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Interview mit Liviu Petcu

[singlepic id=1331 w=320 h=240 float=left]Sehr geehrter Herr Petcu, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Würden Sie uns zu Beginn des Gesprächs etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Vielen Dank auch für das Interview. – Ich bin in Rumänien geboren und kam knapp sechzehnjährig nach Deutschland. Ich habe zunächst ein paar Monate in Berlin gelebt. Dann kam ich nach Bad Königshofen im Grabfeld. Das ist ein ganz kleines unterfränkisches Städtchen, das aber den Vorzug hatte, gleich drei Schulen zu haben, davon eine Berufsfachschule für Musik, die für mich quasi ausschlaggebend war, mit Musik weiterzumachen. In Rumänien hatte ich das nämlich von Kindheit an gemacht, mit sieben Jahren angefangen, in der ersten Klasse. In Bad Königshofen hat sich ergeben, dass ich eine vorbereitende Ausbildung gemacht habe, drei Jahre lang, woraufhin ich dann zum Studieren nach Saarbrücken ging. In Saarbrücken habe ich zuerst Klavierlehrer studiert, dann Konzertreife Klavier, anschließend noch Dirigieren. Nach dem Studium bin ich nach Münster gekommen, zu den Städtischen Bühnen, wo ich Repetitor mit Dirigierverpflichtung wurde, bis 2007. Seit 2007 bin ich hier in München am Gärtnerplatztheater. Und jetzt sitze ich auf dieser Couch (im Gärtnerplatztheater). (Lacht.)

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind habe ich – hm, jetzt muss ich mal kurz überlegen: Natürlich die Klavierliteratur, die ich ja üben musste, teilweise, während meine Freunde draußen Fußball oder Tischtennis spielten und ich manchmal wehmütig aus dem Fenster schaute, während ich meine Mozart-Sonatinen und so weiter geübt habe. Also: Mozart, Klassik im allgemeinen, Beethoven. Dann kam irgendwann Queen dazu. Mein Vater hat eine Platte auf dem Schwarzmarkt erwerben können, und die habe ich dann ziemlich oft gehört. Das war irgendwann Mitte der Achtziger, da war ich noch ein Kind.

Welche Platte von Queen war das?

Greatest Hits. Ja, ansonsten, so in der Zeit eben: Michael Jackson, und auch die gute, alte Popmusik, die es heutzutage leider nicht mehr gibt, und zwar überhaupt nicht mehr gibt. Kindheit. Später kam – obwohl, zählt 15, 16 noch zur Kindheit? Ja. Dann kam nämlich Brahms in mein Leben. Seine Symphonien, Konzerte, Lieder und überhaupt. Ich hatte eine Phase, in der ich extremer Brahms-Süchtling war, kann man sagen. Fanatiker.

Und heute?

Heute, möchte ich sagen, höre ich jede Art gute Musik. Das ist natürlich ein sehr, sehr weiter Begriff, ein sehr weites Feld. Zugegeben, wenn ich privat bin, dann höre ich meistens Jazz zuhause. Funk höre ich auch ganz gerne. Ziemlich selten Klassik, das kommt irgendwie durch den Beruf – dadurch, dass wir ständig diese Musik machen, braucht man so eine Art Abwechslung oder Erholung von dem, was natürlich immer konzentriert erfolgt. Ja. Das ist dann die Entspannungsphase.

Sie haben gerade gesagt, Sie haben Klavier bis zur Konzertreife studiert. Spielen Sie noch andere Instrumente?

Nein, gottseidank (lacht).

Haben Sie musikalische Vorbilder?

Ja, da gibt es doch gewiss einige. Früher habe ich sehr für Krystian Zimerman geschwärmt, den polnischen Pianisten, der den Chopin-Wettbewerb 1975 gewonnen hat. Natürlich Vladimir Horowitz, Arthur Rubinstein – großartige Künstler. Dinu Lipatti, ein Landsmann von mir. Aber eben auch Leonard Bernstein, ganz, ganz weit oben. Ansonsten Dirigenten: Carlos Kleiber war ein ganz großartiger Dirigent, den ich sehr schätze. Unter den Lebenden, gottlob: Mariss Jansons schätze ich auch sehr. Dann von den Jazzern: Bill Evans. Das ist ein unglaublich toller Pianist gewesen. Wen kann man da noch nennen? György Sebök. Das ist ein Klavierlehrer in Bloomington gewesen, in den USA, Indiana University. Bei dem hatte ich das Glück, zwei Kurse zu machen, und er hat mich sowohl künstlerisch als auch, denke ich, menschlich sehr stark geprägt.

Braucht ein Dirigent Kondition, und wenn ja, was tun Sie dafür?

Die zweite Frage ist ganz schnell beantwortet: Ich tue (leider) nichts dafür. Und die erste Frage: Ja, ein Dirigent braucht natürlich Kondition, und ich merke das immer wieder nach einem aufreibenden, zehrenden Abend. Wie neulich La Cage aux Folles, eine Vorstellung, die ich vorgestern zum ersten Mal dirigiert habe. Da war ich nach diesen drei Stunden schweißgebadet und ich schätze mal zweieinhalb Kilo leichter. Ich fahre ziemlich viel Rad in letzter Zeit, gerade wenn es nicht mehr ganz so kalt ist. Ansonsten laufe ich sträflich vor dem Sport davon…

(Lacht.) Das ist doch auch eine Art von Sport. – Haben Sie das absolute Gehör?

Nein.

Beeinträchtigt Sie das?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe eine Art gebundenes absolutes Gehör. Das heißt, wenn ich Klaviermusik höre, Klavierklänge, dann weiß ich meistens ziemlich genau, welche Töne das sind, welche Akkorde. Ich habe ein relativ gutes Gehör im Allgemeinen, aber, wie gesagt, nicht das absolute Gehör. Was manchmal auch störend sein kann, so habe ich zumindest von Kollegen oder Freunden, die es haben, gelernt.

Wie bereiten Sie sich auf ein neues Dirigat vor?

Ich besorge mir natürlich die Partitur. Je nachdem, was das für ein Stück ist, also in letzter Zeit natürlich meistens am Theater eine Produktion, an der ich idealerweise auch selbst beteiligt war (Einstudierung, Solo- und Bühnenproben), so dass ich die musikalischen Vorgänge vorher schon kenne. Dann gilt es eben, sich die Stimmen einzurichten, die ganzen Einsätze, die Struktur der Partitur zu erkennen und sich zu notieren, welchem Instrument man jetzt den Einsatz gibt, oder geht das jetzt in Vierteln oder in Halben und so weiter. Dann besorge ich mir auch meistens eine DVD von der Produktion, die es zu dirigieren gilt, um eben auch die Darsteller auf der Bühne zu sehen. Da schreibe ich manchmal hin: XY links vorne, oder: Chor hinten, und dergleichen. Ansonsten – um noch einmal auf La Cage aux Folles zurückzukommen: Da bin ich vor ein paar Tagen auf der Terrasse unserer Kantine gesessen, viereinhalb Stunden lang, und habe die ganzen Stichwörter eingetragen. (Dabei habe ich meine Stirn ein wenig in der Sonne verbrannt…)

Sie haben in den letzten Jahren sich hier immer sehr für das jtg engagiert, für das Junge Theater am Gärtnerplatz. Sie haben auch die letzte große Produktion von Anfang an begleitet, haben sie auch dirigiert. Erzählen Sie uns mal ein bisschen was von Heimatlos. Es ist ja jetzt schon wieder vorbei, es waren nur vier Vorstellungen, leider, denn es war wirklich ein ganz tolles Erlebnis.

Heimatlos ist, wie eigentlich jedes Projekt mit dem jtg, ein sehr kurzes Projekt gewesen, zumindest was die Anzahl der Vorstellungen betrifft. Wenn ich daran denke, dass für unser erstes großes Stück, Footloose, vor ziemlich genau drei Jahren, nur drei Vorstellungen angesetzt waren, worauf wir dann eine vierte (Zusatz-)Vorstellung bekommen haben, aufgrund der wirklich sehr großen Nachfrage, und wenn ich bedenke, dass wir immer mindestens 3-4 Monate am Arbeiten sind mit der Jugend, dann ist das fast schon, ja, wie kann man das sagen – kriminell wäre schon zu extrem formuliert – aber das steht in keinem so guten Verhältnis. Aber was ich von der Jugend gelernt habe in dieser Zeit, also seit viereinhalb Jahren, seit ich der musikalische Leiter bin, ist, dass man Energie gibt, sie aber vermehrt zurückbekommt von den Jugendlichen, und dass diese teilweise extrem anstrengende Arbeit sich tausendfach lohnt. Die Proben für Heimatlos fingen irgendwann im November, Anfang Dezember an. Zu Jahresbeginn habe ich angefangen, mit der Band zu proben, mit den Jugendlichen vom Pestalozzi-Gymnasium, und ich habe gezählt: Es waren genau zehn Wochen von der ersten Probe mit ihnen bis zur Premiere. Da war es zum Beispiel so, dass in der ersten Probe alles wie Kraut und Rüben klang, und die teilweise eben nicht so genau wussten, was z. B. „in zwei“ oder „in vier“ heißt, also unsere dirigentischen Basics. So kann man nur staunen, was am Ende dabei herausgekommen ist. Sogar bis zu der Tatsache, dass die Musiker unten im Graben jeden Text mitsprechen konnten, der auf der Bühne lief. Dann waren sie immer ganz Ohr, wenn plötzlich ein Extra-Lacher im Publikum war, wo sie es nicht vermutet hatten, und solche Geschichten. Besonders schön war natürlich auch die Zusammenführung jtg – stg (das Seniorentheater am Gärtnerplatz) und die acht Solisten, die wir aus dem Ensemble auf der Bühne hatten, und zu erleben, wie das so harmonisch und organisch ineinander übergeht, und dass man irgendwann tatsächlich – gut, vielleicht bin ich jetzt ein wenig voreingenommen – , aber dass man tatsächlich oft nicht unterscheiden konnte: Wer ist jetzt Profi, wer ist kein Profi – und das zeigt mir erstens, wie wichtig und wie fruchtbar diese Arbeit gerade von Holger Seitz war, dem Gruppenleiter,  und wie sich die Profis quasi von dieser Energie, die ich anfangs erwähnt habe, von dieser Energie, von dieser Verve, diesem Engagement und diesen glühenden großen Augen der Jugend haben anstecken lassen.

Wie kam es zu dieser Entscheidung, die Band mit Schülern des Pestalozzi-Gymnasiums und Mitgliedern der Münchener Musikschule zu besetzen?

Mit der Musikschule hatten wir bis jetzt schon zwei Projekte gehabt. Footloose war das erste. Daraus entstand eben der Gedanke: Lasst uns doch noch ein Stück mit denen spielen, Honk, das war das zweite. Jetzt für das dritte Stück haben wir hin und her überlegt: Ja, es soll eben diese Zusammenführung stattfinden: jtg und Profis. Die Profis haben am Ende nur auf der Bühne agiert und nicht im Graben. Eine Entscheidung, die ich auch besser fand, denn die Besetzung der Band wäre nicht so richtig kompatibel gewesen mit dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Wir haben beispielsweise nur eine Reed-Stimme dringehabt, also eine Bläserstimme, die zwischen sechs Instrumenten wechselt. Darunter auch ein Saxophon, und das wäre sowieso ein Gast gewesen; ferner nur eine Violine, die zu Akkordeon bzw. Bratsche in drei-vier Nummern wechselt. Kurzum: verschiedene technisch-organisatorische Argumente. Und dann habe ich mir gedacht: Warum nicht Pestalozzi? Denn es war auch früher, noch vor meiner Zeit hier am Gärtnerplatz, so, dass man sehr gut mit diesem Gymnasium zusammengearbeitet hat. Darüber hinaus hatte ich in meiner früheren Band, also von Footloose und Honk, auch zwei, drei Leute vom Pestalozzi-Gymnasium, die ich sehr geschätzt habe. Und dann dachte ich mir: Gut, dann machen wir jetzt ein pädagogisches Projekt auch in der Band daraus. Also quasi, dass junge Menschen die Möglichkeit bekommen, etwas von Anfang an mitzulernen und bis zur Aufführung zu bringen. Das, was im jtg eigentlich blüht; eine Chance, wie die sie bekommen: Hätte ich die in meiner Kindheit gehabt, dann wäre ich mit Sicherheit noch früher zum Theater gekommen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Musiker ausgewählt?

Nach gar keinen. Ich habe sie strenggenommen zugeteilt bekommen. Ich hatte eine Kontaktperson am Pestalozzi-Gymnasium, Sebastian Reutter. Er hat quasi für mich das übernommen, er hat mit den ganzen Instrumentallehrern gesprochen – er kennt ja sein Kollegium – und die sagten: „Ja, der käme dafür in Frage, die wäre ganz gut, und der wäre noch nicht ganz so weit, deswegen nehmen wir den“, und so weiter. Dann habe ich eine Liste bekommen mit Jugendlichen, die zwischen 15 und 17 waren, einer ist 18, glaube ich. So um den Dreh. Ziemlich junge Menschen, natürlich, verglichen mit dem jtg – naja, obwohl mittlerweile das jtg sich auch verjüngt hat in letzter Zeit. Gerade bei diesem Projekt haben wir etliche 16- und 17-jährige drin. Insofern hat es auch wieder gepasst.

Wie war die Arbeit mit den Jugendlichen, im Unterschied zu Profimusikern?

In der Band? Es war zeitweise eine sehr anstrengende Angelegenheit. Weil Jugendliche doch gleichermassen ziemlich unruhig und lethargisch sein können. Wir haben ja immer samstags geprobt, und das ist ihr Wochenende. Es sind so viele Eindrücke, die auf sie einprasseln: „Ach, das habe ich dir noch nicht erzählt“ , “wie war denn deine Franz-Schulaufgabe?” etc. – und dann sitzen sie nebeneinander … Die Disziplin, großes Stichwort. Dazu kam, dass sie, wie gesagt, noch nicht so genau wussten: wie spielt man eigentlich diesen Ton? Oder: was meinst du: „in vier“? Einerseits. Andererseits haben die sich unglaublich gesteigert, in jeglicher Hinsicht. Und, man muss sagen, jetzt im Vergleich zu den Profis, dass die Jugendlichen einen unheimlichen Lerneifer haben, und eine Wissbegier und eine Neugier im allgemeinen, die ich den Kollegen aus meinem Orchester hier am Gärtnerplatz um Gottes Willen nicht absprechen will, aber wie das halt so ist: Profis sind Profis, die wissen ganz genau, was sie tun. Es geht um Nuancen bei einer Einstudierung. Sie schauen nach vorne zum Dirigenten, Taktstock, Dirigier-Figuren, Tempo, Ausdruck. Bei den Proben sagt er eben, wie er es haben will, und das wird dann auch gemacht. Mit den Jugendlichen war es dann doch ziemlich anders; eine Mischung aus Pädagogik, Entertainment, Zehnkampf und Fun. Ich hatte wahnsinnigen Spaß mit ihnen, weil ich auch oft genug fünf habe gerade sein lassen. Dadurch, dass ich selber Klavier gespielt habe und durch die ganze Proberei selber nicht so richtig zum Üben meiner Partie gekommen bin, wie ich es ansonsten gemacht hätte. Auch durch diesen Mix: dirigieren und selber spielen, da habe ich mir auch gedacht: Das wird so schon gehen; ich muss die jetzt nicht unnötig überstrapazieren und quälen.

Hat das Musical Heimatlos musikalische Besonderheiten?

Dieses Musical ist – ich sag mal so: ein Sammelsurium von Einfällen und Klischees, und zwar nicht im negativen Sinne Klischees, sondern musikalischen Typologien, und dieser Mix veredelt einerseits das Stück und macht es andererseits angreifbar. Sprich: „Mensch, das klingt ja wie das.“ Oder: „Das hat er bei dem-und-dem geklaut“ oder ähnlich. Es gibt wiederum ja auch Stücke, die klingen wie Mozart. Oder wie Haydn. Mozart klingt manchmal wie Haydn. Das ist das, was man Stilistik nennen würde. Nehmen wir das Beispiel „Und jetzt“. Das ist eine der Nummern, wo die Driscolls, Harry und Maggie Driscoll, singen und ihre Machenschaften durchziehen. Es ist eine Swingnummer, die natürlich an Leonard Bernsteins West Side Story angelehnt ist. Das hört jeder Esel, um Johannes Brahms zu zitieren, der das gesagt hat, nachdem man das Thema in seiner ersten Symphonie im letzten Satz moniert hat: „Mensch, das klingt ja wie Beethovens Ode an die Freude.“ Worauf Brahms: „Jawohl, und noch merkwürdiger ist, dass das jeder Esel gleich hört“. Mit anderen Worten: wenn man das bewusst macht und bewusst anlehnt, aber dann doch das gewisse Quentchen Andersartigkeit reinbringt, dann finde ich das einfach gut. Und nicht wie es in der einen oder anderen Kritik rüberkam: „epigonenhaft“ und so weiter. Ich finde das irrelevant. Oder es gibt zum Beispiel in „Harrys Traum“, wo er auf der Bühne auf seinem Fahrrad erscheint und nicht nur von seiner Krämerhalle träumt, sondern von ganz verrückten Dingen und natürlich auch ein bisschen nackte Haut gezeigt wird auf der Bühne, und viel Bein, da gibt es eine hinreißend getanzte Samba. Eben dieses Samba-Stück, das muss man auch erst mal schreiben in einem Musical; das passiert nicht immer! Es ist ein sehr schöner Mix, wie ich finde, aus schönen Balladen, aus ganz zärtlichen Nummern, wo Vater Vitalis auftritt, mit seinen drei Tieren und seinem Findelkind Remi, das er freikauft: Das ist eine ganz lyrische Musik. Auch alles sehr transparent instrumentiert, sowohl in den schnellen Show-Nummern als auch eben in den leisen Passagen. Dann gibt es natürlich auch – was mich in der Arbeit manchmal zur Weißglut gebracht hat – ziemlich schwere, komplizierte Nummern, meistens genau dann, wenn auf der Bühne viel Aufregung ist. Als eben Remi verkauft werden soll auf dem Jahrmarkt. Oder wenn es zu der Schlägerei kommt zwischen dem Polizisten und Vater Vitalis. Da wechseln die Taktarten ständig, und das muss man eben koordinieren können von unten, vom Dirigenten- bzw. Pianistenpult. Das war nicht immer einfach, denn man muss ja immer auf das Bühnengeschehen reagieren. Dafür gibt es die sogenannten Vamps, wo man einfach abwarten muss, bis das Stichwort kommt bzw. bis die Position erreicht wird, und dann muss es weitergehen, und dieses Weitergehen läuft nicht immer so reibungslos ab. Aber das haben wir am Ende doch gut hingekriegt.

Der Komponist war in der Premiere anwesend – hatten Sie Kontakt zu ihm?

Ja, ich habe mich durch die gefühlt 230 Leute durchschlängeln können, die in der Kantine waren, und er war voller Lob für die Produktion im Ganzen und im Besonderen eben für die Band. Ich musste ihm versprechen, dieses Lob weiterzugeben. Was ich natürlich mit größtem Vergnügen getan habe, wo meine Band dann eben auch mit Riesen-Augen mich angeschaut hat, mit offenem Mund: „Wirklich?“ – Ja, wirklich. Er fand es großartig und erzählte auch von der Premiere bzw. von der Uraufführung in Oslo – er sagte, es sei ein Theaterorchester gewesen, ich weiß es nicht, wird schon so stimmen – wo ihn der Kontrabassist damals angesprochen hat: „Wie kann man sowas schreiben? Das kann man ja gar nicht spielen!“ Genauso die Posaunenstimme, die ist teilweise fast schon überambitioniert gewesen – die Stimme, meine ich – und der Kollege Willert, der das bei uns gemacht hat, aus dem Orchester, der hat auch die ganze Zeit gesagt: „Das Ding hat es in sich.“ Er hat hier und da Dinge verändert, damit die Geste stimmt. Der Komponist war wie gesagt sehr, sehr angetan und sehr glücklich, genauso sein Partner Wiik, der Librettist des Stückes.

Das war ein sehr schöner Erfolg zum Ende der fünfjährigen Ära des jtg. Wissen Sie schon, wie es weitergeht mit der Jugendarbeit hier am Gärtnerplatztheater?

Ehrlich gesagt, nein. Das weiß ich noch nicht. Es heißt, dass es Jugendarbeit geben wird; ich weiß allerdings nicht genau, in welcher Form. Ich denke, das wird sich spätestens im Herbst zeigen, wenn das neue Team seine Arbeit aufnimmt.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?

Das Beste an meinem Beruf ist, dass man etwas erlebt, und zwar tagtäglich erlebt oder erleben kann, sagen wir mal so … (das ist ja in den Proben nicht immer Höchstform. Manchmal wird auch markiert, manchmal wird auch nur improvisiert ) – aber dass man Kunst bekommt von den Kollegen oder teilweise auch selbst mit verantwortet, die man ansonsten nur als Publikum oder Zuschauer erleben würde. Vor zwei Jahren, glaube ich, habe ich eine Probe gehabt, Zauberflöte, und eine liebe Kollegin hat „Ach, ich fühl’s“ gesungen, Paminas Arie, und sie hat das so gemacht, als wäre sie auf der Bühne gewesen, obwohl das nur ein Klavier war, total verstimmt, muss man dazu noch sagen. Ich habe sie am Klavier begleitet, und hinterher war ich gerührt und glücklich. Ich war einfach so sprachlos, dass das gerade passiert war. Und sie auch. Wir haben uns alle nur angestrahlt. Wir waren nur zu dritt: die Regisseurin, diese Sängerin und ich. Ja. So etwas passiert in meinem Beruf, wenn sich das ergibt. Und das tut es ziemlich oft. – Nervig ist, wenn ich im Supermarkt an der Kasse bin und man sagt zu mir: „Schönes Wochenende!“ … denn ich habe kein Wochenende. (Lacht.) Ja. Nein, das ist eigentlich nicht nervig. Manchmal ergibt sich ein ziemlich hartes Pensum an Arbeit. Ich habe zum Beispiel jetzt – der letzte Sonntag war mein erster freier Sonntag seit neun Wochen, glaube ich, und seit Januar hatte ich vielleicht zwei, drei freie Tage, und das sind immerhin jetzt drei Monate gewesen. Sowas kann eben auch passieren.

Haben Sie noch ein Wunsch-Stück, das Sie irgendwann unbedingt dirigieren möchten?

Naja, da wären schon eine ganze Menge, so gesehen. Ich würde am liebsten alle Mozart-Opern mal dirigieren. Brahms, mit dem ich großgeworden bin (lacht). Seit 2002 bin ich ja auch Wagnerianer, auch wenn man das nicht so mitkriegt. Natürlich, wie denn auch. Hier am Gärtnerplatztheater geht das ja kaum. So ein Tristan, das wäre doch großartig. Aber eben auch das, was jetzt ansteht: Cabaret werde ich auch übernehmen in der nächsten Spielzeit, da freue ich mich auch unheimlich darauf. La Cage Aux Folles hatte ich jetzt vor ein paar Tagen das Vergnügen. Die Zauberflöte kommt am 8. April, meine erste, und da freue ich mich auch irrsinnig darauf.

Das wäre eigentlich schon meine letzte Frage gewesen: der Ausblick auf die Zukunft. Kommt nächste Spielzeit noch etwas?

Die nächste Spielzeit wird zumindest von der Vielfalt der Arbeit, was das Dirigieren zumindest angeht, etwas entspannter. Ich werde in zwei Stücken dabei sein, und zwar in Dschungelbuch und Cabaret. Das werden die Stücke sein, die ich nachdirigieren werde. Ich freue mich auch sehr darauf, ich freue mich im allgemeinen auf diese Umbauzeit. Naja, man kann schon mal die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn man daran denkt, was alles passiert. Aber genau dieses Ungewisse und dieses Chaos, das erwarte ich mit großer Vorfreude, denn – das klingt jetzt vielleicht ein bisschen hobbyphilosophisch, aber Chaos ist ja durchaus etwas Künstlerisches. Also, aus Chaos entsteht oft Ordnung, oder wenn man das Chaos irgendwie bändigt, dann wird etwas Kreatives oder etwas Schönes daraus. Das ist das eine, was uns/mir hier am Gärtnerplatz blüht. Ansonsten erhole ich mich immer wieder mit Liederabenden oder Chanson-Abenden. Chanson, Jazz, all das mache ich in letzter Zeit verstärkt, und verstärkt gerne, und das werde ich auf jeden Fall auch weiter verfolgen.

Dann wünsche ich alles Gute für die Zukunft und sage herzlichen Dank für das Interview!

Danke ebenfalls!

(Dieses Interview wurde geführt am 30.03.2012 in München.)

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Interview mit Rita Hampp

[singlepic id=1324 w=240 h=320 float=left]Liebe Rita, herzlichen Dank, dass du dich bereiterklärt hast zu einem Interview für den Blog „Nacht-Gedanken“. Stellst du dich uns kurz vor?

Ich bin Autorin von Krimis und Romanen, die in Baden-Baden spielen. Dies ist seit meinem 50. Lebensjahr – also seit nunmehr sieben, fast acht Jahren, ganz offiziell meine zweite Karriere; ich war vorher Journalistin.

Wie kam das? Du hast vorher als Journalistin gearbeitet – wie kamst du dann zu den Romanen?

Das ist relativ einfach. Ich muss sagen, Journalistin, das war mein Leib- und Magen-Beruf. Das habe ich sehr, sehr gerne gemacht. Ich war für die Main-Post in Würzburg als Rechts- und Gerichts-Berichterstatterin tätig Als ich meinen Mann kennenlernte, bekam er gerade einen Auftrag in die USA. Da bin ich natürlich mit fliegenden Fahnen mitgegangen: Drei Jahre New York, das kann man sich nicht entgehen lassen – und habe dort festgestellt, dass ich natürlich in meinem Beruf nicht mehr arbeiten kann, weil ich so gut Englisch nicht kann. Gerade im Journalismus kommt es ja auf jede Nuance an, und das ging nicht mehr. Daraufhin habe ich mich besonnen, dass ich eigentlich schon immer gerne ein Buch hätte schreiben wollen, was allerdings als Journalistin nicht geht. Wenn du den ganzen Tag zuhörst, mitschreibst, Formulierungen im Kopf hast und dann Artikel schreibst, dann setzt du dich abends nicht noch mal hin und schreibst. Da bist du abends leer. In den USA habe ich mich an der New York Universität eingeschrieben und mich unter anderem im kreativen Schreiben weitergebildet und mir irgendwann gesagt: „So, und jetzt fängst du an.“ Das ging gleich ganz schief.

Wie das?

Ich habe gedacht, ich setze mich an den Computer und schreibe los, schreibe einen Liebesroman. Also habe ich angefangen, einfach angefangen. Nach einer halben Seite habe ich festgestellt: „So geht das nicht, meine Liebe.“ Weil ich ja als Redakteurin gelernt hatte, mich sehr, sehr kurz zu fassen. Ich durfte mir nichts ausdenken, ich konnte keine Dialoge schreiben, keine inneren Monologe. Und plötzlich stand ich vor der Frage: Wie geht das überhaupt? Wie schreibt man frei? Wie schreibe ich Emotionen nieder? Das ist für mich ganz schwierig gewesen. Oder – ein anderes Problem: Ich dachte, ich hätte überhaupt keine Phantasie, ich könne mir gar nichts ausdenken! Das ist natürlich im Laufe meines Lebens schon anders geworden. Aber in der ersten Zeit war das für mich ein großes Problem. Daraufhin habe ich mich besonnen, das zu schreiben, was ich am besten kann: über das Gericht. Über eine Gerichtsverhandlung, die mir auch nach Jahren noch durch den Kopf ging, weil ich insgeheim überzeugt war: In diesem einen bestimmten Mordfall war der Angeklagte nicht der Mörder. Es kann nicht gewesen sein. Der kann seine Ehefrau nicht im Beisein seines kleinen Kindes erschlagen haben, das macht der nicht. Das habe ich dann noch mal aufgearbeitet, und bin der Frage nachgegangen, was eigentlich passieren würde, wenn dieser Mann irgendwann aus dem Gefängnis entlassen wird. Wie geht er mit dem Misstrauen seiner Umwelt um, was empfindet sein Sohn? Das war dann mein erster Gerichtsroman – von mehreren unveröffentlichten übrigens. Den habe ich noch in den USA angefangen und hier in Deutschland zu Ende geschrieben und dann hoffnungsvoll an große Verlage geschickt. Eine Lektorin von einem sehr großen Verlag hat mir tatsächlich zurückgeschrieben, sie hätte das Manuskript an einem Wochenende durchgelesen, weil es so spannend war. Aber sie könnten es leider nicht veröffentlichen, weil es nicht marktgerecht sei, weil es in Deutschland bei den Buchhandlungen kein Regal gab für deutsche Gerichtsromane. Man muss dazu sagen, das ist ein paar Jahre her, ich weiß nicht, ob es heute anders ist. Aber ich hatte drei Jahre daran geschrieben! Und dann sagte sie: “Schreiben Sie doch einfach etwas Neues, schreiben Sie etwas Marktgerechtes!”

Schlummert der jetzt noch bei dir in der Schublade?

Ganz, ganz tief, und den werde ich auch nie mehr in meinem Leben herausholen, weil ich mich ja von Buch zu Buch weiterentwickle. Das Gerichtsding stammt also noch aus meinem – würde ich vom heutigen Stand sagen – „Kaulquappenstadium“. Nicht zu retten. Wahrscheinlich fliegt er beim nächsten Umzug weg.

Wie findest du deine Geschichten – oder finden sie dich?

Beides. Die Baden-Baden-Krimis konstruiere ich. Ich bin im Jahr 2000 nach Baden-Baden gezogen. Eines Abends, als ich im Herbst bei uns in der Nachbarschaft die Umgebung erkundet habe und es immer dunkler wurde, war für mich klar: das ist es! Ich schreibe die Baden-Baden-Krimis. Das ist marktgerecht, ich habe hier weltberühmte Schauplätze und kann jeden einzelnen mörderisch beleuchten. In meiner Nachbarschaft gibt es die romantische Wasserkunstanlage „Paradies“, damit habe ich angefangen. Der Titel war so herrlich zweideutig: Die Leiche im Paradies. Zweiter Krimi war Tod auf der Rennbahn, über die Pferderennen in Iffezheim, dann kam Mord im Grandhotel, das im Brenners Parkhotel spielt, und jetzt zum Schluss natürlich das Casino Baden-Baden. Die Geschichten konstruiere ich mit fester Hand. Da sage ich mir: Hier ist der Schauplatz. Wo könnte die Leiche liegen? Wer ist diese Leiche? Wer könnte einen Grund haben, sie zu hassen oder sogar umzubringen? Da wird nichts dem Zufall überlassen. Ganz anders ist das mit meinem Ausreißer, nennen wir ihn mal so, Das Rosenhaus am Merkur gewesen.

