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Gretchen 89ff, 22.10.2011, Weinhandlung Fernando von Schirnding

Diese Vorstellung war in vieler Hinsicht etwas besonderes: erst mal der Ort. Die Weinhandlung Fernando von Schirnding, untergebracht in einem schlauchartigen Anbau in der Maxvorstadt. Da war ich sicher nicht das letzte Mal, die Zeit vor der Vorstellung habe ich mir dann damit vertrieben, die ausgestellten edlen Tröpfchen zu inspizieren.  Und natürlich auch eines zu probieren. Die Sicht war ok, viel besser jedenfalls als im Hofbräukeller trotz in etwa gleicher Anordnung der Stühle. Es wurde nur mit der Zeit in bisschen kalt beim Sitzen, aber es war ja auch ziemlich kalt draußen. Und leider ist manchem Zuschauer anscheinend der Alkohol zu Kopf gestiegen, jedenfalls meinten einige direkt hinter mir, den oft zitierten Satz zu vollenden zu müssen, bevor der Schauspieler auf der Bühne es getan hatte und fanden das extrem lustig. Ich fand es nur extrem störend.

“Es ist so schwül, so dumpfig hie…” hörten wir an diesem Abend ziemlich oft. Das Stück dreht sich um die Kästchen-Szene aus dem Faust, lässt uns verschiedene Probensituationen miterleben. Regisseure genau wie Schauspieler in ihren mannigfaltigen Ausprägungen treffen aufeinander. Da macht die Diva den Jungregisseuer fertig, der Regietheteaterfetischist möchte den “Abo-Schweinen” mal so richtig einen vor den Latz knallen und eine Dramaturgin als Regisseurin mags besonders intellektuell. Das Ganze lebt natürlich von klischeehafter Übertreibung, ist aber sehr lustig. Besonders, wenn einem der ein oder andere Typus schon mal begegnet ist 😉

Etwas besonderes war auch die Leistung der Schauspieler. Momi von Fintel, der auch Regie führte, als Conferencier, der die einzelnen Szenen mit witzigen Kommentaren verband. Amadeus Bodis und Ulrike Dostal, die es schafften die ständig wechselnden Typen glaubhaft und sehr präsent darzustellen. Ständig in neue Rollen schlüpfen zu müssen und diese dann auch noch so fantastisch zu präsentieren muss sauschwer sein. Chapeau!

Wenn dieses Stück nochmal kommt, sollte kein Theaterbegeisterter es verpassen. Und wer “nur” gerne herzhaft lacht, ist hier auch gut aufgehoben.

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Der geduldige Sokrates, 21.10.2011, Gärtnerplatztheater

Dieser Abend bestärkte mich mal wieder in meiner Auffassung, dass ein Wochentagsabo nichts für mich ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jede Vorstellung mit den Menschen, die gestern Abend um ich herumsassen, verbringen müsste, hätte ich vermutlich schnell die Lust am Theater verloren. Ich konnte gar nicht so viele böse Blicke in alle Richtungen verteilen, wie sich in normaler Lautstärke unterhalten wurde. Und wenn es dann doch mal einigermaßen erträglich war, hörte man das Schnarchen des Herren hinter mir. Und am Ende dann dieses wirklich absolut unmögliche, despektierliche Hinausrennen, sobald sich der Vorhang geschlossen hat. Die Herrschaften, durch die Bank älteren Semesters,  waren alle mit dem Auto angereist, die Ausrede der unbedingt noch zu erwischenden Bahn zog also nicht. Sicher ist die Oper lang, aber wenn man sich nicht mal die Zeit nehmen will, den Akteuren des Abends den wohlverdienten Applaus zu spenden, sollte man besser zu Hause bleiben und seine Chips vor dem Fernseher in sich reinstopfen.

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Jetzt hab ich mir Luft verschafft, es wird Zeit, zum Wesentlichen zu kommen: Barockmusik kann Spaß machen! Ich hab ja insgesamt fünf Vorstellungen dieser hervorragend gemachten Inszenierung von Axel Köhler gesehen und ich kann mich nicht erinnern, in einer der anderen so viel geschmunzelt zu haben. Besonders die Szene, in der dem geduldigen Sokrates dann doch mal der Geduldsfaden reißt, war köstlich. Stefan Sevenich konnte hier sein komödiantisches Talent voll ausspielen. Und so ganz nebenbei sang er noch prächtig. Leider, leider wechselt er zur nächsten Spielzeit an die Komische Oper Berlin. Gut für Berlin, schlecht für München.

Vier ausgezeichnete Soprane braucht man für diese Beziehungskomödie und das schönste Theater Münchens kann sie mal eben aus dem Ensemble besetzen. Und dann auch noch doppelt. Das muss man erst mal nachmachen können. Heike Susanne Daum und Elaine Ortiz Arandes als die streitbaren Ehefrauen des geplagten Philosophen ebenso wie Ella Tyran und Christina Gerstberger als die leidenden und leidenschaftlichen Prinzessinnen bewiesen eindrucksvoll, dass die Qualität der Sänger an diesem Haus enorm hoch ist. Robert Sellier als Melitto und Gregor Dalal komplettierten den Reigen der sehr guten Sänger. Ebenfalls für das Haus spricht, dass die Partien der Schüler des Sokrates mit Chorsolisten besetzt werden können, mit Ausnahme des Pitho, gesungen vom dem jungen Talent Mauro Peter. Diesen Namen sollte man sich merken. Der Chor machte seine Sache wie immer sehr gut und dass mir eine Balletteinlage an diesem Haus mal uneingeschränkt gefallen würde, hätte ich vor fünf Monaten noch nicht gedacht. Denys Mogylyov als Adonis schafft das schier Unmögliche 😉

Ein sehr schöner Abend, leider war das mein letzter Sokrates, die Dernière am 29.10.2011, für die noch Karten vorhanden sind, verpasse ich leider. Wer das Stück noch nicht gesehen hat, sollte sich diese Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen.

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Il viaggio a Reims, 19.10.2011, Staatsoper Hannover

Diese Oper habe ich mir als eine der wenigen als Aufnahme zugelegt, ohne sie je live gesehen zu haben. Schließlich heißt die Hauptprotagonistin so wie ich und das kommt selten genug vor. Leider wird sie nicht sehr oft gespielt, was daran liegen mag, dass man 15 Solisten plus Chor braucht, für Theater ohne gutes festes Ensemble fast nicht zu stemmen. Im deutschsprachigen Raum gibt es in der Spielzeit 2001/12 nur zwei Häuser, die dieses Stück spielen. Nürnberg ist zwar näher, dort gibt es das Stück aber erst im Mai 2012. Und Hannover hat ein nicht zu toppendes Sahnehäubchen: der von mir am Gärtnerplatz stark vermisste Benjamin Reiners, seit dieser Spielzeit dort als 2. Kapellmeister tätig, hat die musikalische Leitung.

Eine Aneinanderreihung von Episoden wie in diesem Stück, das kann langweilig sein. Fast jeder singt ein oder zwei Arien, ein bisschen zwischenmenschliches Geplänkel und das wars. Da muss man sich als Regisseur schon etwas besonderes einfallen lassen, damit die Leute nicht in Scharen aus der dazu noch ziemlich langen Oper flüchten. Matthias Davids ist das kleine Kunststück gelungen: er verlegte die Handlung von einem Gasthaus in Plombière an einen fiktiven Flughafen, an dem die Passagiere aus unbekannten Gründen gestrandet sind, weil alle Flüge gestrichen wurden. Was der Regisseur nicht wissen konnte: fünf Tage nach der Premiere am 10.04.2010 wurde seine Vision durch den Vulkanausbruch auf Island Wirklichkeit.

Und diese Verlegung von Ort und Zeit funktionierte hervorragend, vermutlich auch deshalb, weil sie konsequent durchgehalten wurde. Bis ins Programmheft, in dem der Flughafen vorgestellt und Sicherheitshinweise gegeben wurden, zog sich das Thema. Der Text in den Übertiteln, es wird italienisch gesungen, wurde nur sehr behutsam angepasst, aber auch das passte perfekt. Überhaupt, die Übertitel: manchmal erschienen dort statt Text Herzen oder Blumen oder auch mal ein Bild der englischen Königin. Was man alles machen kann, wenn man eine gescheite Übertitelungsanlage hat! Es wurde übrigens italienisch gesungen, da macht es auch Sinn, zu übertiteln. Die Personenregie war großartig, ich habe mich wirklich sehr amüsiert über die präzise Situationskomik, die auch im zweiten Rang gut ankam.

Musikalisch war es ein toller Abend! Selbst diejenigen Sänger, mit denen ich vor der Pause nicht ganz glücklich war, gefielen mir danach sehr gut. Herausragend waren für mich Dorothea Maria Marx als meine Namensvetterin, Monika Walerowicz als La Marchesa Melibea, Ivan Turšić als Il Cavalier Belfiore und Tobias Schabel als Lord Sidney. Der Chor zeigte sich spielfreudig und machte in seinen wenigen Szenen auch gesanglich eine gute Figur. Benjamin Reiners  koordinierte alle Beteiligten aufs Beste, so dass Rossini sicher seine wahre Freude daran gehabt hätte.

Ich kann wirklich jedem nur empfehlen, sich dieses musikalische und szenische Schmuckstück anzusehen, weitere Vorstellungen am 23.10., 04.11. und 23. Dezember. Ich sehe es mir auf alle Fälle nochmal an.

