warst 2002 Mitbegründer der Autorenvereinigung „Quo Vadis“, die Vereinigung für Autoren historischer Romane. Was hat euch dazu bewogen, diese Vereinigung zu gründen?

Ich habe Ruben Wickenhäuser bei einem Treffen vom Schriftstellerverband kennengelernt. Abends liefen wir zur U-Bahn und haben gesagt: Mensch, für die Krimiautoren gibt es das Syndikat, und für uns, die wir historische Stoffe mögen, gibt es irgendwie nichts. Daraufhin haben wir Leute zusammengetrommelt, die historische Romane schreiben, und haben „Quo Vadis“ gestartet. Am Anfang war es für mich sehr, sehr wichtig, weil ich wenig Ahnung davon hatte, wie das Verlagsgeschäft läuft. Mein erster Roman stand erst kurz vor der Veröffentlichung. Da war es toll, von erfahrenen Kollegen zu lernen und zu hören, was eine übliche Auflagenzahl ist und was die anderen bezahlt bekommen. Wenn man sich  austauschen kann, ist das viel wert.

Demnächst jährt sich ja der Untergang der Titanic zum hundertsten Mal. Du hast in deinem letzten historischen Roman Tanz unter Sternen davon erzählt, er spielt zum großen Teil auf der Titanic. Kam dir die Idee zum Buch im Hinblick auf den Jahrestag, oder war das unabhängig davon?

Nein, ich wollte schon seit Jahren dieses Buch schreiben. Zuhause sind die Stapel an Büchern zur Titanic gewachsen und gewachsen, etliche hatte ich mir von einem Titanic-Fan schicken lassen, um mich in den Stoff einzulesen. Aber im Verlag hieß es immer: Warte bis 2012. Weil die natürlich den Jahrestag als Verkaufsargument im Blick hatten. Und so habe ich all die Jahre gewartet und nur ab und an Ausstellungen besucht. Und dann war es endlich dran.

Wie hat sich die Recherche gestaltet für diesen Roman?

Für Tanz unter Sternen musste ich sehr genau recherchieren. Es gibt Titanic-Freaks, die kennen jede Türklinke auf dem Schiff und wissen, wer in welcher Kabine gewohnt hat. Ich habe nach Lesungen Gespräche geführt über einzelne Passagiere und deren Lebenslauf. Die kennen alles. Also musste das möglichst stimmen im Roman. Bei Blessing sind sie ganz verblüfft, dass bisher sich keiner gemeldet hat und gesagt hat: „Hey, die Schraube dreht aber andersrum!“ oder so. Eigentlich haben sie damit gerechnet, bei diesem Thema. Vielleicht gibt es auch solche Fehler, und die Fans waren einfach nett genug, nicht zu meckern. Ich habe mich wirklich tief reingekniet, bis hin zu den genauen Bauplänen vom Schiff, wo ich geprüft habe: Wo geht die Fluchtleiter lang? Ich habe versucht, es sehr genau zu machen.

Bei diesem Unglück sind sehr viele Menschen gestorben. Hat dich das während des Schreibens emotional belastet?

Vielleicht ist es gar nicht so sehr der Tod – also dass ich sage: Oh, es sind 1.500 Menschen gestorben –, sondern mehr das einzelne Schicksal, das mich berührt hat. Wenn man eine Weile von jemandem liest, wird er einem vertraut, und man leidet mit ihm. Es gibt ja einige autobiografische Berichte der Überlebenden, und auch Berichte über Leute, die gestorben sind, von anderen, die sie noch in den letzten Stunden erlebt haben. Das geht einem dann schon nahe.

Sind diese Berichte auch ganz konkret eingeflossen in die Romanhandlung?

