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Colson Whitehead, 25.08.2019, Edinburgh International Book Festival

Colson Whitehead in conversation with Kirsty Wark at the 2019 Edinburgh International Book Festival ©Edinburgh International Book Festival

Die Veranstaltung im bis auf den letzten Platz gefüllten Main Theatre wurde von Kirsty Wark geleitet. Vor zwei Jahren hatte er noch im deutlich kleineren Spiegelzelt gelesen.

Sie stelle Colson Whitehead kurz vor und beschrieb seinen neuen Roman Die Nickel Boys als komprimierte Rage.

Die Geschichte spielt an einer fiktiven Reformschule namens Nickel Academy, die auf der Arthur G. Dozier School for Boys, auch bekannt als Florida School for Boys, einer grauenvollen Einrichtung, die unglaublicher Weise erst 2011 geschlossen wurde.

2014 seien verstärkt Informationen über diese Einrichtung in die Öffentlichkeit gekommen und im gleichen Jahr wurde Michael Brown von einem weißen Polizisten getötet. Es sei zu weiteren ähnlichen Vorfällen gekommen und es sei der Eindruck entstanden, dass niemand dafür verantwortlich gemacht werden. Heute könne man es oft mit dem Handy dokumentieren, wenn Unschuldige leiden. Früher sei das nicht möglich gewesen und viele der Täter seien weit über 70 Jahre alt und seien Zeit ihres Lebens straffrei davongekommen. Einige seien sogar als besonders gute Bürger ausgezeichnet worden, obwohl sie in der Dozier School oder anderen Einrichtungen Straftaten begingen. Darauf angesprochen hätten sie es als ein paar Klapse abgetan.

Irgendwie habe ihn die Geschichte in jener Zeit besonders berührt. Hätte er drei Monate früher oder später gehört, hätte es ihn vielleicht nicht so stark beeinflusst. Es habe sich angefühlt wie Teil einer unreinen Kultur in der Straftäter davon kämen und die Unschuldigen leiden würden.

©Hanser Literaturverlage

Die Hauptfigur, der 16-jährige Elwood sehe sich als Teil einer Generation, die Amerika in die Zukunft führe, als kleiner Teil der Bürgerrechtsbewegung und er sei ein Einserschüler auf dem Weg ins College. Leider fährt er als Anhalter auf dem Weg in das College unwissentlich in einem gestohlenen Auto mit und landet so in der Nickel Academy.

Leider sei eine der Charaktereigenschaften von Elwood, dass er fest daran glaube, die Dinge zum positiven ändern zu können, wenn er sich nur genügend Mühe dabei gebe. Colson Whiteheads trockener Humor und die Ironie konnte seinen Zorn auf die Vorfälle und die aktuelle Situation nur ein wenig verbergen. Er las dann die ersten Seiten des Romans vor.

Die Berichte über die Ereignisse in der Dozier School hatten ihn erschüttert und damals habe niemand den jungen Opfern geglaubt. Erst Ende 2011 sei die Einrichtung geschlossen und noch später genauere Untersuchungen durchgeführt worden.

Die im Buch erwähnte Schallplattenaufzeichnung von Martin Luther King habe er als Jugendlicher nicht gekannt. Martin Luther King habe ihm schon früher positiv gestimmt und das sei auch heute noch so. Das sei eine ganz andere Generation gewesen. Sie seien auf die Märsche und Versammlungen gegangen, obwohl sie wussten, dass sie danach von Weißen verprügelt würden.

In den Südstaaten sei die Sklaverei auch heute noch nicht verschwunden, sichtbar wie z.B. in der heute wieder flatternden Fahne der Konföderierten und auch in der Alltagssprache, aber auch oft im Verborgenen. In der Schule wurde die Sklaverei lange Zeit kaum behandelt und es habe geheißen, durch Martin Luther King sei alles kuriert worden. Niemand wolle sich wirklich damit beschäftigen, wie das Land gebaut wurde – durch Sklavenarbeit und Völkermord an den Ureinwohnern. Überall bestünden Möglichkeiten für Böses, aber es sei schrecklich, wenn Menschen diese ausnutzen würden.

Auf die Struktur des Buches angesprochen antwortete er, dass er ein großer Planer sei. Er müsse den Anfang und das Ende kennen. Das Ende sei genau geplant gewesen und sobald er es kenne, ein Bild davon vor sich sehe, könne er mit dem Schreiben anfangen und darauf hinarbeiten.

Es gebe Berichte über den Slang in diesen Reformschulen. In mehreren sei die Lederpeitsche „Black Beauty“ genannt worden oder das Gebäude in dem die Folter stattfand „Eiscremefabrik“, für die verschiedenfarbigen Flecken, die von der Folter verursacht wurden.

Heute gebe es über das Internet Gruppen, in den die Überlebenden sich gegenseitig unterstützen und austauschen. Er bewundere diese Menschen dafür, dass sie zu den Orten ihres Leidens zurückkehren könnten.

Elwood ginge als Idealist in die Nickel Academy. Die Lager an der Grenze zu Mexiko würden ihn an diese Akademien erinnern. Junge Kinder, die von ihren Eltern getrennt werden und in schrecklichen Umständen untergebracht werden, für das Leben deformiert. Es ginge immer noch weiter.

 

©Hanser Literaturverlage

Underground Railroad sei sehr erfolgreich gewesen und werde jetzt verfilmt. Nächsten Sommer sollten die zehn Folgen bei Amazon verfügbar sein.

Er sei sich nicht sicher, ob er während seines Lebens noch einen weiteren schwarzen Präsidenten erleben werde. Die globale Erwärmung würde seine Lebenszeit vermutlich verkürzen. Die rassistische Einstellung sei unverändert vorhanden, es brauche nur jemanden, der sie aktiviere. Vermutlich würden weder die Probleme der USA noch die Israels zu seinen Lebzeiten gelöst. Die Menschen würden historische Ereignisse schnell vergessen und die gleichen Fehler wiederholen.

Auf sein nächstes Buch angesprochen erwiderte Colson Whitehead, dass er Underground Railroad unter Barack Obamas Präsidentschaft geschrieben habe und danach dann Die Nickel Boys, das noch schwerer verdauliche Buch, wegen der aktuellen Ereignisse in diesem Land. Sein nächstes Buch solle mehr Freude bringen, lustiger sein.

Heute herrsche eine Einstellung wie in den 1950ern, als es weder für Frauen oder Schwarze Fortschritte gab. Die verrückten Forderungen nach Gleichheit und ein schwarzer Präsident hätten einige in den Wahn getrieben. Er selbst habe ein gutes Pokergesicht. Vermutlich, weil er innen halbtot sei, sagte er ohne eine Miene zu verziehen.

Einer Frage nach möglichem politischen Engagement oder einer politischen Rolle wich Colson Whitehead aus und antwortete knapp zu seiner Einschätzung von Donald Trump: “We’ve had dumb presidents and racist presidents, but never one this dumb and this racist.”

Auf die Umgebung beim Schreiben angesprochen erzählte er, dass er es gewohnt sei, in einer lauten Umgebung zu schreiben. Polizeisirenen, Geräusche wie jemand auf der Straße erwürgt werde. Er habe eine Playlist mit 3000 Liedern, von Punk über Sonic Youth und vieles andere.

Er schreibe nicht jeden Tag, ungefähr acht Seiten pro Woche. Oft überarbeite er zuvor geschriebenes und verbringe viel Zeit mit Recherche. So komme auf rund 400 Seiten oder ein Buch pro Jahr. Die Nickel Boys sei das erste Buch gewesen, bei dem er sich während des Schreibens zum Ende hin immer deprimierter gefühlt habe. Es habe sich schlecht angefühlt, es zu schreiben und er wusste genau, wie es enden würde.

Es vergehe keine Woche ohne irgendwelche kleineren oder größeren rassistischen Vorfälle in seinem Umfeld. Man sehe seine Welt durch die eigenen Erfahrungen in Bezug auf Rasse, Geschlecht und Gesellschaftsklasse.

Eine schwarze Zuschauerin erzählte, dass ihre Verwandten aus Florida damals von den Berichten über diese Reformschule erschüttert gewesen seien. Niemand habe von den Vorgängen gewusst und sie sei ihm dankbar dafür, dass er eine breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam mache. Colson Whitehead erwiderte, dass Florida für lange Zeit die höchste Zahl an Lynchmorden gehabt habe. So hoch, dass sie normal erschienen seien. *

Eine Frage aus dem Publikum bezog sich auf die Kombination schöner Prosa und barbarischer Ereignisse. Ob sich das Schreiben dann irgendwie schizophren anfühle.

Die Recherche sei für ihn anders gewesen als das Anschauen von Roots als Kind. Die Gewalt in Underground Railroad sei etwas weiter weg gewesen, die der Reformschulen habe sich unmittelbar angefühlt und deprimierend. Er habe die Dozier School besuchen wollen und es immer wieder verschoben. Irgendwann sei ihm klargeworden, dass er mit Dynamit hingefahren wäre. Die Schule sei letzten Endes durch einen Hurrikan weitgehend zerstört worden und sehe jetzt von außen so aus wie früher die Vorgänge im Inneren.

Die Tampa Bay Times habe die Vorfälle in der Schule an die Öffentlichkeit gebracht, jedoch sei damals ausschließlich in Lokalzeitungen darüber berichtet worden. Es sei nie in die landesweiten Nachrichten gekommen. Der Staat habe sich zwar bei den Schülern entschuldigt, aber es wurde niemand angeklagt und verantwortlich gemacht. Die Schule wurde geschlossen und damit sei es erstmal erledigt gewesen.

Für ihn seien alle Berichte aus erster Hand sehr wichtig gewesen. Er hoffe, wie so viele Eltern und Großeltern, dass seine Kinder in einer besseren Welt aufwachsen und diese Welt offener für Minderheiten und Benachteiligte sei. Aber er wisse, dass die Menschen eine ziemlich dumme Rasse seien und viele Fortschritte durch unglaubliche menschliche Schwäche wieder vernichten würden.

Auf die Frage ob Literatur Veränderungen bewirken könne, antwortete Colson Whitehead, dass er nicht glaube, dass Literatur noch eine zentrale Rolle in der Kultur spiele und so Veränderungen bewirken könne. Er sei der Ansicht, dass nicht genügend Menschen lesen würden und die Menschen, die von bestimmten Büchern beeinflusst werden könnten, würden eben jene Bücher nicht lesen.

Wenn man eine Vielzahl unterschiedlicher Romane lese, von verschiedenen Autoren, bekomme ein besseres Verständnis für die Welt, wie Rassismus, Sexismus und Antisemitismus funktionieren würden.

Im Anschluss signierte Colson Whitehead noch rund zwei Stunden lang und beantwortete zahlreiche Fragen.

