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Gespräch Eva Lüdi Kong, 21.03.2019, Konfuzius-Institut Leipzig

®ottifanta

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Eva Lüdi Kong studierte Sinologie in Zürich und klassische Literatur und Kalligraphie in China. Von 1990-2016 lebte sie in China und wurde 2017 für die Neuübersetzung des chinesischen Klassikers Die Reise in den Westen mit dem Übersetzer-Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Im Herbst 2018 erschien ihre Übersetzung des sogenannten 1000 Zeichen Klassiker.

Dieses Buch lese sich fast wie ein dadaistischer Text, sei in einer sehr komprimierten Schriftsprache verfasst und nur mit sehr tiefen Kenntnissen der chinesischen Kultur und Sprache zu verstehen. In China kenne praktisch jeder dieses Buch und könne daraus zitieren. Noch vor gut einem Jahr habe sie nicht gedacht, dass eine Übersetzung zustande kommen könne, dann sei plötzlich alles sehr schnell gegangen. Sie habe das kleine Büchlein nochmal in die Hand bekommen und plötzlich einen Zugang dazu gefunden, es sei ganz wunderbar.

Einige Stelle habe sie als poetisch empfunden, andere beim ersten Lesen nicht direkt verstanden. Doch später habe sie auch diese Stellen spontan verstanden, was jemand mit diesem oder jenen Zeichen ausdrücken wollte. Ganz von selbst hätten sich passende deutsche Sätze ergeben, die meist viersilbig seien.

Während eines Mailkontakts mit ihrem Lektor bei Reclam habe sie einen Auszug mitgeschickt, nur so und er sei direkt im Januar 2018 auf sie zugekommen, dass man es sofort machen könne. Wie schon Die Reise in den Westen habe ihr auch diese Übersetzung viel Spaß gemacht, auch es hier eine kürzere Zeit gewesen sei, habe es sie sehr bereichert. Sie könne natürlich nicht mit den Gelehrten aus der Ming und Qing-Dynastie mithalten, wenn es um solche reiche Texte gehe.

Ihr Schwiegervater aus Hangzhou sei einer der letzten gewesen, der noch eine traditionelle Schule besucht habe und den 1000 Zeichen Klassiker schon mit neun Jahren auswendig lernen musste. Inzwischen lebe er in einem Häuschen auf dem Land und könne noch heute das Buch aus dem Gedächtnis von Hand schreiben, es stecke einfach in ihm drin. Bis zur Übersetzung dieses Buches habe sie nie ein Gesprächsthema mit ihm gehabt, das über allgemeine Dinge hinausging. Jetzt seien sie das erste Mal richtig ins Gespräch gekommen und es sei ein sehr intensiver Austausch gewesen. Für ihn war es wir ein Kinderlied, das man auswendig lernte. Vieles habe er erst viel später als Erwachsener verstanden.

®Reclam

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Der 1000 Zeichen Klassiker entstand im sechsten Jahrhundert und habe rasch zum Kanon der Klassiker gehört. Bis Anfang des 20. Jahrhundert kannte es jeder, der Lesen und Schreiben gelernt hatte. Heute werde es wieder gelehrt, in einer bunt illustrierten Ausgabe für die Schulen. Sie selbst ist fasziniert von der alten Version mit schwarz-weißen Illustrationen. (Leseprobe mit Illustrationen)

Es beginne wie so viele Bücher mit dem Himmel und der Erde, man sehe beim Lesen die gelbe Erde vor sich. Es sei unheimlich poetisch und beim Lesen würden sich Bilder ausbreiten, während die Schüler den Text in den Schulstuben geleiert wiedergaben. Das repetitive Lernen sei Anfang des 20. Jahrhunderts Verruf gekommen und das Werk selbst als „abtötende Literatur“.

Der Kaiser Wu aus der Liang Dynastie habe im sechsten Jahrhundert in der Gegend um Nanjing gelebt, viele Gelehrte um sich geschart und sich sehr für den Buddhismus eingesetzt. Damals mussten Kalligraphen während der Ausbildung einzelne Schriftzeichen von Stelen abschreiben, oft ohne größeren Sinn. Der Kaiser wollte einen zusammenhängenden Bildungstext für die Adelssprösslinge und wählte den Hofgelehrten Zhou Xingsi aus, der in seinen Augen großes Talent hatte. Es sollten 1000 Zeichen vorkommen, keines durfte sich wiederholen. Der Legende nach habe Zhou Xingsi die ganze Nacht gereimt und den Text bereits am nächsten Tag dem Kaiser übergeben.