 

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Die Fledermaus, 09.10.2011, Gärtnerplatztheater

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Es war insgesamt eine schöne Vorstellung, mit einem spritzigen Dirigat des jungen italienischen Dirigenten Francesco Angelico und so exzellenten Sängerdarstellern wie Daniel Fiolka als Eisenstein oder Robert Sellier als Alfred. Ella Tyran, die als erkältet angekündigt worden war, zeigte eine bezaubernde Adele, Franziska Rabl hat mir als Orlofsky richtig gut gefallen und auch Juan Fernando Gutiérrez, Dirk Lohr, Hans Kittelmann und Ulrike Dostal waren in ihren jeweiligen Rollen gut bis sehr gut. Enorm auch wieder die Leistung des Chores, ohne eine Spielfreude wäre der 2. Akt nicht so schwungvoll. Lediglich die Tänzer der hauseigenen Company hatten etwas Schwierigkeiten mit dem zügigen Tempo des Abends, über die Nichtspagate der Herren reg ich mich ja schon gar nicht mehr auf.

Der Hauptgrund aber, mich mal wieder hinzusetzen und über meine elfte Fledermaus in dieser Inszenierung zu schreiben, ist der Frosch von Thomas Peters. Ich habe jetzt vier Vorstellungen in 17 Tagen gesehen und bei jeder war irgendetwas neues dabei. Seine Texte, die er selbst schreibt, werden ständig aktualisiert, sind pointiert und so trocken vorgetragen, dass ich sicher auch noch bei der letzten Vorstellung am 21.04.2012 (übrigens auch der nach jetzigem Stand letzten Vorstellung im schönsten Theater Münchens vor der Umbauphase) so schmunzeln oder lachen werde wie in den Vorstellungen bisher. Ebenso komisch ist seine Parodie eines äh,äh, vergangenen Landesvaters und selbst die Witze über meine Berufsgruppe bringen mich zum Lachen, obwohl ich die normalerweise eher nicht so lustig finde. Schon allein seine Einlagen sind ein Besuch der “Fledermaus” in Münchens schönstem Theater wert. Nächste Chance wieder am 14.10.2011, Restkarten online oder telefonisch unter 089.21 85 19 60

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Interview mit Peter Baumgardt

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Herr Baumgardt, herzlichen Dank, dass Sie noch vor der Premiere Zeit finden für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Sie waren ja von 1980 bis 1992 bereits am Gärtnerplatztheater tätig, zunächst als Regieassistent, zuletzt als Oberspielleiter und Persönlicher Assistent des Staatsintendanten. Sie haben unter anderem so erfolgreiche Inszenierungen wie „Anatevka“ am Haus gemacht. Wie fühlt es sich jetzt an, die Eröffnungspremiere zu inszenieren?

Ich bin unglaublich gespannt und ich bin auch aufgeregt, so als würde ich zum ersten Mal am Hause inszenieren, muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite sind es ja 15 Jahre, dass ich das letzte Mal hier inszeniert habe, 1996 „Funny Girl“. „Anatevka“ lief von 1991 bis 2007, ich habe es natürlich auch immer wieder gesehen, auch, glaube ich, die letzte Vorstellung sogar, und ich kam zurück, und es war irgendwie, als würde ich nach Hause kommen. Es war unglaublich angenehm, und es war sehr schön, einige Kolleginnen und Kollegen aus der vergangenen gemeinsamen Zeit wiederzusehen. Es war ganz vertraut, und trotzdem: „Die Verkaufte Braut“ ist ein schwieriges Stück, ein herrliches Stück, ein ganz wunderbar lebendiges Stück. Es gab zwei erfolgreiche Produktionen, die ich noch erleben konnte, die Inszenierung von Kurt Pscherer, die Inszenierung von Hellmuth Matiasek – und insofern ist natürlich durchaus schon so etwas da wie: Na, reihen wir uns jetzt mit unserer Interpretation, mit unserer Konzeption, mit all dem, was man auf der Bühne dann sehen und erleben kann, reihen wir uns ein in diese Riege der erfolgreichen Inszenierungen der „Verkauften Braut“? Also insofern: Ich freue mich darauf und bin aufgeregt.

Sie werden 2012 die Intendanz der Festspiele „Europäische Festwochen Passau“ übernehmen. Wie verlief Ihr Weg vom Germanistik-Studium in Frankfurt bis nach Passau?

Ja mei (lacht). Ich habe während meines Studiums Schauspielunterricht genommen, habe da auch meine Prüfung gemacht. Damals gab es noch die Prüfung bei der ZBF, Paritätische Prüfungskommission nannte sich das. Ich habe diese Schauspielausbildung nicht gemacht, um Karriere als Schauspieler zu machen, sondern ich habe sie gemacht und habe dann auch gespielt, in Heidelberg, in Darmstadt, hier in München, um einfach zu schauen: wie ist denn das, wenn man da so auf der Bühne steht und jemand eben unten sagt, was man zu tun hat – also, es gemacht, um selber als Regisseur dann nachempfinden zu können, was so in den Schauspielern oder in Sängern vorgeht. Ziel war immer, Regisseur und Intendant zu werden. Insofern war ich sehr glücklich, als Kurt Pscherer mich hier 1980 als Regieassistent engagiert hat und ich dann auch unter Hellmuth Matiasek tätig sein durfte, von Hellmuth Matiasek auch dann zum Oberspielleiter berufen worden bin. Das war für mich eine ganz große Freude, mit vielen wunderbaren Inszenierungen. Dann ging es nach Augsburg, damals jüngster Intendant in Deutschland. Dort blieb ich bis 1997 und es kam etwas, womit ich nie gerechnet habe, es kam von August Everding die Anfrage: „Sagen Sie, ich leite da den Deutschen Pavillon auf der Expo, hätten Sie nicht Lust, so ein bisschen mich zu begleiten?“ Das habe ich sehr gerne getan, ich habe in der Zeit als freier Regisseur inszeniert. Die Zusammenarbeit mit August Everding war unglaublich wunderbar, spannend und inspirierend. Ich habe sehr, sehr viel gelernt. August Everding verstarb viel zu früh, und mir wurde angetragen, seine Nachfolge als Intendant des Kulturprogramms im Deutschen Pavillon anzutreten. Aus dieser Aufgabe, sehr viel Management, aber auch sehr viel befördern können, kam die nächste Aufgabe in gleicher Richtung, nämlich die Europastadt Görlitz-Zgorzelec zu befördern, bis in die Endrunde der Kulturhauptstadt Europas zu kommen. Das bin ich voller Leidenchaft angegangen. Ich muss aber sagen, dass ich doch dann nach sechs, sieben Jahren Management-Tätigkeit irgendwie dachte: Ich muss zurück ans Theater. Da habe ich angefangen. Ich habe das Ensemble vermisst, ich habe die Musik vermisst, wenn man ins Haus kommt, ich habe das Ballett vermisst. Ich war sehr glücklich, dass ich dann aus 120 Bewerbern für die Intendanz des Stadttheaters Kempten ausgewählt worden bin; damals ein Theater, das ein reines Bespiel-Theater war, das erst geschlossen, später saniert, erweitert worden ist mit dem Ziel, sich als ein Stadttheater zu etablieren. Das war eine große Herausforderung, die mir sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben das Haus wirklich zum dritten professionell geleiteten Theater in Bayerisch-Schwaben positionieren können in relativ kurzer Zeit. Ja, und plötzlich kam die Möglichkeit, sich um die Intendanz in Nachfolge von Dr. von Freyberg der Festspiele der Europäischen Wochen Passau zu bewerben. Es gibt eine klare Vorgabe, diese Festspiele zu profilieren, als Festspiele, die sich deutlich von anderen unterscheiden, dahingehend, dass sie auch eigene Produktionen herausbringen. Den 60. Geburtstag dieser Festspiele in Niederbayern, Oberösterreich und Böhmen feiern wir wir nächstes Jahr. Dazu noch wieder am Gärtnerplatztheater inszenieren zu dürfen, das ist ein buntes Leben, und ich hoffe, das bleibt es auch.

Sie haben ja vorhin schon die Vorzüge der „Verkauften Braut“ angesprochen. Warum „Die Verkaufte Braut“, und warum am Gärtnerplatztheater?

Dieses Stück gehört auf den Spielplan des Gärtnerplatztheaters. Es ist eine Spieloper, eine komische Oper. Das Haus hat hier eine ganz, ganz große Tradition, und bei einem Ensemble, das hier tatsächlich gepflegt und gefördert wird, wie seit Jahrzehnten, liegt es einfach nahe, „Die Verkaufte Braut“ mit diesen wunderschönen und herrlichen Charakteren ganz unterschiedlicher Art, mit Höhen und Tiefen, dass dieses Stück wieder auf den Spielplan kommt, nach, glaube ich, fünfzehn Jahren. Ich mag es sehr, Menschen auf der Bühne zu zeigen, in denen wir uns wiederfinden können. In jedem Einzelnen der „Verkauften Braut“, in jedem einzelnen Charakterzug, in den Höhen und in den Tiefen, in den Untiefen teilweise auch, können wir uns wiederfinden, und dieser Aufgabe stelle ich mich sehr gerne. Ich möchte die Geschichte erzählen. Die Geschichte lässt sich erzählen, sie ist nämlich nicht ganz leicht, aber sie lässt sich erzählen, wenn man ein so wunderbares Ensemble hat wie dieses, das immer wieder bereit war, sich auseinanderzusetzen mit den einzelnen Figuren und die Zusammenhänge versucht hat zu erkennen und einfach miteinander spielt. Und das finde ich, ist für das Gärtnerplatztheater etwas ganz Wichtiges, etwas ganz Entscheidendes und ist einfach auch das Besondere am Gärtnerplatztheater. Und da muss man auch dann schon sagen, dass es nicht so viele Opern gibt, die auch noch eine so herausragende Musik haben wie Smetanas „Die Verkaufte Braut“. Das, denke ich, war auch mit ein Grund, oder vielleicht sogar der Hauptgrund, der Einladung von Ulrich Peters zu folgen.

Sie haben gerade gesagt, Sie möchten nichts aufpfropfen. Gibt es denn Merkmale, die man in allen Ihren Inszenierungen wiederfindet? – Ich habe gehört, bei einem Regisseur muss immer ein Teddybär auf der Bühne sein, in irgendeiner Form.

