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Garderoben

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Es ist erstaunlich, wie viel Zeit man mit und in der Vorbereitung zum eigentlichen Auftritt verbringt. Ähnlich wie beim Gepäckbank am Flughafen oder im Wartezimmer des Arztes nimmt dabei die Garderobe des Künstlers – neben der Kantine und der Hinterbühne – den zentralen Aufenthaltsraum vor dem Auftritt ein. Allerseltenst bewohnt man diese allein. Was auch sehr einsam sein kann. Meist und vor allem auf Gastspielen drängt sich dort auf engen Raum das ganze Ensemble oft auch nicht geschlechtergetrennt zusammen, um übereinandergestapelt mit einem Teilblick auf den Spiegel noch kurz das Gesicht und den Kragen für das Stück zu richten. Besonders liebe Veranstalter bessern die Stimmung gescheiterweise mit Butterbrezen oder selbstgemachten Keksen auf, in guten Stätten liegen dort alle Necessaires der Maske schon zur freien Verfügung aus. In besonderen Locations sitzt man allerdings auch schon mal zu siebt in einem Baucontainer vor dem Hallentor zum sympathischen Summen des Elektroheizgeräts und dem penetranten Regenprasseln auf dem Blechdach oder noch schlimmer in Hörweite offen hinter der Bühne, was jegliche private Unterhaltung oder Freizeitgestaltung zwischen entfernteren Auftritten konsequent unterbindet. Bei einem Festengagement wird einem typischerweise ein fester Platz mit festem Maskenkoffer zugewiesen, der nicht selten neidisch und stringent gegen Neulinge, die auch gerne einmal im Koffer herumwühlen, verteidigt wird. Zweimal gelang mir der große Clou aufgrund von massivem Herrenüberhang in das versteckte, vorhangverdeckte, geheimnisvolle Elysium der Damengarderobe hinübergebucht zu werden. In Gedanken schweben dort nicht bekleidete Akteursschönheiten umher, kichern und stauben mit Puder. Es roch so fein, allerlei Tand, Perücke und Stola breitete sich über die Kostümständer und der Hauch des Exklusiven, Verbotenen umgarnte das Männerherz. Einmal schmuggelte mich sogar die Soubrette ins Allerheiligste, dem Manne ansonsten niemals Zugängliche, wo Strumpfhalter und beidseitiges Klebeband mit Rouge und falschen Wimpern den Divenzauber bereiten. Den eigenen, männlichen wie weiblichen Fleck stattet man nach Möglichkeit gemütlich aus. Die Nippes-Sammlung aus vielerlei Toitoitoipackerln, die vielen Erinnerungsfotos – gerade älterer Kollegen oft der eigenen jugendlichen Vergangenheit – rahmen oft ein mehrstöckiges Papiertheater um den fleckigen Schminkspiegel herum. Daneben die kahlen oder behaarten Perückenköpfe mit ihrem immer gleichen kalten Styroporausdruck, hat sich niemand erbarmt und ihnen ein Gesicht gemalt. An diesem kleinen Flecken kann ich dann noch einmal ernst mit mir zu Gericht gehen, die Grundierung für den Abend anlegen, die Pointen am Wangenknochen nachziehen, die Dramenfalten glätten oder furchen und oftmals eine Rolle mit ein paar Pinselstrichen erschaffen. Dann überprüfe ich meinen Charakter, steige in mein Kostüm, ver(un)gewissere mich und verlasse das Buben- oder Mädchenstübchen über die Treppe oder Ecke zum Auftritt und das Warten am Band, im Zimmer, vorm Garderobentürl hat ein Ende. Dann muss man hinaus und danach wieder zurück in die Heimat vor dem Schminkspiegel oder die große weite Welt an der Rampe.

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