*Zufällig stand diese Frau später beim Signieren hinter mir in der Schlange und sprach darüber, dass nicht bekannt gewesen sei, wie gravierend die Vorfälle gewesen seien, aber dort vieles normal erschienen sei, das in anderen Bundesstaaten in einem anderen Licht gesehen wurde.

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Arundhati Roy, 19.08.2019, Edinburgh International Book Festival

Arundhati Roy beim Edinburgh International Book Festival ©Nachtgedanken

Arundhati Roy beim Edinburgh International Book Festival ©Nachtgedanken

Die Veranstaltung im ausverkauften Main Theatre wurde von Nicola Sturgeon moderiert, die als leidenschaftliche Leserin bekannt ist und es war der erste Besuch von Arundhati Roy beim Book Festival in Edinburgh.

Nicola Sturgeon stellte Arundhati Roy kurz vor und fragte als erstes, wie sich ihr Leben verändert habe, nachdem Der Gott der kleinen Dinge mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde. Es sei wie ein seltsamer Traum gewesen und so unglaublich schnell gegangen. Zuvor habe sie Architektur studiert und später Drehbücher geschrieben und nicht daran geglaubt, dass ihr Buch jemand außerhalb Indiens interessieren könnte.

Plötzlich hätte eine ganz andere politische Kaste engen Kontakt zu ihr gesucht und auch das Geld habe ihr Leben verändert. Eine Freundin habe ihr damals gesagt, dass nach diesem Erfolg in ihrem weiteren Leben nichts Vergleichbares geschehen würde. Sie selbst habe sich gegen diese Vorstellung gewehrt und sich gefragt, wie es weitergehen könne. Selbstmord weil nichts mehr komme sei keine Lösung gewesen und auch in Ruhe Baumwolle zu spinnen keine Option.

Als Schriftstellerin strebe sich nach tiefem Verständnis und mehr als alles andere danach, ihre Seele ausdehnen zu können („expand your soul“), so wie man es auf Reisen könne. In den letzten 20 Jahren habe sie viele Artikel geschrieben, Sachtexte, jedoch kaum Romane, weil sie keine Produktionsstätte für Romane werden wollte. Sie nannte als Beispiel ein Sachbuch über Dr. Ambedkar und Gandhi, in dem es um deren Einstellung zum Kastensystem und dessen möglicher Abschaffung ging.

Das Leben lebe sich ungeplant, so wie der Erfolg von Der Gott der kleinen Dinge nicht geplant gewesen sei.

Indien habe sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, es gebe ein Gefühl der Dringlichkeit für Veränderungen. 400 Sender würden rund um die Uhr Nachrichten senden, als freie Person müsse man einen Weg finden, damit umzugehen.

In ihren Büchern gebe es nicht einen Handlungsstrang, sondern ein Universum in das man eintauchen könne.

 

©Penguin Random House

Der Gott der kleinen Dinge sei eine Liebesgeschichte, in der die Problematik des Kastensystems ein zentrales Thema sei. Es gebe keine einfache Antwort dazu. Die englische Sprache in Indien sei durch die Kultur des Landes bereichert worden. Auch die Sprache in ihrem zweiten Roman Das Ministerium des äußersten Glücks (2017) habe mehr als eine Schicht und diesem Buch gebe es eine Nebenfigur, deren Heimatdorf möglicherweise auf dem Boden eines Stausees ertrinke.

Ihr öffentliches Engagement bringt immer wieder gerichtliche Klagen gegen sie mit sich, sei es die Kampagne gegen einen geplanten Staudamm, durch den eine halbe Million Menschen obdachlos geworden wären, gegen die Atompolitik der indischen Regierung oder für die Naxaliten. Der Inhalt ihrer Bücher sei immer irgendwie politisch, schon weil das Wort „politisch“ umfassend sei. (vast sense of meaning). Beim Lesen bestimme das, was man sehen oder vermeiden wolle darüber was man dann im Buch entdecke.

Ihr zweiter Roman Das Ministerium des äußersten Glücks sei strukturell und thematisch deutlich komplexer, es gebe eine Vielzahl von Figuren und Schauplätzen. Sie sei einmal gebeten worden, diesen Roman kurz zusammenzufassen. Dies sei nicht möglich. Ihrer Ansicht nach solle man keine Romane schreiben, die kurz zusammengefasst werden können – dann reiche es auch, diese Zusammenfassung zu schreiben.

Schreiben solle eine Herausforderung sein und sie könne nicht in einfacheren Strukturen denken. Es sei wie durch eine Stadt zu laufen und man begegne all diesen Menschen, an denen man nicht einfach vorbeigehen könne In ihrem Roman werde ein Friedhof zu einem Gasthaus, geleitet von jemandem, der nicht in die Normen der Gesellschaft passt. Als Architektin sei ihr auch die Struktur der Romane sehr wichtig. An einigen Stellen sei auch die Stadt selbst wie eine Figur im Roman. Sie lese auch selbst gerne Bücher, die sie herausfordern.

 

Es sei ihr sehr wichtig gewesen, dass Das Ministerium des äußersten Glücks in Urdu und Hindi übersetzt wurde, zwei von insgesamt 51 Sprachen in denen der Roman bisher erschien.

Dann sprachen Arundhati Roy und Nicola Sturgeon über das Kapitel Der Vorzeitige Tod von Miss Jebeen der Ersten, das in Kaschmir spielt und die Überleitung zum eher politischen Teil war.

In Kaschmir ereigne sich eine Tragödie. Es sei unglaublich, was in den letzten beiden Wochen geschehen sei in Bezug auf Grenzen, den Umgang mit Minderheiten und Außenstehenden. Eine halbe Million Soldaten patrouilliere auf den Straßen und rund sieben Millionen Menschen seien von der Außenwelt abgeschnitten. Sie wisse nicht, ob oder wie man helfen könne.

©Penguin Random House

©Penguin Random House

Im Westen kehre der Faschismus zurück, in Indien habe die vor knapp 100 Jahren gegründete RSS zahllose Organisationen und eine bewaffnete Miliz, sei in jede Institution des indischen Staates eingedrungen und glaube an die Überlegenheit der Hindus. Moslem, Christen, Intellektuelle, Journalisten, die politische Linke usw. würden angegriffen, ermordet. Jeder, der sich gegen die RSS stelle, sei in Gefahr. Ihr selbst sei es nicht möglich, still zu bleiben.

Letzten Endes werde der Faschismus irgendwann sterben, aber was sei der Preis bis dahin? Es gebe viele Faktoren, die derzeit größeren politischen Widerstand verhindern würden und es sei an der Bevölkerung einen Ausweg zu finden.

Der „Unlawful Activity Prevention Act“ sei in den letzten Jahren immer weiter verschärft worden, sodass jetzt jeder ohne jegliche Beweise angeklagt werden könne. Gerade sei in der New York Times ein Artikel von ihr zur aktuellen Situation in Indien und Kaschmir erschienen.

Arundhati Roy erwähnte den Film The Great Hack über den Skandal um Cambridge Analytica und betonte, wie wichtig es sei, dass man selbst kontrollieren könne, wer einen regiere und nicht andere das eigene Denken kontrollieren würden. Die Herrschenden würden solche Methoden nutzen, um über Geld(flüsse) und Daten zusätzliche Macht zu erhalten. Dies alles geschehe in einer unglaublichen Geschwindigkeit.

Indien sei jetzt eine Ein-Parteien-Demokratie, ein Widerspruch in sich und sehr gefährlich. Alle Daten, die man von sich preisgebe, würden anderen Macht über seinen selbst geben, verraten, wie man denke und

 

handele.

Wenn Kaschmir von einer Armee besetzt sei, so sei Indien derzeit von einem Mob besetzt, vom Pöbel.

Sie wolle kein Märchen voller Hoffnung erzählen und könne nur sagen, dass viele Menschen nachts wach wären und über die Situation nachdächten. Die Gefahr sei offensichtlich, allgegenwärtig und sie wisse auch keine Lösung, man fühle sich hilflos.

Am Ende bedankte sich Arundhati Roy für die Einladung zum Book Festival und dass Nicola Sturgeon ihre Gesprächspartnerin war. Eine Politikerin die lese, das sei heute so wichtig.

Dann las sie noch den ersten Aufsatz The Bomb and I aus ihrem neuen Sachbuch My Seditious Heart, eine Sammlung von Artikeln und Aufsätzen und signierte im Anschluss über zwei Stunden geduldig und beantwortete zahllose Fragen.

 

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Lisa See – The Island of Sea Women

Lisa See - The Island of Sea Women© Simon&Schuster

©Simon&Schuster

ungekürzte Lesung

13:22 Stunden

Sprecherin: Jennifer Lim

Hörprobe beim Verlag *klick*

Zum Inhalt

Schauplatz von Lisa Sees neustem Buch ist nicht China, sondern die südkoreanische Insel Jeju und zeigt wie sich das Leben dort während des 20. Jahrhunderts verändert hat. Von der japanischen Besatzungszeit beginnend in den 1930er Jahren über den zweiten Weltkrieg, den Koreakrieg bis in unsere heutige Zeit.

Die beiden jungen Mädchen Mi-jia und Young-sook sind beste Freundinnen, obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Verhältnissen stammen. Mi-jias Eltern sind Kollaborateure mit den japanischen Besatzern, während Young-sook aus einer traditionellen Haenyo-Familie stammt. So früh wie möglich schließen die beiden Mädchen sich den Haenyo-Taucherinnen aus ihrem Ort an, deren Leiterin Young-sooks Mutter ist. Sie freuen sich auf das aufregende und gefährliche Leben und glauben an eine lebenslange Freundschaft. Diese wird im Lauf der Jahre aus politischen und familiären Gründen immer wieder auf harte Proben gestellt.

Zur Autorin (Kurzfassung von Wikipedia)

Lisa See wurde 1955 in Paris als Tochter US-amerikanischer Eltern geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie größtenteils in Los Angeles, wo sie viel Zeit in Chinatown bei ihren Großeltern verbrachte. Von 1983 bis 1996 war sie als Korrespondentin, zuständig für die Westküste der USA, beim Branchenmagazin Publishes Weekly tätig. Als Kuratorin betreute sie mehrere Ausstellungen, die sich mit interkulturellen Beziehungen zwischen China und den USA beschäftigen.

Mit On Gold Mountain debütierte See im Jahr 1995 als Schriftstellerin. Die Geschichte, die semibiografisch auf ihren Urgroßvater Fong See basiert, wurde zu einem internationalen Bestseller und bedeutete für Lisa See den Durchbruch als Autorin. Aktuell lebt sie mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Söhnen in Los Angeles.

Zur Sprecherin

Zu Jennifer Lim konnte ich leider nichts herausfinden. Es gibt mehrere, die mit dem Namen infrage kämen.

