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Interview mit Wolfgang Schwaninger

[singlepic id=1139 w=240 h=320 float=left]Sehr geehrter Herr Schwaninger, herzlichen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben zu einem Interview. Würden Sie uns als erstes etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Ja. Ich bin ja mittlerweile – ich glaube 16 – oder sogar im 17. Jahr jetzt in meiner beruflichen Tätigkeit. Seit fünf Jahren bin ich nunmehr freischaffend, das heißt, innerhalb und außerhalb Deutschlands viel unterwegs. Ich habe vor fünf Jahren diesen Fachwechsel vollzogen und habe seither im Bereich Wagner etliches gesungen. Das ist also auch mein Schwerpunkt: Strauss, Wagner, und dann Ausflüge in andere Bereiche wie zum Beispiel Mahagonny, Weill, oder auch den Alba in Lulu singe ich sehr gerne. Mein Wirkungskreis hat sich die letzten Jahre auch ein bisschen weiter erstreckt, also ich bin jetzt auch viel im Ausland unterwegs. Es ist alles, wie jetzt gerade in dieser Situation, oft auch eine stressige Angelegenheit, gerade wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Ich habe also morgen noch einen Lohengrin, da habe ich schon etwas Bedenken, ob ich den morgen um 18.00 Uhr auch wirklich heil und gesund erreiche. Da müssen Sie mir ein bisschen die Daumen drücken.

Das machen wir. – Sie waren ja zehn Jahre Ensemblemitglied am Gärtnerplatztheater. Welche Erinnerungen haben Sie denn heute noch an diese Zeit?

Ich bin ein sehr großer Fan des Gärtnerplatztheaters. Ich bin ein Fan des Ensembleprinzips und bin sehr traurig darüber, dass nicht nur das Ensemble in den letzten 14 Jahren stark verkleinert worden ist, sondern dass es jetzt, nun ja, ganz danach aussieht, als ob man sich auch nach dem Umbau vom Ensemblegedanken komplett verabschiedet. Ich empfinde das als riesengroßen Verlust. Ich selber habe als junger Sänger sehr davon profitiert, und ich denke, das Publikum auch: Einen festen Stamm von bekannten Gesichtern und Sängern auf der Bühne zu erleben in verschiedensten Rollen. Ich finde dieses System erhaltenswert und bedauere das zutiefst. Ich wünsche dem Theater alles erdenkliche Gute und habe nur angenehme Erinnerungen an diese lange Zeit.

In dieser Zeit haben Sie viel Oper und natürlich auch Operette gemacht. Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Oper und Operette?

Von der musikalischen Seite her sind natürlich die Anforderungen an einen Opernsänger insofern komplexer, als dass es sich um schlicht die kompliziertere Musik handelt. Das heißt, es ist ein höheres Maß an Vorbereitung und ein höheres Maß auch an intellektueller Auseinandersetzung mit dem Werk nötig. Aber rein stimmlich gesehen sind viele Werke in der Operette sehr anspruchsvoll. Man denke nur an Lehar, beispielsweise. Gerade wenn wir bei Lehar bleiben: Ein Sou-Chong ist einfach schwer zu singen, Barinkay genauso. Auch Künneke ist durchaus stimmlich sehr anspruchsvoll, und nicht ohne Grund gab es eben diese typischen Karrieren wie zum Beispiel Siegfried Jerusalem, die auch mit Operette begonnen haben – nicht nur Rene Kollo, auch Siegfried Jerusalem hat sehr, sehr viele Operetten gesungen, sehr viele Einspielungen auch gemacht. Die Voraussetzungen an einen Tenor sind groß im Operettenfach, und deswegen ist es eine solide Grundlage für das deutsche Fach. Da die Operette aber nur ein absolutes Nischendasein noch führt und auch kaum mehr in einer Form aufgeführt wird, wo man sich wirklich ganz dem Sujet anvertrauen kann als Sänger, sondern sehr vieles abstrahiert wird oder auf eine ganz und gar andere Weise entgegen der Musik inszeniert wird, ist es heute leider nicht mehr so. Ich gebe der Operette deswegen keine große Zukunft. Ich glaube, das werden vielleicht noch drei Stücke sein, die da irgendwann mal gespielt werden. Wenn man nicht wieder den Aufführungscharakter ändert. – Eher wahrscheinlich wird man den ändern. Aber wir haben ja immer noch mit dem Regietheater zu tun; ich bin sehr gespannt, was da kommt. Da sind wir ja alle ganz hoffnungsfroh, dass es da etwas andere Ideen gibt in der Zukunft.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor? Ist das unterschiedlich, oder …