Gut, ich kenne auch einen Regisseur, da ist immer eine Leiter auf der Bühne. Ganz so ist es bei mir jetzt nicht, und es ist ganz schwer, das von sich selber zu sagen. Mir ist immer wichtig gewesen – schon, ich glaube, die allererste Inszenierung, die ich hier am Hause gemacht habe, im Marstall damals, „Through Roses“ und dann später „Die heimliche Ehe“– zwischendurch „Fräulein Julie“ – ja, es ist mir immer die Nachvollziehbarkeit dessen wichtig gewesen, was auf der Bühne passiert, das Selbstverständliche. Und zu diesem Selbstverständlichen zählt der vollkommen natürliche und selbstverständliche Umgang der Leute miteinander, was wiederum nicht unbedingt etwas Selbstverständliches im Musiktheater oder in der Oper ist. Dieses herauszuarbeiten, herauszukitzeln und auch festzustellen, dass das Ensemble, die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, eigentlich danach lechzen, das ist immer mein Anliegen gewesen, das alle meine Inszenierungen, ob jetzt Oper, Operette, Musical, Schauspiel, durchzieht.

Woher kommt die erste Idee, in welche Richtung die Inszenierung gehen soll?

Aus der Überlegung heraus: Hat das eigentlich noch Gültigkeit, das Ganze, wenn man es genauer betrachtet? Also, „Verkaufte Braut“, das ist ja eigentlich ein irreführender Titel. Sie wird ja nun nicht tatsächlich verkauft, weil ja das einfach eine Lüge des Hans ist, um zu einem Happy-End zu kommen; also, ist es ist auch nicht die Situation in Köln vor ein paar Jahren, wo tatsächlich ein Vater seine Tochter für, weiß nicht, 40.000 Euro oder 50.000 Euro, an einen Sohn eines anderen Vaters verkauft hat. Oder auch nicht wirklich die Geschichte, die in Vorarlberg passiert ist in den 80er Jahren, wo ein Bauer seine Tochter verkauft hat gegen Kühe und Schweine. Das Stück steht für gesellschaftliche Regeln. Und diese gesellschaftlichen Regeln, die in der Entstehungszeit der „Verkauften Braut“ über das Beispiel des Versprechens eines Mannes an einen anderen, dass dessen Sohn die eigene Tochter bekommt, verdeutlicht wurden, das ist einfach ein Bild für Regeln, in denen wir alle uns bewegen und aus denen wir ausbrechen wollen und einige es auch können. Deshalb ist für mich Hans und Marie so etwas wie die Moderne, die in diesen Ort, in dieses Dorf hereinbricht. Diejenigen, die einfach sagen: Wir beugen uns nicht mehr, oder wir verhalten uns nicht mehr gemäß den Regeln, die in Jahrzehnten oder auch Jahrhunderten geschaffen worden sind. Und es gibt andere, die von diesen Regeln nicht lassen können, wie zum Beispiel Micha und Hata oder Ludmilla und Kruschina, die erst davon überzeugt werden müssen – und wie sie sich dann wirklich dazu verhalten, ist nun die ganz große Frage.

Richtig ist: Liebe, Leben, oder Liebe und Leben, statt Geld, ist uns einfach wichtiger. Hat das etwas mit Heute zu tun? Ja, es hat etwas mit Heute zu tun. Alles, was da zwischenmenschlich passiert, passiert uns auch. Nicht jedem vielleicht, und auch nicht in der Gänze. Also holen wir das Stück so nah wie möglich an unsere Zeit heran, um einfach diese Barriere abzubauen. Ist das jetzt eine spezielle Zeit? Vielleicht erinnern Sie sich oder haben es gehört: „Heimliche Ehe“ habe ich damals ganz klar in die 1950er Jahre verlegt, weil genau diese 1950er Jahre durchaus etwas zu tun hatten mit den 1750er Jahren. Wir haben einen ganz klaren Vergleich angestellt; für uns war der Reifrock von 1750 der Petticoat von 1950, und der Wunsch nach Adel und sich baden in diesem Glanz und Glamour gab es eben einfach in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts auch. Insofern war es eine ganz klare Festlegung und es handelte sich einfach auch um ein Sujet, wo es um – ja – ausschließlich um gespielte Intrigen ging. Bei der „Braut“ habe ich mich entschlossen, das nicht zu machen, die klare Zeit, sondern wir haben uns entschlossen, es näher heranzuholen. Oder, sagen wir mal so, es auf die Bühne zu bringen in einer gewissen Allgemeingültigkeit. Ich bin immer der Meinung, dass es trotzdem eine Lokalisierung braucht, wenn ich eine Geschichte auch mit realistischen Mitteln erzähle. Also, ich will jetzt nicht sagen, dass wir den Realismus pur haben, aber das, was zwischen den Menschen passiert, ist realistisch, also brauche ich auch eine realistische Erzählweise. Die Lokalisierung bei uns ist ein Milchpilz, oder eine Milchbar, so wie man heute auf dem Land die Erdbeer- oder die Spargelbude findet. Das Hauptargument aber für diesen Pilz auf der Bühne war: Was macht die Marie eigentlich? Oder was sind die Eltern der Marie? Haben die ein Geschäft? Also von Micha wissen wir: Großgrundbesitzer. Kann man übertragen und sagen: Okay, der hat in dem Dorf Häuser und vermietet die Wohnungen. Aber von Kruschina und Ludmilla wissen wir es nicht so richtig: Bauer. Ja. Wenn wir das wortwörtlich nehmen: Bauer Kruschina, dann könnte die Tochter auf dem Hof beschäftigt sein. Jetzt ist sie aber ein bisschen weiter. Also, sie ist für mich kein Puppchen, sondern eine selbstbewusste jüngere Frau. Also hat sie sich von ihren Eltern ein Geschäft aufbauen lassen, und dieses Geschäft wiederum wurde von Micha finanziert. Micha hat dem Kruschina und der Ludmilla Geld geliehen, und aus diesem heraus erklärt sich wiederum, warum überhaupt das Versprechen zustande gekommen ist, dass die Marie den einzigen Sohn, den Micha und Hata gemeinsam haben, Wenzel, heiraten muss. Wir wollten damit ein bisschen klarer machen: Wieso kommt es zu so einer Geschichte des Versprechens. Wieso hat Marie denn nicht diesen Wenzel schon früher geheiratet. Weil ihre Eltern eben Geld geliehen haben. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo das mal geklärt werden muss. Also wird auch an diesem Tag, – wir spielen es an einem Tag, ein entscheidender Tag im Leben der Marie – , diese Sache geklärt werden. Und für diese Vermittlung wiederum hat man einen Vermittler, einen Agenten eingeschaltet, das ist der Kecal. Somit haben wir auch zugleich den Kecal ganz klar situiert: Er ist in diesem Dorf, in diesem Ort, in diesem Stadtteil, in dieser Kleinstadt, der Geschäftemacher. Und nicht ausschließlich der Heiratsvermittler, denn der Heiratsvermittler damals war im Endeffekt auch ein Geschäftemacher. Und damit man nicht jetzt oberflächlich darüber hinweggeht und sagt: Ah, wunderbare Musik, herrliche Stimmen, wollte ich durch so eine Lokalisierung verdeutlichen: Sie hat einen Kiosk oder speziell eine Milchbar, weil damit wiederum die Produkte des Dorfes verkauft werden.

Auf der Homepage des Theaters wird von der „Regiefassung Peter Baumgardt für das Gärtnerplatztheater“ gesprochen – was heißt das genau?

Also, das ist jetzt überhaupt nichts Besonderes. Ich bin da jetzt schon ein paar Mal darauf angesprochen worden und bin ein bisschen verwundert darüber, ehrlich gesagt. Bei der „Heimlichen Ehe“ haben wir auch eine „Regiefassung von Peter Baumgardt“ gemacht. Regiefassung bedeutet, dass Texte oder einzelne Worte dahingehend verändert werden, dass es einen logischen Zusammenhang gibt und dass man einfach sagt: es „Ihr-zt“ und „Euch-zt“ niemand auf dieser Bühne, weil wir damit eine Distanz haben, also muss ich bestimmte Sachen verändern, muss sagen: An welcher Stelle geht das Siezen, wo macht es Sinn, dass sie sich duzen? Wann gibt es eventuell auch ganz klar die Entscheidung: jetzt duzen wir ihn? Also, der Kecal wird immer gesiezt, aber am Schluss, wo alle denken, dass es zu Ende ist mit ihm, wird er geduzt. Oder ich habe umgestellt – im übrigen überhaupt nicht neu, hat Felsenstein auch schon gemacht – das Duett Marie-Wenzel aus dem zweiten Akt in den ersten Akt vorgezogen, weil dadurch die Geschichte stringenter wird.

Wieviel Freiheit lassen Sie den Solisten bei der Interpretation der Rollen? Wird die Inszenierung ein Stück weit auch an die Persönlichkeit der Solisten angepasst, und gibt es einen Unterschied zwischen der Premierenbesetzung und der Alternativbesetzung?

Nun, es gibt einen Unterschied zwischen den Besetzungen dahingehend, dass der eine Kecal groß ist und der andere Kecal etwas kleiner ist, oder das gleiche betrifft auch Marie: Eine ist die etwas gestandenere, erst mal, und die andere ist die sehr liebenswürdige. Aber das Entscheidende ist ja die Bereitschaft, die Bereitschaft beider Besetzungen, sich mit der Konzeption auseinanderzusetzen. Ich nehme zum Beispiel mal heraus die wunderbare Kecal-Arie vor dem Dukaten-Duett, die für mich nicht nur eine Antwort an Hans ist, der sagt: Marie ist die Schönste, die Tollste. Kecal reflektiert sein ganzes Leben, im Endeffekt. Er wiederholt so oft diese eine Antwort „Jeder, der verliebt“ und kommt von dort nicht wie sonst ins Quatschen, sondern in ganz klare Aussagen: Immer wieder passiert es, dass man allein ist, auch wenn man denkt, dass diejenige die Einzige ist. Das ist für mich, für uns, eine Verarbeitung seines Lebens, nicht des ganzen Lebens, aber sicherlich eines wichtigen Teils des Lebens.