Als Rohmaterial, natürlich. Aber man kann in einem Roman nicht alles erzählen, was man recherchiert hat. Zum Beispiel kommen die Postbeamten nicht vor, obwohl sie mich seltsam berührt haben. Die Titanic hatte ja eine große Postabteilung mit vielen Postsäcken aus Europa, die unterwegs sortiert wurden. Als die ganzen Briefe schon im Wasser schwammen, haben die Postbeamten noch versucht, die Einschreibebriefe herauszufischen, mit der Begründung: Wenigstens die Einschreiben sollen zugestellt werden. Ein ähnliches stures Pflichtbewusstsein hatten die Heizer. Sie sind noch runter ins Schiff gestiegen, wo längst klar war, dass die Titanic untergeht, nur, damit sie die Kessel beheizen und der Strom länger läuft. So konnte länger um Hilfe gemorst werden und die Passagiere hatten Licht. Da sind Menschen sehenden Auges in den Tod gegangen, um noch anderen eine Chance zu geben.

Wann hast du dich entschieden, ob und wer deiner Protagonisten sterben muss?

Das hat sich während des Schreibens noch verändert. Ich hatte anfangs einen Plan – ich habe immer einen Plan, wenn ich losschreibe. Als ich dann dabei war, den Untergang zu schildern, ist alles anders gekommen.

Ist der 14.4.2012 dann jetzt ein besonderes Datum für dich?

Ich weiß nicht. Ich habe eher ein schlechtes Gewissen dabei. Überall wird jetzt von der Titanic berichtet, auf der Titelseite vom SPIEGEL, im Radio, im ZDF kommt ein neuer Titanic-Mehrteiler, die Kinos bringen den alten Film noch mal in 3D, und ich schwimme mit meinem Buch irgendwie in diesem Strom mit. Aber ich erzähle ja eigentlich einzelne Schicksale. Tanz unter Sternen ist an Personen angelehnt, die es wirklich gab. Mein Pastor, die Hauptfigur, ähnelt in vielem einem gewissen Pastor, der da wirklich auf der Titanic war. Deshalb das schlechte Gewissen. Das Leben von Menschen ist doch nichts, womit man Kohle macht! Andererseits ist es eben so, dass ich mehr Leute dafür begeistern kann, das Buch zu lesen, wenn es zu einer Zeit erscheint, wo sie sich sowieso mit dem Thema beschäftigen.

Aber wenn du eine historische Person zum Vorbild nimmst oder in deinem Roman mitbehandelst, dann ist es ja im Prinzip auch nichts anderes, du zeichnest ja dann auch den Lebensweg nach, oder?

Genau.

Ist es dann anders, weil es einfach so zeitlich nah ist?

Weißt du, ich fand das damals so blöd, als Der Schwarm erschien und kurz darauf der schlimme Tsunami passierte. Das gab mir einen bitteren Geschmack, zu merken, dass der Tsunami dem Verkauf vom Schwarm nützte. Ich weiß nicht, ob ich mich richtig erinnere, ob es da Talkshow-Auftritte von Frank Schätzing gab. Jedenfalls dachte ich damals: So etwas will ich für mich nicht. Aber irgendwie gehört man dann doch zum Literaturbetrieb dazu, wo es um solche Daten geht. Jetzt ist es hundert Jahre her, jetzt reden alle wieder darüber. Es ist eine Gratwanderung.

Dein soeben erschienener Roman Der Kuss des Feindes spielt in einer ganz anderen Zeit. War der Umstieg für dich schwer?

Das ist ja das Schöne an meinem Beruf. Ich kann überall mal hinreisen. Das hat mir großen Spaß gemacht. Ich freue mich auch schon auf den nächsten Roman. Jetzt schreibe ich ja gerade einen, der zur Nazi-Zeit spielt, und dann werde ich wieder ein Stückchen in die Vergangenheit zurückgehen. Das ist toll, diese Abwechslung zu haben. Für den Kuss des Feindes nach Kappadokien zu fliegen und durch die unterirdischen Höhlenstädte zu kriechen, war für mich ein herrliches Abenteuer.

Stellst du uns den Roman kurz vor?