Nein, eigentlich ist es so: Neben der einfachen Tatsache, dass es immer schnelllebiger wird und es immer noch sehr viele Rollen gibt, die ich also neu lernen muss, wie zum Beispiel jetzt gerade den Peter Grimes, den ich zum ersten Mal in Münster mache, bedeutet das, je nachdem, wann man engagiert worden ist – ich sage schnelllebig, weil: sehr oft geschieht es heute, dass man ein paar Monate vor der Premiere noch gefragt wird, ob man noch Zeit hat. Das gab es früher nicht in der Häufigkeit; heute ist es gang und gäbe, auf den letzten Drücker Sänger zu engagieren. Das heißt, wenn man die entsprechende Zeit dafür hat, nimmt man sich mit seinem Klavier zuhause das Stück vor, später dann mit seinem Korrepetitor, dem Gesangslehrer, der Bibliothek setzt man sich hin, indem man begleitende Literatur eben auch nebenher liest, und beginnt dann, sozusagen die Noten zu fressen und sich hineinzuknien. Je nachdem, wie lange man Zeit hat – (lacht) oft muss man auch das eine oder andere überspringen – erscheint man irgendwann zu den Proben, und spätestens dann sollte man in der Lage sein, das einmal von vorne bis hinten durchzusingen. Also, ich halte ehrlich gesagt nichts davon – es gibt Kollegen, die sagen: “Ja, ich brauche mindestens zwei Jahre für eine Partie.” Ich muss sagen: ich kann das nur bewundern, wenn man das so systematisch vorbereiten kann. Ich habe nicht die Zeit dazu, beziehungsweise es ist so schnelllebig, dass ich jetzt nicht wüsste, dass ich in zwei Jahren Tannhäuser singe. Kann ich jetzt noch nicht sagen. Insofern gilt auch hier, was vielleicht in allen Berufen gilt: Es ist alles etwas hektischer geworden, das heißt, man muss auch hier schnell sein, schnell lernen können. Man darf sich nicht wundern, dass etwas an einem vorübergeht, wenn man sagt: “Nein, da habe ich nicht genug Zeit dazu.” Das kann man sich auch nicht erlauben.

Nun zu Mahagonny. Sie singen in Mahagonny den Jim Mahoney. Fanden Sie es schwierig, sich in diese Rolle einzufinden?

Nun, den Jim Mahoney singe ich jetzt mittlerweile hier am Gärtnerplatz im dritten Jahr, glaube ich. Das ist jetzt hier noch mal eine Serie von fünf Vorstellungen, dann ist das Stück abgespielt. Ich komme gerade aus Tel Aviv, wo ich auch den Jim Mahoney gesungen habe, in einer großen Produktion dort. Es ist mittlerweile das fünfte Mal, dass ich den singe, und ich muss sagen, ich habe also schon einiges an Erfahrung gesammelt, und deswegen fällt der Jim Mahoney mir nicht schwer. Im Gegenteil, der ist ein Charakter, der mir sehr ans Herz gewachsen ist. Also, es ist eine Rolle, die mir, denke ich, sehr gut liegt, und die mir auch immensen Spaß macht, weil es ein Werk ist, eine Rolle, welche sehr, sehr viele Schichten aufzeigt, von denen man dann in jeder neuen Begegnung mit dem Werk als Sänger wieder neue entdecken darf. Und das ist ganz außergewöhnlich schön: eben nicht einen Abschluss zu finden, sondern immer wieder neue Farben da herauszuholen aus dem Werk. Und auch die Regisseure sind immer sehr erstaunt darüber, wie dieses Stück erstens so wunderbar auf unsere Zeit paßt und wunderbar, wie ich jetzt auch erleben durfte, zum Beispiel nach Tel Aviv paßt, aber genauso in eine Metropole wie Istanbul, wie wir im Sommer mit unserem Gastspiel dort dem türkischen Publikum beweisen durften.

Wie waren die Reaktionen in Istanbul?