Sie haben gerade schon den Kecal angesprochen: Ist der Kecal für Sie eine sympathische Figur?

Oh, der Kecal hat so viele Facetten. Kecal ist ein Schlitzohr. Aber ein Schlitzohr, das deshalb ein Schlitzohr ist und sich ausschließlich mit Geld und Geschäften beschäftigt, weil er in seinem Leben einfach enttäuscht und verletzt worden ist. Ich möchte ihn nicht eindimensional darstellen und sagen: Das ist der Lustige, das ist der, über den ich lache. Ich glaube, über den schmunzelt man und den bedauert man auch, mit dem hat man Mitleid. Das betrifft im übrigen auch Wenzel. Für mich eine Figur – und das machen beide Wenzels in diesem Ensemble ganz herrlich – mit einer Sprachhemmung. Warum hat der eine Sprachhemmung? Das ist doch nicht der Dorfdepp oder Trottel, der stotternd durch die Welt geht. Sondern das ist jemand, dem einfach von der Mutter Regeln auferlegt worden sind, der eine strenge Erziehung hatte. Nicht weil die Mutter ihn nicht mag; sie will Wenzel aus Liebe zu ihm einfach an die Frau bringen. Aber das mit einer Penetranz, erfüllt von Mutterliebe, unfähig, sie ihm zu zeigen, so dass Wenzel eine Sprachhemmung hat, die, ich sage mal, aus tiefenpsychologischen Gründen da ist.

Marie ist ja eine starke Frau, und sie will mit Hans ihre Träume verwirklichen. Wird das dann eine Ehe auf Augenhöhe sein? Sind sie zwei gleichberechtigte Partner?

Ich glaube, sie entwickeln sich an diesem einen Tag – der auch wiederum stellvertretend natürlich ist für eine gewisse Zeit – zu gleichberechtigten Partnern. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das hält. Wir haben auch darüber nachgedacht, eventuell einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ich habe mich dann davon ehrlich gesagt verabschiedet, weil einfach das Finale unglaublich rasch an einem vorüberzieht und ich nicht verwirren will. Eines aber ist klar: Sie beide treffen am Schluss die Entscheidung: Hier bleiben wir nicht. Also, wir bauen uns eine Zukunft, aber nicht unbedingt hier, wo alle jetzt sagen: Ja, so wunderbar wie dieses Happy-End ist, das wussten wir ja von Anfang an. Die Gesellschaft hat ihnen Steine zwischen die Füße geworfen; hier bleiben sie nicht. Was aus ihnen dann wird und wie lange das hält? Hm. Ich weiß es nicht. Hans, der eigentlich Zurückhaltende am Anfang. Hans, der konfliktscheu ist. Hans, der ja, obwohl Marie es will, sich nicht dem Problem stellt. Marie, die es von ihm verlangt, und in dem Moment, wo sie es von ihm verlangt hat, tut es ihr schon wieder leid, dass sie so stark gewesen ist, und sie kuschelt. Also, es gibt bei ihnen in diesen 90 Minuten, die sie auf der Bühne sind, wenn man das alles zusammenrechnet, so viele Schwankungen, dass ich glaube, dass diese Schwankungen diese unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammenschweißen und man erst einmal auf ein- und demselben Level ist.

Bleibt denn, so als Ausblick, neben der Intendanz in Passau auch noch Zeit für andere Projekte?

Also, jetzt ist es erst mal so, dass ich die nächsten Monate absolut meinen Blick auf Passau richten werde und auf die sechzigsten Festspiele. Es gibt durchaus Gespräche für die Spielzeit 2012/2013, was Inszenierungen angeht. Ich habe mich hier noch nicht festgelegt. Ja, ich möchte auch weiterhin Regie führen, ich halte das auch für ganz wichtig, mal über den Tellerrand hinaus zu schauen.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch und Toi-Toi-Toi für die Premiere!

Sehr gerne, danke!

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Premiere Die verkaufte Braut, 08.10.2011, Gärtnerplatztheater II

Meine Eindrücke der Premiere finden sich wieder bei mucbook 🙂

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Elif Shafak: The Bastard of Istanbul

Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: Penguin UK (24. April 2008)
Sprache: Englisch
ISBN-10: 9780141031699
ISBN-13: 978-0141031699

Kurzbeschreibung (von amazon)

One rainy afternoon in Istanbul, a woman walks into a doctor’s surgery. ‘I want an abortion’, she announces. She is nineteen years old, and unmarried. What happens that afternoon is to change her life, and the lives of everyone around her. Twenty years later, Asya Kazanci lives with her extended family in Istanbul. Due to a mysterious family curse all the men die by age 41, so it is a house of women, among them her beautiful, rebellious mother, Zeliha, clairvoyant Auntie Banu and bar-brawl widow, Auntie Cevriye. But when Asya’s Armenian-American cousin Armanoush comes to stay, long-hidden family secrets and Turkey’s turbulent past begin to emerge.

Über die Autorin

Link zur deutschen Wikipedia

Meine Meinung:

Ich hatte mir dieses Buch in Istanbul gekauft, weil mein mitgenommenes, das im englischen Winter spielt, nicht recht zu den Außentemperaturen passen wollte. Ohne die Autorin zu kennen, habe ich einen richtigen Glücksgriff getan.
Es gibt zwei Handlungsstränge, die vielfältig und nicht nur oberflächlich miteinander verwoben sind. Da ist einmal Armanoush, Kind eines armenischen Vaters und einer amerikanischen Mutter, die im Amerika der Gegenwart ihre Identität im Zweispalt dieser beiden Kulturen sucht. Auf der anderen Seite Asya, die in der patriarchalischen Gesellschaft der Türkei in einer absolut ungewöhnlichen Familie aufwächst: sie besteht nur aus Frauen, weil alle männlichen Nachkommen jung sterben. Sie ist die uneheliche Tochter der unkonventionellen Zeliha, die mit ihren ebenso ungewöhnlichen aber angepassteren drei Schwestern, Mutter und Großmutter in Istanbul lebt. Der einzige lebende männliche Nachkomme ist der Bruder der vier Schwestern, der in Amerika lebt und mit Armanoush’ Mutter verheiratet ist. Um ihre armenische Herkunft besser zu verstehen, reist Armanoush heimlich zur Familie ihres Stiefvaters nach Istanbul. Er selbst ist seit zwanzig Jahren nicht mehr nach Hause gereist. Dort konfrontiert sie die Familie mit ihrer Version des Völkermordes der Türken an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916. Ihre Großmutter verlor damals erst den Vater und das Heim, später auch den Kontakt zu ihren Geschwistern und landete in einem Istanbuler Waisenhaus. Asya, die zunächst dem Gast aus Amerika ablehnend gegenüber steht, schließt schließlich Freundschaft mit dem Mädchen, das ihr näher ist als alle ahnen.
Die einzelnen Kapitel sind jeweils mit Zutaten eines türkischen Desserts, Aşure, überschrieben. Diese Speise spielt am Ende eine entscheidende Rolle, genauso, wie sie auch im türkischen Alltag eine große Rolle spielt. Traditionell wird sie in großen Mengen zubereitet und dann auch an die Nachbarn verteilt.
Elif Shafak erzählt sehr farbenfroh, lies das Istanbul der Gegenwart, aber auch das Grauen der Deportationszüge der Vergangenheit eindringlich vor meinem inneren Auge entstehen. Die Personen sind sehr gut charakterisiert, sind sehr lebendig und lebensnah. Die Autorin musste sich wegen “Herabsetzung der Türkei” durch dieses Buch vor Gericht verantworten, wurde jedoch frei gesprochen. Dass die türkischen Namen der Speisen nicht übersetzt sind, auch nicht in einem Glossar, hat mich nicht gestört. Eine direkte Übersetzung im Text hätte ich eher als Unterbrechung empfunden.
Wer mehr über das Istanbul der Gegenwart, aber auch über die armenisch-türkische Vergangenheit erfahren möchte, liegt mit diesem Buch genau richtig.

Mein Fazit:

Das war sicher nicht mein letzter Roman dieser talentierten Autorin.

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Interview mit Tilmann Unger

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Herr Unger, vielen Dank für Ihre Bereitschaft, ein Interview zu geben für den Blog „Nacht-Gedanken“.

Sehr gerne!

Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Ich habe in Würzburg studiert und bin dann direkt aus dem Studium ans Stadttheater Würzburg engagiert worden. Dort war ich drei Jahre lang und habe etliche große Rollen gesungen: Tamino, Pelleas, Zigeunerbaron, Cassio, Lensky, solche Sachen. Der Werdegang ist ein bisschen unkonventionell insofern, als dass ich danach eine Babypause eingelegt habe, während der ich nur Gastverträge annehmen konnte, z.B. in Linz und Wuppertal. Danach bin ich wieder ins Festengagement gegangen, nämlich nach Augsburg, ein Jahr bevor Ulrich Peters Intendant in München wurde – schon mit dem Plan, dann mit nach München zu kommen. Mittlerweile bin ich die fünfte Spielzeit hier am Staatstheater am Gärtnerplatz.

Wie kamen Sie zum Singen?