Da hat die Geschichte dich gefunden.

Richtig. Am Küchentisch. Ich koche sehr gerne für meine Freunde, und dann sitzen wir auch wirklich sehr lange, wir haben einen sehr gemütlichen Tisch in der Küche. Spät abends hat damals ein Freund sinniert: „Mensch, ich war immer so – (das genaue Wort kann ich natürlich jetzt nicht verraten in diesem Interview) – etwas Besonderes in der Familie, und ich habe mir immer ausgemalt, dass ich aus diesem einen bestimmten Grund so anders gewesen war.“ Sofort hatte mich diese Idee so gepackt, dass ich sie zum Kern der neuen Geschichte gemacht habe. Ich wusste plötzlich: Das möchte ich gerne schreiben. Ich habe sehr schnell festgestellt, dass diese Geschichte nicht als Krimi funktioniert (auch wenn es auch hier wieder einen ungeklärten Todesfall gibt), sondern nur als Familienroman. Zum gleichen Zeitpunkt – das hat sich ganz gut ergeben- hatte ich mir sowieso überlegt: Ich würde gerne mal das Genre wechseln. In den Baden-Baden-Krimis stecke ich ja immer in den Köpfen von drei Ermittlern und stelle meine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln dar. Das ist ganz lustig, auch was die drei so alles erleben, aber ich bin nie richtig in der Tiefe. Ich wollte einmal eine Geschichte in nur einem Kopf durchschreiben und durchleiden und durchlachen und durchweinen.

Sitzen deine Protagonisten mit dir am Frühstückstisch?

Am Frühstückstisch? Nie. Nein. Nein. Da sitzt mein Ratgeber, mein Mann, dem erzähle ich, wie meine Nacht gelaufen ist und was mir alles eingefallen ist und wo es vielleicht haken könnte und manchmal findet er einen Ausweg, weil er ja weiter entfernt ist von der Geschichte. Oftmals habe ich damals beim Rosenhaus am Frühstückstisch gesagt: Ich kriege es nicht zu Ende geschrieben. Ich finde es nicht gut.“ Ich bin sehr selbstkritisch. Ja – es war mir sehr unheimlich. Und mein Mann hatte die erste Version – er liest immer nur die Rohfassung, leider, er weiß eigentlich gar nicht, wie schön das Buch nachher, nach all den stilistischen Überarbeitungsdurchgängen geworden ist. Also – damals hat er die Rohfassung gelesen und hat das Manuskript dann, glaube ich, drei oder vier Mal aus der Papiertonne wieder herausgeholt und gesagt: Das ist so gut, das schmeißt du nicht weg, da bleibst du dran. Aber abends, nach dem Tagespensum, da bringe ich meine Helden mit an den Tisch, das stimmt schon.

Wie viel von dir steckt in deinen Protagonisten?

Hm, in jeder Figur steckt etwas von mir. Ich bin die Frau Campenhausen, ich bin der Max. Am wenigsten bin ich eigentlich Lea oder in dem Rosenhaus-Fall Clara, das muss ich ganz ehrlich sagen. Gerade im Rosenhaus habe ich sehr viele eigene Erlebnisse verarbeitet. Natürlich erlebt man Dinge im Leben. Ich habe zum Beispiel – das Rosenhaus ist ihm ja auch gewidmet – einen ganz, ganz lieben alten Onkel gehabt, den Onkel Fritz, der ist 94 geworden. Ihn hab ich wirklich unglaublich geliebt. Ein sehr gütiger und gebildeter, nur körperlich gebrechlicher, aber ansonsten ein wunderbarer Mann, der in meinen Armen gestorben ist. Das sind Dinge, die ich in diesem Buch verarbeitet habe. Genauso wie den Tod meiner Tante. Kürzlich kam in einer Leserunde für das Rosenhaus die Frage auf, was denn das wohl für eine Krankheit gewesen sei, die Claras Mutter durchlitten hat? Dazu kann ich nichts sagen, denn hier habe ich die Wirklichkeit mitschreiben lassen. Genau so ist meine Tante gestorben, und die Ärzte haben bis zum Schluss nicht gewusst, was sie hatte. Ich wollte thematisieren, dass es das eben auch gibt: Dass man im Angesicht des rätselhaften Sterbens dasitzt und relativ schnell Entscheidungen treffen muss. Meine Tante lag drei Monate auf der Intensivstation. Sie trug mir auf, wem ich ihre Kleidung, welches Schmuckstück ich wem schenken sollte. Es war klar, dass sie abgeschlossen hatte, und ich habe dann irgendwann die Ärzte bitten müssen: „Jetzt quält sie doch nicht weiter.“ Aber das habe ich die Clara dann doch nicht bis ins letzte Detail durchleiden lassen.

Hast du einen bestimmten Schreibrhythmus, und was tust du, wenn es mal nicht so gut läuft?

Die ersten Baden-Baden-Krimis habe ich eher nachts geschrieben. Da bin ich um vier aufgewacht, habe die nächste Szene im Kopf gehabt, sie ließ mich nicht mehr einschlafen, und um fünf habe ich mich an den Computer gesetzt. Schreibblockaden, wenn du jetzt vielleicht darauf hinauswillst, habe ich nicht, weil ich ja mein ganzes Leben lang geschrieben habe. Ich konnte doch nicht nach einer Gerichtsverhandlung in die Redaktion spazieren und verkünden: „So, jetzt habe ich eine Schreibblockade, ihr kriegt für morgen nichts.“ Das geht nicht. Natürlich gibt es bei den Büchern – die sind sehr komplex – oft Momente, in denen es fürchterlich hakt. Ich bin gerade dabei, den fünften Baden-Baden-Krimi zu konstruieren und ich kam jetzt zwei, drei Wochen nicht weiter. Irgendetwas stimmte nicht, etwas hatte ich falsch gemacht in meinen Vorbereitungen, Ich habe dann mein altes Lehrbuch vorgeholt und festgestellt: Beim Lebenslauf und bei der charakterlichen Ausarbeitung des Mörders oder der Mörderin – das verrate ich jetzt nicht – war ich nicht gründlich genug gewesen, die Figur war nicht ausgereift genug.

Wie und wo schreibst du am liebsten? Brauchst du bestimmte Bedingungen zum Schreiben?

In meinem Dachstudio, weg von allem. Ich brauche absolute Ruhe. Und ich muss alles erledigt haben, was für den Tag zu erledigen ist. Das ist für mich sehr, sehr schwierig, da sage ich manchmal: Ich wäre manchmal lieber ein Mann, da hätte ich keinen Haushalt, keine Wäsche, Garten sowieso nicht, sondern könnte gleich morgens um acht mit einer Tasse Kaffee, die mein Schatz mir an den Schreibtisch bringt, anfangen zu schreiben. So ist das Leben aber nicht. Inzwischen habe ich mich damit arrangiert. Ich habe Haupt-Schreib-Stunden, in denen es besonders gut läuft. Viele Dinge muss ich mir vorab überlegen und konstruieren, außerdem das Geschriebene vom Vortag überarbeiten, das erledige ich in der Nicht-Schreib-Zeit. So gegen vier lege ich dann richtig los.

Also ab vier Uhr nachmittags.

Vier Uhr nachmittags, genau.

Und dann in die Nacht rein?

Nein, alles, was ich nach dem Abendessen schreibe, lässt mich nicht schlafen. Das habe ich mir abgewöhnt. Das geht nicht. Nach dem Abendessen ist Schluss.

Welche Phase eines Buches ist für dich die anstrengendste?

Das ist eine sehr gute Frage. Es ist am Anfang eine Phase, in der man nicht weiß – ich vergleiche mich oft mit einem Bildhauer – was aus diesem Stein, den ich da vor mir habe, wird … wie ich das wohl schaffe, eine Figur oder eine Aussage herauszumeißeln. Die anstrengendste Phase ist, das wird aber jeder Autor so sehen, wenn man ganz am Ende die Druckfahne zurückbekommt, weil man dann nicht sehr viel Zeit hat, drei, vier Tage vielleicht, um das ganze Buch noch einmal durchzulesen und weil man die absolute Endkontrolle hat. Alles, was danach noch an Fehlern drin ist, gehört einem selbst, und man kann nichts mehr auf einen anderen abwälzen. Da verzweifele ich oft. Ja.

Du hast jetzt gerade, wie du uns vorhin erzählt hast, das Genre gewechselt. Gibt es noch ein Genre, in dem du gerne schreiben möchtest?

Ich weiß jetzt nicht, ob das als eigenes Genre gilt. Wenn man Krimis noch mal unterteilen könnte, habe ich also erst Regionalkrimis verfasst, dann das Rosenhaus im Bereich Familienroman, und nun ist das nächste, was übrigens bereits fertig geschrieben ist, ein – ich nenne es Psychokrimi. Psychothriller wäre mir zu reißerisch, da wären die Erwartungen eventuell übertrieben hoch. Also ein Psychokrimi ohne Polizeiarbeit, etwas Gruseliges, das Menschen im Alltag passiert und ihnen so viel Angst macht, dass …. Mehr darf ich nicht verraten.

Aber zum Beispiel ein historischer Roman oder so?

Auf gar keinen Fall. Auf gar keinen Fall! Ich bewundere die Kolleginnen und Kollegen, die sich dieses Fach herausgesucht haben. Wenn man kein Historiker ist, wie macht man das? Ich bin da immer fassungslos. Das könnte ich nicht, und die Geduld hätte ich auch nicht, mich in diese ganzen Kleinigkeiten einzuarbeiten. Es kommt ja wirklich auf alles an: Hatte man in dem Jahr schon Tomaten angebaut, oder Kartoffeln auf dem Tisch? Nein, das könnte ich nicht. Absolut nicht. Hat mich auch nie gereizt, obwohl ich historische Bücher sehr, sehr gerne lese. Lieber als Krimis.

Du hast uns vorher erzählt, dass du drei Jahre in New York gelebt hast. Deine Romane haben bisher alle in Baden-Baden gespielt. Kannst du dir vorstellen, auch mal über einen anderen Schauplatz zu schreiben?

Die Frage habe ich mir am Anfang gestellt, aber ich habe mir dann gedacht: Irgendwo müssen ja meine Romane oder Krimis spielen. Ja, warum denn nicht in Baden-Baden? Es ist eine wunderschöne Stadt, die ich sehr liebe, die ich kenne, die es wert ist, immer wieder genannt zu werden, die viele Menschen kennen – warum soll ich jetzt in irgendeine fremde Stadt gehen oder mir vielleicht sogar eine ausdenken?

Aber dadurch bist du natürlich jetzt in die Regionalkrimi-Ecke gerutscht, sage ich mal. Ist das problematisch?

Am Anfang habe ich damit gehadert. Man kommt sich ja erst mal etwas piefig vor. Inzwischen habe ich festgestellt, dass ich mehr Bücher verkaufe als manche Kolleginnen und Kollegen, die bei einem sehr großen Publikumsverlag ein Buch veröffentlichen, aber nicht entsprechend promoted werden, wo ihr Buch einfach eine Saison – zwar bundesweit – in den Buchhandlungen liegt, sie dann vielleicht tausend Exemplare verkauft haben, und das war’s, und dann werden sie verramscht, und werden irgendwann gar nicht mehr gefragt, ob sie noch ein weiteres Buch für diesen großen Verlag schreiben wollen. Oder sie müssen sich den inhaltlichen Vorgaben des Verlags beugen und sich regelrecht verbiegen. Das Regionale birgt hingegen unglaublich erfüllende Momente, weil ich in Baden-Baden zum Beispiel bekannt bin wie ein bunter Hund. Es macht einfach Spaß, hier Premierenlesungen zu haben und die Begeisterung der Leute zu spüren. Die sprechen mich auf der Straße an oder sie schreiben mir, wie viel Freude ich ihnen bereite. Das ist fantastisch. So klein ist mein Publikum gar nicht. Ich bin inzwischen sehr zufrieden damit. Außerdem gibt es Unterschiede: Ich schreibe einerseits die reinen Regionalkrimis, in denen Baden-Baden die „Hauptrolle“ spielt. Beim „Rosenhaus“ ist diese Rolle schon kleiner, und ich habe die Rückmeldung vom Verlag, dass es sich nicht nur in der Stadt sondern Baden-Württemberg-weit hervorragend verkauft. Damit ist die Schwelle der Regionalität überschritten. Bei meinem Psycho-Krimi, in dem natürlich auch wieder ein Handlungsstrang in Baden-Baden spielen wird, wird es noch mal einen weiteren Schritt in die breite Öffentlichkeit geben. Man kann gar nicht sagen, dass ein Buch, das in Baden-Baden spielt, „nur“ Regionalliteratur ist. Es hängt immer auch mit der Aussage und Tragweite des Themas zusammen.

Kannst du uns schon etwas über deinen Psycho-Krimi erzählen?

Darf ich nicht. Ich würde gerne, aber ich darf es nicht.

Und über den nächsten Baden-Baden-Krimi?

Ja, wie gesagt, der ist gerade im Entstehen. Es sind wieder meine drei Ermittler, das kann ich schon mal verraten (lacht). Ich habe jetzt noch überlegt, ob ich vielleicht wieder eine vierte Person hinzunehme. Im Roulette war es ein Mörder, jetzt beim fünften Baden-Baden-Krimi könnte ich vielleicht die russische Putzfrau von Marie Luise Campenhausen noch mit ins Boot nehmen, aber es hat sich jetzt herausgestellt, dass es zuviel wäre. Oh, ich muss gestehen, da hakt es gerade gewaltig.

Gibt es da schon eine Zeitschiene?

Nein, ich habe den Luxus, mir Zeit lassen zu können. Ich werde mich auf jeden Fall nicht kannibalisieren und zwei Bücher in einem Jahr auf den Markt bringen wollen.

Das heißt, wenn der Psycho-Krimi nächstes Jahr kommt, dann kommt das andere Buch erst übernächstes Jahr?

Ja.

Du hast vorhin gesagt, du liest gerne historische Romane. Hast du einen Lieblingsautor, und welches Genre liest du sonst noch gerne?

Also, ganz besonders begeistert hat mich Jonathan Frantzen mit den Korrekturen. Ansonsten kann ich nicht sagen, dass ich einen besonderen Lieblingsautor habe. Eine ganze Zeitlang war mein Lieblingsbuch Die Säulen der Erde von Ken Follett. Aber die Nachfolger haben mich dann nicht mehr so vom Hocker gerissen. Vielleicht sollte man das in einem Interview nicht sagen – aber manchmal denke ich mir, man sollte vielleicht von jedem Autor nur ein Buch lesen: Das beste. Aber welches ist das? Ansonsten muss ich sagen, dadurch, dass ich mich ja sehr mit dem Genre Kriminalroman beschäftige, habe ich leider die Unschuld des Lesens von Kriminalromanen verloren und lese sie sehr ungern.

Hast du literarische Vorbilder?

Nein. Nein. Möchte ich auch gar nicht, ich möchte einfach ich sein.

Welche Musik hörst du am liebsten?

Ganz schwere Frage. Ganz schwere Frage. Ich höre sehr gerne Klassik, die Traviata kann ich auswendig. Wie fast jedes Mädchen musste ich als Kind Klavier spielen, klassische Stücke natürlich. Mein berühmter Onkel Fritz hat mich oft in die Oper in Köln mitgenommen, das fand ich sehr schön. Ansonsten ist es wechselnd, Oldies, Phil Collins … Bei mir läuft kein Radio, kein CD-Player. Ich brauche einfach Stille. Ich bin nicht der Mensch, der immer Musik um sich haben muss.

Also du lässt dich dann auch nicht von Musik beim Schreiben inspirieren?

Nein, ich beneide die Kollegen, bei denen das funktioniert. Ich kann es gar nicht.

Möchtest du noch einmal in einer anderen Stadt als Baden-Baden leben?

Nein. Auf gar keinen Fall. Wir haben das lange geprüft, ich bin sehr oft umgezogen. Nein, auf gar keinen Fall. Baden-Baden ist in meinen Augen eine perfekte Umgebung für mich. Die Stadt ist klein, sie hat ein großes Kulturangebot. Ich kann alle meine Bedürfnisse erfüllen, das heißt, ich wandere sehr gerne, ich habe viele Freunde in der Stadt. Die Nahrungsbeschaffung ist relativ einfach und auf kurzen Wegen zu erledigen. Ja, da passt einfach alles. Und ich habe in der Stadt mein Publikum und meine Heimat gefunden.

Wie hoch ist dein aktueller SUB?

Okay… Ich komme selten an einer Buchhandlung vorbei, ohne ein Buch zu kaufen. Aber oftmals habe ich, bis ich endlich dazu komme, dieses Buch zu lesen, irgendwie keine Lust mehr, weil ich schon sehr viel darüber gehört oder gelesen habe. Zum Glück liest mein Mann sehr gerne, mehr als ich, insofern baut er oft meinen SUB ab. Wenn ich in der Schreibphase bin, dann lese ich nicht. Muss ich ganz ehrlich sagen. Es gibt ja viele Kollegen, die sagen: Man muss lesen, lesen, lesen, um schreiben, schreiben, schreiben zu können. Das ist bei mir ein bisschen anders.

Was ist das Beste daran, eine erfolgreiche Autorin zu sein, und was ist das Nervigste?

Das Beste daran sind die Leserreaktionen und natürlich meine Lesungen. Die liebe ich, in denen kann ich mein Buch mit Haut und Haaren vorstellen. Es ist so toll, wenn man dabei spürt, wie das Publikum mitgeht. Ja, wie soll ich sagen: Das ist mein Lohn. Mein Lohn für viele einsame Stunden der Selbstdisziplin und der Selbstüberwindung. Man hat ja nicht immer Lust, zu schreiben. Das Gehirn möchte eigentlich nicht arbeiten, es möchte lieber irgendetwas anderes tun, aber sich nicht hinsetzen und sich mit einem anstrengenden Stoff beschäftigen. Es ist auch, gerade in der Anfangsphase von Büchern, sehr anstrengend, einen Stoff im Kopf hin- und herzuwälzen und nichts zu verlieren. Das Nervigste ist, dass ich nie Feierabend habe. Dass ich diese Geschichte immer, immer mit mir herumtrage, und selbst wenn ich sie dann weggeschickt habe zum Lektorat – sie kommt ja wieder zurück zu mir, mehrmals. Bis es endlich in Druck geht, sitze ich schon am nächsten Projekt. So hört die Arbeit nie auf. Ich gönne mir keinen Urlaub, ich habe am „Feierabend“ ein schlechtes Gewissen. Ja. Das ist die Kehrseite des Berufs.

Ist es dann, weil du schreiben möchtest, also, weil es aus dir herausdrängt?

Ja. Absolut. Jeder Moment, in dem ich nicht schreibe, oder in irgendeiner Weise an einem Buchprojekt arbeite, fehlt mir dann. Jede Stunde, in der ich nicht schreibe, möchte ich wieder einholen. Das ist mir das Wichtigste, dass ich immer schreiben kann und immer die Möglichkeit dazu hätte. Da teile ich, glaube ich, mit vielen Kollegen eine tiefe Sehnsucht nach einer einsamen Almhütte. Aber das gilt nur für die ganz intensive Schreibphase des ersten Rohentwurfs. Das sind ungefähr drei Monate. Danach bin ich wieder normal.

Erzählst du uns noch eine Anekdote aus deinem Autorenleben?

Es war bei meiner Premierenlesung vom Baden-Badener Roulette. Da kamen 150 Leute, eine Riesenschlange stand im Anschluss zum Signieren an. Ein Ehepaar kam, schlug das Buch auf und bat, ich möge es „Für Herbert und Marianne“ signieren. Gesagt, getan. Nach einer halben Stunde standen die beiden wieder mit dem Buch vor mir und drucksten verlegen: „Herbert ist doch gar nicht mehr mit Marianne zusammen. Können Sie aus der Marianne eine Silvia machen?“

Und meine allerletzte Frage an dich: Welche Frage wolltest du schon immer mal gerne beantworten, aber es hat sie noch keiner gestellt?

Da fällt mir nichts ein. Es gibt auch nichts, was ich vermisst hätte in unserem Gespräch. Doch. Vielleicht kannst du mich fragen, ob ich glücklich bin. Dann sage ich Ja.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview!

Ich danke auch!

Im Anschluss an dieses Interview hat Rita Hampp übrigens ihr Projekt “Fünfter Baden-Baden-Krimi” vorerst auf Eis gelegt und widmet sich nun mit Feuereifer einer ganz neuen belletristischen Romanidee, die sie überfallen und nicht mehr losgelassen hat.

(Das Interview wurde geführt am 25. April 2012 in Olsberg.)

 

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Interview mit Carolin Neukamm

[singlepic id=1310 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrte Frau Neukamm, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Könnten Sie uns zum Einstieg des Gesprächs einen Einblick in Ihren Lebenslauf geben?

Ich bin in Freiburg geboren und in einem kleinen Dorf in der Umgebung aufgewachsen. Während meines Abiturs hatte ich das Glück, eine begeisternde und engagierte Gesangslehrerin kennen zu lernen, die mich motivierte, an der Musikhochschule in Freiburg vorzusingen. 2010 habe ich mein Studium mit den Diplomen “Oper” und “Lied/Oratorium” abgeschlossen. Für den Abschluss “Musiklehrer” habe ich noch meine Diplomarbeit geschrieben, während ich schon in München war.
Es ist eine tolle Chance für mich gewesen, direkt von der Hochschule an so ein wunderbares Haus zu kommen, wie es das Gärtnerplatztheater ist. In der vergangenen Spielzeit hatte ich zudem einen Gastvertrag am Staatstheater in Darmstadt, eine Neuinszenierung von Carmen, in der ich die Partie der Mercédès gesungen habe. Sehr spannend, gleich zu Beginn zwei Theater und Ensembles kennen zu lernen.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich hatte Klavierunterricht, zunächst privat und später als Teil des Studiums. Es reicht für das Einstudieren von Partien, um mich selbst zu begleiten und als Hilfestellung beim Unterrichten. Aber von einem Klaviervirtuosen bin ich weit entfernt …

Dann haben Sie auch hier in München und in Darmstadt die ersten Bühnenerfahrungen gesammelt, oder waren da vorher schon Produktionen während des Studiums?

Ich hatte großes Glück, dass es in den Anfängen meiner Studienzeit an der Freiburger Hochschule nicht so viele Mezzosopranistinnen gab. So durfte ich schon früh in die Opernproduktionen reinschnuppern. Es gibt ein Institut für Musiktheater, das jedes Semester eine szenische Produktion macht.
So habe ich beispielsweise 2008 die Dritte Dame in der Zauberflöte gesungen, und 2009 durfte ich das Duo Gilbert & Sullivan kennen lernen, als wir Patience, or Bunthorne‘s Bride aufführten. Das hat besonderen Spaß gemacht, da die Rolle der Lady Jane als sehr außergewöhnlicher Charakter inszeniert war. Wer hätte gedacht, dass ich in München gleich noch zwei Mal auf die beiden Briten treffen würde? Für mein Diplom 2010 durfte ich die Hauptrolle (Celia) in einer eher unbekannten Oper von Joseph Haydn singen: La fedeltà premiata. Von diesen Erfahrungen möchte ich absolut keine missen, aber dennoch … Theater ist nochmal etwas ganz anderes als Hochschule.

Sie waren dann 2009 mit dem Theater Dortmund und Mozarts Zauberflöte auch auf einer Gastspielreise.

Ja, das war eine besonders schöne Erfahrung. Wir waren einen Monat in Seoul und der dazu gehörigen Hafenstadt Incheon. Dennoch waren nur fünf oder sechs Tage Zeit, um die komplette Zauberflöte musikalisch und szenisch auf die Beine zu stellen. Da war es schon erst einmal ein Schock, als wir nach dem langen Flug übermüdet ins Hotel kamen und es hieß: “In einer Stunde Abfahrt, wir stellen heute alle Damen-Szenen”.
Das Theater in Seoul hat Platz für 2600 Zuschauer. Das waren ganz neue Dimensionen für mich. Zudem habe ich viele tolle Musiker kennen gelernt. Das Orchester und der Chor waren aus Südkorea. Bei den Solisten gab es eine koreanische und eine deutsche Besetzung. Ich erinnere mich noch, als wir die Vorstellung der koreanischen Besetzung ansahen und alle Dialoge auf Koreanisch waren.

Seit der Spielzeit 2010/2011 sind Sie hier am Gärtnerplatztheater. Ist das ein schönes Haus, um sich zu entwickeln und verschiedene neue Rollen auszuprobieren?

Auf jeden Fall. Für mich war es ein sehr gelungener Start ins Berufsleben. Ich finde es schön, Teil eines großen Ensembles zu sein, und es war zu Beginn sehr gut für mich, dass ich zunächst kleinere Partien übernehmen durfte. Das Tolle war auch, dass ich in Opern wie Carmen oder L’Italiana in Algeri mitwirken konnte, in denen die Hauptrolle von einer Mezzosopranistin gesungen wird. Da kann man dann ein bisschen was abschauen.

In dieser Spielzeit stehen Sie jetzt in sieben Produktionen in Oper und Operette auf der Bühne.

Ich denke sogar, es sind acht. (Die Zauberflöte, Die Liebe zu den drei Orangen, L’Italiana in Algeri, La Traviata, Der Mikado, Joseph Süß, Das Schlaue Füchslein und Orpheus in der Unterwelt.)

Wie stellt man sich auf diese Abende ein? Wenn zum Beispiel an einem Abend Joseph Süß ist von Detlev Glanert, und dann Mikado dazwischen, und am nächsten Abend dann wieder Joseph Süß?

So eine Konstellation gab es für mich in dieser Spielzeit zum Glück nur einmal. Ich war sehr froh, dass ich an den jeweiligen Tagen keine szenischen Proben für eine dritte Produktion hatte. Daher konnte ich mich tagsüber in Ruhe mental und stimmlich auf die jeweilige Vorstellung am Abend einstellen. Es ist schon ein Unterschied, ob abends eine britische Operette mit viel Komik und Tanz auf dem Plan steht, oder eine moderne Oper mit antisemitischem Hauptthema.

Ich fand das schon extrem, mit den drei Aufführungen in einer Woche.

Das ist sicherlich eine intensive Phase. Aber ich denke, alle Sänger kennen das, da es zum Beruf gehört. Man muss zwischen Produktionen, Musikstilen, aber auch Charakteren umschalten können.

Wenn wir gerade bei Joseph Süß sind – erzählen Sie uns doch ein bisschen was über diese Produktion, in der Sie die Tochter von Joseph Süß singen.

Die Produktion war sehr spannend, ich würde fast sagen, die interessanteste für mich am Gärtnerplatztheater. Es war eine intensive Arbeit mit Guy Montavon und Roger Epple, während der ich sehr viel gelernt habe.
Eine große Herausforderung stellte für mich die Akustik des Bühnenbildes dar, in Verbindung mit den teilweise ungewohnten Klängen des Orchesters. Am heikelsten waren die vielen Auftritte auf dem hinteren Teil der Drehbühne, während derer ich den Dirigenten nicht sehen und nur wenig vom Orchester hören konnte. Der Stoff ist sehr düster und deprimierend, speziell Naemis Schicksal. Da muss man mit viel positiver Energie in die Proben starten.

Wenn dann in den Schlussproben auch noch der Komponist dabei ist …

Das war sehr eindrucksvoll und es entstand eine ganz neue Probenatmosphäre. Detlev Glanert war sehr positiv, und teilweise hat er sogar in den Orchesterproben noch ein paar Sachen in der Partitur geändert.

Wie sehen Sie denn die Rolle der Tochter?

Ich sehe sie als sehr jung, unschuldig und im positiven Sinne naiv, sehr verletzlich und der Situation hilflos ausgeliefert. Dadurch, dass sie die ganze Zeit so geschützt ist und fernab von der Außenwelt aufwächst, kennt sie die reale Welt “da draußen” nicht und ist völlig schutzlos und unfähig zu reagieren, wenn der Herzog kommt. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, man könnte sagen: einer Traumwelt. Das ist auch in der Musik zu hören, die sich so von den anderen musikalischen Charakteren der Oper abhebt. Diese ändert sich jedoch schlagartig in der 10. Szene, in der der Herzog brutal in ihre Welt einbricht.
Magdalena und Naemi sind meiner Meinung nach die beiden durchweg guten, reinen Charaktere dieser Oper, die keine bösen und eigennützigen Absichten haben.

Wie wichtig ist für Sie das Verhältnis zwischen Schauspiel und Gesang auf der Bühne?

Ich denke, was die Oper betrifft, ist es sehr wichtig. Für mich sind die szenischen Proben essentiell, was die Entwicklung eines Charakters angeht. Man muss als Sänger sehr flexibel und spielfreudig sein heute.

Am Gärtnerplatztheater stehen Opern, Operetten und Musical auf dem Spielplan. Gibt es da bei Ihnen eine Vorliebe für irgendeine Stilrichtung?

In erster Linie schlägt mein Herz für die Oper. – Zwischen Operette und Musical würde ich mich nicht entscheiden wollen.
Gestern war ich in La Cage aux Folles und es hat mich unglaublich begeistert. Eine großartige Aufführung war das. Operette finde ich ähnlich faszinierend, weil sie so vielseitig ist. Ich würde gerne mal einen Orlofsky in der Fledermaus singen.

Von der Vielseitigkeit ist natürlich für einen Mezzosopran bei der Oper mehr gegeben.

Das ist wahr.

Haben Sie musikalische Vorbilder?

Es gibt viele Sänger, die ich gerne höre, aber ich würde nicht sagen, dass ich ein konkretes Vorbild habe. Ich mag Vesselina Kasarova sehr gern, vor allem im Hosenrollen-Fach.
Diana Damrau halte ich auch für eine ganz tolle Musikerin. Vor kurzem habe ich ein sehr beeindruckendes Portrait von ihr gesehen, und auch ihre CD vom vergangenen Herbst mit Liszt-Liedern mit Helmut Deutsch ist unglaublich schön.

Geben Sie Liederabende und Konzerte, also Oratorien und ähnliches?

Ja. Zu Studienzeiten war ich sehr beschäftigt im Konzertbereich, vor allem Kirchenmusik. Während meiner ersten Spielzeit hier in München musste ich das ein wenig einschränken, da ich mit der Carmen-Produktion in Darmstadt und meiner Diplomarbeit mit Forschung in Freiburg schon genug zu tun hatte. Aber im vergangenen Herbst habe ich unter anderem Messias, das Weihnachtsoratorium von Saint-Saens und endlich die Petite Messe Solennelle von Rossini gesungen. Die Aufführung des letzten Stückes war mir schon lange ein Wunsch. Ich habe hier in München eine befreundete Pianistin, mit der ich mein Liedrepertoire erweitere. Im Moment stehen Lieder von Robert Schumann auf dem Programm, beispielsweise Mignon und Maria Stuart.

