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Premiere Der junge Lord, 23.05.2019, Gärtnerplatztheater

Foto: Christian POGO Zach

An sich ist es ja kein Kompliment, wenn es in einer Oper affig zugeht. Bei dem modernen Werk von Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann aus dem Jahr 1965 ist genau das jedoch gewollt. Zu meinem Geburtstag durfte ich der Premiere der Regie-Legende Brigitte Fassbaender beiwohnen, deren Inszenierungen von Don Pasquale und La Cenerentola zu meinen Favoriten am Gärtnerplatztheater gehören. Musikalisch ist Der junge Lord selbstverständlich nicht so leicht verdaulich und verständlich, wie die beiden genannten Werke, was auch ein paar Zuschauer gestört zu haben scheint. Doch auch in der modernen Oper kann man eigentlich nach etwas Einhören erkennen, wie die Charaktere musikalisch gezeichnet werden, was dank dem Dirigenten Anthony Bramall und dem Orchester des Gärtnerplatztheaters gewohnt wundervoll und energiegeladen gelingt.
Der junge Lord stellt gekonnt das typisch deutsche Spießbürgertum an den Pranger. In einer Kleinstadt erwarten die High Society und die normalen Bürger ihren neuesten Bewohner: den wohlhabenden englischen Sir Edgar, von dem sie sich neuen Glanz in ihrer doch irgendwie tristen und langweiligen Heimat erhoffen. Diese Hoffnungen werden jedoch schnell zerstört, da sich Sir Edgar lieber in seinem neuen Haus zurückzieht und mit seinen – in den Augen der Deutschen – ungewöhnlichen Bediensteten umgibt, etwa der resoluten jamaikanischen Köchin Begonia oder seinem Sekretär, der mit seinem exzentrischen Auftreten einem Tim Burton-Film entsprungen scheint. Als er dann auch noch einen armen Wanderzirkus zu sich einlädt anstatt der Stadtväter und feinen Damen wendet sich der Frust der Bürger sehr schnell gegen den Engländer und vor allem seine Angestellten. So wird sein Haus beschmiert und sein dunkelhäutiger Diener von den Kindern verspottet und attackiert. Besonders wütend ist die einflussreiche Baronin Grünwiesel, die ihr Mündel Luise gerne mit dem Neuankömmling verheiratet hätte. Luise ist eigentlich in den armen Studenten Wilhelm verliebt, findet aber dann doch Interesse an Sir Edgars merkwürdigen Neffen Lord Barrat, den er urplötzlich den Städtern bei einem Empfang präsentiert. Schnell ist aller Zorn verflogen und die einfach gestrickten Bewohner der Stadt imitieren sogar die ungewöhnliche Kleidung und das Verhalten des Neuankömmlings. Plötzlich werden barocke Kniebundhosen, Masken, wilde „Tänze“ und Bananen als neuester Schrei angesehen. Und nicht einmal Luise, an der der junge Lord besonderes Interesse zeigt bemerkt, dass es sich bei ihm um den dressierten Affen des Zirkus handelt.

Foto: Christian POGO Zach

Das Bühnenbild und die Kostüme von Dietrich von Grebmer bilden einen interessanten Kontrast: während die Bürger ganz im Biedermeier-Stil gekleidet sind und die Damen allesamt in Grüntönen ist das Bühnenbild selbst etwas surrealistisch mit einem auf-den-Kopf-gestellten Stadtmodell, durch das in den Zwischensequenzen eine Kamera reist. Auch der Garten und das Haus Sir Edgars sind mit überdimensionalen Schneckenhäusern, exotischen Exponaten und schrillen Farben durchaus skurril und passen so gar nicht ins Weltbild der Spießer.
Brigitte Fassbaender zeigt in ihrer Inszenierung wieder einmal einen feinen Sinn für Humor. Schon in den Zwischensequenzen wird das Leben in der Kleinstadt karikiert. Der Diener Jeremy darf hier mit einem Schoßhund spazieren gehen, dessen Hinterlassenschaften er zumindest beim zweiten Spaziergang ganz brav mitnimmt. Die scheinbar gesitteten Bürger dagegen lassen dagegen nach dem Empfang bei Sir Edgar ihren Trieben freien Lauf. Herrlich zeigt sie, wie die beeinflussbaren Stadtbewohner auf den Scherz des englischen Adeligen hereinfallen.
Fast das gesamte Opernensemble des Gärtnerplatztheaters steht in Brigitte Fassbaenders Inszenierung auf der Bühne. Maximilian Mayer darf sich als Lord Barrat diesmal im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen machen. Während seine Rolle relativ wenig zu Singen hat, kann er vor allem durch akrobatische Tanzeinlagen und wirklich überzeugendes Spiel auftrumpfen. Mária Celeng spielt die unschuldige Luise, die hin und her gerissen scheint zwischen ihrer Liebe zu Wilhelm und den Erwartungen der Baronin Grünwiesel. Die wird von Ann-Katrin Naidu wundervoll als eitle Furie gespielt, die sich und ihre Damengesellschaft für den Mittelpunkt der Stadt hält. Lucian

Foto: Christian POGO Zach

Krasnec ist als Wilhelm definitiv einer der großen Sympathieträher des Abends, er umsorgt Luise liebevoll, auch wenn diese wegen des Einflusses der Baronin zögerlich bleibt.
Wer moderne Musik nicht scheut und schräge Geschichten sowie humorvolle Inszenierungen schätzt ist beim Jungen Lord sehr gut aufgehoben.

weitere Termine: 8./14. Juni 2019 um 19.30 Uhr

Dirigent: Anthony Bramall
Regie: Brigitte Fassbaender
Choreografische Mitarbeit: Alessio Attanasio
Bühne / Kostüme: Dietrich von Grebmer
Licht: Wieland Müller-Haslinger
Video: Raphael Kurig, Thomas Mahnecke
Dramaturgie: David Treffinger

Sir Edgar: Dieter Fernengel
Sir Edgars Sekretär: Christoph Filler
Lord Barrat: Maximilian Mayer
Begonia: Bonita Hyman
Der Bürgermeister: Levente Páll
Oberjustizrat Hasentreffer: Liviu Holender
Ökonomierat Scharf: Holger Ohlmann
Professor von Mucker: Juan Carlos Falcón
Wilhelm, Student: Lucian Krasznec
Baronin Grünwiesel: Ann-Katrin Naidu
Luise, ihr Mündel: Mária Celeng
Frau Oberjustizrat Hasentreffer: Jennifer O’Loughlin
Ida, ihre Tochter: Ilia Staple
Frau von Hufnagel: Anna-Katharina Tonauer
Amintore La Rocca: Alexandros Tsilogiannis
Ein Kammermädchen: Elaine Ortiz Arandes
Ein Schneeschipper: Martin Hausberg
Jeremy: Deman Benifer / Marcell Johnson
Rosita, Tänzerin: Hedi Klauser / Ingrid König
Brimbilla, Jongleur: Alexander Merola
Vulcano, Zauberer: Florian Hüttner
Lakaien, Männer aus dem Volk: Udo Quast, Saeid Yazdani, Yegor Pogorilyy, Markus Hörl, Martin Bayer
Chor, Extrachor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz

https://www.gaertnerplatztheater.de/de/produktionen/junge-lord.html?ID_Vorstellung=1767&m=66

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