Meine Meinung

In ihrem neusten Buch The Island of Sea Women entführt Lisa See ihre Leser bzw. Zuhörer in eine verschwundene und ferne Welt. Diesmal nicht nach China oder in die USA, sondern auf die südkoreanische Insel Jeju, die im 20. Jahrhundert Schauplatz drastischer Ereignisse und Veränderungen war.

In den 1930er Jahren stand die Insel unter japanischer Besatzung. In vielen Familien arbeiteten die Frauen seit Generationen als Haenyo, riskierten in eng miteinander verbundenen Gruppen ihr Leben im Meer um die Familie zu ernähren, während sich zu Hause die Männer um die Kinder kümmerten. Auch die junge Young-sook möchte später in die Fußstapfen ihrer Mutter und Großmutter treten. Eines Tages erwischt Young-sook im Garten die fremde Mi-jia beim Stehlen. Mi-jia wuchs in der Stadt auf und ihre Eltern sind Kollaborateure. Derzeit lebt Mi-jia bei Verwandten, die sie verachten. Zwischen den gleichaltrigen Mädchen entwickelt sich schnell eine enge Freundschaft, die trotz der harten Lebensumstände glückliche Jahre verbringen.

Schnell entwickelte die Geschichte einen solchen Sog, dass ich sie nur kurz unterbrechen wollte, um mehr über einige historische Ereignisse nachzuschauen.

Besonders gelungen sind die Passagen in denen das Leben, die traditionellen schamanischen Riten und Mythen der Haenyo geschildert werden, die später unfreiwillig der koreanischen Regierung als Aushängeschilder für die geplante Tourismus-Industrie dienten. Die enge Verbundenheit der Frauen untereinander und mit dem Meer, die Weitergabe des Wissens an die nächste Generation und die Gefahren des Meeres wurde so empathisch geschildert, dass man das Gefühl hat, selbst dabei zu sein und die Figuren zu kennen.

Obwohl Mi-jia und Young-sook einander sehr nahestehen, entstehen durch ihre unterschiedliche Herkunft immer wieder Probleme, nicht zuletzt, weil Young-sooks sehr traditionelle Großmutter die Schuld von Mi-jias Eltern auch auf deren Tochter überträgt. Die beiden gehen als Gastarbeiterinnen nach Russland, und freuen sich auf ihre bald anstehenden und selbstverständlich arrangierten Ehen. Immer in der Annahme, dass sie weiterhin in engem Kontakt bleiben können. Gemeinsam flechten sie Strohschuhe und kaufen Geschenke für noch unbekannte Ehemänner.

Young-sooks Großmutter möchte Mi-jia aus dem Dorf verschwinden sehen und übt späte Rache an der unschuldigen jungen Frau. Durch Missverständnisse und versäumte Gespräche entstehen Spannungen zwischen Young-sook und Mi-jia. Beide haben das Gefühl von der besten Freundin verraten worden zu sein und umso älter die beiden werden, umso schwieriger wird eine Versöhnung.

Die drastischen Ereignisse und Veränderungen des Lebens auf Jeju während des 20. Jahrhunderts beeinflussen auch das Leben von Mi-jia und Young-sook. Die Leser bzw. Zuhörer erleben den 2. Weltkrieg und Koreakrieg aus ungewohnter Perspektive, die Ereignisse werden knapp und ungeschönt dargestellt. Natürlich bleiben die Familien der beiden nicht verschont. Beim dem Aufstand am 4.3.1948 sind die beiden Hauptfiguren selbst dabei und meinem Gefühl nach wurden die Ereignisse authentisch vermittelt. Diese Stellen sind nichts für Zartbesaitete, denn Lisa See schont ihre Figuren nicht, ohne ausufernde grausame Details. Das gezielte Wegschauen der neuen Machthaber nach 1948, der rücksichtslose Umgang mit der Bevölkerung werden ungeschönt dargestellt, sowie die spätere jahrzehntelange Verleugnung der Ereignisse und deren langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft. Vergebung scheint so für Generationen unmöglich.

Die Perspektive wechselt zwischen der heutigen Zeit und der chronologisch erzählten Geschichte der beiden Hauptfiguren, wobei die Abschnitte angenehm lang sind und selten Cliffhanger entstehen.

Lisa See gelingt es mit zahlreichen Details authentisch wirkende Figuren und Orte in meinem Kopf entstehen zu lassen.

Die Sprecherin Jennifer Lim ist die perfekte Wahl für dieses Buch, einfühlsam erzählt sie die Geschichte, findet steht den richtigen Ton für die jeweilige Stimmung und Figur.

Fazit

Die südkoreanische Insel Jeju im 20. Jahrhundert ist ein ungewöhnlicher Schauplatz. Noch ungewöhnlicher eine Gesellschaft, in der die Frauen als Taucherinnen das Familieneinkommen sichern. Lisa Sees neuster Roman ist so spannend und lehrreich wie glaubwürdig, nicht zuletzt dank der beiden authentisch wirkenden Hauptfiguren Young-sook und Mi-jia. Deren enge Freundschaft wird immer wieder auf harte Proben gestellt wird, nicht zuletzt werden der Kriege und anderen Umbrüche in jener Region im 20. Jahrhundert. Am liebsten hätte ich es ohne Unterbrechung gehört, auch dank der einfühlsamen Sprecherin Jennifer Lim.

Falls das Buch auf Deutsch übersetzt wird, wird hoffentlich das Titelbild der englischen Ausgabe übernommen, auf dem zwei Taucherinnen in traditioneller Kleidung abgebildet sind.

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Sally Magnusson – The Sealwoman’s Gift

Sally Magnusson - The Sealwoman's Gift ©tworoadsbooks

©tworoadsbooks

9:51 Stunden

ungekürzte Lesung

Sprecherin: Katherine Manners

Hörprobe bei audible *klick*

Zum Inhalt (freie Übersetzung der englischen Inhaltsangabe)

1627 überfielen Barbaresken (muslimische Piraten) die Küste Islands und verschleppten 400 Einwohner. 250 stammten von einer kleinen Insel vor der Küste Islands. Unter ihnen waren der Pastor Ólafur Egilsson, seine Frau Ásta und deren drei Kinder. Obwohl der Überfall und dessen Folgen selbst gut dokumentiert wurden, ist nur wenig über das Schicksal der Frauen und Kinder bekannt, die in Algier landeten.

Sally Magnusson lässt Ásta, die Frau des Pastors, zu Wort kommen. Durch ihre Augen, die Geschichten ihrer alten und neuen Heimat, erzählt Sally Magnusson sehr glaubwürdig, wie es hätte sein können, ungeschönt, ohne exzessive Gewaltbeschreibungen.

Zur Autorin

Sally Magnusson wurde 1955 geboren und ihr Vater stammt aus Island. Sie fing bei der Zeitung Scotsman in Edinburgh als Journalistin an und arbeitet heute für die BBC in Schottland.

Zur Sprecherin

Katherine Manners ist eine britische Schauspielerin, die u.a. 2016 in der Verfilmung von Krieg und Frieden mitspielte und zahlreiche Hörbücher eingelesen hat.

Meine Meinung

The Sealwoman’s Gift erzählt sehr lebendig eine ungewöhnliche Geschichte, die auf wahren und teilweise sehr gut dokumentierten Begebenheiten beruht. Einerseits historisch sehr interessant (hatte noch nie von den Barbaresken gehört und wusste kaum etwas über das Leben in Island oder Algiers im 17. Jahrhundert), anderseits erinnert es an das Schicksal der zahllosen Flüchtlinge in unserer heutigen Zeit. Im Mittelpunkt steht Ásta, die Frau des Pastors Ólafur Egilsson. Dieser schrieb ein Buch über seine Erlebnisse, das Sally Magnusson las. Dank ihres isländischen Vaters und ihres Studiums konnte sie die historischen Texte im Original lesen.

Ásta Egilsson wird 1627 hochschwanger mit ihrer gesamten Familie von den Piraten entführt und sieht mehrere Freunde und Verwandte grausam sterben. Das Leben auf dem Schiff ist nicht viel besser und sie bringt im Laderaum unter üblen Bedingungen ihr viertes Kind zur Welt. Derweil sucht ihr Mann den Kontakt zur Besatzung des Schiffs und versucht deren Sprache und Kultur zu verstehen. In Algiers angekommen landen Ásta und ihre Familie eine neue Welt, die kaum unterschiedlicher von ihrem vertrauten Dorf in Island sein könnte.

Dort war das Leben hart, der Winter lang und die Landschaft karg. Der Anfang ist sehr düster und spröde, umso schwerer verdaulich weil Sally Magnusson geschickt Bilder im Kopf entstehen lässt und die Figuren sehr schnell lebendig wurden. Schonungslos und gleichzeitig ohne unnötige Details schildert sie das Leben der Figuren.

In ihrem goldenen Käfig im Harem eines reichen Kaufmanns führt Ásta ein Leben im Luxus, fern von Heimat und Familie. Den Kulturschock für die versklavten Isländer kann man sich heute kaum noch vorstellen. Die Freiheit zu verlieren, eine fremde Sprache, fremd aussehende Menschen überall, eine fremde Religion, Hitze ohne Winter, ungewohnt bunte Farben, Essen im Überfluss…

Auf mich wirkten die Figuren ausnahmslos sehr authentisch, wie Kinder ihrer eigenen Zeit, was das Buch noch fesselnder machte. Ásta wirkt in ihrer Stärke und Kompromisslosigkeit gegenüber ihrem arabischen Besitzer und einigen anderen Figuren manchmal etwas zu modern. Auf der anderen Seite wurde sie in einer ganz anderen Welt groß, in der das Leben sehr hart war und ein Harem unvorstellbar gewesen wäre. Vielleicht war sie tatsächlich so wie geschildert und bewahrte sich einen gewissen Stolz wie eine Art Panzer. Sie kämpft nicht für Gleichberechtigung, sondern eher für die aus Island gewohnten Freiheiten, die in ihrer neuen Heimat für Frauen unüblich sind, insbesondere für Sklavinnen.

Ásta versucht ihren Kindern weiterhin ein Bindeglied zur alten Heimat zu sein, emotional, sprachlich und auch über die Sagas, während die Kinder in das Leben in der neuen Welt hineinwachsen, ihr jüngstes weder die alte Heimat noch Religion miterlebt hat. Über die Jahre muss sie sich entscheiden, ob sie sich mit ihrem Schicksal und neuen Leben arrangieren will, neue Bande knüpfen und ihre Kinder loslassen. Die Gedanken und Sorgen von Ásta erinnerten mich teilweise die von Migranten, die fernab der Heimat ein neues Leben anfangen müssen, in der sie ihre Kinder glücklich sehen wollen ohne sie zu verlieren. Natürlich ist das Ganze durch die Versklavung von Ástas gesamte Familie in einer Zeit ohne Telefone oder Internet noch deutlich drastischer.