Welche Musik hören Sie denn am liebsten?

Wenig Oper zuhause. (Beide lachen.) Wenn klassische Musik, dann eher sinfonische und auch sehr gerne Lied. Ansonsten höre ich privat sehr viel lateinamerikanische Musik und ab und zu Jazz.

In welchen Partien können wir Sie denn in der nächsten Zeit jetzt noch erleben? Und können Sie uns vielleicht schon einen Ausblick auf die Zeit nach dem Gärtnerplatztheater geben?

Zunächst freue mich auf Das Schlaue Füchslein hier im Prinzregententheater. Da werde ich unter anderem den Dackel singen. Im Juli folgt noch die Wiederaufnahme von Orpheus in der Unterwelt als Gastspiel in Heilbronn, und dann ist die Zeit am Gärtnerplatztheater leider vorerst schon vorbei für mich.
Im Juli habe ich ein Orchesterkonzert in Freiburg und im Herbst wirke ich bei einer Konzertreihe in Freiburg, Granada und Padua mit. Da freue ich mich schon sehr darauf, weil ich gerne reise.
Und im Frühjahr 2013 werde ich als Blumenmädchen und Zweiter Knappe bei den Osterfestspielen in Salzburg zu hören sein.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Vielen Dank!

(Das Interview wurde geführt am 11. April 2012 in München.)

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Interview mit Thérèse Wincent und Gary Martin

[singlepic id=1163 w=320 h=240 float=left] Zur deutschen Übersetzung

Ms Wincent, Mr Martin, thank you for taking the time to talk to us. Could you give us an overview of your background and your career path?

Thérèse Wincent: I studied in London at the Royal College of Music, where I did a Bachelor of Music as well as a Postgraduate degree with a Masters. I moved to Vienna to continue my studies on the Opera course at the Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. I have since continued taking private lessons with, amongst others, Sylvia Zeman in Vienna. We try and meet as often as my schedule allows for!

How did you come to Gärtnerplatztheater?

Thérèse Wincent: I did an audition for ZBF Leipzig in the spring of 2003. A few days later I got a call that I should try and get to Gärtnerplatztheater as soon as possible as they needed somebody at short notice to cover for a soprano on maternity leave for a year. After that year they decided to offer me a three-year contract. When Dr. Peters took over the position of intendant, he decided to extend my contract on a yearly basis, so I have now been here for nine seasons. My first production, in the spring of 2003, was Werther.

Gary Martin: I attended university in the United States where I first received a Bachelor of Science degree in mathematics. But I was studying music at the same time. I stayed on at that university and finished my Bachelor of Arts degree in voice and at that time won a Rotary scholarship to study in Europe. I went to Vienna and studied at the Hochschule for Musik for one year. I returned to the States to study theology, but music would not let me go. I returned to music, receiving my Master’s degree in vocal performance from Southern Methodist University. I then moved to Chicago with my family to join the Chicago Lyric Opera Center, a training program for young opera singers. In 1995 I turned professional, singing regionally around the USA. In 1998 I auditioned for the Gärtnerplatztheater in New York City, and joined the Ensemble in July, 2000. And I have been here ever since.

Why did you become an opera singer?

Gary Martin: Sometimes I feel like opera chose me rather than the other way around. I have been singing my whole life. I always loved singing Musicals, I grew up watching all the great American Musicals and dreamed of being one of those wonderful leading baritones who always gets the girl. But as I studied music, my voice seemed better suited to the classical repertoire. The more I sang opera, the more I loved it. In my past I tried to walk away from singing, but I never could. It’s where my heart lies. So I think it was my destiny.

Thérèse Wincent: I actually also wanted to sing musical theater, before getting accepted to The Royal College of Music. I performed in a lot of Fringe and alternative west-end shows and took part in my first professional production when I was 16, at the Edinburgh Festival in Scotland. And I would have carried on, hadn’t it been for the fact that I was a much better singer than I was a dancer. Somebody heard me sing and said: “Well, why don’t you study classical singing, play to your strengths!” My love for the musical theater scene has never died though and here at Gärtnerplatz I have had the great fortune to combine both opera and musicals! One of the most fun roles I sung here was Minnie Faye in Hello Dolly!

Which music did you listen to when you were a child?

Thérèse Wincent: My parents had only two recordings. Beethoven, Ninth Symphony, and Vivaldi, The Four Seasons. I listened to them as often as I could, and those LPs I think are still alive somewhere, probably very scratched by now! But apart from that I didn’t really listen to a lot of classical music. I have never really been a “listener” but more of a “doer” so I tended to sing a lot myself even as a small child. My mom was constantly singing all sorts of songs and tunes around the house and so I copied her. I was five years old when I joined the local church choir.

Gary Martin: Well, my parents had more than two records. My mother was a professional ballerina in France when my father met her. After they moved to the States she opened a dance studio. So it was not unusual in our house to hear classical ballet being played. I’d come with my friends, and they would ask, “What in the world is that!?” I’d say, “That’s Tchaikovsky!” That was one side. On the other hand, my father loved country/western music. So it would also not be unusual to hear Johnny Cash or Tammy Wynette singing. At the same time, they also loved the crooners like Bing Crosby, Dean Martin, Frank Sinatra and, one of my personal favorites, a baritone named John Gary who had a three octave range. We also had recordings of numerous musicals, which I often listened to. When I got older I had records of my own, artists like James Taylor, Jim Croce, Harry Chapin, Don McLean, etc. So I had a very eclectic taste in music, and there was always music playing in our home.

What kind of music do you listen to now?

Gary Martin: Oh, that’s a very interesting question. I don’t really listen to music now. I sing so much that when I am not singing I want to do other things. So I watch things or I listen to audio books or I read or I do absolutely nothing. I don’t really listen to music now.

Therese Wincent: I was going to give the same answer. I tend to listen to a lot of audio books, and that’s great. I listen to the spoken word and a lot of talk radio. Sometimes I find myself just finding something on the internet that I like to listen to, that I didn’t really know before but that just takes my fancy. Working with music is interesting because every time I hear music I kind of want to sing along to it but I have to watch it that it doesn’t become work. (Laughs.)

Do you have perfect pitch?

Thérèse Wincent: I have a relative pitch. I think I was born with somewhat of a perfect pitch, but it drove me nuts, because very few things in life have perfect pitch. One fellow student of mine at the Royal College of Music who had perfect pitch, found it so difficult to hear the actual pitches that he had to have the musical instruments retuned before the lessons.

Gary Martin: I do not have perfect pitch. Never have. I have good relative pitch. When I rehearse a piece over and over again, I can soon begin singing my part without having to receive a tone, not because I have perfect pitch but just because it stays in my head. It was like that for Joseph Süß. But if I let the piece lie for a month, then it will be gone.

Do you play an instrument?

Gary Martin: Before I studied voice I played the trumpet, and then later switched to the baritone horn or euphonium. I never studied piano, but learned guitar for a short while. I loved playing in my high school band. That was one of my favourite things before I started singing. One reason I can read music well is because of my background playing an instrument.

Ms Wincent, do you still play the flute?

Thérèse Wincent: Well, I do pick it up occasionally, but it’s a very different breathing technique than singing. It is something that maybe one day, when I am not singing any more, I will take up again because it is a lovely instrument.

Which languages do you speak, and in which languages do you sing?

Thérèse Wincent: Ah, good question. I don’t speak any language perfectly any more. I was born just speaking Swedish, but I moved to England so soon in my life that I became more and more bilingual. Now l couldn‘t say what my native tongue is anymore. I have had to learn German because it is the work language at Gärtnerplatz. I was actually quite good at French when I was back at school. But now it is very difficult to keep that as a spoken language as well. Having three languages is kind of all my brain can do sometimes. But I can certainly understand French and Italian well enough to work in those languages as well. I would however love to learn Chinese. I have actually sung in Japanese, and that was wonderful. So any required language l can do, as long as I can look at it phonetically. I studied phonetics in London as part of my degree, it helps a lot when you have to deal with languages.

Gary Martin: I speak American English and somewhat passable German, I would say. Unfortunately, though my mother is French, she did not teach me French. She tried, I believe, when I was thirteen or fourteen, but by then I was too busy being a teenager to bother learning another language. I speak a little Spanish as well, but that’s it. I also understand some French and Italian. I’m beginning to learn Swedish. I have sung in the above six languages, as well as Latin, Russian, and Czech.

Are there any singers or actors that have influenced you?

Gary Martin: The short answer would be yes. To list them would be difficult. Whenever I listen to singers I always listen critically as well as for enjoyment. In other words, I ask myself, “What is that person doing? How is he or she producing that kind of sound? What is his/her technique?” And I feel like I am capable of understanding the technique without imitating the voice. I think Pavarotti had one of the most incredible techniques. But certainly I have been influenced and continue to be influenced by good singers. Absolutely.

Thérèse Wincent: Lots of people have influenced me. Certainly my singing teachers. To name one, Graziella Schiutti. Also my colleagues here at Gärtnerplatz, as well as other colleagues I have been working with over the past years, inspire me a lot too.

Do you have a favourite operatic recording?

Thérèse Wincent: Actually, I do, but it’s not complete and apart from Jussi Björling, there are no other known singers on it. A rather lovely Swedish version of La Bohème!

Gary Martin: No, I don’t think I have a favourite opera recording. The first one I ever heard was La Bohème with Freni and Pavarotti. I was mesmerized the first time I heard it. I had never heard anything like it. But I don’t think I have one favourite recording. There are just too many to mention.

Did you have engagements outside of Germany?

Gary Martin: I have sung quite a bit in the States. Even after I came here (to Germany) I went back there to sing a number of times. But other than that, Gärtnerplatz has kept me fairly busy. So other than the occasional concert, I have mostly been singing here in Munich.

Thérèse Wincent: I tend to sing mainly in the country where I currently live. My fest contract at Gärtnerplatz has certainly kept me busy! Saying that, l have had the possibility to perform in such different places as the USA, China and Japan as well as in my native Sweden and the rest of Europe.

What do you do – or avoid – to keep your voice in top condition?

Thérèse Wincent: Sleep. (Laughs.) My favourite pastime. I have to get enough sleep. If I don’t get enough sleep I tend to sing technically poor. Sometimes it’s not so much performances but rehearsal time that makes you tired. So rest, and more rest, and no loud talking in loud places. That’s the ticket in my case.

Gary Martin: Well, I would agree with Thessy that sleep is one of the primary things that we have to do. We have to be rested. And again, it depends on our schedule. If I am rehearsing a lot then I don’t tend to sing much extra because the voice has enough. But if I’m not singing then I do try regularly to warm up and test my voice and try to learn new music, and through the new music work on my technique. I am always working on my technique, constantly trying to learn new things about my voice and how it functions. I also try to stay physically fit and healthy. We try to eat well. And mostly, other than that, I try to avoid smoky and loud places, because that’s death for me.

What do you do to keep physically fit? How much sports does a singer have to do?

Gary Martin: I do mostly bodyweight exercises like push-ups and pull-ups, squats, etc. We also have an elliptical machine at home which I use about 30 minutes every other day; that’s what I normally try to do. I don’t belong to a gym.

Thérèse Wincent: Well, we don’t have a car which helps! I don’t like to sit around a lot so any kind of movement is good enough for me, even just a long walk. However, when I am working on a piece that is physical, I like to tie in my movements to fit that piece.

How much discipline do you need as an opera singer?

Thérèse Wincent: I don’t know if you need more discipline as an opera singer than anything else, but I think you generally need a lot of discipline in life. This thing about trying to stay healthy, I think, is one of the most important. Being an opera singer, being exposed and working with a very small muscle, the little vocal cords that we have, is rather specific. So, yes, we have to maybe look after ourselves slightly more. I know that I have a choice, I know if I have an early rehearsal the following morning I shouldn’t stay out until past midnight.

Gary Martin: I think we will need another discipline when we leave the theater. It is easy to get lazy when you have nothing to do. Here at the theater Joseph Süß had its premiere and then two days later our Studienleiter called to ask, “When do you want to start working on Falstaff?” So, in other words, the theater keeps us doing what we are supposed to be doing, they keep track of us. Whereas when we will be freelance it will be tempting to put off learning new roles. But tomorrow never comes. So there is a certain discipline needed to force oneself to keep a daily routine. We also need to keep our repertoire fresh in case a theater calls us to jump into a performance when a singer gets ill.

How do you prepare for a new role?

Gary Martin: Well, I usually listen to it first if I am not familiar with the piece, but I don’t listen to it to learn it, I listen to it just to become acquainted with it. Then I sit down at the piano and start playing my part and singing along, and pretty soon I’m learning the music and text simultaneously. I memorize my own part and learn the rest during the rehearsal process. With a tonal piece that is easy, but with Joseph Süß I found it quite difficult. It was one thing to learn a line, but then to know exactly how that line relates to the other singers – that was very difficult. So it took me longer to learn Joseph Süß as a whole than any other piece I have probably ever done, even though I knew my part fine. But I couldn’t quite fit it in the context until all of us were rehearsing as an ensemble. It was a challenge, but I found it to be a lot of fun.

Thérèse Wincent: I tend to look at the text, first thing I do. I always read through the whole score, even if I already know the opera in question. I just started looking at the fox in The Cunning Little Vixen to get an overview. Only then do I start looking at the actual notes which I have to learn. Very often we have to deal with translations, be it into German or English. But translations usually don’t work as well with the lines we have to sing, so we need to try to find where the difficulties might be. I like to have some ideas of my own about my character before I meet the director for the first time, this helps me as an actress.

Are you nervous before you go on the stage, and if so, what do you do to cope with that?

Thérèse Wincent: You mean, before performances ? I tend, generally, to be more nervous during rehearsals. By the time we get to the First Night I usually feel secure enough with my role. However, there is always a part of me thinking “Will the voice work tonight, will I remember my text…” Being a part of the Gärtnerplatz ensemble has certainly meant a great deal of security for me. We have worked together for so long that we know what to expect from one another. It certainly was very nerve-wrecking learning and performing a piece like Joseph Süß. Very difficult both musically as well as dramatically with great emotional impact on the singers, as well as on the audience.

Gary Martin: I am always nervous before a performance, but rarely so nervous that it affects my performance. I don’t do anything in particular, I simply use the nervousness to generate energy. I have always believed that the day I stop being nervous is the day I no longer care, and that’s the day I should stop singing. So I’ll always be somewhat nervous before a performance.

What is it you like about being an opera singer, and is there something you don’t like?

Gary Martin: That’s a good question. I love singing. I love being on stage, and I don’t even know why. I used to wonder if simply I need the applause, but that’s not it. It’s simply who I am. I like the challenge of learning new music, I enjoy meeting new people, performing with new people, new directors, new venues, new houses. That’s what I like about it. What I don’t like about it, I suppose, is the inconsistency, not always knowing what is going to come. Now in a permanent engagement, that was not so much the case; but even then we wouldn’t know what the next season was going to bring or what roles we were going to be given, and we had very little say. I sometimes feel I don’t fit in with the rest of the world because I don’t have a “normal job”. It’s almost impossible for others, even my family, to understand what I do. Not that they don’t try to understand. It’s simply beyond their experience. Beyond that I wouldn’t say there is much I dislike about what I do.

Thérèse Wincent: I do like the idea that I don’t have to get up that early in the morning and go to a normal job. It’s nice to have a lie-in. (Laughs.) No. – I want to be on the stage. However we don’t have the same freedom acting-wise as you do in just normal theater because we have to make sure that the music fits. But there is something absolutely marvelous to be able to be on stage and perform together with people and create something together. I think I need the stage more than I just need to sing. Being just a right-out concert singer is not my thing, and I’ve come to realize that more and more. I need the stage – not so much costume and make-up, but I need to be able to explore other realms and other people, trying to figure out what my character is all about. A negative thing about it? Well. We have stress like everybody else in our life. A slightly different stress. One has to make sure that it doesn’t consume us and take over, that we keep some kind of normality in our life. That’s when I need my friends and family to make sure I don’t overdo. But so far it’s worth every bit of it.

[singlepic id=1142 w=320 h=240 float=right]You just sang the premiere of Joseph Süß. Would you tell us something about your role?

Thérèse Wincent: Well, my role, Magdalena Weissensee, is the daughter of Weissensee, one of the protagonists. She is a victim character, certainly in this rendition of Joseph Süß. She is used in a political game of power of her father’s greed and wish for a better position in life. She is a character who doesn’t really have a say herself. I don’t think there was any time that she could have protected herself from this situation or gotten out of it. She has very little to put up against the very masculine world that she is faced with. She has never been to court, we find out as the story progresses, and she is being presented then to the duke, and he can use his droit de seigneur and just take her any way he wants, which he also does. She is somewhat confused, I think, because certainly in our production Guy Montavon wanted to explore a little bit of the relationship between Süß and Magdalena. So there certainly is an element of falling in love with Joseph Süß. But she is not allowed to do that, being a Christian woman. Having a relationship with a Jewish man would have been, certainly then, absolutely unheard of. That could have been a way for her to protest, even, against her father and against the normality of life. Towards the end of the opera she actually does stand up for herself. She could have lied and said: “No, I didn’t go along with what he said, he ensnared me.” When the judge is asking: “Have you done this?” – she could have said: “No, he has forced me to do all this.” – I think she loves him to the end.

Gary Martin: Joseph Süß is a very multi-faceted character, which makes him fascinating to play. He is a man of ambition. Obviously, there have always been those who have, and those who do not have, even today. In that time, you were either born into wealth and position, as the duke was, or you had to work your way into it by getting into his good graces. Joseph Süß wanted power, he wanted to be a man who amounted to something. He was already rich because of his connections, but he wanted to have position. He knew the way he could work into that position was by getting on the good side of the duke, helping him do what he wants to do, helping him to finance the things that he wants to finance. Because Süß is good with money, that’s his way in.

At the same time this man of ambition, a man who was willing to do whatever it took to get what he desired, also wanted to see his people freed. Then, Jews were not allowed into the city, and he believed that by having access to the duke he would eventually gain access for his people. So when his uncle tells him he’s going the wrong way, that it is not the “Jewish” way, and to stay away from those people because they are bad, Süß disagrees. He feels he is bringing glory to his people and their name, and they will gain access to the city through his position with the duke.

Süß is also a man of passion and compassion, a man who can love. He falls in love with Magdalena. He understands that the way to get Magdalena is first to allow the duke to have her. Thessy mentioned the droit de seigneur. The duke is allowed to do whatever he wants with any maiden in his realm. Süß knows that she has to go through that “hell”, as he puts it, before she can become his. And he does love her. But of course in the end he is betrayed by her father who hates him. So Süß is a multi-faceted character, and it is a challenge to try to bring out these various nuances on the stage. From both an acting and singing point of view, it is a rewarding and extremely enjoyable exercise for me and hopefully for the people that have seen it.

Do you understand Joseph Süß’s actions?

Gary Martin: Personally, you mean? I understand where they come from, yes. I understand why things were the way they were at the time historically. But because we didn’t have the time to discuss our characters in depth, due to the difficult nature of the piece, I do have some questions. For example, why did Süß tell the duke about Magdalena? Does he know her, or has he seen her and desired her? Does he understand that the only way he could have her is for the duke to have her first, and then, when he discards her, Süß would then be free to pursue her? Or did he not know that the duke had not met or even known of Magdalena?

I certainly understand Süß’ struggles with God in the end. It’s the same struggle many who trust in God have when bad things happen to them. They ask, “Why is God silent in my pain; where is he?” That’s what Süß is asking himself. When Magus, his uncle, tells him, “You must remember your prayers!” Süß responds, “I’ll pray when my prayers move God.” From his point of view God doesn’t listen, so why should he bother to pray? At the end, when he is executed, it is almost as if he says, “See? God doesn’t listen.” But one could answer him: “Perhaps, but didn’t you bring this on yourself? Wasn’t it your own ambition, your own desire for power and position that created this situation?”

Thérèse Wincent: What do I answer to that? Do I understand Magdalena’s actions? Yes, but it’s very difficult for a liberal 21st-century-woman to quite understand a person who lived so long ago and under these circumstances. Nowadays at least, most western women have choice. Magdalena’s position was to listen to what her father wanted, and then it would have been her husband, what he wanted. So she acts out of tradition and necessity. I think, personal love, personal interest for a woman in her situation didn’t really exist.

Gary Martin: But what she said at the end, what she does at the end is actually true. Because when the judge asks: “Whose child is that that you are carrying?”, and the father says: “It’s the duke’s.” – she could have gone along with that. So she shows her strength in the end by saying: “No, it’s from Süß.” – knowing that that is going to condemn her to death. Naemi does, who resists the duke. So really, two of the women in this story have tried to resist this male-dominated society. It didn’t get them very far, but they at least tried.

Thérèse Wincent: That’s right, yes.

Why didn’t Magdalena flee to save herself and her unborn child?

Thérèse Wincent: I’m not sure that there is anywhere to go, that you can flee, that you can get away. Where would she have gone? She would have been a woman who at the time couldn’t earn her own keep. I don’t know if she had any other family, but she would have been an outcast anywhere she would have gone. She protested the only way she knew how to, but I don’t think that she could have stood up for herself in any other way or fled. I don’t think she would have been accepted in the Jewish circles either, you know. She could have said: My child is half Jewish, could you protect me? – I don’t think they would have done.

Why doesn’t Joseph Süß save himself by converting to Christianity?

Gary Martin: I think he had a certain sense of – pride, perhaps, is not the right word, but he says to the Magus: “I have this position, I got this position as a Jew, and I’m going to keep it as a Jew.” In other words, if I convert to Christianity just to save myself, then that is no true conversion whatsoever. I am simply trying to save my own neck” – and there was something in him that couldn’t do that. Magdalena asked him to do that. She came to him and said: “Let us flee together.” She wanted to save them both, and their child, but the only way she knew, the only way they could do that was if he converted to Christianity. But Süß obviously couldn’t bring himself to do that.

Did you have any liberties with regard to the interpretation of your role?

Gary Martin: Yes we did. Guy Montavon approached the piece with very, very deliberate and distinct ideas of what he wanted and what he expected. But if we disagreed with something, he certainly allowed us to argue our point and would consider what we had to say. An example is: When Naemi is killed and Joseph Süß is kneeling before her, the duke offers him a position: “Freiherr von Süß”; and Guy Montavon wanted me to nod or to look up as if I were considering the offer. But I told himI did not believe my character would consider that at that point. So he went away, and the next day he came back and he said: “Okay, you are right. Then just don’t react whatsoever.” So he allowed me to impose my interpretation on his idea. Because his idea was that Süß is a man of ambition, and would do anything, even if it costs him his daughter’s life; I felt that was too much. Weissensee was like that. Weissensee made that choice at the very beginning, when the duke offered him the position of Magistralrat in exchange for his daughter. Weissensee chose the position. I don’t think Süß would have chosen to sacrifice his daughter to gain a position.

Thérèse Wincent: Freedom in characterization? Actually, yes, Guy Montavon had his ideas and I mine but they for the most part matched. Her (Magdalena’s) role in this opera is not so present – there could have been more to it, in a way, but it’s not written that way, which I think is actually good. She provides a nice sub-plot in her relationship with Süß. There is a lot, I think, scenically, that is going on behind stage where the audience have to do a lot of their own thinking . Her characterization could have been rather more extended, had we had more time, had it been a full-length opera, for instance, it would have had to be. But I certainly found that with this type of piece, because it is very difficult musically, and dramatically as well, it was good to have a director who said: “This is what I want. Can you do this?” It was also a very difficult piece technically, we had a revolving stage, and therefore there were a few spots I had to talk to him about, and he was very easy to deal with: “Whatever you can do to make it work, we will try it out. If I see that I don’t want it, I will tell you.” But he said: “No, that’s good, make it work, make it look okay.”

Do you have a dream role you would like to sing?

Thérèse Wincent: A dream role? Actually, I think I have already sung a dream role: Anne Frank by Grigori Frid, a mono-opera which premiered here in Munich in 2009. That was certainly a fantastic role to do. I would like to do it again. – Another dream role would be: Senta in The Flying Dutchman. But I am not sure if I can ever get to sing that one. (Laughs.) But that would be a dream role, absolutely.

Gary Martin: We have actually discussed doing that together, The Flying Dutchman. I used to think I wanted to sing Rigoletto, and while I would still like to, I am not sure it will ever happen. So I am just staying open. The Musical side of me always wanted to play Billy Bigelow in Carousel, but I think those days have passed me by, so – I am looking forward to whatever comes.

Can you give us an outlook on the rest of the season, and maybe next season, too?

Gary Martin: Well, I have this run of Joseph Süß, which I am going to enjoy, I think. It was a lot of hard work, and good work, and I am pleased with the end product. I think it was a good team that was put together. On 22 April we have our Farewell Concerts which are still being planned. In early May I sing Germont in La Traviata in Ingolstadt. In May and June I sing Ford in Falstaff, my last Gärtnerplatz production, though it will play in Prinzregententheater. And that will mark the end of my Gärtnerplatz career.

I have some concerts coming up in Bavaria and Mallorca. A fun project that will be coming up in 2013 in Bayreuth: A team has condensed the four Wagner Ring operas into one. They are calling it Der Ring an einem Abend (“The Ring in One Evening”). I have been chosen to sing Wotan, Wanderer, and Gunther for that, so I am looking forward to it very much. Then I will just see what comes beyond that.

Thérèse Wincent: In June I will sing the fox in Das schlaue Füchslein (The Cunning Little Vixen). That will be my last production for Gärtnerplatz, in the Prinzregententheater. After the last performance I have one day to pack my bags before going up to the Neue Eutiner Festspiele to sing the role of Bessie in Die Blume von Hawaii. The premiere is on the 2nd of August with another five performances after that. Then I think I need a holiday, before it is on to new and hopefully wonderful things. Any Intendants out there? Hurry up, I am still up for grabs! (Laughs.)

Thank you both very much for this interview!

Gary Martin: Thank you!
Thérèse Wincent: You are very welcome!

(This interview was given in Munich on 8. March 2012.)

[singlepic id=1135 w=320 h=240 float=left]Frau Wincent, Herr Martin, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen. Würden Sie uns einen Einblick in Ihren Werdegang geben?

Thérèse Wincent: Ich habe in London am Royal College of Music studiert und mein Studium mit einem Bachelor of Music sowie, nach einem Aufbaustudiengang, mit einem Masters abgeschlossen. Dann ging ich nach Wien, um an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die Opernschule zu besuchen. Seitdem nehme ich privaten Gesangsunterricht, unter anderen bei Sylvia Zeman in Wien. Wir versuchen, uns zu treffen, so oft mein Terminplan es zulässt!

Wie kamen Sie ans Gärtnerplatztheater?

Thérèse Wincent: Ich habe im Frühling 2003 an einem Vorsingen der ZBF Leipzig teilgenommen. Ein paar Tage später wurde ich angerufen, dass ich mich so schnell wie möglich am Gärtnerplatztheater vorstellen sollte, weil sie kurzfristig einen Ersatz benötigten für eine Sopranistin, die ein Jahr Babypause machte. Nach diesem Jahr entschied man sich, mir einen Dreijahresvertrag anzubieten. Als Dr. Peters Intendant wurde, entschied er sich dafür, meinen Vertrag immer auf Jahresbasis zu verlängern. Also bin ich jetzt seit neun Spielzeiten hier am Gärtnerplatztheater in München. Meine erste Produktion, im Frühling 2003, war Werther.

Gary Martin: Ich habe in den USA studiert. Mein erster Abschluss war ein Bachelor of Science in Mathematik. Aber gleichzeitig habe ich Musik studiert. Ich blieb an dieser Universität und machte einen Bachelor of Arts in Gesang. Zu dieser Zeit bekam ich ein Stipendium des Rotary Clubs, um in Europa zu studieren. Ich ging nach Wien und studierte dort ein Jahr an der Hochschule für Musik. Danach kehrte ich in die USA zurück, um Theologie zu studieren, aber die Musik ließ mich nicht los. Ich nahm mein Musikstudium wieder auf und machte meinen Master’s in Gesang an der Southern Methodist University. Dann zog ich mit meiner Familie nach Chicago, um an das Chicago Lyric Opera Center zu gehen, wo ich an einem Ausbildungsprogramm für junge Opernsänger teilnahm. 1995 begann ich, als professioneller Sänger zu arbeiten, und sang regional an unterschiedlichen Auftrittsorten in den USA. 1998 absolvierte ich ein Vorsingen für das Gärtnerplatztheater in New York City, und seit Juli 2000 bin ich Ensemblemitglied hier.

Was gab den Ausschlag, Opernsänger zu werden?

Gary Martin: Manchmal habe ich das Gefühl, die Oper hat mich gewählt, und nicht andersherum. Ich habe mein ganzes Leben lang gesungen. Ich sang immer sehr gerne Musicals, in meiner Jugend habe ich all die großartigen amerikanischen Musicals gesehen und ich träumte davon, diese wundervollen Bariton-Hauptrollen zu singen, wo der Bariton am Ende des Stücks immer das Mädchen kriegt. Aber als ich dann Musik studierte, schien meine Stimme für das klassische Repertoire geeigneter zu sein. Je mehr Opernpartien ich sang, desto mehr entdeckte ich meine Liebe zur Oper. In der Vergangenheit habe ich versucht, das Singen aufzugeben, aber es ging nicht. Das Singen ist das, woran mein Herz hängt. Also glaube ich, es war mir vorherbestimmt.

Thérèse Wincent: Ich wollte tatsächlich auch Musical singen, bevor ich am Royal College of Music aufgenommen wurde. Ich stand in vielen Fringe-Produktionen und alternativen West-End-Shows auf der Bühne und trat in meiner ersten professionellen Produktion auf, als ich 16 Jahre alt war, beim Edinburgh Festival in Schottland. Das hätte ich auch fortgesetzt, aber es stellte sich heraus, dass ich als Sängerin wesentlich besser war als als Tänzerin. Mir wurde dann gesagt, von jemandem, der mich singen gehört hatte: “Warum studierst du nicht klassischen Gesang, das liegt dir!” Meine Liebe zum Musical blieb aber bestehen, und hier am Gärtnerplatztheater hatte ich das große Glück, sowohl Oper als auch Musical singen zu dürfen. Eine der witzigsten Rollen, die ich hier gesungen habe, war Minnie Faye in Hello Dolly!

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Thérèse Wincent: Meine Eltern hatten nur zwei Schallplatten: Beethoven, Neunte Sinfonie, and Vivaldi, Die Vier Jahreszeiten. Ich habe sie ständig gehört. Diese LPs müssen noch irgendwo sein, aber vermutlich sind sie mittlerweile ziemlich verkratzt! Aber abgesehen davon habe ich nicht viel klassische Musik gehört. Ich war noch nie ein “Hörer” sondern eher ein “Selbermacher”, also habe ich schon als kleines Kind sehr viel selbst gesungen. Meine Mutter sang zuhause ständig alle möglichen Songs und Lieder, und ich habe das dann auch so gemacht. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich angefangen, in unserem Kirchenchor zu singen.