Das Publikum war äußerst aufmerksam und äußerst wohlwollend. Wie ich aus den Kritiken auch entnommen habe, waren sie von der Inszenierung, von der Art und Weise, wie wir das dargeboten haben und wie wir das vor allen Dingen auch umgesetzt haben in einer Freilichtbühne am Bosporus, sehr angetan. Das freut mich, denn dieses Stück ist es wert, überall auf der Welt gespielt zu werden.

In Tel Aviv war es wahrscheinlich ein Wagnis, oder?

In Tel Aviv ist es natürlich insofern … da möchte ich nicht sagen: Wagnis, aber es handelt sich um ein Stück, das auf Deutsch gesungen wird. Das stellt natürlich auch eine Herausforderung dar, mit der Übersetzung, mit den Übertiteln, mit der Vorbereitung, wie man an das Publikum herantritt, damit man diesen doch recht spröden, deutschen, tiefsinnigen und typisch in Brechtscher Manier aufgebrochenen Text richtig versteht. Das ist die große Kunst – man merkt gerade im Ausland, wie sehr Brecht und auch Weill, natürlich, obwohl er sich ja überall stilistisch bedient hat … da sind ja Elemente sowohl des Jiddischen drin als auch Elemente des Jazz als auch Zitate aus der Klassik … also, obwohl man es mit so einem Kosmopoliten zu tun hat wie Weill, ist es in der Deutung dermaßen typisch deutsch, würde ich mal sagen, dass das nicht jeder versteht. Auch den Brechtschen Geist versteht nicht jeder, und gerade diese textlichen Andeutungen, merke ich, muss man sehr, sehr dem Publikum deutlich und transparent machen. Das ist so ein Stück, welches wirklich so aufgeführt werden muss, dass die Kerngeschichte deutlich hervortritt, in ihrer ganzen Härte auch. Da hilft es nicht, auf der einen Seite eine Revue daraus zu machen – und auf der anderen Seite auch nicht irgendein anderes Stück, wie gerade zum Beispiel in Augsburg geschehen.

In Tel Aviv hatte ich es zu tun mit einer sehr aufwendigen, von Video und Licht her immens teuren und wertigen Geschichte. Interessant war, dass wir während der Produktion, das ganze Regieteam und das ganze Haus eben, genau das feststellten, was ich eben angesprochen habe: dass das eben kein Musical ist, dass das kein irgendwie gearteter Zwitter ist zwischen Oper und Unterhaltung, oder Oper und Operette oder Musical, sondern es ist eine Oper. Ich möchte es jetzt nicht musikwissenschaftlich begründen, ich möchte es vom Anspruch her begründen und von der Art und Weise, was für eine Aussagekraft dieses Stück hat. Und das würde ich mir wünschen, dass wir mehr Stücke dieser Art hätten, die auf so aktuelle Themen, die uns draußen bewegen, auch wirklich eine Antwort haben oder zumindest ein Statement abgeben. Das wurde dort im Laufe der Proben zum Glück erkannt, und deswegen war es auch für die Tel Aviver Oper, die Israel Opera, ein großer Erfolg.

Wie viele Freiheiten hatten Sie hier bei der Interpretation, bei der Produktion hier am Gärtnerplatztheater?

Ich hatte das Glück, dass der Regisseur, Herr Schulte-Michels, in mir einen Partner gesehen hat, mit dem er die Rolle entwickelt hat. Ich muss sagen, dass ich ihm da sehr dankbar bin, weil er nämlich sehr viele neue Akzente gegeben hat, mir aber im Gegenzug auch die Freiheiten gelassen hat, um das aus der Rolle herauszuholen, was ich denke, was drinsteckt. Insofern gibt uns der Erfolg ja auch recht: es ist ja sehr gut aufgenommen worden hier. Es ist ein, möchte ich sagen, ein Weill und Brecht angemessen wüstes Spektakel, das aber seine Unterhaltung hat. Ich sage das noch mal: ich möchte die Musik von Weill nicht in irgendeiner Weise schmälern, aber sie illustriert eben, sie steht begleitend zu dem Text. Das ist eigentlich das Wichtigste in diesem Stück, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Ich würde sagen, das ist ein Stück, das man wegen dem Libretto aufführt und weniger wegen der Musik, obwohl ich das nicht schmälern möchte, aber sie steht im Dienst dieser Aussage.

[singlepic id=1131 w=240 h=320 float=right]Jim hat Freunde, die ihm nicht helfen, nimmt das aber so hin. Glauben Sie, er hätte sich umgekehrt genauso verhalten?

