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Interview mit Robert Sellier

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Herr Sellier, vielen Dank, dass Sie die Zeit gefunden haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Vielleicht können Sie uns zum Einstieg etwas über Ihren Werdegang erzählen?

Mein Werdegang … Im allgemeinen oder an diesem Theater?

Im allgemeinen.

Ja, also, ich bin in München geboren, habe nach dem Zivildienst in Augsburg Gesang studiert, bin dann noch zu Studienzeiten sozusagen von Herrn Dr. Peters „entdeckt“ worden, in Augsburg. Der hat eine Hochschul-Produktion gesehen und hat mich daraufhin am Theater Augsburg für den Ferrando in „Cosi fan tutte“ und den Roderigo in „Othello“ verpflichtet und hat mir dann einen Vertrag angeboten hier am Gärtnerplatztheater.

Und wie ist dann hier die Entwicklung gewesen von Ihnen am Theater?

Entwicklung? Ich weiß nicht, wie weit Entwicklung … ich habe eigentlich in der ersten Saison schon tolle Partien singen dürfen. Es ist nicht so, dass sie mir erst mal kleinere Rollen gegeben haben und irgendwann später dann Hauptpartien – sondern ich war eigentlich von Anfang an in dem lyrischen Fach, also quasi erstes Fach, mit Tamino und Fenton und Almaviva, schon in der ersten Spielzeit. Genau. Aber das waren eigentlich alles nur Wiederaufnahmen. Erst in der zweiten Spielzeit war der Frederic in den PIRATEN meine erste wirklich große Premiere.

Nun kommt eine Neuproduktion von Sullivans PIRATEN heraus – Entschuldigung, MIKADO.

(Lacht.) Wir sagen auch immer aus Versehen PIRATEN, denn die PIRATEN haben sich so eingeprägt. Ich rede auch immer wieder von PIRATEN.

Erste Frage dazu: Waren Sie schon mal in Japan?

Nein. Ich war in Korea, in Taiwan und in Thailand, aber noch nie in Japan.

MIKADO ist ja Kritik an der damaligen britischen Gesellschaft in japanisches Gewand gepackt. Sehen Sie da aktuelle Bezüge?

Also, man kann natürlich dieses Stück sehr gut benutzen, um heutige politische Mißstände oder politischen Filz aufzuzeigen. Es geht ja sehr viel um Ämterhäufung und Ämterverstrickung und Korruption, und das alles. Das wird da sehr, sehr deutlich aufs Korn genommen. Und das ist, glaube ich, ein Thema, das nie ausstirbt. Korruption hat es immer gegeben. Solange es einen Staat oder eine Regierung gegeben hat, hat es Korruption gegeben. Sobald es Ämter gibt, gibt es Korruption. Sehe ich so.

Und da nimmt natürlich auch die jetzige Neuproduktion darauf Bezug, wahrscheinlich?

Ja. Es fallen nicht direkt Namen, aber ich glaube, das Publikum versteht schon sehr deutlich, dass das nicht etwas ist, was ausschließlich im 19. Jahrhundert stattgefunden hat.

Können Sie erklären, warum MIKADO das erfolgreichste Stück von Gilbert & Sullivan ist?

Da fehlt mir der Überblick. Also, ich kenne sonstige Stücke von Gilbert & Sullivan eigentlich nicht. Ich kann es jetzt nur mit PIRATEN vergleichen. PIRATEN ist auch ein fantastisches Stück. Ich finde MIKADO ein bisschen reichhaltiger noch. Es ist weniger romantisch, sage ich jetzt mal, sondern es geht wirklich mehr in Richtung Politik. Wahrscheinlich hat das einfach zu Gilbert & Sullivans Zeiten mehr eingeschlagen. Und weil die Handlung ein bisschen komplexer ist, und weil – die Texte sind absolut brillant, obwohl wir ja tatsächlich nur deutsche Übersetzungen haben. Aber auch diese Übersetzung, die wir vorliegen haben, ist ziemlich brillant, finde ich. Sowohl in den Dialogen als auch in den musikalischen Nummern. Und MIKADO ist länger als PIRATEN und, wie gesagt, komplexer.

In der Produktion – beziehungsweise in der deutschen Übersetzung – ist der Erzähler dabei. Hilft dem Ganzen das dann, durch die Übersetzung, und die Führung durch den Erzähler im Stück? Im Gegensatz zum Original – macht es das verständlicher?

Natürlich funktioniert das Stück auch ohne Erzähler. Aber ich finde unsere Version mit Erzähler sehr schön, eigentlich. Wenn es um Willkür, und auch um Beamtenwillkür und so weiter geht, haben wir dann eben noch die zusätzliche Ebene des Erzählers, der auch sozusagen willkürlich Figuren beeinflusst oder verändert, oder der einfach Szenarien baut. Das funktioniert sehr gut, finde ich.