Gary Martin: Nun, meine Eltern besaßen mehr als zwei Schallplatten. Meine Mutter arbeitete als Tänzerin in Frankreich, als mein Vater sie kennenlernte. Nachdem sie in die USA gezogen waren, eröffnete sie ein Tanzstudio. Also war es bei uns zuhause nicht ungewöhnlich, klassisches Ballett zu hören. Wenn ich meine Freunde mit nach Hause brachte, fragten die: “Was um Himmels willen ist das denn!?” Ich antwortete dann: “Das ist Tschaikowski!” Das war die eine Seite. Zum anderen liebte mein Vater Country- und Westernmusik. Also war es auch nicht ungewöhnlich, Johnny Cash oder Tammy Wynette singen zu hören. Außerdem liebten sie Sänger wie Bing Crosby, Dean Martin, Frank Sinatra und, einer meiner persönlichen Favoriten, ein Bariton namens John Gary, der einen Stimmumfang von drei Oktaven hatte. Wir hatten auch Aufnahmen von vielen Musicals, die ich mir häufig anhörte. Als ich älter war, hatte ich meine eigenen Schallplatten, von Künstlern wie James Taylor, Jim Croce, Harry Chapin, Don McLean, etc. Ich hatte also einen sehr eklektischen Musikgeschmack, und bei uns zuhause lief immer Musik.

Welche Musik hören Sie heute?

Gary Martin: Oh, das ist eine sehr interessante Frage. Ich höre zur Zeit eigentlich gar keine Musik. Ich singe so viel, dass ich andere Dinge tun möchte, wenn ich nicht singe. Ich schaue mir was an, oder ich höre mir Hörbücher an, oder ich lese, oder ich mache überhaupt nichts. Ich höre zur Zeit eigentlich keine Musik.

Therese Wincent: So ist das bei mir auch. Ich höre mir oft Hörbücher an, die finde ich toll. Ich höre also gesprochene Texte und viel Talkradio. Manchmal finde ich einfach zufällig etwas im Internet, was ich gerne höre, etwas, was ich zuvor nicht kannte, aber was mir einfach gefällt. Es ist interessant, mit Musik zu arbeiten, denn immer, wenn ich Musik höre, möchte ich mitsingen; ich muss also aufpassen, dass es nicht in Arbeit ausartet. (Lacht.)

Haben Sie das absolute Gehör?

Thérèse Wincent: Ich habe ein relatives Gehör. Ich glaube, ich wurde mit etwas geboren, was in Richtung absolutes Gehör geht, aber das machte mich wahnsinnig, weil nur sehr wenige Dinge im Leben rein gestimmt sind. Einer meiner Mitstudenten am Royal College of Music, der das absolute Gehör hatte, fand es so unangenehm, die tatsächlichen Tonhöhen zu hören, dass die Musikinstrumente vor den Unterrichtsstunden für ihn neu gestimmt werden mussten.

Gary Martin: Ich habe kein absolutes Gehör, nie gehabt. Ich habe ein gutes relatives Gehör. Wenn ich ein Stück immer wieder probe, kann ich bald meine Partie singen, ohne einen Ton vorgegeben zu bekommen, nicht weil ich das absolute Gehör habe, sondern einfach, weil er in meinem Kopf bleibt. So war es bei Joseph Süß. Wenn ich das Stück aber einen Monat ruhen lasse, dann ist der Ton wieder weg.

Spielen Sie ein Instrument?

Gary Martin: Vor meinem Gesangsstudium habe ich Trompete gespielt, und später wechselte ich zum “baritone horn” bzw. Euphonium. Ich hatte nie Klavierunterricht, aber für eine kurze Zeit hatte ich Gitarrenstunden. Ich fand es toll, in meiner High-School-Band zu spielen. Das war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, bevor ich mit dem Singen anfing. Ein Grund, warum ich gut Noten lesen kann, ist, dass ich früher ein Instrument gespielt habe.

Spielen Sie immer noch Querflöte, Frau Wincent?

Thérèse Wincent: Nun, ich nehme meine Querflöte gelegentlich zur Hand, aber die Atemtechnik ist ganz anders als beim Singen. Vielleicht fange ich eines Tages, wenn ich mal nicht mehr singe, wieder an zu spielen, denn es ist ein wundervolles Instrument.

Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?

Thérèse Wincent: Ah, das ist eine gute Frage: Ich spreche keine Sprache mehr perfekt. Ich habe als ganz kleines Kind nur Schwedisch gesprochen, aber dann bin ich schon sehr früh in meinem Leben nach England umgezogen, so dass ich allmählich zweisprachig wurde. Heute könnte ich nicht mehr sagen, was meine Hauptsprache ist. Ich musste natürlich Deutsch lernen, weil das die Arbeitssprache am Gärtnerplatztheater ist. Damals in der Schule war ich sehr gut in Französisch, aber es ist jetzt schwierig, das als gesprochene Sprache aufrechtzuerhalten. Manchmal hat mein Gehirn nur ausreichend Kapazität für drei Sprachen. Aber auf jeden Fall verstehe ich Französisch und Italienisch gut genug, um in diesen Sprachen auch zu arbeiten. Ich würde sehr gerne noch Chinesisch lernen. Auf Japanisch habe ich schon gesungen, das war toll. Ich kann in jeder gewünschten Sprache singen, vorausgesetzt, dass ich das phonetische Schriftbild vor mir sehe. Phonetik war eines meiner Studienfächer in London; das ist sehr hilfreich, wenn man mit Fremdsprachen arbeitet.

Gary Martin: Ich spreche amerikanisches Englisch und ganz passables Deutsch, würde ich sagen. Leider hat mir meine Mutter kein Französisch beigebracht, obwohl sie Französin ist. Sie hat es versucht, als ich ungefähr 13 oder 14 Jahre alt war, aber da war ich dann schon zu sehr damit beschäftigt, ein Teenager zu sein, so dass ich mich nicht auch noch damit befassen konnte, eine andere Sprache zu lernen. Ich spreche auch ein wenig Spanisch, aber das ist alles. Ich verstehe allerdings etwas Französisch und Italienisch, und ich habe damit begonnen, Schwedisch zu lernen. In all diesen sechs Sprachen habe ich schon gesungen, außerdem in Latein, Russisch und Tschechisch.

Gibt es Sänger oder Schauspieler, die Sie beeinflusst haben?

Gary Martin: Die kurze Antwort wäre: Ja. Sie aufzuzählen wäre allerdings nicht so einfach. Wenn ich Sängern zuhöre, tue ich das nicht allein zum Vergnügen, sondern ich höre immer auch analytisch zu. Mit anderen Worten, ich frage mich: “Was macht diese Person da? Wie erzeugt er oder sie diesen Ton? Was hat er/sie für eine Technik?” Ich glaube, ich bin in der Lage, die Technik zu verstehen, ohne die Stimme zu imitieren. Pavarotti hatte eine ganz unglaubliche Technik, meiner Meinung nach. Aber natürlich wurde und werde ich von guten Sängern beeinflusst. Auf jeden Fall.

Thérèse Wincent: Viele Menschen haben mich beeinflusst. Meine Gesangslehrer vor allen Dingen. Um nur eine zu erwähnen: Graziella Schiutti. Auch meine Kollegen hier am Gärtnerplatztheater, und andere Kollegen, mit denen ich in der Vergangenheit zusammengearbeitet habe, haben mich sehr inspiriert.

Bevorzugen Sie eine bestimmte Opern-Aufnahme?

Thérèse Wincent: Ja, ich habe eine Lieblingsaufnahme, aber sie ist unvollständig, und abgesehen von Jussi Björling von lauter unbekannten Sängern gesungen. Eine ganz reizende schwedische Fassung von La Bohème !

Gary Martin: Nein, ich glaube nicht, dass ich eine Lieblings-Opernaufnahme habe. Die allererste, die ich überhaupt gehört habe, war La Bohème mit Freni und Pavarotti. Ich war völlig fasziniert, als ich sie zum ersten Mal hörte; ich hatte zuvor noch nie etwas Derartiges gehört. Aber ich würde nicht sagen, dass ich eine bestimmte Lieblingsaufnahme habe. Es sind einfach zu viele, als dass man sie aufzählen könnte.

Hatten Sie schon internationale Engagements?

Gary Martin: Ich habe sehr viel in den USA gesungen. Auch nachdem ich nach Deutschland kam, bin ich des öfteren in die USA geflogen, um dort zu singen. Aber abgesehen davon hat mich das Gärtnerplatztheater ziemlich auf Trab gehalten, ich hatte ganz gut zu tun. Bis auf gelegentliche Konzerte habe ich also hauptsächlich hier in München gesungen.

Thérèse Wincent: Ich singe normalerweise hauptsächlich in dem Land, in dem ich gerade lebe. In meinem Festengagement am Gärtnerplatztheater hatte ich immer sehr viel zu tun! Ich hatte aber dennoch schon die Möglichkeit, in vielen unterschiedlichen Ländern aufzutreten: USA, China, Japan, in meinem Geburtsland Schweden und auch in anderen europäischen Ländern.

Was tun Sie – oder lassen Sie – um Ihre Stimme in Top-Form zu halten?

Thérèse Wincent: Ich schlafe. (Lacht.) Meine liebste Freizeitbeschäftigung. Ich brauche genügend Schlaf. Wenn ich nicht genug Schlaf bekomme, neige ich dazu, technisch nicht optimal zu singen. Manchmal sind es nicht so sehr die Vorstellungen als vielmehr die Proben, die einen müde machen. Also: Ruhe, nochmals Ruhe, und in einer lauten Umgebung nicht laut sprechen. Das ist es, was meiner Stimme guttut.

Gary Martin: Nun, ich stimme mit Thessy überein, dass Schlaf eines der wichtigsten Dinge ist, die wir tun müssen. Wir müssen ausgeruht sein. Hier kommt es auch wieder auf unseren Terminplan an. Wenn ich viel probe, dann singe ich normalerweise darüber hinaus nicht viel, weil die Stimme ausgelastet ist. Wenn ich aber nicht singe, dann versuche ich, meine Stimme regelmäßig aufzuwärmen und zu erproben, neue Stücke zu lernen, und mittels dieser neuen Stücke an meiner Technik zu arbeiten. Ich arbeite ständig an meiner Technik und versuche immer, Neues zu lernen in bezug auf meine Stimme und wie sie funktioniert. Ich achte auch darauf, mich körperlich fit und gesund zu halten. Wir legen Wert auf gute Ernährung. Und insbesondere, abgesehen davon, versuche ich, verrauchte und laute Orte zu meiden, denn das ist tödlich für mich.

Wie halten Sie sich körperlich fit? Wie viel Kondition braucht ein Sänger?

Gary Martin: Ich mache hauptsächlich Eigengewichtübungen, wie Liegestützen, Klimmzüge, Kniebeugen, und so weiter. Wir haben auch einen Ellipsentrainer zuhause, mit dem ich jeden zweiten Tag eine halbe Stunde lang trainiere; das mache ich normalerweise. Ich gehe nicht ins Fitnessstudio.

Thérèse Wincent: Nun, wir haben kein Auto, das hilft! Ich sitze nicht gerne herum, also ist mir jede Art von Bewegung recht, selbst wenn es nur ein langer Spaziergang ist. Aber wenn ich an einer Rolle arbeite, die viel Körpereinsatz erfordert, passe ich meine sportlichen Aktivitäten nach Möglichkeit an diese Rolle an.

Wie viel Disziplin muss ein Opernsänger aufbringen?

Thérèse Wincent: Ich weiß nicht, ob man als Opernsänger mehr Disziplin benötigt als in anderen Berufen, aber ich denke, man braucht generell viel Disziplin im Leben. Diese Sache, dass man versucht, gesund zu bleiben, ist mit am wichtigsten, würde ich sagen. Als Opernsänger sind wir in einer ziemlich speziellen Situation: man ist exponiert, man arbeitet mit sehr kleinen Muskeln, diese kleinen Stimmlippen. Also müssen wir vielleicht etwas mehr auf uns achten, doch, ja. Ich weiß, dass ich eine Wahl habe, ich weiß, dass es mir nicht guttut, nach Mitternacht noch unterwegs zu sein, wenn ich am nächsten Tag frühmorgens Probe habe.

Gary Martin: Ich glaube, wir werden eine andere Art von Disziplin benötigen, wenn wir vom Theater weggehen. Es ist leicht, in Müßiggang zu verfallen, wenn man nichts zu tun hat. Hier am Theater hatte Joseph Süß Premiere, und zwei Tage später rief unser Studienleiter an und fragte: “Wann möchtest du anfangen, am Falstaff zu arbeiten?” Ich meine damit, das Theater sorgt dafür, dass wir das tun, was wir tun sollen, sie behalten uns im Auge. Wohingegen, wenn wir dann freiberuflich arbeiten, da kommt man schon in Versuchung, das Einstudieren neuer Rollen bis zum Sankt Nimmerleinstag aufzuschieben. Also braucht man eine gewisse Disziplin, um sich zu einer täglichen Routine zu zwingen. Wir müssen auch unser Repertoire frisch halten, falls ein Theater kurzfristig anruft und wir bei einer Vorstellung einspringen sollen, wenn ein Sänger krank wird.

Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?

Gary Martin: Ich höre mir das Stück zuerst an, wenn ich es noch nicht kenne; aber nicht, um es zu lernen, sondern nur, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Dann setze ich mich ans Klavier und beginne, meine Partie zu spielen und mitzusingen, und sehr bald lerne ich die Musik und den Text gleichzeitig. Ich lerne meine eigene Partie auswendig, und den Rest lerne ich während der Proben. Bei einem tonalen Stück ist das einfach, aber bei Joseph Süß fand ich das ziemlich schwierig. Eine Zeile zu lernen war die eine Sache, aber dann genau zu wissen, wie diese Zeile zu den anderen Sängern in Bezug gesetzt wird – das war sehr schwierig. Ich habe also insgesamt wohl länger gebraucht, um Joseph Süß zu lernen, als für jedes andere Stück, das ich jemals gemacht habe, obwohl ich meine Partie gut konnte. Aber ich konnte sie nicht genau in den Zusammenhang einordnen, bis wir alle als Ensemble geprobt haben. Das war wirklich eine Herausforderung, aber es hat mir auch viel Spaß gemacht.

Thérèse Wincent: Ich sehe mir normalerweise zuerst den Text an. Ich lese mir immer den gesamten Klavierauszug durch, auch wenn ich die Oper, um die es geht, bereits kenne. Jetzt gerade habe ich angefangen, mir die Rolle des Fuchses in Das Schlaue Füchslein anzuschauen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Erst dann beginne ich damit, mir die Noten anzusehen, die ich lernen muss. Sehr oft haben wir es mit Übersetzungen zu tun, sei es ins Deutsche oder ins Englische. Aber Übersetzungen lassen sich meistens nicht so gut singen, also müssen wir versuchen, herauszufinden, wo es Schwierigkeiten geben könnte. Ich mache mir gerne meine eigenen Gedanken zu meiner Figur, bevor ich den Regisseur zum ersten Mal treffe, das hilft mir bei der szenischen Umsetzung.

Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja, was tun Sie dagegen?

Thérèse Wincent: Vor den Vorstellungen, meinen Sie? Ich bin generell nervöser während der Proben. Wenn wir dann bei der Premiere angelangt sind, fühle ich mich normalerweise sicher genug in meiner Rolle. Aber da ist immer ein Teil von mir, der denkt: “Ist die Stimme heute Abend gut; kann ich meinen Text …” Auf jeden Fall hat es mir sehr viel Sicherheit gegeben, ein Teil des Gärtnerplatz-Ensembles zu sein. Wir haben so lange zusammengearbeitet, dass wir wissen, wie sich die anderen verhalten. Es war auf jeden Fall sehr nervenaufreibend, ein Stück wie Joseph Süß zu lernen und aufzuführen. Sehr schwierig, sowohl musikalisch als auch szenisch, mit einer starken emotionalen Wirkung auf die Sänger und auf das Publikum.

Gary Martin: Ich habe immer Lampenfieber vor einer Vorstellung, aber ich bin nur sehr selten so nervös, dass es meine Leistung beeinträchtigt. Ich mache nichts Besonderes dagegen, ich nutze das Lampenfieber einfach, um Energie zu erzeugen. Ich war immer schon der Meinung, dass der Tag, an dem ich kein Lampenfieber mehr habe, der Tag ist, an dem mir alles egal ist, und das ist der Tag, an dem ich mit dem Singen aufhören sollte. Ich werde also vor einer Vorstellung immer ein bisschen Lampenfieber haben.

Was gefällt Ihnen an dem Beruf des Opernsängers, und gibt es etwas, was Ihnen daran nicht gefällt?

Gary Martin: Das ist eine gute Frage. Ich liebe es, zu singen. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen, und ich weiß nicht einmal, warum. In der Vergangenheit habe ich mich öfter gefragt, ob ich einfach den Applaus brauche, aber das ist es nicht. Das ist einfach der, der ich bin. Ich mag die Herausforderung, neue Stücke zu lernen, ich lerne gerne neue Menschen kennen, trete gerne mit neuen Kollegen auf, arbeite gerne mit neuen Regisseuren, an neuen Spielstätten, in neuen Häusern. Das ist es, was mir daran gefällt. Was mir nicht daran gefällt, würde ich mal sagen, ist die Unbeständigkeit: dass man nicht immer weiß, was die Zukunft bringt. In einem Festengagement war das nicht so sehr der Fall, aber auch da wussten wir nicht, was die nächste Spielzeit bringen würde oder welche Rollen uns zugeteilt werden würden, und wir hatten da sehr wenig Mitspracherecht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich nicht so richtig zum Rest der Welt passe, weil ich keinen “normalen” Beruf habe. Es ist fast unmöglich für andere, selbst für meine Familie, zu verstehen, was ich mache. Nicht, dass sie nicht versuchen würden, es zu verstehen. Es liegt einfach außerhalb ihres Erfahrungsbereichs. Abgesehen davon gibt es nicht viel, was mir an meinem Beruf nicht gefällt.

Thérèse Wincent: Mir gefällt der Gedanke, dass ich morgens nicht so früh aufstehen muss wie ein “normaler” Arbeitnehmer. Es ist schön, wenn man ausschlafen kann. (Lacht.) Nein. – Ich möchte auf der Bühne stehen. Wir haben allerdings, was das Schauspielerische angeht, nicht die Freiheiten, die man beim Sprechtheater hat, weil wir darauf achten müssen, dass es die Musik nicht beeinträchtigt. Aber das ist etwas ganz Wunderbares, wenn man auf der Bühne stehen kann, zusammen mit anderen Menschen auftreten und etwas zusammen erschaffen kann. Ich glaube, ich brauche die Bühne noch mehr als das Singen. Ausschließlich Konzertsängerin zu sein wäre nichts für mich, und das ist etwas, was mir immer mehr bewusst wird. Ich brauche die Bühne – nicht so sehr Kostüm und Maske, aber ich muss andere Welten und andere Persönlichkeiten erforschen können, indem ich versuche, herauszufinden, wie die Figur, die ich auf der Bühne darstelle, wirklich ist. – Negative Aspekte? Nun, wir stehen unter Stress, so wie alle anderen um uns herum. Es ist ein etwas anderer Stress. Man muss aufpassen, dass er nicht überhand nimmt und uns auffrisst, dass wir eine gewisse Normalität in unserem Leben beibehalten. Da brauche ich meine Freunde und meine Familie, die dafür sorgen müssen, dass ich es nicht übertreibe. Aber bis jetzt ist es das alles wert. Auf jeden Fall.

Sie haben gerade die Premiere der Oper Joseph Süß gesungen. Würden Sie uns etwas über Ihre Rolle erzählen?

Thérèse Wincent: Nun, meine Partie, Magdalena Weissensee, ist die Tochter von Weissensee, einem der Protagonisten. Ihre Rolle ist als Opferfigur angelegt, auf jeden Fall in dieser Fassung von Joseph Süß. Sie wird benutzt in einem politischen Machtspiel ihres Vaters, der habgierig ist und eine bessere Position im Leben anstrebt. Sie ist eine Figur, die selbst eigentlich nichts mitzureden hat. Ich glaube nicht, dass es jemals einen Zeitpunkt gab, zu dem es ihr möglich gewesen wäre, sich vor dieser Situation zu schützen oder ihr zu entrinnen. Der sehr maskulinen Welt, der sie sich gegenübersieht, hat sie nur sehr wenig entgegenzusetzen. Im Lauf der Handlung stellt sich heraus, dass sie noch nie am Hof des Herzogs war. Sie wird dem Herzog dann vorgestellt, und er kann auf sein droit de seigneur pochen und sich diese junge Frau einfach nehmen, so wie er will, und das tut er auch. Sie ist etwas durcheinander, glaube ich, denn auf jeden Fall in unserer Produktion wollte Guy Montavon die Beziehung zwischen Süß und Magdalena ein wenig ausloten. Da gibt es also auf jeden Fall den Aspekt, dass sie sich in Joseph Süß verliebt. Aber als Christin darf sie das nicht. Eine Beziehung zu einem Juden zu haben, wäre damals natürlich absolut unerhört gewesen. Das könnte sogar eine Möglichkeit gewesen sein für sie, gegen ihren Vater zu protestieren und gegen die Normalität ihres Lebens. Gegen Ende der Oper bezieht sie dann tatsächlich Stellung und versucht, sich zu behaupten. Sie hätte lügen können und sagen: “Nein, ich war mit dem, was er sagte, nicht einverstanden, er hat mich dazu verleitet.” Als der Richter fragt, ob sie das getan hat, hätte sie sagen können: “Nein, er hat mich gezwungen, all das zu tun.” Ich glaube, sie liebt ihn bis zum Ende.

Gary Martin: Joseph Süß ist eine Figur mit sehr vielen Facetten, was ihn zu einer faszinierenden Rolle macht. Er ist ein ehrgeiziger Mann. Natürlich gab es immer die Wohlhabenden, und die Habenichtse, auch heute noch. In jener Zeit wurde man entweder in eine Position und in Wohlstand geboren, wie der Herzog, oder man musste darauf hinarbeiten, indem man seine Gunst erlangte. Joseph Süß wollte Macht, er wollte ein Mann sein, der etwas darstellte. Er war bereits reich aufgrund seiner Beziehungen und Verbindungen, aber er wollte Status. Er wusste, dass er sich so eine Position erarbeiten konnte, indem er sich mit dem Herzog gut stellte, ihm half, seine Ziele zu erreichen und die Dinge zu finanzieren, die er finanzieren wollte. Denn Süß kann gut mit Geld umgehen, das ist sein Weg ins Innere der Macht.

Aber dieser ehrgeizige Mann, ein Mann, der bereit war, alles zu tun, was erforderlich war, um seine Ziele zu erreichen, wollte gleichzeitig auch Freiheit für sein Volk. Damals war es Juden nicht erlaubt, die Stadt zu betreten, und er glaubte, dadurch, dass er Zugang zum Herzog hatte, würde er schließlich auch für sein Volk den Zugang zur Stadt erringen. Als sein Onkel ihm also sagt, dass er einen Irrweg eingeschlagen hat, dass das nicht der “jüdische” Weg ist, und dass er sich von diesen Leuten fernhalten soll, weil sie böse sind, widerspricht ihm Süß. Er glaubt, dass er seinem Volk und ihrem Namen Ruhm bringt, und dass sie durch seine Position beim Herzog den Zugang zur Stadt erlangen werden.

Süß ist auch ein Mann voller Leidenschaft und Mitgefühl, ein Mann, der lieben kann. Er verliebt sich in Magdalena. Er versteht, dass, wenn er Magdalena haben will, er sie zuerst dem Herzog überlassen muss. Thessy sprach von dem droit de seigneur: Der Herzog darf mit jeder jungen Frau in seinem Reich tun, was ihm beliebt. Süß weiß, dass sie durch diese “Hölle” gehen muss, wie er es nennt, bevor sie die Seine werden kann. Und er liebt sie wirklich. Aber am Ende natürlich wird er von ihrem Vater verraten, der ihn hasst. Süß ist also eine Figur mit vielen Facetten, und es ist eine Herausforderung, diese verschiedenen Nuancen auf die Bühne zu bringen. Sowohl schauspielerisch als auch sängerisch ist es ein lohnendes und sehr, sehr schönes Stück für mich und hoffentlich auch für die Zuschauer.

[singlepic id=1141 w=320 h=240 float=right]Können Sie Joseph Süß verstehen, warum er so handelt?

Gary Martin: Ich persönlich, meinen Sie? Ich verstehe seine Beweggründe, ja. Ich verstehe, warum die Dinge damals, historisch betrachtet, so waren, wie sie waren. Aber wir hatten nicht genug Zeit, um unsere Figuren noch genauer zu analysieren, weil das Stück so schwer ist, und deswegen habe ich noch einige offene Fragen. Zum Beispiel, warum hat Süß dem Herzog von Magdalena erzählt? Kennt er sie, oder hat er sie gesehen und begehrt sie? Versteht er, dass er sie nur haben kann, wenn der Herzog sie zuerst nimmt … und dann, wenn der Herzog sie wegschickt, weil er ihrer überdrüssig ist, es Süß freistünde, um sie zu werben? Oder war ihm gar nicht klar, dass der Herzog Magdalena noch nie begegnet war, dass er nicht einmal von ihr wusste?

Auf jeden Fall kann ich verstehen, dass Joseph Süß am Ende an Gott zweifelt. Viele Menschen, die auf Gott vertrauen, haben diese Zweifel, wenn ihnen Schlimmes zustößt. Sie fragen: “Warum schweigt Gott zu meinem Schmerz, wo ist er?” Das ist die Frage, die Süß sich stellt. Wenn sein Onkel Magus ihm sagt: “Du musst an deine Gebete denken!”, antwortet Süß: “Ich werde beten, wenn meine Gebete Gott bewegen.” Aus seiner Sicht hört Gott ihm nicht zu, warum also sollte er sich die Mühe machen, zu beten? Am Ende, wenn er hingerichtet wird, ist es fast, als würde er sagen: “Siehst du? Gott hört mich nicht.” Aber man könnte ihm antworten: “Mag sein, aber hast du dir das nicht selbst zuzuschreiben? War es nicht dein eigener Ehrgeiz, dein eigenes Verlangen nach Macht und Status, wodurch diese Situation entstanden ist?”

Thérèse Wincent: Was antworte ich darauf? Verstehe ich, warum Magdalena so handelt, wie sie handelt? Ja, aber es ist sehr schwierig für eine Frau aus dem liberalen 21. Jahrhundert, eine Person tatsächlich zu verstehen, die vor so langer Zeit und unter solchen Umständen lebte. Heutzutage zumindest haben die meisten Frauen im Westen eine Wahl. Magdalenas Position war es, auf das zu hören, was ihr Vater wollte, und danach wäre es ihr Ehemann gewesen, was der wollte. Sie handelt also aus der Tradition und Notwendigkeit heraus. Ich glaube, so etwas wie romantische Liebe oder persönliches Interesse gab es für eine Frau in ihrer Lage eigentlich nicht.

Gary Martin: Aber was sie am Ende sagte, was sie am Ende tut, ist wahrhaftig. Denn wenn der Richter fragt: “Von wem ist das Kind, das du unter dem Herzen trägst?”, und der Vater sagt: “Es ist das Kind des Herzogs” – bei dieser Aussage hätte sie es belassen können. Aber sie beweist am Ende Stärke, indem sie sagt: “Nein, es ist von Süß!” – obwohl sie weiß, dass das ihr Todesurteil bedeutet. Auch Naemi beweist Stärke, indem sie sich dem Herzog widersetzt. Also haben zwei von den Frauen in dieser Geschichte versucht, sich dieser von Männern dominierten Gesellschaft zu widersetzen. Sie sind nicht weit gekommen, aber zumindest haben sie es versucht.

Thérèse Wincent: Ja, das stimmt.

Warum ist Magdalena nicht geflohen, um sich und ihr ungeborenes Kind zu retten?

Thérèse Wincent: Ich bin mir nicht sicher, dass sie irgendwohin fliehen konnte, dass es eine Möglichkeit gab, zu entkommen. Wo hätte sie hingehen sollen? Sie wäre eine Frau gewesen, die zu der Zeit ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen konnte. Ich weiß nicht, ob sie noch mehr Familie hatte, aber überall, wo sie hingegangen wäre, wäre sie eine Ausgestoßene gewesen. Sie hat protestiert, auf die einzige Art und Weise, die ihr zu Gebote stand, aber ich glaube nicht, dass sie sich auf irgendeine andere Weise hätte behaupten können, oder dass sie hätte fliehen können. Meiner Meinung nach wäre sie auch in den jüdischen Kreisen nicht akzeptiert worden. Sie hätte zwar sagen können: “Mein Kind ist halb jüdisch, könnt ihr mich beschützen?”, aber ich denke nicht, dass sie das getan hätten.

Warum rettet Joseph Süß sich nicht, indem er zum Christentum übertritt?

Gary Martin: Ich glaube, er hatte einen gewissen – Stolz ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber er sagt zum Magus: “Ich habe diese Position, ich habe diese Position als Jude bekommen, und ich werde sie als Jude behalten.” Anders ausgedrückt: Wenn ich zum Christentum übertrete, nur um mich zu retten, dann ist das keine echte Bekehrung, überhaupt nicht. Ich versuche dann nur, meinen eigenen Hals zu retten” – und das widerstrebte ihm so sehr, dass er es nicht tun konnte. Magdalena bat ihn, das zu tun. Sie kam zu ihm und sagte: “Lass uns zusammen fliehen.” Magdalena wollte sie beide retten, und dazu ihr gemeinsames Kind, aber die einzige Möglichkeit, die sie kannte, die einzige Möglichkeit, wie sie das tun konnten, war, wenn er zum Christentum übergetreten wäre. Aber Süß konnte sich offenkundig nicht dazu überwinden, das zu tun.

Hatten Sie Freiheiten bei der Interpretation Ihrer Rolle?