Eigentlich mehr über das Theaterspielen. Musik war in der Familie sehr präsent, zudem hatte ich schon während der Schulzeit Gelegenheit in einem guten Chor zu singen, das war für mich auch eine Leidenschaft. Schon an der Schule, aber auch später in freien Theatergruppen in Freiburg, wo ich eine Zeit lang Musikwissenschaftsstudent war, habe ich Theater gespielt, beleuchtet und ausgestattet. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Stimmbildung zu betreiben, und die Stimmbildung war dann so fruchtbar, dass sehr bald die Idee kam, das professionell weiter zu betreiben. Daraufhin habe ich mich an der Hochschule beworben, was sofort funktioniert hat, und ich hatte dann im Handumdrehen einen Studienplatz in Würzburg.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind habe ich, kann man sagen, fast ausschließlich „klassische“ Musik gehört, also alles im Bereich der großen sinfonischen Sachen. Viel Romantisches: Brahms, Mendelssohn, Schubert, Beethoven, um etwas weiter zurückzugehen, dann später die großen Instrumentalkonzerte, Klavierkonzerte, Schumann, Rachmaninoff, das hat mich sehr begeistert. Auch Operette habe ich sehr gern gehört als Kind. Da ist auch ein intuitiver Zugang zur Operetten-Musik entstanden, die ich heute ja immer noch sehr gerne singe und spiele. Es stört mich nicht bei der Oper, die jetzt das Kerngeschäft ist, beziehungsweise von Anfang an auch schon Kerngeschäft war. Ich mache es sehr gerne, es macht mir Freude. Ich finde, dass sich beides sehr gut ergänzt.

Also Sie teilen nicht die Einschätzung mancher Sänger, dass die Operette eher minderwertig ist?

Sagen wir mal so: Zunächst mal ist es – wenn man die Partien singt, die ich in der Operette singe – eine anspruchsvolle Aufgabe. Die Operettenarien und Duette, die da zu singen sind, auch die Finali zum Teil, wenn Sie da zum Beispiel an den Zigeunerbaron denken, die sind gewaltig, auch für die Operettendiva oft wirklich eine größere Herausforderung als manche Oper. Zuweilen wird das mit gewisser Geringschätzung beurteilt, weil die Sujets oft – naja, etwas halbseiden sind und die Dialoge manchmal hanebüchen, und natürlich auch viel Gebrauchsmusik dabei ist, die eben nach einer Ausstattung, nach Tanz und ein bisschen Revue schreit, und da rümpfen dann manche die Nase. Natürlich ist Operette eine besonders anspruchsvolle Aufgabe durch die Dialoge, die in der Regel mit dabei sind. Ich sage immer, wenn ich eine Partie wie den Tassilo in „Gräfin Mariza“ singe – was ich hier gemacht habe in den letzten zwei Jahren – da habe ich einen höheren Aufwand an Stimme, als wenn ich in eine Opernpartie wie beispielsweise den Prinz in „Die Liebe zu den drei Orangen“ singe, obwohl die Orangen viel artifizieller sind und von der Tessitur ganz anders. Aber eben die großen Dialoge, auch das Melodrama, auch über das Orchester zu sprechen, das erfordert schon ein gewisses Standing.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe als Kind Geige gelernt, aber das pflege ich nicht mehr, das habe ich sehr bald wieder geschmissen. Klavier hat mich dann lange begleitet und heute ist es für mich, wie soll man sagen, ein Gebrauchs-Instrument. Die musikalische Kernaktion ist und bleibt das Singen.

Hören Sie heute auch noch andere Musikrichtungen?

Nicht so viel, in Wirklichkeit. Ich spitze die Ohren gerne bei gewissen Jazz-Sachen, das erfreut mich. Ich entdecke auch neue Welten, die in meiner Jugend einfach nicht präsent waren. Ich entdecke heute viel, wobei ich sagen muss, dass ich von der schieren Lautstärke verstärkter Musik sehr schnell verschreckt werde und das Weite suche. Das führt dazu, dass ich zu manchem keinen rechten Zugang finde, weil es mir einfach zu laut ist.

Welche Aufnahmen im Bereich der klassischen Musik mögen Sie am liebsten? Gibt es eine spezielle Aufnahme, die Ihnen ganz besonders am Herzen liegt?

Könnte ich so allgemein nicht sagen. Es gibt natürlich gewisse Highlights, zum Beispiel fällt mir eine Walküren-Einspielung von Solti mit James King als Siegmund ein, oder eine Götterdämmerung unter Karajan mit Helge Brilioth, einem wenig bekannten Tenor, der einen formidablen Siegfried singt. Sie merken schon, es hängt sich ein bisschen an den Sängern auf. Sonst habe ich bei den instrumentalen Sachen immer mehrere Aufnahmen griffbereit und bin da nicht dogmatisch.

Hören Sie sich Aufnahmen der Opern an, bevor Sie die Rolle einstudieren?

Jein. Vieles kennt man natürlich, ich bin ja mittlerweile schon eine Weile dabei und habe vieles schon gehört, lange bevor ich es selbst mal zu singen bekomme. Also, man hat es gewissermaßen im Ohr, leider oft auch – wenn man über Stücke wie die „Verkaufte Braut“ redet, oder andere, die mit Übersetzung arbeiten – mit “ falschen“ Texten. Falsch im Sinne von: für die aktuelle Inszenierung nicht passend, was man dann wieder umlernen muss. Gerade bei der „Verkauften Braut“ habe ich mich ein paar Mal ertappt, dass ich in die sehr schöne Aufnahme mit Fritz Wunderlich und Gottlob Frick verfallen bin, das muss man halt dann wegarbeiten. Aber ich benutze die Aufnahmen nicht, um die Stücke zu lernen. Das ist nicht meine Art zu arbeiten.

Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

Der erste Schritt, gerade mit einem Stück, das ich gar nicht kenne, ist immer, den Klavierauszug durchzuarbeiten, mit dem Stift zu markieren: was ist meine Partie. Dann das Ganze mal durchzulesen. Ich lese mir, ohne die Musik zu hören, einfach die Texte durch und versuche, die Geschichte zunächst mal zu erfassen, mir ein Bild zu machen: Was ist impliziert vom Librettisten, vom Komponisten, welche Spielorte sind vorgesehen, damit ich ein Gesamtbild bekomme, bevor ich mich dann an die musikalische Umsetzung wage.

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Erzählen Sie uns etwas vom Hans aus der „Verkauften Braut“.

Der Hans ist einer, der schon etwas erlebt hat, nicht mehr ganz jung. Ein junger Mann, Ende Zwanzig, kann man vermuten, der aus einem problematischen Elternhaus weggelaufen ist, wahrscheinlich, weil der Vater eine zweite Frau geheiratet hat, mit der er nicht zurecht kam, die ihn vielleicht auch schlecht behandelt hat, das bleibt offen. Jedenfalls ist er unterwegs gewesen, auf der Walz, man kann sich sonst was ausmalen, was er erlebt hat. Es war sicher kein Zuckerschlecken, für einen Jugendlichen und dann später einen jungen Mann, sich durchzuschlagen. Man kann also davon ausgehen, dass er, wenn er zurückkommt in dieses Dorf und sich in Marie verliebt, ein gewisses Standing hat, dass er kein Unbedarfter mehr ist und sich auch von diesen Figuren im Dorf nicht mehr verunsichern lässt. Er hat sich emanzipiert von diesem Umfeld und kann deshalb auch mit einer gewissen Chuzpe diese Geschichte so einfädeln, wie sie dann eben später mit dem „Verkauf“ der Braut kulminiert.

Welche Freiheiten haben Sie bei der Interpretation der Rolle?

Also generell, muss ich sagen, fühle ich mich selten durch eine Regie, eine Inszenierung eingeengt. Man bringt sich ja doch immer sowieso selber mit. Selbst wenn der Regisseur irgendetwas forderte, was mir zunächst nicht passt, bin es ja doch immer ich, der es umsetzt. Das ist genau wie mit dem Singen auch. Wenn jetzt irgendeiner zu mir sagt: Sing es so oder sing es so: Es bleibt ja doch immer meine Stimme. Das heißt, ich bleibe ein Stück weit immer ich. Auch wenn man unterschiedliche Partien spielt, wie ich es ja hier am Gärtnerplatztheater tue: heute Abend Eisenstein und morgen früh dann wieder Hans probieren, da sind ja doch Welten dazwischen, aber das geht mit durchlässiger Stimme und ebensolchem Körper, und ich finde mich in allem wieder.

Was gefällt Ihnen am besten an der Partie des Hans, und was ist das Schwierigste dabei?

Am besten gefällt mir, dass es eine Partie ist, die sich nicht nur im Ariosen erschöpft, dass man Text und Musik aus der Szene heraus sehr gut motivieren kann. Natürlich gibt es ariose Momente, wo man sehr blühend singen kann, und das macht mir auch viel Freude. Also, ich könnte eigentlich gar nicht sagen, dass es etwas gibt, was mir nicht gefällt an der Partie. Ich finde mich da gut zurecht.

Wie geht der Hans damit um, dass die Marie so eine starke Persönlichkeit ist?

Ja, das findet er doch anziehend! Der Junge war unterwegs in der Welt, der hat sicher auch schon etwas erlebt mit Frauen, und ich glaube, wenn die zu langweilig wäre, würde er sich für sie gar nicht interessieren.

Und wie wird die Ehe von Hans und Marie in zehn Jahren aussehen?

Das ist sehr spekulativ, aber ich bin da prinzipiell optimistisch.

Die „Verkaufte Braut“ ist ja eine Übersetzung. Würden Sie es auch im Original singen?

Ich würde es sicherlich auch im Original singen. Sich das Tschechische heranzuarbeiten ist natürlich viel Arbeit, aber da sehe ich kein grundsätzliches Problem.

In welchen Sprachen singen Sie?

Das ist natürlich eine „Fachfrage“ bei mir, da ich gerade hier sehr aufs deutsche, slawische Fach festgelegt bin. Ich habe Italienisch natürlich schon gesungen, auch französische Partien, beispielsweise „Pelleas e Melisande“, Russisch wenig, nur Teile von Stücken. Das sind so die Dinge, die ich gemacht habe.

Haben Sie Vorbilder, musikalisch oder auch szenisch?