Eine für Ásta sehr wichtige Gemeinsamkeit der alten und neuen Heimat ist die Leidenschaft für das Geschichtenerzählen. Die vertrauten nordischen Sagen retten Ásta mehr als einmal aus ihrer Verzweiflung und in Algiers lernt sie die Erzählungen aus 1001 Nacht kennen.

Das Ende möchte ich hier nicht verraten, es ist so hart wie überraschend, die Figuren bis zum Ende hin glaubwürdig in ihrem Verhalten und ihren Gedanken.

Katherine Manners leicht spröder Vortrag passt gut und lässt die Figuren lebendig werden.

Fazit

Eine faszinierende und gelungene Mischung aus historischen Fakten und Sally Magnussons Fantasie, die ungeschönt vermittelt, wie es wirklich gewesen sein könnte. Sally Magnusson ließ mich schnell in die fremde Welt und Zeit eintauchen, die durch die Augen von Ásta gezeigt wird. Spannender als in den meisten Geschichtsbüchern wird hier lebendig viel Wissen vermittelt. Sally Magnusson schont ihre Figuren und Leser nicht, vermittelt ein überzeugendes Bild davon, wie es vielleicht wirklich war in Island und Algiers Anfang des 17. Jahrhunderts.

Hoffentlich wird das Buch auf Deutsch übersetzt und bleibt nicht Sally Magnussons einziger Roman.

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Marc Elsberg – Gier

©Blanvalet

GIER Wie weit würdest du gehen von Marc Elsberg ©Blanvalet

ungekürzte Lesung

9:42 Stunden

Sprecher: Dietmar Wunder

Hörprobe beim Verlag *klick*

Zum Inhalt (vom Verlag)

Wenn Reichtum für alle möglich wäre, man dafür aber von seinem eigenen Geld abgeben müsste, würdest du teilen?

„Stoppt die Gier!“ rufen sie und „Tod dem Kapitalismus“. Auf der ganzen Welt demonstrieren Menschen gegen die Folgen einer neuen Wirtschaftskrise. Nur ein paar wenige Reiche sind die Gewinner. Bei einem Sondergipfel in Berlin will Nobelpreisträger Herbert Thompson eine Rede halten, die die Welt verändern könnte. Denn angeblich hat er die Formel gefunden, mit der Wohlstand für alle möglich ist. Doch dazu wird er nicht mehr kommen. Bei einem Autounfall stirbt er – aber es gibt einen Zeugen, der weiß, dass es Mord war. Jan Wutte will wissen, was hinter der Formel steckt, aber die Mörder sind ihm dicht auf den Fersen …

Zum Autor (vom Verlag)

Marc Elsberg wurde 1967 in Wien geboren. Er war Strategieberater und Kreativdirektor für Werbung in Wien und Hamburg sowie Kolumnist der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Heute lebt und arbeitet er in Wien. Mit seinen internationalen Bestsellern Blackout, Zero und Helix etablierte er sich auch als Meister des Science-Thrillers. Blackout und Zero wurden von Bild der Wissenschaft als Wissensbuch des Jahres in der Rubrik Unterhaltung ausgezeichnet und machten ihn zu einem gefragten Gesprächspartner von Politik und Wirtschaft.

zum Sprecher (vom Verlag)
Dietmar Wunder leiht seit Jahren Hollywoodstars wie Adam Sandler, Cuba Gooding Jr. und Daniel Craig seine Stimme. Außerdem ist er als Dialogregisseur tätig und ein sehr gefragter Hörbuchsprecher.

Meine Meinung
Ganz kurz: besser nochmal Blackout lesen oder hören….

Marc Elsbergs Erstling Blackout ist mir in guter Erinnerung und so hatte ich Gier gekauft ohne vorher andere Meinungen abzuwarten – in der Hoffnung, dass dieses Buch wieder besser wäre als sein drittes Buch Helix. Der Klappentext ließ mich schon einen reißerischen Thriller befürchtet, aber es kam leider noch schlimmer.

Die Grundidee klang interessant, dank der Formel des Nobelpreisträger Herbert Thompsons ein gewisser Wohlstand für alle, statt der immer weiter auseinandergehenden Schere. Dazu passend beginnt das Buch bei einem Krisengipfel und es kommen einige Spekulanten und Unternehmer zu Wort, die sich durch die Krise noch bereichern wollen und ihren Einfluss auf die Regierungen ausweiten, während sie Millionen von Arbeitsplätzen vernichten würden. Die Ausgangssituation, deren Ursachen und die Forderungen der Demonstranten nach mehr Gerechtigkeit wirken alle sehr realistisch.

Man merkt dem Buch deutlich an, dass Marc Elsberg viel zum Thema recherchiert hat. Stellenweise werden die Leser mit mal banalen, mal interessanten Rechenmodellen und wissenschaftlichen Theorien überflutet. Alternative Gesellschaftsmodelle bekommen leider nur sehr wenig Raum. Der Großteil der Recherchematerialien war vermutlich auf Englisch, anders kann ich mir Stilblüten wie „derart camoufliert wagte sie sich…“, „genügte seine Kondition, um den Typen spielend auszujoggen“ oder „der Spiegel in ihrem Zimmer zeigte sie reichlich devastiert“ nicht erklären.

Billige Effekthascherei, eine durch die Luft fliegende und die Hauptfigur nur knapp verfehlende Luxuslimousine, zahllose Verfolgungsjagden und Fluchtmanöver, künstliche Spannung durch ständige Szenenwechsel, zu wenig Abschnitte mit Substanz nervten mich immer mehr und ich war schon versucht, das Buch abzubrechen und fragte mich, ob eventuell ein Ghostwriter den Text auf Englisch geschrieben hatte dann an Google Translator geschickt hatte.

Die meisten Figuren sind recht eindimensional und die Hauptfigur Jan Wutte war leider weder überzeugend noch ein Sympathieträger für mich. Es ist ein Wunder, dass er bis zum Ende des Buchs überlebt. Die Polizisten sind auch ordentlich in Gut und Böse unterteilt, wobei die Guten sich natürlich an keinerlei Spielregeln halten.

Der Handlungsstrang um die Dorfbewohner hätte meiner Meinung entweder deutlich mehr Raum bekommen müssen oder komplett gestrichen werden.

Dietmar Wunder liest gewohnt souverän und findet stets den passenden Ton. Ohne ihn als Sprecher hätte ich vermutlich nicht bis zum Ende durchgehalten.

Fazit

Schade drum, hätte ein spannender Wirtschaftsthriller sein können und wirkte wie das sprachlich misslungene Drehbuch zu einem schlechten Actionfilm. Die Ausgangsfrage, ob (und warum) durch Teilen mehr Wohlstand für alle entstünde, wurde eher am Rande abgehandelt, zwischen zahllosen Verfolgungsjagden durch Berlin. Die Auflösung konnte mich leider auch nicht überzeugen und beim nächsten Buch von Marc Elsberg werde ich zuerst andere Meinungen abwarten. Dietmar Wunder ist nach wie vor einer meiner Lieblingssprecher, auch hier liest er souverän gut.

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Lesung und Gespräch Takis Würger, 28.03.2019, Brunosaal Köln

Foto ®ottifanta

Foto ©ottifanta

Die Stimmung war positiv gespannt im fast ausverkauften Brunosaal in Köln als Takis Würger und Adriana Altaras die Bühne betraten.

Die Veranstaltung begann direkt mit der im deutschen Feuilleton heiß diskutieren Frage „darf man das“. Darf man einen Liebesroman über eine deutsche Jüdin schreiben, die andere Juden an die Gestapo verriet. Adriana Altaras selbst sei genau das oft gefragt worden und sie finde absolut, dass man das darf. In Stella und am heutigen Abend gehe es um Schuld, Liebe und Moral.

Dann stellte sie kurz Takis Würger vor, der 1985 geboren wurden und vielen vermutlich als der Autor von Der Club bekannt sei, das für Adriana Altaras ein „Hammerbuch“ ist. Er habe die Journalistenschule besucht, in Cambridge studiert und als Kriegsreporter gearbeitet.

In seinem neuen Buch geht es um Stella Goldschlag, die eine sogenannte Greiferin gewesen sei. Takis Würger findet den Begriff Greiferin unglücklich, es klinge für ihn zu schnittig. Seines Wissens hätten rund zehn Juden mit der Gestapo kollaboriert. Von einem Freund, der das Theaterstück Stella besuchte, hörte er zum ersten Mal von Stella Goldschlag. Eine gebildete, musische Jüdin, die in einer geheimen Jazzband spielte und 1943 mit ihren Eltern verhaftet wurde. Die Gestapo stellte sie dann vor die Wahl, ihre Eltern mit dem Zug nach Auschwitz fahren zu sehen oder mit der Gestapo zu kollaborieren. Sie entschied sich die Kollaboration und sei für den Tod von Hunderten von Juden verantwortlich. Das Theaterstück und der Film Die Unsichtbaren hätten sich bereits vor dem Roman mit Stella Goldschlag beschäftigt.

Für Adriana Altaras stellt sich hier die Frage nach der individuellen Schuld und was man selbst getan hätte. Ihrer Ansicht nach haben die Zeiten sich gewandelt. Zuerst seien Juden Opfer gewesen, dann sei die Phase gekommen „aber wir Deutschen haben auch gelitten, Dresden brannte usw.“ und dann, dass es auch böse Juden gab.

Ob man mit der Gestapo kollaborieren könne, sei eine sehr komplexe Frage und erst recht, warum Stella Goldschlag auch nach dem Tod ihrer Eltern weitermachte.

Takis Würger kann die Aufregung über sein Buch nicht recht verstehen, denn es sei bereits vor rund 25 Jahren ein Sachbuch über Stella Goldschlag erschienen, das jetzt neu aufgelegt wurde und auch das Musical wurde bereits im Sommer 2016 erstaufgeführt. Ihm selbst sei kein anderes Beispiel für böse Juden bekannt, Fälle in denen Juden Täter waren. Wieviel Mitschuld Stella Goldschlag getragen habe, sei für ihn ein wichtiges Thema.

© Hanser Literaturverlage

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Adriana Altaras war schockiert, dass die Kritiken oft kaum an Häme zu überbieten waren. Auf der anderen Seite war Stella beim NDR “Buch des Monats” und die Jüdische Allgemeine habe es als „Leise, glaubwürdig und ja, auch schonungslos, aber an keiner Stelle unempathisch, effekthascherisch oder gar reißerisch” beurteilt.

Für sie sei der Eindruck entstanden, dass nur noch Juden über den Holocaust schreiben dürften, Maxim Biller, sie selbst und wenige andere. Wie sich Takis Würger die Häme erkläre? Seiner Meinung sei es am besten, wenn der Autor nichts dazu erkläre. Natürlich hoffe man als Autor, dass das Buch gut ankomme. Als das Buch und die Kritiken erschienen, habe er mit vielen Buchhändlern gesprochen, die diese Diskussionen im Laden führen mussten und das Echo sei sehr positiv gewesen.