Gary Martin: Ja, das hatten wir. Guy Montavon ist an das Stück mit ganz durchdachten und konkreten Vorstellungen herangegangen, was er wollte und was er erwartete. Aber wenn wir bei einem Punkt nicht seiner Meinung waren, ließ er uns jederzeit unsere Argumente vortragen und dachte darüber nach. Ein Beispiel: Als Naemi getötet wird und Joseph Süß vor ihr kniet, bietet ihm der Herzog eine Position an, einen Titel: “Freiherr von Süß”. Guy Montavon wollte, dass ich nicken oder aufschauen sollte, so als würde ich über dieses Angebot nachdenken. Aber ich sagte ihm, dass ich nicht glaubte, meine Figur würde das zu diesem Zeitpunkt in Betracht ziehen. Dann ging er wieder, und am nächsten Tag kam er zurück und sagte: “Okay, du hast recht. Dann zeige überhaupt keine Reaktion.” Also gestattete er mir, meine Interpretation über seine ursprüngliche Idee zu legen. Denn sein Gedanke dazu war, dass Süß ein ehrgeiziger Mann ist und alles dafür tun würde, sogar wenn es ihn das Leben seiner Tochter kostet; ich fand, das war zuviel. Weissensee war so ein Mensch. Weissensee traf ganz am Anfang diese Entscheidung, als der Herzog ihm die Position eines Magistralrats im Tausch gegen seine Tochter anbot. Weissensee wählte den Titel. Ich glaube nicht, dass Süß sich dafür entschieden hätte, seine Tochter zu opfern, um eine Position zu erlangen.

Thérèse Wincent: Freiheiten bei der Charakterisierung? Ja, doch, Guy Montavon hatte seine Vorstellungen und ich hatte meine, aber sie stimmten größtenteils überein. Magdalenas Rolle in dieser Oper ist nicht so präsent – man hätte mehr daraus machen können, in gewisser Weise, aber es ist nicht so geschrieben, was ich sogar gut finde. Sie liefert einen schönen untergeordneten Handlungsstrang mit ihrer Beziehung zu Süß. Ich denke, szenisch gesehen findet vieles hinter den Kulissen statt, wo die Zuschauer sich an vielen Stellen ihre eigenen Gedanken machen müssen. Die Charakterisierung dieser Figur hätte noch deutlich ausgeweitet werden können, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten. Wenn es eine Oper in voller Länge gewesen wäre, hätte das so sein müssen. Aber auf jeden Fall fand ich, dass bei so einem Stück, weil es musikalisch und auch szenisch sehr schwierig ist, es gut war, einen Regisseur zu haben, der sagte: “Das will ich. Könnt ihr das machen?” Es war auch technisch ein sehr kompliziertes Stück, wir hatten eine Drehbühne, und deshalb gab es ein paar Punkte, die ich mit ihm besprechen musste. Er war da sehr angenehm im Umgang: “Versuch mal, dass du es irgendwie hinbekommst, und dann probieren wir das aus. Wenn ich sehe, dass es mir nicht gefällt, sage ich es dir.” Aber er sagte dann: “Nein, das ist gut, mach es so, dass es funktioniert und dass es vernünftig aussieht.”

Gibt es eine Rolle, die Sie gerne noch singen würden, eine Traumrolle vielleicht?

Thérèse Wincent: Eine Traumrolle? Ich würde sagen, ich habe schon eine Traumrolle gesungen: Anne Frank von Grigori Frid, eine Mono-Oper, die hier in München 2009 Premiere hatte. Das war eine fantastische Rolle, die würde ich gerne noch einmal machen. – Eine andere Traumrolle wäre Senta in Der Fliegende Holländer. Aber ich weiß nicht, ob ich jemals dazu komme, diese Partie zu singen (lacht). Aber das wäre eine Traumrolle, unbedingt.

Gary Martin: Wir haben sogar mal darüber gesprochen, diese Oper gemeinsam zu machen, Der Fliegende Holländer. Ich dachte früher immer, dass ich Rigoletto singen wollte, und das würde ich immer noch gerne, aber ich bin mir nicht sicher, dass das jemals in Erfüllung geht. Also bin ich offen für das, was kommt. Der Musical-begeisterte Teil von mir wollte immer Billy Bigelow in Carousel spielen, aber ich glaube, diese Zeiten sind vorbei. Also freue ich mich auf alles, was kommt.

Können Sie uns einen Ausblick auf die restliche Spielzeit geben, und vielleicht auch auf die kommende Spielzeit?

Gary Martin: Nun, derzeit singe ich, wie gesagt, bis in den April Joseph Süß, und ich glaube, das wird mir viel Freude machen. Es war sehr viel Arbeit, und gute Arbeit, und ich bin mit dem Endergebnis sehr zufrieden. Ich finde, da wurde ein gutes Team zusammengestellt. Am 22. April haben wir unsere Abschiedskonzerte, die derzeit noch im Planungsstadium sind. Anfang Mai singe ich den Germont in La Traviata in Ingolstadt. Im Mai und Juni singe ich den Ford in Falstaff, meine letzte Gärtnerplatz-Produktion, auch wenn sie im Prinzregententheater gespielt wird. Und das ist dann der Schlusspunkt meiner Zeit am Gärtnerplatztheater.

Dann habe ich ein paar Konzerte in Bayern und auf Mallorca. Ein schönes Projekt kommt 2013 in Bayreuth: Ein Team hat die vier Ring-Opern von Wagner zu einer zusammengefasst. Sie nennen es Der Ring an einem Abend. Ich soll in dieser Produktion Wotan, Wanderer und Gunther singen, und darauf freue ich mich sehr. Was danach ist, das lasse ich einfach auf mich zukommen.

Thérèse Wincent: Im Juni werde ich in Das schlaue Füchslein den Fuchs singen. Das wird meine letzte Produktion für das Gärtnerplatztheater sein; sie wird allerdings im Prinzregententheater zu sehen sein. Nach der letzten Vorstellung habe ich einen Tag, um meine Koffer zu packen, bevor ich nach Norden fahre und bei den „Neue Eutiner Festspiele“ in Die Blume von Hawaii die Rolle der Bessie singe. Die Premiere ist am 2. August, und dann gibt es noch weitere fünf Vorstellungen. Danach brauche ich Urlaub, glaube ich, bevor es weitergeht mit neuen und hoffentlich wunderbaren Dingen. An alle Intendanten da draußen: Greifen Sie zu, ich bin noch zu haben! (Lacht.)

Ganz herzlichen Dank Ihnen beiden für dieses Interview!

Gary Martin: Vielen Dank!

Thérèse Wincent: Sehr gerne!

(Dieses Interview wurde am 8. März 2012 in München geführt.)

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Interview mit Titus Müller

[singlepic id=1161 w=240 h=320 float=left]Lieber Titus, herzlichen Dank, dass du dich zu einem Interview bereiterklärt hast. Stellst du dich uns kurz vor?

Ich bin 34, lebe in München, und wenn ich nicht gerade Computer spiele, lese, einen Film gucke oder mit meiner Frau spazieren gehe, schreibe ich Romane.

Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Ich hab immer gern gelesen, auch als Kind schon. Ich war eine Leseratte, sozusagen. Habe aber nie darüber nachgedacht, wer eigentlich die ganzen Bücher schreibt und dass das auch ein Beruf sein könnte. Das kam bei mir dann so: Mit 17, 18 habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben, weil ich unglücklich verliebt war. Dann habe ich angefangen, Kurzgeschichten zu schreiben, und dann meinen ersten Roman so mit 22. Als ich 24 war, ist er veröffentlicht worden, das war Der Kalligraph des Bischofs. Während des Studiums habe ich drei weitere Romane veröffentlicht, viel geschwänzt, und nach dem Studium einfach weitergeschrieben. Ich hab nie anständig gearbeitet. (Lacht.)

Wie findest du deine Geschichten, oder finden sie dich?

Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt. Ich lese viel, ich rede mit Leuten, gucke mir Sachen an … So begegnen einem viele Geschichten. Das ist traurig, dass man weiß: Ich kann von all dem, was ich da Tolles sehe, nur eine begrenzte Menge aufschreiben und in Romanform bringen, weil mein Leben natürlich nicht endlos dauert. Deshalb muss ich immer auswählen. Ich habe einen dicken Ideen-Ordner mit Themen, über die ich gerne noch schreiben will, und rede immer mit dem Verlag und sage: „Das sind drei Sachen, die mir momentan Spaß machen würden. Was würdet ihr euch als nächstes wünschen?“ So geht es immer weiter.

Hast du einen bestimmten Schreibrhythmus, und was tust du, wenn es mal nicht so gut läuft?

Einen richtigen Rhythmus habe ich eigentlich nicht. Also keine festen Arbeitszeiten. Ich stehe morgens auf, wenn ich ausgeschlafen bin, setze mich an den Computer und murkele vor mich hin, bis ich in die Geschichte zurückgefunden habe. Dann schreibe ich ein paar Stunden, und am Abend höre ich auf. Ich habe natürlich ein Seitenpensum, was ich versuche, jeden Tag zu erreichen. Wenn das nicht klappt, bin ich ganz frustriert. Meine Frau sieht mir das schon am Gesicht an abends, sie weiß sofort, ob ich zufrieden bin mit dem Geschriebenen oder nicht. – Meistens, wenn man nicht vorankommt, hat das Gründe, die in der Geschichte liegen. Dann muss man herausfinden: Was passt nicht, welche Figuren verhalten sich vielleicht unlogisch oder sind nicht motiviert, nicht aktiv genug. Hat man das herausgefunden, geht es auch wieder gut voran.

Wie und wo schreibst du am liebsten? Brauchst du bestimmte Bedingungen dafür?

Ich schreibe gerne zu Filmmusik. Und ich kann sehr gut im Zug schreiben. Meine Frau hat schon ernsthaft vorgeschlagen, ich sollte mit dem Zug herumfahren, ohne Ziel, einfach so, weil ich da am produktivsten bin. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich im Zug keinen Internetzugang habe. Ich habe das bewusst nicht angeschafft, dass ich da ins Internet kann. Es klingelt kein Telefon, ich kann nicht zum Kühlschrank oder zum Briefkasten gehen. Im Grunde gibt es nur den Rechner und mich, dann geht es am besten. Man kann auch immer mal aus dem Fenster gucken, sieht die schöne Landschaft vorbeiziehen. Das ist der ideale Ort, und der zweitbeste ist mein Schreibtisch zuhause.

Hast du dann sozusagen einen musikalischen Soundtrack für ein Buch? Lässt du dich von Musik inspirieren?

Naja, es ist nicht so, dass ich ein bestimmtes Album während eines Romans immer höre, sondern ich weiß, jetzt kommt eine romantische Szene oder eine Action-Szene oder was auch immer, und dementsprechend suche ich dann die Musik aus, die ich an dem Tag höre. Ich habe ganz viele Filmmusik-Alben und wechsele die ab, weil es ja sonst langweilig wird.

Aber ausschließlich Filmmusik?

Ja, fast ausschließlich – ich überlege gerade. Also auf jeden Fall Instrumentalmusik, nichts mit Sprache, weil mich das ablenken würde. Afro Celt Sound System höre ich auch manchmal, das ist keine Filmmusik, aber reine Instrumentalmusik, zu der ich gut schreiben kann.

Hat das einen bestimmten Grund, außer dass es nur Instrumentalmusik ist?

Filmmusik ist dafür geschrieben, Emotionen zu wecken und einen innerlich aufzuwühlen, ohne dass sie sich dabei in den Vordergrund drängt. Man denkt nicht: Aha, jetzt spielt eine Oboe, oder: Da kommen die Hörner. Man konzentriert sich nicht auf die Musik. Das ist ideal für das Schreiben. Ich werde in eine emotionale Stimmung versetzt, ohne dass die Musik mich vom Schreiben ablenken würde. Ich komme in eine richtige Strömung rein, die mich weiterzieht. Das verhindert Ablenkungen, weil ich ja der Musik folge, sozusagen. Das kann man schwer beschreiben.

Welche Phase eines Buches ist für dich die anstrengendste?

Ich glaube, die anstrengendste Phase ist das erste Drittel. Denn in dieses erste Drittel fällt immer die große Enttäuschung: Auch das wird kein 110-prozentiges Buch, sondern ein 80-prozentiges. Wenn man eine Idee hat, denkt man sich immer, das wird DIE Geschichte, die wird die ganze Welt verändern! Dann schreibt man los und merkt, es wird ein guter Roman, aber auch er hat seine Schwächen. Entweder gibt es in der Dramaturgie irgendeine Schwäche, die sich nicht ausbügeln lässt, weil die Geschichte nun mal so geht. Oder eine Figur ist doch nicht so umwerfend, wie ich sie mir vorgestellt habe. Schwächen sind immer dabei. Dann muss man versuchen, die Stärken der Geschichte zu finden und sie zum Leuchten zu bringen, damit sie die Schwächen überstrahlen und es ein guter Roman wird.

In welchem Genre möchtest du gerne noch mal schreiben, und was hält dich bisher davon ab, es zu tun?

Vielleicht schreibe ich irgendwann einmal einen Roman, der in der Gegenwart spielt. Mich hält die Sorge davon ab, dass ich Sachen beschreiben müsste, die jeder in seinem Alltag erlebt. Wie kann man davon so erzählen, dass sie interessant sind? Wenn ich eine Zeitreise mache, dann ist für mich alles spannend: Was essen die Leute, was haben die an, wie sieht ihr Alltag aus? Aber wenn es heute spielt, dann muss die Geschichte auf eine andere Art spannend sein. Das Heute kennt jeder. Sollte ich jemals diesen Gegenwartsroman schreiben, wird es bestimmt eine abstruse Geschichte, damit sie trotzdem für mich reizvoll ist, auch wenn sie heute spielt.

Könntest du dir vorstellen, irgendwann mal einen „Love-and-landscape“-Roman zu schreiben?

Ja, das könnte ich mir gut vorstellen. Das Dumme ist nur: Ich habe nicht jahrelang in Kenia oder Australien gelebt. Nur mal ein Jahr in den USA. Amerika ist nicht exotisch genug, fürchte ich.

Welches Genre liest du selbst am liebsten, und hast du einen Lieblingsautor?

Ich lese alles durcheinander. Natürlich historische Romane, aber auch Science Fiction, Fantasy, Sachbücher, Klassiker, alles mögliche. Das brauche ich so. Wenn es jeden Tag Nudeln geben würde, wäre es mir auch langweilig. Ich gehe immer an das Regal mit den ungelesenen Büchern und denke: Worauf habe ich jetzt Lust? Und dann ziehe ich eines heraus. Ich habe auch keinen Autor, von dem ich sagen würde, das ist mein Lieblingsautor.

Und hast du literarische Vorbilder?

Auch nicht wirklich. Ich lese einfach viel, und von jedem lerne ich ein bisschen was.

Du hast ja historische Romane veröffentlicht und auch – im Stil von C.S. Lewis vielleicht –  Ratgeber-Bücher, die ich persönlich leider noch nicht kenne. Welches von den beiden bevorzugst du?

Die historischen Romane sind ganz klar meine Favoriten. Das ist das, was ich hoffentlich mein Leben lang machen kann. Es hängt natürlich auch davon ab, ob die Leute das Genre weiterhin lieben oder nicht. Die kleinen Alltagsglück-Bücher schreibe ich einfach, weil mir lustige Sachen passiert sind, die ich auch erzählen will. Sie passen in keinen historischen Roman, deshalb fasse ich sie alle paar Jahre zu einem kleinen sympathischen Büchlein zusammen.

Du wohnst seit kurzem in München. Gibt es eine Stadt, wo du dir vorstellen könntest zu leben, oder wo du gerne leben möchtest außer in München?

Ach, so viele! Ich würde gerne mal in Moskau leben, in London, in New York. In Berlin habe ich schon achtzehn Jahre verbracht, würde aber gerne auch dort mal wieder sein. Oder in Hamburg. Am liebsten würde ich immer ein paar Jahre in einer anderen Stadt verbringen. Ich habe Zigeunerblut. Aber ich habe eine Frau geheiratet, die kein Zigeunerblut hat, sondern feste Wurzeln. Das ist vielleicht auch einer der Gründe, warum sie so attraktiv für mich ist. Das heißt, ich bleibe hier und lebe meine Städteträume in den Büchern aus.

Wie hoch ist dein aktueller SUB?

Ich bin da bestimmt nicht so schlimm wie du. Ich habe, glaube ich, vielleicht siebzig ungelesene Bücher. Du wahrscheinlich siebenhundert.

Über 1100.

Wahnsinn! Das ist sicher eine schöne Bibliothek.

Du warst 2002 Mitbegründer der Autorenvereinigung „Quo Vadis“, die Vereinigung für Autoren historischer Romane. Was hat euch dazu bewogen, diese Vereinigung zu gründen?

Ich habe Ruben Wickenhäuser bei einem Treffen vom Schriftstellerverband kennengelernt. Abends liefen wir zur U-Bahn und haben gesagt: Mensch, für die Krimiautoren gibt es das Syndikat, und für uns, die wir historische Stoffe mögen, gibt es irgendwie nichts. Daraufhin haben wir Leute zusammengetrommelt, die historische Romane schreiben, und haben „Quo Vadis“ gestartet. Am Anfang war es für mich sehr, sehr wichtig, weil ich wenig Ahnung davon hatte, wie das Verlagsgeschäft läuft. Mein erster Roman stand erst kurz vor der Veröffentlichung. Da war es toll, von erfahrenen Kollegen zu lernen und zu hören, was eine übliche Auflagenzahl ist und was die anderen bezahlt bekommen. Wenn man sich  austauschen kann, ist das viel wert.

Demnächst jährt sich ja der Untergang der Titanic zum hundertsten Mal. Du hast in deinem letzten historischen Roman Tanz unter Sternen davon erzählt, er spielt zum großen Teil auf der Titanic. Kam dir die Idee zum Buch im Hinblick auf den Jahrestag, oder war das unabhängig davon?

Nein, ich wollte schon seit Jahren dieses Buch schreiben. Zuhause sind die Stapel an Büchern zur Titanic gewachsen und gewachsen, etliche hatte ich mir von einem Titanic-Fan schicken lassen, um mich in den Stoff einzulesen. Aber im Verlag hieß es immer: Warte bis 2012. Weil die natürlich den Jahrestag als Verkaufsargument im Blick hatten. Und so habe ich all die Jahre gewartet und nur ab und an Ausstellungen besucht. Und dann war es endlich dran.

Wie hat sich die Recherche gestaltet für diesen Roman?

Für Tanz unter Sternen musste ich sehr genau recherchieren. Es gibt Titanic-Freaks, die kennen jede Türklinke auf dem Schiff und wissen, wer in welcher Kabine gewohnt hat. Ich habe nach Lesungen Gespräche geführt über einzelne Passagiere und deren Lebenslauf. Die kennen alles. Also musste das möglichst stimmen im Roman. Bei Blessing sind sie ganz verblüfft, dass bisher sich keiner gemeldet hat und gesagt hat: „Hey, die Schraube dreht aber andersrum!“ oder so. Eigentlich haben sie damit gerechnet, bei diesem Thema. Vielleicht gibt es auch solche Fehler, und die Fans waren einfach nett genug, nicht zu meckern. Ich habe mich wirklich tief reingekniet, bis hin zu den genauen Bauplänen vom Schiff, wo ich geprüft habe: Wo geht die Fluchtleiter lang? Ich habe versucht, es sehr genau zu machen.

Bei diesem Unglück sind sehr viele Menschen gestorben. Hat dich das während des Schreibens emotional belastet?

Vielleicht ist es gar nicht so sehr der Tod – also dass ich sage: Oh, es sind 1.500 Menschen gestorben –, sondern mehr das einzelne Schicksal, das mich berührt hat. Wenn man eine Weile von jemandem liest, wird er einem vertraut, und man leidet mit ihm. Es gibt ja einige autobiografische Berichte der Überlebenden, und auch Berichte über Leute, die gestorben sind, von anderen, die sie noch in den letzten Stunden erlebt haben. Das geht einem dann schon nahe.

Sind diese Berichte auch ganz konkret eingeflossen in die Romanhandlung?

Als Rohmaterial, natürlich. Aber man kann in einem Roman nicht alles erzählen, was man recherchiert hat. Zum Beispiel kommen die Postbeamten nicht vor, obwohl sie mich seltsam berührt haben. Die Titanic hatte ja eine große Postabteilung mit vielen Postsäcken aus Europa, die unterwegs sortiert wurden. Als die ganzen Briefe schon im Wasser schwammen, haben die Postbeamten noch versucht, die Einschreibebriefe herauszufischen, mit der Begründung: Wenigstens die Einschreiben sollen zugestellt werden. Ein ähnliches stures Pflichtbewusstsein hatten die Heizer. Sie sind noch runter ins Schiff gestiegen, wo längst klar war, dass die Titanic untergeht, nur, damit sie die Kessel beheizen und der Strom länger läuft. So konnte länger um Hilfe gemorst werden und die Passagiere hatten Licht. Da sind Menschen sehenden Auges in den Tod gegangen, um noch anderen eine Chance zu geben.

Wann hast du dich entschieden, ob und wer deiner Protagonisten sterben muss?

Das hat sich während des Schreibens noch verändert. Ich hatte anfangs einen Plan – ich habe immer einen Plan, wenn ich losschreibe. Als ich dann dabei war, den Untergang zu schildern, ist alles anders gekommen.

Ist der 14.4.2012 dann jetzt ein besonderes Datum für dich?

Ich weiß nicht. Ich habe eher ein schlechtes Gewissen dabei. Überall wird jetzt von der Titanic berichtet, auf der Titelseite vom SPIEGEL, im Radio, im ZDF kommt ein neuer Titanic-Mehrteiler, die Kinos bringen den alten Film noch mal in 3D, und ich schwimme mit meinem Buch irgendwie in diesem Strom mit. Aber ich erzähle ja eigentlich einzelne Schicksale. Tanz unter Sternen ist an Personen angelehnt, die es wirklich gab. Mein Pastor, die Hauptfigur, ähnelt in vielem einem gewissen Pastor, der da wirklich auf der Titanic war. Deshalb das schlechte Gewissen. Das Leben von Menschen ist doch nichts, womit man Kohle macht! Andererseits ist es eben so, dass ich mehr Leute dafür begeistern kann, das Buch zu lesen, wenn es zu einer Zeit erscheint, wo sie sich sowieso mit dem Thema beschäftigen.

Aber wenn du eine historische Person zum Vorbild nimmst oder in deinem Roman mitbehandelst, dann ist es ja im Prinzip auch nichts anderes, du zeichnest ja dann auch den Lebensweg nach, oder?

Genau.

Ist es dann anders, weil es einfach so zeitlich nah ist?

Weißt du, ich fand das damals so blöd, als Der Schwarm erschien und kurz darauf der schlimme Tsunami passierte. Das gab mir einen bitteren Geschmack, zu merken, dass der Tsunami dem Verkauf vom Schwarm nützte. Ich weiß nicht, ob ich mich richtig erinnere, ob es da Talkshow-Auftritte von Frank Schätzing gab. Jedenfalls dachte ich damals: So etwas will ich für mich nicht. Aber irgendwie gehört man dann doch zum Literaturbetrieb dazu, wo es um solche Daten geht. Jetzt ist es hundert Jahre her, jetzt reden alle wieder darüber. Es ist eine Gratwanderung.

Dein soeben erschienener Roman Der Kuss des Feindes spielt in einer ganz anderen Zeit. War der Umstieg für dich schwer?

Das ist ja das Schöne an meinem Beruf. Ich kann überall mal hinreisen. Das hat mir großen Spaß gemacht. Ich freue mich auch schon auf den nächsten Roman. Jetzt schreibe ich ja gerade einen, der zur Nazi-Zeit spielt, und dann werde ich wieder ein Stückchen in die Vergangenheit zurückgehen. Das ist toll, diese Abwechslung zu haben. Für den Kuss des Feindes nach Kappadokien zu fliegen und durch die unterirdischen Höhlenstädte zu kriechen, war für mich ein herrliches Abenteuer.

Stellst du uns den Roman kurz vor?

Der Kuss des Feindes spielt um das Jahr 800 herum, es geht um den Kampf zwischen Christen und Muslimen.  Es gab ja auch Zeiten, wo sie friedlich zusammengelebt haben, was ich ein sehr ermutigendes Phänomen finde. Damals aber war es ein Kampf gegeneinander, weil sich die Christen nicht den Arabern unterwerfen wollten, die dort in der Region die vorherrschende Macht waren. Deshalb haben sich die Christen in unterirdische Städte zurückgezogen. Bis zu 10 Etagen tief, mit bis zu 10.000 Menschen in einer großen unterirdischen geheimen Stadt. Oben hat man dann die Eingänge mit Steinen verschlossen. Ich erzähle eine Liebesgeschichte, in der sich der Sohn des Hauptmanns dieses arabischen Heers, das die Stadt der Christen sucht, in eine junge Christin verliebt und auch den Zugang zur geheimen Stadt findet. Das kann er aber seinem Vater nicht sagen, weil ja dann die Stadt angegriffen wird.

[singlepic id=1162 w=240 h=320 float=right]Erzählst du uns eine Anekdote aus deinem Schriftstellerleben?

Ach, ich habe viel Lustiges auf den Reisen erlebt. So etwas steht dann in diesen Glücksbüchern, die du noch nicht kennst. In Leipzig beispielsweise hatte mein Anschlusszug mal 20 Minuten Verspätung. Deshalb bin ich in die Lounge gegangen, um per E-Mails abzurufen und ein bisschen zu arbeiten. Nach knapp 20 Minuten dachte ich: Jetzt sollte ich aber mal schnell zum Gleis runtergehen. Es gibt ja keine Durchsagen in der Lounge. Man weiß nicht, ob der Zug doch schon nach 15 Minuten fährt. Ich renne also zum Gleis, und da steht dran: Hannover. Ich steige in den Zug, die Türen gehen zu, der Zug fährt ab, und bleibt bleibt dann nach ein paar Minuten stehen. Mitten auf der Strecke. Ich denke: Hä? Normalerweise kommt eine Durchsage: Wir bleiben stehen, weil vor uns der Gleisabschnitt besetzt ist, oder sowas. Es kam aber keine Durchsage. Ich bin durch den Zug gegangen, und der war leer. Es war kein Mensch drin. Ich habe mit dem Handy die Hotline der Deutschen Bahn angerufen und habe das Problem geschildert. Die haben gesagt: Steigen Sie auf keinen Fall aus! Die Hotline hat den Bahnhof Leipzig angerufen, der Bahnhof Leipzig hat den Lokführer angerufen, der kam durch den Zug zu mir und ist mit mir über die Gleise den weiten Weg zurück zum Bahnhof gelaufen. Ich musste seine Warnweste tragen, so eine orangenfarbene, damit mich kein Zug erwischt. Er hatte nur noch seine schwarze Lederjacke an. Er sagte: „Wenn Ihnen was zustößt, bin ich geliefert.“ Im Bahnhof sind wir von den Schienen auf den Bahnsteig hochgeklettert. Die Reisenden haben mich angegafft. Zum Glück hat man mich nicht mit einer Ansage über die Lautsprecher begrüßt. Die haben mir später erklärt, dass dranstand: Ankunft aus Hannover, nicht: Abfahrt nach Hannover, und dass mein Zug auf ein anderes Gleis verlegt worden sei, das sei durchgesagt worden. Aber in der Lounge gibt es keine Durchsagen.

Du bist ein erfolgreicher Schriftsteller. Was ist das Schönste an deinem Beruf, und was ist das Nervigste?

Das Schönste ist, dass ich Sachen beobachten kann, über Dinge staunen kann, und dann kann ich es mit anderen Leuten teilen. Das ist natürlich toll, wenn einen etwas fasziniert, und man kann andere in diese Faszination mit hineinnehmen. Und das Nervigste ist vielleicht immer das Zittern: Wird der nächste Roman auch wieder seine Leser finden? Weil ja mein Leben darauf gegründet ist. Klar, ich könnte auch etwas anderes zum Lebensunterhalt machen. Aber seit zehn Jahren lebe ich vom Schreiben, und bin immer wieder gespannt: Wie kommt der nächste Roman an?

Meine letzte Frage: Gibt es eine Frage, die du schon immer beantworten wolltest, die aber noch nie gestellt wurde?

Bisher wollte nie jemand wissen, ob ich schon mal in eine Lehrerin verliebt war. Das war ich! In der Grundschule. In meine Deutschlehrerin.

Vielen Dank für dieses Interview!

Gerne!

(Das Interview wurde geführt am 3. April 2012 in München.)

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Interview mit Juan Fernando Gutiérrez

[singlepic id=1160 w=320 h=240 float=left]Sehr geehrter Herr Gutiérrez, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview auf unserem Blog “Nacht-Gedanken”. Erzählen Sie uns doch bitte etwas zu Ihrem Werdegang.

Ich komme ursprünglich aus Kolumbien. Dort begann ich mein Gesangsstudium, und in dieser Zeit wurde mir klar, dass ich diesen Beruf nicht nur erlernen, sondern auch ausüben möchte. In Kolumbien hätte ich als Opernsänger nicht so viele Möglichkeiten gehabt. Somit entschloss ich mich, nach Europa zu gehen. Ich bewarb mich in Wien und wurde aufgenommen. Daher begann ich dort mein Studium, das ich nach siebeneinhalb Jahren abschloss. In dieser Zeit machte ich verschiedene Produktionen: Neue Oper Wien in Wien und Holland, Haydn-Festspiele in Eisenstadt – eine schöne Produktion mit Adam Fischer – und andere. Nach meinem Universitätsabschluss kamen einige Wettbewerbe. Einer davon bereitete mir besonders viel Freude, das war der Wettbewerb in Osaka/Japan, den ich auch gewann, und unter den Preisen bekam ich von dem japanischen Publikum den Publikumspreis. In dieser Zeit bekam ich die Möglichkeit, im Gärtnerplatztheater vorzusingen. Es klappte, und so kam es zu meinem ersten großen Festengagement. Hier bekam ich die besten Partien, die man sich als junger lyrischer Bariton nur wünschen kann: Papageno in der Zauberflöte, Dr. Falke in der Fledermaus, Taddeo in L’Italiana in Algeri, Ottokar im Freischütz und so weiter.

Wie kam es dazu, dass Sie Sänger wurden?

Ich glaube, das hängt sehr stark damit zusammen, dass mein Vater auch singt, jedoch nicht professionell. Diese Liebe zur Musik, die Liebe zum Gesang ist ihm geblieben, und die vermittelte er meinem Bruder und mir. Wenn das in einem drin ist, kommt irgendwann der Moment, wo es erwacht. Bei mir war es so: Als ich 15 Jahre alt war, erwachte diese Neigung zur Musik, vor allem zum Gesang, ganz plötzlich. Damals begleitete ich mich sehr oft mit der Gitarre. Diese Liebe zu Musik und Gesang fing da an und entwickelte sich immer mehr, so wie auch mein Interesse für die Oper, bis ich mich entschloss: “Okay, ich möchte aus meiner Stimme alle Möglichkeiten herausholen, die sie zur Verfügung hat; da wäre die Oper oder auch das Konzertfach genau das Richtige.” Ich glaube, deswegen wurde ich Opernsänger. – Mein Vater war immer so ein Leitmotiv für uns. Mein Bruder ist auch Sänger. Er ist ein Jahr älter als ich, auch er hat eine lyrische Ausbildung, aber entschied sich für die Volksmusik, das ist mehr so seine Sparte. Jedes Mal, wenn wir uns treffen, sind zuhause also drei Baritöne zu hören.

