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Lesung Liu Cixin, 14.10.2018, lit.RUHR

Foto: ottifanta

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Die mit „Vorhang auf für Chinas Science-Fiction-Superstar Cixin Liu“ angekündigte Veranstaltung fand in der ausverkauften Halle 2 der Zeche Zollverein statt. Rund ein Viertel des Publikums stammte aus der Heimat des Autors. Zu Beginn wurde Cixin Liu kurz vorstellt und eine Delegation des Konfuzius Instituts aus Peking besonders begrüßt. Der dunkle Wald ist der zweite Teil der Trilogie, die Fortsetzung zu Die drei Sonnen.

Die erste Frage lautete, wie wir uns auf den Erstkontakt zu Außerirdischen vorbereiten sollten.

Cixin Liu ist der Ansicht, dass es einerseits undenkbar sei, dass sie niemand ernsthaft damit beschäftige, andererseits eine Vorbereitung kaum möglich sei. Einmal sei ein hochrangiger Politiker zu ihm gekommen und habe nach entsprechenden Vorschlägen für den Nationalen Volkskongress gefragt, damit ein neues Institut für die Ausarbeitung einer entsprechenden Strategie gegründet werden könne. Dafür sei dieser Politiker von Anderen schallend ausgelacht worden.

Der Titel „Dunkle Wald“ stehe für die dunklen Ereignisse in diesem Band, für die Gefahren aus dem Weltraum. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, wie eine fremde Gesellschaft im Kosmos aussehen könne – falls überhaupt eine existiere. In diesem Buch habe er die schlimmste dieser Möglichkeiten dargestellt. Dies sei jedoch weder die einzige noch die wahre Variante.

Dann las Mark Bremer (Sprecher der ungekürzten Hörbücher) eine längere Passage, in der die Zuhörer Zhang Yuanchao und seinen Nachbarn Lao Yang kennenlernen. Zhang Yuanchao ist gerade in Rente gegangen und politisch völlig desinteressiert, ganz im Gegensatz zu seinem Nachbarn, der alle möglichen Vorschläge hat, wie Zhang Yuanchao seine Zeit jetzt verbringen solle. Die Szene beginnt mit einem alltäglichen Gespräch, dann diskutieren im Fernsehen Politiker, wie man sich auf das Eintreffen der Außerirdischen in 400 Jahren vorbereiten solle. Unnötige Panik solle vermieden werden und ganz in diesem Sinne schaut Zhang Yuanchao lieber Fußball.

Liu Cixin stammt aus Yangquan in der Provinz Shanxi, einer Stadt mit nur einer Million Einwohner und weit entfernt von den Metropolen Peking und Shanghai. Als er die Grundschule besuchte, habe es wegen der Kulturrevolution nur wenige Bücher gegeben und er habe mit dem Begriff Science Fiction nichts anfangen können. Während der 1950er Jahre sei ausländische Science Fiction Literatur in China populär gewesen und sein Vater habe viele westliche Bücher gekauft. Obwohl sie während der Kulturrevolution verboten wurden, habe sein Vater sie behalten und während der Grundschulzeit habe Cixin Liu diese Bücher entdeckt. Erst Jahre später habe er von seinem Vater erfahren, dass die Reise zum Mittelpunkt der Erde kein Tatsachenroman sei, sondern ein beeindruckendes Beispiel für die menschliche Fantasie. Diese menschliche Kreativität habe ihn sehr beeindruckt und auch inspiriert.

Als er 13 war, endete die Kulturrevolution und es gab wieder ausländische Science Fiction Literatur in China – bis zur „Kampagne gegen die geistige Verschmutzung“ 1983, (Spiegel 1983 dazu, Wikipedia), die auch in diesen Büchern zu viel kapitalistischen Einfluss auf die Bevölkerung sah. Erst Mitte der 1990er Jahre sei es zum zweiten Wendepunkt für Science Fiction in China gekommen. Heute käme sogar der chinesische Vizepräsident Liu Yuanchao zu Science Fiction Veranstaltungen. Vermutlich weil die Regierung jetzt großen Wert auf Innovationen lege, ein Land voll innovativer Kreativität wolle. Er selbst hingegen glaube nicht, dass Science Fiction so instrumentalisiert werden könne.

Warum er nicht in Peking oder Shanghai lebe, denn das Klischee sei doch, dass Science Fiction Autoren in den modernsten Metropolen leben würden. Oder ob er zurückgezogen im eher abgelegenen Yangquan mehr kreative Freiheit spüre.

Cixin Liu erwiderte, dass die drei bekanntesten Science Fiction Autoren nicht in Metropolen gelebt hätten, Arthur C. Clarke zum Bespiel habe ein einem kleinen Fischerdorf in Sri Lanka gelebt. Science Fiction Autoren müssten technisch auf dem neusten Stand sein, aber das sei in China heute von überall möglich. Peking biete nicht die besten Lebensbedingungen, zu viele Menschen, Autos usw. Unser heutiges Leben komme ihm schon fast wie Science Fiction vor, auch weil er dann eine kurze Passage aus Der dunkle Wald nicht von Papier sondern seinem Handy las.

Im Anschluss las Mark Bremer einen weiteren Abschnitt so lebendig, dass es mittendrin begeisterten Applaus gab. Diesmal ging es um die Unterschiede zwischen den Menschen und den Außerirdischen, um Falschheit, eine Eigenschaft oder Kunst, die nur den Menschen zu eigen sei.

