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Lesung Mechthild Borrmann, 07.11.2018, Roßdorf

©Droemer Knaur

Die Lesung fand im malerischen alten Rathaus in Roßdorf statt, der Saal war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Zu Beginn wurde Mechtild Borrmann kurz vorgestellt, als Autorin, die am bekanntesten für ihre Krimis sei. Ihr letztes Buch Trümmerkind habe sich mit dem zweiten Weltkrieg und der Zeit kurz danach beschäftigt. In der Regel hätten ihre Bücher einen historischen Hintergrund. Grenzgänger spiele in den 1950er und 60er Jahren in der Bundesrepublik. Ob es hier einen historischen Hintergrund gebe, könne Mechtild Borrmann gleich selbst erzählen.

Dann betrat eine gut gelaunte Mechtild Borrmann die Bühne und las mit kräftiger und ausdrucksstarker Stimme den Prolog und das erste Kapitel. „Von Henriette Bernhard, geborene Schöning, soll hier die Rede sein…“. Henni, eine der Hauptfiguren, wurde vorgestellt. Schauplatz ist das Örtchen Velda in der Eifel, ihr Geburtsort. Der Prolog nimmt die Zuschauer mit ins Jahr 1970. Henni steht wegen zweifachen Mordes vor Gericht und ihre beste Freundin Elsa Brennecke kann nicht an ihre Schuld glauben. Beide sind 38 Jahre alt, ihr Leben ist nach der kurzen Kindheit sehr unterschiedlich verlaufen.

Es folgte eine zweite Passage, in der Elsa zum Gericht nach Aachen fährt und über die Vergangenheit und Gegenwart grübelt.

Im dritten Abschnitt sprang Mechtild Borrmann mit den Zuhörern ins Jahr 1945. Henni ist 12 Jahre alt. Ihr Vater kehrte schwer traumatisiert aus dem Krieg zurück und kann nicht mehr arbeiten. Stattdessen wendet er sich der Kirche zu, während Henni und ihre Mutter sich um den Unterhalt für die Familie kümmern.

Der vierte Abschnitt führte Thomas Reuter ein. Ein früherer Freund von Henni, der inzwischen als Kunstmaler in Lüttich lebt und sich mit Grauen an die Zeit im katholischen Kinderheim erinnert. Bilder, die er längst vergessen glaubte.

Nach der Pause erfuhren die Zuhörer dann mehr über den Titel des Buchs, denn es geht unter anderem um Kaffeeschmuggel in der Eifel zwischen 1945-48. Viele Bewohner der Eifel sicherten in jenen Jahren das Familieneinkommen durch den Schmuggel von Kaffee aus Belgien nach Deutschland. Es waren lange Fußmärsche durch den Wald und da die Erwachsenen für Schmuggel ins Gefängnis kommen konnten, wurden in der Regel die Kinder mit 5-8 kg Kaffee über die Grenze geschickt, während die Erwachsenen in der Nähe blieben. Die Kinder sollten schweigen, dann durften sie wieder gehen. Wenn sie jedoch öfter als drei Mal erwischt wurden, drohte die Fürsorge. Also kam dann das nächste Kind dran…. Nach einigen Jahren übernahmen bewaffnete Banden aus anderen Gegenden den Kaffeeschmuggel, bis es 1953 durch die Aufhebung der Kaffeesteuer nicht mehr lukrativ war.

Nach dem Tod der Mutter schließt sich die mittlerweile 14-jährige Henni den Schmugglern an, um zu verhindern, dass sie und die Geschwister ins Kinderheim müssen. Der Vater würde gerne dem Vorschlag des Pfarrers folgen, gegen den Willen der Kinder.

Im Anschluss an diesen Abschnitt wurde Mechtild Borrmann eine Flasche Roßdorfer Wein überreicht und die Zuschauer bekamen den Rat, sich das Buch zu kaufen und signieren zu lassen, falls sie wissen wollen, wie es mit den Figuren und der Geschichte weitergeht.

Damit endete die Veranstaltung und die Zuhörer gingen zum Büchertisch unten im Gebäude oder direkt nach Hause.

Zum Glück stellte vor und nach dem Signieren ein engagierter Zuhörer Mechtild Borrmann noch einige Fragen, und ich schloss mich ihm an.

Mechtild Borrmann kaufte auf einem Trödelmarkt ein altes Fotoalbum, weil sie nicht ertragen konnte, dass jemand praktisch seine Familiengeschichte/erinnerungen hergibt. In dem Album waren zahlreiche gestellte Porträts, die vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 70er Jahre reichten. Außerdem waren einige Gruppenfotos von Kindern dabei, die sie zunächst für Klassenbilder bzw. Schulfotos hielt. Auf dem Rücken eines Bildes stand „Kinderheim 1950“ und da sie im pädagogischen Bereich arbeitet, sei ihr klar gewesen, dass dies keine gute Zeit für Kinder im Heim war. Auf einigen der Porträts waren Schriftzüge der Fotostudios und so fand sie heraus, dass die Bilder aus der Eifel stammten.