Am Ende des Buchs steht seine persönliche Emailadresse und nach den vernichtenden Kritiken am 11. Januar, habe er habe Angst gehabt, in sein Postfach zu schauen. Es seien einigen Emails von Buchhändlern gewesen, die das Buch vor den Verrissen lasen, es gut fanden und ihm zur Seite standen. Er bedankte sich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Buchhändlern für ihre Unterstützung. Insgesamt habe er rund 1300 Emails bekommen, von denen weniger als zehn verletzend gewesen seien. Viele hätten Kritik geäußert und es haben Diskussionen gegeben. Das größte Kompliment sei für ihn gewesen: „Ich habe Ihr Buch vor zwei Tagen fertig gelesen, aber ich noch lange nicht fertig damit.“

Sein Verleger und Lektor habe die Ansicht vertreten, dass sein Buch diese Debatte eigentlich nicht hergeben würde, was ihn wiederum amüsierte.

Dann las Takis Würger gekonnt das Kapitel, in dem Friedrich vorgestellt wird. Wie er in der Schweiz aufwächst und von seiner Mutter gedrillt wird, die ein einziges Ziel hat und ihn dafür schon früh an der Staffelei stellt. Es folgt ein einschneidendes Ereignis, das Friedrichs Leben für immer verändert.

Für Adriana Altaras ist es sehr wichtig, dass Friedrich immer die Wahrheit sagt, so wie er es von seinem Vater lernte. Als er sich jedoch in Stella Goldschlag verliebt, kann und will er vieles nicht sehen.

Takis Würger betont an dieser Stelle, dass Stella ein Roman ist, vorher sei über die historische Stella Goldschlag gesprochen worden und er wolle auf den Unterschied hinweisen, worauf Adriana Altaras lakonisch kontert, dass es ein Roman sei stehe doch vorne drauf.

Seiner Meinung nach verhalte sich Friedrich so, weil Stella Goldschlag die erste sei, die ihm das Gefühl gebe, so ok zu sein, wie er ist. Friedrich frage nicht nach, weil er um jeden Preis das erhalten wolle, was er gefunden hat. Ja, Friedrich sei sehr naiv, aber er reflektiere auch über Stella und Takis Würger zitiert eine kurze Stelle aus dem Roman „vielleicht habe ich gewusst…“. Vielleicht hätte er diese Stelle deutlich herausarbeiten sollen.

Adriana Altaras vermutet, dass die Kritiker so hysterisch seien, weil es Unterschiede zwischen dem Roman und der historischen Realität gibt.

Takis Würger hatte während des Schreibens auch Kontakt zu Professor Sascha Feuchter, Leiter der Stelle für Holocaustliteratur an der Uni Gießen. Dieser habe ihm die Frage gestellt, ob man im Jahr 2019 ernsthaft eine Debatte darüber führen würde, was Literatur dürfe. Es sei Kunst, die dürfe alles.

Wenn die Generation von Takis Würger nicht darüber schreibe, während die letzten Zeitzeugen noch leben, dann beginne die Zeit des Schweigens. Ob man darüber eine Liebesgeschichte schreiben könne und diese gelesen werde, könne man diskutieren. (Interessante Radiosendung mit Sascha Feuchter *klick*) Die Shoa sei so groß gewesen. Wenn sein Roman dazu führe, dass ein Einziger über dieses Thema google und sich dafür interessiere, sei er zufrieden.

Für Adriana Altaras ist ein Roman seiner Generation und sie findet es wichtig, dass die Generation der 30-40 Jährigen über die Zeit schreibt, statt damit aufzuhören, weil man nicht Primo Levi ist.

Ihrer Ansicht nach ist Friedrich extrem naiv. Sie kann scheinbar Takis Würgers Beteuerungen, dass nur Friedrich so naiv sei nur halbherzig Glauben schenken und wünschte sich deutlichere Aussagen dazu im Buch. Ihrer Ansicht nach sei er ausgewichen und sie hofft auf mehr im nächsten Buch.

Takis Würger fände es anmaßend, die Frage zu beantworten, was man selbst an Stella Stelle getan hätte. Er wünsche sich, dass die Leser selbst darüber nachdenken.

Dann las er jene Textstelle, in der Friedrich und Stella sich zum ersten Mal begegnen.

Im Buch sind zahlreiche Zeugenaussagen über Stella Goldschlag in kursiver Schrift abgedruckt, sowie immer wieder kurze Sammlungen zeithistorischer Informationen.

Ihm sei das Leben der Figuren wie ein Kammerspiel vor einer Luxuskulisse in Berlin vorgekommen, als ob die Nazis nicht gleichzeitig Krieg führen würden und Juden ermorden.

Die Zeugenaussagen seien sehr kalt und klar, sie würden deutlich zeigen, wie gefährlich diese Frau war. Durch die Chronikeinträge würden die Leser gezielt immer wieder aus der Geschichte geworfen. Dies sei lange im Lektorat diskutiert worden. Er wollte den Lesern etwas vom Inhalt der rund vier Dutzend Bücher über die 40er Jahre vermitteln, die er las, weil er selbst überrascht war, wie wenig er über diese Zeit wusste. Die Leser sollten erfahren, was alles passierte, während in Berlin diese Liebesgeschichte spielt. Während des unglaublichen Terrors der Nazis passierten auch unglaublich triviale Dinge, Oscar wurden verliehen, Opern aufgeführt usw. Für ihn sollten die Chronikeinträge illustrieren, dass das Leben weiterging.

Ihn fesselte das Tagebuchs eines US-Journalisten, der 1942 im Adlon lebte und nachts ein anderes Leben führte, der die geheimen Jazzclubs ging und von zwei französischen Kriegsgefangenen erzählt, die Wein aus Fässern auf Flaschen zogen, weil so viel Wein getrunken wurde. Er wollte zeigen, dass auch böse Menschen Feste feierten, u.a. auf der Wannseekonferenz.

Das Böse habe sehr viele Facetten. Bei seiner Recherche sei er immer wieder bei Reinhard Heydrich hängengeblieben. Sohn eines Komponisten, der selbst sehr musikalisch war, Violine spielte und von Musik oft zu Tränen gerührt wurde. Gleichzeitig habe er die Wannseekonferenz geplant und sei ein Monster gewesen. Heyrich habe er nicht in den Roman nehmen wollen, daher gebe es Tristan von Appen, der zunehmend bösartig sei und Nazi.

Adriana Altaras gefällt es, dass die Figuren mehrere Facetten haben und wünscht sich für den nächsten Roman noch vielschichtigere Figuren. Die historische Stella Goldberg sei nach dem Krieg in einem ersten Prozess zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt worden, nach ihrer Freilassung in einem zweiten Prozess später zu weiteren zehn Jahren, die jedoch als verbüßt galten. Sie habe erfolglos versucht, eine Rente als Opfer des Faschismus zu bekommen und sich später durch einen Sturz auf dem Fenster umgebracht. Ihre Tochter sei um die Zeit des ersten Prozesses von Berliner Juden adoptiert worden, die mit dem Kind nach Israel auswanderten. Die jüdische Gemeinde habe den Kontakt zwischen Mutter und Tochter später verhindert.

Dann erklärte Takis Würger, dass Stella Goldschlag ihre publizistischen Persönlichkeitsrechte vererben wollte. Dies sei jedoch nicht möglich, man könne nicht beeinflussen, wie nach dem Tod über einen geschrieben werde. Wenn man eine Person der Zeitgeschichte sei, sei es sowieso anders.

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Gespräch Eva Lüdi Kong, 21.03.2019, Konfuzius-Institut Leipzig

®ottifanta

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Eva Lüdi Kong studierte Sinologie in Zürich und klassische Literatur und Kalligraphie in China. Von 1990-2016 lebte sie in China und wurde 2017 für die Neuübersetzung des chinesischen Klassikers Die Reise in den Westen mit dem Übersetzer-Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Im Herbst 2018 erschien ihre Übersetzung des sogenannten 1000 Zeichen Klassiker.

Dieses Buch lese sich fast wie ein dadaistischer Text, sei in einer sehr komprimierten Schriftsprache verfasst und nur mit sehr tiefen Kenntnissen der chinesischen Kultur und Sprache zu verstehen. In China kenne praktisch jeder dieses Buch und könne daraus zitieren. Noch vor gut einem Jahr habe sie nicht gedacht, dass eine Übersetzung zustande kommen könne, dann sei plötzlich alles sehr schnell gegangen. Sie habe das kleine Büchlein nochmal in die Hand bekommen und plötzlich einen Zugang dazu gefunden, es sei ganz wunderbar.

Einige Stelle habe sie als poetisch empfunden, andere beim ersten Lesen nicht direkt verstanden. Doch später habe sie auch diese Stellen spontan verstanden, was jemand mit diesem oder jenen Zeichen ausdrücken wollte. Ganz von selbst hätten sich passende deutsche Sätze ergeben, die meist viersilbig seien.

Während eines Mailkontakts mit ihrem Lektor bei Reclam habe sie einen Auszug mitgeschickt, nur so und er sei direkt im Januar 2018 auf sie zugekommen, dass man es sofort machen könne. Wie schon Die Reise in den Westen habe ihr auch diese Übersetzung viel Spaß gemacht, auch es hier eine kürzere Zeit gewesen sei, habe es sie sehr bereichert. Sie könne natürlich nicht mit den Gelehrten aus der Ming und Qing-Dynastie mithalten, wenn es um solche reiche Texte gehe.

Ihr Schwiegervater aus Hangzhou sei einer der letzten gewesen, der noch eine traditionelle Schule besucht habe und den 1000 Zeichen Klassiker schon mit neun Jahren auswendig lernen musste. Inzwischen lebe er in einem Häuschen auf dem Land und könne noch heute das Buch aus dem Gedächtnis von Hand schreiben, es stecke einfach in ihm drin. Bis zur Übersetzung dieses Buches habe sie nie ein Gesprächsthema mit ihm gehabt, das über allgemeine Dinge hinausging. Jetzt seien sie das erste Mal richtig ins Gespräch gekommen und es sei ein sehr intensiver Austausch gewesen. Für ihn war es wir ein Kinderlied, das man auswendig lernte. Vieles habe er erst viel später als Erwachsener verstanden.

®Reclam

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Der 1000 Zeichen Klassiker entstand im sechsten Jahrhundert und habe rasch zum Kanon der Klassiker gehört. Bis Anfang des 20. Jahrhundert kannte es jeder, der Lesen und Schreiben gelernt hatte. Heute werde es wieder gelehrt, in einer bunt illustrierten Ausgabe für die Schulen. Sie selbst ist fasziniert von der alten Version mit schwarz-weißen Illustrationen. (Leseprobe mit Illustrationen)

Es beginne wie so viele Bücher mit dem Himmel und der Erde, man sehe beim Lesen die gelbe Erde vor sich. Es sei unheimlich poetisch und beim Lesen würden sich Bilder ausbreiten, während die Schüler den Text in den Schulstuben geleiert wiedergaben. Das repetitive Lernen sei Anfang des 20. Jahrhunderts Verruf gekommen und das Werk selbst als „abtötende Literatur“.