Ob er ein Misanthrop sei, weil die Menschen in seinen Büchern nicht gut wegkommen, war die nächste Frage. Seien Außerirdische die besseren Wesen, sowohl moralisch als auch intellektuell? Wenn man sich Menschen und Ameisen anschauen, dann könne es gut sein, dass Menschen gegenüber Außerirdischen wie Ameisen seien. Aber das könne man jetzt natürlich noch nicht wissen.Es gebe auf Chinesisch ein Sprichwort (水至清则无鱼, shuǐ zhì qīng zé wú yú), wenn das Wasser zu klar sei, schwimme kein Fisch darin. Menschen würde ihre Gedanken verstecken wollen und es sei eine besondere Fähigkeit der Menschen, die sie ihre Zivilisation so haben aufbauen lassen. Das Denken der Außerirdischen in „Die drei Sonnen“ sei völlig transparent und es sei fraglich, ob das zu einer höheren Zivilisation führen könne. Wo wären die Tagträume, wenn alle unsere Gedanken offen wären und würde das wirklich zu höherer Kreativität führen fragte Cixin Liu ins Publikum.

Vor einiger Zeit habe er einen amerikanischen Roman gelesen, in dem die praktisch gesamte Bevölkerung von einem Lügendetektor überwacht wurde und so irgendwann immer die Wahrheit gesagt wurde. Letzten Ende habe der Erfinder des Lügendetektors die Menschheit retten müssen, weil er als Einziger nicht ans System angeschlossen war.

Der immer schnellere technische Fortschritt sei ein zweischneidiges Schwert. Einerseits gebe es daraus viel Inspiration, andererseits würden Bücher langweilig, wenn die darin beschriebenen Innovationen plötzlich im echten Leben verfügbar seien. So habe er viele Science Fiction Bücher gelesen, in denen mobile Kommunikation eine Rolle spielte, aber das IPhone sei besser als all diese Fantasieprodukte. Science Fiction Literatur sei vor 200 Jahren durch Bewunderung des technischen Fortschritts entstanden und er könne sich vorstellen, dass dieser in weiteren 200 Jahren zum Tod der SF Literatur führen könne. Alle Science Fiction Autoren seien sich dieses Risikos bewusst und würden daher unter enormem Druck stehen, immer schneller und trotzdem auf hohem literarischen Niveau zu schreiben.

Dann las Mark Bremer einen dritten Ausschnitt aus Der dunkle Wald.

Es folgte eine Frage zu seinen Ansichten über das Sozialkreditsystem in China, bei dem die chinesische Regierung zahllose Daten der Bürger sammelt und bewertet, inklusive des Sozialverhaltens im Straßenverkehr, den eigenen Eltern gegenüber usw. (Zeit und FAZ dazu). Je nach Punktestand hat man dann gewisse Vorteile oder Nachteile wie z.B. eine Einschränkung der Reisefreiheit. Der Moderator verglich die chinesische App WeChat mit einem Schweizer Taschenmesser, das gleichzeitig alle Daten an die Regierung weiterleite. In den westlichen Medien werde das Sozialkreditsystem sehr kritisch gesehen und ihm selbst stelle sich die Frage, ob China eher allgemein wie Science Fiction sei oder wie eine Dystopie.

Cixin Liu antwortete, dass auch hier in Europa und den USA das Leben zunehmend durch die Digitalisierung bestimmt werden, nur die Strenge der Datenkontrolle sei momentan unterschiedlich. Und er mache sich keinerlei Sorgen, dass die Technologisierung unser Leben überrollen könne. Fortschritt habe immer auch Schattenseiten, aber er sehe die Sonnenseite. Die Digitalisierung könne unser Leben demokratischer gestalten. Fast jeder in China habe Zugang zum Internet. 1,3 Milliarden Stimmen im Internet, das sei eine unvorstellbare Kraft und so sei das Volkes durch das Internet sehr stark, würde politische Entscheidungen beeinflussen. Dank des Internets gebe es mehr Möglichkeiten für den Einzelnen, online seine Meinung kundzutun.

Natürlich würde die technologische Weiterentwicklung unser Leben berühren, aber gleichzeitig glaube er an die Demokratisierung durch die Digitalisierung. Für die Menschen im Westen sei das nicht so spürbar, weil wir es gewohnt seien, unsere Meinung frei sagen zu können. In seinem nächsten Buch, das auch bald auf Englisch erscheine und dessen Titel er nicht nennen konnte, ginge es um das Entstehen von Demokratie durch Digitalisierung.

Einen Termin für die von Amazon geplante Verfilmung gebe es noch nicht und er habe aus den Medien davon erfahren, genau wie von der angeblich vereinbarten Summe. Es gebe zwar tatsächlich Gespräche, aber er sei sich nicht sicher, ob das alles umsetzbar sei. Sowohl ein Betrag auch Details zu technischen Umsetzung stünden noch nicht fest.

Zum Schluss fragte der Moderator nochmal, ob er wisse, wann Außerirdische auf die Erde kämen. Liu Cixin erwiderte, dass könne morgen früh sein oder in 10.000 Jahren. Wenn man genau darüber nachdenke, solle man nicht darauf warten, sondern eine Gänsehaut bei dem Gedanken daran haben. Denn wir wären auf jeden Fall unvorbereitet und könnten vermutlich nicht beurteilen, wie intelligent sie seien.

Was sehe eine auf dem Boden krabbelnde Ameise in uns. Sie fände uns vermutlich seltsam, denn wir schützen keine Königin, bringen keine Beute zurück und graben keine Löcher im Boden zum Lagern, sondern schauen nur den ganzen Tag auf eckige Gegenstände. Der Unterschied zwischen Menschen und Außerirdischen sei noch deutlich größer als zwischen Menschen und Ameisen. Der davon ausgehenden Gefahr solle man sich bewusst sein.

Damit endete die knapp zweistündige Veranstaltung und Liu Cixin signierte noch so schnell wie möglich die Bücher, vor allem der zahlreichen ungeduldig wartenden chinesischen Fans.

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