Gab es irgendwann einmal eine Alternative beim Berufswunsch?

Ich glaube nicht. Nachdem ich angefangen hatte zu studieren, vor allem in Wien, gab es keine zweite Option. Zwar leidet man ein bisschen, wenn man es nicht so leicht hat – sprich: gute Kontakte, oder gute Möglichkeiten, oft auf der Bühne zu stehen. Denn es kommen immer wieder Gelegenheiten als Chorsänger, oder – weil ich aus Südamerika stamme – mit Volksmusik wie Tangos oder Boleros einfach Geld zu verdienen. Aber wenn man es wirklich als Ziel hat, auf der Bühne zu stehen, dann möchte man sich einen Weg schaffen, als Solist zu agieren – ohne Alternative.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Ich glaube, wir – nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika – sind sehr geprägt von mexikanischer Musik, argentinischer Musik, kubanischer Musik und selbstverständlich kolumbianischer Musik. Bei uns hört man jeden Tag zuhause noch Tangos, Boleros, Rancheras – das ist die Volksmusik aus Mexiko – und auch ich bin mit dieser Musik aufgewachsen und davon geprägt worden. Ich glaube, daraus habe ich auch viel gelernt, weil die Interpreten dieser Musikgattungen auch sehr gute Sänger waren und sind. Heutzutage kann man von vielen bekannten Künstlern wie Placido Domingo oder Juan Diego Flórez einige CDs hören, die ausschließlich für diese Musik aufgenommen wurden.

Welche Musik hören Sie heute?

Zu Hause wenig Oper, denn da versuche ich immer abzuschalten. Ich glaube, jede Art von Musik, die gut gemacht wurde. Ein gut gemachtes Werk bedeutet für mich im Fall von vokaler Musik, dass der Text gut ist, Sinn ergibt und dazu eine gute Begleitung hat – egal in welcher Form: entweder mit Kammerorchester, mit Tango- bzw. Boleroorchester oder Sinfonieorchester. Auf meinem i-Pod sind Rancheras, bekannte Tangos, spanische Zarzuelas – ich würde sagen: alles, was schön und gut ist.

Haben Sie das absolute Gehör?

Ich kann ein “La” ohne Stimmgabel singen: Laaaa. (Lacht.) Aber das absolute Gehör habe ich nicht. Ich habe ein gutes Gehör.

Sie haben vorhin gesagt, Sie haben sich mit der Gitarre begleitet. Spielen Sie noch andere Instrumente?

Leider nicht. Ich würde mich gerne mit dem Piano begleiten, aber ich konnte mit diesem Instrument nicht früh genug anfangen, und ich fand nie wirklich die Zeit, mich diesem Instrument zu widmen. Aber ich finde es toll, wenn ich sehe, dass jemand singt und sich mit dem Klavier begleiten kann. Ich kann mich wirklich nur mit der Gitarre begleiten, und das allerdings nicht profimäßig, sondern elementar.

Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?

Ich spreche Deutsch, weil ich mein Studium im deutschsprachigen Raum absolviert habe. Ich spreche Spanisch, das ist meine Muttersprache. In meiner Ausbildungszeit habe ich auch sehr oft in Italien studiert, dadurch kann ich auch einiges auf Italienisch. Englisch verstehe ich gut. Ich singe hauptsächlich in den Sprachen Französisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch und Englisch.

Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?

Vorbilder habe ich auf jeden Fall, und zwar Künstler, die sich jahrelang diesem Beruf gewidmet haben. Man bewundert die Qualität, die immer im Vordergrund stand. Placido Domingo ist für mich eines der besten Beispiele – nicht nur als Sänger, sondern auch als Künstler. Ich hatte auch das Glück, bei sehr guten Sängern gelernt zu haben, zum Beispiel Margareta Lilowa oder Franco Pagliazzi. Diese Künstler waren auch sehr wichtige “Standpunkte” für meine Entwicklung. Dadurch ist die Bewunderung für sie mit der Zeit immer weiter gewachsen.

Hatten Sie internationale Auftritte, abgesehen von Deutschland und Österreich?

Ich war als Gast in Holland mit einem Werk von Christoph Cech, eine moderne Version von Monteverdis Orfeo. Danach folgte ein Engagement in Bulgarien, wo ich mit dem Plovdiv Philharmonic Orchestra die Sinfonie von Zemlinsky sang; eine Konzerttournee in Ungarn folgte. Dann kamen Auftritte in Japan, unter anderem mit dem Hiroshima Sinfonieorchester, um Beethovens Neunte aufzunehmen. Es war ein unglaubliches Gefühl für mich, den Klang von über eintausendfünfhundert Choristen und das riesige Orchester auf der Bühne zu erleben – und wir, die Solisten, waren in der Mitte.
Die Japaner in Hiroshima haben sich dieses Werk ausgewählt und führen es traditionell jedes Jahr auf um der Atomkatastrophe zu gedenken. Als das Werk zu Ende war, bekam ich ein Geschenk von ihnen, eine Tasche, auf der stand: „Alle Menschen werden Brüder.“ Das fand ich besonders schön.
Ich bin auch Solist der Kolumbianischen Oper; voriges Jahr trat ich als Dr. Malatesta in Don Pasquale auf, und dieses Jahr werde ich mein Debüt als Leskaut in Massenets Manon geben.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem besonderen Lebensrhythmus und Arbeitsrhythmus eines Opernsängers ergeben?

Ja, ich glaube, ein Sänger, der ausschließlich vom Singen lebt, hat es nicht leicht. Jeder Ortswechsel, vor allem, wenn man Familie hat, ist schwer. Wenn die Kinder krank werden, dann leidet man auch mit. Wenn man sich für einen Gastvertrag irgendwo anders entscheidet, dann geht man von zuhause weg, vier bis sechs Wochen, und in dieser Zeit sieht man die Familie nicht, sieht man die Kinder nicht aufwachsen. Diese Dinge treffen einen Sänger auch. Der Stress, immer fit zu sein, der Stress vor allem heutzutage, wo alles immer perfekt aussehen muss. Ich glaube, das ist ein Druck, den jeder Sänger in sich trägt. Es gibt auch die Gefahr, dass man zuviel auf einmal macht, um keine Chance zu verpassen, aber das ist eine große Gefahr. Ich finde, ein Sänger hat vor allem eine große Belastung damit, einen echten Rhythmus zu haben. Wenn man sich entscheidet, ein Gastengagement woanders anzunehmen, dann muss man beispielsweise bei Kolumbien oder Japan mit einem Zeitunterschied von 6 oder 7 Stunden rechnen. Dieser ständige Wechsel belastet nicht nur die Stimme, sondern auch die Nerven. Also, ein Sänger hat es in dem Sinne nicht leicht.

Was tut Ihrer Stimme gut, und was mag die Stimme überhaupt nicht?

Es tut mir gut, wenn ich Werke zu singen habe, mit denen ich mich wohlfühle; nicht nur stimmlich, sondern auch, dass ich mich in dieser Partie oder dieser Rolle wiederfinde.
Ich finde es vor allem wichtig, die Möglichkeit zu haben, nach einer Vorstellung oder nach einer langen Probezeit immer wieder zur Ruhe zu kommen. Das ist aber nicht immer selbstverständlich. Und das, glaube ich, tut mir nicht gut.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Das Minimum, denke ich. Ich versuche zumindest, jeden Tag ein wenig Sport zu machen. Für meine Kondition versuche ich außerdem, auf meine Ernährung zu achten, so gut es geht. Ich gehe mit meiner Stimme sehr bewusst um, ich bereite mich für Partien gut vor, aber ich singe wenig, wenn ich zuhause bin. Es ist sehr oft mehr als genug, was man im Theater schon probt. Außerdem rauche ich nicht und trinke nur gelegentlich Alkohol, insofern sollte das schon ein Beitrag zur Schonung der Stimme und des Körpers sein.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie sehr diszipliniert leben müssen?

Es hat sich schon einiges geändert, wenn ich mein heutiges Leben vergleiche damit, wie ich als Student gelebt habe. Also, der Beruf verlangt auf jeden Fall mehr Diziplin: einen anderen Rhythmus zu haben, auf so viele Dinge achten zu müssen, die einem als junger Sänger fremd sind. Zum Beispiel: Wie komme ich mit einem Orchester zusammen, wenn man die Erfahrung nicht hat oder nicht ausreichend gemacht hat? Als Berufsanfänger war man ja noch nicht so oft oder nicht so regelmäßig auf der Bühne, dass man das alles selbstverständlich kann. Wie klingt meine Stimme auf der Bühne? Kann ich mit dem Gefühl gut umgehen, oder brauche ich ein bisschen Zeit dafür? Für all diese Dinge, die nur in der Praxis zu lernen sind, braucht man konsequente Arbeit, dafür braucht man natürlich ein bisschen mehr Disziplin. Wenn man schon im Beruf ist, sind zusätzliche Herausforderungen da, und ich glaube, um diese mit Erfolg zu erreichen, lebt man auf jeden Fall ein bisschen anders.

Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?

Zuerst lese ich das Libretto und erkundige mich, was für meine Partie geschrieben ist. Daraus ergeben sich Fragen wie: Was ist von meinem Charakter in dieser Rolle, die ich spiele, und was nicht? Was muss ich zusätzlich lernen? Ich glaube, ganz grundsätzlich gehe ich erst mal den Gedanken an: Wie bewegt sich diese Figur auf der Bühne, die ich jetzt darstellen werde? Welche Gestensprache verwendet sie, mit den Händen? Oder: Wie schaut die Figur, vom Blick her? Das sind die grundsätzlichen Ideen.
Danach kommt die Musik, auf die man besonders achten soll. Natürlich, je nach Komponist, ist die Musik ein zusätzliches Gewürz darin, das diese Figur formt. Ich versuche zuerst, diese beiden Punkte zu klären.
Dann kommt das dritte und Wichtigste für mich, und das ist die Technik dabei. Also: Wie singe ich diese Partie schön, echt, und für mich auch ökonomisch?
Diese drei Punkte zusammengenommen, das umfasst für mich in erster Linie die Vorbereitung auf eine Partie. Der Rest kommt mit der Erfahrung. Wenn man eine Partie gespielt hat, lernt man jedes Mal mehr davon.

Ihr letztes Rollendebüt hier am Gärtnerplatztheater war der Magus in Joseph Süß. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Ich habe sehr intensiv die jüdische Kultur recherchiert, um mir ein Bild zu machen, wie eine Person aus dem Judentum zum Beispiel sich beim Beten ausdrücken könnte. Da die Musik nicht leicht zu lernen war, habe ich ein wenig mehr Zeit gebraucht als sonst, bis ich die Partie im Körper gespürt habe. Es war auch nicht leicht, die Partie auswendig zu lernen. Ich lerne immer noch Neues darüber. Wenn Sie mich in einigen Wochen fragen, werde ich von den Erfahrungen berichten; die Partie ist immer noch frisch für mich.

Als Nächstes kommt bei Ihnen eine Lieder-Soiree. Erzählen Sie uns doch ein bisschen dazu, was da geplant ist.

Die Besucher unseres Konzerts werden sich unter anderem an wunderschönen, spanischen Melodien erfreuen, es sind Melodien aus Zarzuelas. Die Zarzuela “Luisa Fernanda” ist unser Schwerpunkt im ersten Teil.
Es kommen auch Melodien, die nicht zur Zarzuela gehören, aber die traditionell aus der spanischen Kultur stammen. Das Konzert heißt: “Das kommt mir spanisch vor”. Als Hauptspeise bringen wir spanische Lieder in allen Spielarten, gemischt mit Liedern, die aus den romanischen Sprachen stammen. Im zweiten Teil kommen verschiedene Rhythmen, die auch auf spanisch gesungen werden, aber die nicht unbedingt zu einer klassischen Gattung gehören, wie zum Beispiel Tango. Da haben wir auch eine kleine Portion von dieser schönen südländischen Identität in Südamerika: Die argentinische Musik. Komponisten wie Astor Piazzolla, einer der bedeutendsten Exponenten dieser Art von Musik, werden zu hören sein. Wir haben auch Boleros, Musik auf portugiesisch und französisch.
Ich werde das Konzert zusammen mit der Sopranistin Elaine Ortiz Arandes singen, eine lateinamerikanische Kollegin, die eine wunderschöne Stimme hat. Am Flügel wird uns Liviu Petcu begleiten. Es wird ein vielfältiges Programm sein. Mir persönlich macht es sehr viel Freude, den Kollegen, die mitwirken, genauso. Ich hoffe, die Zuhörer werden es auch genießen.

Das hört sich nach einem sehr spannenden Programm an. –
Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja, was tun Sie dagegen?

Unkontrolliertes Lampenfieber in dem Sinn habe ich jetzt nicht mehr. Das habe ich aber bei meinen ersten Bühnenauftritten erlebt: Diese extreme Nervosität, diese tausend Fragen: Schaffe ich es? Werde ich zufrieden sein? Wird das Publikum zufrieden sein? Dieser ganze Druck, den man sich selbst aufbaut, produziert dieses Lampenfieber. Wenn ich jetzt auf die Bühne gehe, ist eine Aufregung da, die aber, glaube ich, mir auch hilft, mehr dabei zu sein, aktiver auf der Bühne zu wirken. Ein bisschen dieser Aufregung, glaube ich, ist auch notwendig. Es hilft mir zumindest, die Einstellung zu haben, den Abend zu erleben und zu akzeptieren, so wie er kommt.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?

Das Beste für mich sind die unendlichen Gefühle, die man von der Musik mitbekommt, sich wachsen zu sehen in dieser Art von Leben. Sänger zu sein, ist eine bestimmte Art, das Leben zu leben. – Das Nervigste? Ich würde sagen, diese Ungewissheit, die man manchmal hat, wenn man im Beruf anfängt. Ich musste sehr oft umziehen, und um an die ersten Verträge zu kommen, musste ich sehr oft Vorsingen absolvieren; manchmal machte die Stimme oder die Gesundheit nicht mit, und somit war dann alles umsonst. Mit Familie sehnt man sich noch mehr nach Stabilität, sprich: dauerhaften Wohnort und fixen Arbeitsplatz. Das nicht immer zu haben, ist das Nervigste für mich, würde ich sagen.

Haben Sie eine Wunschpartie?

Eine Wunschpartie derzeit habe ich, ja. Ich würde sagen, es gibt keine Partie, die mir persönlich im italienischen Fach in dem, was wir Opera Buffa nennen, mehr Vergnügen bereitet als die Partie des Figaro in Il Barbiere di Siviglia. Die habe ich glücklicherweise erhalten. In dieser Rolle werde ich in Münster kommenden September debütieren.

Dann herzlichen Dank für dieses Interview, und alles Gute für die Zukunft!

Vielen Dank!

(Das Interview wurde geführt am 30. März 2012 in München.)

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[singlepic id=1158 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrte Frau Rabl, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben. Würden Sie uns als Erstes einen Einblick in Ihren Lebenslauf geben?

Ich habe ja schon als Kind angefangen, Musik zu machen, und das hat ganz klar mein Leben geprägt: Im Jugendorchester spielen, im Schulchor singen. Ich war mit den Orchestern unterwegs, bin gereist, habe eigentlich meinen kompletten Freundeskreis dort rekrutiert. Das war schon eine eigene Welt. Irgendwie war auch ziemlich früh klar: Ich werde Musikerin. Das ist zwar in unserer Familie nicht üblich, aber bei mir war es so eindeutig, dass es nie in Frage gestellt wurde. Da meine Eltern auch gerne Musik hören und selber machen, hatten sie nichts gegen meinen Berufswunsch –  dass es dann das Singen wurde, kam für sie dann aber doch überraschend.

Welche Instrumente spielen Sie?

Ich habe angefangen mit Geige. Dann kam irgendwann mal die Bratsche dazu, aus dem ganz einfachen Grund, dass ich so große Hände habe und die Mensur der Bratsche weiter ist, mir quasi auf den Leib geschneidert ist. Die Geige blieb mein Hauptinstrument, ich habe auch Abitur damit gemacht. Aber die Bratsche war eine Bereicherung, z.B. im Streichquartett. Mit elf Jahren habe ich angefangen, Horn zu spielen und bin im Orchester darauf umgestiegen, weil es das viel schönere Orchesterinstrument ist. Man spielt solistisch, und der Klang im Orchester ist einfach großartig.

Wie kam es dazu, dass Sie sich für den Gesang entschieden haben, als Berufswunsch?

Meine Mutter ist auch mit Oper großgeworden, und da liefen bei uns gerne mal Don Giovanni oder  die Fledermaus. Schon als Kinder haben wir die Adele mitgeträllert und Rosalindes „Damenührschenmacherschen“ mitgesprochen. Wir hatten auch sehr gute Chöre an meiner Schule. Dadurch habe ich das Chorsingen kennengelernt und gemerkt, dass es nicht unbedingt meins ist, aber dass Singen Spass macht. Dann gab es einmal, als wir mit der Klasse in Griechenland waren, den Besuch in dem antiken Theater Epidauros, das eine fantastische Akustik hat. Da habe ich etwas gesungen, und das war wirklich ein Schlüsselerlebnis, so dass ich mir dachte: „Ja, genau DAS ist es, und dafür möchte ich arbeiten.“ Danach habe ich mir eine Gesangslehrerin gesucht und das erst einmal heimlich betrieben, weil meine Eltern schon den Unterricht für die Instrumente finanzierten.

Und das Studium?

Das Studium ging nicht gleich nahtlos nach dem Abitur los, weil ich noch Zeit brauchte. Dadurch, dass ich relativ spät den Wunsch entdeckt habe zu singen, fehlte mir noch Gesangstechnik für das Studium an einer Musikhochschule. Um die Zeit zu überbrücken und  eine wirtschaftliche Sicherheit zu haben, habe ich eine Dolmetscher-Ausbildung gemacht. Das hat sich in doppelter Hinsicht gelohnt, denn dort habe ich Freunde gefunden, die mir den Kontakt zu Pamela Coburn hergestellt haben, die mir eine wunderbare Gesangslehrerin wurde.

Sie haben hier in München studiert?

Ja.

Wo haben Sie dann Ihre ersten Opernerfahrungen gemacht?

In der Pasinger Fabrik, Münchens kleinster Oper, schon während des Studiums.

Das war dann Kammeroper?

Ja, mit sehr kleinem Orchester, ganz nah am Publikum! Ich bin dort eingesprungen als Orlofsky in der Fledermaus, das war mein erster solistischer Auftritt. Dadurch habe ich Dominik Wilgenbus kennengelernt, der damals dort inszenierte, und dann sang ich auch in seinen nächsten Stücken immer mit: Hänsel und Gretel, Cenerentola, Die Welt auf dem Mond.

Wie kam dann der Wechsel zum Opernstudio des Opernhauses Zürich?

Ganz einfach durch ein Vorsingen gegen Ende des Studiums. Ich wurde glücklicherweise genommen, und dann bin ich nach Zürich gezogen.

Wie war das an diesem Haus? Wie lange waren Sie in Zürich?

Ich war ein Jahr dort. Das war ein schönes Jahr, und ich würde es wirklich immer wieder machen. Aber das Tollste war, alle Proben anschauen zu können im großen Haus und auch die Vorstellungen besuchen zu können, kostenlos auf einem Klappsitz. Die Großen beim Arbeiten zu beobachten, eben zu sehen: Wie singt eine Vesselina Kasarova, wie teilt die sich eine Probe ein, wenn sie Rosina singt? Oder Cecilia Bartoli zuzuschauen, wenn die in eine Probe kommt. Wie geht die mit dem Dirigenten um, wenn ihr etwas nicht so zusagt? Wie macht sie diese Rolle musikalisch? Das war schon ein Privileg.

Wie ging es dann weiter?

Dann kam relativ überraschend gegen Ende meines Zürich-Jahres das Engagement in Dortmund. Ich hatte mich eigentlich schon darauf eingestellt, wieder nach Hause nach München zu gehen, mit meinem Gesangslehrer zu arbeiten und vorsingen zu gehen. Ich hatte auch schon eine Wohnung in München gefunden, und auf einmal, schwupp, war Dortmund da. Ich bin dann nach zwei Monaten in München umgezogen nach Dortmund, wo ich drei Jahre im Ensemble war.

Da kamen dann auch direkt größere Rollen?

Stimmt, da kamen schöne Rollen. Gleich am Anfang meines zweiten Jahres habe ich dort Carmen gesungen. Mit 29 Jahren die erste Carmen, das war schon gewagt, aber es hat gut funktioniert. Und es hat Spaß gemacht. Hänsel war ja schon aus Pasing meine Leib- und Magen-Partie, und es waren noch viele andere schöne Partien dabei.

Dann kam 2010 doch wieder München.

Ja. Da war ich Freiberuflerin und wohnte in München. Das Angebot vom Gärtnerplatz kam, und ich habe mir gedacht: „Wie toll! Zuhause arbeiten! Kann ja nicht schöner sein.“

Welche Erinnerungen haben Sie jetzt an diese zwei Jahre, die Sie hier am Gärtnerplatztheater verbracht haben? Da waren ja doch einige Produktionen … oder Erlebnisse mit Kollegen?

Für mich war wunderbar … das muss ich jetzt einfach so sagen: die Zusammenarbeit mit meiner Freundin Heike Susanne Daum. Wir sind sehr gut befreundet, schon aus Dortmunder Tagen. Sie ist drei Jahre früher als ich an den Gärtnerplatz gekommen, und das gab einfach eine große Freude, als klar war, dass wir wieder an demselben Haus arbeiten würden. Fledermaus z.B. mit ihr zusammen zu singen macht soviel Spaß! Da hat man die Freundin mit auf der Bühne stehen, die man auch als Kollegin so sehr schätzt, und das macht richtig, richtig Laune. Auf Falstaff freue ich mich auch schon riesig! Ansonsten habe ich den Gärtnerplatz im Ganzen als sehr nett empfunden. Ich habe auch davor nie schlechte Erfahrungen gemacht und bin immer gut mit den Kollegen an den unterschiedlichsten Häusern klargekommen, aber die Stimmung hier am Haus war ab dem ersten Tag schon speziell: Speziell schön. Wirklich. Das hat etwas sehr Familiäres. Ab dem Moment, wo man durch die Tür kommt und vom Pförtner begrüßt wird, über die Ankleider, die Maske, die Kantine bis zu den Technikern. Jetzt hat die Stimmung leider sehr gelitten, mit dem Umbau und den ganzen Kündigungen, das ist deutlich spürbar. Aber gerade in meinem ersten Jahr war die Stimmung fantastisch.

Innerhalb der letzten Woche drei verschiedene Produktionen – L’Italiana in Algeri, Die Omama im Apfelbaum und jetzt das neue Musical Heimatlos. Wie bereitet man sich auf diese Abende dann vor, wenn man das in einer Woche zu singen hat?

Das sind nur die Abende, und dazwischen kommen noch die Proben, ich hatte gestern vormittag Falstaff-Probe. (Lacht.)  Ja, das ist ein echter Spagat. Ich kann für mich nur sagen: Ich bin regelmäßig bei meinem Gesangslehrer, Dietrich Schneider. Ich bin auch sehr froh, dass der in der Nähe wohnt, und dass er Zeit für mich hat. Bei der Italienerin letzte Woche habe ich mir wirklich den Luxus gegönnt, mittags rauszufahren, mich mit ihm einzusingen und abends dann die Vorstellung zu singen. Weil eben am Vorabend Heimatlos war, und das ist Musical, und stimmlich weiter weg als vom Musical kann Rossini-Gesang eigentlich gar nicht sein. Ich habe auch Heimatlos, obwohl es „nur“ Jugendtheater war, regelmäßig zu meinem Lehrer getragen und habe gesagt: „O Gott, Musical, was mache ich damit?“ Und dann hat er mir gezeigt, wie ich es zu singen habe.

Dann zu dem Musical Heimatlos: Eine Aufführung mit Solisten vom Haus, mit dem Jugendtheater und dem Seniorentheater. Wie gestalten sich denn da die Proben?

Wir proben normalerweise sechs Wochen szenisch, und diese Proben gingen viel früher los. Ich glaube, Mario Podrečnik hat schon zu Beginn der Spielzeit die ersten Proben mit dem Jugendtheater gehabt, weil er Szenen mit den Jugendlichen zusammen hat, die Krämerhalle und Harrys Traum. Meine Rolle ist jetzt nicht so viel mit jugendlichen Massen umgeben, sondern ich habe meine zwei Söhne Remi und Arthur, die um mich herum sind, und ansonsten ein paar von meinen Profi-Kollegen. Insofern haben sich die Proben für mich in Grenzen gehalten. Ich fand die Jugendlichen erstaunlich diszipliniert und gut vorbereitet. Da habe ich gar nicht so den Unterschied zu uns bemerkt. Zum Teil war es wirklich so, dass wir Profis noch mit den Noten in der Hand dastanden, weil wir so wahnsinnig viel Arbeit drumherum hatten, dass wir uns einfach nicht perfekt vorbereiten konnten im Vorfeld, und die Kids konnten alles. – Ja. Ehem. (Lacht.) Aber es waren schöne Proben. Klar, ein bisschen anders, als man es sonst gewöhnt ist, aber sehr schön, und eine echte Bereicherung.

Erzählen Sie uns doch noch etwas über das Stück.

Es ist ein buntes Stück, es hat wirklich von allem etwas, sowohl musikalisch als auch szenisch. Mir gefallen die Bilder sehr gut. Holger Seitz nimmt uns da sehr schön auch optisch auf eine Reise mit. Tolle Kostüme. Meine Kleider sind der Wahnsinn. Ich hatte zum Glück ganz früh Anproben, das heißt, ich wusste, als ich zu den szenischen Proben kam, was für eine elegante Erscheinung diese Lady Milligan ist. Ich wusste zum Beispiel, in dem Bootskleid kann ich mich eigentlich nicht bewegen, weil der Rock so lang und schmal ist, da kann ich nur klitzekleine Trippelschrittchen machen. So etwas hilft einem natürlich dann auch für die szenischen Proben, zu wissen: aha, so wird die Körperlichkeit angelegt sein müssen, weil die Kostüme das einfach bedingen.

Lady Milligan. Wer ist Lady Milligan? Gibt es Besonderheiten in dieser Partie?

Lady Milligan ist eine sehr edle, nette, unsagbar gute Frau. Ich komme manchmal von der Bühne, und unser Inspizient grinst mich an und sagt: „Du bist ja so gut, es ist kaum zu ertragen.“ Ich sage: „Ja, stimmt.“ Und ich hatte auch ein bisschen Schwierigkeiten, wenn ich während der Proben Milica Jovanovic gesehen habe oder Daniel Fiolka, die diese lustigen oder gemeinen Rollen haben, und es ist so toll und so unterhaltsam, und dann komme ich auf die Bühne, und ich bin einfach nur gut. (Lacht.) Also auch da muss man natürlich irgendwie verschiedene Schattierungen finden, trotz der ganzen Güte. Ich versuche über die Liebe zu meinen Söhnen oder auch ein bisschen mit Ekel dem Scheusal von Schwager gegenüber,  kleine Farben zu finden. Die Lady ist eine junge Witwe, sie hat einen behinderten Sohn und den als Baby entführten Sohn, dem sie nachtrauert. Also gibt es da eine grundlegende Traurigkeit, aber sie ist trotzdem eine Frau mit Freude am Leben. Auf der Bootsfahrt zum Beispiel genießt sie das schöne Leben, flirtet auch durchaus mal mit dem schmucken Captain. Dann kommen die Tiere an Bord, Holger Seitz hat mich viel mit ihnen spielen lassen, was mir  sehr entgegenkommt. Ich habe „in echt“ auch zwei sehr nette Hunde. (Lacht.) Die Lady ist eine sehr nette Figur, stimmlich aber sehr tief, und das in einem Musical, sonst nicht so meinem Genre. Ich habe die Noten studiert, nachdem Holger Seitz mich gefragt hatte, ob ich mitmache, und habe erst mal einen Schreck bekommen und gesagt: „Das ist ja barbarisch tief, ich weiß gar nicht, ob ich das singen kann.“ Dann bin ich es mit dem musikalischen Leiter Liviu Petcu durchgegangen, und wir haben gesehen, daß es doch geht… Die Rolle hat wirklich eine sehr große Tessitur, von ganz tief bis mittelhoch, eben musicaltechnisch zu singen. Das war für mich spannend zu erarbeiten.

[singlepic id=1159 w=240 h=320 float=right]Die Vorbereitungen auf eine neue Rolle, wie sehen die aus? Sie haben das mit dem Gesangslehrer schon erwähnt, aber da ist ja noch einiges zusätzlich, wahrscheinlich.

Ja. Ich bin gesegnet und geschlagen mit einem absoluten Gehör, und dadurch, dass ich so lange instrumental Musik gemacht habe, lerne ich sehr schnell, sowohl vom Notenbild als auch vom Hören her. Deshalb muss ich mich umso mehr mit der Gesangstechnik und dem Klangempfinden befassen, damit ich technisch „auf der Spur“ bleibe und nicht nachlässig werde.

Das Verhältnis zwischen Singen und Schauspiel auf der Bühne – wie sehen Sie das?

Da ich von der Instrumentalmusik herkomme, war Singen anfangs für mich eine hehre Kunst. Ich wollte auch gar nicht Oper machen, sondern sah mich in schönen, schlichten Kleidern auf der Bühne stehen und Konzerte geben. Meine Liebe zur Oper habe ich nach und nach entdeckt, dachte aber immer noch: „Prima la musica.“ Inzwischen –  da hat die Arbeit am Gärtnerplatz natürlich auch ihre Spuren hinterlassen – ist mir das Schauspielerische auch sehr wichtig geworden. Denn man muss die Leute einfach mitnehmen, und es gibt Menschen, die erreicht man eher über die Musik, und andere, die erreicht man eher über das Schauspiel. Dafür gibt es die Oper!

Haben Sie musikalische Vorbilder?

Es gibt Sänger, die ich gerne höre, richtige Vorbilder habe ich nicht. Eine der beeindruckendsten Opernaufführungen war für mich Lucia di Lammermoor in den neunziger Jahren hier in München mit Edita Gruberova. Als die ihre Wahnsinns-Arie anfing, hatte ich am ganzen Körper Gänsehaut und dachte: „O wie großartig!“ Ich weiß noch, dass ich mit Zuhörern diskutiert habe, die sagten: „Aber sie bewegt sich doch kaum, und sie macht doch nichts, und sie spielt doch nicht!“ Und ich sagte: „Aber es ist doch alles in der Stimme!“ Das hat mich wirklich sehr stark beeindruckt: Tolle Technik, ganz perfektionistisch, jeder Ton sitzt, ist ausgefeilt, kommt mit Emotion rüber.

Neben der Oper singen Sie regelmäßig Lied- und Oratorienkonzerte. Welchen Stellenwert hat das für Sie?