Szenisch würde ich sagen: Nein. Es gibt natürlich Sänger, ich habe vorhin Helge Brilioth und James King erwähnt, wo man einfach so berührt ist von der Interpretation, berührt im doppelten Sinne, sowohl von der emotionalen Seite, aber auch, dass die Art zu singen sich in einem widerspiegelt und man das Gefühl hat, da kann etwas in diese Richtung wachsen.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?

Nein, das habe ich natürlich nicht. Es ist ja bei uns oft schwer zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Freizeit: da sind viele Stunden, die man mit sich allein verbringt, um die Partie vorzubereiten, das heißt, sich mit dem Text, mit der Musik beschäftigt, sich gesangstechnisch weiterentwickelt. Aber ich würde nicht anfangen, die Stunden zu zählen.

Also Sie haben Freude an Ihrem Beruf.

Auf jeden Fall, sonst täte ich es nicht.

Gibt es Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Opernsängers ergeben?

Naja. Das würde ich nicht so hoch hängen. Es gibt gewisse Dinge, die man halt nicht gut machen kann: Wenn Sie zum Beispiel einen Tanzkurs belegen wollen, der immer zu einem bestimmten Termin ist, sind Sie sehr eingeengt, weil eben gerade die Zeiten, wo andere Menschen Zeit haben, so etwas zu machen, wo so etwas auch angeboten wird, meistens nicht gehen, weil wir eben in der Zeit auf der Bühne sind, aber das sind nur Kleinigkeiten. Dafür haben wir oft auch mal einen Tag frei, wo andere Menschen arbeiten müssen, mitten in der Woche, wo wir dann auch mal sagen können: Das Wetter ist schön, wir fahren raus, und man macht dann quasi Wochenende in der Wochenmitte. Das bringt eine Spontaneität ins Leben, das verlangt eine gewisse Flexibilität.

Was tut Ihrer Stimme gut und was ist gar nicht gut? Auf was müssen Sie achten?

Generell meide ich laute Situationen. Das ist auch ein Grund, warum ich eben gewisse musikalische Erlebnisse nicht hatte und habe. Ich würde auch zum Beispiel nicht in ein Bierzelt auf dem Oktoberfest gehen, weil mir das einfach zu laut ist. Sowohl für die akustische Wahrnehmung, als auch um dagegen anzusprechen. Was mir gut tut, ist alles, was mir als Mensch auch gut tut: Mich in der Natur zu bewegen, was so mein wesentliches Steckenpferd ist. Das kann ein Waldspaziergang ebenso sein wie eine Stunde Arbeit im Garten. Das entspannt mich sehr, und alles, was einen lockermacht, findet sich auch wieder in der Qualität der Stimme.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Ja, es gibt da eine Reihe von Übungen, die ich relativ regelmäßig mache.

Müssen Sie sehr diszipliniert leben?

Ich habe nicht den Eindruck, nein. Ich komme mit der Verbindung von meinen Freizeitaktivitäten und dem Beruf sehr gut zurecht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich gewisse Dinge nicht mache, die vielleicht schädlich sein könnten. Ich habe das nie als Komplikation empfunden.

Was empfinden Sie als das Schönste an Ihrem Beruf, und was nervt Sie daran?

Das Schönste ist, dass man immer wieder die Chance hat, sich selbst neu zu entdecken. Dass man sich aktualisiert, dass man ja, wenn man authentisch sein möchte, immer wieder die Energie, die man für diesen Beruf und für das Singen braucht, immer neu mobilisieren muss. Und das ist ja kein Müssen im Sinne eines Zwangs, sondern es ist im Prinzip wie eine Aufforderung, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was vielen anderen Menschen nicht gegönnt ist in ihrem Beruf, und das ist ein absolutes Privileg in diesem Beruf. Schwierig ist, dass man gewissen Unbilden sehr ausgeliefert ist. Es gibt halt leider doch mal Erkältungskrankheiten, die einem das Leben sehr schwer machen können. Da muss man manchmal dann die Reißleine ziehen und sagen: Jetzt geht’s einfach nimmer. Manchmal kann man sich aber über das Singen wieder fit machen, man kann sich quasi gesundsingen. Das geht, wenn man locker bleibt.

Hatten Sie irgendwann einmal überlegt, etwas anderes zu machen als zu singen?

Das habe ich wohl, ja, ich habe mich mit allen möglichen Sachen beschäftigt. Ich bin sehr naturverbunden und habe das auch sehr gepflegt und könnte mir manchen Beruf vorstellen, der im weitesten Sinne damit zu tun hat. Aber es ist auch sehr schön, das jetzt als Freizeitperspektive zu haben.

Haben Sie noch eine Wunschpartie?

Es gibt deren einige. Was ich jetzt vorbereite, ist z.B. der Parsifal. Es geht jetzt ganz konkret in das deutsche Fach hinein, und die Partien, die ich jetzt hier am Gärtnerplatz singen kann und durfte und auch diese Spielzeit noch singen werde, in den Wiederaufnahmen vom „Freischütz“ und den „Orangen“, die passen da sehr gut, um das aufzubauen.

Können Sie uns einen Ausblick auf diese Spielzeit und auf die kommenden Jahre geben?

Diese Spielzeit bringt jetzt, wie bereits erwähnt, neben der „Verkauften Braut“ dann noch mal den „Freischütz“, auf den ich mich sehr freue, genauso auch auf die „Liebe zu den drei Orangen“. Ich singe sehr gerne auch die „Fledermaus“. Anfang des nächsten Jahres wird es auch noch ein Liedprogramm geben, mit Duetten, das wird eine schöne Sache, denke ich. Und dann wird es ja hier am Gärtnerplatz unruhig. Ich werde an den beiden Produktionen, die im Prinzregententheater stattfinden, nicht mitwirken, werde aber dort auch noch eine „Zauberflöte“ singen, wo ich den Geharnischten gebe. Und dann gibt es auch schon Pläne für die Spielzeit darauf, aber die sind noch in statu nascendi, da möchte ich noch nicht darüber sprechen.

Dann sage ich herzlichen Dank für dieses Interview und Toi-Toi-Toi für die Premiere der „Verkauften Braut“!

Vielen Dank!

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Interview mit Ann-Katrin Naidu

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Liebe Frau Naidu, herzlichen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben für ein Interview auf dem Blog „Nacht-Gedanken“. Könnten Sie uns etwas zu Ihrem Werdegang erzählen?

Es sah zunächst wie ein Zufall aus, dass ich hauptberuflich Sängerin wurde. Ich habe in Stuttgart Musik studiert und dabei so viel wie möglich an Fächern belegt: Kirchenmusik, Ensembleleitung und Früherziehung und später dann Liedklasse und Opernschule. Nebenbei habe ich viel im Rundfunk-Chor gesungen, und dabei hatte ich immer wieder auch die Chance auf ein Solo. Allerdings waren mir die Gesangsstudenten in der Hochschule eher suspekt, vieles wirkte aufgesetzt und künstlich. Mir ging es beim Studium wirklich um die Musik, und deshalb fand man mich dann eher bei den Kirchenmusikern oder bei musikwissenschaftlichen Seminaren. Obwohl ich damals das vage Ziel, Redakteurin zu werden, vor Augen hatte, habe ich durch die solistischen Auftritte bald gemerkt: Man kann mit Singen mindestens einen Studentenhaushalt finanzieren.
Dann ergab sich die Gelegenheit für ein richtiges Vorsingen an einem Opernhaus, das eigentlich meine Freundin bekommen hat, aber ich habe den Termin von ihr übernommen, weil sie erkältet war. Dort habe ich tatsächlich dann unter anderem eine Arie aus der Johannes-Passion vorgesungen und trotzdem direkt ein Dreijahres-Engagement bekommen.
Also, es war wirklich ein Riesenglück oder, wer weiß, Vorsehung. Ich hätte niemals diesen Weg gewählt, wenn ich diese Ochsentour mit endlos vielen Vorsingen hätte machen müssen. Umso glücklicher bin ich jetzt, dass ich trotzdem in diesem erfüllenden Beruf gelandet bin!

Nach dem ersten Engagement, wie ging es dann weiter?

Nach drei ausgefüllten Jahren in Saarbrücken, wo ich glücklicherweise gleich mit Mezzo-Hauptpartien betraut wurde, ging es nach Mannheim weiter. Dort blieb ich zwei Jahre, wurde schwanger und bin dann nach München gegangen, weil hier auch die Großeltern meiner Tochter leben, die mir durch ihr engagiertes Mithelfen ermöglichten, gleichzeitig berufstätig und Mutter zu sein. Ich bin jetzt in der 16. Spielzeit hier am Gärtnerplatztheater engagiert.

Welche Musik haben Sie als Kind gehört?

Als Kind oder Jugendliche?

Vom Kind zur Jugendlichen.

Meine Mutter hat daheim viel Bach, Brahms und Jazz gehört. Ich habe zusätzlich, wie alle anderen in der Schule, Pop- und Rockmusik gehört und auch in einer Band gesungen. Pink Floyd, Deep Purple, Genesis, das war in der Zeit so in. Ich habe Frank Zappa noch live gehört (lacht). Später kam Jazz dazu. Ich war dann auch Sängerin in der Big Band von Erwin Lehn an der Musikhochschule in Stuttgart.

Was hören Sie heute? Ausschließlich klassische Musik, oder auch andere Musikrichtungen?

Also, wenn ich mir privat etwas auflege, ist es sehr selten Oper, möglicherweise zum Studium. Ich höre gern sinfonische Musik, Kammermusik, auch gut gesungene Chormusik. Ansonsten – gute Qualität ist Genre-unabhängig. Ob das jetzt Jazz oder durch meine Tochter auch die neuesten Poptitel sind, das ist egal. Ich kann nur nicht Musik einfach nebenher hören, wie die meisten Musiker.

Haben Sie das absolute Gehör?

Ich habe ein relativ absolutes Gehör, das heißt, ich treffe oft die richtigen Töne.