Ist der Humor dieses Stücks englischer Humor, oder ganz allgemeingültig?

Es ist auf jeden Fall kein derber Humor. Es gibt ja Stücke, die dann eher so in der Mundart angesiedelt sind, selbst „Fledermaus“, wo der Humor manchmal eher derb ist, oder wenn es in Richtung Wienerisch geht, oder was weiß ich. Das ist – ich wollte jetzt schon PIRATEN sagen, nein (lacht) – das ist MIKADO nicht: Dieser Humor ist doch eher ein spitzfindiger, politischer, trockener und wahrscheinlich dadurch englischer Humor. Also diese Absurdität. Die Absurdität, die aber dann unterspielt wird. Wir befinden uns in ziemlich verrückten Situationen: Wenn z.B. verhandelt wird, wann genau Nanki-Poo enthauptet werden soll: in einem Monat. Dass er aber dafür Yum-Yum doch noch heiraten darf. Wie gratuliert man jetzt jemandem zu seiner Hochzeit, der einen Monat später geköpft wird??? Und all das wird ganz „normal“ verhandelt. In einem sehr hübschen, normalen Konversationston. Das ist, finde ich, etwas typisch Englisches: dass man sich über völlig bekloppte Situationen sehr gepflegt unterhält. Das finde ich sehr charakteristisch für den englischen Humor.

Was sind die Gemeinsamkeiten bzw. die Unterschiede zwischen den PIRATEN und MIKADO im Speziellen, wenn man die zwei Stücke vergleicht?

Naja, das Ganze – der Background ist irgendwie anders. Es geht, wie gesagt, in den PIRATEN sehr wenig um Politik. Da geht es vielleicht um Polizisten, die unfähig sind, um Generalmajore, die unfähig sind, um Piraten, die unfähig sind, weil sie viel zu freundlich sind. In „Titipu“ bzw. bei MIKADO geht es weniger um Unfähigkeit, sondern da geht es eher, ja, um individuelle Bestechlichkeit, jeder kocht so sein eigenes Süppchen. Es geht mehr um Egoismus. In den PIRATEN geht es darum: Die Piraten sind viel zu gutherzig und viel zu altruistisch eigentlich. In MIKADO ist jeder ziemlich egoistisch. Der eine häuft Ämter an, der andere ist, „nur“ um seinem eigenen Tod oder seiner eigenen Hinrichtung zu entgehen, selbst Scharfrichter geworden, und alle sind sie irgendwie scharf auf Hinrichtungen überhaupt. Die sind so ein bisschen „Kopf-ab-Fetischisten“, habe ich das Gefühl. MIKADO ist blutrünstiger, ein bisschen mehr für Erwachsene. Die Optik wird auch sehr hübsch sein. Aber bei den Piraten war unsere Optik natürlich sehr Postkarten-Piraten-Idyll. Bei MIKADO ist es tatsächlich eher eine fernöstliche Optik, relativ spartanisch, und mit vielen rechten Winkeln. Aber auch sehr ästhetisch, finde ich.

Und musikalisch gesehen die Unterschiede?

In der Qualität, finde ich, sind beide Stücke sehr gut, muss ich sagen. Es gibt, ja, wie es auch bei den PIRATEN gab, so Anklänge an Robert Schumann, an die deutsche Romantik, das haben wir in MIKADO genauso. Also, ich finde, beide Stücke haben absolut Hits und Hit-Qualitäten. In MIKADO sind noch mehr und auch größer besetzte Ensembles.

Gibt es also besondere fernöstliche Anklänge?

Ja, doch, es wird zitiert, aber man merkt, dass die nicht wirklich tief geforscht haben über fernöstliche Musik, sondern da kommen halt pentatonische Klischees (singt: lalala…), solche Dinger gibt es dann immer. Außerdem etwas Percussion: Ein Tempelgong, große Trommel, wenn dann der Mikado auftritt, dass man so ein bisschen dieses Martialische hat. Also – ein Klischee wird so ein Stück weit bedient. Aber die Musiksprache ist normalerweise doch sehr ähnlich wie bei PIRATEN. Also, sehr europäisch, muss ich sagen.

Wie hat der Regisseur Ihre Figur in dem Stück angelegt? Bleiben für Sie persönlich da noch Freiheiten in der Interpretation der Rolle, oder ist das vom Regisseur her sehr klar definiert?

