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Portrait Sebastian Leitner

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Der junge österreichische Filmemacher Sebastian Leitner ist seit 2004 in der Kreativszene tätig und leitet seit Anfang 2008 eine Filmproduktionsfirma. 2006 lernte er Aleksey Igudesman kennen und half bei der Veröffentlichung Igudesmans erster Show auf DVD mit. Seitdem arbeiten die beiden zusammen. Sebastian ist bevorzugt als Drehbuchautor und Editor tätig, als Kameramann dagegen nur selten. Beim Regieführen vermisst er teilweise das Kreative und die Unabhängigkeit, weil die Produzenten sich als Geldgeber meistens auch künstlerisch einbringen wollen. Am liebsten erzählt er Geschichten und setzt sie beim Schnitt um, da kann er seine Kreativität voll ausleben.

Mit Sebastian Leitner konnte ich in Wien über das letzte und größte Projekt des jungen Filmemachers sprechen: “Noseland”, ein Feature-Length-Projekt, gedreht 2010. Sebastian und Aleksey entwickelten das Konzept für diesen Film zusammen, die Aufgaben waren klar verteilt: Sebastian war für Kamera und Schnitt zuständig, “Noseland” war sein Debut für Schnitt bei einem Feature-Length-Projekt. Aleksey führte in erster Linie die Regie, es war sein Debut als Filmregisseur. Die jungen Filmemacher mussten viel dazulernen, über Vermarktung, Festivals usw. Sebastian erzählte, dass sie dieses Projekt ohne Budget anfingen, also ein Jahr lang ohne Geld arbeiteten, kreierten, ausprobierten, und nicht wussten, was daraus werden würde – bis sie an den Punkt kamen, wo sie einen Geldgeber brauchten, und glücklicherweise auch einen fanden.

“Noseland” wurde und wird auf verschiedenen Festivals in Europa und den USA gezeigt und gewann unter anderem den Titel „Most Entertaining Documentary” auf dem DocMiami Film Festival. Der Film bedeutet immer noch sehr viel Arbeit für das Drei-Mann-Team: Derzeit sind sie dabei, einen Verleiher bzw. einen Vertrieb zu finden. Das gestaltet sich ein wenig schwierig, sagte Sebastian, und das nicht nur, weil die Filmemacher derzeit nichts daran verdienen und alles in ihrer Freizeit organisieren müssen, sondern vor allen Dingen, weil es ein Projekt in dieser Art noch nie gab. Der Vertrieb dafür müsste sowohl mit der Musik-Szene als auch mit der Filmszene vertraut sein. Die jungen Filmemacher stießen auf sehr großes Interesse, aber für 2013 standen die Planungen natürlich überall schon fest, also laufen derzeit Gespräche für 2014. Sebastian erklärte, dass “Noseland” eigentlich fürs Kino gemacht ist und die Filmemacher ihn deshalb weltweit in ausgewählte Kinos bringen wollen: Zuhause vor dem Fernseher lässt der Zuschauer sich zu leicht ablenken. “Noseland” ist sowohl für die Klassik-Liebhaber gemacht, die sich in die Musik “hineinfallen lassen” möchten, als auch für diejenigen Zuschauer, die klassische Musik nicht kennen, aber sich zum Beispiel für John Malkovich interessieren und unterhalten werden möchten.

Julian Rachlin, ein Freund von Sebastian und Aleksey, wollte immer schon eine Dokumentation über Klassik machen. Auf dem von ihm organisierten Festival in Dubrovnik trifft man Weltgrößen der klassischen Musik, die alle mit ihm befreundet sind und gratis dort spielen. Es geht diesen Musikern dabei nicht ums Business, sondern sie wollen einfach mit Freunden und für das Publikum Musik machen. Julian Rachlin hatte sich einen humorvollen Film vorgestellt, der etwas Lockeres hat und auf diese Weise viele Menschen erreicht. Das Ergebnis, “Noseland”, ist von Musikern über Musiker gemacht, um den Zuschauern eine Welt nahezubringen, die ganz anders ist, als die meisten glauben.