Der Kuss des Feindes spielt um das Jahr 800 herum, es geht um den Kampf zwischen Christen und Muslimen.  Es gab ja auch Zeiten, wo sie friedlich zusammengelebt haben, was ich ein sehr ermutigendes Phänomen finde. Damals aber war es ein Kampf gegeneinander, weil sich die Christen nicht den Arabern unterwerfen wollten, die dort in der Region die vorherrschende Macht waren. Deshalb haben sich die Christen in unterirdische Städte zurückgezogen. Bis zu 10 Etagen tief, mit bis zu 10.000 Menschen in einer großen unterirdischen geheimen Stadt. Oben hat man dann die Eingänge mit Steinen verschlossen. Ich erzähle eine Liebesgeschichte, in der sich der Sohn des Hauptmanns dieses arabischen Heers, das die Stadt der Christen sucht, in eine junge Christin verliebt und auch den Zugang zur geheimen Stadt findet. Das kann er aber seinem Vater nicht sagen, weil ja dann die Stadt angegriffen wird.

[singlepic id=1162 w=240 h=320 float=right]Erzählst du uns eine Anekdote aus deinem Schriftstellerleben?

Ach, ich habe viel Lustiges auf den Reisen erlebt. So etwas steht dann in diesen Glücksbüchern, die du noch nicht kennst. In Leipzig beispielsweise hatte mein Anschlusszug mal 20 Minuten Verspätung. Deshalb bin ich in die Lounge gegangen, um per E-Mails abzurufen und ein bisschen zu arbeiten. Nach knapp 20 Minuten dachte ich: Jetzt sollte ich aber mal schnell zum Gleis runtergehen. Es gibt ja keine Durchsagen in der Lounge. Man weiß nicht, ob der Zug doch schon nach 15 Minuten fährt. Ich renne also zum Gleis, und da steht dran: Hannover. Ich steige in den Zug, die Türen gehen zu, der Zug fährt ab, und bleibt bleibt dann nach ein paar Minuten stehen. Mitten auf der Strecke. Ich denke: Hä? Normalerweise kommt eine Durchsage: Wir bleiben stehen, weil vor uns der Gleisabschnitt besetzt ist, oder sowas. Es kam aber keine Durchsage. Ich bin durch den Zug gegangen, und der war leer. Es war kein Mensch drin. Ich habe mit dem Handy die Hotline der Deutschen Bahn angerufen und habe das Problem geschildert. Die haben gesagt: Steigen Sie auf keinen Fall aus! Die Hotline hat den Bahnhof Leipzig angerufen, der Bahnhof Leipzig hat den Lokführer angerufen, der kam durch den Zug zu mir und ist mit mir über die Gleise den weiten Weg zurück zum Bahnhof gelaufen. Ich musste seine Warnweste tragen, so eine orangenfarbene, damit mich kein Zug erwischt. Er hatte nur noch seine schwarze Lederjacke an. Er sagte: „Wenn Ihnen was zustößt, bin ich geliefert.“ Im Bahnhof sind wir von den Schienen auf den Bahnsteig hochgeklettert. Die Reisenden haben mich angegafft. Zum Glück hat man mich nicht mit einer Ansage über die Lautsprecher begrüßt. Die haben mir später erklärt, dass dranstand: Ankunft aus Hannover, nicht: Abfahrt nach Hannover, und dass mein Zug auf ein anderes Gleis verlegt worden sei, das sei durchgesagt worden. Aber in der Lounge gibt es keine Durchsagen.

Du bist ein erfolgreicher Schriftsteller. Was ist das Schönste an deinem Beruf, und was ist das Nervigste?

Das Schönste ist, dass ich Sachen beobachten kann, über Dinge staunen kann, und dann kann ich es mit anderen Leuten teilen. Das ist natürlich toll, wenn einen etwas fasziniert, und man kann andere in diese Faszination mit hineinnehmen. Und das Nervigste ist vielleicht immer das Zittern: Wird der nächste Roman auch wieder seine Leser finden? Weil ja mein Leben darauf gegründet ist. Klar, ich könnte auch etwas anderes zum Lebensunterhalt machen. Aber seit zehn Jahren lebe ich vom Schreiben, und bin immer wieder gespannt: Wie kommt der nächste Roman an?

Meine letzte Frage: Gibt es eine Frage, die du schon immer beantworten wolltest, die aber noch nie gestellt wurde?

Bisher wollte nie jemand wissen, ob ich schon mal in eine Lehrerin verliebt war. Das war ich! In der Grundschule. In meine Deutschlehrerin.

Vielen Dank für dieses Interview!

Gerne!

(Das Interview wurde geführt am 3. April 2012 in München.)

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