Das hat emotional einen hohen Stellenwert für mich. Während meiner Gärtnerplatz-Zeit bin ich leider nicht so viel dazugekommen. Das wird aber hoffentlich in Zukunft auch wieder mehr werden. Ich merke, wenn ich z.B. ein Weihnachtsoratorium singe, und das Orchester fängt an zu spielen, dass es innerlich bei mir „Aaah“ macht, und ich mir denke: „Oh wie schön, auch das ist meine Musik.“ Ich liebe die komplette Bandbreite von Oper, aber konzertante Musik ist wichtig und schön.

Gibt es eine Wunschpartie, die noch auf Sie wartet?

Wagner und Strauss auf jeden Fall, dieses deutsche, schwerere Repertoire. Absolut. Ich will unbedingt Fricka, Waltraute und Brangäne singen. Octavian und Komponist, ganz klar. Aber was ich hier am Gärtnerplatz durch L’Italiana in Algeri gelernt habe, ist, dass es mir Spaß macht, Rossini zu singen. Das heißt, wenn jetzt eine Cenerentola kommt oder eine Rosina im Barbier von Sevilla, dann freue ich mich sehr. Das tut mir stimmlich gut, und ich mache es inzwischen sehr gerne.

Können Sie uns zum Ende unseres Gesprächs noch einen kurzen Ausblick auf die Zukunft geben? Was kommt nach dem Gärtnerplatztheater?

Ich werde freiberuflich arbeiten und weiter den Weg in Richtung „dramatischer Mezzo“ gehen. Ich habe ja schon Fricka gesungen im Rheingold. Jetzt arbeite ich gerade an der Walküren-Fricka, und Brangäne und Waltraute stehen als nächstes auf der Liste. Es gibt einen Wagner-Wettbewerb in New York, den ich nächstes Jahr machen möchte.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview!

Sehr gerne!

(Das Interview wurde geführt am 21. März 2012 in München.)

 

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Interview mit Ella Tyran

[singlepic id=1154 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrte Frau Tyran, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben für dieses Interview. Können Sie uns bitte zu Beginn des Gesprächs einen Einblick in ihren Lebenslauf geben?

Zunächst habe ich bei der amerikanischen Sopranistin Carol Byers privat studiert und ging dann an das Konservatorium der Stadt Wien. Danach nahm ich wiederum Privatunterricht bei dem rumänischen Tenor Constantin Zaharia. Wie die meisten Sänger habe ich selbstverständlich auch an Meisterklassen verschiedener Sänger teilgenommen, unter anderem bei Mirella Freni, welche großen Wert darauf legte, dass die Stimme nach außen geht und nicht innen festgehalten wird. Patricia Wise dagegen war sehr auf Interpretation und Stilistik bedacht. Mit Raul Gimenez habe ich stark am Belcanto-Stil gearbeitet.

Was gab bei Ihnen den Ausschlag, Sängerin zu werden?

Um ehrlich zu sein, habe ich bereits als kleines Kind gesungen. Meine Mutter ist selbst ein sehr großer Opernfan und so lief bei uns zu Hause im Hintergrund ständig Oper – aber auch Operette. Aber ich war und bin auch noch immer sehr an Soulmusic interessiert. Zunächst wollte ich auch Soulsängerin werden, aber als ich zum ersten Mal Puccini gesungen habe, war es um mich geschehen und die Oper hatte mich nun gänzlich in ihren Bann gezogen. Das Wunderbare an diesem Beruf ist nämlich, dass es nicht nur um das Singen geht – obwohl die Stimme für mich immer an erster Stelle steht – sondern auch darum, einen Charakter darzustellen, eine Rolle zu interpretieren, mit allen Nuancen. Von glücklich bis zu Tode betrübt.

Wo haben Sie Ihre ersten Erfahrungen auf der Bühne gesammelt?

Ich habe Gilda im Teatro Pergolesi in Jesi gesungen. Zuvor hatte ich eine große Tournee mit der Pamina gemacht. In Indiana sang ich dann Traviata. Wichtig war für mich auch die Adina in Dresden.

Dann der Sprung an das Gärtnerplatztheater München?

Das war schon eine große Möglichkeit für mich, weitere Erfahrungen zu sammeln. Vor allem im letzten Jahr.

Geben Sie uns doch ein paar Einblicke in die Produktionen, die Sie am Gärtnerplatztheater singen und gesungen haben. Welche Produktionen haben besonderen Spaß gemacht?

Ein großes Vergnügen war und ist auf jeden Fall, die Adele zu singen, da ich vom Chef persönlich die Erlaubnis bekam, meinen Wiener Charme etwas einzubringen. L’Italiana in Algeri ist natürlich auch eine wunderbar farbenfrohe und heitere Inszenierung. Stimmlich auch eine Herausforderung, da die Tessitura vor allem in den schnellen Ensembles für die Sopranstimme ziemlich hoch liegt, sich aber hauptsächlich auf parlando beschränkt. Die Telemann-Oper Der geduldige Sokrates war auch eine sehr interessante Produktion, vor allem durch die Inszenierung von Axel Köhler, welche dem Stück einen wunderbaren Charme verlieh. Es war auch eine besondere Freude, in solch wunderbar glanzvollen Kostümen zu spielen. Mein Lieblingsstück war die Produktion der Philip-Glass-Oper Der Untergang des Hauses Usher. Die Zusammenarbeit mit Carlos Wagner war eine grossartige Erfahrung. In einem Workshop mit dem Butoh-Tänzer Tadashi Endo hatten alle Beteiligten zuvor Gelegenheit, zu lernen, den Körper auf eine ganz besondere Weise zu bewegen. Der Charakter der Madeleine gefällt mir auch sehr gut, da sie eine sehr düstere Erscheinung ist, die ziemlich viel durchmachen musste. Solche dunklen abgründigen Figuren faszinieren mich besonders.

Momentan sind Sie in vier Produktionen zu hören, Die verkaufte Braut von Smetana, L’Italiana in Algeri von Rossini, Der Untergang des Hauses Usher und Die Fledermaus. Viele Musikstile in kürzester Zeit, ein schwieriges Unterfangen, oder?

Um ehrlich zu sein, versuche ich nicht, meine Stimme dem Musikstil anzupassen. Das passiert ganz von selbst. Durch die Musik.

In der Rolle der Madeleine in Der Untergang des Hauses Usher von Philip Glass haben Sie keinen Text, nur Vocalisen zu singen. Wie haben Sie sich auf diese Rolle vorbereitet?

Ich ging Mitternachts auf Friedhöfe und legte mich zwischen die Gräber. – Kleiner Scherz. Nun, musikalisch gab es zunächst nur eine Möglichkeit: Zählen. Und sich an den Stimmen der Kollegen zu orientieren, da ich ja selbst keinen Text zu singen hatte, und die Musik ziemlich repetitiv ist. Um so wichtiger war es, jeder Phrase emotionale und ausdrucksmäßige Bedeutung zu geben. Emotional ist es natürlich nicht so einfach, sich vorzustellen, wie sich so eine gequälte Seele wie die der Madeleine fühlen muss, nachdem sie wiederholt von ihrem Bruder zum Sex gezwungen wird und immer wieder aufs Neue miterleben muss, wie ihr missgebildeter Nachwuchs vor ihren Augen getötet wird.

Gibt es für Sie einen Lieblingskomponisten oder ein Lieblingsstück?

Verdi gehört auf jeden Fall dazu, vor allem die Traviata. Aber auch Massenets Manon und die wunderbare Musik von Gounods Romeo et Juliette sowie Faust liegen mir sehr am Herzen. Wenn sich die Stimme in die Richtung entwickelt, vielleicht einmal in ferner Zukunft Leonora in Trovatore. Puccinis Rondine liebe ich auch sehr. Dieses Stück wird leider viel zu selten aufgeführt. Im Grunde lege ich aber immer mein ganzes Herzblut in jene Rolle, die ich aktuell singe. Nur so ist es mir auch möglich, alles zu geben.

Was ist das Schwierigste und was das Schönste an Ihrer Arbeit?

Das Schwierige an diesem Beruf ist, dass man von zu Hause weg ist und ein “normales Familienleben” nur schwer realisierbar ist. Aber zugleich ist es auch faszinierend, immer wieder neue Orte und Menschen kennenzulernen, neue Rollen zu singen und sich dadurch als Künstler und Mensch weiterzuentwickeln.

[singlepic id=1155 w=240 h=320 float=right]Haben Sie musikalische Vorbilder?

Maria Callas, Luciano Pavarotti, Mirella Freni, Placido Domingo.

Hören Sie in Ihrer Freizeit noch Musik?

Ja, aber eher Soulmusic und R&B, aber auch klassische Instrumentalmusik. Sehr gerne zum Beispiel Chopin und Bruckner.

Geben Sie uns noch einen Ausblick in die Zukunft. Wo können wir Sie in Zukunft im Konzert oder auf der Opernbühne erleben?

Es kommen einige Konzerte in Wien auf mich zu. Diesen Sommer im Juli auch zwei Gala-Konzerte in München im Herkulessaal. Eine Traviata in den USA, sowie auch in Rumänien. Einige weitere Projekte sind geplant, aber noch geheim.

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Interview mit Mario Podrečnik

[singlepic id=1037 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Podrečnik, herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, uns ein Interview zu geben, im Vorfeld des Familienmusicals Heimatlos, der letzten Premiere am Gärtnerplatztheater vor der großen Renovierung. Stellen Sie sich kurz vor?

Ich bin Mario Podrečnik, ich bin (noch) am Gärtnerplatztheater als Spieltenor engagiert und werde versuchen, in Zukunft dieses Fach weiter zu bedienen. Mal sehen, was in den nächsten Jahren auf mich zukommt, weil durch den Umbau und den Intendantenwechsel die ganzen Kollegen nicht verlängert worden sind, was mich natürlich sehr getroffen hat.

Erzählen Sie uns etwas über Ihren Werdegang?

Mein Werdegang? Das ist eigentlich ganz schnell erzählt. Ich habe nach dem Abitur in Kärnten am Anfang Pädagogik und Medienkommunikation studiert, was ich abgebrochen habe, weil ich an das Kärntener Landeskonservatorium gegangen bin und dort meine Lehrerausbildung zum Gesangslehrer gemacht habe, und später noch das künstlerische Diplom. Im Diplomstudium habe ich dann einen neuen Lehrer bekommen, das war Ronald Pries, der hier in München dreizehn Jahre lang an der Staatsoper gesungen hat. Der hat mein Talent erkannt und mich zum Vorsingen nach München geschickt, damals noch zu der ZBF. Die haben mich dann weitervermittelt, und ich kam im Jahr 2000 an das Stadttheater in Regensburg. Dort habe ich zwei Jahre gearbeitet und als Anfänger viele Produktionen gemacht. 2002 bin ich dann an das Pfalztheater nach Kaiserslautern gegangen, wo ich fünf Jahre lang gearbeitet habe, und nach dieser Zeit an das Gärtnerplatztheater.

Was wären Sie in einem anderen Leben geworden?

Also ich hätte schon mehrere Möglichkeiten gehabt. Da mein Vater ja bei der Post gearbeitet hat, und ich damals als Ferialpraktikant auch bei der Post als Briefträger gearbeitet habe, hatte ich schon eigentlich relativ weit meinen Fuß drin, und die hätten mich auch mit Handkuß genommen. Dann habe ich mir gesagt: “Nein, das ist nichts für mich.” Dann habe ich, wie gesagt, Medienpädagogik und Medienkommunikation studiert. Eigentlich hat mich nur die Medienkommunikation interessiert, weil ich damals auch schon bei einer privaten Firma in Kärnten gearbeitet hatte, als Kameraassistent, eine Firma, die im Auftrag des österreichischen Rundfunks Beiträge gefilmt hat. Da waren wir einige Studenten, und diese Studenten, mit denen ich damals diesen Job geteilt habe, sind heute bei der Firma als Kameraleute angestellt, und ich bin Sänger geworden. (Lacht.)

Wie kam dieser Schwenk von der Medienkommunikation zur Musik?

In unserer Familie wurde schon immer gesungen. Meine Eltern haben in einem großen Chor in Kärnten gesungen, haben im Kirchenchor gesungen. Als Kind und Jugendlicher habe ich natürlich im Kinderchor gesungen, im Jugendchor, im Schulchor. Später die erste Schulband, danach noch die zweite Schulband. Sogar Oberkrainer-Musik habe ich fünf Jahre lang gemacht, mit einem Kollegen, was auch eine interessante Erfahrung war. Aufgrunddessen kann ich relativ gut auch Musical bedienen, weil man einfach damit groß geworden ist.

Da möchte ich gleich einhaken: Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind? Eigentlich alles. Vom Hardrock bis zu den Schnulzen. Aber auch Oberkrainer, Volksmusik, Chorstücke, etcetera. Alles, eigentlich.

Haben Sie das absolute Gehör?

Nein. Aber man muss es nicht unbedingt haben. Man sagt zwar immer wieder, wenn man mal ein Stück gut einstudiert hat, dann trifft man komischerweise die Töne so, wie sie sein sollten, in der richtigen Tonlage, obwohl kein Orchester oder Klavier dich begleitet. Das ist eigentlich ganz interessant. Ob das das absolute Gehör wäre, weiß ich nicht. Aber es ist besser, es nicht zu haben.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe früher ein paar Jahre Klavier und dann noch Kirchenorgel gelernt; da war ich aber nicht so ein großer Meister. Das war eigentlich ausschlaggebend, dass ich dann angefangen habe zu singen, also, auch professioneller Art.

Hören Sie auch heute noch andere Musikrichtungen?

Ja, ich höre relativ viel. Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, habe ich halt immer die gängigen Sender an. Ich habe auch von kroatischer Popmusik bis hin zu Rockmusik, auch Klassik. Es ist total gemischt bei mir.

Sie gehören der slowenischen Volksgruppe in Kärnten an. Sie sprechen also Slowenisch, Sie sprechen Deutsch. Welche Sprachen sprechen Sie noch, und in welchen Sprachen singen Sie auch?

Ich singe relativ viel in Italienisch, obwohl ich des Italienischen leider Gottes nicht so mächtig bin. Ich habe es zwar ein bisschen gelernt, aber einfach nie Zeit gehabt, es richtig zu lernen. Natürlich, Englisch geht auch noch, so das Gängige, dass man überleben kann. Aber sonst, im Slowenischen und Deutschen, da bin ich eigentlich zuhause.

Haben Sie musikalische Vorbilder?

Musikalische Vorbilder gibt es natürlich irrsinnig viele, speziell auch Sänger, die man einfach bewundern kann. Für mich ist einer der besten Tenöre des letzten Jahrhunderts auf alle Fälle Pavarotti gewesen: Eine wunderbare Stimme. Wenn man mal als Sänger eine Krise hat – es war immer für mich: “Hör dir mal wieder Pavarotti an.” Diese befreite Art des Singens, die er einfach gehabt hat. Ich sage immer dazu: Wenn er den Mund aufgemacht hat, da hat man so das Gefühl, wie der Hals bei ihm eigentlich offen ist, so als ob man hineinschauen könnte: Was hat er eigentlich zu Mittag gegessen? Und es tut einfach der Seele des Sängers gut, so etwas zu hören, und man gesundet seelisch wieder daran.

Haben Sie eine Lieblings-Opernaufnahme?

Naja, Aufnahme – eigentlich nicht. Ich bevorzuge da eher mal das Live-Erlebnis der Oper. Und da ich ja Darsteller und Sänger bin, fühle ich mich eher auf der Bühne wohler als im Zuschauerraum. Ich probiere es ja immer wieder mal, den Kollegen zuzuschauen. Aber irgendwie habe ich den Drang, einfach auch selber auf der Bühne zu stehen, und der ist so entsetzlich stark in mir, dass wenn ich da im Zuschauerraum sitze und zusehe es einfach sowas von zu kribbeln in mir anfängt, und eigentlich will ich mitmachen.

Gibt es eine Lieblingsoper?

Oh, da gibt es einige. Für mich auf alle Fälle ist die Traviata eine meiner Lieblingsopern. Da hatte ich ja auch das große Vergnügen, in Klagenfurt nach dem Umbau des Stadttheaters noch als Student im Extrachor mitsingen zu dürfen. Damals war die Wiedereröffnung des Hauses mit Traviata in einer Inszenierung von Dietmar Pfleger, wo sogar der schlimmste Kritiker Österreichs, das war dieser Karl Löbl vom ORF, gesagt hat: Die schönste Traviata seines Lebens. – Und in dieser Produktion durfte ich damals mitmachen. Auch wenn ich nur ein kleiner Chorsänger war, aber das hat riesig viel Spass gemacht. Weil es einfach eine wunderbare, schöne Inszenierung war. Die Leute haben geweint bei Violettas Tod. Das glaubt man einfach nicht, dass eine Oper solche Emotionen auslösen kann, bei alt und jung. – Da war ich dabei. (Lacht.)

Sie sind in Deutschland und Österreich zu Hause. Hatten Sie auch noch andere internationale Auftritte?

Ich habe auch schon in Slowenien gesungen, weil meine Frau aus Slowenien kommt und ich da drüben einen relativ großen Bekanntenkreis habe, auch in der Musikbranche. Zwar jetzt nicht in der klassischen Musikbranche, sondern eher im Pop- und Rock-Gewerbe. Da wurde ich schon einigermaßen oft eingeladen, auch bei Veranstaltungen mitmachen zu dürfen.

Sie stecken jetzt gerade mitten in den Proben zu Heimatlos; die Premiere ist in etwas über einer Woche. – Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben? Zum Beispiel, wenn morgens eine Probe ist und abends eine Probe, oder eben abends die Vorstellungen. Das ist ja doch ganz etwas anderes als ein Nine-to-five-Bürojob.

Ja, es ist bekannt, dass wir in diesem Beruf vormittags proben und abends auch proben. Das ist halt eine besondere Belastung, die wir haben. Ab und zu denkt man, dass wir alle nur Spass machen. Aber wenn man dann so zusammenzählt, wie viele Stunden man eigentlich täglich unterwegs ist – nach Hause fährt, sich mal niederlegen nach der Vormittagsprobe, dann wieder hereinfährt, ins Theater kommt und wieder probt oder eine Vorstellung hat. Man kommt da schon mal auf über acht Stunden Arbeitszeit. Und das ist relativ viel, das kann auch sehr belastend werden. Speziell, wenn man in so einem Fach ist, wie ich am Gärtnerplatztheater bin, wo man ständig in irgendeiner Produktion drinhängt. Entweder Neuproduktionen oder auch Wiederaufnahmen, die wir ja en masse an diesem Hause haben. Das ist schon eine riesengroße Belastung. Natürlich hat man dadurch halt dann auch das Problem, wenn man einen neuen Job suchen muss, eine neue Arbeit suchen muss: Man geht im Endeffekt nicht ausgeruht zu den Vorsingen. Und das kann problematisch werden, das habe ich heuer selbst miterlebt. Das heißt, ich bin zu Vorsingen gefahren für Festengagements, und einfach aufgrund dessen, wo ich dann beim Vorsingen merke: Eigentlich dürfte ich gar nicht vorsingen, ich bin zu müde dazu. Jetzt habe ich aber zum Glück für Herbst eine Lösung gefunden, wie ich das jetzt mal als Übergang machen werde. Weil ich auch in diesen zwölf Jahren, die ich jetzt in diesem Berufsleben bin, sehr, sehr viel gearbeitet habe. Eigentlich zu viel, wenn man denkt: Zwölf Jahre, an die 900 Vorstellungen und über 50 Partien. Das heißt, so schon irrsinnig viel, und wo sind dann noch die Probenzeiten? Man muss ja das alles einstudieren, man muss alles auswendig lernen. Da habe ich mir gedacht jetzt für die Zukunft: was mache ich? Werde ich das weiter so führen wie bisher, oder – schauen wir mal, was passiert. Und jetzt hat sich gottseidank eine Lösung gefunden, für ein halbes Jahr mal: Ich werde in Kaiserslautern in einer Produktion im Weißen Rößl mitspielen, den Zahlkellner Leopold, und werde einfach diese Zeit mal nutzen, dieses halbe Jahr, um herunterzukommen, mich neu zu orientieren, mich vorbereiten, bei Agenturen vorsingen, bei Theatern, aber dann: ausgeruht.

Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie gar nicht?

Ich bin relativ belastbar. Das heißt, ich kann auch unter großer Belastung arbeiten, ohne dass ich stimmliche Probleme habe. Heuer war es leider Gottes so – ich vermute auch durch diese ganze Situation mit der Nichtverlängerung – da habe ich mir in diesem Winter zwei Infekte eingehandelt, die mir Probleme gemacht haben. War mal der eine Infekt weg, dann ging es wieder gut mit der Stimme, und plötzlich war der zweite da. Das hat wieder eineinhalb bis zwei Monate gedauert, bis man sich davon erholt hat. Ich bin jetzt zwar auch relativ müde, aber komischerweise: auf der Bühne macht der Körper so einen Energieschub, dass plötzlich Sachen gehen, wo man denkt: “Wow – dass das jetzt noch geht, trotz Müdigkeit, trotz leichter Krankheit, die man hat.” Und man kann auch nicht die ganze Zeit krank machen. Das geht halt nicht in unserem Beruf.

Brauchen Sie Kondition für Ihre Arbeit, und was tun Sie dafür?

Wer mich kennt, weiß genau, dass ich relativ viel mit dem Fahrrad unterwegs bin, mit meinem Mountainbike. In der letzten Saison, also im letzten Jahr, habe ich zusammen 3800 Kilometer mit dem Rad gemacht. Wo ich richtig auch anstrengende Touren gefahren bin in die Berge, und diese Kondition braucht man dann auch auf der Bühne, um durchzuhalten. Das wird man natürlich dann auch bei Heimatlos sehen. Und da denke ich mir jetzt schon, wo es jetzt langsam zum Ende hingeht, zur Premiere: Gottseidank habe ich was gemacht.

Sie legen sehr viel Wert auf die Darstellung. War Schauspielunterricht ein Bestandteil Ihrer Ausbildung?

Sagen wir mal so: Ich habe eigentlich schon vieles als Kind mitbekommen. Wenn man aber weiß, dass mein Großvater – den ich leider nie kennengelernt habe, weil er verstorben ist, bevor ich überhaupt auf die Welt gekommen bin – in der Gemeinde in Kärnten, wo er zuhause war, Theater gespielt hat, Regie geführt hat. Kulissen haben sie selber gebaut, die Kostüme selbst genäht, es wurde viel gesungen. Und komischerweise: dieses Talent ist über eine Generation rübergesprungen, und ich habe es wieder voll abgekriegt. Es steckt etwas in mir, was man teilweise einfach nicht erklären kann. Da war dann im Endeffekt die große Ausbildung zum Schauspieler eigentlich gar nicht mehr so gravierend. Ich wurde einfach gut geführt von den Leuten, mit denen ich im Studium gearbeitet habe. Die waren natürlich dankbar, dass da so vieles da ist. Woher das gekommen ist? Ich vermute mal, es ist vererbt.

Sie haben vorhin gesagt, Sie sind Spieltenor, aber Sie haben ein sehr großes Repertoire. Gibt es Unterschiede in der Weise, wie man an eine Buffo-Rolle herangeht oder aber an eine dramatische Rolle?

Erstens einmal ist auch wichtig das Konzept des Stücks: Was ist das für eine Partie, die man übernimmt? Ist es jetzt eine lustige Partie, ist es mehr eine tragische Partie, ist das jetzt eine böse Partie? Nach dem geht man dann auch an die Arbeit heran. Wenn ich sehe, wie jetzt der Harry in Heimatlos geworden ist – ich habe ja damals in Kaiserslautern die deutsche Erstaufführung dieses Stückes mitgemacht. Und dieser Harry ist diesmal ganz anders geworden als damals. Ich schätze, das kommt durch die Jahre, durch die Erfahrung. Man will halt nicht immer alles gleich machen. Man probiert einfach, neu an eine Partie heranzugehen, auch wenn man sie schon mal gemacht hat. Es ist dasselbe Thema mit dem Alfred in der Fledermaus, den ich auch hier am Gärtnerplatztheater singe: Der ist zwar, so wie man ihn kennt, immer gleich, aber im Endeffekt ist er hier ganz anders geworden als ich ihn schon mal gemacht habe.

Also, wenn Sie eine Partie noch mal wieder aufnehmen, sozusagen, in einer anderen Inszenierung, dann versuchen Sie eher, anders heranzugehen?

Einfach nur das Neue suchen, neue Akzente finden. Ich schätze mal, auch mit der Reife der Jahre sieht man plötzlich eine Partie ganz anders. Das hilft einem schon auch weiter, die Partie neu zu gestalten. Denn immer das gleiche machen, über Jahre einer Partie in verschiedenen Produktionen immer die gleiche Linie zu geben oder immer das gleiche Spiel, die gleiche Gestik zu geben, das ist uninteressant. Das wird langweilig. Lieber neu suchen, neu entdecken, neu spüren oder auch neu leben. Ich versuche ja, meine Partien nicht zu spielen, sondern zu leben. Und das ist vielleicht ein großer Vorteil, um authentischer zu wirken auf der Bühne.

Sie sind ja unglaublich vielseitig. Wenn ich mal ein paar Glanzlichter herausgreifen darf – der Pirelli in Sweeney Todd, der Prinz in Boccaccio, der Rolla in I Masnadieri – das sind ja drei ganz unterschiedliche Genres. Wie sehen Sie die Unterschiede, und auch die Herangehensweise?

Am Anfang kommt natürlich auch die Musik dazu: Was ist es für ein Genre, ist es Oper, ist es Operette, ist es Musical? Und dann schaut man aber auch an: Wo liegt die Schwierigkeit in den Partien, wo soll er hingehen, was sollen das für Figuren werden? Und natürlich, das freut mich ja, dass die Leute es sehen, dass ich vielseitig bin. Einen Pirelli zu spielen, der ein total durchgeknallter, falscher Italiener ist, in diesem Fall. Einfach auch diese Spielastik zu geben, die diese Partie einfach braucht. Diese komische, übertriebene Art des Spiels – wobei sich ja später herausstellt, dass es ja gar kein Italiener ist – und der dann nebenbei noch richtig schwer zu singen hat: die Partie besteht aus vier hohen C! Das weiß man gar nicht. Wo findet man sonst einen Spieltenor, der so etwas kann? Buffonesk zu sein, zu spielen, und trotzdem dann noch so sicher zu sein, um die vier C zu halten. Ist ein Wahnsinn. Gar nicht machbar. Wenn man aber wieder hernimmt: Die Musik von Verdi, I Masnadieri, der Rolla. Auch das Konzept des Regisseurs war so überzeugend für diesen Bösewicht – der Handlanger des Todes ist, der dann den Carlo verführt, damit er die Amalia umbringt. Das hat schon was. Da war immer der Hauch des Todes zu spüren, der über dem ganzen Stück schwebt. Es ist schwierig, Bösewichter zu spielen. Das ist gar nicht so einfach. Dabei trotzdem auch glaubwürdig zu bleiben. Aber das hat halt dann auch Spaß gemacht. Wenn man dann wieder zurückgeht zur Operette: in Boccaccio der Prinz. Das ist halt mehr diese lyrischere Partie, der Schönling, der auftritt, die Damen verführt. Oder sich auch verführen lässt, weil er etwas erleben will. Das macht Spaß. Darum macht dieser Beruf so viel Spaß: Man steckt halt nicht nur in einer einzigen Schublade. Man hat vieles zu machen. Man kann verschiedene Partien neu gestalten, anders gestalten, anstatt nur immer die gleiche Linie zu fahren.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Schauspielkunst und Gesangskunst auf der Bühne – was dominiert?

Ich würde sagen: Es darf nichts dominierender sein, es muss beides ausgeglichen bleiben. Natürlich, was den Text in einer Operette betrifft – die Dialoge sollen ja die Musik im richtigen Moment auslösen. Dann ist aber auch wichtig, dass die Dialoge gearbeitet werden. Nur manchmal hat man halt auch Regisseure, die leider Gottes speziell Musiktheater nicht gut führen können. Es darf nicht Schauspiel werden, weil Schauspiel wieder etwas ganz anderes ist, aber man muss einen gewissen Rhythmus in der Sprache entwickeln, in den Dialogen, damit man dann zu einem Punkt kommt, wo die Musik ausgelöst wird. Ich hatte vor Jahren mal eine Produktion gemacht, das war zwar keine Operette, sondern eine Spieloper, Die Entführung aus dem Serail, wo die Regisseurin sehr bedacht war, Schauspieldialoge zu führen. Bei der Bühnenorchesterprobe hat der Chef des Hauses dirigiert, der GMD höchstpersönlich; der hat während so einer Probe mal im Orchestergraben gestanden und hat nicht eingesetzt mit dem Orchester, hat sich umgedreht zu der Regisseurin und gesagt: “Ich fühle jetzt keine Musik.” – Weil irgendetwas vorher nicht stimmt. – Er sagte: “Ich fühle jetzt nichts. Ich weiß nicht, was für ein Tempo ich machen soll, damit das fließend übergeht.” Das sind so diese Momente im Leben, wo man sagt: Ja, man muss halt auch das Genre Operette oder Spieloper beherrschen, auch die Dialoge richtig führen. Jetzt nicht schauspielhaft, aber jetzt auch nicht übertrieben sängertechnisch gesehen, sondern einfach die Hinführung zur Musik sollte es bleiben. Das ist aber auch die hohe Kunst des Musiktheaters, und daran scheitern viele Regisseure.

Müssen Sie als Sänger sehr diszipliniert leben?

Auf alle Fälle sollte man schon diszipliniert leben, aber ich sage immer: Man muss wissen, was man im richtigen Moment machen kann. Man muss seinen Körper kennen, man braucht auch genug Schlaf. Man kann sonst alles machen, aber nur nicht übertreiben.

Wie bereiten Sie sich auf eine neue Rolle vor?