“Die Musiker kommen im Frack, verbeugen sich, spielen, verbeugen sich, gehen wieder. Das war’s, keine Interaktion”, erklärte Sebastian. “Aber die Musiker würden am liebsten drei Meter entfernt vor dem Publikum spielen, nicht erhöht, auf demselben Level. Es geht um Energie, die Musik ist so entstanden, und das muss einfach bei der Interpretation da sein. Das wollte Julian Rachlin ‘rüberbringen, und er hat uns gefragt, ob wir das machen wollen. Wir haben in diesen zwei Wochen kaum geschlafen, wir haben wirklich gemacht, was ging. Tagsüber finden laufend Proben statt, abends das Konzert, man muss die Interviews unterbringen, überlegen, was man sonst noch macht. Das war schon ziemlich heftig und zeitaufwendig. Man muss sich quasi in den Zeitablauf der Musiker hineinbegeben, man muss sehen: Was bedeutet es, wie viel Arbeit ist es? Das ist bei einer Dokumentation sehr wichtig. Es ist in der Kunst immer eine Frage des Geldes, leider. Nur die Härtesten kommen durch, was sehr schade ist. Es ist nach der Hälfte dieser zwei Wochen schon jeder fix und fertig, weil nicht nur das Musikerdasein einfach ein beinharter Job ist, ein Knochenjob. Ich glaube, das transportiert die Dokumentation ganz gut.” In dieser Dokumentation zeigen die Filmemacher, wie viel Arbeit das ist und was alles dazugehört. “Gerade, wenn man etwas kreiert, will man sich keine Gedanken um das Geld machen, man will etwas erschaffen.”

Der Film “Noseland” will jungen Leuten zeigen: Klassische Musik ist nicht das abgehobene, steife Prestigemonster, wie man es präsentiert bekommt. Musiker sind im normalen Leben sehr leidenschaftliche, lustige, unterhaltsame, wirklich interessante Menschen. Viele weltbeste Musiker sind nur bekannt in ihrem eigenen Land. Die meisten haben nicht viel Geld, obwohl viele von ihnen anerkannt zu den weltbesten Pianisten, Cellisten oder was auch immer gehören. “Diese Musiker sind überhaupt nicht vergleichbar mit einem Andre Rieu, der meiner Meinung nach einfach schlecht ist und auch nicht an mehr interessiert, denn es funktioniert ja, aber dafür die Riesen-PR-Maschinerie hat”, sagte Sebastian. Die wenigsten Musiker können Geld und künstlerischen Anspruch kombinieren.

“Noseland” soll dem Zuschauer zeigen: Je mehr man über die Musik und die Musiker weiß, um so schöner ist die Musik. Einerseits wollen die Filmemacher die konservativen Musikliebhaber erreichen, andererseits junge Leute, um zu zeigen, dass nur das Business anstrengend ist. Die Musik ist fantastisch, und die Musiker sind interessant. Man lernt den Unterschied zu hören zwischen verschiedenen Produktionen; man kann dasselbe Stück zehnmal hören von zehn verschiedenen Interpreten, und es wird immer anders sein. Die Filmemacher haben die berühmten Namen wie Roger Moore oder John Malkovich bewusst verwendet, um “Noseland” aus der Nische herauszuholen, sie haben diese Namen aber nicht überstrapaziert. Es dreht sich um klassische Musik. Es ist ganz, ganz wichtig, dass man sich und dem Thema treu bleibt, findet Sebastian. Humor muss auch sein, um das Ganze zu transportieren. Über den Humor wollen sie die Türe zur klassischen Musik öffnen. Es ist nicht möglich, klassische Musik laufen zu lassen, ohne die Emotionen zu transportieren. Wenn es humorvoll ist, ist der Zugang viel leichter, weil das Thema aufgelockert wird. Wenn man die Emotionen transportieren kann, ist das fantastisch. Schubert beispielsweise war beflügelt durch Liebe, Beethoven durch seine Depression.