Wie beeinflusst das die Herangehensweise, oder das Einstudieren einer neuen Rolle?

Das beeinflusst es gar nicht. Das hat höchstens den Effekt, dass, wenn ich eine Partie draufhabe und dann aus dem Stand irgendwie an einer Stelle anfangen soll zu singen, dann treffe ich sie meistens. Das hat mehr etwas mit dem In-die-Kehle-Singen zu tun, vermutlich.

Wie gehen Sie an eine neue Rolle heran?

Es kommt auf die Rolle an. Wenn es eine Partie wie die Ludmilla in der „Verkauften Braut“ ist, dann bereite ich die Noten und den Text dazu vor und versuche, es möglichst vor der szenischen Probe im Kopf zu haben. Meistens lerne ich Noten noch leichter, wenn ich eine Bewegung dazu mache. Wenn es eine große, wichtige, für mich essentielle Partie ist, dann lese ich auch möglichst viel darum herum. Also, z.B. in die Carmen-Thematik habe ich mich gut eingelesen.

Spielen Sie ein Instrument?

Ich habe früher Klavierunterricht gehabt und spiele ein bisschen Gitarre.

Und auch heute noch?

Auch heute noch, ja, aber zum Zeitvertreib. Meine Tochter hat mich, was das Können betrifft, längst überholt, aber es reicht aus, um eine gewisse Vorstellung von einem neuen Stück zu bekommen.

Welche Sprachen sprechen Sie, und in welchen Sprachen singen Sie?

Ich bin mit Englisch zweisprachig aufgewachsen, und ich singe sehr viel auf Französisch und gelegentlich Italienisch. Ich habe auch Russisch gesungen, aber das nur phonetisch gelernt. Das würde ich mir nicht anmaßen, dass das dann wirklich auf Russisch war (lacht).

Haben Sie musikalische oder szenische Vorbilder?

Ich habe das Glück gehabt, dass ich mit wirklich bedeutenden Regisseuren gearbeitet habe. Ich denke da z.B. an Christoph Loy. In Inszenierungen von Harry Kupfer, Ruth Berghaus und Martin Kusej habe ich mitgewirkt und dabei tolle Kollegen neben mir auf der Bühne gehabt. Das klingt jetzt wie Angeberei, aber es ist halt einfach so, man lernt da unglaublich viel. Anna Netrebko, Anja Harteros, Barbara Bonney, Matti Salminen; das sind dann einfach in dem Moment Vorbilder. Ansonsten verdanke ich viel Inspiration dem Unterricht bei der wunderbaren Brigitte Fassbender.
Und dann sind da auch viele Musiker, die ich sehr schätze, die erst mal nichts mit dem Gesang zu tun haben. Es gibt da eine ganze Reihe aus der Generation junger Kammermusiker, die ich sehr schätze.

Als Sie mit Harry Kupfer und Christoph Loy gearbeitet haben, dann war das ja nicht am Gärtnerplatztheater.

Stimmt. Ich habe ja das Riesen-Glück gehabt, dass ich zu meinem Festvertrag hier doch auch viel gastieren konnte. Relativ am Anfang übernahm ich an der Komischen Oper den Cherubino in der Inszenierung von Harry Kupfer, und Christoph Loy kenne ich noch aus Stuttgarter Zeiten, in einer seiner ersten Inszenierungen überhaupt, der „Krönung der Poppea“, da habe ich den Ottone gesungen. Das wird heute nur noch von Countertenören gesungen.

Dann haben Sie auch internationale Erfahrung?

Ja, ich bin doch relativ viel herumgekommen. In Tokio habe ich Mahlers Dritte gesungen. In Amerika habe ich mehrfach gearbeitet, z.B. in Seattle, „Hoffmanns Erzählungen“. In Italien „Salome“, „Rheingold“ und „Götterdämmerung“. In Südafrika, Indien und in Israel habe ich gesungen, und auf Tournee war ich mit Lorin Maazel und mit Zubin Mehta.

Wenn Sie von Amerika sprechen – da gibt es ja dieses Konzept des Ensemble-Theaters nicht. Ist das eine andere Arbeitsweise in einem Cast, das nur aus Gästen besteht?

Absolut. Also erstmal kennt man natürlich die Kollegen zunächst nicht. Das ist erst einmal ein Abenteuer, zu sehen: Wie agieren sie auf der Bühne, wie ist die Chemie untereinander. Und natürlich ist es ein Vorteil, dass man sehr konzentriert nur an dieser einen Oper arbeitet. Gerade von Seattle kann ich sagen, dass die Produktion hervorragend organisiert war und unter dem Motto stand: Only happy birds can sing well. Es gab viele Kleinigkeiten bei der Sängerbetreuung, die dann ausmachen, dass man sich wirklich wertgeschätzt fühlt. Andererseits ist es wunderbar und ein Riesenprivileg, hier in einem Ensemble eingebunden zu sein. Wenn man mit Kollegen seit fünfzehn Jahren auf der Bühne steht und weiß, dass, wenn man zum Beispiel spontan auf der Bühne etwas erfindet, der Ball aufgefangen und weitergespielt wird. Das ist lebendiges Theater.

Also würden Sie das Ensemble-Theater einem auf Gäste-Basis geführten vorziehen?

Es gibt für beides Argumente. Ich fände es furchtbar schade, wenn es hier kein Ensemble mehr gäbe, das ist ja ganz klar. Gerade an so ein Haus gehört ein Ensemble. Aber international geht es nicht anders. Da muss auf Stagione-Basis gearbeitet werden.

Würden Sie sagen, Sie haben eine 38-Stunden-Woche?
Wir haben ja sehr oft Tage, wo wir überhaupt gar nicht mehr herauskommen aus dem Beschäftigen mit dem, was wir gerade tun. Wo wir nicht nur in messbaren Arbeitsstunden auf der Bühne stehen, sondern daheim noch mal ins Buch schauen und Melodien sich im Gehirn bewegen. Und dann gibt es natürlich wieder Tage, wo wir ganz frei haben. Das lässt sich schwer mit einem normalen Berufstag vergleichen. Wir müssen eben durchgehend präsent bei einer Vorstellung sein. Das kann sich dann anfühlen wie ein gesamter Tag gearbeitet.

Gibt es besondere Komplikationen, die sich aus dem Lebensrhythmus eines Sängers ergeben?

Als Mutter kann ich sagen: Jeder Tag muss neu organisiert werden. Wenn der Probenplan für den nächsten Tag erst kurz vor zwei Uhr herauskommt, dann muss man sehr flexibel sein, und die Menschen aus dem ganzen Netzwerk, das man sich aufgebaut hat, müssen gegebenenfalls mit springen. Verabredungen können kurzfristig platzen, Feiertage sind meist nicht dienstfrei. Das ist eine Komplikation, ja. Ansonsten versuche ich, mein Leben ganz normal zu führen: Ich werde nicht hysterisch, wenn es zieht oder wenn um mich herum geniest wird.

Da sind wir dann gleich bei der richtigen Frage: Was tut Ihrer Stimme gut, und was verträgt sie überhaupt nicht?

Gegen das Rauchen werde ich immer allergischer, leider. Ich finde es sehr schade, dass wir jetzt draußen auf unserer schönen Dachterrasse nur selten sitzen können, ohne dass wir eingeräuchert werden. Von wegen: Ich gehe mal an die frische Luft. Apropos Luft, das ist natürlich das A und O: Ein langer, ausgedehnter Waldspaziergang ist natürlich für jeden Menschen gut und für einen Sänger, glaube ich, erst recht. Viel schlafen tut gut. Viel trinken.

Tun Sie etwas für Ihre Kondition?

Es hat sich ja vielleicht herumgesprochen, dass ich seit früher Kindheit mit Asthma lebe, aber ich habe das durch das Singen auch relativ gut im Griff. Jedenfalls hängt meine Konditionsarbeit natürlich auch immer damit zusammen: was kann ich mit dem Asthma überhaupt leisten. Also, Joggen ist bei mir dann nicht angesagt, aber ich mache regelmäßig Yoga, gehe in die Berge und schlafe viel (lacht).

Wie diszipliniert müssen Sie leben?

Unter manchen Aspekten sehr. Man muss immer wissen: Auf der Bühne geht es nicht um mich, sondern um den Charakter, den ich gerade darstelle. Für mich geht es auch noch weiter, das zieht sich bis in das Garderobenleben hinein: man sollte seine privaten Probleme während Vorstellungen aus der Garderobe draußen lassen, um auch die Kollegen nicht unnötig zu belasten. Das heißt nicht, dass man nicht miteinander sprechen soll, wenn es sich ergibt, aber es gibt da so eine mangelnde Disziplin, dass man einfach ungefiltert jede Laune herauslässt, und das kann einen gelegentlich – wie sage ich es diplomatisch – irritieren. Aber ansonsten, ich habe es ja vorhin schon gesagt, versuche ich, jetzt zu leben und nicht später, wenn ich mal nicht mehr singe. Also, jetzt ist Leben.

Dann haben Sie also kein Problem damit, die Schwiegermutter Ihres Partners zu spielen?

Nein, das ist wirklich egal, höchstens in der Vorbereitung lustig, aber in dem Moment, wo ich auf der Bühne bin, da bin ich der Charakter, den ich zu spielen habe.

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Dann kommen wir mal zur Neuproduktion der „Verkauften Braut“. Wie sieht denn der Regisseur die Ludmilla?

Ludmilla und Kruschina, die Eltern von Marie, sind ganz einfache Leute, die von diesem Kecal, dem Heiratsvermittler, recht eingeschüchtert werden und aus Geldnöten die Tochter verhökern. Viele Hinweise auf eine Figur werden ja auch durch die Wahl der Kostüme gegeben. Unsere Kostüme wurden jetzt noch mal nach der ersten Klavierhauptprobe geändert, weil ich z.B. noch zu elegant war. Ein einfaches Kostüm hilft natürlich bei der Darstellung so einer Partie.