Ich bin da eher einer, der aus dem Bauch heraus arbeitet. Ich stelle mir jetzt nicht irrsinnig viele Fragen: Was ist das für ein Typ, woher kommt er? Ich probiere die Musik zu spüren, ich lese mir die Dialoge durch, und dann lasse ich es einfach aus mir heraussprudeln, aber schon ein bisschen mehr geführter. Und da ist halt auch wichtig, dass der Regisseur sagt: Was will er eigentlich haben, wohin soll das Ding führen? Wenn es aber nicht kommt – natürlich, die Begabung des Spiels ist einfach da, dass man dann eine Partie auch selbst erarbeitet. Ich hatte mal vor Jahren eine Produktion, das war die Zauberflöte, da habe ich den Monostatos gesungen, einzeln besetzt, und da war die einzige Regieanweisung, die ich vom Regisseur bekommen habe, dass er sagte: “Der Monostatos ist schlecht. Er hat einen Defekt: linkes oder rechtes Knie. Such es dir aus.” Ich bin damals auf der Probebühne gewesen, es war aufgebaut, wie die Bühne sein würde, mit Stufen, Gängen und so. Ich habe gesagt: “Moment!”, bin mal über die Probebühne gehuscht, über die Stiegen, runter, rauf, hin und her, und sagte: “Okay, rechtes Knie bleibt steif.” Und dann durfte ich eigentlich diese Partie für mich selbst anlegen. Er hat mir diese große Freiheit gegeben, es einfach selbst zu machen. Er hat mich dann nur noch geführt, indem er sagte: “In diesem Moment solltest du hier stehen, in diesem Moment solltest du da stehen, das andere passt alles. Danke.” Das ist natürlich auch lustig, wenn man die Möglichkeit hat, es einmal so zu machen. Und dieser Monostatos war – der hat so gelebt, der war auch so spritzig, so durchtrieben und frech, fast wie in Herr der Ringe, ein bisschen angelegt auf Gollum. Also, das hat schon viel Spass gemacht. Auch die Art, wie er dann gesprochen hat, ging schon in Richtung Gollum. Es war damals gerade diese Zeit, mit dieser Trilogie, Herr der Ringe. Das hat irgendwie super gepaßt. Und ich habe dann einige gute Kritiken bekommen. Zum Beispiel in einer Kritik stand, das war, glaube ich, in Wiesbaden: “Der heimliche Star des Abends: Ein in Bestlaune spielender und singender Monostatos.” – Das freut mich natürlich dann, wenn es so kommt.

Sie haben vorhin schon die Rolle des Harry Driscoll angesprochen, die Sie in der Produktion Heimatlos übernehmen. Erzählen Sie uns ein bisschen von Harry.

Harry. (Lacht.) Was soll man zu Harry sagen? Harry ist ein Drecksack. (Lacht.) Erstens mal ist er ein Gauner. Er ist verheiratet mit Maggie, also: Maggie und Harry Driscoll. Das sind hier die komischen Gauner, die den Auftrag kriegen, ein Kind umzubringen. Sie bringen das natürlich nicht übers Herz, sie verkaufen das Kind lieber weiter. Nur damit sie immer wieder zu Geld kommen. Ich weiß nicht, wie viel ich verraten soll, jedenfalls: es ist eine Paraderolle für mich, dieser Harry. Die Schwierigkeit liegt in dieser Partie auf alle Fälle in der Kondition. Der hat auch die zwei größten Nummern des Abends zu singen, die großen Shownummern. Aber er ist so ein Typ, der – wenn er Geld riecht, dann wird er, wenn ich das sagen darf: geil, er träumt von Frauen, er träumt von Sex. Er ist so ein Typ, so ein Schleimer, aber immer wieder kriegt er dann von seiner Frau einen auf den Deckel. Die holt ihn wieder zurück auf den Boden.

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation dieser Rolle?

Natürlich ist vieles von mir gekommen. Ich habe auch probiert, ihm eine gewisse Richtung zu geben. Man probiert ja einiges aus in der Probenzeit: Wie könnte man da noch – soll ich in diese Richtung gehen, soll er mehr gnomhaft wirken oder nicht? Soll er mehr ernst bleiben? Aber dann haben wir uns auch mit dem Regisseur dazu entschieden – der hat mir den Tip gegeben, mal dieses Koboldhafte eher wegzunehmen und geradliniger zu bleiben, weil der Harry authentischer wirkt, viel stärker wird, aber trotzdem lustig. Und natürlich mit seiner Frau zusammen, Maggie, die übrigens Milica Jovanovic spielen wird. Zusammen sind wir ein tolles Team.

Was gefällt ihnen am besten an dieser Partie, und gibt es da auch etwas, was nervt?

Eigentlich nervt in diesr Partie nichts! Denn so etwas wünscht sich ein Sänger oder auch Darsteller immer wieder mal, solche Figuren spielen zu dürfen. Das sind nämlich die Interessanten im Musiktheater, da steckt so viel drin. Die Figur braucht so viel Energie. Das kann einen gar nicht nerven. Es ist halt nur, das Nervige ist halt: du musst das echt proben, was wir da machen! Das kann ab und zu nerven. Aber es ist wichtig, dass es gut geprobt ist, um einfach auch glaubwürdig am Abend dazustehen. Dass der Funke dann rüberspringt auf das Publikum. Und ich hoffe, es wird klappen.

Da habe ich eigentlich keinen Zweifel. – Es ist ja eine Kooperation mit dem Jungen Theater jtg und mit dem Seniorentheater stg. Wie ist das, mit Laien auf der Bühne zu stehen?

Ich finde es natürlich irrsinnig toll, dass hier die Jugend einmal die Möglichkeit bekommt – speziell im letzten Jahr, dass sie einmal mit professionellen Sängern zusammenarbeiten. Zum Teil gibt es Kinder, die später einmal solche Berufe ergreifen wollen, Künstler werden wollen, Sänger, Schauspieler. Einfach auch zu sehen, wie man mit solchen Partien dann als Profi umgeht. Wie viel Energie man in solche Partien hineinstecken kann, die die Kinder noch nicht haben, aber vom Leiter des jtg einfach vermittelt bekommen, wie es sein sollte. Ich denke, dass die Kinder jetzt in dieser Probenzeit, die wir zusammen hatten, viel, viel, viel gelernt haben. Das finde ich natürlich toll, dass so etwas passiert. Und natürlich auch, dass das stg dabei ist, das Seniorentheater: einfach mal so eine Koproduktion mitzumachen. Auf der einen Seite kommt es auch vom Regisseur – er hat hier das Seniorentheater mal gemacht, er hat das jtg geleitet und auch mit Profis gearbeitet, und das ist jetzt auch ein schöner Abschluss für ihn: Die letzte Produktion hier am Haus, seine letzte Regie hier am Haus. Damit einmal alles unter einen Hut kommt. Ich finde das toll. Und die Kids sind recht gut drauf, wirklich. Das macht einen Riesen-Spass, mit denen zu arbeiten.

In welchem Alter sind die Jugendlichen?

Oh, ich glaube, von 14 Jahren aufwärts bis über 20 Jahre. 23, 24 Jahre, sowas.

Können Sie uns ein Detail aus den Probenarbeiten erzählen?

Ein Detail. Irgendetwas Lustiges? – Okay, ja, gleich am Anfang: Harry und Maggie Driscoll treten auf. Es kommt der böse Onkel James Milligan, der das Baby entführt hat und das Baby uns übergibt. Ich mache das dann eigentlich für einen Spottpreis. Und natürlich regt sich sofort Maggie auf, nicht? Maggie, meine Frau, haut mir dann gleich in dieser Szene eine richtige Ohrfeige herunter. – Es ist auch ganz spannend, wie gewisse Kolleginnen dann an dieses Detail herangehen: Wie haue ich ihm jetzt eine runter? – Wir haben uns langsam schön dahingetastet; ich habe gesagt: “Du kannst richtig schön zuhauen.” Jedenfalls bitte nicht aufs Ohr schlagen, sondern einfach mal schön auf die Wange, es kann ruhig knallen. Das tut nicht weh, wir sind in Spannung auf der Bühne, wir werden unter Adrenalin stehen. Das tut nicht weh. Und in der Zwischenzeit langt sie ganz schön zu! (Lacht.)

Haben Sie Lampenfieber, und wenn ja: was tun Sie dagegen?

Das hängt auch immer wieder davon ab, wie ein Stück geprobt ist. Wenn es gut geprobt ist, ist ein vernünftiges Lampenfieber immer vorhanden. Andererseits gibt es auch Abende – speziell, wenn ein Stück lange gelegen ist, dass man es lange nicht mehr gemacht hat, dass man besonders nervös ist. Aber das ist auch ein Zeichen, dann wieder unter höchster Anspannung zu arbeiten. Adrenalin wird ausgeschüttet, und dieses Adrenalin fördert die Konzentration, damit man da einfach besser spielen kann. Mir ist es auch schon passiert, dass ich Abende gehabt habe, wo ich relativ cool war, fast keine Nervosität vorhanden war. Diese Abende sind die schlimmsten. Da passieren so viele Sachen, die eigentlich sonst nie passieren. Also, eine gewisse kleine Nervosität ist immer wichtig zu haben. Sonst habe ich eigentlich damit keine Probleme. Man muss halt seine Partie ordentlich können, dann braucht man auch keine Angst haben vor nix.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?

Das Schönste in diesem Beruf ist, auf der Bühne zu stehen: Leute, wir machen Live-Erlebnis. Das heißt, wir bringen wirklich zweieinhalb bis drei Stunden Live-Unterhaltung. Du hast nur diese eine, einzige Chance am Abend, und die will man immer richtig machen. Natürlich, desto perfekter man ist – das ist so mein Ansporn: immer perfekt sein zu wollen, was aber nicht immer machbar ist. Wenn man so einen richtig perfekten Abend hat, sagt man: “Mensch, das war jetzt echt gut, das war super.” – Aber komischerweise, dann springt der Funke nicht so gut über beim Publikum, als wenn man so eine mittelmäßige Vorstellung hat. Das ist ein interessanter Effekt am Theater. Leiden die Leute mit einem mit, wenn man nicht so perfekt ist? Ich weiß es nicht. Eigentlich sollte unsere Arbeit perfekt sein. Wir haben das im Endeffekt auch gesehen in Grand Hotel, wie sich dieses Stück dann einfach höchst professionell eingeschliffen hat: Jeder hat an diesem Abend seinen Job toll gemacht, höchst professionell, und es wurde plötzlich ein großer Abend. Es war zwar nicht unbedingt mein Musical, dieses Grand Hotel, aber ich muss trotzdem sagen: Es war ein sehr guter Abend, jedesmal.

Und das Nervigste?

Das Nervigste ist – die Bezahlung. Das kann man ruhig mal sagen. Das Schlimme ist wirklich, dass zum Teil wir Künstler, speziell in den Festensembles, relativ schlecht bezahlt sind. Wenn man denkt, wie viel man arbeitet, speziell auch gewisse Fächer – so ist halt das Spielfach schlechter bezahlt als das lyrischere Fach, aber du hast trotzdem sehr viel zu tun. Wenn man dann die Relation hernimmt, was man verdient – das kann schon ganz schön nervig werden. Da spart die Kultur einfach zu viel. Aber komischerweise: bei uns kann man ja sparen. Das ist ja interessanterweise in jedem Theater so, dass bei den Künstlern, die Leute, die in vorderster Front auf der Bühne stehen – dort wird komischerweise zuerst gespart. Das ist ein großer Fehler. Das sollte sich die Kulturpolitik wirklich mal überlegen, ob sie das so weitermachen wollen. Wo andererseits dann in großen Häusern für sogenannte Stars große Beträge für einen einzigen Abend herausgeschmissen werden. Da denke ich mir: Wir machen auch unseren Job. Wenn man bedenkt: Die kleinen Stadttheater wurden vor ein paar Jahren zu den Opernhäusern des Jahres gekürt! Die Branche besteht nicht nur aus den großen Stars, sondern auch aus den kleinen Theatern, die irgendwo in der Provinz sind und Kunst und Kultur den Leuten bringen. Auch den Bildungsauftrag, den das Theater hat. Man könnte zum Beispiel auch die Theater hundertprozentig vollkriegen, wenn man nur solche Stücke spielt, die halt gehen. Aber ist das Kulturauftrag? Bildungsauftrag? Man muss auch Stücke machen, die unbequem sind, die halt nicht unbedingt Publikumserfolge sind. Und dann hört man aber: “Ja, das Haus ist ja nicht voll.” – Da denke ich mir: “Irgendetwas läuft in unserer Branche schief!” Und so etwas nervt mich am meisten.

Sie haben sich ja schon ein breites Repertoire erarbeitet. Gibt es noch eine Wunschpartie?

Aber natürlich! Die nächste Wunschpartie, die kommt zum Glück jetzt endlich mal auf mich zu, das ist der Leopold im Weißen Rößl. Auf diese Partie warte ich ja schon zwölf Jahre lang! Und eine zweite Partie, die ich auch irrsinnig gerne machen will, ist der Adam im Vogelhändler. Zwölf Jahre warte ich schon darauf, zwölf Jahre. Und er ist noch immer nicht gekommen! Ich hoffe, dass das jetzt mal passieren wird.

Dann bleibt mir eigentlich nur noch, Ihnen Toi-Toi-Toi zu wünschen für die Premiere von Heimatlos!

Danke schön!

(Das Interview wurde geführt am 7. März 2012 in München.)

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Interview mit Holger Seitz

[singlepic id=1150 w=240 h=320 float=left]Herr Seitz, vielen Dank, dass Sie die Zeit gefunden haben für ein Interview mit uns. Würden Sie uns als erstes etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Ich komme aus der Pfalz, aus dem Pfälzer Wald. Schule und so weiter war alles ganz normal, wie es sich gehört. Ich habe sehr früh angefangen als Statist und im Kinderchor im Theater meiner Heimatstadt Kaiserslautern und habe dort auch erste kleine Rollen gespielt. Dort wurde ich quasi entdeckt von unserer damaligen Oberspielleiterin. Dann habe ich so nebenher Ausbildung gemacht und danach über zehn Jahre an verschiedenen Theatern als Schauspieler gearbeitet. Seit knapp 20 Jahren führe ich hauptsächlich Regie: Kaiserslautern, Coburg, Baden-Baden, Wien, Stuttgart, Annaberg-Buchholz, Leipzig, Landshut und noch einige andere Stationen; ich bin ziemlich viel herumgekommen in meinen inzwischen etwas mehr als 30 Berufsjahren.

Gibt es Vorbilder für Sie in den Regiearbeiten oder von den Regisseuren her?

Nein. – Nein. Ich bewundere alle Kollegen, die aus einem Stück heraus, mit ihrer eigenen Phantasie dazu, größere Gedanken als unsereins sie denken kann auf die Bühne bringen und die das Publikum berühren oder unterhalten. Ich habe kein direktes Vorbild. Ich bewundere Menschen, die – wie soll ich sagen –auf der Suche nach einer Wahrheit sind. Ob das jetzt Regiekollegen sind, Darsteller, Schriftsteller, oder ein Pfarrer, ein Lehrer. Die Suche nach irgendeiner Art von Wahrheit, ob das eine politische, eine gesellschaftliche, eine emotionale ist: Je besser Leute es schaffen, das auf die Bühne zu bringen, egal in welcher Funktion, um so größer ist meine Bewunderung. Was ich auch noch sehr bewundere ist, wenn zum Beispiel Regisseure es schaffen, auch in einer menschlichen Art und Weise mit ihren Darstellern umzugehen. Was das angeht, habe ich, als ich noch selber Regie-gequälter Darsteller war, immer mal wieder so ein paar Tyrannen oder menschliche Wracks erlebt, die auf einen losgelassen werden und eigentlich nicht dem Ganzen dienen, einer Idee oder auch den Menschen, die auf der Bühne stehen – solche Selbstdarsteller, die waren eigentlich nie so mein Fall. Wenn ich Regiekollegen bewundert habe, dann die, die es schaffen, klug und menschlich vernünftig mit anderen umzugehen. Da gibt es doch einige. Darunter wären auch einige, die könnte man durchaus Vorbild nennen. Und Leute, die sich selbst treu bleiben und nicht irgendeiner Mode verfallen.

Wie bereiten Sie sich auf eine Produktion vor?

Das ist ganz verschieden. Als ich mal den Faust gemacht habe, da habe ich mich wirklich zwei Jahre intensiv damit beschäftigt, mit Sekundärliteratur, mit diesem, mit jenem. Da habe ich sehr wissenschaftlich auch gearbeitet. Das habe ich dann alles wieder vergessen und versucht, Theater zu machen. Theater soll ja in erster Linie spannend sein. Neben lehrreich und was weiß ich soll es wirklich spannend sein. Wenn man zu sehr akademisch und wissenschaftlich herangeht, dann kann der Unterhaltungswert ein bisschen auf der Strecke bleiben. Zum Beispiel so ein Stück wie Faust bereite ich sehr genau vor. – Hier am Musiktheater hat natürlich die Vorbereitung viel mit der Musik zu tun. Was sagt die Musik, was löst die Musik in mir aus, passend zum Text. Man sollte dann schon die Musik gut kennen. Bevor man anfängt, über ein Bühnenbild nachzudenken, sollte man sich überlegen: Aha, da ist das so besetzt; da kommt die Musik gewaltig, da muss das so und so sein; da auf der Schiene läuft dieses und jenes ab. Und dann gibt es Stücke, die fliegen einem zu. So ähnlich ist es ja bei Darstellern manchmal auch. Oder du liest ein Stück einmal und sagst: “Wow! Dafür habe ich DIE Idee. Das Stück will ich aus diesem bestimmten Grund machen.” Da ist, sagen wir mal, die Vorbereitung nicht so aufwendig. Wenn ich ein Stück inszeniere wie Omama im Apfelbaum, die Kinderoper – und ich würde mich selbst als Menschen bezeichnen, der mit knappen 50 Jahren noch sehr nah am Kind ist – dann fühle ich einfach die Figuren. Mit der Musik zum Beispiel auch. Dann fühle ich diese Figuren, und dann brauche ich nicht sehr nachzudenken. Da weiß ich: ich will in die Erlebniswelt eines Kindes eintauchen, ich mache mich auch dafür offen – dafür muss ich aber nicht tonnenweise Literatur wälzen. Was ich zum Beispiel für Mikado oder Die Piraten von Penzance getan habe. Um mir Hintergründe zu erarbeiten, um es dann ins Heute quasi zu übertragen.

Wie läuft dann die Zusammenarbeit mit Bühnenbildner und Kostümbildner ab? Ab welchem Zeitpunkt?

Das ist auch ganz verschieden. Hier am Gärtnerplatztheater – für Heimatlos, das Musical, mit dem wir jetzt im März Premiere haben, war die Bauprobe im Juli. Das heißt, der Bühnenbildner Herbert Buckmiller und ich haben im vergangenen April, also fast ein Jahr vorher, angefangen, darüber nachzudenken, welchen Stil wir machen und wie das Ganze aussehen soll. Es gibt ja immer noch Änderungen, aber so im Groben wussten wir ein Jahr vorher, wie die Ästhetik von dem Ganzen sein sollte. Und ähnlich ist es mit den Kostümen auch.

Wie gehen Sie auf Vorschläge ein, die von den Sängern kommen? Wie läuft da die Zusammenarbeit?

Das ist von Sänger zu Sänger verschieden. Es gibt Sänger, die von sich aus irrsinnig viel anbieten. Solange das in mein Konzept passt oder in mein Bild von Ästhetik … Ich meine, wir haben komische Talente, und ich fände es furchtbar, wenn ein Regisseur erst mal in diesem Bereich ein Talent unterdrückt und sagt: “Nein, nein, nein, das wird so und so gemacht.” Also ich lasse immer erst mal den Kollegen einen gewissen Vorlauf bei einer ersten Probe. Man redet so ein bisschen, und dann lasse ich sie mal loslegen. Dann versuche ich, die Angebote, die von den Kollegen kommen, in Bahnen zu lenken, wo wir alle gut damit leben können. Zum Beispiel im Bereich Komik kann es durchaus sein, dass mir der eine mal zuviel macht. Wenn ich dann sage: “Oh, das wird dann aber doch ein bisschen arg operettig!” – dann muss man ihn etwas einbremsen. Und auf der anderen Seite Darsteller, die (in Anführungszeichen) etwas seriöser sind, mal ermutigen, eine völlig bekloppte Figur zu spielen. Ich bin offen für jeden Vorschlag. Ich habe für fast alles eine Lösung – das ist auch mein Job. Aber oft haben andere Leute bessere Lösungen, und ich wäre ja völlig bescheuert, wenn ich nicht bessere Lösungen akzeptiere. Da muss man auch ganz uneitel sein. Wenn wir bei Heimatlos bleiben: hier habe ich eine wunderbare Kooperation mit unseren Solisten, zum Beispiel. Da habe ich das Gefühl, wir arbeiten Hand in Hand, wir sind auf eine Schiene gekommen und die fahren wir dann auch, und innerhalb dieser Grenzen arbeiten wir super zusammen. Das ist nicht immer so, aber im Augenblick ja.

Bei dem Musical Heimatlos ist ja das Junge Theater am Gärtnerplatz jtg dabei und das Seniorentheater stg und noch die Solisten …

Neben der Regie umfasst meine Arbeit hier am Gärtnerplatztheater ja auch alles, was mit Kindern, Jugendlichen und so weiter zu tun hat. Was jetzt passiert, ist eigentlich – ein Traum wäre vielleicht zuviel gesagt, aber: Es ist ein mögliches, erstrebenswertes Ziel, dass man zum Beispiel bei jtg und stg Generationen ein bisschen verbindet. Oder dass man durchaus auch sagen kann: Die Kids können profitieren, wenn sie zugucken: Hey, so machen das die Profis, so schnell können die was herstellen, wozu die Kids viel länger brauchen. Auf der anderen Seite: manchmal, wenn ich meine Jugendlichen sehe, mit welchem Einsatz die da herangehen, da kann sich ab und zu auch ein Profi was davon abschneiden. Da nehme ich mich persönlich auch gar nicht aus. Gerade wenn man den Beruf länger macht – Routine ist etwas Wunderbares, es kann aber auch eine erstarrende Routine sein, und da ist zum Beispiel für so einen alten Hasen wie mich das Zusammenarbeiten mit den Jugendlichen durchaus erfrischend. Natürlich sind die Profis gesanglich weiter, da brauchen wir gar nicht darüber reden. Aber das macht ja auch, finde ich, den Charme von so einer Arbeit aus. Wirklich, dass man lernen kann, dass man Ziele hat, dass man sagt: Hey, so möchte ich auch mal auf der Bühne stehen wie zum Beispiel Daniel Fiolka oder Milica Jovanovic. Also, es hat sich, denke ich, bewährt, und es gab vor allen Dingen auch keine Berührungsängste, keine Befindlichkeiten oder sowas seitens der acht Solisten vom Haus, die dabei sind. Könnte ja durchaus sein, dass … aber wir haben bei der Besetzung auch darauf geachtet, und ich habe jeden Kollegen, der mitspielt, gefragt: “Hast du Lust, dieses Abenteuer/Risiko mit den Jugendlichen einzugehen?” Also, es wurde keiner dazu verdonnert. Es hat auch ein Kollege abgelehnt, der wollte das nicht.

Bei dem Musical Heimatlos – gibt es da Besonderheiten, so wie es jetzt gestaltet ist?

Es ist sehr emotional, das Ganze. Der Stück-immanenten Gefühlsduselei versuche ich manchmal ein bisschen entgegenzuwirken, so dass es nicht kitschig wird. Ich finde, die Musik ist toll – das ist ja mit der Hauptgrund, warum ich dieses Stück ausgesucht habe: die Musik hat für mich fast “Les Miserables“-Qualitäten, durchaus ein bisschen was Bombastisches an manchen Strecken. Es hat eine tolle Mischung zwischen beschwingten und komischen Nummern, auch wirklich tollen Arien und tollen Chorszenen, und genau richtig dosiert Szenen, die man vertanzt. Was den Inhalt angeht: Man kann durchaus auch ein bisschen nachdenken bei dem Stück. Wenn ich sehe, der Kleine wird verkauft für 30 Francs. Ich denke automatisch, also ohne dass ich jetzt hinten einblende auf der Opera-Folie: “Arbeitende Kinder in Indien, die für den Westen Billig-Klamotten herstellen.” Also, wer will, der kann so Gedankengänge haben. Oder: was passiert mit einer Kinderseele? Was können da für Welten sich auftun? Wie kann man so ein zartes Pflänzchen Kind zertreten? Wie sind Kinder Spielbälle von anderen Interessen? Das wird alles nicht genau ausgesprochen. Wie gesagt, ich mache da kein modernistisches Theater, dass ich die Handlung jetzt nach Sri Lanka verfrachte oder so. Aber wer genau zuhört … Für mich ist das eine Werbung für: Geht gut mit Kinderseelen um. Gebt ihnen Heimat, gebt ihnen Liebe.

Es ist auch ein mutmachendes Stück. Es ist manchmal an der Grenze zum Kitsch, wie gesagt, aber: Was ist Kitsch? Ich meine: Eltern wissen, wie tief empfunden eine Liebe zu einem Kind sein kann. Und wenn dann plötzlich der Junge “bin vaterlos, bin mutterlos” singt und woanders bei Tieren und bei einem Komödianten, also einem Außenseiter der Gesellschaft eigentlich, wieder Liebe und Geborgenheit findet, das ist schon … Mir persönlich passiert es da immer wieder, dass ich durch die Stadt gehe und zum Beispiel das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern beobachte, und denke: “Hey, die waren ganz toll!” Theater kann da manchmal auch sensibilisieren, würde ich sagen. Das versuche ich dann auch zuzulassen. Das ist übrigens auch eine Art von Vorbereitung (um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie ich mich auf Stücke vorbereite). Wenn ich zum Beispiel weiß: ich mache ein Stück über Umweltverschmutzung. Dann filtriere ich Informationen, die in den Nachrichten kommen oder die ich lese, die filtriere ich dann ganz anders. Oder wenn ich ein Stück mache, wo es um Krankheiten geht, sei es jetzt Aids oder – ich habe mal ein Stück über Alzheimer gemacht. Und plötzlich bin ich ganz anders wach, was so eine Problematik angeht. Was für mich dann auch zu der Vorbereitung für so ein Stück gehört. Das läuft teilweise unbewusst ab. Ich gehe dann durch die Stadt und denke da, also wenn es um Umweltverschmutzung geht: Hoppla, muss man denn mit diesem 8000 PS-Auto durch München fahren? Oder: Muss der so schnell an der Ampel anfahren, wo er da dreimal soviel Sprit verbraucht? So laufen auch meine Vorbereitungen ab. Neben der Arbeit am Schreibtisch gehört es auch dazu, mit einem veränderten Fokus durch die Welt zu gehen.

Sie haben ja viele Inszenierungen hier am Haus gemacht. Gibt es da eine, die Ihnen besonders gefällt oder besonders viel Spass gemacht hat?

Es ist immer – oder meistens – die aktuellste. Sagen wir mal, von meinem politischen Bewusstsein war es das Stück, das ich mit der Jugendgruppe gemacht habe: Ab heute heißt du Sara, oder auch was ich ganz am Anfang mit denen gemacht habe, dieses chorische Sprechstück Das Dreivierteljahr des David Rubinovicz oder die literarischen/musikalischen Programme, das war von meinem politischen Engagement her mein Lieblingsding. Oder wenn ich dann etwas mache wie Zauberer von Oz, sage ich: Hey, das ist gute Unterhaltung für die Familie, oder auch mal mit einem höheren Blödsinn umzugehen wie Die Piraten von Penzance, das habe ich auch irrsinnig gerne gemacht. Aber so richtige Favoriten habe ich jetzt eigentlich nicht, wohl auch, weil ich gerade in einer aktuellen Produktion bin. Vielleicht ist in zwei Jahren zurückblickend Heimatlos mein Lieblingsstück, das kann ich jetzt noch nicht sagen.

Welches Stück würden Sie denn gerne mal inszenieren? Gibt es da ein ganz spezielles Stück, wo Sie sagen: Das würde ich gerne mal machen!

Eines wird man mir höchstwahrscheinlich erfüllen: Als Gastvertrag 2014 ist zum Beispiel König Lear von Shakespeare im Gespräch. Ich habe schon Shakespeare inszeniert. Ich liebe Klassiker. Da sage ich sofort Ja. Ich liebe auch Stücke, die ein bisschen was mit anderen Theaterformen zu tun haben. Ich würde zum Beispiel irrsinnig gerne mal ein japanisches Stück inszenieren und mich da befruchten lassen von anderen theatralen Formen. Oder was ich auch immer gerne gemacht habe ist italienisches oder französisches Theater. Im Bereich Oper würde mich durchaus einmal interessieren, wie zum Beispiel jetzt unser Joseph Süß, mal einen Glanert zu machen. Auch mit der ein bisschen kaputten Musik (lacht). Gerade nach fünf Jahren Gärtnerplatztheater, wo ich ja immer versucht habe, auch eine gewisse Wahrheit in den komischen Stoffen zu finden, drängt es mich jetzt ein bisschen nach ernsthafteren Stoffen und nach “großen Tragödien”. Wobei es Stücke gibt, zu denen hat man Zugang – also wenn man mir jetzt den Sommernachtstraum anbietet, um bei Shakespeare zu bleiben. Oder, wie gesagt, König Lear oder Richard III, da sage ich: Mache ich sofort. Ich könnte zum Beispiel mit dem Kaufmann von Venedig nichts anfangen, da müsste ich Nein sagen. Beim Musiktheater geht es genauso. Ich mache auch gerne Operette. (Es gibt dann aber bestimmt ein paar Operetten, die wären mir einfach zu blöd.) Sowas wie das Rößl, in dem Bereich. Die Zirkusprinzessin, sowas würde ich auch gerne mal machen. In der Oper würde ich mich langsam auch mal an ein paar ernstere Stücke trauen – muss nicht Wagner sein. Verdi oder so. So allmählich. Aber Wunsch-Stücke – nun, es gibt Stücke, die ich nicht mache, sagen wir mal so, weil ich sie inhaltlich teilweise nicht mehr vertreten kann oder keinen Zugang dazu habe. Aber ansonsten – Man verliebt sich in jeden Auftrag, würde ich mal sagen. Das muss auch so sein. Wenn man ein Stück angeboten bekommt – jetzt wo ich wieder gastieren gehen muss – man muss ja das Stück dann lieben, und das tut man dann auch.

Können Sie uns schon einen kleinen Ausblick auf die nächste Spielzeit geben?

Ich werde Die Piraten von Penzance machen in Hof. Ansonsten bin ich mit ein paar Leuten noch in Verhandlungen. Wie gesagt, König Lear oder Vogelhändler. Ansonsten bin ich ganz banal am Bewerben und Job-Suchen. Regisseure gibt es ja wie Sand am Meer. Wenn es nicht über Beziehungen oder Kontakte geht, oder Glücksfälle … Wie gesagt, ich habe jetzt 30 Jahre fast durchgearbeitet. Ich bin arbeitssuchend, aber ein kleiner Sabbatical, eine kleine Pause tut mir auch ganz gut. Ich habe ziemlich rangeklotzt die letzten 13 Jahre, eben auch durch die Jugendarbeit, weil ich da ganz viele Sonntage und Wochenenden gearbeitet habe. Ich bin da nicht abgeneigt, einfach mal ein bisschen durchzuschnaufen. Gärtnerplatztheater war auch sehr anstrengend jetzt die Jahre. Aber wenn Sie einen Intendanten kennen, der Gastregisseure sucht, der darf sich ruhig bei mir melden.

Ja. Vielen Dank für das Gespräch!

Gerne!

(Das Interview wurde geführt am 9. März 2012 in München.)

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