Das Schwierige an klassischer Musik ist für den Filmemacher, dass die Aufstellung auf der Bühne eine Interaktion bedingt, in die man nicht eingreifen kann. Es ist ein Gespräch, die Musiker kommunizieren miteinander. Man kann keine Regie führen, sonst wäre man beim Theater bzw. bei einer Inszenierung. Das ist aber bei einem Ensemble für klassische Musik nicht möglich. Es gibt fixe Positionen, wo die Musiker stehen, und sie verdecken sich teilweise, einfach aus Kommunikationsgründen; die Körpersprache ist wichtig. Ein Problemfall ist immer das Piano. Es ist extrem schwierig, gute Bilder von den Musikern zu bekommen, sagte Sebastian, weil es einfach diese intime Stimmung hat, weil das Publikum glaubt, quasi von der Musik verschluckt zu sein. Das ist schwierig. Einerseits kann man nicht die Tonqualität beeinflussen; man kann nicht hingehen und alles umbauen. Auch beim Licht ist nicht viel möglich, die Musiker sind sehr schnell geblendet. Jedes Mikrofon hat seine bestimmte Position und ist dann auf dem Bild. Da muss man Abstriche machen, da geht es einfach um Musik, und man muss ganz anders denken, man muss immer improvisieren. Sebastian Leitner schneidet weltweit viele Konzerte mit. “Als Filmemacher bekommt man da nicht immer das, was man gewohnt ist”, seufzte er. “Das ist die Schwierigkeit. Die Musiker schauen eben dann beim Spielen oft nicht dahin, wo sie hinschauen sollen.”

Der ganz besondere Reiz an dem Film “Noseland” ist gerade dieses Backstage-Feeling, diese Making-of-Atmosphäre, die absichtlich so angelegt war. Die Filmemacher haben hier aus der Not eine Tugend gemacht, ein stilistisches Mittel. Anders wäre es nicht möglich gewesen. Um so weniger Geld zur Verfügung steht, desto kreativer muss man werden.

Die Filmemacher hatten natürlich nicht die Mittel, die eine größere Produktion hat. Teilweise waren die Bilder unscharf, wenn ein nicht-professioneller Kameramann hinter der Kamera stand, oder es gab Nebengeräusche; das ließ sich nicht vermeiden. Man hat oft gar nicht die Möglichkeit, das zu proben, man muss Rücksicht nehmen, sonst leidet die Musikqualität. Das Wichtige ist, gerade bei der Klassik: Man ist sozusagen “nicht da”, man kann nicht improvisieren, man muss unauffällig sein.

Beim Schnitt haben Sebastian Leitner und Aleksey Igudesman teilweise Stücke gekürzt, Passagen neu gruppiert, Musik umgeschnitten, Nebengeräusche herausgefiltert, damit es ein lupenreiner Ton wurde. Es gibt ein Studio in Österreich, das nur darauf spezialisiert ist, Hall aus Stimmen herauszufiltern. Das Ergebnis klingt nach mehr als nach dem, was die Filmemacher zur Verfügung hatten. Nebengeräusche musste man entweder herausfiltern oder eine identische Passage aus einer anderen Stelle der Aufnahme einfügen. Weil es eben immer nur einen Take, eine Aufnahme gab von dem Konzert. Das ist schwierig, es kann nicht perfekt sein, denn auch der weltbeste Musiker verspielt sich mal. Das Schwierige für die Filmemacher war, dass sie in der zweiwöchigen Drehzeit kaum schliefen, weil sie jederzeit abrufbereit sein mussten.

Das Interessanteste war für Sebastian Leitner persönlich, dass sie bei den Proben dabei waren: “Bei den Proben sieht man, wie die Musiker wirklich sind, in Sporthose und T-Shirt.” Wie sind diese Musiker, wenn sie nicht während eines Konzerts auf der Bühne sind, sondern musizieren, das heißt, ein musikalisches Gespräch zusammen entwickeln? Das haben die Filmemacher versucht einzufangen.

“Man sollte öffentliche Proben machen”, fand Sebastian Leitner. “In Bukarest gibt es das, dort sind auf einem Musikfestival namens SoNoRo alle Proben öffentlich zugänglich, vor allem für Musikstudenten. Damit die sehen können: Was bedeutet es, im Beruf zu stehen? Normalerweise ist es abschreckend, man glaubt, das ist furchtbar konzentriert, und furchtbar steif und trocken. Die Musiker haben aber viel Spaß. Es ist viel Arbeit, aber anders geht es nicht. Wenn zu der vielen Arbeit noch ein zu großer Leistungsdruck käme, würde es nicht gehen.”

Das nächste Projekt, an dem das Team arbeitet, ist The Indian – eine klassische Komödie über amerikanische Filmklischees, die gut unterhält und solide gemacht ist. Die Budgetfrage muss noch geklärt werden, das ist extrem schwierig, obwohl wirklich gute Leute an diesem Projekt mitarbeiten. Gedreht wird voraussichtlich in den Filmstudios Nuboyana in Sofia. “Noseland” hat Sebastian Leitner einen sehr starken Schub gegeben, seinen künstlerischen Weg weiter zu verfolgen.

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