In der Eifel habe sie dann wilde Schmugglergeschichten gehört, sowie Selbsthilfegruppen von ehemaligen Heimkindern besucht. Ulrike Meinhofs Bambule sei 1968 das erste Werk gewesen, das sich mit dem Schicksal der Heimkinder in den 1950/60er Jahren beschäftigt habe.

Ab 1970 habe es erste Anhörungen gegeben, aber die Justiz und Öffentlichkeit hätten den Berichten kaum Glauben geschenkt, es eher als Pflichtübung absolviert. Einflussreiche Respektspersonen aus der Kirche würden so etwas nicht tun – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

In der Eifel habe es damals ganze Dörfer gegeben, die Kaffee schmuggelten und viele Menschen hätten ihr von eigenen Erlebnissen oder denen ihrer Verwandten erzählt. Ein Marsch mit Kaffee über die Grenze brachte mehr Geld ein als der Wochenlohn der meisten Erwachsenen. Die Menschen hätten viele ungewöhnliche Möglichkeiten genutzt. So sei die Vennbahn nach dem Krieg Belgien zugesprochen worden, auch der Teil der Strecke auf deutschem Gebiet bis Aachen. So galten die Gleise als belgisches Staatsgebiet, alles außenherum war deutsch. Das Gebäude einer Gastwirtschaft lag in Deutschland, der Biergarten hinter dem Haus in Belgien…

Ihre Bücher plane sie gerne ganz genau mit Karteikarten an einer Korkwand. Bis zum fünften Kapitel würde sie sich an das Geplante halten und dann eine ganz andere Geschichte schreiben. Eine Freundin mache sich darüber lustig, aber sie brauche wohl das Gefühl, zu wissen, was sie tue.

Sie sei noch auf der Suche nach einem Thema für ihr nächstes Buch, hat aber schon eine Idee. Es würde vermutlich in der DDR beginnen. Mehr würde sie noch nicht verraten.

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Lesung Adriana Altaras, 12.10.2018, Ratskeller Frankfurt

©Kiepenheuer&Witsch

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Zu Beginn wurde Adriana Altaras kurz vorgestellt, sowie der Inhalt ihres neusten Buchs Die jüdische Souffleuse. Bekannt als Theaterregisseurin, Schauspielerin und Autorin, unter anderem von Titos Brille.

Schauplatz ist ein Theater, im Mittelpunkt stehen eine Regisseurin namens Adriana Altaras und eine Souffleuse namens Sissele. Auch wenn die Regisseurin ihren eigenen Namen trage, sei es kein autobiographisches Buch. Mit viel Humor erzählt sie von Sisseles Plan, Jahrzehnte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs doch noch irgendwie ihre verschollene Verwandtschaft zu finden.

Adriana Altaras las das erste Kapitel und einen Abschnitt, in dem ihre mehr oder minder fiktive Regisseurin kurzfristig für die verhinderte Souffleuse einspringen muss – zum allerersten Mal Souffleuse ist und ausgerechnet in einer Aufführung, bei der sie selbst die Regie führt.

Das Theater sei der perfekte Schauplatz für diese Geschichte. Ihre Hauptfigur wundert sich, wer alles Unterschlupf am Theater finde. Vor allem am Chor, sogar ohne Deutsch zu können. Das sei doch ein Vorbild für die AfD. Ups, sie habe nichts gesagt.

Humor spiele in ihren Büchern eine große Rolle, denn Humor mache vieles erträglicher und schaffe manchmal auch eine gewisse Distanz. Wenn man das Leben immer ernst nähme, könne man es nicht ertragen. Durch den Humor könne sie sich oft distanzieren.

Genauso typisch für ihre Bücher ist es, dass es auch um den Holocaust, die Shoah gehe. In diesem Roman möge sie die Figur des Sissele besonders und ihre klaren Worte, ihre Chance auf eine ganz besondere Reise. Vor sieben Jahre habe sie zum 9. November eine Rede in der Paulskirche gehalten und vermutlich wäre Sissele in dieser Rede weiter als sie selbst gegangen.

Es folgte eine Lesung von zwei Abschnitten, in denen es um Kontakt zu Sisseles Vater geht und wie der Besuch verläuft. Der Vater ist Überlebender eines Sonderkommandos und hat seine Familie stark geprägt.

©ottifanta

©ottifanta

Ihre Lektorin habe Einiges sehr hart gefunden und abmildern wollen. So auf Seite 38, doch nach Adriana Altaras Ansicht gibt es Bücher über das Sonderkommando, die man nicht ertragen könne. Sie habe sich bemüht, es so zu schreiben, dass man das Lesen ertragen könne. Auch die Gewalt, die er auf seine Tochter ausübe. Die Erlebnisse dieser Menschen, deren eigene Worte könne sie nicht toppen.