Der Kaiser Wu aus der Liang Dynastie habe im sechsten Jahrhundert in der Gegend um Nanjing gelebt, viele Gelehrte um sich geschart und sich sehr für den Buddhismus eingesetzt. Damals mussten Kalligraphen während der Ausbildung einzelne Schriftzeichen von Stelen abschreiben, oft ohne größeren Sinn. Der Kaiser wollte einen zusammenhängenden Bildungstext für die Adelssprösslinge und wählte den Hofgelehrten Zhou Xingsi aus, der in seinen Augen großes Talent hatte. Es sollten 1000 Zeichen vorkommen, keines durfte sich wiederholen. Der Legende nach habe Zhou Xingsi die ganze Nacht gereimt und den Text bereits am nächsten Tag dem Kaiser übergeben.

Ein Mönch habe Ende des sechsten Jahrhunderts 800 Abschriften des Textes in Tempeln in der Provinz Zhejiang verteilt, die in der Nähe von Nanjing liegt Der Text sei überall als Vorlage zum Schreiben lernen verwendet worden. Eva Lüdi Kong zeigte zahlreiche Bilder von alten Lehrbüchern und auch von Bibliotheken, in denen die Zeichen des Buches fortlaufend zur Nummerierung verwendet wurden, z.B. beim vollständigen buddhistischen Kanon.

Ihre Begeisterung für den Text und dessen Tiefe war deutlich spürbar, besonders, wenn sie einzelne Textstellen auf Chinesisch und Deutsch rezitierte. Umso intensiver sie sich mit dem Text beschäftigte, umso mehr sei sie in einen Flow gekommen, jedes Zeichen gehe auf wie eine Blume. Sie habe befürchtet, dass Sinologen ihre Version in Zweifel stellen würden, aber ihr Eindruck sei, dass sie nicht mehr geschrieben habe, als in dem Text, den Zeichen drinstecke und wollte ihren deutschen Lesern dieses besondere Gefühl beim Lesen vermitteln.

Das Werk sei in verschieden Abschnitte unterteilt. Erst werde geschildert, was es im Himmel und auf der Erde gebe, dann gehe es um chinesische Mythen und später um die Weisheit des chinesischen Urkaisers. Es geht um einen Verhaltenskodex für die Menschen, wie Männer und Frauen sich zu verhalten haben. Das Werk sei an sich erzkonfuzianisch (mit einer einzigen Anspielung auf den Buddhismus) und sie frage sich, ob es gut sei, diesen Text heute wieder in Schulen rezitieren zu lassen. Es gebe eine neue Diskussion um den Sinn der Lektüre, ob es nicht doch abtötende Literatur sei.

Dann schweife der Blick auf den Kaiserhof, was dort passiere und wer dort lebe, die Verwaltungsstruktur und die Bekleidung der hohen Beamten. Zu jedem Abschnitt wurden Seiten aus älteren Versionen des Werks gezeigt, mit Text und zahlreichen passenden Illustrationen. Der Autor habe auch einen kritischen Blick auf das Leben am Hofe geworfen und riet z.B. sich vor Intrigen zu hüten.

Ohne den Text genau zu kennen, könne man ihn rein akustisch kaum verstehen, so verknappt und klassisch sei die Sprache. Ihr Schwiegervater habe als Kind einiges anders verstanden, in der Schule wurde mehr Wert auf das Auswendiglernen und Schreiben gelegt als auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt.

Das Ende sei sehr unterschiedlich interpretiert worden. Sie habe es so gelesen, dass der Autor darstellt, wie er mit dem fertigen Manuskript durch den Palastgarten schlendere und es dem Kaiser vorlege. Diese Version habe sie bei einem chinesischen Linguisten gelesen und als passend empfunden. Ganz am Ende gehe der Verfasser wieder auf den Himmel und den Lauf der Sterne ein.

Chinesische Sprichwörter bestehen traditionell aus vier Schriftzeichen und viele Zeilen aus dem 1000 Zeichen Klassiker seien als Sprichwörter bekannt. Dann verglich Eva Lüdi Kong noch die Übersetzungen von J. Hoffmann (1840), Erich Hauer (1925) und Barbara Maag (2010/2017), die teilweise sehr unterschiedlich ausfallen.

Es wurde ein Video von Youtube gezeigt, auf dem eine Schulklasse in traditioneller Kleidung den Text (leiernd) rezitiert. Der Umgang bleibe etwas ambivalent. Ihrer Meinung nach solle es gelesen werden, jedoch mit einem kritischen Blick.

Zum Ende beantwortete sie noch einige Fragen aus dem Publikum.

Obwohl der Text rund 1500 Jahre alt ist und es auch im Chinesischen Lautverschiebungen gab, würde der Originaltext sich immer noch reimen.

Es gebe in China kein klassischeres Buch als dieses und zum Glück sei es ihrem Lektor von Reisen durch China bekannt gewesen. Andere Verlage hätten es nicht gekannt und dieses sehr spezielle Nischenprojekt vermutlich auch nicht veröffentlicht. In ihren Anmerkungen auf der linken Seite (rechts stehen immer Originaltext und Übersetzung) sei sie meist auf die Bezüge zu anderen klassischen Schriften eingegangen.

Sie freue sich, dass dank Reclam dieser so besondere Text jetzt auch einer ausführlichen Version für deutsche Leser verfügbar sei und bedankte sich beim anwesenden Publikum.

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Gespräch Frank Goosen, 21.03.2019, Leipziger Buchmesse

®Kiepenheuer&Witsch

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Die Veranstaltung begann mit Frotzeleien über die zahlreichen Schilder auf der Messe mit „… erlesen“. Dabei sei es kein neues, sondern ein altes Trendwort. Noch schlimmer als Kneipen mit Namen wie „Blumenbar“ und „Wunderbar“ fände er Wortspiele mit „Haar“ bei Frisörsalons, wie zB. „Haarmony“ usw.

Die Moderatorin Doris Akrap hatte sich bei Wikipedia über Frank Goosen informiert und schnell stellten die beiden fest, dass die Informationen weder vollständig noch alle korrekt sind. Sein Vater hatte einen Elektrobetrieb und wird erwähnt, seine Mutter machte die Buchhaltung und wird nicht erwähnt. Außerdem fehle seine Omma (sic) im Wikipediaeintrag, dabei sei sie für ihn besonders wichtig gewesen. Sie lebte länger als seine Eltern. Bis 1985 habe sie eine Dienstwohnung im Bochumer Rathaus gehabt und von ihr habe er das Quasseln gelernt. Bis 1985 musste er weder Papier noch Büromöbel kaufen, das habe dort einfach so rumgestanden. Bei ihrem Auszug habe sie die Badewanne mitgenommen, die Stadt habe dann direkt Kopierer reingestellt. 2010 habe er bei einem Besuch dort noch die gleichen Prilblumen auf den Kacheln und den orangefarbenen Rasiererhalter seines Großvaters gesehen.

Bei der Band „Vatermörder“ habe er nur zwei Mal zufällig mit ihnen auf der Bühne gestanden – sei jedoch nie Bandmitglied gewesen. (Das steht inzwischen nicht mehr bei Wikipedia.) Dafür sei er stolzes Mitglied der Deutsche Akademie für Fußball-Kultur und gehöre zur Jury für die Sprüche des Jahres von denen er gleich ein paar seiner Lieblinge zitierte. (z.B. Manuel Neuer „Wir schießen so wenig Tore, vielleicht heißen wir deshalb auch die Knappen.”) Über den deutschen Fußball zwischen 1933-45 rede keiner, daher wüssten auch die wenigsten, dass der VfL Bochum 1938 durch die Zusammenlegung von drei Vereinen entstand sei – damit die Gauhauptstadt Bochum auch einen großen Fußballverein habe.

Über die sieben Jahre im Vorstand des VfL Bochum könne er aus juristischen Gründen nicht viel erzählen, müsse einen Roman darüber schreiben, in dem alles erfunden sei. Es sei im Fußball alles so absurd geworden, nicht nur bei den großen Vereinen. In den Vorstand sei er aufgrund eines Anrufs gekommen, ob er bereit sei, auch Verantwortung zu übernehmen, nachdem er sich sehr kritisch über den Verein geäußert hatte.

Auf die Verfilmung seiner Bücher angesprochen, wollte Frank Goosen lieber über vor 2018 entstandenen Filme sprechen. „Liegen lernen“ von 2003 sei ein sehr schöner Film, „Sommerfest“ habe ihm gut gefallen und zu „So viel Zeit“ (2018) meinte er mit einem Augenzwinkern, es sei ein tolles Buch.

„Tresenlesen“ sei durch einen Zufall entstanden. Jochen Malmsheimer habe in einer bestimmten Kneipe gesessen und zu fortgeschrittener Stunde aus einem Roman von Flann O’Brien vorgelesen, wozu er von Harry Rowohlt inspiriert wurde. Am dritten Abend seien es von Robert Gernhardt inspirierte Texte gewesen und später auch eigene Texte. Nach Frank Goosens Meinung gebe es niemanden, der so mit Sprache umgehe wie Jochen Malmsheimer und er habe die Zusammenarbeit sehr geschätzt.

®CK

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Bei der WDR-Serie „Unser Land in den 80ern“ sei es um die Suche nach der Seele des Ruhrgebiets gegangen. Der Titel sei nicht von ihm gewesen. Er sei quer durch das Land gereist, habe alte und neue Orte besucht, die unterschiedlichsten Menschen getroffen und bedauere es immer, dass viel zu selten im Fernsehen Menschen auftauchen, die „Pott sprechen“. Ein Freund https://de.wikipedia.org/wiki/David_Schraven von ihm werde gelegentlich für die „Tagesthemen“ interviewt und habe die Erfahrung gemacht, dass er unterschätzt werden, wenn er „Pott spreche“. Gerade deshalb würde er es immer wieder gezielt einsetzen.

Dann ging es um sein neues Buch Kein Wunder, in dem die aus Förster, mein Förster bereits bekannten Figuren im Mittelpunkt stehen, Fränge, Brocki und Förster, allerdings schon Jahrzehnte früher. Schauplatz sind Bochum und Berlin im Jahr 1989. Fränge sei ein hedonistischer Typ, lebe in Berlin, weil es uncool sei, untauglich zu sein. Also tue Fränge so, als ob er aus Widerstand in Berlin lebe, wo er eine Freundin im Westen habe und eine im Osten. Daher sei Fränge gegen einen möglichen Mauerfall. Frank Goosen wollte im Ruhrgebiet in jener Zeit in einen größeren Zusammenhang stellen und zeigen, dass der Mauerfall auch Auswirkungen auf das Leben im Westen auswirkte.