Jim gehört zu der Spezies, die eine innere Entwicklung durchmachen. Jim Mahoney ist so etwas wie ein umgekehrter Messias. Wir haben ja massenhaft Zitate aus dem Alten und Neuen Testament in einer natürlich umgekehrten und fast schon karikierten Fassung. Und er ist derjenige, der ja auf die Schwächen eines Systems aufmerksam macht, eine Idee einer Revolution hat und daran kläglich scheitert am Ende. Ich glaube, dass er sich natürlich genauso verhalten hätte, als er noch Teil des Systems war. Er ist kein besserer Mensch als die anderen, er hat nur im entscheidenden Moment eine Idee, und alle folgen ihm. Und sein Problem ist, in seinem Konstrukt hat er eines vergessen; er hat vergessen, das Geld abzuschaffen. Weil: in seiner anarchischen Weltideologie stimmt alles, das ist richtig, aber er übersieht, dass das Geld die entscheidende Rolle spielt. Das ist sein Fehler, der ihn dann schließlich das Leben kostet. Ich glaube, eine aktuellere Aussage als diese kann ein Stück im Moment nicht haben, oder? Aber hätte er diese Katharsis sozusagen nicht durchgemacht, hätte er sich mit Sicherheit genauso konform verhalten, wie alle anderen es auch tun.

Er liebt Jenny, die ihm auch nicht hilft, obwohl sie weiß, dass sie ihn vermissen wird. Warum versucht er nicht, sie zu überreden?

Weil er weiß, dass es zu Ende ist, und er weiß auch, und sie sagt das auch in ihrem Lied: “Du hast mir doch gesagt: Denn wie man sich bettet, so liegt man … Und wenn einer tritt, dann bin ich es; wird einer getreten, bist du’s.” Und sie war eine gelehrige Schülerin. Er gibt ihr recht und sagt am Ende: “Ja, du hast recht, das ist das, was ich gesagt habe, und du bist nur dem gefolgt.” Jetzt kann man mal dahingestellt sein lassen, ob das nur eine Parabel ist, oder ob sie tatsächlich kein Geld hat, oder ob sie einfach in ihrer Welt dieses Gefühl nicht aufbringen kann. Dass sie ihm nicht hilft, ist aber absolut logisch und folgt genau den Gesetzen, die Jim Mahoney selber aufgestellt hat. Insofern kommt er zwar am Ende zu der Überzeugung, dass es wohl ein Fehler war, aber er hat schließlich keine Variante. Und er sagt nicht: “Es war ein Fehler, dass ich das vorgeschlagen habe.” – sondern er sagt nur fatalistisch: “Das Leben ist so kurz, genieße es.” Das ist in sich wieder eine Kapitulation und eigentlich noch mal ein ganz bitter-sarkastischer Hinweis darauf, dass sich wieder einmal nichts geändert hat.

Zum Abschluss unseres Gesprächs – könnten Sie uns noch einen Ausblick auf diese Spielzeit geben, was jetzt noch kommt, und was Sie so in der nächsten Spielzeit machen?

Im Moment bereite ich den Peter Grimes vor, der wird Ende März in Münster Premiere haben. Dann singe ich den Hüon in Oberon, ebenfalls in Münster. Das ist auch das erste Mal, dass ich mit dieser Rolle zu tun habe. Dazwischen habe ich einige Gastspiele, da sind etliche Lohengrin und hier am Gärtnerplatztheater noch Mahagonny. Da sind jetzt auch Planungen, über die ich jetzt noch nicht reden kann, aber es gibt an größeren Häusern Planungen für Fidelio, also für den Florestan einmal wieder. Ich werde im Jahr 2013 Tote Stadt dann wieder machen in Innsbruck. Ich werde Walküre in Taipei aufführen. Dazwischen wird sich das jetzt noch füllen mit verschiedenen anderen Sachen. Wie gesagt, es sind ein paar Sachen in der Schwebe, über die ich noch nicht reden kann, aber ich werde weiterhin fleißig sein – also mein Terminkalender ist gut gefüllt.

Sehr schön! Herzlichen Dank für das Gespräch, und alles Gute!

Ihnen auch! Danke schön!

(Dieses Interview wurde geführt am 18. Februar 2012 in München)

 

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