Auf ihre Einstellung zur AfD und Neonazis angesprochen, erwiderte Adriana Altaras, dass sie bei Neonazis widerständig werde und nur kurz anmerken wolle, dass sie die AfD zum Kotzen fände und die Juden in der AfD das Letzte für sie seien.

Ihre Meinung nach bekomme die AfD zu viel Aufmerksamkeit. Auf der Buchmesse sei die Halle 4 heute zeitweise wegen Björn Höcke gesperrt gewesen. Über ihn und diese Partei werde überall gesprochen. Ein Frauenhaus in Freiburg habe einen Preis bekommen, aber über diese positiven Dinge spreche niemand. Warum? Man müsse mehr über die positiven Dinge sprechen.

Als sie Braunschweig „Elektra“ inszenierte, sei sie in der Zeitung als die „profilierteste Repräsentantin der jüdischen Kultur“ in Deutschland“ bezeichnet worden. Sie sehe sich, Eva Menasse, Maxim Biller und einige Andere manchmal als Berufsjuden, die durch die Talkshows wandern. Mit einem ironischen Lächeln merkte sie an, dass sie selbst gleich mehrere Punkte abdecke, Frau, Jüdin, Migrantin.

In den Talkshows könne sie keine Lösung gegen den zunehmenden Antisemitismus anbieten. Gerne würde sie bei einer Talkshow mit Mesut Özil über Heimat sprechen, über das was ihm im Sommer passiert sei. Die Zweistaatlichkeit habe sich bei ihm so manifestiert. In einem gewissen Maße glaube sie ihm, so wie sie immer irgendwie als verantwortlich für die israelische Politik sei, obwohl sie selbst nichts von Netanjahu halte.

Heimat sei dort, wo man Zuhause sei – aber was repräsentiere man wo, sei für sie ein interessanter Gedanke. Als Bürger zweier Staaten sei Mesut Özil für sie ein interessanter Fall, aber es stelle sich auch die Frage, ab wann man ein Thema ausreize. Generell glaube sie, dass die Gesellschaft schon weiter sei, aber der Fußball noch nicht. Auch z.B. in Frankreich hätten Sportler von ähnliche Erlebnissen bzw. Gefühlen berichtet.

Auf die Frage, wie man mit Rechten reden könne, antworte Adriana Altaras, dass es schwierig sei. Wie bei einem Wasserglas, in das ein wenig Tinte komme. Die Tinte sehe man immer. Wenn aber umgekehrt ein wenig klares Wasser in ein Glas voller Tinte komme, sehe man kaum einen Unterschied. Sie bewundere Angela Merkel, wie sie das Alles durchziehe, vor allem in Anbetracht der anderen Partei, die sie an der Backe habe.

Dann las Adriana Altaras ein weiteres Kapitel, in dem eine Bewerberin am Theater einen Monolog von Antigone vorträgt.

Das Foto auf dem Buch sei auf einer Anhalterreise durch Chile entstanden und sie empfinde es als passend zu der Geschichte von Sissele.

Praktisch alle Figuren hätten reale Vorbilder, aber einiger Namen habe sie „wegen der Anwälte“ geändert.

In der nächsten Zeit sei sie eher am Theater aktiv, plane jedoch auch, ein weiteres Buch zu schreiben. Aktuell habe sie sich um ein Stipendium für die USA beworben. Sie schreibe überall, wenn es passe. In einem Zirkuswagen in Berlin, im Bett oder Zug und auch als sie durch Island reiste. Dort habe die Temperatur bei 11 Grad gelegen und trotz der heißen Quellen sei es ihr zu kalt gewesen. Während ihrer sechs Wochen dort habe sie niemanden kennengelernt und so viel Zeit zum Schreiben in diesem wunderschönen Land gehabt.

Derzeit beschäftige sie sich damit, wie ein Künstler in Würde altere. Es gebe keine schönere Leidenschaft als die für das Theater. Sie stelle sich die Frage, ab wann sie peinlich werde, wie ein alter Intendant, der nicht abdanke. Ihre Kinder und das Publikum seien vermutlich kein Seismograph dafür, denn ihre Kinder fänden sie seit knapp 50 Jahren peinlich und das Publikum gehe auch zu Mario Barth.

Die Moderatorin bedankte sich ausführlich dafür, dass Adriana Altaras sich die Zeit für diese Veranstaltung nahm, obwohl sie am folgenden Tag eine Premiere am Theater habe und wünschte viel Glück. Adriana Altaras beschrieb das Chaos und die Anspannung vor der Premiere, aber das gehöre dazu.

Viel zu schnell war eine interessante und oft humorvolle Stunde vorbei. Im Anschluss nahm sie sich viel Zeit beim Signieren.

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