Nein, es bleiben eigentlich immer Freiheiten. Es war nicht so, dass der Regisseur vorgibt, du musst genau das und das tun, und so schauen, und so gehen, und das und das fühlen. Dafür ist Holger Seitz eigentlich auch bekannt, dass er mit den Darstellern – dann auch mit beiden Besetzungen durchaus unterschiedlich – das gemeinsam entwickelt; eben weil der Darsteller seine eigene Körperlichkeit und seinen eigenen Erfahrungshorizont mitbringt, seine eigenen Qualitäten. Wir diskutieren schon über einzelne Farben oder über einzelne Reaktionen in bestimmten Situationen. Wie ist Nanki Poos Beziehung zu seinem Vater, kennt er seinen Vater überhaupt? Und so weiter. Und trotzdem ist die Arbeit doch in einem sehr positiven Sinne oberflächlich, das heißt, wir forschen nicht zu tief in der Psychologie der Figuren, weil dann die Komödie nicht mehr funktioniert. Also diese absurden Dialoge, die funktionieren nicht, wenn man alles psychologisch begründet und ganz natürlich spielt; sondern es muss eine gewisse Künstlichkeit im Sinne von Unterspielen haben, im Sinne von „trocken“. Klipp-klapp, hat es Holger Seitz immer genannt. Klipp-Klapp-Komödie. Es hat etwas von Boulevard-Komödie. Wo es einfach durchrauschen muss, ohne dass man groß nachfragt: Ja, was meine ich denn jetzt ernst?, oder: Wie ist das denn jetzt gemeint? An den Dialogen haben wir auch sehr viel geprobt, dass die wirklich auf Tempo sind und wirklich auf den Punkt, und dass jede Pointe sitzt, ja. Es war eine anstrengende und sehr schöne Arbeit.

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Wie ist das denn allgemein bei Ihnen? Es gibt ja die sehr schönen Seiten des Sänger-Daseins, aber auch die schwierigen Seiten. Wie würden Sie das sehen?

Also die schönen Seiten: Wenn man arbeiten darf, ja, wenn man als Sänger Arbeit hat, sich bei Proben einbringen darf, und vor allem wenn man dann am Abend singen darf, ist das wunderschön. Natürlich, dass man jedes Jahr, jeden Herbst, um seinen Arbeitsplatz bangt, manchmal zu Unrecht, manchmal zu Recht, jetzt in unserem Fall für alle zu Recht, ist natürlich eine unschöne Komponente. Aber das gehört dazu, und wir wussten das alle von Anfang an, dass man als Solist an einem deutschen Theater, wenn man nicht fünfzehn Jahre an einem Haus aushält oder ausgehalten wird, dass man dann einfach sich jederzeit auf einem Schleudersitz befindet. Das ist so.

Nun ist das ja ein krasser Schnitt jetzt gewesen, von dem neuen Intendanten, natürlich.

Ja.

Haben Sie da in Zukunft schon Pläne, wie es bei Ihnen weitergeht, allgemein, ein neues Engagement, oder Pläne für die Zukunft?

Ich habe schon Vorstellungen wie es weitergehen kann. Es gibt für mich Gründe – auch private, dass ich meine Zukunft sehr offen halten muss. Das heißt, ich werde wahrscheinlich nicht sofort wieder in ein festes Engagement gehen und suche auch nicht unbedingt danach, sondern ich würde gerne freischaffend tätig sein und meine Konzerttätigkeit auch weiter ausbauen, die nächsten zwei Jahre vielleicht. Wer weiß. Vielleicht möchte ich mich dann doch wieder an ein Haus fest binden, ich weiß es noch nicht.

Mit neuen Rollen, die noch dazukommen?

Ja, es gibt schon Rollen, die mich in Zukunft mal interessieren. Ja. Trotzdem gibt es auch Rollen, die ich jetzt natürlich einfach weiterhin singen sollte. Ich denke, ein Haus, das sich sozusagen für mich interessiert, wird sich wahrscheinlich auch für meinen Tamino interessieren, weil das im Moment doch meine Vorzeige-Rolle ist.

Und neue Rollen, die Sie im Blickfeld haben, die kommen?

Ja, da träume ich schon sehr lange davon: Ich möchte einmal einen Monteverdi-„Orfeo“ singen. Ich weiß noch nicht, wann und wie und wo das passieren wird, aber ich halte Augen und Ohren offen nach einer Gelegenheit. Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt, was ich dringend mal machen möchte. Was mich sonst noch interessieren würde, das liegt noch an unserer „Death in Venice“-Produktion: Dieser Britten hat es mir sehr angetan. Ich würde gerne mal in die Fußstapfen von Peter Pears treten und nach jüngeren Rollen von Peter Pears forschen. Britten hat natürlich für seinen Lebensgefährten so fantastische Partien geschrieben, und da werde ich mich auch darum kümmern die nächsten Jahre, da ein bisschen was zu studieren.

Dann wünsche ich Ihnen für die Zukunft und vor allem für die Premiere am Samstag alles Gute, und bedanke mich für das Gespräch!

Vielen Dank auch!

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