Mitte/Ende der 80er Jahre sei das Ruhrgebiet dabei gewesen, fast cool zu werden. Es seien immer mehr Filme im Ruhrgebiet gedreht worden, es habe immer mehr Freizeitangebote gegeben, wie z.B. Tour de Ruhr. Werner Schmitz aus Bochum habe ungewollt die Regionalkrimis erfunden, dabei wollte er nur über etwas schreiben, das er gut kenne.

In den 80ern seien viele von der ZVS an die Ruhruni in Bochum geschickt worden, wo es damals rund 40.000 Studenten gab. Sicher sei die Architektur nicht so pralle, aber es gebe eine super Kneipenszene rund um das Bermudadreieck, gute Theater usw. In den 80ern habe man in Bochum seine Freundin ins Theater eingeladen, nicht ins Kino. So habe er manche Stücke mehrmals gesehen, stets in anderer weiblicher Begleitung. So seien viele positiv von Bochum überrascht gewesen, auch wenn die Uni selbst komplett aus Beton sei. Die Geisteswissenschaften seien damals schon schwarz-gelb angemalt gewesen, dabei habe gerade diese Farbkombination nichts mit Geisteswissenschaften zu tun. (Dieser Witz musste einigen im Publikum erklärt werden :grin)

In seinem neuen Roman habe er bewusst die gewisse gemeinsame Kaputtheit von Ostberlin und einigen Stadtteilen in Bochum genutzt. Während Brocki Ostberlin für das Reich des Bösen halte, aus dem bestimmt jeder weg wolle, idealisiere Fränge es etwas wegen seiner Freundin. Förster stehe in der Mitte und versuche, sich unvoreingenommen anzunähern.

Die Kaulsdorfer Seen als Schauplatz habe ihm ein Bekannter empfohlen, weil viele Häuser dort älter als die DDR waren, meist aus den 1920er Jahren und es so gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Berlin und Bochum gebe. Die meisten im Roman genannten Kneipen gebe es in Bochum tatsächlich, nur eine habe er erfunden.

Die Herkunft der Figuren in „Kein Wunder“ sei sehr unterschiedlich, daher könne er durch sie auch verschiedene Perspektiven darstellen. Er selbst sei Menschen wie Förster erst auf dem Gymnasium begegnet. Dort habe er oft das Gefühl gehabt, in der Mitte zu stehen, irgendwie außen vor zu sein und weder zu den einen noch den anderen zu gehören. Seiner Meinung nach die typische Situation eines Aufsteigers in den 70er Jahren. Doris Akrap merkte an, dass diese Perspektive in Wenderomanen selten sei.

Er habe einen Freund gefragt, was man mit den 25 Mark Zwangsumtausch in der DDR kaufen konnte und eventuell gewinnbringend in der BRD verkaufen. So sei er auf den Juwel-Campingkocher gekommen, der mit Benzin betrieben wurde und bekam auch ein Exemplar, das noch fabrikneu eingepackt war, mit eingestanztem Produktionsdatum. Dieses Datum liege genau 30 Jahre vor dem Erscheinungstag von „Kein Wunder“. Das sei nicht so geplant gewesen, sondern zufällig durch eine Produktionsverzögerung so gekommen.

Zum Abschluss wünschte Doris Akrap Frank Goosen und seinem neuen Roman viel Erfolg.

Das Hörbuch ist auf meinem Wunschzettel gelandet.

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Lesung aus EINSAME WELTREISE von Alma Karlin, 23.03.2019, Leipziger Buchmesse

© Aviva Verlag

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Ohne die Veranstaltung bei der taz wäre ich vermutlich nie auf das neu entdeckte Einsame Weltreise der bereits 1950 verstorbenen Alma Karlin aufmerksam geworden.

Doris Akrap moderierte die Veranstaltung mit Jerneja Jezernik (Verlegerin) und Britta Jürgs (Herausgeberin) vom Aviva Verlag.

Alma Karlin wurde 1889 in Cilli geboren, damals Teil Österreich-Ungarns, heute slowenisch, und gehörte zur deutschsprachigen Minderheit. Von Geburt an halbseitig gelähmt, werden ihr nur geringe Überlebenschancen gegeben. Sie bereiste alleine die Welt und starb 1950 verarmt, zurück in Cilli.

Jerneja Jezernik war fasziniert von dieser vielseitig interessierten Frau, die zu den zehn größten Weltreisenden gehörte. Als erste Frau war sie von 1919 bis 1927 insgesamt 8 ½ Jahre alleine am Stück unterwegs, verfügte über geringe finanzielle Mittel, stammte aus kleinbürgerlichen Milieu. Alma Karlin besaß eine Schreibmaschine namens Erika und wollte schreiben. In Cilli war sie zweisprachig aufgewachsen, sprach Deutsch als Muttersprache und Slowenisch. Auf ihren Reisen konnte sie meist gut mit den Menschen vor Ort kommunizieren, weil sie noch zahlreiche weitere Sprachen lernte, wie z.B. Russisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, sowie Sanskrit, Chinesisch und Japanisch.

Nach der Besetzung ihrer Heimat durch Deutschlang wurde sie als eine ersten verhaftet, später versteckte sie Dissidenten. Nach dem zweiten Weltkrieg war die deutsche Sprache wegen der Nazis verpönt und sie half vielen Flüchtlingen. Erst nach der Unabhängigkeit Sloweniens kam es zur Wende und sie gehört wieder zum Kanon der slowenischen Literatur, auch wenn manche sie nicht als slowenische Autorin gelten lassen wollen, weil sie auf Deutsch schrieb. In der sozialistischen Föderation Jugoslawien spielte Alma Karlin keine Rolle und geriet etwas in Vergessenheit.

Heute ist sie in ihrer Heimat hochaktuell, obwohl ihr Werk ins Slowenische übersetzt werden muss, spricht die Jugend an und inspirierte Filme und Zeichentrickfilme. Die slowenische Post widmete ihr eine Sondermarke. Zwischen den beiden Weltkriegen war sie die meistgelesene Reiseschriftstellerin.

Das Manuskript ihrer Autobiographie Ein Mensch wird liegt in Ljubljana in der Nationalbibliothek, wo Jerneja Jezernik es las. Dieses Buch ist ebenfalls im Aviva Verlag erschienen.

Britta Jürgs war sofort interessiert an der slowenischen Reiseschriftstellerin. Bei der Lektüre ihrer Bücher gefiel ihr die Sprache und Alma Karlins Blick auf die Welt. Ihr lakonischer Stil habe sie sofort gepackt.

Doris Akrap merkte an, dass Alma Karlin mit sich selbst sehr hart ins Gericht gegangen sei, wenn sie ihr Verhältnis mit der Welt und ihrem Körper beschreibt. Die Ärzte erwarteten nicht, dass sie älter als 12/13 Jahre werden würde und ihrer Mutter wurde die Schuld für die Behinderung der Tochter gegeben, weil sie bei der Geburt bereits 45 Jahre alt war.

Alma Karlins Motivation zur so genannten einsamen Weltreise sei u.a. gewesen, es der Welt zu zeigen. Sie sei oft verliebt gewesen, immer in Männer, die hochintellektuell waren, oft Künstler, körperliche Liebe sei ihr jedoch nicht möglich gewesen, für die Kunst wollte sie rein bleiben. Der Kontakt zu Künstlern habe ihr viel gegeben, aber auch zu vielen traurigen Momenten in ihrem Leben geführt.

Weil es immer wieder Schwierigkeiten mit den Visa gab, konnte sie nicht alle Länder besuchen, die sie gerne gesehen hätte. Das Visum für Japan erhielt sie ohne Probleme und es wurde ein Auszug aus ihrem Bericht über den Aufenthalt dort vorgelesen.

Britta Jürgs wurde bei der Lektüre bewusst, wie gefährlich es damals für alleinreisende Frauen war, erst recht, wenn man sich nur einfache Unterkünfte leisten konnte. Alma Karlin musste immer wieder unterwegs Geld für die nächste Etappe verdienen. In Südamerika machte sie schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen, wurde ausgeraubt. Mit der Zeit sei sie bitter geworden. Auf der anderen Seite habe sie von Frauen dort eine unglaubliche Solidarität erfahren und es sei immer wieder deutlich, dass sie mit den falschen Erwartungen einer Europäerin auf die Reise ging.

Jerneja Jezernik (deren wunderbares und fast akzentfreies Deutsch sehr beeindruckend war), kann sich kaum vorstellen, wie es damals für Frauen war, alleine durch die Welt zu reisen. Heute sei eine junge Frau (deren Namen ich leider nicht verstand) auf den Spuren von Alma Karlin unterwegs, aber gemeinsam mit ihrem Freund. Derzeit sei sie in Hawaii und interviewe viele Frauen, wie es vor 100 Jahren für eine Alleinreisende gewesen sein könne.

Für Britta Jürgs war es interessant zu lesen, wie offen und gleichzeitig europäisch Alma Karlin ist, offen mit eurozentrischem Blick ging sie in die Welt, nicht nationalistisch für ihr Herkunftsland und stellte sich gegen die Vorurteile anderer reisender Frauen in Amerika. Natürlich sei auch sie nicht frei von Vorurteilen gewesen, war Kind ihrer Zeit und nachdem sie in Peru schlechte Erfahrungen mit Männern machte, habe sie besonders rassistische Ausdrücke für die Männer von dort verwendet.

In Japan hingegen sei sie als Frau gleichwertig gewesen, habe sich voll akzeptiert gefühlt und gleichzeitig selbst als minderwertig empfunden.

Ihre zeitgenössischen Leser hätten ihre Berichte nicht als rassistisch empfunden, dafür bemängelt, dass sie judenfreundlich schreibe, sei die Wahrnehmung heute genau umgekehrt.

In ihren Berichten ist zu lesen, dass Mischehen und deren Kinder damals weltweit nicht erwünscht waren und aus der jeweiligen Gesellschaft ausgestoßen wurden. In unserer globalisierten Welt habe sich das gewandelt.

Das Manuskript der Autobiographie tippte Jerneja Jezernik ab und hörte vom Bibliothekar, dass das Material von Alma Karlin zu den meist erforschten und ausgeliehenen gehört.

In ihren Büchern gebe es sowohl feministische Aspekte und es werde spekuliert, ob sie homosexuell war, weil sie mit einer Freundin zusammenlebte. Ihre ganze Persönlichkeit sei so mannigfaltig, passe in kein Regelfach und spreche daher sehr viele Menschen an.