Man kann ja die Braut auf verschiedene Arten inszenieren, aber hier wird dann offensichtlich so ein bisschen die Kitsch-Falle umgangen?

Das Folkloristische wird herausgenommen. Das kann ich schon einmal sicher sagen. Aber es ist ja bei einer Produktion so: Je länger man dabei ist, desto weniger sieht man den Wald vor lauter Bäumen. Insofern – ich bin jetzt, glaube ich, nicht mehr geeignet, über das Regie-Konzept zu sprechen. Ich könnte vielleicht eine andere Produktion, bei der ich nicht beteiligt wäre, viel unbefangener beurteilen.

Welche Freiheiten hat Ihnen der Regisseur gelassen, und wieviel von Ihrer Persönlichkeit steckt in der Ludmilla, die dann auf der Bühne stehen wird?

Zuerst zur letzten Frage: Ich bin mir nicht sicher. Natürlich geht man immer lebendig auf die Bühne, wir sind ja keine Roboter, also es wird immer irgendetwas von mir mit einfließen, aber das ist mir nicht bewusst. Das kann natürlich passieren, dass in meinem Spiel möglicherweise eine schnelle Bewegung entsteht, die vielleicht für den Charakter der Ludmilla unpassend ist. Aber sie ist ja andererseits keine alte Frau, sie ist eben die Mutter von einem jungen Mädchen. Und Freiheiten – es wurde viel vorgegeben und wir haben viel am Subtext gearbeitet, die Gänge sind inzwischen festgelegt, aber ich habe mich dabei nicht gegängelt gefühlt.

Was war für Sie bei der Interpretation dieser Rolle besonders wichtig? Oder was war eine besondere Herausforderung?

Rein musikalisch gibt es da ein sehr schönes Sextett im dritten Akt, das ist musikalisch eine Herausforderung, weil es streckenweise a capella ist, und die Ludmilla – für einen Mezzo ungewöhnlich – die höchste Stimme im Ensemble singt. Heute bei der Orchesterprobe lief es gut, und ich freue mich richtig darauf.

Maries Eltern sind ja unterschiedlicher Meinung, wie man den Ehemann für die Tochter auswählen sollte. Was ist das für eine Ehe zwischen Kruschina und Ludmilla?

Ich denke, wenn es in dem Kontext der 50er Jahre gesehen wird, was, glaube ich, mal so als grobes Raster angedacht war –

Bei der Einführung hieß es, es ist zeitlos.

Schwierig. (Lacht). Dass die Männer die Geschäfte machen und Töchter verheiraten, ist doch hoffentlich nicht zeitlos. Die Ehe ist nicht besonders schlecht, aber trotz der über die Jahre gewachsenen Vertrautheit gibt es Gräben. Musikalisch gibt es aber schon ein Argument für Harmonie: Wir singen eigentlich sehr viel parallel.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf, und was ist das Nervigste?

Eine unschätzbare Chance ist, dass man unglaublich viele Facetten des Lebens kennen lernt.
Zusätzlich wird man durch die Begegnung mit den vielen Menschen, mit denen man es zu tun hat, bereichert.
Die Beschäftigung mit der Musik und der Darstellung ermöglichen es, an Seiten von sich selber heranzukommen, die man vielleicht in einem anderen Beruf niemals erleben würde. Zudem gibt es keine Routine im Sinne von gleichförmiger Wiederholung. Auch wenn ich zwanzigmal die gleiche Vorstellung mache, es ist einfach jedes Mal anders. – Das Nervigste? Nennen wir es das Herausforderndste: Auch flache Texte, langweilige Regie, stumpfe Musik immer wieder mit Freude und Elan „verkaufen“ zu müssen.

Haben Sie noch eine Wunschpartie?

Ich finde es wirklich schade, dass ich den ganzen Octavian noch nicht machen konnte. Ich habe ihn immer nur in Auszügen konzertant gemacht. Die Wagner-Sachen, die dürfen auch ruhig weitergehen. Jetzt habe ich ja die Rheintöchter, die Waltraute und die Fricka gesungen, aber da könnte gerne noch etwas kommen (lacht).

Können Sie uns einen Ausblick geben auf diese Spielzeit, und vielleicht schon auf die folgende?

Auf die folgende noch nicht, aber auf die jetzige: Acht Partien sind es, glaube ich. Ich habe immer noch den Hänsel auf dem Programm. Die Mrs. Quickly im „Falstaff“ im Prinzregententheater wird eine Premiere sein – bisher habe ich die Meg gesungen. Außerdem komme ich nun auch dazu, die Rolle der Fata Morgana in der „Liebe zu den drei Orangen“ zu singen.

Ganz herzlichen Dank für dieses Interview!

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Kurzinterview mit Heike Susanne Daum und Mario Podrečnik

Wir haben die beiden Solisten Heike Susanne Daum (Marie) und Mario Podrečnik (Wenzel) zu ihren Partien in “Die verkaufte Braut” befragt, die in wenigen Tagen am Staatstheater am Gärtnerplatz Premiere hat.

[singlepic id=974 w=320 h=240 float=left] Marie ist ja psychologisch sehr komplex. Wie werden Sie die Rolle anlegen?

Es gibt ein klares Rollenprofil des Regisseurs Peter Baumgardt, das ich sehr gut nachvollziehen kann. Marie ist auf dem Weg zur Eigenständigkeit, bewirtschaftet einen Milchpilz und ist trotz eines ominösen Heiratsversprechens seitens ihres Vaters heimlich mit Hans verlobt. Sie ist stark und wird um ihre Liebe kämpfen, sich nicht ohne Gegenwehr fremdbestimmen lassen.

Glauben Sie, Marie hätte tatsächlich aus Trotz Wenzel geheiratet?

Marie würde letzten Endes Wenzel nicht nehmen. Den Elternpaaren sagt sie das ganz deutlich: den Wenzel will ich nicht. Da bleib ich lieber ganz allein, treu der Erinnrung sein. Nur als sie sich von Hans betrogen und verkauft wähnt, steht sie vor einer Kurzschlussreaktion, die dem Grad ihrer Verletztheit und ihrer Impulsivität entspricht. Glücklicherweise löst alles sich in Wohlgefallen auf, bevor sie ihre Drohung wahrmachen muss!

Wird das eine glückliche Ehe werden?

Jedenfalls wird ihre Ehe mit Hans nicht ohne Streit verlaufen. Er ist verschlossen, sie mitteilungsbedürftig. Konflikte sind also vorprogrammiert. Das macht eine Ehe noch lange nicht unglücklich.

Wie viel Freiheit hat Ihnen der Regisseur gelassen? Wie viel von Ihrer Persönlichkeit steckt in dieser Interpretation?

Wie anfangs schon gesagt, hat Peter eine ziemlich genaue Vorstellung von seiner Marie. Ich versuche, dieser gerecht zu werden. Natürlich stehen mir da meine eigene Körperlichkeit und meine Lebenserfahrung als Mittel zur Verfügung. Das Lösen vom Elternhaus, das Treffen von Entscheidungen und Tragen der daraus resultierenden Konsequenzen, die Flucht aus der dörflichen Scheinidylle – das kenne ich sehr gut, wie jede erwachsene Frau.

Was ist die besondere Herausforderung bei dieser Rolle?

Marie ist meine erste wirklich lyrische Opernpartie. Da musste ich stimmtechnisch viel arbeiten. Mit Hilfe unseres Studienleiters Henning Kussel und des Musikalischen Leiters Lukas Beikircher bin ich auf einem guten Weg, die Feinheiten der großen lyrischen Phrasen auszuloten. Das macht viel Spaß! Wenn ich jetzt noch trotz Nervosität und mit dem Publikum vor Augen das Gelernte umsetzen kann, bin ich sehr glücklich!

 

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Wie ist der Wenzel als Persönlichkeit angelegt? Er ist ja nicht nur der Dorftrottel, diese Charakterisierung wäre ja ein bisschen zu simpel.

Der Regisseur wollte auf alle Fälle mal davon weggehen, dass der Wenzel ein Trottel ist. Er wird zwar gehänselt deshalb, weil er stottert, aber der Regisseur hat diese Partie mehr oder weniger so angelegt, dass es ein Maturand ist, ein Abiturient, der schon weiß, was er will. Nur hat er halt eine Sprachbarriere, sagen wir mal so, er stottert, er kriegt halt nicht alles gleich heraus. Das ist aber begründet darin, weil er unter der Macht seiner Mutter steht. Die Mutter kontrolliert ihn zu stark, und er hat dadurch einen Sprachfehler.

Wie setzen Sie das stimmlich um, das Stottern?

Es ist teilweise auf die Musik geschrieben, auf Noten geschrieben. Wir haben aber hier in diesem Stück mit diesem Regisseur uns erarbeitet, dass wir nicht jede Note singen, sondern zum Beispiel auch mal drüberhalten, um einfach diese Sprachhemmung zu zeigen.

Wieviel Freiheit hat Ihnen der Regisseur bei der Interpretation gelassen, und wieviel von Ihrer Persönlichkeit steckt da mit darin?

Freiheiten hat jeder Sänger zu Genüge eigentlich zu bekommen, das findet auch hier auf alle Fälle statt. Aber trotzdem, um das Konzept des Regisseurs aufgehen zu lassen, haben wir uns sehr oft auch untergeordnet in sein Regiekonzept.

Neben der musikalischen Umsetzung des Stotterns – was waren weitere Herausforderungen bei der Rolle?

Die Schwierigkeit beim Wenzel liegt eigentlich im Stottern: Wie bringt man jetzt ein Stottern herüber, das natürlich wirkt und nicht künstlich. Das ist für einen Spieltenor eine Riesen-Herausforderung, es natürlich zu gestalten, ohne Abstriche in der Musik zu haben.

Herzlichen Dank!

Bitte, gerne!

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