Ein Mönch habe Ende des sechsten Jahrhunderts 800 Abschriften des Textes in Tempeln in der Provinz Zhejiang verteilt, die in der Nähe von Nanjing liegt Der Text sei überall als Vorlage zum Schreiben lernen verwendet worden. Eva Lüdi Kong zeigte zahlreiche Bilder von alten Lehrbüchern und auch von Bibliotheken, in denen die Zeichen des Buches fortlaufend zur Nummerierung verwendet wurden, z.B. beim vollständigen buddhistischen Kanon.

Ihre Begeisterung für den Text und dessen Tiefe war deutlich spürbar, besonders, wenn sie einzelne Textstellen auf Chinesisch und Deutsch rezitierte. Umso intensiver sie sich mit dem Text beschäftigte, umso mehr sei sie in einen Flow gekommen, jedes Zeichen gehe auf wie eine Blume. Sie habe befürchtet, dass Sinologen ihre Version in Zweifel stellen würden, aber ihr Eindruck sei, dass sie nicht mehr geschrieben habe, als in dem Text, den Zeichen drinstecke und wollte ihren deutschen Lesern dieses besondere Gefühl beim Lesen vermitteln.

Das Werk sei in verschieden Abschnitte unterteilt. Erst werde geschildert, was es im Himmel und auf der Erde gebe, dann gehe es um chinesische Mythen und später um die Weisheit des chinesischen Urkaisers. Es geht um einen Verhaltenskodex für die Menschen, wie Männer und Frauen sich zu verhalten haben. Das Werk sei an sich erzkonfuzianisch (mit einer einzigen Anspielung auf den Buddhismus) und sie frage sich, ob es gut sei, diesen Text heute wieder in Schulen rezitieren zu lassen. Es gebe eine neue Diskussion um den Sinn der Lektüre, ob es nicht doch abtötende Literatur sei.

Dann schweife der Blick auf den Kaiserhof, was dort passiere und wer dort lebe, die Verwaltungsstruktur und die Bekleidung der hohen Beamten. Zu jedem Abschnitt wurden Seiten aus älteren Versionen des Werks gezeigt, mit Text und zahlreichen passenden Illustrationen. Der Autor habe auch einen kritischen Blick auf das Leben am Hofe geworfen und riet z.B. sich vor Intrigen zu hüten.

Ohne den Text genau zu kennen, könne man ihn rein akustisch kaum verstehen, so verknappt und klassisch sei die Sprache. Ihr Schwiegervater habe als Kind einiges anders verstanden, in der Schule wurde mehr Wert auf das Auswendiglernen und Schreiben gelegt als auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt.

Das Ende sei sehr unterschiedlich interpretiert worden. Sie habe es so gelesen, dass der Autor darstellt, wie er mit dem fertigen Manuskript durch den Palastgarten schlendere und es dem Kaiser vorlege. Diese Version habe sie bei einem chinesischen Linguisten gelesen und als passend empfunden. Ganz am Ende gehe der Verfasser wieder auf den Himmel und den Lauf der Sterne ein.

Chinesische Sprichwörter bestehen traditionell aus vier Schriftzeichen und viele Zeilen aus dem 1000 Zeichen Klassiker seien als Sprichwörter bekannt. Dann verglich Eva Lüdi Kong noch die Übersetzungen von J. Hoffmann (1840), Erich Hauer (1925) und Barbara Maag (2010/2017), die teilweise sehr unterschiedlich ausfallen.

Es wurde ein Video von Youtube gezeigt, auf dem eine Schulklasse in traditioneller Kleidung den Text (leiernd) rezitiert. Der Umgang bleibe etwas ambivalent. Ihrer Meinung nach solle es gelesen werden, jedoch mit einem kritischen Blick.

Zum Ende beantwortete sie noch einige Fragen aus dem Publikum.

Obwohl der Text rund 1500 Jahre alt ist und es auch im Chinesischen Lautverschiebungen gab, würde der Originaltext sich immer noch reimen.

Es gebe in China kein klassischeres Buch als dieses und zum Glück sei es ihrem Lektor von Reisen durch China bekannt gewesen. Andere Verlage hätten es nicht gekannt und dieses sehr spezielle Nischenprojekt vermutlich auch nicht veröffentlicht. In ihren Anmerkungen auf der linken Seite (rechts stehen immer Originaltext und Übersetzung) sei sie meist auf die Bezüge zu anderen klassischen Schriften eingegangen.

Sie freue sich, dass dank Reclam dieser so besondere Text jetzt auch einer ausführlichen Version für deutsche Leser verfügbar sei und bedankte sich beim anwesenden Publikum.

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