Dann wurde der Anfang ihrer Autobiographie vorgelesen, in der Alma Karlin selbstironisch schildert, dass ihre Verwandtschaft es als Segen empfand, dass sie Einzelkind blieb und von ihren Plänen für die Reise nach Japan. Sie bezeichnete sich selbst als „Zusammenkratzerl“ aufgrund ihrer mehrfachen Behinderung.

Jerneja Jezernik arbeitet an einer Biographie über Alma Karlin und versucht, deren komplexe Persönlichkeit zu verstehen. Zur Freude von Britta Jürgs direkt auf Deutsch, denn es sei schwierig eine Biographie über eine deutschsprachige Schriftstellerin aus dem Slowenischen zu übersetzen.

Zum Abschluss lud Jerneja Jezernik die Anwesenden ein, im Frühjahr oder Herbst nach Slowenien zu reisen oder literarisch auf die Spuren von Alma Karlin die Welt zu erkunden. Doris Akrap freut sich auf mehr slowenische Literatur in der nächsten Zeit, da Slowenien 2020 Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird.

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Lesung T.C. Boyle, 07.02.2019, Lichtburg Essen

©Hanser

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„Guten Abend meine Damen und Herren. Willkommen“, begrüßte der gut gelaunte T.C. Boyle die gut 1100 Zuschauer. Er freue sich, wieder im Land der „greatest readers on earth“ zu sein. Die Moderatorin Margarete von Schwarzkopf erzählte, dass sie seine Bücher möge und dieses habe sie besonders mitgenommen. Das Licht zeigt den Lesern die frühe Zeit der LSD-Partys. Bei der Themenauswahl und beim Schreiben sei ihm nicht bewusst gewesen, dass das 50. Jubiläum von Woodstock anstehe. Ihn habe interessiert, wie LSD entstand und dass es aktuell wieder klinische Studien mit LSD als Medikament gebe und wer war Timothy Leary?

Im August 1969 fand in Woodstock das heute weltberühmte Festival statt, das sehr geprägt wurde durch gewisse Drogen. T.C. Boyle war mit seiner zukünftigen Frau selbst dort.

Anfangs sei Timothy Leary ein ehrenwerter angesehener Professor gewesen, der später bei seinen selbsterfundenen Experimenten zu weit gegangen sei. Dies alles noch vor der Hippiezeit und T.C. Boyle fragte sich, wie es von den konservativen 1950er Jahren recht schnell zu den Hippies und Jimi Hendrix gekommen sei. Das Jahr 1963 sei eine Zeit des Übergangs gewesen, die Beatles wurden in Großbritannien zunehmend populär.

Margarete von Schwarzkopf erzählte, dass er seine Frau er aufgrund ihrer deutschen Wurzeln Frau B nenne, und er vielleicht auch durch seine irischen Wurzeln Geschichtenerzähler geworden sei.

So wie zuvor bei Dr. Sex schildere er auch bei Das Licht das Leben einer historischen Persönlichkeit aus der Perspektive einer fiktiven Figur. Ihn habe weniger die detaillierte Schilderung der Trips interessiert als die Persönlichkeit von Timothy Leary. Wie sei es ihm gelungen, anderen Menschen von seinen Ansichten zu überzeugen, seien die Auswirkungen gut oder schlecht. Im Mittelpunkt seines neusten Buches steht Fitz, ein Schüler von Timothy Leary, sowie dessen Frau Joanie.

Auf Englisch heiße das Buch Outside Looking In, was seiner Meinung die Erfahrungen eines LSD-Trips gut beschreibe. Man habe das Gefühl, den eigenen Körper zu verlassen und von außen auf das Leben zu schauen. Weil dieser Titel sich nicht gut übersetzen lasse, habe der Hanser Verlag nach einem anderen Titel gesucht und er habe Das Licht vorgeschlagen. Timothy Leary habe LSD das „Sakrament“ genannt und in der Regel sei man nach der Einnahme von LSD sehr lichtempfindlich.

Leary habe auf der Suche nach der Erleuchtung LSD entdeckt und damit nach religiöser Erleuchtung gestrebt. T.C. Boyle erzählte, er sei in einer irisch-katholischen Familie aufgewachsen, habe aber mit elf Jahren beschlossen, Wissenschaftler zu werden und nicht mehr zur Kirche zu gehen. Seine Mutter habe ihn nicht gezwungen, weiter mitzugehen. Gleichzeitig sei er selbst sehr abergläubisch und später habe er auch noch die Existentialisten entdeckt, die nicht weniger „voodoo“ seien.

Bei der Beschreibung der Trips habe er auf eigener Erfahrungen zurückgegriffen, allerdings habe er schon lange keine Drogen mehr genommen. LSD verändere das Gehirn und in seinem Alter wolle er nichts mehr riskieren. Heute seien seine Arbeit, die Natur und Musik seine Drogen. Margarete von Schwarzkopf empfahl die Arte Dokumentation über T.C. Boyles Leben, die am Vorabend im Fernsehen gezeigt wurde.

Margarete von Schwarzkopf fragte T.C. Boyle, warum er nicht nach Europa ziehe, wohin er viele persönliche und berufliche Verbindungen habe. Weil er an Demokratie, Frauenrechte, die Umwelt und Bildung glaube. Er tweete jeden Tag gegen Trump und wolle zu dessen Niedergang aus den USA beitragen.

Im New Yorker erscheine am 11.02. eine Kurzgeschichte von ihm, Asleep at the Wheel (vorgelesen vom Autor und er habe in seinen „Letters from America“ davon erzählt, ins Weiße Haus zu gehen und Trump mit Pu der Bär das Lesen beizubringen.

Gregor Henze las aus dem ersten Kapitel von Das Licht, gefolgt von T.C. Boyle mit einem Abschnitt auf Englisch und abschließend wieder Gregor Henze mit einem Abschnitt auf Deutsch über den ersten LSD-Trip von Fitz und Joanie.

Die deutsche Ausgabe seiner Bücher erscheine auf seinen ausdrücklichen Wunsch zuerst, denn er wolle sich so beim Hanser Verlag bedanken, der es ihm ermögliche, nach Deutschland zu reisen. Ihm sei bewusst, dass viele seiner deutschsprachigen Fans die Originalausgabe vorziehen würden, aber Hanser solle alle zwei Jahren für einigen Monate in den Genuss dieser Exklusivrechte kommen.

Die Verfilmungen seiner Bücher würden ihm oft sehr gut gefallen, so z.B. die von Wellville, in die Arbeiten am Drehbuch und Set mische er sich grundsätzlich nicht ein. Er wolle sein eigenes künstlerisches Leben nicht auf Eis für jahrelange Produktionsarbeiten. Sein eigener Lieblingsfilm sei The Big Lebowski, den er unzählige Male angeschaute, bevor er ihn richtig verstanden habe.

Beim Schreiben höre er immer Musik, oft Klassik oder Jazz, aber auf keinen Fall Rock’n’Roll, weil die Texte ihn beeinflussen würden. Beim Verfassen eines bestimmten Abschnitts von Das Licht habe er tagelang Mozarts Requiem gehört, das könne man bestimmt auch beim Lesen spüren.

Aldous Huxley habe zwei Bücher über seine eigenen Erfahrungen mit Drogen geschrieben, diese seien eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen für Das Licht gewesen. Huxley habe mit indianischen Pilzen experimentiert. Auch seine fiktive Figur Fitz sei auf der Suche nach dem Licht, nach Gott, auf einer Erleuchtung, die über sein gewöhnliches Leben hinausgehe. Sowohl Timothy Leary als auch Fitz seien Alkoholiker, auch das liege vielleicht schon in seinen eigenen irischen Genen. Er habe sich selbst die Frage gestellt, warum sie so weit vom Weg abweichen würden.

Margarete von Schwarzkopf versuchte vergeblich, ihm seine Einstellung zu den Figuren zu entlocken. Ihrer Ansicht nach sei Leary eher kalkulierend, Fitz unsicher und warmherzig. T.C. Boyle kommentierte nur augenzwinkernd, das könne man so sehen und er bedanke sich für ihre Meinung. Die Dynamik zwischen den beiden habe ihn fasziniert. Fitz sei Leary sowohl nach Mexiko als auch nach Milbrook gefolgt, wo dann zwölf Erwachsene und acht Kinder eine frühe Kommune bildeten. Einige hätten sogar geglaubt, dass LSD den Kindern zu einer höheren Intelligenz verhelfen würde. Milbrook sei heute noch im Privatbesitz und er konnte das Gebäude nicht besuchen, sondern nur von außen anschauen und darüber lesen.

Nach der Lektüre des Buchs würde sie mit Sicherheit kein LSD mehr nehmen wollen, erzählte Margarete von Schwarzkopf und fragte ihn, wie es gewesen sei, die Trips für das Buch zu schreiben. Als Künstler habe er wissen müssen, worüber er schreibe, aber für ihn seien z.B. auch Traumsequenzen in Büchern langweilig. Deshalb habe er nicht alles im Detail beschrieben, sondern vieles der Phantasie seiner Leser überlassen.

Damals hätten viele an die heilende Wirkung von LSD geglaubt, unter anderem Cary Grant, der die Legalisierung sehr befürwortet habe. Dafür sei leider im Buch kein Platz gewesen und er habe es nicht mit Gewalt unterbringen wollen. Dann fragte T.C. Boyle mit fast völlig ernstem Gesicht, ob schon jemand erzählt habe, dass auf Seite 25 ein kleiner Punkt sei mit einem Pfeil „hier lecken“.

Nach den Terranauten hätte dieses Buch auch gut Die Psychonauten heißen können. Die Menschen dürften nicht vergessen, dass auch wir eigentlich Tiere seien, die von einem Pilz so außer Gefecht gesetzt werden könnten, so wie Katzen durch Katzengras. Er liebe absurde Geschichten und man brauche Liebe im Leben, das so absurd sei und an dessen Ende immer irgendwann die Todesstrafe stehe.

Das Licht sei für ihn auch eine tragische Geschichte, Szenen einer Ehe. Auf seine Weise liebe er Fitz und Joanie. Das Buch werde abwechselnd aus der Perspektive von Fitz und Joanie erzählt. Eigentlich habe er auch eine Szene aus der Perspektive ihres Sohns Corey geschrieben, diese hätte jedoch nicht ins Buch gepasst. Vielleicht werde er dem Vorschlag von Margarete von Schwarzkopf folgen und diese Szene als Kurzgeschichte veröffentlichen. Aber er arbeite inzwischen an etwas Neuem, worüber er in den nächsten sechs Monaten noch nicht sprechen werde. Er könne nur verraten, dass es um das Bewusstsein von Tieren gehe. In zwei Jahren würde uns das Buch in Deutschland vorstellen.

Damit endete die knapp zweistündige Veranstaltung ohne Fragen aus dem Publikum und T.C. Boyle signierte geduldig zahlreiche Ausgaben von Das Licht.

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